Jüdische Allgemeine Jüdische Allgemeine Jüdische Allgemeine

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www.Juedische-Allgemeine.de
Jüdische Allgemeine
wochenzeitung für politik, kultur, religion und jüdisches leben
Foto: Steffen Leiprecht
BERLIN, DEN
CHESCHWAN
BERLIN,
DEN 9.
1. NOVEMBER
NOVEMBER2006
200318.26.
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CH 4,00 SFR | A 2,50 EURO | BENELUX 2,50 EURO | F 2,50 EURO
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61. JAHRGANG NR. 45
59.
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A 1107
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München Jakobsplatz
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Jüdische Allgemeine Nr. 45/06 | 9. november 2006
Lichter-Glanz
Die neue Synagoge Ohel Jakob ist ein Meisterwerk moderner Architektur
von Ulf Meyer
Genau 68 Jahre nach der Reichspogromnacht wird in München an prominenter
Stelle eine neue Synagoge eingeweiht. Auf
Befehl Hitlers war schon am 7. Juni 1938
der prächtige spätromanische Vorgängerbau neben der Frauenkirche abgerissen
worden, fünf Monate vor der Pogromnacht.
Die knapp 60 Millionen Euro teure
neue Münchner Synagoge ist ein Meisterwerk der modernen Architektur. Sie besteht aus zwei aufeinandergestellten,
durchaus minimalistischen Kuben, von denen der untere, fensterlose, gänzlich mit
Naturstein verkleidet ist und den Salomon-Tempel in Jerusalem symbolisiert. Er
dient als Sockel für einen darauf ruhenden
Glasquader, der den Gebetsraum darunter
von oben beleuchtet und zugleich den
Blick der Gläubigen in Richtung Himmel
richtet. Das Spiel von Licht und Schatten
gibt dem Raum eine einzigartige Atmosphäre. Nachts strahlt aus dem Quader
Kunstlicht in die Stadt. Die netzförmige
Stahlkonstruktion besteht aus einem Dreiecksmuster, das Davidsterne bildet. Die abstrakten, archaischen Kuben wirken schon
jetzt zugleich skulptural und massiv, sinnlich und einfach.
Ihre ganze Wirkung werden sie aber
erst entfalten, wenn auch das Jüdische Museum nebenan am 22. März kommenden
Jahres gegenüber vom Angerkloster eingeweiht wird, das das gestalterische Thema
des geschlossenen Steinblocks variiert. Es
steht auf einem Glassockel, der mit einer
Banderole aus hebräischen Lettern versehen ist.
Ein dritter Neubau am Jakobs-Platz ist
das Gemeindezentrum der Israelitischen
Kultusgemeinde München und Oberbayern, in dem Bibliothek, Sporthalle,
Volkshochschule, Rabinat, Kindergarten,
Schule, Verwaltung und ein koscheres
Café sich um einen begrünten Innenhof
gruppieren. Allen drei Teilen des Ensembles ist gemein, daß sie sich zwar in den
kleinen Maßstab des Jakobsplatzes einfügen, durch ihre Schrägstellung aber dennoch klare, städtebauliche Akzente setzen.
Der Neubau des jüdischen Zentrums in
München ist immerhin das derzeit größte
Bauvorhaben einer jüdischen Gemeinde in
Europa und der bedeutendste nichtkommerzielle Bau Süddeutschlands.
Das neue Gotteshaus, das am 9. November eingeweiht wird, ähnelt nicht zufällig
der Synagoge in Dresden, deren prägnante
Architektur sie zu einem der geschätztesten Neubauten in den neuen Bundesländern machte, denn beide wurden von dem
Architekturbüro „Wandel, Hoefer, Lorch
und Hirsch“ aus Saarbrücken entworfen,
das sich wie kaum ein zweites Architekturbüro in Deutschland mit der Theorie des
Synagogenbaus beschäftigt.
Während es ihnen im stark kriegszerstörten Dresden darum ging, einen städtebaulichen Anker am östlichen Elbpanorama zu schaffen, mußten die Architekten in
München auf eine diffizile Innenstadtlage
reagieren. In beiden Fällen nutzen die Planer das spannungsvolle Spiel von Kuben:
In Dresden spannen sie zwischen Brühl’scher Terrasse und Carola-Bücke einen
geschützten Innenhof auf, während sie in
der bayrischen Landeshauptstadt übereinandergetürmt wurden und so einen Platz
in der Silhouette der Stadt beanspruchen
wie einst die Münchner Hauptsynagoge
an der Herzog-Max-Straße von 1887, die
für die Akzeptanz und gesellschaftliche
Bedeutung der jüdischen Gemeinschaft
stand.
Wandel, Hoefer, Lorch und Hirsch haben schon beim Entwurf der Frankfurter
Shoah-Mauer ihre architektonische Sensibilität bewiesen, die sie davor bewahrt, in
postmoderne Klischees zu verfallen. Nach
Jahrzehnten des Provisoriums in der Reichenbachstraße, etwa tausend Meter entfernt, soll der Neubau nicht nur den 9.000
Mitgliedern dienen und dabei Spiritualität
ebenso fördern wie handfeste Gemeindeund Bildungsarbeit.
In der ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“ schafft der Entwurf einen Anschluß an die Geschichte und Bedeutung
der jüdischen Gemeinschaft in München.
Jüdisches Leben kehrt in das Herz der
Stadt an einem der ältesten Plätze Münchens und damit in die Mitte der Gesellschaft zurück, wo es der NS-Terror vertrieben hat.
Himmelwärts: die neue Synagoge aus verschiendenen Blickwinkeln
und zu verschiedenen Tageszeiten
Fotos: © wilfried-dechau.de
www.juedischeszentrumjakobsplatz.de
Ein Platz, drei Gebäude: die Synagoge (1), das künftige Museum (2) und
das Gemeindezentrum (3)
Foto: Wandel, Hoefer,
Lorch und Hirsch
Wenn wir an die Zukunft denken,
denken wir auch an sie.
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München Jakobsplatz
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Jüdische Allgemeine Nr. 45/06 | 9. november 2006
„Die Herzen der Menschen erreichen“
Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch über einen Traum, deutsch-jüdisches Miteinander,
die Integration russischsprachiger Zuwanderer und die Sehnsucht nach Kultur
Frau Knobloch, Glückwunsch! Am heutigen 9. November wird das neue Gemeindezentrum in München eröffnet. Was ist
das für ein Gefühl?
knobloch: Der 9. November – den wir bewußt als Datum für die Einweihung gewählt
haben – ist für mich natürlich immer mit
einem sehr bedrückenden Gefühl verbunden.
Schließlich habe ich die Ereignisse 1938 als
Kind selbst miterlebt. Aber in diesem Jahr ist
das Datum mit einem ausgesprochenen
Glücksgefühl verbunden, weil ich endlich einen Traum realisieren konnte, den ich seit
Mitte der achtziger Jahre habe. In der Vergangenheit gab es auch in der Gemeinde
Skepsis. Anfangs haben viele gedacht: Sie
hat kein Grundstück und kein Geld, was will
sie denn eigentlich? Nun können wir die
neue Hauptsynagoge und unser Gemeindezentrum feierlich eröffnen. Ich kann die
Freude, die ich empfinde, kaum ausdrücken:
Ein Traum ist in Erfüllung gegangen.
ben wir doch eher ein Nebeneinander. Die
Normalität wird wahrscheinlich in der nächsten Generation Fuß fassen. Aber noch ist sie
nicht vorhanden.
Zur derzeitigen Situation gehört auch,
daß wir fast täglich rechtsextremistische
Übergriffe und antisemitische Pöbeleien
erleben. Was läuft falsch in diesem Land?
knobloch: In diesem Land läuft falsch, daß
wir die Dinge nicht ernst nehmen. Die Vorfälle werden bagatellisiert. Man äußert Entsetzen, man spricht von Betroffenheit, aber es
geschieht gar nichts. Hier müssen die Verantwortlichen, die Parteien und die Regierungen, endlich aufwachen. Bund, Länder und
Kommunen müssen einen Weg finden, um
vor allem der Jugend klarzumachen, wohin
dieser falsche Weg von Antisemitismus und
Fremdenfeindlichkeit führt. Dazu kommt die
Politikverdrossenheit. Mir ist es unverständlich, warum man sich da keine Gedanken
macht, oder die nicht in die Tat umsetzt, um
vorzubeugen. Ich war vor kurzem in Magdeburg. Dort sagte Ministerpräsident Wolfgang
Böhmer, Betroffenheit genüge nicht mehr,
jetzt müsse man endlich etwas unternehmen.
