Partner im Wandel - Genossenschaftsverband eV

Transcrição

Partner im Wandel - Genossenschaftsverband eV
ISSN 1867-9935
12/09
Magazin für Kooperation & Management
Genossenschaftsverband e.V.
Partner im Wandel
Genossenschaftsverband e.V. – Chronik der Vorgänger
Heft 1 Schriftenreihe
Pfandbriefbank seit 1877
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I N H A LT S Ü B E R S I C H T
8
I N H ALT
Vorwort
23
41
1
Genossenschaften – eine ewig junge Idee 6
2
Förderung der Mitglieder:
die genossenschaftliche Bewegung
und ihre Verbände
8
2.1
Hilfe zur Selbsthilfe: Grundsätze und
Impulse der Gründergeneration
8
2.2
Vom Prüfungsverein zum Dienstleistungsunternehmen: Entwicklung der Verbände 13
3
Konzentration der Kräfte:
Etappen der Verbandsentwicklung
bis 1989
30
3.1
Genossenschaftsverband Niedersachsen 30
3.2
Norddeutscher Genossenschaftsverband 36
3.3
Genossenschaftsverband
Hessen/Rheinland-Pfalz
40
4
Mobilisierung der Kräfte:
verbandspolitische Antworten auf
vielfältige „Entgrenzungen“ seit 1990
46
4.1
Auf gleicher Augenhöhe:
die deutsche Vereinigung
46
4.1.1 Respekt vor dem Bestehenden:
Praxis aus Hannover
46
4.1.2 Von der LPG zur Agrargenossenschaft:
Unterstützung aus Kiel
51
4.1.3 Herstellen der Wettbewerbsfähigkeit:
Know-how aus Frankfurt
56
4.2
Globalisierung und
Informationsgesellschaft
59
4.2.1 Sinnvolle Fusionen und Organisationsentwicklung
59
4.2.2 Lokales Handeln bei globalem Denken
66
4.3
5
6
76
5
Vom Bildungsanbieter zum Personalentwickler
68
Neue Impulse für genossenschaftliches
Engagement
74
Perspektiven der gemeinsamen
Verbandsarbeit
80
Literaturhinweise
83
Genossenschaften als Wirtschaftsfaktor
86
Organe und Gremien
87
Impressum
90
Heftmitte:
Faltblatt der Vorgängerverbände
netzwerk 12/09
3
„
Die Genossenschaftsunternehmen erfüllen eine
besonders wichtige Aufgabe und tragen zur Verwirklichung der
wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ziele Europas bei.
Sie sind auch der Beweis, dass der Geist der Solidarität,
der den Geschäftszweck der Genossenschaftsunternehmen prägt,
keineswegs im Widerspruch steht zum Unternehmergeist,
sondern beide zusammen positive Wirkung zeigen.
Romano Prodi
Präsident der Europäischen Kommission, 2002
4
“
netzwerk 12/09
Vorwort
C
hroniken sind ein Teil unseres kollektiven Gedächtnisses. Sie haben zeitlos
Bestand. Darin liegt ihr eigentlicher Wert.
Mit der vorliegenden Verbandschronik erfüllen wir uns im „Jahr 1“ der Verbändefusion
Frankfurt–Hannover den Wunsch, Zeitgeschehen aktuell zu dokumentieren. Nichts ist
aber bekanntlich älter als die Zeitung von
gestern. Aus diesem Grunde haben wir noch
im Verschmelzungsjahr so aktuell und
zeitnah wie möglich die Meilensteine in der
gesamten Verbandsgeschichte bis hin zu
einzelnen regionalen „Verbandsgeschichten“
herausgearbeitet.
Bereits im Rahmen der Konzeption sowie der
ersten Gespräche mit genossenschaft lichen
Zeitzeugen ergab sich, dass die Kunst der
Chronistenpflicht besonders in der Beschränkung liegen würde. Insofern wirft die vorliegende Chronik Schlaglichter auf besonders
wichtige Aspekte der Verbandsgeschichte.
An dieser Stelle danken wir daher all denen,
die sich die Zeit genommen haben, um
wertvolle Inhalte in Wort und Bild oder in
zeitkritischen Anmerkungen zu geben. Hier
sind insbesondere aktive oder ehemalige
Verbandsvorstände oder -präsidenten sowie
Führungskräfte in Ost und West sowie Süd
und Nord aus den Altverbänden Frankfurt,
Hannover und Kiel zu nennen. Kompliment:
Manch einer von Ihnen ist wie ein „wandelndes Lexikon“ voller genossenschaftsspezifischer Erinnerungen. Ohne Sie wäre das
Werk sicher unvollkommen geblieben.
Wir freuen uns sehr, allen genossenschaftlichen Lesern und all denen, die an unserer
Organisation Interesse haben, mit dieser Sonderausgabe einen Überblick über die Verbandsgeschichte in den einzelnen Regionen
geben zu können. Möge dies ein Nachschlagewerk für Interessierte und Orientierung für
Suchende auch künft iger Generationen sein.
Meilensteine in der Geschichte veranlassen
uns stets, innezuhalten und zurückzublicken,
netzwerk 12/09
aber auch besonders nach vorne zu schauen.
Und hier sind wir sicher, dass sich die
genossenschaft liche Idee weiter in einem
kräftigen Aufwind befindet.
„Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es,
um es zu besitzen“, wusste bereits Johann
Wolfgang von Goethe. Wir haben allen
Grund, stolz zu sein auf das Erreichte. Wir
dürfen uns aber niemals selbstgefällig oder
selbstzufrieden zurücklehnen. Die vor uns
liegenden Herausforderungen werden immer
dynamischer Natur bleiben und erfordern
stets all unsere konzentrierte Aufmerksamkeit.
Mit dem bevorstehenden Jahr der Genossenschaften, das die UN für 2012 plant, finden
wir damit erstmals auch in naher Zukunft die
größtmögliche nationale und internationale
Beachtung. Es gilt daher, den sich hieraus
entwickelnden Elan in einer Gesamtkonzeption – nicht nur regional, sondern zumindest
national – zu bündeln. Eine Herausforderung
besonderer Art, der wir uns als Organisation
gern stellen!
Aber auch auf anderen Ebenen gilt es, nach
vorne zu schauen. So macht die jüngste
Sozial-Enzyklika von Papst Benedikt XVI.
Mut, der die Verantwortung der Genossenschaften in aller Welt unterstreicht und ihren
elementar wichtigen Beitrag zu solidarischem
Wirtschaften würdigt. Oder der Friedensno-
Walter Weinkauf
belpreis, der vor wenigen Jahren Wirtschaftsprofessor Muhammad Yunus für seine
genossenschaftsnahe Idee verliehen wurde
– und damit sozusagen postum – den
Genossenschaftspionieren Raiffeisen und
Schulze-Delitzsch ein Denkmal setzte, hat
unserer Form des Wirtschaftens in sozialer
und wirtschaft licher Verantwortung ebenfalls
zusätzliches weltweites Ansehen verliehen.
Und schließlich sind unsere Genossenschaften aus der weltweiten Wirtschafts- und
Finanzkrise mit ihrer verantwortungsvollen
und mitgliedsgebundenen Local-Hero-Mentalität nicht fortzudenken. Ganz im Gegensatz zu der in den vergangenen Jahren bis
zum Finanz-Crash immer mehr um sich
greifenden verantwortungsfreien Casinomentalität ist unsere Genossenschaftsorganisation
aus dieser tiefen Real- und Imagekrise
gestärkt hervorgegangen.
In diesem Sinne werden wir auch die
genossenschaft lichen Neugründungen,
welche sich in jüngster Vergangenheit aller
Orten in zahlreichen Kommunen als
notwendige Antwort aus schwindenden Kommunalfinanzen ergeben, weiter fokussieren
und die erfolgreiche Genossenschaftsidee in
allen Sparten weiter fördern.
Wir wünschen allen Lesern dieser Chronik
stets gute Ideen bei der Umsetzung genossenschaft licher Ziele.
Michael Bockelmann
5
G E N O S S E N S C H A F T L I C H E A N FÄ N G E
1
Genossenschaften – eine ewig junge Idee
Rochdale Society of Equitable Pioneers – die erste Genossenschaft in England.
D
ie Idee ist uralt. Seit es Menschen gibt,
versuchen sie, für ähnliche oder gleiche
Problemlagen gemeinsame Lösungen zu
finden. Bereits die Antike kannte Zusammenschlüsse mit genossenschaft lichen Zügen. Es
waren Notbündnisse, die sich als Gemeinden,
Religionsgemeinschaften und Stämme
bildeten. Im Mittelalter schlossen sich meist
sozial, wirtschaft lich und politisch Schwache
zusammen und gründeten zweckgebundene
Vereinigungen. Um Deiche zu erhalten,
entstanden erste Deichgenossenschaften, und
um Genossen ein angemessenes Begräbnis zu
ermöglichen, Begräbnisgenossenschaften. Im
Alpenraum begannen Siedler vor rund 500
Jahren, Weiden und Alpen gemeinschaft lich
zu bewirtschaften. Die Alpengenossenschaften
regelten die gemeinsame Nutzung und
verhinderten die Veräußerung des Gemeineigentums.
Der britische Textilfabrikant und Sozialreformer Robert Owen (1771–1858) gilt als
einer der Begründer der modernen Genossenschaftsbewegung. Wieder war es eine
Reaktion auf große Not, dieses Mal als Folge
der einsetzenden Industrialisierung und
grober sozialer Missstände. Aber nicht nur das
Elend seiner Mitmenschen war es, das Owen
trieb. Er versuchte vielmehr nachzuweisen,
dass Lohnsklaverei und Unterdrückung der
Arbeiter keine guten Voraussetzungen für eine
effektive Produktion sind. In seiner Baumwollspinnerei im schottischen New Lanark
6
startete Owen 1799 ein Experiment für
menschenwürdigere Arbeits- und Lebensbedingungen. Er besorgte Lebensmittel zu
günstigen Preisen, verkürzte die tägliche
Arbeitszeit auf 10,5 Stunden, verbot die Arbeit
von Kindern unter zehn Jahren, ließ Wohnungen bauen und eine Schule errichten. Mit
Erfolg: Die Produktivität in der Fabrik erhöhte
sich drastisch, die Zahl der Diebstähle ging
zurück, Bestrafungen innerhalb der Fabrik
waren nicht mehr nötig.
Dadurch angeregt, gründeten 28 Arbeiter aus
nordenglischen Baumwollspinnereien 1844
die Rochdale Society of Equitable Pioneers.
Sie war eine Einkaufsgenossenschaft, die
durch ihre größere Marktmacht niedrigere
Preise garantieren sollte. Zunächst gab es mit
Mehl, Butter, Zucker und Haferflocken nur
vier Nahrungsmittel. Das Geschäft war
anfangs zwei Abende in der Woche geöffnet,
Robert Owen (1771–1858).
wuchs aber schnell. Schon nach drei Monaten
wurden die Öffnungszeiten auf fünf Tage
ausgedehnt und das Sortiment vergrößert.
Aber nicht der rasche wirtschaft liche Erfolg
machte die Rochdale Society zur Keimzelle
moderner Genossenschaften, sondern ihre
Leitgedanken: das demokratische Prinzip
„eine Person – eine Stimme“, die offene
Mitgliedschaft, die Überschussverteilung im
Verhältnis zum Einkauf des Mitglieds, eine
begrenzte Verzinsung der Geschäftsanteile,
die politische und religiöse Neutralität sowie
die Förderung von Bildung avancierten zu den
Leitlinien der internationalen Genossenschaftsbewegung.
Nur wenige Jahre später gründeten sich auch
in Deutschland erste Genossenschaften.
Ähnlich wie Owens Experiment zielten ihre
Selbsthilfeinitiativen auf das Erlangen von
Wettbewerbsfähigkeit. Sie sagten im Unterschied zur damals aufkommenden Arbeiterbewegung grundsätzlich Ja zur kapitalistischen
Marktwirtschaft, sofern die soziale Komponente angemessen berücksichtigt blieb.
Genossenschaften gehören seither zu den
Trägern der Gedanken von gemeinschaft licher
Selbsthilfe, Demokratie und Marktwirtschaft .
Stets auch „Kinder“ ihrer Zeit, modifizierten
sie immer wieder ihre Organisationsform und
formulierten neue ökonomische Antworten
auf aktuelle Herausforderungen eines sich
ständig verändernden Umfelds. Am schwierigsten war dies unter den konträr zu eigenen
netzwerk 12/09
G E N O S S E N S C H A F T L I C H E A N FÄ N G E
Prinzipien stehenden Bedingungen der
nationalsozialistischen Diktatur. Aber selbst
damals verloren sie ihre Grundsätze nicht aus
dem Blick.
