Neues aus Langen Brütz
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Neues aus Langen Brütz
NeuesausLangenBrütz Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013 Liebe Leserinnen und Leser, 16 vonSiegfriedWittenburg 16.Ausgabe, September2014 es tut mir leid: heute gibt es wieder keine DDR-Geschichte. Diese liefere ich jetzt an verschiedene Medien wie auch Spiegel Online Einestages. Es ist eine Tätigkeit, die mich wochenlang herausfordert. Dort können die historischen Beiträge mehrmals jährlich weltweit millionenfach gelesen und auch diskutiert werden. Davon wird heftig Gebrauch gemacht. Mit diesem Magazin möchte ich mich jetzt aus dem Blickwinkel erlebter Unfreiheit heraus mit dem heutigen Leben in Deutschland und der Europäischen Union auseinandersetzen. Das soll nicht heißen, dass ich nicht in meinem Archiv weitere spannende historische Fotos und Geschichten finde, die ich Ihnen erzählen möchte. Nach Beiträgen aus Weliki Nowgorod in Russland - wie aktuell!! -, einem Streifzug durch Polen einschließlich Stettins, von der Adventsstimmung in Deutschland und dem Leben in der Algarve in Portugal, die jeweils eine beachtliche Resonanz aufwiesen, möchte ich Sie nun ins Schleswig-Holsteinische Wattenmeer entführen, und zwar auf die Hallig Langeneß mitten in einem der deutschen Nationalparks. Viel Vergnügen! Ihr Siegfried Wittenburg DerAutorundHerausgeber istTrägerdesOrdens „BannerderArbeit“StufeIII 1983,der„Ehrennadelfür Fotografie“inBronze1987 unddes„Friedensnobel- preises“2012inderEU. 1 Aktuell: Aus aktuellem Anlass zum 25. Jahrestag des Mauerfalls möchte ich Sie auf zwei Ausstellungen hinweisen: LebeninderUtopie oderDerAlltagineinemverschwundenenStaat biszum24.Oktober2014im LandesfunkhausdesNDRinSchwerin Schlossgartenallee61 19061Schwerin Impressionen und Informationen finden Sie im Internet unter www.ndr.de/mv Rubriken Kultur und Geschichte unter "Atlas des Aufbruchs" LebeninderUtopie oderAlsDeutschlandnochgeteiltwar(Arbeitstitel) vom07.Novemberbis11.Dezember2014inder VolkshochschulederStadtNeuss "ROMANEUM" Brückstraße1-3 41460Neuss Die Eröffnung findet am 06. November 2014 um 18.00 Uhr statt. Es spricht Prof. Dr. Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Mit der Ausstellung als Kulisse bietet der Veranstalter ein umfangreiches Programm mit Lesungen, Vorträgen, Filmvorführungen und Theaterstücke an. Zur Vernissage und ggf. zur Finissage werde ich anwesend sein. www.vhs-neuss.de Ich lade Sie hiermit herzlich ein, die Ausstellungen und Veranstaltungen zu besuchen! Siehe auch in der BeilageKaltscherklapp. 2 EUROPEAN UNION DEUTSCHLAND Hallig Langeneß Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013 3 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013 Watt'n Blick! Spiegelglatt liegt die Nordsee bei Schlüttsiel vor meinen Augen, nachdem ich den Deich erklommen habe. Über der Horizontlinie erheben sich kleine Inselchen, die weit draußen im Wattenmeer zu schwimmen scheinen. Lange Zeit wusste ich nicht, was die speziellen Begriffe an der Nordsee wie Koog, Warf und Hallig bedeuten. Nicht einmal Einwohner konnten mir diese Begriffe eindeutig erklären, in Niedersachsen weniger als in Schleswig-Holstein. Nun, ein Koog ist ein Stück dem Meer abgerungenes Marschland, von einem Deich umgeben und in der Regel von der Landwirtschaft genutzt. Eine Warf, oder auch Warft, ist ein künstlich aus Erde aufgeschütteter Siedlungshügel, der den Menschen und Tieren Schutz bei Sturmfluten