Sein Innenminister sagte, er brauche professionelle Hilfe. Man hätte aber schon längst
handeln müssen! Das Tagebuch der Anne
Frank wurde im Sommer in Pretzien verbrannt. Es gab viele weitere antisemitische
Vorfälle. Immer muß erst etwas passieren,
damit die Menschen aufwachen. Der Zentralrat hat die Aufgabe, hier einzuhaken und die
Politik darauf aufmerksam zu machen, wie
gefährlich die Situation momentan ist.
Wie schafft man es, ein solches Großprojekt in die Tat umzusetzen?
knobloch: Mit Beharrlichkeit, Ausdauer
und viel Antichambrieren.
Dazu braucht man gute Beziehungen.
knobloch: Ja, aber die hat man zu Anfang
nicht. Ich bin vor mehr 20 Jahren zur Präsidentin der Gemeinde gewählt worden. Damals habe ich weder daran gedacht, ein solches Amt anzustreben, noch es anzunehmen.
Ich kam nicht aus der Politik, ich kam aus
dem Privatleben. Ich mußte mir die Beziehungen erst aufbauen. Und dann bin ich
gleich mit einem solchen Projekt gekommen.
Wenn der jetzige Oberbürgermeister, Christian Ude, meinen Wunsch nicht zu seiner Chefsache gemacht hätte, dann wäre er nicht in
Erfüllung gegangen.
Gab es auch Vorbehalte von nichtjüdischer Seite?
knobloch: Ja, natürlich. Damals kam ich zu
den Behörden als jemand, der eine Synagoge
und ein Gemeindezentrum bauen will, aber
über keine finanziellen Mittel dafür verfügt.
Da habe ich schon so etwas wie Mitleid gespürt. Später gab es dann wiederum in der
Gemeinde Stimmen, die meinten, ich wolle
eine Art Fort Knox bauen, in das sich keiner
hineintrauen würde. Das hat sich gelegt. Die
Kritiker von damals sind begeistert und freuen sich über diesen Tag.
Der Bau in dieser zentralen Lage ist auch
ein Bekenntnis zur Stadt, in der Sie leben.
Sie haben schon mehrfach davon gesprochen, daß Sie nach vielen Jahren jetzt endlich die Koffer auspacken könnten. Auch
dafür gab es vereinzelt Kritik.
knobloch: Ich toleriere solche Einwände
und habe auch Verständnis dafür. Aber ich
sehe schon lange eine Gemeinde, deren Infrastruktur nicht mehr ausreicht – vom Kindergarten bis zum Seniorenheim. Und wenn
man sieht, wie die Gemeinde Monat für Monat mit der Zuwanderung wächst, dann ist
man in der Verantwortung. Ich habe als Vorsitzende der zweitgrößten jüdischen Gemein-
„Rechtsextremistische und antijüdische Vorfälle werden in diesem
Land bagatellisiert“: Charlotte Knobloch
de Deutschlands eine Verpflichtung übernommen. Dazu gehört, daß man nicht nur in
der Mitte der Stadt ankommt, sondern daß
man auch die Herzen der Menschen erreicht.
Nun steht die Architektur, aber wie füllt
man ein Gemeindezentrum mit Leben?
knobloch: Da sehe ich kein Problem. Die
Synagoge wird durch ihren sehr modernen
und zeitgemäßen Baustil einerseits Bewunderung, andererseits Kritik hervorrufen. Sie
wird aber auf jeden Fall eine große Anziehungskraft ausüben, auch auf Gemeindemitglieder, die sonst seltener in eine Synagoge
gehen. Ich glaube, daß dieses Ambiente einen Anreiz darstellt, die Synagoge nicht nur
an den Hohen Feiertagen, sondern auch an
einem ganz normalen Schabbat oder zu anderen Anlässen zu besuchen.
Und das Gemeindezentrum?
knobloch: Da habe ich eher die Sorge, daß
es schon bald wieder zu klein sein wird. Aber
im Gegensatz zu unserer jetzigen Situation
wird das Gemeindehaus sämtliche Einrich-
Foto: Marco Limberg
tungen beinhalten, die bislang über die ganze Stadt verstreut waren – Babyclub, Kindergarten, Schule, Jugendzentrum. Das bringt
schon mal Leben. Dann gibt es dort auch ein
hervorragendes Restaurant. Und mit dem
Hubert-Burda-Saal haben wir den größten
Veranstaltungsraum der Innenstadt. Es soll –
darauf lege ich sehr großen Wert – ein offenes Haus sein. Es gibt immer noch viele Klischees und Vorbehalte. Das soll keine Schuldzuweisung sein. Sie sind einfach vorhanden,
weil man uns kaum kennt. Ich höre immer
wieder: Wir wissen, es gibt Juden in München, aber wo seid ihr denn, man kann euch
ja nicht finden. Das wird ein Ende haben.
Wir sind da, mitten in der Stadt. Wir wollen
den Dialog, um für die Zukunft vorzubauen.
Ist das Gemeindezentrum ein Schritt auf
dem Weg in die vielbeschworene deutschjüdische Normalität?
knobloch: Mit dem Begriff Normalität bin
ich in diesem Zusammenhang etwas zurückhaltend. Ich würde das als ein Schritt hin zu
einem Miteinander bezeichnen. Bislang ha-
Brauchen wir den Aufstand der Anständigen?
knobloch: Der Aufstand der Anständigen
ist natürlich notwendig. Für mich ist es wichtig, daß sich die Bürger in den Städten und
Dörfern aus innerer Überzeugung gegen den
Rechtsextremismus wenden. Daß sie dazu
nicht erst aufgefordert werden müssen, sondern wissen, daß sie sich dieser gefährlichen
Entwicklung entgegenstellen müssen. Ich bin
beunruhigt darüber, daß andere Themen in
den Medien einen größeren Stellenwert haben, als diese Gefahr, die sehr schnell zu einem Flächenbrand werden kann.
Ist dieses Gedankengut schon so weit in
die Gesellschaft eingesickert, daß sich
deshalb niemand mehr aufregt?
knobloch: Es gibt gebietsmäßige Unterschiede. Und es gibt eingefleischte Antisemiten, die wir niemals überzeugen werden. Wir
müssen uns darauf konzentrieren, die jüngeren Menschen aufzuklären, mit ihnen den
Dialog zu führen. Da ist die Glaubwürdigkeit
von Zeitzeugen sehr wichtig. Sie stehen uns
nur noch im begrenzten Maß zur Verfügung.
Während des Libanonkrieges haben Sie
verschiedenen führenden Politikern vorgeworfen, eine antijüdische Stimmung zu
schüren. War das übertrieben?
knobloch: Ich habe ganz bestimmte Politiker angesprochen, deren Haltung gegenüber
Israel und gegenüber der jüdischen Gemein-
schaft in Deutschland schon vor dem Libanonkrieg zu beklagen war. Schon vor dem
Krieg gab es Äußerungen, die mir absolut
nicht gefallen haben. Daß so etwas einfach
unbeantwortet blieb, hat mich persönlich
sehr getroffen.
Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit.
Wie wird das von Zuwanderern erlebt?
knobloch: Solche Erfahrungen können sie
manchmal gar nicht umsetzen. Und sie haben
kein Verständnis dafür, daß wir als Verantwortliche diese Dinge nicht abschalten können. Sie haben in einer anderen Welt gelebt.
Sie wurden in ihrer alten Heimat wahrscheinlich auch nicht genügend über dieses Phänomen informiert. Aber jetzt spüren sie eine unangenehme Stimmung bei der Arbeits- oder
Wohnungssuche. Sie merken schon, daß sie
als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Das führen sie auf ihr Judentum zurück.
Da muß den Zuwanderern geholfen werden.
Sonst haben sie doch hier keine Zukunft.
Was können die Gemeinden und der
Zentralrat tun, um den Zuwanderern eine Zukunft zu geben?
knobloch: Wir müssen ihnen das Gefühl
geben, daß sie willkommen sind. Man sieht,
daß es kleine, überschaubare Gemeinden
sehr viel schneller schaffen, ihre neuen Mitglieder einzugliedern. Zumindest gelingt es
ihnen, die Zuwanderer für das Gemeindeleben zu interessieren. Die großen Gemeinden
müssen auf die Medien zurückgreifen, um die
Menschen zu erreichen. Wichtig ist: Wir müssen mehr auf die Menschen zugehen, ihnen
signalisieren, daß wir helfen. Dazu brauchen
wir natürlich die Unterstützung der öffentlichen Hand. Von nichts kommt nichts. Ich
sage immer wieder, daß ich dankbar bin, daß
die Menschen kommen können. Aber wir
brauchen die entsprechenden Mittel, sie so
einzugliedern, daß sie hier ihr Leben aus
eigener Kraft gestalten zu können. Das ist
auch im Interesse der deutschen Gesellschaft.