Nach 1945 knüpfte die genossenschaft liche
Bewegung wieder entschlossen an ihre
identitätsstiftenden Leitlinien und bewährten
Traditionen an. Sie verkörperten bereits die
soziale Marktwirtschaft, die Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard in den
1950er-Jahren zum allgemeinen Leitbild
ausrief. Das Genossenschaftswesen entwickelte sich zunächst im westlichen, nach 1989
auch im östlichen Landesteil zu einem starken
ökonomischen und sozialen Standbein der
Bundesrepublik Deutschland. Mit seinen
vielgestaltigen und zukunftsfähigen Strukturen trug und trägt es wesentlich zur ersten
stabilen Demokratie auf deutschem Boden bei.
übernahmen den gesetzlichen Prüfungsauftrag. Zudem entwickelten sie sich bald zu
Impulsgebern der gesamten Bewegung. Heute
überprüfen, begleiten und fördern in der
Bundesrepublik Deutschland mehrere
Spitzen-, Regional- und Fachverbände im
Rahmen eines komplexen Netzwerkes – dem
genossenschaft lichen Verbund – die wirtschaft liche und betriebliche Stabilität von
Genossenschaften. Als moderne Dienstleistungsunternehmen beraten und unterstützen sie in einem partnerschaftlichen Verhältnis ihre Mitglieder dadurch auch in allen
ökonomischen, betrieblichen und rechtlichen
Fragen. Sie fördern das Genossenschaftswesen
durch eine breite, ständig fortentwickelte
Bildungs- und Informationstätigkeit und die
Übernahme von Gemeinschaftsaufgaben in
zentralen Institutionen. Außerdem bieten
Verbände inzwischen vielfältige Dienstleis-
Ein Meilenstein für eine solche Bündelung der
Kräfte ist die rückwirkend zum 30. Juni 2008
vollzogene Fusion zum Genossenschaftsverband e.V. mit Sitz in Frankfurt am Main. Er ist
heute der größte deutsche Regionalverband.
Ihm gehören knapp 1.900 Genossenschaften
mit mehr als vier Millionen Mitgliedern an.
Sie stellen der deutschen Volkswirtschaft
88.000 Arbeitsplätze zur Verfügung. Die
Mitgliedsbanken des Verbandes betreuen 317
Mrd. Euro Kundenvolumen und kommen auf
eine Bilanzsumme von 169 Mrd. Euro. Die
genossenschaftlichen Waren- und Dienstleistungsunternehmen erzielen über 19 Mrd.
Euro Jahresumsatz.
tungen für die Kunden ihrer Mitglieder an,
um den Genossenschaften im verschärften
Wettbewerb den Rücken zu stärken.
fungsgesellschaften über eine überaus
wettbewerbsfähige Kapazität. Die erfolgreiche
Arbeit der genossenschaft lichen Alt-Verbände
Frankfurt und Norddeutschland war im
Rahmen einer langjährigen dynamischen
Entwicklung die Basis dafür. Ein Blick auf die
Geschichte belegt dies. Nun trägt der neue
Genossenschaftsverband als Partner seiner in
13 Bundesländern ansässigen Mitglieder dazu
bei, dass Genossenschaft eine Idee mit
Zukunft bleibt – mehr noch: Er bildet im
Verbund aller genossenschaftlichen Partner
erst die Voraussetzung.
Der Genossenschaftsverband mit seinen rund
1.200 Mitarbeitern und 136 Mio. Euro
Honorarvolumen verfügt bereits jetzt als
Nummer sechs unter den deutschen Prü-
Das erste genossenschaftliche Ladengeschäft.
Dabei sind die Genossenschaften von heute in
ihrer äußeren Gestalt oft kaum mehr mit
jenen der Gründergeneration vergleichbar.
Viele sind große mittelständische Unternehmen mit internationalen Kooperationspartnern. Ein Erfolgsgeheimnis der modernen
Genossenschaften ist gewiss ihre zuweilen
enorme Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit auf der Grundlage dauerhafter Prinzipien.
Heute gehören etwa 20 Millionen Bundesbürger, also fast jeder Vierte, einer der über 7.000
Genossenschaften in Deutschland an. Die
300.000 europäischen Genossenschaften
zählen 140 Millionen Mitglieder, weltweit hat
die Genossenschaftsbewegung inzwischen 800
Millionen Anhänger.
Früh gründeten Genossenschaften zur
Unterstützung ihrer Tätigkeit Verbände. Diese
netzwerk 12/09
Unter den Vorzeichen der Globalisierung
beinhaltet die zeitgemäße Lobbyarbeit der
Genossenschaftsverbände, national und
international faire Wettbewerbsbedingungen
einzufordern. Besonders die regionalen
Prüfungsverbände agieren im Spannungsfeld
zwischen fortdauernder lokaler Verankerung
ihrer Mitgliedsgenossenschaften und den
Herausforderungen sich immer weiter
öffnender Märkte. Um sich im Wettbewerb
besser zu positionieren und ihre Mitglieder
möglichst effektiv unterstützen zu können,
haben sie nicht nur ihre unternehmerische
Organisation kontinuierlich fortentwickelt,
sondern auch wiederholt wegweisende
Verschmelzungen vollzogen.
7
ÜBERBLICK
2
Förderung der Mitglieder
Die genossenschaftliche Bewegung und ihre Verbände.
Büsten von Hermann Schulze-Delitzsch, Wilhelm Haas und Friedrich Wilhelm Raiffeisen.
2.1 Hilfe zur Selbsthilfe:
Grundsätze und Impulse
der Gründergeneration
Selbsthilfe und Bewahrung
von Freiheit
Unbekannte Freiheit und bittere Armut –
vielen Menschen in Europa bescherten die
tief greifenden wirtschaft lichen, sozialen und
politischen Veränderungen im 19. Jahrhundert diesen bedrückenden Kontrast. In
Deutschland, damals noch kein einheitliches
Staatsgebilde, sondern in über 30 Fürstentümer unterteilt, bildeten grundlegende
Reformen während der napoleonischen
Besatzung 1807 bis 1814 den Anfang.
Ausgehend von Preußen wurde die Leibeigenschaft der Bauern beendet, die Zünfte
wurden aufgehoben und die Wirtschaft
wurde liberalisiert. Es entstand eine
deregulierte Markt- und Geldwirtschaft .
8
Doch auf sie waren weder Bauern noch
städtischer Mittelstand vorbereitet.
Menschen lebten am Rande des Existenzminimums.
Parallel sah sich bald eine rasch wachsende
Zahl an Menschen durch die Folgen der
industriellen Revolution in ihrer Existenz
bedroht. Handwerkern und Heimarbeitern
etwa stand mit den neuen Fabrikbetrieben, die
Waren billiger und oft auch besser herstellen
konnten, eine übermächtige Konkurrenz
gegenüber. Eine Dampfmaschine, einen
automatischen Webstuhl oder andere
mechanische Hilfsmittel zu erwerben,
überstieg bei Weitem die finanziellen
Möglichkeiten der traditionellen Handwerksbetriebe. Auch der zügige Ausbau der
Eisenbahn ab den 1840er-Jahren begünstigte
vor allem die Produktions- und Absatzmöglichkeiten kapitalkräftiger Unternehmer und
Großgrundbesitzer. Es entstand ein Heer von
Tagelöhnern. Zusätzlich minderte ein
enormes Bevölkerungswachstum in ganz
Europa die Chancen der Betroffenen, Arbeit
und Auskommen zu finden. Immer mehr
Die damit einhergehenden zunehmenden
sozialen Spannungen fanden einen viel
beachteten öffentlichen Ausdruck, als im Juni
1844 schlesische Weber vor die Tore lokaler
Fabrikanten zogen, um gegen den Preisverfall ihrer Waren zu protestieren. Das
preußische Militär griff ein. Elf Menschen
kamen ums Leben. Die Missernten von
1846/47, welche die Lebensmittelpreise
verdoppelten und verdreifachten, verschärften die Krise dramatisch. 1848/49 kam es zu
bürgerlich-demokratischen Einheits- und
Unabhängigkeitserhebungen. Überwiegend
preußische und österreichische Truppen
schlugen diesen ersten Versuch, einen
demokratisch verfassten, einheitlichen
deutschen Nationalstaat zu schaffen,
gewaltsam nieder.
Just in jenen Jahren entstanden die ersten
genossenschaft lichen Zusammenschlüsse in
netzwerk 12/09
ÜBERBLICK
1846/47, indem sie ihre Mitbürger aufforderten, die Ärmel hochzukrempeln und sich
gemeinsam gegen die Misere zu stemmen.
Schulze-Delitzsch wirkte in seinem sächsischen Heimatort Delitzsch bei der Gründung eines Hilfskomitees zur Beschaff ung
von Getreide und zur Unterhaltung einer
Mühle mit, Raiffeisen ließ in seiner damaligen Wirkungsstätte Weyerbusch im Westerwald Brot für die Armen backen und
gründete einen Brotverein. Wenig später
verlagerten beide die Akzente ihres Handelns
deutlich von Wohlfahrt auf Selbsthilfe. Dabei
kamen dann allerdings ihre unterschiedlichen regionalen und weltanschaulichen
Wurzeln zum Ausdruck. Schulze-Delitzsch
und Raiffeisen begründeten differenzierte
genossenschaft liche Traditionen, deren
Spuren bis heute zu erkennen sind.
Deutschland. Wie ihre britischen Vorgänger
wollten sie aber auch in der Not die gewonnene Freiheit nicht durch neue Abhängigkeit
wieder infrage stellen. So leitete letztlich alle
ihre zuweilen sehr unabhängig voneinander
vorgehenden Pioniere ein Impuls: Materieller
Not sollte fortan nicht durch Wohltätigkeit,
sondern durch freiwilliges, gemeinsames und
prinzipiell gleichberechtigtes Handeln auf
der Basis von Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung die Stirn geboten
werden. Genossenschaften sind „Kinder“ der
Not und demokratischer Freiheitsbestrebungen.
Unterschiedliche
Traditionsbildungen
Gemäß diesen Prinzipien nahmen vor allem
der Jurist und liberale Politiker Hermann
Schulze-Delitzsch (1808–1883) und der
Bürgermeister Friedrich Wilhelm Raiffeisen
(1818–1888) prägenden Einfluss auf die
genossenschaft liche Bewegung in Deutschland. Beide reagierten auf die Hungersnot
netzwerk 12/09
Der Freimaurer Schulze-Delitzsch hatte
besonders die Verelendung der Handwerker
in der Provinz Sachsen im Blick, deren
Ein-Mann-Betriebe dort im Mittelpunkt der
sozialen Frage standen. Er übernahm 1848 in
der Preußischen Nationalversammlung den
Vorsitz der Kommission zur Prüfung der
Notlage dieses Berufsstandes. Ein Jahr später
gründete er in Delitzsch eine Rohstoffassoziation für Tischler und Schuhmacher. Da er
sah, dass den in Not geratenen Handwerkern
Möglichkeiten fehlten, bei einer seriösen
Institution Kredite zu erhalten, rief er 1850
den ersten Vorschussverein ins Leben.
Parallel initiierte Schulze-Delitzsch weitere
Selbsthilfeeinrichtungen, wie eine Krankenund Sterbekasse, und begleitete den Aufbau
von Selbsthilfeorganisationen durch
zahlreiche Publikationen. Er konzentrierte
sein Tun auf gewerbliche Genossenschaften
des Handwerks und auf die Kreditvereine,
aus denen später die Volksbanken hervorgingen. Seine Konzepte richteten sich an den
städtischen Mittelstand und betonten
kaufmännische Grundsätze. Schriften wie
„Vorschußvereine als Volksbanken“ (1855)
fanden eine enorme Verbreitung und
Resonanz.
Anleihen endeten oft im Ruin. So gründete er
1849 den „Flammersfelder Hülfsverein zur
Unterstützung unbemittelter Landwirthe“.
Darin konnten die Bauern Geld ansparen, es
aber auch zum Ankauf von Vieh und Gerät
günstig leihen. In Heddersdorf bei Neuwied,
wo er ab 1852 als Kommunalbeamter tätig
war, gründete Raiffeisen 1864 den ersten
Darlehnskassen-Verein. Wichtig war ihm die
Solidarhaftung. Seine wenig später publizierte Schrift „Die Darlehnskassen-Vereine
als Mittel zur Abhilfe der Not der ländlichen
Bevölkerung“ wurde zum grundlegenden
Programm der ländlichen Genossenschaft sbewegung.