bietet. Auf einer Warf können sich einzelne Höfe befinden, aber auch kleine Dörfer. Sie sind in vielen Teilen Norddeutschlands, Dänemarks und den Niederlanden zu finden. Aber was ist eine Hallig? Im Fährhafen von Schlüttsiel liegen farbenfroh angepönte Fisch- und Krabbenkutter sowie das Fährschiff „Hilligenlei“. In der Hauptsaison bietet es täglich zwei Abfahrten über die Halligen Hooge und Langeneß zur Insel Amrum. In der Nebensaison reduzieren sich die Abfahrten auf einmal täglich an vier Wochentagen. Das Fährschiff nimmt Transporter, PKW und reiselustige Passagiere an Bord. Das Gepäck wird nach den jeweiligen Zielorten gut sortiert drei Hängern anvertraut, die ein Traktor auf das Schiff zieht. Die Passagiere bevölkern das Oberdeck, das Schiff legt ab und der Kapitän steuert es durch die schmale Fahrrinne. Die Bugwelle bricht sich im flachen Watt, das bei ablaufender Flut langsam trocken fällt. Das heißt, trocken wird es nie, eher matschig. Backbord kommt die Hallig Gröde in Sicht, mit 17 Einwohnern die kleinste Gemeinde Deutschlands. 4 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013 5 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013 Der Kapitän meldet sich über die Decklautsprecher zu Wort, wird zum Erklärbär und erzählt den Touristen, wie die Halligen entstanden sind. Die Gegend um die heutigen Nordfriesischen Inseln war ursprünglich eine zusammenhängende, aber von Wasserarmen, Priele genannt, durchzogene Landmasse und somit den Gezeiten der Nordsee ausgesetzt. Der größte Ort hieß Rungholt. Die Bewohner dieses Landstrichs waren nach der Wikingerzeit Friesen und bauten Torf ab, um diesen als Brennmaterial zu nutzen. 1362 suchte eine schwere Sturmflut das Land heim, riss viele Bewohner, Vieh und Landmasse mit sich fort. Nach einer erneuten Besiedelung erfolgte im Oktober 1634 eine weitere schwere Sturmflut. Diese traf die Bewohner während einer ökonomisch schwierigen Phase, denn es tobte der Dreißigjährige Krieg. Wegen der Torfabbaugebiete hatte das tosende Meer ein leichtes Spiel, dieses Land grundlegend zu verändern. An über hundert Stellen brachen die Deiche und eine zusätzliche Springflut riss acht- bis fünfzehntausend Menschen sowie etwa 50.000 Stück Vieh mit sich fort. Rungholt und weitere Orte versanken vollständig im Meer. Die streng gläubigen Bewohner deuteten diese als Burchardiflut in die Geschichte eingegangene Katastrophe als besondere Strafe Gottes. Nach einer Stunde Fahrzeit erreicht das Fährschiff die Hallig Hooge. Hier verlassen die meisten Reisenden das Schiff, denn die Hallig Hooge eignet sich für einen Kurzbesuch durch Tagestouristen und somit für einen Ritt durch die Sehenswürdigkeiten, Kneipen und Souvenirshops. Wer nach Langeneß oder Amrum möchte, hat einen längeren Aufenthalt geplant. An Deck wird es ruhiger. Nach einem Knick im Fahrwasser steuert der Kapitän den nächsten Hafen an. Das Schiff hat Grundberührung, schlingert kurz, findet seinen Kurs wieder und es hat den Anschein, als wenn dieses normal ist. An der Anlegebrücke erkenne ich Britta Johannsen, die Gastgeberin auf der Honkenswarf meiner lieben Frau und mir. Ich werfe das Gepäck auf ihren Pickup und während der Fahrt über das platte Land mit der schmalen Straße 6 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Honkenswarf, 2013 7 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Honkenswarf, 2013 8 erzählt sie uns etwas über die Kanadagänse, die auf den Wiesen grasen, und das kulturelle Leben