Neues aus Langen Brütz

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Neues aus Langen Brütz
NeuesausLangenBrütz
Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013
Liebe Leserinnen und Leser,
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vonSiegfriedWittenburg
16.Ausgabe,
September2014
es tut mir leid: heute gibt es wieder keine DDR-Geschichte.
Diese liefere ich jetzt an verschiedene Medien wie auch Spiegel
Online Einestages. Es ist eine Tätigkeit, die mich wochenlang
herausfordert. Dort können die historischen Beiträge mehrmals
jährlich weltweit millionenfach gelesen und auch diskutiert
werden. Davon wird heftig Gebrauch gemacht.
Mit diesem Magazin möchte ich mich jetzt aus dem Blickwinkel
erlebter Unfreiheit heraus mit dem heutigen Leben in Deutschland und der Europäischen Union auseinandersetzen. Das
soll nicht heißen, dass ich nicht in meinem Archiv weitere
spannende historische Fotos und Geschichten finde, die ich
Ihnen erzählen möchte.
Nach Beiträgen aus Weliki Nowgorod in Russland - wie aktuell!!
-, einem Streifzug durch Polen einschließlich Stettins, von
der Adventsstimmung in Deutschland und dem Leben in der
Algarve in Portugal, die jeweils eine beachtliche Resonanz
aufwiesen, möchte ich Sie nun ins Schleswig-Holsteinische
Wattenmeer entführen, und zwar auf die Hallig Langeneß
mitten in einem der deutschen Nationalparks.
Viel Vergnügen!
Ihr
Siegfried Wittenburg
DerAutorundHerausgeber
istTrägerdesOrdens
„BannerderArbeit“StufeIII
1983,der„Ehrennadelfür
Fotografie“inBronze1987
unddes„Friedensnobel-
preises“2012inderEU.
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Aktuell:
Aus aktuellem Anlass zum 25. Jahrestag des Mauerfalls möchte ich Sie auf
zwei Ausstellungen hinweisen:
LebeninderUtopie
oderDerAlltagineinemverschwundenenStaat
biszum24.Oktober2014im
LandesfunkhausdesNDRinSchwerin
Schlossgartenallee61
19061Schwerin
Impressionen und Informationen finden Sie im Internet unter
www.ndr.de/mv
Rubriken Kultur und Geschichte unter "Atlas des Aufbruchs"
LebeninderUtopie
oderAlsDeutschlandnochgeteiltwar(Arbeitstitel)
vom07.Novemberbis11.Dezember2014inder
VolkshochschulederStadtNeuss
"ROMANEUM"
Brückstraße1-3
41460Neuss
Die Eröffnung findet am 06. November 2014 um 18.00 Uhr statt.
Es spricht Prof. Dr. Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Mit der Ausstellung als Kulisse bietet der Veranstalter ein umfangreiches
Programm mit Lesungen, Vorträgen, Filmvorführungen und Theaterstücke
an. Zur Vernissage und ggf. zur Finissage werde ich anwesend sein.
www.vhs-neuss.de
Ich lade Sie hiermit herzlich ein, die Ausstellungen und Veranstaltungen zu
besuchen!
Siehe auch in der BeilageKaltscherklapp.
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EUROPEAN UNION
DEUTSCHLAND
Hallig Langeneß
Nationalpark
Schleswig-Holsteinisches
Wattenmeer
Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013
Watt'n Blick!
Spiegelglatt liegt die Nordsee bei Schlüttsiel
vor meinen Augen, nachdem ich den Deich
erklommen habe. Über der Horizontlinie
erheben sich kleine Inselchen, die weit
draußen im Wattenmeer zu schwimmen
scheinen. Lange Zeit wusste ich nicht,
was die speziellen Begriffe an der Nordsee
wie Koog, Warf und Hallig bedeuten. Nicht
einmal Einwohner konnten mir diese
Begriffe eindeutig erklären, in Niedersachsen
weniger als in Schleswig-Holstein. Nun, ein
Koog ist ein Stück dem Meer abgerungenes
Marschland, von einem Deich umgeben und
in der Regel von der Landwirtschaft genutzt.