Das Konzept übertrug zentrale Überlegungen von Schulze-Delitzsch auf die
Gegebenheiten im ländlichen Raum. Die
Infrastruktur der damals noch als Vereine
gegründeten Genossenschaften war zwar
bescheiden, ihre soziale und ökonomische
Wirkung aber mitunter erheblich. Besonders
Spar- und Darlehnskassen avancierten rasch
zu einem Mittelpunkt des dörfl ichen
Geschehens. Meist war die „gute Stube“ des
Vereinsvorstehers das Geschäftslokal. Nicht
nur Finanzfragen zwischen Mitglied und
Kasse wurden dort behandelt, sondern auch
umfassendere Beratung und praktische Hilfe
geleistet. So erhielt man etwa Rat in Behördenangelegenheiten oder konnte ein
Schriftstück aufsetzen lassen. Oft standen
dort später das einzige Telefon und die
einzige Schreibmaschine im Dorf.
Schulze-Delitzsch und Raiffeisen zufolge
sollte die Genossenschaft mehr sein als die
Summe ihrer Mitglieder, sie sollte diese
überdauern und die Einwohner einer
Gemeinde zu einer sozialen und wirtschaftlichen Einheit integrieren. Allerdings betonte
Raiffeisen eher Tugenden wie Sparsamkeit,
Bescheidenheit und Sittlichkeit, während
Schulze-Delitzsch Genossenschaften
vorrangig als Schule der Demokratie betrachtete.
Auch der überzeugte evangelische Christ
Raiffeisen erkannte den Mangel an Kapital
als ein zentrales Problem der ländlichen
Bevölkerung, die bei Missernten meist auf
Wucherer angewiesen waren. Solche
9
ÜBERBLICK
Hermann Schulze-Delitzsch spricht im Reichstag in Anwesenheit des Reichskanzlers Otto von Bismarck.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
erfolgte eine Differenzierung der ländlichen
Bewegung. Sie ist mit dem Namen des
hessischen Politikers Wilhelm Haas
(1839–1913) verbunden. Er forderte strikte
weltanschaulich-politische Neutralität im
Genossenschaft swesen, lehnte die bei
Raiffeisen praktizierte Integration von
Kredit-, Einkaufs- und Absatzgenossenschaften ab, stellte kaufmännische Aspekte
in den Vordergrund und favorisierte einen
dezentralen Weg beim Zusammenschluss
von Genossenschaften in Verbänden. Haas
gilt heute vor allem als Organisator des
ländlichen Genossenschaft swesens.
1873 führte er zunächst 15 Konsumvereine
im hessischen Raum zum Verband der
hessischen landwirtschaftlichen Konsumvereine zusammen und initiierte zehn Jahre
später die Vereinigung deutscher landwirtschaftlicher Genossenschaften (1903
umfi rmiert in Reichsverband der deutschen
landwirtschaftlichen Genossenschaften), der
selbstständige, meist unabhängig voneinander entstandene Regionalverbände angehörten.
Rechtliche Fundierung und
Auftrag zur Mitgliederförderung
Eisenbahnbau im 19. Jahrhundert.
10
In Deutschland entstand bald ein vielfältiges
und dynamisches, heute kaum mehr
rekonstruierbares Bild von Genossenschaften. Außer Kreditgenossenschaften,
gewerblichen Genossenschaften des Hand-
netzwerk 12/09
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Im FinanzVerbund der
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ÜBERBLICK
werks und landwirtschaft lichen Einkaufsgenossenschaften bildeten sich früh Wassergenossenschaften, die besonders in
Dürrezeiten der besseren Regulierung des
Wasserhaushalts dienen sollten, und
Molkereigenossenschaften, um gemeinsam
Milch zu verarbeiten. Das gemeinschaft liche
Handeln ermöglichte den Einsatz modernster Technik. 1877 gründeten zum
Beispiel 15 Landwirte die Kieler Meiereigenossenschaft, wie Molkereigenossenschaften in Schleswig-Holstein und Hamburg
genannt werden. Der Untertitel der Kieler
Meierei verkündete stolz, die „Erste Centrifugenmeierei der Welt“ zu sein.
Doch nicht allen Genossenschaften war
Erfolg beschieden, viele bestanden nur
wenige Jahre. Misswirtschaft war ein
Grund, mitunter fehlte aber auch – noch –
die soziale Basis. Erst mit dem Anwachsen
der Industriearbeiterschaft und der
zunehmenden Verstädterung der Gesellschaft Ende des 19. Jahrhunderts setzten
sich zum Beispiel dort mehr und mehr
Konsum- und Wohnungsbaugenossenschaften durch.
Rechtliche Regelungen zur Absicherung der
neuen Organisationsform fehlten zunächst.
Erst im Zuge der von Preußen ausgehenden
schrittweisen Einigung deutscher Länder zu
einem einheitlichen Nationalstaat kam es zu
legislativen Initiativen. Federführend war
hierbei erneut Hermann Schulze-Delitzsch.
Der Reichstagsabgeordnete entwarf 1867
das erste Genossenschaft sgesetz (GenG), das
er zunächst in Preußen und im Norddeutschen Bund durchsetzte. 1889 verabschiedete der Reichstag eine für das Deutsche
Reich novellierte Fassung des GenG. Diese
wurde grundlegend für das genossenschaftliche Recht in Deutschland – bis heute. Wie
von Schulze-Delitzsch vorgesehen, sind
seither Genossenschaften als juristische
Personen in das moderne Rechtswesen
eingeordnet und die internen Verantwortlichkeiten klar geregelt.
Als oberstes Ziel erhielten alle Genossenschaften darin den Auft rag, den Erwerb und
die Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels
gemeinsamen Geschäft sbetriebes zu
fördern. Genossenschaften unterscheiden
sich seither von anderen wirtschaft lichen
Unternehmen dadurch, dass sie keinen
Selbstzweck verfolgen, ihren Trägern und
Mitgliedern nicht durch Erwirtschaft ung
und Ausschüttung von Gewinnen, sondern
durch die Bereitstellung von Leistungen
dienen. Im Einzelnen war dieser Förderungsauft rag jedoch nicht defi niert, so
dass er sich gemäß der unterschiedlichen
Bedingungen und Bedürfnisse der Genossenschaften differenziert und dynamisch
entwickelte. Das Gesetz schränkte allerdings die Möglichkeit, Kredite an Nichtmitglieder zu vergeben, erheblich ein,
was das Geschäft sgebaren von genossenschaft lichen Kreditinstituten lange Zeit
prägte.
Besonders bedeutend war, dass 1889 auch
die Gründung von Genossenschaften mit
beschränkter Haft pfl icht zulässig wurde.
Zuvor hatten die Mitglieder unbeschränkt
gehaftet, was vielen zu riskant erschienen
war. Die Umwandlung von Genossenschaften in solche mit beschränkter
Haft pfl icht, wie sie heute üblich sind, sollte
allerdings in mehreren Schritten und
regional unterschiedlich rasch vollzogen
werden. Mancherorts dauerte es noch
mehrere Jahrzehnte.
Die Änderung 1889 begünstigte vor allem
einen regelrechten Boom an genossenschaftlichen Neugründungen. Bis zur Jahrhundertwende stieg allein die Zahl an Kreditgenossenschaften auf über 12.000 an, denen
insgesamt 1,26 Millionen Mitglieder
angehörten. Bald kamen weitere Berufsstände und neue Sparten hinzu. So entstanden
noch vor dem Ersten Weltkrieg (1914–1918)
die ersten Elektrizitätsgenossenschaft en. Sie
versorgten die Dörfer mit elektrischem
Strom, was die Lebensverhältnisse dort
fundamental veränderte. Und an Nord- und
Ostsee gründeten sich Fischergenossenschaften, um die Fänge der Not leidenden
Fischer zusammenzufassen und die
Mitglieder mit Tauwerk, Netzen, Gasöl und
Proviant zu versorgen.
Das Genossenschaft sgesetz von 1889 legte
außerdem die rechtlichen Grundlagen für
den Aufbau eines Verbundes. Um der
ursprünglich vorgesehenen Staatsaufsicht zu
entgehen, akzeptierten die Genossenschaften die Prüfungspfl icht durch eigene
12
netzwerk 12/09
ÜBERBLICK
Verbände. Das GenG verpfl ichtete jede
Genossenschaft , ihre Geschäft sführung alle
zwei Jahre durch einen Revisor prüfen zu
lassen. Auch eröff nete das Gesetz den
Verbänden die Möglichkeit, darüber
hinausgehende Aufgaben wahrzunehmen.
Daraus entwickelten die Verbände nach und
nach den bis heute grundsätzlich geltenden
Dreiklang aus Prüfung, Beratung und
Betreuung, wobei sie im 20. Jahrhundert die
Aus- und Fortbildung zu einem Eckpfeiler
ihrer Tätigkeiten machten.
2.2 Vom Prüfungsverein zum
Dienstleistungsunternehmen:
Entwicklung der Verbände
Preußische Central-Genossenschaftskasse Berlin.
Parallelentwicklungen und
Konkurrenzen zu Beginn
Schon vor der gesetzlichen Fundierung 1889
schlossen sich Genossenschaften in Verbänden zusammen. 1862 gründeten 15 Vorschuss- und 2 Rohstoff vereine aus dem
Rhein-Main-Gebiet in Wiesbaden den
Verband der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften am Mittelrhein e.V. Die erklärten
Ziele dieses ersten Regionalverbandes waren
der Aufbau von Geschäftsverbindungen und
der Austausch von Erfahrungen zwischen
den Mitgliedern. Weitere räumlich begrenzte
Verbandsgründungen mit ähnlichen
Zielsetzungen folgten bald, wobei sich
manche nach wenigen Jahren wieder
auflösten bzw. in anderen Regionalverbänden
aufgingen.
Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich
Wilhelm Raiffeisen starteten früh überregionale Initiativen. Eine fortdauernde
Wirkung erzielte der aus dem Zentralkorrespondenzbüro von Schulze-Delitzsch 1864
hervorgegangene Allgemeine Verband der
Erwerbs- und Wirtschaft sgenossenschaften.
Dieser beriet seine Mitglieder in rechtlichen
und betriebswirtschaft lichen Fragen, er
vertrat ihre Interessen gegenüber dem Staat
und anderen Institutionen. Geschäft liche
Verbindungen zwischen den Genossenschaften förderte der Allgemeine Verband
zunächst durch das Vermitteln von
Wechsel inkassos, und er gründete eine
netzwerk 12/09
Spar- und Darlehnskasse Beverstedt e.G.m.b.H. Beverstedt.
eigenständige Zentralbank, die Deutsche
Genossenschaft sbank von Soergel, Parrisius
& Co. Raiffeisen scheiterte mit seinem
Versuch, eine Zentralbank zum Mittelpunkt
der ländlichen Genossenschaft sbewegung
zu machen. Mehr Erfolg hatte er 1877 mit
der Gründung des Anwaltschaft sverbandes
ländlicher Genossenschaften, der 1889 in
Generalanwaltschaft sverband ländlicher
Genossenschaften für Deutschland
umfi rmierte. An dessen Seite gesellte sich,
wie erwähnt, der von Wilhelm Haas ins
Leben gerufene Reichsverband.
die Wirtschaft wieder, wovon auch die
Genossenschaften und ihre Verbände
profitierten. Politische Entwicklungen
begünstigten dann die Gründung weiterer,
zeitweilig konkurrierender Verbände und
Zentralinstitutionen. Die Reichsregierung
ergriff wirtschaftspolitische Maßnahmen, die
auf die Stärkung des Mittelstandes zielten.
Sie tat dies unter anderem, um einem
Die Rahmenbedingungen veränderten sich.
Nach langer Depression prosperierte ab 1890
13
ÜBERBLICK
Genossenschaftliche Mergelgrube.
„proletarischen Umsturz“ vorzubeugen.
Diese aktive Mittelstandspolitik betraf auch
das Genossenschaftswesen. 1895 schuf die
Regierung in Berlin die Preußische CentralGenossenschaftskasse (Preußenkasse). Die
neue Zentralbank wurde Vorbild eines
dreistufigen genossenschaft lichen Systems,
das – mit abnehmender Tendenz – bis heute
ein charakteristisches Merkmal des genossenschaft lichen Verbundes in Deutschland
ist. Über den lokalen Kreditgenossenschaften
wurden auf Provinzialebene Zentralkassen
zum Geldausgleich und zur Kreditvermittlung errichtet. Auf einer dritten Stufe
fungierte die Preußenkasse fortan als eine
nationalstaatliche Zentralkasse, die die
Bedürfnisse ihrer provinzialen Zentralkassen
bediente. Die Preußenkasse ist eine Vorläuferin der heutigen DZ Bank AG, Deutsche
Zentral-Genossenschaftsbank, in Frankfurt
am Main.