Worauf kommt es dabei an?
knobloch: Man darf nicht versuchen, den
Zuwanderern ihre Kultur wegnehmen zu
wollen. Mir fallen dann immer die Emigranten der dreißiger Jahre ein. Als sie zum Beispiel in Amerika waren, sind sie bis zu ihrem
Tod der deutschen Kultur eng verbunden
geblieben. Sie waren Amerikaner, sie waren
ihrem neuen Heimatland ungemein dankbar,
daß sie aufgenommen wurden. Aber sie wollten ihre Kultur behalten. Natürlich sind
unsere russischsprachigen Zuwanderer unter
ganz anderen Umständen zu uns gekommen.
Aber man darf ihnen ihre Kultur nicht nehmen. Die Zuwanderer sind nicht nur ein Gewinn für die Gemeinden, sondern auch für
die deutsche Gesellschaft. In allen Bereichen,
ob Wirtschaft, Wissenschaft oder Kunst. Ihre
Integration ist eine große Aufgabe. Es gibt
im Zentralrat und den Gemeinden genügend
Menschen, die in der Lage sind, dies gemeinsam mit der öffentlichen Hand zu schaffen.
Das Gespräch führten Christian Böhme und
Detlef David Kauschke.
9. november 2006 | Jüdische Allgemeine Nr. 45/06
München Jakobsplatz
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„Immer ragst du mir in meine Träume“
Hoffaktoren, Künstler und Zuwanderer: eine kleine Geschichte der Kultusgemeinde in München
von Ellen Presser
Ein jüdisches Ghetto hat es in München
nie gegeben. Wohl aber eine Judengasse
und Pogrome: 1285 und 1349. Immer wieder gab es im Mittelalter Ansiedlungen
von Juden, doch nie dauerhaft und nur im
Schatten der Regensburger und Augsburger Gemeinde. Von einer Israelitischen
Kultusgemeinde kann man in München
eigentlich erst ab 1815 sprechen. Zwar
müssen für die extravaganten Bedürfnisse
des Hofes einzelne jüdische Hoffaktoren
zeitweise zugelassen worden sein, doch
1616 war das Aufenthalts-, Handels- und
Gewerbeverbot für Juden in Bayern nochmals bekräftigt worden. Die erste amtlich
belegte Aufenthaltsberechtigung für einen
Juden ist für 1718 nachgewiesen. Nach der
amtlichen Zulassung 1815 folgte ein Jahr
später die Bewilligung eines jüdischen Begräbnisplatzes vor den Toren Münchens an
der Thalkirchner Straße. Die Grundsteinlegung der ersten Synagoge war 1824 nur
möglich, weil die Behörden eine überschaubare Gebetsstätte den privaten, nicht kontrollierbaren „Nebenschulen“ vorzogen. So
entstand in der Theaterstraße – heute Westenrieder Straße – die erste richtige Synagoge Münchens.
Nie waren es „Filetstücke“ der Stadt, die
für jüdische Bauvorhaben eingeräumt
wurden. Das galt für die erste Synagoge
im anrüchigen Quartier nahe der Stadtmauer ebenso wie für den Standort der
1887 eingeweihten prächtigen neuen
Hauptsynagoge im neoromanischen Stil
an der Herzog-Max-Straße.
Man könnte die Geschichte der Juden
allein entlang ihrer Synagoge erzählen,
dem Ringen von Orthodoxie und Liberalität, die vor 1933 mehrheitlich zugunsten
des liberalen Judentums stand und sich
nach der Befreiung und der Änderung der
Mehrheitsverhältnisse zugunsten eher orthodox orientierter jüdischer KZ-Überlebender und Flüchtlinge wendete.
Doch das Selbstverständnis der Juden
Münchens drückt sich nicht nur in der
Baugeschichte, sondern in den unterschiedlichsten Reaktionen auf die ablehnende, wenn nicht gar judenfeindliche
Haltung der katholischen Mehrheitsgesellschaft aus. Während die Bankiersfamilie
von Hirsch Adelsprädikat und Judentum
unter einen Hut brachte, erlangte der Hoffaktor Aaron Elias Seligmann erst durch
katholische Taufe 1814 den erblichen Freiherrnstatus derer von Eichthal. Alle zehn
Kinder folgten, sein Sohn Simon war maßgeblich an der Gründung der Bayerischen
Hypotheken- und Wechselbank beteiligt.
Hoffte der getaufte Jude Heinrich Heine
1827 noch vergeblich auf eine Berufung
auf den Lehrstuhl für Literaturgeschichte,
so fand die Jüdin Nanette Kaula unter
demselben König Ludwig I. wenigstens
Eingang in dessen Schönheitsgalerie.
Trotz Assimilation wuchs die jüdische
Gemeinde jedoch stetig. Dafür sorgte schon
der Zuzug aus den Landgemeinden, die Persönlichkeiten wie die Antiquarsfamilie Rosenthal, die Feuchtwangers und die Familie
Schülein einschloß, die ihr Unionsbräu erfolgreich 1921 mit dem der Fa. Löwenbräu
fusionierte. Die seit den 1880er Jahren verstärkte Zuwanderung aus Osteuropa ließ
die jüdische Einwohnerschaft Münchens
vor dem Ersten Weltkrieg auf ihren höchsten Wert anwachsen: rund 11.000 Menschen. Das hatte 1906 nicht nur die Anlage
eines neuen Friedhofs zur Folge, auf dem
ein Mahnmal von rund 180 jüdischen
Gefallenen des Ersten Weltkriegs kündet.
Es führte 1931 auch zum Bau einer Synagoge im Hinterhof der Reichenbachstraße, die
Neuanfang: Im Mai 1947 wird die Synagoge Reichenbachstraße wieder geweiht.
bis November 1938 allein für die sogenannten Ostjuden und ab Mai 1947 für nochmals 59 Jahre bis zum 8. November 2006
als Hauptsynagoge dienen sollte.
Politiker wie der Sozialdemokrat und
erste bayerische Ministerpräsident Kurt
Eisner wollten davon nichts in Anspruch
nehmen. Wie viele andere assimilierte Juden verzichtete er auf eine Mitgliedschaft
in der Israelitischen Kultusgemeinde und
wurde dennoch als Jude ermordet und auf
Anordnung der Nationalsozialisten 1933
unverzüglich vom Ostfriedhof auf den
Neuen Jüdischen Friedhof verlegt.
Mit München verbindet sich auch der
Roman Erfolg von Lion Feuchtwanger, der
ebenso wie Albert Einstein hier seine Kindheit verbrachte. Die Dirigenten Bruno Walter und Hermann Levi sowie der Theaterregisseur Max Reinhardt feierten in der VorNS-Zeit hier ihre Erfolge, wie es nach 1945
Foto: JA
die Schauspielerin Therese Giehse und der
Regisseur Fritz Kortner tun sollten. Manche
renommierten Persönlichkeiten versuchten
den Neuanfang: der Kinderarzt und Theresienstadtrückkehrer Julius Spanier gründete gemeinsam mit dem angesehenen
Rechtsanwalt Fritz (Siegfried) Neuland, der
als Zwangsarbeiter überlebte, am 19. Juli
1945 die Israelitische Kultusgemeinde neu.
Sie hatten den Untergang einer blühenden
jüdischen Gemeinde erlebt in einer Stadt,
die seit 1935 den zweifelhaften Titel
„Hauptstadt der Bewegung“ trug und von
der viele antijüdische Entrechtungs- und
„Arisierungs“-Verordnungen ausgingen.
Die Gemeinde, deren Geschicke Fritz
Neuland, der Vater der IKG-Präsidentin
Charlotte Knobloch, von 1951 bis zu seinem Tod 1969 leiten sollte, hatte nichts
mehr mit der ursprünglichen gemeinsam.
Sie setzte sich bis auf eine Handvoll deut-
scher Juden aus Juden der osteuropäischen
Länder zusammen, die orthodoxe Gebetstradition und jiddische Sprache mitbrachten. Ein Phänomen aber ist in der jüdischen
Gemeinde Münchens durch alle historischen Fährnisse gleich geblieben: Sie war
und ist eine ausgesprochene Zuwanderungsgemeinde. Das gilt auch für das letzte
halbe Jahrhundert: Ende der 50er Jahre
kamen Juden aus Ungarn, Ende der 60er
Jahre aus Polen und der Tschechoslowakei,
Anfang der 70er Jahre und kontinuierlich
seit den 90ern aus dem russischsprachigen
Raum. Auch Israelis zog es in die Isarmetropole, über die der gebürtige Münchner
Schalom Ben-Chorin 1937 in Jerusalem
schrieb: „Immer ragst du mir in meine
Träume / Meiner Jugend – zartgeliebte
Stadt / Die so rauschende Kastanienbäume/
Und das Licht des nahen Südens hat.“
1956 war der Religionsphilosoph, der
einmal Fritz Rosenthal geheißen hatte,
zum ersten Mal zu Besuch gekommen.