auf der Hallig. Es soll schon ein Konzert von Genesis gegeben haben. Zurzeit leben 118 Einwohner in 58 Haushalten auf 16 Warfen. Die Bewohner bestreiten ihren Lebensunterhalt zum größten Teil von der Landwirtschaft, dem Küstenschutz und dem Tourismus. Viele Bewohner üben mehrere Berufe bzw. Beschäftigungen aus. Britta Johannsen und ihr Mann Honk betreiben im Sommerhalbjahr auf der Honkenswarf einen Milchviehhof und bieten ihren Gästen in einem kleinen Laden eigene Produkte, aber auch zahlreiche Konserven an. Denn der Lebensmittelladen auf der benachbarten Hunnenswarf hat geschlossen. Stattdessen kommt regelmäßig ein mobiler Edeka-Händler vom Festland und steuert die Warfen an. Ein Eiland für Feinschmecker ist Langeneß nicht. Weiterhin arbeitet Britta im Tourismusbüro auf der Ketelswarf und ist fürsorgende Mutter von vier Kindern. Diese haben ausreichend Platz zum Toben, Schaukeln und Spielen. Die Kinder heißen Nils, Lasse, Ode und Tade. Bis auf eine Ausnahme habe ich diese Namen noch nie gehört. Der Große ist mit der Instandsetzung der Lorenbahn beschäftigt. Wir treffen Honk Johannsen und mir rutscht die Vokabel „Insel“ heraus. Sofort erhielt ich eine freundliche, aber bestimmte Lektion: „Eine Hallig ist keine Insel!“ Britta führt uns in die Ferienwohnung im Obergeschoss des großen, alten Friesenhauses und zeigt uns Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad und Flur. Die Wohnung ist mit allem ausgestattet, was im modernen Leben üblich ist. Elektrischen Strom gibt es seit 1954, Leitungswasser seit 1955. Vorher wurde für Mensch und Vieh Regenwasser aufgefangen und gespeichert. Für den Fall einer weiteren großen Sturmflut ist das Haus nach 1962 stark befestigt worden und die Ferienwohnung dient als Zufluchtsort für die ganze Familie. Aus den Fenstern blicken wir weit ins Wattenmeer. Watt'n Blick! Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Ketelswarf, 2013 9 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Honkenswarf, 2013 10 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Hunnenswarf, 2013 11 Mann mit blonden Rastalocken kommt angeradelt, stellt sein Fahrrad ab, schultert eine Gräpe und sagt recht keck: „Moin! Ich bin Lars. Wollt ihr zu einer Wattwanderung mitkommen?“ „Wir sind gerade erst angekommen, morgen vielleicht“, antworte ich mit dem Kopf schüttelnd. „Wer weiß, was morgen für ein Wetter ist“, motiviert der junge Mann. „Außerdem ist morgen die Ebbe ein Stunde später und es wird früher dunkel.“ Wir lassen uns überzeugen, ziehen die Schuhe aus, krempeln die Hosen hoch und folgen ihm und zwei weiteren Wattwanderern aus Köln ins knietiefe und schlüpfrige Schlickwatt mit der Befürchtung, auszurutschen und gleich am ersten Tag ein unfreiwilliges Bad in der Modder zu nehmen. Zum Glück ist die Wassertemperatur recht angenehm. Nach 100 Metern wird der Untergrund fester und im Sand kringeln sich die Haufen der Wattwürmer. Lars buddelt ein solches Tier aus und erzählt uns, dass der Artenreichtum im Wattenmeer ähnlich wie im tropischen Urwald ist. Nur die Lebewesen sind andere. Liawer duad as slaof Britta weist uns ein: „Bei uns werden keine Türen abgeschlossen. Wenn es ein Problem gibt, sagen Sie bitte Bescheid. Hier auf der Hallig finden wir immer eine Lösung! Frische Milch können Sie sich jeden Morgen aus der Küche holen.