Erste Bilanz einer Warengenossenschaft aus dem Jahre 1878.
Starken Widerstand gegen die neue Zentralbank kam vom Allgemeinen Verband. Getreu
den Grundsätzen von Schulze-Delitzsch
bestand er auf strikter Unabhängigkeit vom
Staat und lehnte eine Zusammenarbeit mit
der Preußenkasse ab. Kleine Kaufleute und
Handwerker sahen dies aber weniger rigoros.
Viele von ihnen wollten Selbsthilfe durch
Staatshilfe ergänzt sehen. Mit den Leistungen
der bestehenden Genossenschaften waren sie
damals oft unzufrieden. Hohe Geschäftsanteile und kurzfristige Kredite schreckten sie
ab. Vor diesem Hintergrund entstand ab 1896
eine neue, städtische Genossenschaftsbewegung in Konkurrenz zum Allgemeinen
Verband. Neue Kredit- und Warengenossenschaften, die sich besonders im nordwestdeutschen Raum gründeten, schlossen sich
1901 zum Hauptverband der Deutschen
Gewerblichen Genossenschaften zusammen.
Er gliederte sich in regionale Verbände und
regionale Zentralkassen. Die beiden
landwirtschaft lichen Spitzenverbände
(Raiffeisen und Haas) versuchten zwar 1905
ein Miteinander, doch trennten sich ihre
Wege 1913 wieder.
14
Die zunehmende Fragmentierung der
genossenschaft lichen Bewegung fand
einen weiteren Ausdruck in der Gründung
mehrerer branchenspezifischer Verbände, die
ebenfalls überregional aktiv waren.
Die Baugenossenschaften errichteten 1897
ihren ersten Verband. Die Konsumgenossenschaften, die der Sozialdemokratie
nahestanden, spalteten sich vom Allgemeinen
Verband ab und gründeten 1903 einen eigenen
Zentralverband. Ab 1907 gingen die Einzelhandelsgenossenschaften einen separaten
verbandspolitischen Weg.
netzwerk 12/09
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ÜBERBLICK
Hauptverband, zum Deutschen-Genossenschaftsverband e.V. (DGV). Er bot etwa 3.400
Mitgliedsgenossenschaften ein Dach. Zehn
Jahre später folgten die beiden von Raiffeisen
und Haas initiierten landwirtschaft lichen
Zentralverbände. Der Generalanwaltschaftsverband und der Reichsverband verschmolzen 1930 zum Reichsverband der deutschen
landwirtschaftlichen Genossenschaften –
Raiffeisen e.V. (RVR). Der neue Verband
zählte nun knapp 37.000 Genossenschaft en
als Mitglieder.
Verbände und Zentralinstitutionen als Impulsgeber
In der allgemeinen Not nach Ende des Ersten
Weltkriegs verloren die weltanschaulichpolitischen Differenzen über den rechten
Weg der Genossenschaften an Bedeutung.
Die durch zahlreiche Neugründungen größer
werdende Bewegung rückte enger zusammen. Die Zentralverbände gingen voran.
1920 fusionierten die gewerblichen Spitzenverbände, der Allgemeine Verband und der
Genossenschaftliche Viehverwertung in den 1930er-Jahren.
16
Innerhalb der genossenschaft lichen Bewegung schlüpften die Verbände erstmals in
die Rolle des Impulsgebers. Auf ihre Anregung hin weiteten Genossenschaft en ihre
Leistungen aus. Banken etwa boten nun
erstmals Kontokorrentkonten für Handwerker und Kaufleute an und führten
Wechselgeschäfte ein. Ziel solcher Verbandsinitiativen war es, die Genossenschaften wettbewerbsfähig zu machen bzw.
zu erhalten. Es war oft ein mühevolles und
langwieriges Unterfangen. Die Generalversammlung so mancher Genossenschaft
übernahm die Anregungen, wenn überhaupt, erst im zweiten oder dritten Anlauf.
Hinzu kam, dass Genossenschaft en und
Verbände damals noch ein sehr geringes
Professionalisierungsniveau besaßen.
Ehrenamtliche Tätigkeit war der Normalzustand. Die Prüfungsaufgabe erfüllten meist
freiberufl iche Prüfer, die der Verband
bestellte. Einige Regionalverbände verfügten mehrere Jahrzehnte lang weder über
eigene Büroräume noch über eigenes
Personal.
Die Rahmenbedingungen in der Weimarer
Republik (1919–1933) waren wechselhaft und
wiederholt sehr schwierig. Einen tiefen
Einschnitt bescherte Deutschland die
Wirtschaftskrise von 1923. Weite Teile der
Bevölkerung verarmten und durch mehrere
politische Aufstände schien der Fortbestand
der Reichseinheit und der Demokratie
gefährdet. Für viele Genossenschaften war
die Zäsur tiefer als jene durch den Ersten
Weltkrieg. Die horrende Inflation traf
besonders die genossenschaft lichen Kreditinstitute. Zahlreiche Genossenschaften lösten
sich auf oder ließen ihren Geschäftsbetrieb
ruhen. Eine Folge war, dass Zentralinstitutionen größeren Einfluss erlangten.
Die bis dato relativ autonomen Genossenschaftsbanken, die selbstständig Zinssätze
festgelegt hatten, waren nun auf die Gelder
der Zentralkassen bzw. der Preußenkasse
angewiesen. Diese halfen, setzten allerdings
fortan den Zinssatz für Kreditnehmer fest.
Kaum partizipierten die Genossenschaften
anschließend an der generellen ökonomischen Erholung, bescherte ihnen die
Weltwirtschaftskrise von 1929 die nächste
große Herausforderung. Dabei waren die viel
gerühmten „Goldenen Zwanzigerjahre“ noch
nicht einmal für alle Genossenschaft szweige
tatsächlich „golden“ gewesen. Die Landwirtschaft, die ihre Schulden durch die Inflation
1923 mit einem Schlag praktisch getilgt sah,
häufte anschließend rasch neue an. Denn sie
tat sich schwer, von der reinen Produktion
großer Mengen auf eine qualitativ höherwertige Wirtschaft umzustellen. Dies war
angesichts einer zunehmend auf den Markt
drängenden ausländischen Konkurrenz
notwendig geworden, kostete aber viel Zeit
und Geld. Mitten in der Umstellungsphase
traf sie 1929 der Kollaps der Gesamtwirtschaft, was die Verschuldung landwirtschaftlicher Betriebe erneut steil in die Höhe trieb.
Konsequenzen aus der Weltwirtschaftskrise,
die auch Mitgliederschwund und die
Auflösung von Genossenschaften mit sich
netzwerk 12/09
ÜBERBLICK
brachte, sollten im Genossenschaft swesen dann unter völlig veränderten
politischen Vorzeichen während der
nationalsozialistischen Diktatur
(1933–1945) gezogen werden.
Bedingte Gleichschaltung
im Nationalsozialismus
Mit der nationalsozialistischen
Macht übernahme 1933 änderten
sich die Bedingungen auch für
die Genossenschaften und ihre
Verbände grundlegend. Sie
waren nun nicht mehr allein den
Mitgliedern verpfl ichtet, sondern
auch den staatlichen Organen.
Die einzelnen Genossenschaft en
wurden samt ihrer Verbände
in das zentral gelenkte nationalsozialistische Wirtschaft ssystem eingegliedert. Die dem
sozialistischen Milieu zugerechneten Konsumgenossenschaften wurden sogar
aufgelöst.
Bereits 1933 mussten sich alle
landwirtschaft lichen Genossenschaften dem Reichsnährstand
anschließen, dem die Gleichschaltung der agrarwirtschaftlichen Gesellschaft in Deutschland oblag. Die gewerbliche
Wirtschaft wurde in die
Notgeld in der Hyperinflation 1923.
Reichsgruppen Handel, Handwerk,
Im klaren Widerspruch zum autoritären,
Industrie, Banken, Versicherung und
hierarchischen Führerstaat stand jedoch die
Verkehr aufgeteilt. Innerhalb der Reichsdemokratische genossenschaft liche
gruppe Banken wurden alle KreditgenosSelbstbestimmung. Diese sollte durch eine
senschaften bis 1936 einer gleichnamigen
gezielte Besetzung der Organe mit linienWirtschaft sgruppe zugeordnet, in der
treuen oder zumindest politisch genehmen
ländliche und gewerbliche Institute
Personen ausgehebelt werden. Das Vorgehen
selbstständige Fachgruppen bildeten.
stieß in so manchen Genossenschaft en auf
Widerspruch, mit der Folge, dass auf lokaler
Der organisatorische Aufbau der GenossenEbene eine begrenzte Autonomie geduldet
schaften blieb im Kern unverändert.
wurde. Für Genossenschaft er war die Politik
Genügend qualifi ziertes Personal für eine
des Regimes anfangs schwer einzuschätzen.
weitreichende Durchdringung der genossenDie Landwirtschaft profitierte zunächst
schaft lichen Institutionen besaßen die
sogar von seinen Entscheidungen. So
nationalsozialistischen Machthaber nicht.
übernahm das Reich 1933 per Gesetz die
Hinzu kam, dass nationalsozialistische
Kreditforderungen und entschuldete die
Ideologen der genossenschaft lichen Idee eine
Betriebe, was viele Existenzen rettete. Den
Verwandtschaft zur „Volksgemeinschaft“
Genossenschaft sbanken, die den damit
unterstellten und insofern positiv gegenüber
verbundenen Abschlag von 30 Prozent bei
Genossenschaften eingestellt waren.
netzwerk 12/09
den Rückzahlungen nicht verkraften
konnten, griff wiederum die bereits
in der Weimarer Republik als
Notprogramm aufgelegte „Reichsgenossenschaft shilfe“ fi nanziell unter
die Arme.
Die genossenschaft lichen Zentralen,
die Regional- und Spitzenverbände
auf Reichsebene scheinen dagegen
stärker nationalsozialistisch
beeinflusst worden zu sein. Mitarbeiter in höheren Positionen mussten ihr
Amt zur Verfügung stellen, wenn sie
der NSDAP nicht beitreten wollten.
Wer nicht spurte, wurde gezwungen.
Manche kamen sogar in Haft . Einzelne
Regionalverbände sicherten sich aber,
toleriert durch die neue Führung, die
fortdauernde Mitwirkung ihrer
bisherigen Funktionäre in den
Gremien, so dass auch hier kein
einheitliches Bild gezeichnet
werden kann.
Das Wenige, das über das
Verhalten der Spitzenverbände
bekannt geworden ist, zeugt
– ungeachtet förmlicher Treuebekenntnisse zum „Führer“ und
seiner Regierung – von einem
Bestreben, die innere Autonomie
zu erhalten bzw. wiederzuerlangen. Dabei schafften sie es
immerhin, 1935 die Finanz- und
Verwaltungshoheit der Prüfungsverbände
wiederherzustellen.
Hinsichtlich der Ausgrenzung der Juden
beugten sich die Spitzenverbände offenbar
weitgehend dem politischen Druck. Der RVR
wies 1933 seine Mitglieder an, den Geschäft sverkehr mit jüdischen Betrieben und
Einzelpersonen einzustellen. In der Folge
solcher Maßnahmen gründeten Juden selbst
Genossenschaftsbanken. Der DGV und die
Regionalverbände verhielten sich diesen
gegenüber ambivalent. Sie lehnten eine
17
ÜBERBLICK
Dauerhafte Weichenstellungen
Vermögenslage und Geschäftsführung der
Genossenschaft festgeschrieben. Das Gesetz
erweiterte zudem die Rechte und Pflichten
der Prüfungsverbände hinsichtlich der
Auswertung des Prüfungsergebnisses. Im
Hinblick auf die Erfüllung dieses umfassenden Auft rages verstärkten die Verbände
ihre Betreuungsangebote, da angesichts
wachsender Anforderungen der Rahmen der
Prüfung immer weniger ausreichte.
In der Zeit des Nationalsozialismus erfolgten
einige das Genossenschaftswesen dauerhaft
prägende rechtliche und organisatorische
Veränderungen. Sie ergaben sich primär aus
Entwicklungen, die bereits in der Weimarer
Republik eingesetzt hatten und nicht
ideologisch, sondern ökonomisch begründet
waren. 1934 setzte die Reichsregierung eine
Gebietsbereinigung unter den Regionalverbänden durch. Damit wurden zuvor
bestehende, intern zuweilen heft ig kritisierte
Konkurrenzen innerhalb der ländlichen
(Raiffeisen) bzw. gewerblichen (SchulzeDelitzsch) Genossenschaft sverbände beendet.
In diesem Zusammenhang wurden auch
einige noch bestehende „wilde“ Genossenschaften, die keinem Verband angehört
hatten, eingegliedert oder aufgelöst.