Nichts konnte seine Heimatliebe über die
folgenden Jahrzehnte des Lebens in Jerusalem beirren: weder schwere Verwüstungen in den 60er Jahren auf dem Alten Jüdischen Friedhof noch der Brandanschlag
auf das Jüdische Gemeindehaus, dem sieben Senioren in der Nacht vom 13. Februar 1970 zum Opfer fielen noch das Olympia-Massaker vom 5. September 1972.
„Wer ein Haus baut, hat eine Heimat
gefunden.“ In diesem Satz von Charlotte
Knobloch anläßlich der Ausstellungseröffnung „Synagogen in Deutschland“ bündelt
sich die in den vergangenen 30 Jahren
errungene Position der Münchner Kehilla.
Mit dem neuen Jüdischen Zentrum sind
die äußeren Rahmenbedingungen vollendet. Passend zu einem Gefühl, das schon
längst da ist: sich im Herzen der Stadtgesellschaft wieder zu Hause zu fühlen.
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München Jakobsplatz
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Zu der feierlichen Eröffnung der neuen
Hauptsynagoge
am Jakobsplatz in München
wünscht
Hadassah Medical Center of Jerusalem
der Präsidentin der IKG München und Zentralratsvorsitzenden Frau Charlotte Knobloch,
sowie dem gesamten Vorstand und allen Gemeindemitgliedern
einen wunderbaren Start und G“ttes Segen.
Es ist ein bewegender Moment mehr als 60 Jahre nach dem 2. Weltkrieg
dies im Herzen der Stadt München erleben zu dürfen.
Prof.Dr.Med.Dr.h.c Thomas Ruzicka
Präsident, HADASSAH - Deutschland
Gady Gronich
Director of Resource Development, HADASSAH INTERNATIONAL - Europe
Gentz Str. 4, D-80796 Munich
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Jüdische Allgemeine Nr. 45/06 | 9. november 2006
Sinn, Steine, Scheine
Wie man in Deutschland eine Synagoge baut
v o n A n n e tt e L ü b b e r s
„Kaum jemand hierzulande versteht die
jüdische Religion“, sagt Alfred Jacoby. Deshalb sei das Bauen einer Synagoge ein
sinngebendes Mittel. Der jüdische Architekt baute vor einigen Jahren in Chemnitz
bereits seine neunte Synagoge, auch beim
neuen Gemeindezentrum in München war
er als Berater beteiligt. Ihm ist wichtig,
daß seine Synagogen eine Botschaft vermitteln: „Anders als in Israel oder den
USA findet in Deutschland eine Identifizierung über die Architektur statt. Wir
sind ein Teil der Gesellschaft, und das soll
deutlich zutage treten.“
Muß der Architekt einer Synagoge
selbst Jude sein? Offenbar nicht, wie jüngste Beispiele belegen. „Wenn ein Atheist
eine Kirche bauen kann, dann sollte ein
nichtjüdischer Architekt auch eine Synagoge bauen können“, sagt der Saarbrükker Architekt Wolfgang Lorch. Sein Büro
Wandel Hoefer Lorch und Hirsch stand
am Münchner Jakobsplatz nicht zum ersten Mal vor der Herausforderung, einer
Synagoge Gestalt und Inhalt zu geben. Vor
einigen Jahren entstand nach seinen Plänen in Dresden ein jüdisches Gemeindezentrum mit Synagoge. „Wir haben uns
damals in Dresden sehr bewußt entschieden, keine Rekonstruktion der alten Semper-Synagoge zu versuchen. Das hätte eine
Kontinuität vorgespielt, die geschichtlich
nicht gegeben war. Wir wollten ein modernes Bauwerk, das Tempel und Welt, das
Dauerhafte und das Fragile verbindet und
dabei an das Stiftszelt der Israeliten erinnert“, sagt Wolfgang Lorch. „Wir haben
uns in der Auseinandersetzung mit dem
Judentum eine eigene Position erarbeitet,
die unumgänglich ist, wenn man letztendlich die richtigen Antworten geben will.
Ein solch programmatischer Bau wird allerdings gleichermaßen bestimmt vom
Vertrauen, das der Bauherr dem Architekten entgegenbringt.“
Daß man als Architekt einer Synagoge
nicht notwendigerweise einen jüdischen
Hintergrund braucht, meint auch Hans
Christoph Goedeking vom Wuppertaler
Architektenbüro Goedeking & Schmidt:
„Bis wir den Zuschlag für die Bergische
Synagoge in Wuppertal erhielten, war
mein Büro eher auf Kirchen spezialisiert.“
Die Planungsphase sei für ihn eine Entdeckungsreise gewesen.
Wie stark in Deutschland der Neubau
von Synagogen auch vom Engagement politischer Entscheidungsträger abhängt,
zeigt die Baugeschichte der neuen Synagoge in Chemnitz. Peter Ambros, stellvertretender Vorsitzender der dortigen jüdischen Gemeinde, erzählt: „Auf der einen
Seite stand damals unser Ehrenvorsitzender Siegmund Rotstein, der kurz vor seiner eigenen Barmizwa hatte erleben müssen, wie die alte Chemnitzer Synagoge
1938 zerstört wurde. Auf der anderen Seite gab es den Oberbürgermeister Peter Seifert, der nach einem Besuch der Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Yad Vashem
verändert in seine Stadt zurückkam. Von
Erst gezeichnet, dann gebaut: Konstruktionsskizzen der Architekten für
die neue Münchner Synagoge
da an bemühte sich der Politiker sehr um
die Wiederbelebung der jüdischen Gemeinde in Chemnitz und um ihr Sichtbarwerden in der Stadt.“ Die heute etwa 600
Mitglieder zählende Gemeinde – zum Ende
der DDR-Zeit lebten noch fünf Juden in der
sächsischen Industriestadt – einigte sich
1998 darauf, den erfahrenen Architekten
Alfred Jacoby mit dem Bau zu beauftragen. Zwei Drittel der Baukosten übernahm
der Freistaat Sachsen, ein Drittel die Stadt
Chemnitz. Die jüdische Gemeinde brachte
das Grundstück ein.
„Der damals gegründete Förderverein
wurde von den Bürgern der Stadt sehr
stark unterstützt“, sagt Ambros. Die Gemeinde selbst sei arm und habe wenig beitragen können. „Wahrscheinlich hätten
unsere eigenen Finanzmittel nur für die
Zedernholzbuchstaben auf der Fassade
gereicht.“ Ambros und seinen Kollegen
wäre zu guter Letzt die Freude beinahe
vergangen. „Als wir die Synagoge im Mai
2002 eröffneten, hatten wir eine Finanzierungslücke von 700.000 Euro. Wir mußten
Foto: Wandel, Hoefer,
Lorch und Hirsch
damals betteln gehen. Und dann kam im
August die große Flut an Elbe und Mulde.
Ohne die Hilfe der Stadt und des Landes
hätten wir es nicht geschafft.“
Noch ganz am Anfang steht ein Synagogenbauprojekt in Potsdam (vgl. auch Hauptteil, S. 19). Das Land Brandenburg hat den
Bauplatz zur Verfügung gestellt, die Stadtverwaltung hat sich – noch inoffiziell –
bereit erklärt, die Abrißkosten für den derzeitigen Plattenbau am Neuen Markt zu
übernehmen. Nun versucht ein Bauverein,
die Kosten für den notwendigen Architekturwettbewerb aufzubringen. „Wir müssen damit rechnen, daß allein der Architektenwettbewerb 100.0000 Euro kosten
wird“, erklärt der Vorsitzende des Synagogenbauvereins, Horst-Dieter Weyrauch,
der auch Verwaltungsleiter der Stadt Potsdam ist. „Wir haben ein funktionierendes,
tragfähiges Netzwerk aufgebaut.“ Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde mache
ihm Freude, sagt er. „Ich spüre ein großes
Maß an Dankbarkeit für unsere gemeinsamen Anstrengungen.“
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Jüdisches Zentrum
Jakobsplatz
Willkommen im
Herzen Münchens!