“ Im Nachbarhaus wohnen Honks Eltern, Helgard und Frerk. Der weißbärtige Frerk betreibt als Senior den Fahrradverleih und eine kleine Kneipe. Ein Gast sitzt bereits dort und es gibt erst einmal einen Friesengeist. In der Gegend um Worpswede habe ich später dieses hochprozentige Getränk auch als Moorgeist kennen gelernt. Woanders könnte es auch Waldgeist heißen. Britta kommt ursprünglich vom nahen Festland und hat sich für ein Leben auf einer Hallig entschieden. Es fällt nicht schwer, dieses nachzuvollziehen, denn ihren Mann erlebe ich als einen sympathischen, freundlichen und tatkräftigen Kerl. Ein Friese mit Leib, Seele und Festlandserfahrung. Wir gehen über die Wiese zur Nordsee. Das Wasser ist gerade nicht da und wir setzen uns auf eine Bank, um nach der Anreise mit dem Blick in Richtung Amrum anzukommen. Die gegenüber liegende Insel erscheint mit ihrer Luftspiegelung bei Windstille wie eine Fata Morgana. Ein groß gewachsener junger Am nächsten Morgen weht ein heftiger Wind über die Hallig und wir sind froh, Lars gefolgt zu sein. Wir begegnen ihn noch öfter, denn er interessiert sich neben seinem Biologiestudium für Vogelkunde und hat somit ein reiches Betätigungsfeld. Die Luft schwirrt von den Geräuschen der Austernfischer, Rotschenkel und Knutts. Ich frage Lars, was der Unterschied zwischen einer Insel und einer Hallig ist. Er blickt eine Weile in die endlose Ferne und antwortet: „Eine Insel ist von einem Deich umgeben, eine Hallig nicht.“ Ich sage, dass mir eine Menge Inseln einfallen, die ebenfalls nicht eingedeicht sind und trotzdem als Inseln bezeichnet werden. Lars zuckt mit den Schultern. Mit dem Fahrrad strampeln wir gegen den Wind in Richtung Westen und schaffen es bis zur Ketelswarf ins Café. Dort stellen wir fest, dass man nicht lange braucht, um alle Halliglüüd und deren Gäste kennen zu lernen. Man sieht sich mehrmals am Tag und spricht miteinander, auch wenn die anderen in Köln zu Hause sind und ein schickes Zimmer im Vier-Sterne-Hotel der Hallig mit Vollpension gebucht haben. Sie fahren sonst nach Sylt, erzählen sie, sind im Moment aber reif für diese Insel und suchen die totale Entspannung. Ich erinnere sie daran, dass Langeneß eine Hallig ist. 12 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013 13 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Ketelswarf, 2013 Im Café, wo am Abend auch Pizza heiß serviert wird, blättere ich in den Alben und Büchern, entdecke das Wappen und den Spruch, den ich bereits bei der Ankunft am Anleger gesehen habe: „Liawer duad as slaof“. Lieber tot als Sklave. Ich frage den Wirt nach der Bedeutung und er sagte mir, dass die Worte so gemeint sind, wie sie dort stehen. „Ich kehre zurück zu Euch, Euch zu ermahnen an die Würde und Kraft unserer Väter, welche ihre Freiheit zu behaupten wussten vor König und Kaiser, ihre Freiheit, welche festgestellt und anerkannt wurde in den Satzungen: Nach eigenen, sich selbst gegebenen Gesetzen, durch eigene, selbst gewählte Obrigkeiten, sich zu regieren, keine Obrigkeit anzuerkennen als diejenige, welche das Volk aus seiner Mitte wählte - kein Adel über sich und keine Unfreie unter sich! Wir wollen frei sein, wie es die Väter waren, und lieber tot sein denn als Sklave leben.“ Ich musste an die untergegangene DDR denken. Der Blanke Hans Weiterhin frage ich den Wirt nach dem Unterschied zwischen Hallig und Insel. „Der besteht darin, dass eine Insel auf einem festen Gesteinskern ruht, eine Hallig nicht.