Generell wurde ab Mitte der 1930er-Jahre die
Vereinheitlichung des äußeren Erscheinungsbildes vorangetrieben, um das Markenzeichen „Genossenschaft“ zu stärken. Die
Kreditgenossenschaften des RVR und die des
DGV wurden gedrängt, jeweils eine einheitliche Firmierung anzunehmen: Erstere
sollten sich künft ig als „Raiffeisenbanken“,
Letztere als „Volksbanken“ bezeichnen. 1934
entstand das „Giebelkreuz“ als verbindendes
Zeichen der Raiffeisen-Genossenschaften,
1941 das „V“ der Volksbanken. Im Raiffeisenbereich sollten diese Maßnahmen zur
Vereinheitlichung allerdings erst in den
1970er-Jahren flächendeckend greifen, als
sich der Verbund umfassend neu organisierte
und aus ökonomischen Gründen darauf
drang.
Als eine Konsequenz aus dem Missmanagement von Genossenschaften seit den späten
1920er-Jahren novellierte die Regierung 1934
das GenG. Die neue Fassung stärkte die
Position der Prüfungsverbände erheblich.
Die Mitgliedschaft in einem Verband sowie
die jährliche Prüfung durch denselben
wurden darin für alle Genossenschaft en
zwingend vorgeschrieben. Die Pflicht der
Verbände zur Prüfung ließ sie dazu übergehen, nicht mehr externe Revisoren zu
bestellen, sondern dafür eigene mit dem
Genossenschaftswesen und seiner untrennbaren Verbindung von Prüfung und
Betreuung vertraute Experten zu beschäft igen. Das Bundesverfassungsgericht sollte
2001 grundsätzlich bestätigen, dass die
Pflichtmitgliedschaft sinnvoll, geeignet und
erforderlich ist und den Genossenschaften
zugemutet werden kann.
Weitere grundlegende rechtliche Regelungen der 1930er- und 1940er-Jahre
sorgten dauerhaft für mehr ökonomische
Stabilität. Erstmals wurden obligatorische
Sicherungseinrichtungen geschaffen,
1937 im DGV und 1941 im RVR, die nach
der Währungsreform 1948 wiederbelebt
wurden. Das „Reichsgesetz über das
Kreditwesen“ brachte 1934 erstmals eine
umfassende rechtliche Regelung des
Bankgeschäft s, unter anderem durch eine
obligatorische Risikostreuung sowie der
Pfl icht zur monatlichen Berichterstattung
gegenüber der parallel eingeführten
Bankenaufsicht, zur Meldung von Großkrediten und zur Haltung von bestimmten
Liquiditätsreserven. Diese strengen gesetzlichen Auflagen verstärkten – zunächst in
städtischen Kreditgenossenschaften – die
Tendenz, von der ehren- und nebenamtlichen zur hauptamtlichen Geschäft sführung überzugehen. Spätere Novellierungen
des Kreditwesengesetzes förderten diesen
Trend zusätzlich. Die Banken wurden frühe
Vorreiter einer schließlich das gesamte
direkte Mitgliedschaft der jüdischen
Genossenschaftsbanken zwar ab, zeigten sich
aber aufgeschlossen, den parallel gegründeten jüdischen Prüfungsverband aufzunehmen. Nationalsozialistische Behörden
verhinderten dies. Das Reichswirtschaft sministerium löste die jüdischen Genossenschaftsbanken 1938 auf.
Anders als bei der aktienrechtlichen Prüfung
wurde die genossenschaft liche nicht auf eine
bloße Bilanzprüfung begrenzt, sondern auf
eine Prüfung der gesamten Einrichtung,
18
Genossenschaft swesen erfassenden
Professionalisierung.
Rasche Reorganisation
nach Kriegsende
Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939–1945)
standen Genossenschaften wie die gesamte
deutsche Gesellschaft vor einem Scherbenhaufen. Genossenschaft lichen Einrichtungen, sofern sie überhaupt noch existierten, fehlten Mitglieder, von denen viele
im Krieg gefallen waren. Vor allem in den
Städten waren Geschäft sgebäude oft ganz
oder teilweise zerstört und das Geldvermögen der Mitglieder war weitgehend vernichtet. Die rasch einsetzende deutsche Teilung
zerstörte zudem die Verbandsstrukturen. In
den vier Besatzungszonen wurde das
Genossenschaft srecht unterschiedlich
defi niert. Die amerikanische Militärregierung hob die Pfl ichtmitgliedschaft von
Genossenschaften in Prüfungsverbänden
auf. Sie wurde erst bis 1950 wieder flächendeckend eingeführt.
Doch in der schwierigen Nachkriegssituation bewährten sich genossenschaft liche
Prinzipien der gemeinschaft lichen Selbsthilfe und die langjährige Erfahrung im
Meistern von Krisen. Allerorten begann der
Wiederaufbau. Im Westen nutzten Verbände
und Zentralinstitutionen die wiedergewonnene Freiheit, um sich auf allen Ebenen zu
reorganisieren. An der Spitze standen meist
erfahrene Genossenschafter. Die als sinnvoll
erachteten Strukturen mit zwei Spitzenverbänden und jeweils einheitlichen Regionalverbänden wurden beibehalten. Bald
nahmen die ländlichen und gewerblichen
Regionalverbände ihre Arbeit wieder auf.
1948 gründete sich der Deutsche Raiffeisenverband e.V. (DRV) als Nachfolger des RVR,
ein Jahr später folgte der Deutsche Genossenschaft sverband (Schulze-Delitzsch) e.V. als
Neugründung des „alten“ DGV. Beide
verlegten ihre Sitze bald von Wiesbaden
nach Bonn.
Auch mehrere bis heute wichtige Verbundunternehmen konstituierten sich bis 1949
neu oder wieder. Dazu gehörten der Zentralverband des Genossenschaftlichen Groß- und
Außenhandels e.V., aus dem später der
Zentralverband der Genossenschaftlichen
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Währungsumtausch 1948 in einer Geschäftsstelle der Berliner Volksbank.
Großhandels- und Dienstleistungsunternehmen e.V. (ZENTGENO), Bonn, und noch
später der Zentralverband Gewerblicher
Verbundgruppen e.V. (ZGV) hervorging, und
die Deutsche Raiffeisen-Warenzentrale
GmbH, Frankfurt am Main, als Bundeszentrale der Raiffeisen-Hauptgenossenschaften.
Als Zentralbank in der Nachfolge der
Preußenkasse wurde in Frankfurt am Main
die Deutsche Genossenschaftskasse errichtet,
später umbenannt in DG Bank, aus der nach
mehreren Fusionen und Strukturveränderungen 2001 die DZ Bank hervorging. Sie
und die WGZ Bank AG, Westdeutsche
Genossenschafts-Zentralbank, Düsseldorf,
sind heute die beiden Zentralbanken des
deutschen Genossenschaftswesens, in denen
alle regionalen Vorgängerinnen aufgingen.
Die Bausparkasse der deutschen Volksbanken und später auch der Raiffeisenbanken
wurde von Berlin nach Schwäbisch Hall
verlegt. Sie heißt heute Bausparkasse
Schwäbisch Hall AG und operiert als Teil der
DZ BankGruppe inzwischen auch am
internationalen Markt erfolgreich. Ebenfalls
aus Berlin kam die Gruppe der Raiffeisenversicherungen nach Westdeutschland. Über
einen Umweg verlegte sie 1948 – von da ab
als Raiffeisendienst Versicherungsgesellschaften firmierend – ihren Sitz nach
Wiesbaden. 1958 schloss das Unternehmen
einen Rahmenvertrag mit den gewerblichen
Zentralkassen und etablierte sich in der
netzwerk 12/09
Folgezeit als zentrale Versicherungsgruppe
der Kreditgenossenschaften. Seit 1973
firmiert sie unter dem Namen R+V Versicherung AG; ihre Leistungspalette weitete sie
inzwischen kräft ig aus.
Das rasch wieder betriebsbereite Verbandsund Verbundsystem bildete das Dach für
genossenschaft liche Betätigung in der 1949
aus den drei Westzonen konstituierten
Bundesrepublik Deutschland. Die Währungsreform 1948 legte eine entscheidende
Basis für die rasche ökonomische Erholung
Westdeutschlands. Im „Wirtschaft swunder“
setzte ein Boom an genossenschaft lichen
Wieder- und Neugründungen ein. Einen
wichtigen Beitrag leistete das Genossenschaftswesen zur Integration der vielen
Flüchtlinge und Heimatvertriebenen, die
mittels eigener Kredit-, Fischerei- und
anderen Genossenschaften zur Selbsthilfe
griffen und dabei in den Verbänden oft
tatkräft ige Unterstützung fanden. Bis 1960
wuchs die Gesamtzahl der westdeutschen
Genossenschaften auf über 27.000 an.
Doch Wandel blieb auch in der lang
anhaltenden Phase ökonomischer Prosperität ein zentrales Merkmal der genossenschaft lichen Entwicklung. Manche der
neuen Primärgenossenschaften, wie Orts-,
Lokal- und Einzelhandelsgenossenschaft en
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privater Bausparkassen.
19
ÜBERBLICK
schaften (Zentralgenossenschaften,
Zentralgeschäft sstellen) genannt wurden,
bestanden nur wenige Jahre. Die nach dem
Zweiten Weltkrieg gegründeten Tiefgefrierund Wäschereigenossenschaften wurden
bald von Kühltruhe und Waschmaschine
abgelöst.
Abweichende Entwicklung
in der DDR
Nach Kriegsende trennten sich die genossenschaft lichen Wege in Ost und West.
Politische Entscheidungen durchkreuzten
die Bemühungen in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone, Genossenschaften
und Verbände nach altem demokratischen
Vorbild wieder Leben einzuhauchen. Der
„Kongress der ländlichen Genossenschaft en
Deutschlands“ 1949 in Ost-Berlin leitete
ihre Umwandlung bzw. Auflösung ein. Das
GenG blieb zwar prinzipiell gültig, aber ab
1950 verloren die Genossenschaften in der
DDR ihren von Schulze-Delitzsch bzw.
Raiffeisen geprägten Charakter. Sie wurden
in das sozialistische System, das Planwirtschaft an die Stelle des marktwirtschaftlichen Wettbewerbes setzte, eingeordnet
und entsprechend politisch ausgerichtet.
Ein auch sinnbildlicher Abschluss dieser
Entwicklung war 1974 die Umwandlung
der Genossenschaftsbanken zu Genossenschaft skassen infolge der neuen sozialistischen Verfassung der DDR: Sie waren
damit auch formal kein Eigentum ihrer
Mitglieder mehr.
Die Bäuerlichen Handelsgenossenschaften
(BHG), die aus den 1945 zunächst wieder
zugelassenen Raiffeisengenossenschaften
hervorgegangen waren, verschmolzen 1950
auf Anordnung der Behörden mit der
Massenorganisation Vereinigung der
gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB). Bis 1951
gingen die regionalen Raiffeisenverbände
ebenfalls in der VdgB auf. Die regionalen
Verbände der ehemaligen gewerblichen
Genossenschaft sinstitute wurden in einem
zentralen Prüfungsverband vereinigt. Dieser
war für die Prüfung der Genossenschaft skassen für Handwerk und Gewerbe
zuständig. Mit dem Bau der Mauer in Berlin
1961 zerrissen auch die letzten persönlichen
Verbindungen zwischen ost- und westdeutschen Genossenschaften.
20
Modernisierung im Wachstum
Längst tätigten die Genossenschaft en nicht
mehr aus der „guten Stube“ heraus ihre
Geschäfte, sondern aus angemieteten
Büroräumen und zunehmend auch aus
eigenen Geschäftsgebäuden. In der Bundesrepublik Deutschland florierten sie dank
stabiler politischer Rahmenbedingungen
und des beispiellosen ökonomischen
Aufschwungs mit hohen Wachstumsraten
zwischen 1950 und 1974. Ein neuer und
breiter Mittelstand bildete sich heraus,
Lebensgewohnheiten veränderten sich. Das
Medium Fernsehen trat seinen Siegeszug an.
Das ehemals agrarisch geprägte Land wurde
nicht nur zügig weiter industrialisiert,
sondern verwandelte sich mehr und mehr
auch in eine Dienstleistungsgesellschaft .
Der zunehmende Einsatz moderner Technik
führte zu Produktivitätssteigerungen in fast
allen ökonomischen Bereichen. Umfangreiche Investitionen wiederum führten zu
einer starken Nachfrage nach Bankkrediten.