Die Synagoge in der Herzog-Max-Straße,
im Juni 1938 von den Nationalsozialisten zerstört.
9. november 2006 | Jüdische Allgemeine Nr. 45/06
München Jakobsplatz
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„Endlich bekommen die Frauen was mit“
Die neue Synagoge wird die Gemeinde verändern – eine kleine Umfrage
„Ich hoffe, daß sich das Gemeindeleben in
Zukunft noch aktiver gestaltet und viele
Leute kommen“, sagt Ilja Udler. Schließlich stehe die neue Synagoge mitten im
Zentrum der Stadt, „keiner kann mehr
sagen, daß sie schlecht gelegen ist“. Der
18jährige Schüler ist selbst in der Kinderund Jugendarbeit der jüdischen Gemeinde
engagiert und weiß, wieviel Arbeit und
Fleiß hinter einem facettenreichen Angebot steht. Am meisten freut sich Udler auf
die Räume des neuen Gemeindezentrums:
„Wir haben dann sogar eine sehr moderne
Sporthalle. Wenn wir mit den Jugendlichen Fußball spielen wollen, brauchen
wir nur in den Keller zu gehen.“ Die Baustelle am Jakobsplatz hat er in den vergangenen Monaten gleich mehrmals besucht.
„Durch den Zaun konnte man schon viel
erkennen.“
Alexander Fliaster wünscht sich seit langem, daß die jüdische Kultur einen gebührenden Platz in der Kulturstadt München
einnimmt. Mit der neuen Synagoge im
Zentrum sei ein entscheidender Schritt in
diese Richtung getan. „Hier können die
Menschen einen lebendigen und ungezwungenen Kontakt zu Juden gewinnen
und erhalten eine genauere Vorstellung
vom Judentum“, sagt er. Der 40jährige
hofft, daß das neue Gemeindezentrum auf
lange Sicht zu einem selbstverständlichen
Bestandteil des Münchener Lebens wird.
„Ich freue mich auf viele Gespräche und
eine offene Kommunikation“, betont er.
Zur Eröffnung am 9. November könne er
leider nicht kommen, weil er an dem Tag
verreist sei. Aber Fliaster ist sicher: „Meine Familie und ich werden die Synagoge
möglichst schnell besuchen.“
„Ich bin eingeladen“, erzählt Vicky Vilf
freudig und meint die Eröffnungsfeier der
Synagoge. Sie vermutet, daß es an ihrem
Job als Besitzerin eines koscheren Feinkostladens liegt. Die größte Errungenschaft
sieht die 53jährige im neuen Gemeindezentrum. „Bislang mußten wir für Feste
immer nach einem geeigneten Raum
suchen, und dann gab es kein koscheres
Geschirr dort. Es wurde wirklich höchste
Zeit, daß wir mehr Platz bekommen.“ Sie
vermutet, daß die Synagoge am Jakobsplatz vor allem an Feiertagen gut besucht
sein wird. „Um an jedem Schabbat dorthin
zu gehen, ist es für mich zu weit entfernt“,
erklärt sie. Noch hat Vilf keine konkrete
Vorstellung von der neuen Synagoge.
„Aber ich habe gehört, daß jetzt auch die
Frauen endlich richtig was mitbekommen
können“, erzählt sie.
Der Konzertsaal im neuen Gemeindezentrum hat es Daniel Grossmann ganz besonders angetan. Er lobt die technische
Ausstattung in höchsten Tönen. Als Dirigent des Jungen Orchesters Jakobsplatz
durfte sich der 28jährige bei einer Führung durch die neuen Räume bereits ein
Bild machen. „Der gesamte Komplex ist
wunderschön geworden“, schwärmt Grossmann und erzählt von zwei Dachgärten
mit Bäumen, von denen der eine als Schulhof genutzt werden soll. „Der Ausblick auf
die Stadt ist einfach phantastisch. Das ist
ein riesiger Unterschied zum jetzigen Gemeindezentrum.“ Der Dirigent rechnet mit
einem deutlich regeren Gemeindeleben.
Zum einen, weil die neuen Räume viel
Platz bieten und zum anderen, „weil die
Gemeinde endlich aus dem Hinterhof
rauskommt und in die Stadt zieht“.
Flughafen München: Macht Menschen Mobil
Bahn frei für Wachstum und Beschäftigung. Mit der Aufnahme der Planungen für eine dritte Start- und
Landebahn werden am Münchner Flughafen jetzt die Voraussetzungen für eine dynamische Weiterentwicklung
geschaffen. Ohne den Ausbau des Bahnsystems wäre eine Fortsetzung des Wachstumskurses schon in wenigen Jahren nicht mehr möglich. Mit der dritten Start- und Landebahn, die ab 2011 zur Verfügung stehen soll,
wird der Münchner Airport auch weiterhin Standortfaktor, Jobmaschine und Konjunkturmotor für den gesamten Wirtschaftsraum bleiben. So können wir mit drei Bahnen auch künftig das Versprechen einlösen, für das
die drei Ms auf dem Zubringer stehen. Flughafen München – Macht Menschen Mobil.
www.munich-airport.de
Luyiza Pertsovska muß lange überlegen,
was sie von der Synagoge am Jakobsplatz
erwartet. Nicht, weil ihr nichts einfiele.
Aber die in der Ukraine geborene Zuwandererin sucht erst nach den richtigen Worten, sie will nichts falsch formulieren. „Ich
wünsche mir, daß die Gemeinde noch
mehr Aktivitäten und Veranstaltungen
anbieten kann als bisher. Außerdem hoffe
ich, daß durch die zentrale Lage viele Menschen in die Synagoge kommen.“ Auch der
Kinderchor, den Luyiza Pertsovska seit
acht Jahren leitet, könne Zuwachs gut gebrauchen. Zweimal in der Woche probt
sie. Von außen hat die 45jährige die neuen
Gebäude bereits mehrfach bestaunt. „Das
sieht schon alles sehr schön aus.“
Aufgezeichnet von Lisa Borgemeister
Fotos: Steffen Leiprecht
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München Jakobsplatz
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Jüdische Allgemeine Nr. 45/06 | 9. november 2006
In guter Nachbarschaft
Was Passant, Friseurin, Ordensschwester und Anwohner über das neue Gemeindezentrum denken
v o n Ve r a v o n W o l f f e r s d o r f f
Ein Bauarbeiter schiebt eine knatternde
Maschine über frischen, schwarz glänzenden Asphalt. Er stampft den Straßenbelag
vor dem neuen Jüdischen Museum fest.
Inzwischen sind die meisten Gerüste abgebaut, viele Bauzäune verschwunden: Aus
der lärmenden, staubigen Baustelle haben
sich die drei Gebäude in ihrer endgültigen
Form herausgeschält. Für viele Passanten
am Jakobsplatz ist das Jüdische Zentrum
vor allem eins: Sehr groß.
Ein älterer Herr mit einer Ledertasche
unterm Arm beäugt kritisch das glatte Äußere des Jüdischen Gemeindehauses: „Es
sieht aus wie ein Bankgebäude oder eine
Versicherung“, meint er und wiegt den
Kopf hin und her: „Man hätt’s halt a bisserl…“ Er rudert mit den Armen in der Luft
herum, sucht nach passenden Worten, findet sie nicht und wiederholt statt dessen „a
bisserl…, ja, anders eben“. Sein Blick sucht
Halt bei den Umstehenden: „Nicht?“,
möchte er sich in der Runde rückversichern. Er erntet lediglich Gemurmel.