Eine Warf, oder auch Warft, ist ein künstlich
aus Erde aufgeschütteter Siedlungshügel,
der den Menschen und Tieren Schutz bei
Sturmfluten bietet. Auf einer Warf können
sich einzelne Höfe befinden, aber auch
kleine Dörfer. Sie sind in vielen Teilen
Norddeutschlands, Dänemarks und den
Niederlanden zu finden. Aber was ist eine
Hallig?
Im Fährhafen von Schlüttsiel liegen farbenfroh angepönte Fisch- und Krabbenkutter
sowie das Fährschiff „Hilligenlei“. In der
Hauptsaison bietet es täglich zwei Abfahrten
über die Halligen Hooge und Langeneß zur
Insel Amrum. In der Nebensaison reduzieren
sich die Abfahrten auf einmal täglich an
vier Wochentagen. Das Fährschiff nimmt
Transporter, PKW und reiselustige Passagiere
an Bord. Das Gepäck wird nach den jeweiligen
Zielorten gut sortiert drei Hängern anvertraut,
die ein Traktor auf das Schiff zieht. Die
Passagiere bevölkern das Oberdeck, das Schiff
legt ab und der Kapitän steuert es durch die
schmale Fahrrinne. Die Bugwelle bricht sich
im flachen Watt, das bei ablaufender Flut
langsam trocken fällt. Das heißt, trocken wird
es nie, eher matschig. Backbord kommt die
Hallig Gröde in Sicht, mit 17 Einwohnern die
kleinste Gemeinde Deutschlands.
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013
Der Kapitän meldet sich über die
Decklautsprecher zu Wort, wird zum
Erklärbär und erzählt den Touristen, wie
die Halligen entstanden sind. Die Gegend
um die heutigen Nordfriesischen Inseln war
ursprünglich eine zusammenhängende,
aber von Wasserarmen, Priele genannt,
durchzogene Landmasse und somit den
Gezeiten der Nordsee ausgesetzt. Der größte
Ort hieß Rungholt. Die Bewohner dieses
Landstrichs waren nach der Wikingerzeit
Friesen und bauten Torf ab, um diesen
als Brennmaterial zu nutzen. 1362 suchte
eine schwere Sturmflut das Land heim, riss
viele Bewohner, Vieh und Landmasse mit
sich fort. Nach einer erneuten Besiedelung
erfolgte im Oktober 1634 eine weitere schwere
Sturmflut. Diese traf die Bewohner während
einer ökonomisch schwierigen Phase, denn
es tobte der Dreißigjährige Krieg. Wegen der
Torfabbaugebiete hatte das tosende Meer ein
leichtes Spiel, dieses Land grundlegend zu
verändern. An über hundert Stellen brachen
die Deiche und eine zusätzliche Springflut
riss acht- bis fünfzehntausend Menschen
sowie etwa 50.000 Stück Vieh mit sich
fort. Rungholt und weitere Orte versanken
vollständig im Meer. Die streng gläubigen
Bewohner deuteten diese als Burchardiflut in
die Geschichte eingegangene Katastrophe als
besondere Strafe Gottes. Nach einer Stunde
Fahrzeit erreicht das Fährschiff die Hallig
Hooge.
Hier verlassen die meisten Reisenden
das Schiff, denn die Hallig Hooge
eignet sich für einen Kurzbesuch durch
Tagestouristen und somit für einen Ritt
durch die Sehenswürdigkeiten, Kneipen
und Souvenirshops. Wer nach Langeneß
oder Amrum möchte, hat einen längeren
Aufenthalt geplant. An Deck wird es ruhiger.
Nach einem Knick im Fahrwasser steuert
der Kapitän den nächsten Hafen an. Das
Schiff hat Grundberührung, schlingert kurz,
findet seinen Kurs wieder und es hat den
Anschein, als wenn dieses normal ist. An der
Anlegebrücke erkenne ich Britta Johannsen,
die Gastgeberin auf der Honkenswarf meiner
lieben Frau und mir. Ich werfe das Gepäck
auf ihren Pickup und während der Fahrt über
das platte Land mit der schmalen Straße
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Honkenswarf, 2013
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Honkenswarf, 2013
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erzählt sie uns etwas über die Kanadagänse,
die auf den Wiesen grasen, und das kulturelle
Leben auf der Hallig. Es soll schon ein
Konzert von Genesis gegeben haben. Zurzeit
leben 118 Einwohner in 58 Haushalten auf
16 Warfen. Die Bewohner bestreiten ihren
Lebensunterhalt zum größten Teil von der
Landwirtschaft, dem Küstenschutz und dem
Tourismus.