Die einsetzende Technisierung der Landwirtschaft etwa, beginnend mit dem flächendeckenden Einsatz von Traktoren, war
insbesondere für Raiffeisenbanken eine
Herausforderung.
Zunehmende Größe und steigende Buchungsarbeit ließen besonders in den Kreditgenossenschaften Wünsche nach Konzentration
und Rationalisierung reifen. Bereits Ende der
1950er-Jahre überlegten einige Banken,
Buchungsgemeinschaften zu bilden. 1964 kam
mit der Lochkartenverarbeitungsmaschine
eine geeignete Technik auf den Markt. Im
gleichen Jahr entstand in Kassel das erste
genossenschaft liche Rechenzentrum auf
regionaler Ebene. In den darauffolgenden
Jahren entstanden zahlreiche regionale
Datenverarbeitungsgesellschaften. Anfang der
1970er-Jahre hielt die elektronische Datenverarbeitung (EDV) Einzug. Die zunehmende
Automatisierung des Bankgeschäfts, der sich
beschleunigende technologische Wandel und
komplexer werdende Herausforderungen
ließen viele regionale Institute zusammenrücken. Mit den ersten Schritten hin zum
Onlinebanking in den 1990er-Jahren forcierte
sich der Konzentrationsprozess der Rechenzentralen. Bis 2001 reduzierte sich ihre Zahl
auf vier. Heute existieren mit der Karlsruher
FIDUCIA IT AG und der in Münster ansässigen GAD eG noch zwei Rechenzentralen
bzw. IT-Dienstleister für die Volksbanken und
Raiffeisenbanken.
Von der Fachberatung zur
Strategieberatung
Interne Veränderungen in der genossenschaft lichen Verbandsarbeit erfolgten
natürlich stets, wenn neue Gesetze oder
Gesetzesnovellen es notwendig machten. Für
einen Kernbereich der Verbandsprüfungsleistungen, der Prüfung der Banken, legte das
Kreditwesengesetz von 1961 nun ausdrücklich die Abschlussprüfung in wesentlichen
Bereichen des Bankbetriebes, eine Organisationsprüfung, die Kreditprüfung und die
Prüfung der wirtschaft lichen Verhältnisse
des Instituts fest. Infolge solcher Modifi kationen, die ohnehin dem genossenschaft lichen
Selbstverständnis entsprachen, verstärkten
die Verbände präventive Aspekte in der
Prüfungs- und Beratungstätigkeit. Ein
Akzent verbandspolitischer Strategie war
es nunmehr, schädliche Entwicklungen
rechtzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken.
Aus der Fachberatung in Rechnungs-, Bilanzierungs-, Steuer- und Rechtsfragen wurde
die ganzheitliche Strategieberatung.
Gleichzeitig erhöhten immer größere
und komplexer aufgebaute Primärgenossenschaften die qualitativen Anforderungen
an die Kompetenz der Berater. Vor diesem
Hintergrund entstanden Organisations-,
Personal-, Controlling- und Marketingberatungsabteilungen in den
Verbänden.
Die Prüfungstechniken der Verbände
veränderten sich grundlegend. Die bis dato
manuell durchgeführten Einzelfallprüfungen
wurden in den 1970er-Jahren zunehmend auf
EDV übertragen. Dabei mussten Grundlagen
zur Durchführung von Systemprüfungen
entwickelt werden, die durch Einzelfall- und
Globalprüfungen ergänzt werden.
Da der Gesetzgeber auf eine Trennung von
Prüfung und Beratung hinwirkte, entwickelten die Regionalverbände organisatorisch
selbstständige Abteilungen. Beratung ist
heute ein eigenständig angesetztes Instru-
netzwerk 12/09
ÜBERBLICK
die Bedürfnisprüfung für Bank- und
Zweigstellengründungen auf. Die Folge war
ein Boom von Filialgründungen. Bis 1978
wuchs die Zahl der Zweigstellen von
Kreditgenossenschaften von etwa 2.400 auf
knapp 15.000. Aber es gab auch eine
Kehrseite: Mit Aufhebung der Bedürfnisprüfung entstand erstmals im ländlichen Raum
eine nennenswerte Konkurrenz. Sparkassen
und einige Privatbanken schufen ebenfalls
ein breites Niederlassungsnetz. Als 1967 die
staatliche Zinsbindung aufgehoben wurde,
verschärfte sich nicht nur der Wettbewerb
gegenüber anderen Bankgruppen, sondern
auch unter den Kreditgenossenschaften. Der
Professionalisierungsdruck für Genossenschaftsbanken nahm zu.
Das Erscheinungsbild vieler Kreditgenossenschaften (Mitte) änderte sich im Zuge umfassender Modernisierungen ab
den 1960er-Jahren stark. Im Mittelpunkt aller Veränderungen blieben die Mitglieder und Kunden, auch die ganz jungen,
ob am Kinderschalter der 1950er-Jahre (oben) oder in der Spielecke (unten links) zwei Jahrzehnte später.
ment, wenngleich natürlich die individuelle
Beratung von Genossenschaften nach wie vor
am Prüfungsergebnis anknüpft .
Strukturreform als
historische Zäsur
Bis Anfang der 1970er-Jahre erfolgten durch
die Verfassungsorgane der Bundesrepublik
Deutschland eine Reihe von ordnungspolitischen Entscheidungen, die auf eine
Liberalisierung des Wettbewerbs zielten.
Mehr und mehr wurden Genossenschaften in
die Körperschaftsteuer einbezogen und
damit anderen Marktteilnehmern gleichgestellt. 1958 hob das Bundesverfassungsgericht
netzwerk 12/09
Vor diesem Hintergrund verschmolzen 1972
die beiden Spitzenverbände DGV und DRV
zum Deutschen Genossenschafts- und
Raiffeisenverband e.V. (DGRV). Damit
bildeten die beiden genossenschaft lichen
Traditionsstränge von Raiffeisen und
Schulze-Delitzsch erstmals eine organisatorische Einheit. Unter dem Dach des DGRV
formierten sich drei spartenspezifische
Bundesverbände: der Bundesverband der
Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken
e.V. (BVR), der Deutsche Raiffeisenverband
e.V. (DRV) und der Zentralverband Gewerblicher Verbundgruppen e.V. (ZGV). Später
kam noch der Zentralverband deutscher
Konsumgenossenschaften e.V. (ZdK) hinzu.
Der DGRV und die Bundesverbände
repräsentieren seither – mit Ausnahme der
Wohnungsbaugenossenschaften – die
genossenschaft liche Bewegung Deutschlands
auf nationalem und internationalem Parkett
und treten als Lobby im politischen Raum
auf.
Als hätten die Verantwortlichen es geahnt,
dass ohnehin bald wieder generell schwierigere Zeiten anbrechen würden, fiel die
größte und bedeutendste Strukturreform in
der genossenschaft lichen Verbandsgeschichte
zusammen mit dem jähen Ende der ökono-
21
ÜBERBLICK
mischen Nachkriegsprosperität. Die Ölkrise
1973/74 bescherte den westlichen Industriestaaten inklusive der Bundesrepublik
Deutschland eine tiefe Zäsur. Danach erzielte
die Bundesrepublik Deutschland nur noch
vergleichsweise gemäßigte Wachstumsraten.
Durch die Überwindung der historischen
Trennung zwischen Raiffeisen- und SchulzeDelitzsch-Organisationen setzten die
Verbände ein Zeichen, die genossenschaftliche Bewegung künft ig mit konzentrierter
Kraft voranzubringen. Inzwischen fusionierten nahezu alle der zuvor parallel
arbeitenden Regionalverbände beider
Traditionslinien.
Ausbau des genossenschaftlichen Verbundsystems
Eine Ursprungsidee der Gründung von
Genossenschaften ist, dass die Gemeinschaft
Leistungen erbringt, die ein Einzelner nicht
vollbringen kann. Bereits in der Zeit der
Weimarer Republik waren zentrale Einrichtungen entstanden, um diesen Gedanken
auf Verbundebene zu realisieren. Aus
Versicherungsvermittlungen der damaligen
Verbände entwickelte sich die heutige R+V
Versicherung AG. Sie deckt den kompletten
Versicherungsbereich ab. 1921 gründete die
Preußenkasse in Berlin die Deutsche
22
Genossenschaft s-Hypothekenbank AG, die
mit ihren Pendants, der Münchener
Hypothekenbank eG und der WL Bank AG
längst zu den Marktführern in ihren
Tätigkeitsgebieten gehört. 1956 entstand in
Frankfurt die Union-Investment-Gesellschaft, die bis heute sehr erfolgreich über die
Volksbanken und Raiffeisenbanken eine
breite Palette an Aktien- und Rentenfonds
anbietet. Die erwähnte Bausparkasse
Schwäbisch Hall und die DG Bank (heute:
DZ Bank) sowie die 1970 aus der Kölner und
zwei Münsteraner Zentralkassen gebildete
Westdeutsche Genossenschafts-Zentralbank
eG (WGZ Bank, heute eine AG) komplettierten das Ensemble der führenden
genossenschaft lichen Zentralinstitute.
Zudem differenzierte sich das Verbundsystem immer mehr aus. Mit Blick auf das
wachsende Fondsgeschäft wurden 1965 die
Deutsche Immobilienfonds AG (DIFA) und
1970 die Spezialfondsgesellschaft Deutsche
Gesellschaft für Investment-Fonds GmbH
(DEVIF) in Frankfurt gegründet. Seit 2001
sind die Kapitalanlagegesellschaften Union
Investment, DEVIF und DIFA unter dem
Dach der Union-Fonds-Holding AG
gebündelt. Insgesamt entstand ein sich
dynamisch entwickelndes, leistungsstarkes
Verbundsystem, das die Primärgenossen-
schaften bei der Erfüllung ihrer Aufgaben
wirkungsvoll fördert und unterstützt. Seit
1972 ist die VR Leasing Teil des genossenschaft lichen FinanzVerbundes. Sie ist ein
großer Spezialanbieter für mittelstandsorientierte Finanzierungslösungen in Deutschland und Europa und gehört der DZ Bank
Gruppe an.
Unter dem Dach des DGRV agieren heute die
genannten vier Bundesverbände sowie sechs
Regional- und sechs Fachprüfungsverbände,
22 Zentralunternehmen und Spezialinstitute
auf Bundesebene und 34 Regionalzentralen
einschließlich deren Tochterunternehmen.
5.300 genossenschaft liche Unternehmen und
16,6 Millionen Mitglieder sind im genossenschaft lichen Verbund organisiert. Inzwischen
sind die Verbundunternehmen selbst zu
einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. 2008 boten sie rund 400.000 Menschen
einen Arbeitsplatz und bildeten weitere
35.000 aus. Der genossenschaft liche Verbund
ist damit die mit Abstand mitgliederstärkste
Wirtschaftsorganisation in Deutschland.
Schaffen eines
leistungsstarken genossenschaftlichen Netzwerkes
Bei den Primärgenossenschaften setzte in
den 1970er-Jahren ebenfalls ein Fusionsprozess ein, der bis heute anhält. Aufseiten der
Banken erhöhten zunächst die
flächendeckende Einführung der
bargeldlosen Lohnzahlung
und weitere gesetzliche
Änderungen den Wettbewerbsdruck. Die Auffassung Schulze-Delitzschs,
dass das Nichtmitgliedergeschäft ein
Ergänzungsgeschäft
bleiben müsse, das nicht
gegen das Selbsthilfeprinzip verstoßen darf, hatte die
Haltung der genossenschaftlichen Organisationen über
100 Jahre geprägt. Im Bankengeschäft wurde mit dem Änderungsgesetz zum GenG 1973, Artikel 1,
das Nichtmitgliedergeschäft nun freigegeben. Dies schloss die Entwicklung der
Genossenschaft sbanken hin zu Universalbanken ab. Drei Jahre später wurden im
netzwerk 12/09
ÜBERBLICK
Rahmen einer Novellierung des Kreditwesengesetzes hauptamtliche Leiter für sie
festgeschrieben und das „Vier-AugenPrinzip“ eingeführt. Ein höherer Professionalisierungsgrad war nun unausweichlich.
In der Folge minderte sich unter anderem
die Zahl der Genossenschaft en, die sowohl Bank- als auch Warengeschäfte
betrieben.
Als ein erfolgreicher Weg, im härter
gewordenen Wettbewerb zu bestehen,
erwies sich die Verschmelzung von Kreditgenossenschaften zu größeren und leistungsfähigeren Einheiten. Die Verbände
förderten diesen Prozess nachdrücklich,
wobei sie das Erzielen von Synergieeffekten
in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten
rückten. Zur Jahrtausendwende proklamierte der BVR die Bündelung der Kräfte:
„Ein Markt – eine Bank“, was auch auf eine
verbesserte Zusammenarbeit im genossenschaft lichen FinanzVerbund zielte. Gab es
1972 noch 5.753 Genossenschaft sbanken, ist
der BVR mit heute 1.232 seinem Ziel von
800 leistungsfähigen Einheiten sichtbar
näher gekommen.