Seit 24 Jahren betreibt Edith Sterr ihren
Friseurladen am Jakobsplatz – nun ganz
nah an der neuen Synagoge. Von ihrer
Haustür aus sieht man eine Ecke des Gotteshauses imposant in den Himmel aufragen. „Ich habe noch nie solche Einbußen
gehabt wie in der Zeit, als hier gebaut wurde. Wenn ich keine Stammkunden hätte –
ich hätte längst schließen müssen“, faßt
die Friseurin die vergangenen drei Jahre
zusammen. Während der langen Bauzeit
kamen die Kunden manchmal kaum zu ihrem Laden durch, so dicht stand der Bauzaun davor. Manche glaubten, sie hätte
längst zugemacht. Beim Fensterputzen
hat sie mal eine Baumaschine von oben
bis unten mit Dreck bespritzt. Jetzt hofft
Edith Sterr, daß es bald sauber und ordentlich wird – und daß sie bald wieder mehr
Laufkundschaft hat. „Schön war der Platz
ja nie“, räumt sie unumwunden ein. Aber
früher, als dort Reisebusse mit Touristen
parkten, lief das Geschäft besser. Doch sie
ist optimistisch: „Ein italienischer PiazzaPlatz soll es ja werden“, freut sie sich. Und
die Gebäude selbst? Die gefallen ihr. Das
Ensemble insgesamt gebe wohl ein hübsches Bild, wenn es mal fertig ist. „So oder
so“, sagt sie: „Mit dem, wie es ist, muß man
jetzt leben – es ist bestimmt nicht schlecht.“
Ein paar Schritte weiter, gegenüber
dem Jüdischen Museum, weitet sich der
Platz: Hier steht das Angerkloster, ein
katholisches Frauenkloster mit Kindergarten, Grundschule, Gymnasium und einem
Wohnheim für Studentinnen. Hinter den
Klostermauern scheinen Baustelle, Lärm
Ganz nah dran: Schwester M. Salome (l.) setzt auf Dialog, Anwohner Klaus Friedrich findet alles etwas groß, Friseurin Edith Sterr hofft auf neue Kundschaft,
und Therese Houtman (r.) genießt den Ausblick.
und Staub weit weg. Hell und licht ist die
Eingangshalle des Ordenshauses. Hier
stand einst die 1221 erbaute Kirche des
ersten Münchner Franziskanerklosters.
1843 zogen die Armen Schulschwestern
von Unserer Lieben Frau dort ein. Die Provinzoberin, Schwester M. Salome Strasser
ist eine freundliche, resolut wirkende
Frau. Die Nachbarschaft zur Synagoge und
dem Jüdischen Gemeindezentrum sieht
sie als „große Herausforderung an uns
Schulschwestern, der wir uns auch stellen
wollen. Es geht um den Dialog, um das
Bemühen, einander zu verstehen.“ Sie
wählt ihre Worte mit Bedacht: „Wir haben
gemeinsame Wurzeln, wir beten in der
Laudes und der Vesper die Psalme des
Alten Testaments. Doch wir haben als
Christen auch das Neue Testament.“
Schwester Salome möchte einen offenen,
respektvollen Umgang miteinander. „Das
Angerkloster am St.Jakobsplatz war immer ein geistiges, geistliches Zentrum der
Stadt“, betont sie. Treffen mit Polizisten,
Gespräche über Sicherheitskonzepte sind
dagegen völlig neue Erfahrungen für die
Schwestern. Doch durch Einsatz im Erziehungs- und Bildungsbereich Verantwortung für kommende Generationen zu
übernehmen, gehört zum Selbstverständnis des Ordens. „Global zu denken, die
weltweiten Anliegen und Nöte mit einzubeziehen in die Arbeit, das war auch immer der Wunsch unserer Ordensgründerin Maria Theresia von Jesu Gerhardinger
charakteristisch und gilt auch für uns heute. Es geht darum, die Zeichen der Zeit zu
sehen und darauf zu antworten.“
Die Oberin hofft auf gegenseitiges Interesse der verschiedenen Glaubensgemeinschaften aneinander: „Ganz selbstverständlich waren und sind auch immer
jüdische Mädchen in unserer Schule gewesen.“ Erste Berührungspunkte wird es von
nun an schon im Kindergartenalter geben:
Der neue Spielplatz am Jakobsplatz steht
allen Kindern offen.
Der Synagoge am nächsten steht eine
Wohnanlage für Senioren. Dort lebt Therese Houtman, eine elegant gekleidete ältere Dame. Von den Fenstern ihrer Wohnung aus sieht sie direkt auf die metallene
Dachkonstruktion der Synagoge. Bevor
das Netz über den Glaskubus gezogen
wurde, spiegelte sich der Himmel und –
bei schönem Wetter – die Sonne darin.
Jetzt ist von der Spiegelung nichts mehr
zu sehen, aber das Netzgitter schimmert
GWG
und glänzt – zum Greifen nah. Früher
arbeitete Therese Houtman als Fotografin.
„Leidenschaftlich“, wie sie betont. Geboren
und aufgewachsen ist sie in Saarbrücken –
„wie die Architekten des Jüdischen Zentrums“, erzählt sie fast ein bißchen stolz.
1944 flüchtete die Familie aus dem Saarland in die bayrische Landeshauptstadt.
Wenig später begannen die Luftangriffe
der Allierten auf München. Sie ist froh,
daß es in der Stadt endlich wieder ein repräsentatives jüdisches Gotteshaus gibt.
Das Dritte Reich ist in ihrer Erinnerung
noch sehr präsent: „Ich sehe mich heute
noch, mit neun Jahren, vor der brennenden
Synagoge in Saarbrücken stehen, mein
Schulweg führte daran vorbei – das habe
ich nie vergessen. Man hat ja manchmal
die große Angst, daß die braune Suppe
wieder hochbrodelt. Also das möchte ich
nicht noch mal erleben, da möchte ich lieber vorher tot sein“, sagt sie entschieden.
Bedenken, daß die Synagoge zu groß sei,
wischt sie mit einer Handbewegung beiseite: „Wir leben in der Stadt. Und da wird
eben jeder Fleck bebaut – also, was soll’s.“
Kritischer äußert sich da ein Herr Ende
sechzig, der ebenfalls in der Wohnanlage
lebt. Klaus Friedrich ist Herausgeber einer
Fotos: Steffen Leiprecht
Zeitschrift für Poesie im Selbstverlag und
berichtet von einer Baumaschine, „die den
Boden und die Wände erzittern läßt“. Seit
Monaten schläft er nicht mehr, die Bauarbeiten fangen schon um 6 Uhr 30 in der
Früh an und dauern oft bis tief in die
Nacht. „Aber am allerschlimmsten sind die
Abgase der Dieselmotoren“, sagt er. Und
überhaupt: Den Platz findet er „insgesamt
zu sehr vollgestopft mit Gebäuden“. Er hätte lieber „eine schöne Synagoge in der Mitte des Platzes“ gehabt, „mit bunten Blumenbeeten und vielleicht ein paar Bäumen
und Bänken, auf die man sich bei schönem
Wetter setzen kann“. Zumindest was Bäume und Bänke angeht, werden seine Wünsche erfüllt – sie sind längst eingeplant.
An der Nordseite des St.Jakobsplatzes
liegt das Münchner Stadtmuseum. Überwachungskameras kontrollieren von dort
aus den Platz. Geht man zum Hofeingang
des Museums und dreht sich dann um,
blickt man genau auf den Kubus des Jüdischen Museums. Im Erdgeschoß ist eine
Fensterfront, darüber erhebt sich eine
massive Steinfassade. Über der Dachkante
ragt das Kreuz der dahinter liegenden,
katholischen St.Jakobskirche heraus: Ein
Symbol für den Dialog der Religionen?
GWG Gemeinnützige Wohnstättenund Siedlungsgesellschaft mbH
Eine Wohnungsbaugesellschaft
der Landeshauptstadt München
Willkommen im Herzen der Stadt
„Wir sind nicht nur verantwortlich
für das, was wir tun,
sondern auch für das, was wir nicht tun.“
J.B. Molière
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München Jakobsplatz
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Jüdische Allgemeine Nr. 45/06 | 9. november 2006
Foto: dpa
Fast 850 Jahre alt – und immer noch jung: Das Zentrum der bayerischen Landeshauptstadt (mit dem Jakobsplatz im Vordergrund) erhält immer wieder neue städtebauliche Akzente.
Voll im Leben
Vom Viktualienmarkt zum neuen Gemeindezentrum: ein Spaziergang durch Münchens Mitte
von Michael Schleicher
Lust auf einen Spaziergang? Keine Sorge,
Sie können dabei sitzen bleiben. Dennoch
wäre es schön, wenn Sie mitkommen würden. Treffpunkt ist der Viktualienmarkt.
Dort, wo München ganz bei sich ist, und es
dennoch genug Platz für die ganze Welt
gibt. Rotwangige Marktweiber, die Schürzen straff um die Hüfte gebunden, wuchten Obstkörbe von da nach dort. Und
wenn sie miteinander plauschen, kann der
unwissende Beobachter den Eindruck gewinnen, daß sie streiten. Das stimmt natürlich nicht. Herzlich geht’s hier zu und
der Viktualienmarkt ist auch wie ein großes Herz, von dem aus die Menschen in
Strömen durch die Innenstadt gepumpt
werden. Etwa an der neu errichteten
Schrannenhalle vorbei, über deren Qualitäten Befürworter und Gegner noch in
einigen Jahren debattieren werden, rüber
auf den Sebastiansplatz. Der hat in den
vergangenen Jahren seinen Hinterhofcharakter gegen das Image eines lebendigen
Stadtplatzes eingetauscht, wobei sich die
Aufenthaltsqualität nicht allein aus dem
umfangreichen kulinarischen Angebot
speist.