Viele Bewohner üben mehrere Berufe bzw.
Beschäftigungen aus. Britta Johannsen und
ihr Mann Honk betreiben im Sommerhalbjahr
auf der Honkenswarf einen Milchviehhof
und bieten ihren Gästen in einem kleinen
Laden eigene Produkte, aber auch zahlreiche
Konserven an. Denn der Lebensmittelladen
auf der benachbarten Hunnenswarf hat
geschlossen. Stattdessen kommt regelmäßig
ein mobiler Edeka-Händler vom Festland
und steuert die Warfen an. Ein Eiland für
Feinschmecker ist Langeneß nicht. Weiterhin
arbeitet Britta im Tourismusbüro auf der
Ketelswarf und ist fürsorgende Mutter von
vier Kindern. Diese haben ausreichend Platz
zum Toben, Schaukeln und Spielen. Die
Kinder heißen Nils, Lasse, Ode und Tade. Bis
auf eine Ausnahme habe ich diese Namen
noch nie gehört. Der Große ist mit der
Instandsetzung der Lorenbahn beschäftigt.
Wir treffen Honk Johannsen und mir rutscht
die Vokabel „Insel“ heraus. Sofort erhielt ich
eine freundliche, aber bestimmte Lektion:
„Eine Hallig ist keine Insel!“ Britta führt
uns in die Ferienwohnung im Obergeschoss
des großen, alten Friesenhauses und zeigt
uns Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche,
Bad und Flur. Die Wohnung ist mit allem
ausgestattet, was im modernen Leben
üblich ist. Elektrischen Strom gibt es seit
1954, Leitungswasser seit 1955. Vorher
wurde für Mensch und Vieh Regenwasser
aufgefangen und gespeichert. Für den Fall
einer weiteren großen Sturmflut ist das Haus
nach 1962 stark befestigt worden und die
Ferienwohnung dient als Zufluchtsort für die
ganze Familie. Aus den Fenstern blicken wir
weit ins Wattenmeer. Watt'n Blick!
Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Ketelswarf, 2013
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Honkenswarf, 2013
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Hunnenswarf, 2013
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Mann mit blonden Rastalocken kommt
angeradelt, stellt sein Fahrrad ab, schultert
eine Gräpe und sagt recht keck: „Moin! Ich
bin Lars. Wollt ihr zu einer Wattwanderung
mitkommen?“ „Wir sind gerade erst
angekommen, morgen vielleicht“, antworte
ich mit dem Kopf schüttelnd. „Wer weiß,
was morgen für ein Wetter ist“, motiviert
der junge Mann. „Außerdem ist morgen
die Ebbe ein Stunde später und es wird
früher dunkel.“ Wir lassen uns überzeugen,
ziehen die Schuhe aus, krempeln die Hosen
hoch und folgen ihm und zwei weiteren
Wattwanderern aus Köln ins knietiefe und
schlüpfrige Schlickwatt mit der Befürchtung,
auszurutschen und gleich am ersten Tag
ein unfreiwilliges Bad in der Modder zu
nehmen. Zum Glück ist die Wassertemperatur
recht angenehm. Nach 100 Metern wird der
Untergrund fester und im Sand kringeln sich
die Haufen der Wattwürmer. Lars buddelt ein
solches Tier aus und erzählt uns, dass der
Artenreichtum im Wattenmeer ähnlich wie
im tropischen Urwald ist. Nur die Lebewesen
sind andere.
Liawer duad as slaof
Britta weist uns ein: „Bei uns werden
keine Türen abgeschlossen. Wenn es ein
Problem gibt, sagen Sie bitte Bescheid.