Parallel veränderten der fortdauernde
Strukturwandel in der Landwirtschaft und
die europäische Agrarpolitik mit ihrer
Mischung aus Restriktionen und Liberalisierungen die Bedingungen für die Raiffeisen-Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften erheblich. Höherer Kostendruck,
steigende Umweltaufl agen und ständige
Anpassungen an sich immer weiter öff nende
Märkte forderten diese Sparte heraus. Im
Rahmen des Abschlusses des Allgemeinen
Zoll- und Handelsabkommens (GATT)
wurde in den 1990er-Jahren die EU-Agrarreform abgesichert und der weltweite
Handel weiter liberalisiert. Dieser Trend
hält an. Für 2015 ist eine vollständige
Abschaff ung der Produktionsbegrenzung in
der Milchwirtschaft (Quotenregelung)
vereinbart.
Vor diesem Hintergrund vollzog sich im
Raiffeisensektor ebenfalls ein Konzentrations- und Neuformierungsprozess. Die
Zahl von knapp 9.000 Primärgenossenschaften 1970 hat sich inzwischen auf rund
3.000 reduziert, inklusive der in den
1990er-Jahren neu hinzugekommenen
netzwerk 12/09
Die Bausparkasse Schwäbisch Hall (oben ein Beratungsgespräch in einer Filiale) und die DG Bank (hier der Handelsbereich in den 1970er-Jahren) avancierten schon bald nach ihrer Gründung zu Stützen des genossenschaftlichen
Verbundes. 2001 übernahm die DZ Bank die Rolle der DG Bank als führende Zentralbank des Genossenschaftswesens.
Genossenschaften in Ostdeutschland. Die
effektive Zusammenarbeit im Verbund
wurde immer wichtiger. Neue Verbundunternehmen auf dem Gebiet der Vermarktung von Molkereiprodukten, von Vieh und
Fleisch, von Obst und Gemüse sowie von
Fischen entstanden. Parallel wurden
bestehende Zentralen optimiert und zu
wettbewerbsfähigen Einheiten zusammengefasst. Von den 13 landwirtschaft lichen
Hauptgenossenschaften aus dem Jahre 1950
sind heute noch fünf Raiffeisen-Hauptgenossenschaften (RHG) übrig geblieben.
Waren sie früher nur Großhändler, treten
sie heute als Groß- und Einzelhändler auf.
Die RHG kooperieren inzwischen mit
internationalen Partnern und fördern das
Exportgeschäft ihrer Mitglieder.
Von der Werbung zur
Unternehmenskommunikation
Überregionale gemeinschaftliche Werbung
von Genossenschaften begann bereits in der
Weimarer Republik. Ein frühes Beispiel sind
23
ÜBERBLICK
Filmen auftraten, um für den Genossenschaftsgedanken intensiv zu werben. Immer
wenn es um spezielle Werbung ging, wurden
Arbeitskreise berufen, zum Beispiel für
Unterrichtsmaterial an Schulen oder für den
Raiffeisen-Taschenkalender.
Ab 1961 gründeten sich Bezirkswerbegemeinschaften. Bald wurden regionale
Werbefonds eingerichtet, später Werbebeiräte – zunächst von Banken – etabliert. Bis
zur Zusammenführung der ländlichen und
gewerblichen Genossenschaftsorganisationen behandelte ein Unterausschuss für
Öffentlichkeitsarbeit und Werbung des DRV
bankwirtschaft liche und warenwirtschaftliche Themen. Ab 1972 übernahm der BVR
die Werbung für die gesamte genossenschaft liche Kreditwirtschaft . Der DRV
betreute danach die Öffentlichkeitsarbeit
für die ländlichen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften über zwei Unterausschüsse. Nur der BVR richtete einen
zentralen Werbefonds ein. Für die Warenwirtschaft gründeten sich einige regionale
Werbefonds.
Die Pressereferenten in den Regionalverbänden betreuten regionale Mitteilungsblätter.
Versuche, die Mitteilungsblätter zu zentralisieren, blieben ohne Resonanz. Das „GenossenschaftsForum“, das ab 1972 aus der
„Raiffeisen Rundschau“ des DRV und aus
den Blättern für das Genossenschaftswesen
entstanden war, wurde 1991 mit der
„BankInformation“ des BVR als Spitzenorgan vereinigt.
Von Wilhelm Haas mitinitiiert war „Der Fortschritt“, eine der ersten Fachzeitschriften zum genossenschaftlichen
Gedanken- und Meinungsaustausch in Deutschland. Viele Jahre führten auch der „Genossenschafts-Kurier“
oder der „dialog“ diese Tradition fort. Verbandsorgan im Geschäftsgebiet heute ist das Magazin „netzwerk“.
die zentral gesteuerten Werbeaktivitäten zum
1924 international eingeführten Weltspartag
der Banken. Nach dem Zweiten Weltkrieg
intensivierten sich die Bemühungen für
Gemeinschaftswerbung. Ab 1952 begannen
Gewinnsparvereine sich erfolgreich in Szene
zu setzen. Das Gewinnsparen eröffnete die
Möglichkeit, durch öffentliche Auslosungen
besondere Werbeakzente zu setzen.
Bald wurde Werbung und Öffentlichkeitsarbeit eine Domäne der Verbände, die dafür
eigens Mitarbeiter abstellten. Die Verbände
24
richteten einen Plakatdienst ein und gaben
Werbe-Abonnements aus. Bis in die 1960erJahre hinein ging es vorrangig um klassische
Werbeaktivitäten. Die Werbeleiter der
Regionalverbände hatten verschiedene
Vorbildungen. Einige kamen aus dem
Prüfungsdienst, andere waren in der genossenschaft lichen Praxis oder im Pressewesen
tätig. Mit ansteckender Begeisterung, so
belegen zahlreiche Schilderungen, besuchten
die Werbeleiter dörfliche Abendveranstaltungen und Generalversammlungen, wo sie
mit Vorträgen, später auch mit Diashows und
Spätestens in den 1970er-Jahren veränderte
sich der Charakter von Öffentlichkeitsarbeit und Werbung. Die Zusammenarbeit
mit Marktforschungsinstituten wurde
intensiver. Ausstellungen zeigten nicht
mehr nur eigene Produkte, sondern
widmeten sich verstärkt aktuellen gesellschaft lichen Themen. Marketingmethoden
hielten Einzug. Die Genossenschaft sbanken
riefen 1970 den Internationalen Jugendwettbewerb ins Leben, der zu einem
dauerhaften Erfolg im Schwerpunkt
Jugendmarketing avancierte. Große
regionale Schlussveranstaltungen bieten
jährlich die Gelegenheit, genossenschaftliche Leistungen einer breiten Öffentlichkeit
zu präsentieren. Heute tragen 21.000
netzwerk 12/09
ÜBERBLICK
Genossenschaft sbanken in sieben europäischen Ländern den Wettbewerb mit seinen
rund 1,5 Millionen teilnehmenden Schülerinnen und Schülern.
Die Spitzenverbände trieben den Trend,
Genossenschaften als moderne, weltoffene
Unternehmen darzustellen, weiter voran. So
gründete der BVR einen Fachausschuss
Marketing, der Grundsätze für die Werbung
und Öffentlichkeitsarbeit seiner Mitglieder
entwickelte. Mit der 1988 eingeführten
Kommunikationsstrategie „Wir machen den
Weg frei“ präsentierte er erstmals eine
einheitliche Konzeption im Bundesgebiet
für Genossenschaft sbanken. Sie wurde ein
riesiger Erfolg. Volksbanken und Raiffeisenbanken werden in der Öffentlichkeit
inzwischen sehr viel mehr als Einheit
wahrgenommen. Eine ähnliche Konzeption
wies die 1993 gestartete Imagekampagne des
DRV „Wir öff nen Märkte“ auf. Der neue,
bundesweit einheitliche Slogan war auch
eine Reaktion auf die Herausforderungen
durch die europäische Agrarpolitik, die die
Wettbewerbssituation in diesem Sektor
verschärfte. Regionale Marketinggemeinschaften unterstützen inzwischen Genossenschaften in der Umsetzung und Entwicklung von strategischer Werbung und
Unternehmenskommunikation. Seit den
1980er-Jahren signalisieren viel beachtete
regionale und überregionale Wirtschaft sforen verstärkt die enge wirtschaft spolitische
Verbundenheit des Genossenschaft swesens
mit ihrem traditionellen Bündnispartner
Mittelstand.
Bewährung
in der deutschen Vereinigung
Am 9. November 1989 fiel die Berliner
Mauer. Noch im selben Monat, als Dynamik
und Tiefe der politischen Umwälzung in der
DDR allenfalls zu erahnen, aber nicht klar
abzuschätzen waren, trafen sich Vertreter
westdeutscher Genossenschaftsverbände
und der DG Bank mit Repräsentanten der
Genossenschaft skassen der DDR zu einem
ersten Sondierungsgespräch. Auf dem
Bankensektor war der
ostdeutsche Markt von
Beginn an hart
umkämpft . Ostdeutschen Genossenschaften
lagen früh Joint-Venture-Angebote westdeutscher Kreditbanken
und internationaler
Banken vor. Frühe
persönliche Kontakte
zwischen ost- und
westdeutschen Genossenschaftern bildeten
eine wichtige Basis für
die bald intensive
Unterstützung zum
Wiederaufbau eines
zukunft sfähigen
ostdeutschen Genossenschaft swesens.
Zu den erfolgreichsten Kampagnen überhaupt zählt die vom BVR 1988 entwickelte
Kommunikationsstrategie „Wir machen den Weg frei“.
netzwerk 12/09
Im Frühjahr 1990 stellten
die letzten beiden
Regierungen der DDR
legislative Weichen für
einen genossenschaftlichen Neuanfang. Die
Massenorganisation
VdgB wurde aufgelöst,
der Bauernverband der DDR trat an ihre Stelle.
Die Genossenschaften der DDR erhielten ihre
unternehmerische Eigenständigkeit zurück
und wurden wieder an das mitgliedschaftliche
Förderungsprinzip gebunden. Die Volkskammer der DDR begrenzte den zeitlichen Rahmen für den notwendigen Wandel sehr und
forcierte so die Entwicklung. Das Landwirtschaftsanpassungsgesetz vom Sommer 1990
bestimmte, dass sich bis zum 31. Dezember
1991 jede Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) umgewandelt haben
musste.
Verbundinstitute wie etwa die R+V
Versicherung, die Bausparkasse Schwäbisch
Hall und die Deutsche Genossenschaft sHypothekenbank begannen parallel, ihre
Vertriebsstrukturen nach Ostdeutschland
auszuweiten. Das Engagement der DG Bank
und der genossenschaft lichen Regionalund Bundesverbände – insbesondere der an
Ostdeutschland angrenzenden Regionalverbände – war außerordentlich groß.
Die solidarische Unterstützung durch
alle Ebenen des genossenschaft lichen
Verbundes in Form von Patenschaften,
Solidarfonds und großem persönlichen
Einsatz von Genossenschaftern trug
wesentlich dazu bei, dass in den neuen
Bundesländern eine grundlegende Modernisierung des Genossenschaft swesens in nur
wenigen Jahren gelang. Ihre westdeutschen
Pendants hatten dafür mehrere Jahrzehnte
Zeit gehabt.
Entstehung der Prüfungsverbände in Ostdeutschland
Im März 1990 gründete sich der Raiffeisenverband der DDR e.V., Berlin. Wenig später
entstanden in Anlehnung an frühere
Strukturen auch sieben neue regionale
Raiffeisenverbände. Die anfangs erwogene
Beibehaltung einer zentralen Verbandslösung für Ostdeutschland scheiterte
allerdings. Ostdeutsche Vertreter
misstrauten jedweder Neuaufl age einer
25
ÜBERBLICK
ber 1990 unmissverständlich klar, dass
ostdeutschen Verbänden
das Prüfungsrecht für
Kreditgenossenschaften
wegen mangelnder
Qualifi kation nicht
erteilt werden könnte.