“ Ich dachte darüber nach und mir fielen auch Inseln ohne festen Gesteinskern ein, die nicht als Hallig bezeichnet werden. „Eine Hallig wird im Winterhalbjahr oft von Sturmfluten heimgesucht, die das Land komplett überspülen“, ergänzt der Wirt. „Wir nennen dieses den `Blanken Hans'. Die Kinder bekommen dann ihre Hausaufgaben per Fax.“ „Und was ist mit den Rindern auf den Weiden?“ frage ich. „Die werden im Oktober auf das Festland gebracht.“ „Und wie oft kommt der Blanke Hans?“ „Fünf, sechs Mal im Winter. Wenn er nicht kommt, fehlt uns etwas.“ Ich staune und erfahre somit, dass eine Hallig auf jeden Fall eine ganz besondere Insel ist. 14 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, 2013 Auf dem Halligbahnhof Honk erzählt uns, dass er am nächsten Tag mit der Lorenbahn hinüber aufs Festland fahren muss und uns mitnehmen kann, obwohl der TÜV dieses nicht gern sieht. Aber bei uns macht er mal eine Ausnahme, sagt er lachend, denn wir hätten uns als seine Gäste gut betragen. Ich freue mich riesig, denn seit ich in einem Tatort per Fernseher von Dagebüll aus mit der Lorenbahn durch das Watt gefahren bin, ließ mich der Gedanke nicht mehr los, dieses auch einmal live zu erleben. Mit Rückenwind radeln wir zum Lorenbahnhof und ich mache eine neue Erkenntnis: Es gibt nicht nur eine Lorenbahn, es gibt viele. Die Lorenbahnen der Marke Eigenbau, und zwar sehr individuell, befinden sich im Familienbesitz. Muss ein Angehöriger hinüber zum Festland ohne auf die langwierige Schiffspassage angewiesen zu sein, fährt er zum Lorenbahnhof, rangiert so lange, bis seine Lorenbahn freie Fahrt hat, verabschiedet sich von seinen Lieben, wirft den Motor an und tuckert los. Schnurgeradeaus geht die Fahrt zur Hallig Oland und von dort nach einem Knick weiter auf das Festland bei Dagebüll. Die Streckenlänge beträgt neun Kilometer und kann bis zum Ende überschaut werden. Bei Gegenverkehr wird eine Ausweichstelle auf der Hallig Oland genutzt. Die Weichenstellung erfolgt per Hand. Wer pennt, muss zurücksetzen. Honk kommt mit seinem Traktor. Seine persönliche Familienlorenbahn ist auf den Gabeln sozusagen aufgespießt. Punktgenau setzt er sie aufs Gleis, parkt seinen Traktor und der älteste seiner Söhne wird zum Lorenbahnführer. Er startet den Motor und das eigentümliche Gefährt nimmt Fahrt auf. Auf Oland steigen wir aus, trinken einen Kaffee und treffen dort zufällig Lars und die Kölner. Gemeinsam wandern wir durch das Watt und durch die Priele barfuß mit hoch gekrempelten Hosen mehrere Kilometer zurück nach Langeneß. Ich gönne dieses Erlebnis jedem auf der Welt. 15 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, 2013 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, 2013 16 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, 2013 17 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013 18 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, 2013 Der bekannteste Postbote Deutschlands Während eines Spazierganges am Deich entlang treffen wir Fiede Nissen, den bekanntesten Postboten Deutschlands. Er ist mit dem Entladen der Postsendungen beschäftigt und klagt mit einem Augenzwinkern, dass die Pakete immer mehr werden. Auch auf der Hallig bestellen die Bewohner ihre Waren im Internet. Es wird daran gearbeitet, um die Übertragtungsgeschwindigkeit zu verbessern. Gemessen an der Dauer, bis Strom und Wasser vom Festland zur Hallig geführt wurd, kann dieses noch eine Weile dauern. Windstärke sechs, muss er morgens von Langeneß auslaufen, mit seiner "Störtebekker" zum winzigen Hafen Schlüttsiel an der Festlandküste nördlich von Bredstedt fahren, dort die seewasserfesten