Hier auf der Hallig finden wir immer eine
Lösung! Frische Milch können Sie sich
jeden Morgen aus der Küche holen.“ Im
Nachbarhaus wohnen Honks Eltern, Helgard
und Frerk. Der weißbärtige Frerk betreibt
als Senior den Fahrradverleih und eine
kleine Kneipe. Ein Gast sitzt bereits dort
und es gibt erst einmal einen Friesengeist.
In der Gegend um Worpswede habe ich
später dieses hochprozentige Getränk auch
als Moorgeist kennen gelernt. Woanders
könnte es auch Waldgeist heißen. Britta
kommt ursprünglich vom nahen Festland
und hat sich für ein Leben auf einer Hallig
entschieden. Es fällt nicht schwer, dieses
nachzuvollziehen, denn ihren Mann erlebe ich
als einen sympathischen, freundlichen und
tatkräftigen Kerl. Ein Friese mit Leib, Seele
und Festlandserfahrung.
Wir gehen über die Wiese zur Nordsee. Das
Wasser ist gerade nicht da und wir setzen
uns auf eine Bank, um nach der Anreise mit
dem Blick in Richtung Amrum anzukommen.
Die gegenüber liegende Insel erscheint mit
ihrer Luftspiegelung bei Windstille wie eine
Fata Morgana. Ein groß gewachsener junger
Am nächsten Morgen weht ein heftiger
Wind über die Hallig und wir sind froh,
Lars gefolgt zu sein. Wir begegnen ihn
noch öfter, denn er interessiert sich neben
seinem Biologiestudium für Vogelkunde
und hat somit ein reiches Betätigungsfeld.
Die Luft schwirrt von den Geräuschen der
Austernfischer, Rotschenkel und Knutts. Ich
frage Lars, was der Unterschied zwischen
einer Insel und einer Hallig ist. Er blickt eine
Weile in die endlose Ferne und antwortet:
„Eine Insel ist von einem Deich umgeben,
eine Hallig nicht.“ Ich sage, dass mir eine
Menge Inseln einfallen, die ebenfalls nicht
eingedeicht sind und trotzdem als Inseln
bezeichnet werden. Lars zuckt mit den
Schultern.
Mit dem Fahrrad strampeln wir gegen den
Wind in Richtung Westen und schaffen es
bis zur Ketelswarf ins Café. Dort stellen
wir fest, dass man nicht lange braucht, um
alle Halliglüüd und deren Gäste kennen zu
lernen. Man sieht sich mehrmals am Tag und
spricht miteinander, auch wenn die anderen
in Köln zu Hause sind und ein schickes
Zimmer im Vier-Sterne-Hotel der Hallig mit
Vollpension gebucht haben. Sie fahren sonst
nach Sylt, erzählen sie, sind im Moment aber
reif für diese Insel und suchen die totale
Entspannung. Ich erinnere sie daran, dass
Langeneß eine Hallig ist.
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Ketelswarf, 2013
Im Café, wo am Abend auch Pizza heiß
serviert wird, blättere ich in den Alben und
Büchern, entdecke das Wappen und den
Spruch, den ich bereits bei der Ankunft am
Anleger gesehen habe: „Liawer duad as slaof“.
Lieber tot als Sklave. Ich frage den Wirt nach
der Bedeutung und er sagte mir, dass die
Worte so gemeint sind, wie sie dort stehen.
„Ich kehre zurück zu Euch, Euch zu
ermahnen an die Würde und Kraft unserer
Väter, welche ihre Freiheit zu behaupten
wussten vor König und Kaiser, ihre Freiheit,
welche festgestellt und anerkannt wurde in
den Satzungen: Nach eigenen, sich selbst
gegebenen Gesetzen, durch eigene, selbst
gewählte Obrigkeiten, sich zu regieren, keine
Obrigkeit anzuerkennen als diejenige, welche
das Volk aus seiner Mitte wählte - kein Adel
über sich und keine Unfreie unter sich! Wir
wollen frei sein, wie es die Väter waren, und
lieber tot sein denn als Sklave leben.“
Ich musste an die untergegangene DDR
denken.