Von hier sind sie dann auch schon zu
sehen, die hellen Quader, die in den
Münchner Himmel ragen, drüben am neugestalteten Jakobsplatz. Mit einem Entwurf, der das neue Jüdische Zentrum auf
unterschiedliche Kuben aufteilt, hat das
Saarbrücker Architekturbüro Wandel-Hoefer-Lorch den internationalen Wettbewerb
gewonnen. Ihr Beitrag ist der einzige gewesen, der die unterschiedliche Nutzung
auf dem Platz – Hauptsynagoge, Gemeindehaus und Jüdisches Museum der Landeshauptstadt München – auf drei Gebäude aufgeteilt hat. Alle anderen Teilnehmer
des Architektenwettbewerbs planten, einen Komplex auf den Platz zu setzen.
Nicht so die Saarbrücker: Geschickt haben sie die drei Gebäude, die trotz aller
Unterschiedlichkeit die gemeinsame Handschrift nicht leugnen, auf dem Jakobsplatz
plaziert. Dadurch wurde der Stadtraum
neu definiert und für die Menschen wieder gewonnen. Die einstige Kriegswunde,
eine Mischung aus schmutzig-traurigem
Rasenstück, verlottertem Kinderspielplatz,
wilder Parkfläche und Notdurftanstalt für
Vierbeiner, zitiert mit der Neubebauung
das historische Vorbild der Münchner
Stadtplätze. Doch die Architektur will
mehr sein als eine Hommage und bietet
deshalb eine durchdachte Neuinterpretation des städtischen Platzes, wie ihn die
Historiker kennen.
Grüß Gott: Obstfrauen auf
dem Viktualienmarkt
Foto: imago
Die Bauwerke wollen als Skulptur verstanden sein. Am Augenfälligsten ist das
bei der neuen Hauptsynagoge. Deren Fassade ist – wie die der beiden anderen Gebäude – mit demselben hell schimmernden Travertinstein verkleidet. Der Unterschied liegt in der Oberfläche – hier variiert die Struktur –, stammen die Platten
doch aus unterschiedlichen Gesteinsschichten. Deshalb wirkt gerade die Hauptsynagoge wie aus Fels gehauen. Kraftvoll. Ihre
Fassade ein Relief, stark die Struktur. Lebendig. Auf dieser wuchtigen Basis erhebt
sich der mit einem feinen, rötlich schimmernden Metallgitter überworfene Glasquader. Durch ihn flutet Tageslicht ins
Innere. Das Glas ist hier nochmals von
Rauten ummantelt, die sich beim konzentrierten Betrachten zu Davidssternen zusammenschieben lassen. An den Tempel
(in Jerusalem) und das Zelt (die Heimat
des jüdischen Volkes während des Zugs
durch die Wüste) wollen die Architekten
mit dieser Bauweise erinnern. Beim Jüdischen Museum haben sie diesen Gedanken auf den Kopf gestellt: Dort trägt der
Glaskubus des Erdgeschosses das Gesteinsmassiv der oberen Stockwerke. Die klare
Formsprache setzt sich auch beim Gemeindehaus fort, das den Jakobsplatz optisch
einfaßt und einen mutigen Kontrapunkt
zur bestehenden historischen Bebauung
gegenüber setzt, in der unter anderem das
Münchner Stadtmuseum sowie das Filmmuseum beheimatet sind.
Das Arrangement des Komplexes
schließt den Jakobsplatz gerade soweit ab,
daß er sich in Richtung Marienplatz öffnen kann. Mit seinen Bäumen und Bänken, der Freischankfläche des Museumscafés und dem (Wasser-)Spielplatz ist der
Jakobsplatz zu einem „Forum“ im Wortsinne, einem Ort der Kommunikation geworden.
Verstärkt wird dies durch die Tatsache,
daß das einstige Parkhaus am Oberanger
dem Angerhof, einem eleganten Stadthaus, gewichen ist. Da sowohl das Jüdische
Zentrum auf dem Jakobsplatz als auch der
angrenzende Angerhof wert auf Durchlässigkeit und gestalterische Transparenz legen, kann der Spaziergänger nun vom Viktualienmarkt über den Sebastiansplatz,
Jakobsplatz und Angerhof hinauf zum
Sendlinger Tor flanieren.
Hier wird bis 2008 (der Fertigstellung
des Angerhofs) das historische Angerviertel als Stadtraum neu definiert und erlebbar gemacht. In jenem Jahr feiert München im übrigen seinen 850. Geburtstag –
gibt es ein idealeres Geschenk als ein neues Stadtviertel?
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München Jakobsplatz
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Jüdische Allgemeine Nr. 45/06 | 9. november 2006
Wer? – Was? – Wo?
Synagogen, Vereine, Restaurants: Jüdische Orte in München – ein Überblick
Gemeinden |
Israelitische Kultusgemeinde München
und Oberbayern * Reichenbachstraße 27,
80469 München (Adressänderung ab Frühjahr 2007: Jakobsplatz 18, 80331 München), Telefon (089) 202 40 00, Fax (089)
20 14 604, E-Mail: [email protected], www.ikgmuenchen.de
Öffnungszeiten:
Mo-Do: 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr
Fr: 9.00 Uhr bis 14.00 Uhr
Liberale Jüdische Gemeinde München
Beth Shalom * Isartalstraße 44a, 80469
München, Telefon (089) 20 33 03 85, E-Mail:
[email protected]; www.beth-shalom.de
Synagogen |
Synagoge Ohel Jakob * Jakobsplatz 18,
80331 München, S-Bahn: S1-S8, U-Bahn:
U3, U6
Synagoge Possartstraße * Possartstraße 15,
81679 München, MetroBus 54
Georgenstraße * Georgenstraße 71, 80798
München, U-Bahn: U2, U8
Vereine und Gesellschaften |
B’nai B’rith Loge Hebraica Menorah * Georgenstraße 71, 80798 München, Telefon (089)
27 12 774
Chabad Lubawitsch München * Prinzregentenstraße 91, Rückgebäude, 81677 München, Telefon (089) 41 90 28 12, E-Mail:
[email protected]; www.chabad.de
Verein Chaverim * Postfach 50 02 64,
80972 München, Telefon (089) 14 33 49 80,
E-Mail: [email protected];
www.chaverim-muenchen.de
Deutsch-Israelische Gesellschaft *, Postfach
800 452, 81604 München, Telefon (089) 43
73 79 04; E-Mail: [email protected];
www.dig-muenchen.de
Frauenverein „Ruth“ * Reichenbachstraße
27, 80469 München (ab Frühjahr 2007:
Jakobsplatz 18, 80331 München), Telefon
(089) 20 14 564; www.frauenverbaende.de
Gesellschaft für christlich-jüdische Zusam menarbeit * Dachauer Straße 23, 80335
München, Telefon (089) 59 47 20, E-Mail:
[email protected]; www.gcjz-m.de
Jüdischer Ärzteverband in Bayern * Innere
Wiener Straße 50, 81667 München, Telefon
(089) 448 84 00
Jüdischer Nationalfonds/ Keren Kayemeth
LeIsrael KKL * Augustenstraße 24, 80333
München, Telefon (089) 59 44 82, E-Mail:
[email protected]; www.jnf-kkl.de
Keren Hayessod (Magbit), Vereinigte
Israel Aktion * Arabellastraße 13/IV, 81925
München, Telefon (089) 91 04 97 57, E-Mail:
[email protected]; www.keren-hayesod.de
Foto: Google Earth
Von oben gesehen – die Münchener Innenstadt aus der Vogelperspektive.