Postkisten aus Husum in Empfang nehmen und dann die Runde zu seinen vier Halligen machen. So steht es in seinem Vertrag, den er mit der Deutschen Post AG geschlossen hat, und der ihn berechtigt, den gelben Postwimpel in der Mastspitze seines Schiffchens zu führen. Wehe, die Post aus Husum kommt zu spät, nicht genau zur vereinbarten Stunde, dann kann Fiede Nissen arg in Bedrängnis kommen. Denn die Gezeiten lassen dem Postschiffer nur genau vier Stunden Zeit, um seine Runde zu machen. Dauert es länger, gerät die `Störtebekker´ in Gefahr, bei ablaufendem Wasser auf eine Sandbank aufzulaufen oder im Schlick des Wattenmeers stecken zu bleiben. Folgenden Text habe ich seiner Website entnommen. Besser kann ich die Geschichte nicht erzählen, die schon so oft erzählt wurde: „Fiede Nissen von Langeneß ist der Postschiffer der Halligen. Bei jedem Wetter, außer bei starkem Nebel oder bei mehr als 19 Doch ein Hintertürchen hat Fiede Nissen: Wenn die rund 25 Kilometer lange Runde nicht in der vorgesehenen Zeit zurückgelegt werden kann, dann lädt der große hagere Mann mit dem blonden Friesenbart alles, was er noch an Bord hat, auf Langeneß aus, nicht nur die Post für seine eigene Hallig. Frau oder Tochter helfen dann manchmal mit, die Post zum Auto zu schaffen, mit dem Fiede dann alles zum Halligbahnhof bringt. Von Langeneß zur Nachbarhallig Oland führt nämlich ein vier Kilometer langer schmaler Schienendamm mit einem schmalen Gleis durch das Wattenmer. Und Fiede hat sich vor langer Zeit wie manche anderen Halligbewohner auf Langeneß und Oland eine kleine Lore selbst zurechtgezimmert. Von einem knatternden kleinen Benzinmotor angetrieben, rollt die Lore, die natürlich auch das Postemblem, das schwarze Posthorn auf gelbem Grund trägt, mit der Post nach Oland. Abenteuerliche Fahrzeuge sind diese Loren. Natürlich kann es vorkommen, dass sich auf dem schmalen Gleis zwei Loren begegnen. Dann gilt als eiserne Verkehrsregel: Wer mehr als die Hälfte der Strecke hinter sich hat, genießt Vorfahrt. Solange die Sicht klar ist, gibt es kaum Schwierigkeiten, aber wenn Nebel nicht erkennen lässt, wer näher am Ziel ist, bleibt nur der gute Wille.“ Also Paragraph 1 der Verkehrsordnung. Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, 2013 20 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Kirchwarf, 2013 21 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Rixwarf, 2013 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Rixwarf, 2013 22 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hallig Langeneß, Rixwarf, 2013 23 Germany, Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, 2013 Die Rückreise auf der "Hilligenlei" erfolgt in Gesellschaft mit Rindern, die die Bewohner zuvor gemeinsam zusammengetrieben haben, um sie auf das Festland in Sicherheit zu bringen. Es ist Oktober geworden. Der Blanke Hans ist nicht mehr weit. Wieder zu Hause, informiere ich mich bei Wikipedia: „Die Halligen sind kleine, nicht oder wenig geschützte Marschinseln vor den Küsten, die bei Sturmfluten überschwemmt werden können.“ Also doch: Sie sind Inseln. Aber Wikipedia kann man auch nicht alles glauben. Hiemit erlaube ich, diese Datei für nicht kommerzielle Zwecke an weitere Kontaktpersonen zu versenden und auch in gedruckter Form zu verbreiten. Viele Grüße! Bis zum nächsten Mal! Herausgeber,Autor,Fotografiker,ProjektentwicklerfürvisuelleKommunikationundRedakteur SiegfriedWittenburg AmSchulacker14 19067LangenBrütz [email protected] 24