Der Blanke Hans
Weiterhin frage ich den Wirt nach dem
Unterschied zwischen Hallig und Insel. „Der
besteht darin, dass eine Insel auf einem
festen Gesteinskern ruht, eine Hallig nicht.“
Ich dachte darüber nach und mir fielen auch
Inseln ohne festen Gesteinskern ein, die nicht
als Hallig bezeichnet werden. „Eine Hallig
wird im Winterhalbjahr oft von Sturmfluten
heimgesucht, die das Land komplett
überspülen“, ergänzt der Wirt. „Wir nennen
dieses den `Blanken Hans'. Die Kinder
bekommen dann ihre Hausaufgaben per
Fax.“ „Und was ist mit den Rindern auf den
Weiden?“ frage ich. „Die werden im Oktober
auf das Festland gebracht.“ „Und wie oft
kommt der Blanke Hans?“ „Fünf, sechs Mal
im Winter. Wenn er nicht kommt, fehlt uns
etwas.“ Ich staune und erfahre somit, dass
eine Hallig auf jeden Fall eine ganz besondere
Insel ist.
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, 2013
Auf dem
Halligbahnhof
Honk erzählt uns, dass er am nächsten Tag
mit der Lorenbahn hinüber aufs Festland
fahren muss und uns mitnehmen kann,
obwohl der TÜV dieses nicht gern sieht. Aber
bei uns macht er mal eine Ausnahme, sagt
er lachend, denn wir hätten uns als seine
Gäste gut betragen. Ich freue mich riesig,
denn seit ich in einem Tatort per Fernseher
von Dagebüll aus mit der Lorenbahn
durch das Watt gefahren bin, ließ mich der
Gedanke nicht mehr los, dieses auch einmal
live zu erleben. Mit Rückenwind radeln wir
zum Lorenbahnhof und ich mache eine
neue Erkenntnis: Es gibt nicht nur eine
Lorenbahn, es gibt viele. Die Lorenbahnen der
Marke Eigenbau, und zwar sehr individuell,
befinden sich im Familienbesitz. Muss ein
Angehöriger hinüber zum Festland ohne auf
die langwierige Schiffspassage angewiesen
zu sein, fährt er zum Lorenbahnhof,
rangiert so lange, bis seine Lorenbahn freie
Fahrt hat, verabschiedet sich von seinen
Lieben, wirft den Motor an und tuckert los.
Schnurgeradeaus geht die Fahrt zur Hallig
Oland und von dort nach einem Knick
weiter auf das Festland bei Dagebüll. Die
Streckenlänge beträgt neun Kilometer und
kann bis zum Ende überschaut werden. Bei
Gegenverkehr wird eine Ausweichstelle auf
der Hallig Oland genutzt. Die Weichenstellung
erfolgt per Hand. Wer pennt, muss
zurücksetzen. Honk kommt mit seinem
Traktor. Seine persönliche Familienlorenbahn
ist auf den Gabeln sozusagen aufgespießt.
Punktgenau setzt er sie aufs Gleis, parkt
seinen Traktor und der älteste seiner Söhne
wird zum Lorenbahnführer. Er startet den
Motor und das eigentümliche Gefährt nimmt
Fahrt auf. Auf Oland steigen wir aus, trinken
einen Kaffee und treffen dort zufällig Lars und
die Kölner. Gemeinsam wandern wir durch
das Watt und durch die Priele barfuß mit
hoch gekrempelten Hosen mehrere Kilometer
zurück nach Langeneß. Ich gönne dieses
Erlebnis jedem auf der Welt.
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, 2013
Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, 2013
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Der bekannteste
Postbote
Deutschlands
Während eines Spazierganges am Deich
entlang treffen wir Fiede Nissen, den
bekanntesten Postboten Deutschlands. Er
ist mit dem Entladen der Postsendungen
beschäftigt und klagt mit einem
Augenzwinkern, dass die Pakete immer mehr
werden. Auch auf der Hallig bestellen die
Bewohner ihre Waren im Internet. Es wird
daran gearbeitet, um die Übertragtungsgeschwindigkeit zu verbessern. Gemessen
an der Dauer, bis Strom und Wasser vom
Festland zur Hallig geführt wurd, kann dieses
noch eine Weile dauern.