Krebshilfe für Israel * Böcklinstraße 12,
80638 München, Telefon (089) 448 84 00
Verband Jüdischer Studenten in Bayern *
[email protected]
WIZO * Reichenbachstraße 27, 80469 München, (ab Frühjahr 2007: Jakobsplatz 18,
80331 München), Telefon (089) 201 50 91, EMail: [email protected]; www.wizoev.org
Zionistische Jugend in Deutschland (ZJD)
* Prinzregentenstraße 51, 81677 München,
Telefon (089) 47 03 146
Zionistische Organisation in Deutschland
(ZOD) * Widenmayerstraße 45, 80538 München, Telefon (089) 22 80 25 77, E-Mail:
[email protected]; www.zod-info.de
Bildung, Kultur und Sport |
Israelisches Tanzhaus * c/o Matti Goldschmidt, Kürnbergerstraße 30 a, 81369
München, Telefon (089) 724 14 45, E-Mail:
[email protected]; www.israeltanz.de
Jüdisches Kulturzentrum * Prinzregentenstraße 91, 81677 München, Telefon (089) 47
10 67, www.ikg-muenchen.de
Jüdische Kulturtage München * Odeonsplatz
6, 80539 München, Telefon (089) 22 12 53
Jüdisches Museum * Reichenbachstraße 27,
80469 München, Telefon (089) 20 00 96 93,
E-Mail: [email protected];
www.juedisches-museum.muenchen.de
Literaturhandlung Rachel Salamander *
Fürstenstraße 11, 80333 München, Telefon
78 Jahre GEWOFAG
78 Jahre Wohnungsbau
für München
(089) 28 16 01; E-Mail: literaturhandlung@
t-online.de; www.literaturhandlung.de
Turn- und Sportverein Maccabi München *
Riemerstraße 300, 81829 München, Telefon
(089) 90 78 99, E-Mail: [email protected];
www.maccabi.de
Restaurants |
Café Bracha (koscher) * Klenzestraße 47,
80469 München, Telefon (089) 13 95 86 70
Danel Feinkost – Danel Delicatessen
(koscher) * Pilgersheimerstraße 44, 81543
München, Telefon (089) 66 98 88 und Viktualienmarkt, Westenriederstraße 9, 80331
München, Telefon (089) 22 80 02 58
Café Schmock * Augustenstraße 52, 80333
München, Telefon (089) 52 35 05 35
Friedhöfe |
Alter Jüdischer Friedhof * Thalkirchner
Straße 30, 80337 München
Carmel Prestige Restaurant (koscher) * Reichenbachstraße 27, 80469 München, Telefon (089) 20 24 00 32, E-Mail: [email protected]; www.carmel-prestige.de
Neuer Jüdischer Friedhof * Garchinger
Straße 37, 80805 München
Cohen’s Restaurant * Theresienstraße 31,
80333 München, Telefon (089) 280 95 45, EMail: [email protected]; www.cohens.de
Die Liste, zusammengestellt von Katrin
Richter, erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Gemeinnützige Wohnungsfürsorge AG München
Ein Unternehmen der Landeshauptstadt München
Kirchseeoner Str. 3, 81669 München, Telefon (089) 4123-0
e-mail: [email protected] · Internet: www.gewofag.de
München Jakobsplatz
9. november 2006 | Jüdische Allgemeine Nr. 45/06
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Charlottenburg an der Isar
Purzelbäume und Ruhestörer: Wie die jüdische Gemeinschaft ihren Platz in der Stadtgesellschaft findet
v o n R a fa e l S e l i g m a n n
Noch ehe das neue Zentrum der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens eingeweiht wurde, hatte es der jüdische Volksmund bereits mit einem treffenden Namen bedacht: Charlottenburg. Das zielte
in erster Linie auf die langjährige Gemeindevorsitzende Charlotte Knobloch, deren
nimmermüder Energie, Engelszunge und
unwiderstehlicher Willenskraft die Verwirklichung des Aufbauwerkes in erster
Linie zu verdanken ist. Aber die Nomenklatur Charlottenburg hat noch eine tiefere Bedeutung, sie drückt die Sehnsucht der
Münchner Juden nach einer Verwurzelung
in der Stadtgeschichte aus, wie sie in der
deutschen Metropole Berlin seit gut 150
Jahren besteht.
Die jüdische Historie Münchens hinkte
jener in Deutschland meist hinterher. Lediglich im vergangenen Jahrhundert vollführten die Bayern und ihre Juden einige
Purzelbäume, als deren Ergebnis das dortige Judentum zumindest für kurze Zeitphasen dermaßen aufblühte, daß es eine führende Rolle in Deutschland einnahm. Die
jüdischen Gemeinden in Fürth und Ichenhausen wiesen bis zum Ersten Weltkrieg
ein reges Gemeindeleben auf, während in
München erst in Folge der 1848er Revolution die Zuzugsbeschränkung für Juden
fallengelassen wurde. Fünfzig Jahre später
aber hatten die Israeliten und ihr Umfeld
auch in der weiß-blauen Hauptstadt eine
maßgebende kulturelle Position eingenommen.
Der Schriftsteller Lion Feuchtwanger
verfaßte 1929 seinen München-Roman
Erfolg. Seither hat sich im gesellschaftlichen Leben Münchens wenig geändert.
Der Dichter unterstellte seinen Münchener Mitbürgern die Maxime: „Bauen, Brau-
Tief verwurzelt? Nach dem Krieg wuchs die jüdische Gemeinschaft nur zaghaft. Heute ist sie ein Teil des kulturellen Lebens.
en, Sauen.“ Münchenkenner werden es
nicht bestreiten.
Noch vor Feuchtwangers schriftstellerischem Wirken erbaute das Ehepaar
Pringsheim in der Schwabinger Arcisstraße ihr Stadtpalais, das zu einem Mittelpunkt des Kulturlebens der Stadt wurde.
Unweit davon leitete der Karikaturist und
Satiriker Thomas-Theodor Heine die Zeitschrift Simplicissimus, indessen der zugereiste Lübecker und nichtjüdische Schriftsteller Thomas Mann die reiche Katia
Pringsheim ehelichte und mit ihr in seiner
Villa in der Poschinger Straße unweit des
Isar-Flußes Hof hielt.
Diese bayrisch-jüdisch-demokratischliberale Melange war dem dahergekommenen österreichischen Habenichts und späteren Parteiführer und seinen Gefolgsleuten verhaßt. Sie vernichteten das fruchtbare deutsch-jüdische Biotop, vertrieben
und ermordeten seine Träger und zerstörten schließlich ganz Deutschland.
Nach dem Krieg entwickelte sich die
israelitische Kultusgemeinde nur zaghaft
und quasi im Verborgenen. Symbolisch,
Foto: imago
daß sich die Hauptsynagoge Münchens
sechzig Jahre lang in einem Hinterhaus in
der Reichenbachstraße versteckte. Dessen
ungeachtet erblühte in den achtziger Jahren die kleine jüdische Gemeinschaft und
strahlte weit über die hebräische Gemeinde hinaus. Das jüdische Jugendzentrum in
der Prinzregentenstraße ist seither eine
kulturelle Begegnungsstätte. Die Germanistin Rachel Salamander baute ihre jüdisch
zentrierte Literaturhandlung auf.
Junge jüdische Schriftsteller, die sich
nicht mehr damit begnügen wollten, als
Chronisten des Völkermordes und Musterjuden aufzutreten, fanden ihren Weg nach
München. Hier entwickelte sich eine neue,
aufsässige, aggressive Literatur, die manche trägen Philosemiten und ihre jüdischen Schutzbefohlenen erschreckte. Damit nahmen jüdische Autoren wieder ihren traditionellen Platz als „Ruhestörer“,
so der Kritiker Marcel Reich-Ranicki, des
behäbigen deutschen Geisteslebens ein.
Die jüdischen Ruhestörer, die Schriftsteller und Journalisten, sind nach der Wiedervereinigung größtenteils nach Berlin
weitergezogen. Ins wirkliche Charlottenburg. Kein jüdisches Elysium. Das sind
gegenwärtig New York und Tel Aviv. Doch
in Berlin ist das jüdische Leben im Schatten der goldenen Kuppel der Neuen Synagoge ein anerkannter Teil des Stadtlebens.
Nun hat auch München sein Charlottenburg. Ob es Erfolg hat als Integrationsstätte für die zugewanderten Juden aus
Osteuropa, als lichtes Bethaus und als kulturelle Brutstätte hängt an zwei seidenen
Fäden: Der Besinnung von uns Juden auf
unser religiöses Gesetz und der Beharrlichkeit und Chuzpe der modernen jüdischen Bänkelsänger, von Journalisten, Autoren, Schriftstellern und Kritikern. Diese
lassen sich nicht züchten. Doch sie sind
feine Seismographen des politischen Klimas einer Stadt und ihrer Menschen.
Ein Charlottenburg an der Isar gibt es
bereits. Der Banker Alexander Dibelius
und dessen Frau Andrea haben Thomas
Manns im Krieg zerstörte Münchner Villa
modernisiert aufbauen lassen. Wie einst
entwickelt sich das Haus zu einer deutschjüdischen kulturellen Begegnungs- und
Ausgangsstätte.
Rafael Seligmann ist Autor des Romans
„Der Musterjude“ (dtv).
Ein historischer Moment für München –
die Eröffnung des Jüdischen Zentrums.
www.sskm.de
„Eine Vision wurde Realität“
Herzlichen Glückwunsch zum neuen Zuhause.

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