Windstärke sechs, muss er morgens von
Langeneß auslaufen, mit seiner "Störtebekker"
zum winzigen Hafen Schlüttsiel an der
Festlandküste nördlich von Bredstedt fahren,
dort die seewasserfesten Postkisten aus
Husum in Empfang nehmen und dann die
Runde zu seinen vier Halligen machen. So
steht es in seinem Vertrag, den er mit der
Deutschen Post AG geschlossen hat, und
der ihn berechtigt, den gelben Postwimpel
in der Mastspitze seines Schiffchens zu
führen. Wehe, die Post aus Husum kommt zu
spät, nicht genau zur vereinbarten Stunde,
dann kann Fiede Nissen arg in Bedrängnis
kommen. Denn die Gezeiten lassen dem
Postschiffer nur genau vier Stunden Zeit,
um seine Runde zu machen. Dauert es
länger, gerät die `Störtebekker´ in Gefahr,
bei ablaufendem Wasser auf eine Sandbank
aufzulaufen oder im Schlick des Wattenmeers
stecken zu bleiben.
Folgenden Text habe ich seiner Website
entnommen. Besser kann ich die Geschichte
nicht erzählen, die schon so oft erzählt
wurde: „Fiede Nissen von Langeneß ist der
Postschiffer der Halligen. Bei jedem Wetter,
außer bei starkem Nebel oder bei mehr als
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Doch ein Hintertürchen hat
Fiede Nissen: Wenn die rund 25
Kilometer lange Runde nicht in der
vorgesehenen Zeit zurückgelegt
werden kann, dann lädt der große
hagere Mann mit dem blonden
Friesenbart alles, was er noch
an Bord hat, auf Langeneß aus,
nicht nur die Post für seine eigene
Hallig. Frau oder Tochter helfen
dann manchmal mit, die Post zum
Auto zu schaffen, mit dem Fiede
dann alles zum Halligbahnhof
bringt.
Von Langeneß zur Nachbarhallig
Oland führt nämlich ein vier
Kilometer langer schmaler
Schienendamm mit einem
schmalen Gleis durch das
Wattenmer. Und Fiede hat sich vor
langer Zeit wie manche anderen
Halligbewohner auf Langeneß
und Oland eine kleine Lore selbst
zurechtgezimmert. Von einem
knatternden kleinen Benzinmotor
angetrieben, rollt die Lore, die
natürlich auch das Postemblem,
das schwarze Posthorn auf gelbem
Grund trägt, mit der Post nach
Oland. Abenteuerliche Fahrzeuge
sind diese Loren. Natürlich kann
es vorkommen, dass sich auf
dem schmalen Gleis zwei Loren
begegnen. Dann gilt als eiserne
Verkehrsregel: Wer mehr als die
Hälfte der Strecke hinter sich
hat, genießt Vorfahrt. Solange
die Sicht klar ist, gibt es kaum
Schwierigkeiten, aber wenn
Nebel nicht erkennen lässt, wer
näher am Ziel ist, bleibt nur der
gute Wille.“ Also Paragraph 1 der
Verkehrsordnung.
Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, 2013
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Kirchwarf, 2013
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Rixwarf, 2013
Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Rixwarf, 2013
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Rixwarf, 2013
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Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013
Die Rückreise auf der "Hilligenlei" erfolgt in
Gesellschaft mit Rindern, die die Bewohner
zuvor gemeinsam zusammengetrieben haben,
um sie auf das Festland in Sicherheit zu
bringen. Es ist Oktober geworden. Der Blanke
Hans ist nicht mehr weit.
Wieder zu Hause, informiere ich mich bei
Wikipedia: „Die Halligen sind kleine, nicht
oder wenig geschützte Marschinseln vor den
Küsten, die bei Sturmfluten überschwemmt
werden können.“ Also doch: Sie sind Inseln.
Aber Wikipedia kann man auch nicht alles
glauben.
Hiemit erlaube ich, diese Datei für nicht kommerzielle Zwecke an weitere Kontaktpersonen zu
versenden und auch in gedruckter Form zu verbreiten.
Viele Grüße! Bis zum nächsten Mal!
Herausgeber,Autor,Fotografiker,ProjektentwicklerfürvisuelleKommunikationundRedakteur
SiegfriedWittenburg
AmSchulacker14
19067LangenBrütz
[email protected]
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