Mit Ausnahme der
sächsischen Entwicklung, wo durch das
Engagement der
Genossenschaft sverbänGemeinsam
stark
de in Bayern, Baden und
Württemberg eine
eigenständige VerbandsDer Verband und
Web 2.0
lösung begünstigt wurde,
Mitte Oktober startete der Genossenschaftsverband einen neuen Internetfavorisierten die
auftritt. Neben einem öffentlich zugänglichen Bereich, der den Verband und seine
Genossenschaften mit
Mitglieder nach außen hin präsentiert
und u.a. einen Schwerpunkt beim Thema
Genossenschaftsgründung setzt, stehen
ihren Verbänden in
Ihnen in einem geschlossenen Mitgliederbereich zahlreiche neue Angebote und
Funktionalitäten zur Verfügung:
Mecklenburg-VorpomPersonalisierter und damit übersichtlicher
Zugriff auf für Sie relevante Inhalte
mern, Sachsen-Anhalt,
Möglichkeit, sich das Mitgliederportal Ihren
individuellen Bedürfnissen anzupassen.
Brandenburg und
Integrierter Zugriff auf Informationen des
Verbandes und der beiden Altverbände
Online-Unterstützung von Projekten und
Thüringen die VerbinGremienarbeit
Individuelle Online-Kommunikation mit
dung mit den westlichen
dem Verband
www.genossenschaftsverband.de
Anrainerverbänden. Das
bis dato praktizierte
Regionalprinzip wurde
Der neue Web-Auftritt 2.0 des Verbandes.
dabei zum Anrainerprinzip erweitert. Mit dem Umzug der Bundeszentralistischen Organisationslösung.
regierung verlegten DGRV, BVR und ZGV
Zudem lag ostdeutschen Genossenschaftern
ihren Sitz nach Berlin, der DRV errichtete
viel daran, nicht einfach nur angeschlossen
dort eine Hauptstadtniederlassung.
zu werden, sondern eigenständige Entscheidungen zu treffen. Der zentrale PrüfungsAus politischen und ökonomisch-pragmaverband für die gewerblichen Kreditinstitischen Überlegungen fusionierten die
tute existierte zunächst weiter, wurde aber
Raiffeisenverbände Mecklenburg-Vorpomwirtschaft lich praktisch überflüssig, da sich
merns und Sachsen-Anhalts bis 1994 mit
die meisten Genossenschaft skassen für
ihren jeweiligen westlichen NachbarverbänHandwerk und Gewerbe nach ihrer
den. Die Raiffeisenverbände Brandenburgs
Umwandlung in Genossenschaft en – in der
und Thüringens lösten sich bald wieder auf,
Regel unter der Firmierung Volksbanken
wobei Westverbände deren Aufgaben – teil– direkt den Prüfungsverbänden der
weise auf vertragliche Vereinbarungen
angrenzenden westlichen Bundesländer
gestützt – übernahmen. Der auf zwei neu
anschlossen.
gegründeten sächsischen Raiffeisenverbänden basierende Mitteldeutsche GenossenDie völlig neue Ausrichtung des genossenschaftsverband (Raiffeisen/Schulze-Delitzsch)
schaft lichen Prüfungswesens gehörte zu den
e.V., Dresden, besteht bis heute eigenständig
nächsten Aufgaben. Frühe Paten- und
fort.
Partnerschaften von westdeutschen
Regional- und Bundesverbänden bildeten
Im Laufe der deutsch-deutschen Vereinigung
die Grundlage für den raschen und
wurde aber rasch deutlich, dass die genossenflächendeckenden Wiederaufbau. Das
schaft liche Kultur nicht in allen Bereichen
Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen
einfach nach westdeutschem Modell
BAKred (heute: BaFin) stellte noch vor dem
reproduziert werden konnte. Im genossenVollzug der deutschen Einheit am 3. Okto-
Ihr
Verband
2.0
neu
26
schaft lichen Miteinander entwickelten sich
spezifische ostdeutsche Varianten wie die
Agrargenossenschaften, die Handelsgenossenschaften und die gewerblichen Produktivgenossenschaften. Besonders die Agrargenossenschaften wurden zu einem – viele
überraschenden – neuen Erfolgsmodell in der
Genossenschaftslandschaft. Es stieß danach
in den neuen östlichen Mitgliedsstaaten der
EU auf reges Interesse. Die 872 Agrargenossenschaften sind heute fest integriert in den
Regionalverbänden und ein wichtiger Faktor
im DRV. Diese werden zu einem großen Teil
vom Genossenschaftsverband e.V. betreut.
Frühe Präsenz im Internet
Eine weitere, völlig neue Herausforderung
erwuchs durch die zunehmend digitale
Kommunikation. Sie startete ihren Siegeszug
nach der Einführung des World Wide Web,
kurz www, 1993. Was mit Übertragungen von
Dateien und dem Austausch von elektronischer Post, den E-Mails, anfing, hat sich
inzwischen durch Telefonie, Radio und
Fernsehen zu einer komplexen virtuellen Welt
mit wachsender ökonomischer Bedeutung
entwickelt.
Kurz nach Einführung des Internets zeigten
Mitglieder der genossenschaft lichen Kreditwirtschaft mit ersten Homepages dort Flagge.
Auf Bundesebene schuf der FinanzVerbund
mit VRnet früh ein zentrales Portal für die
gemeinsame Präsentation. Ab 1997 konnten
erstmals Kunden bequem vom heimischen PC
aus jede der damals rund 20.000 Bankstellen
der genossenschaftlichen Bankengruppen
aufrufen. Angesichts rasch steigender
Anforderungen an das neue Medium
entwickelte der FinanzVerbund eine ProviderLösung für Mitgliedsbanken und initiierte
bzw. unterstützte viele Angebote des Electronic Commerce. Seit 2001 ist www.vr-networld.
de als neuer zentraler Auft ritt des genossenschaft lichen FinanzVerbundes im Internet
vertreten, welcher transaktionsorientiert und
am Kundenbedarf ausgerichtet ist.
Bereits 1996 war der DRV mit einer
Homepage im Internet präsent. Seit 2000
gibt es www.raiffeisen.com als zentrales
Raiffeisen-Portal. Zu dieser Zeit waren
immer noch wenig Deutsche mit dem neuen
Medium vertraut, eine bald einsetzende
netzwerk 12/09
ÜBERBLICK
Betätigung erweitert. Beispielsweise fi ndet
der in jüngerer Zeit ökonomisch zunehmend
unter Druck geratene Berufsstand der Ärzte
vielerorts in der genossenschaft lichen
Betätigung eine alternative Organisationsform. Schleswig-Holstein gehörte hier zu den
Vorreiterregionen.
Mit dem seit einigen Jahren erfolgreichen Pionierprojekt GenoPortal förderte der Genossenschaftsverband Frankfurt systematisch die
Gründung von Genossenschaften in zukunftsfähigen Geschäftsfeldern mit interdisziplinären Projektteams. Bereits im Herbst 2006
gründete GenoPortal gemeinsam mit der
Andramedos eG aus Gießen das Branchenportal Regionale Gesundheitsversorgung. Ausgehend von der ersten Fachtagung „Regionale
Gesundheitsversorgung aktiv gestalten“ wurde
dieses Branchenportal Initiator für zahlreiche
Aktivitäten, darunter eine auf den deutschsprachigen Raum bezogene AWARD-Verleihung für herausragende regionale Versorgungsprojekte. Neben dem Thema Gesundheit
legt GenoPortal seinen Gründungsfokus auch
auf Energie und Bildung.
Verbände und Verbundunternehmen stützen heute ihre Leistungen selbstverständlich auch auf ständig aktualisierte
Internetportale.
Entwicklung des Internets zu einem
zentralen Kommunikationsmedium
zeichnete sich aber ab. Vor diesem Hintergrund appellierte der DRV im Jahr 2000
unter dem Motto „Raiffeisen-Internet-Offensive“ an alle Raiffeisengenossenschaften,
sich im Internet möglichst früh zu positionieren und konsequent die Chancen des
elektronischen Handels zu nutzen. Der DRV
und die Regionalverbände flankierten die
Offensive mit vielfältigen Informationen,
wie so etwas realisiert werden könnte. In der
Folge gab es eine deutliche Steigerung von
Internetauft ritten von Raiffeisengenossenschaften.
netzwerk 12/09
Genossenschaften als zukunftsweisende Organisationsform
Die Agrar-, Dienstleistungs-, Handels-,
Kredit- und Konsumgenossenschaften in den
neuen Bundesländern ergänzen das deutsche
Genossenschaftswesen heute nicht nur
territorial und durch ihre Wirtschaftskraft.
Sie sind vielmehr ein Ausdruck dafür, dass
Selbsthilfe in Form von Genossenschaften
Zukunft hat. In Westdeutschland hatten
bereits in den 1980er-Jahren im Zuge der
Verwirklichung alternativer Lebens-,
Wohn- und Arbeitsformen neue Genossenschaften das Spektrum genossenschaft licher
Selbst zur Anregung von bürgerschaft lichem
Engagement und ehrenamtlicher Tätigkeit
erweist sich eine Genossenschaft als geeignet.
Im niedersächsischen Nörten-Hardenberg
etwa gründete sich jüngst eine Genossenschaft zum Weiterbetrieb des Hallenbades.
Wie an vielen anderen Orten in Deutschland
hatte die finanziell klamme Kommune sich
zur Schließung des Hallenbades genötigt
gesehen. Erwogene Verkäufe an anonyme
Investoren stießen auf Kritik, also griffen
Bürger zur Selbsthilfe.
Die Reform des Genossenschaftsgesetzes
2006 vereinfacht die Gründung neuer
Genossenschaften erheblich. Nur noch drei
statt bisher sieben Mitglieder sind dafür
erforderlich. Der Prüfungsumfang für kleine
Genossenschaften ist gesenkt worden, was
die Kosten verringert. Der Förderzweck
wurde erweitert. Wie in vielen anderen
27
ÜBERBLICK
Die erfolgreiche Ärztegenossenschaft Schleswig-Holstein eG mit rund 2.000 Ärzten
(hier Vorstand und Aufsichtsrat) ist ein Vorbild für gemeinschaftliche Selbsthilfe im
Gesundheitswesen, mit einer überregional großen Beachtung und Nachahmung.
EU-Ländern üblich, können Genossenschaften künft ig auch in Deutschland soziale
und kulturelle Ziele verfolgen.
Die vom damaligen Genossenschaftsverband
Norddeutschland im selben Jahr initiierten
Schülergenossenschaften sind ein weiterer
vielversprechender Ausdruck eines wenngleich
noch zarten, aber doch viel Mut machenden
Aufbruchs des Genossenschaftswesens in neue
Betätigungsfelder. Denn dort lernen Schüler
nicht nur, eigenständig und eigenverantwortlich unter Marktbedingungen zu wirtschaften,
sondern die mit viel Kreativität entwickelten
Projekte sind auch eine praktische Übung im
demokratischen Miteinander und eine
praktische Schule fürs Leben.
Herausforderungen durch die
Globalisierung
Der rasante technologische Wandel, der in
immer kürzeren Abständen Innovationen
verlangt, und die zunehmende europäische
und globale Öff nung der Märkte vervielfältigen die Aufgaben von Genossenschaft sverbänden in jüngerer Zeit sehr. Zu den
Funktionen Repräsentation, Willensbildung
28
und Service gesellte sich
immer mehr die der
Initiative. Gefragt ist
verstärkt die unternehmerische Komponente
von Verbänden. Auch bei
den Regionalverbänden
hält der Trend hin zu
größeren und leistungsfähigeren Einheiten an,
um flexibel auf die
wachsenden Herausforderungen reagieren zu
können. Die jüngsten
Beispiele sind die
Fusionen der Genossenschaftsverbände
Norddeutschland und
Frankfurt zum Genossenschaftsverband e.V.,
Frankfurt am Main, und
die der beiden Genossenschaftsverbände in Baden
und Württemberg zum
Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband e.V., Karlsruhe.
Verbundunternehmen intensivierten ihre
internationalen Kontakte. Die DZ Bank
verfügt heute über ein weltweites Netz an
Dependancen und Kooperationen. Die
zentralen Stützen des genossenschaft lichen
Verbundsystems sind inzwischen Global
Player. Die Bausparkasse Schwäbisch Hall
und die China Construction Bank beteiligten
sich 2004 in einem Joint Venture an der
chinesisch-deutschen „Sino-German
Bausparkasse“.
Das Europäische Parlament stimmte im
Februar 2002 einer Verordnung über die
Einführung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze zu, welche Bilanzen
transparenter und vergleichbarer machen
soll. Seit 2005 müssen Konzernabschlüsse,
die einen organisierten Kapitalmarkt in
Anspruch nehmen wollen, nach den
International Accounting Standards (IAS)
aufgestellt werden. Die Verbände müssen sich
selbst und ihre Mitglieder auf die fortschreitende Internationalisierung des Rechnungswesens einstellen. Seit Jahren argumentieren
sie aber gegen die drohende Trennung von
Prüfung und Beratung in einer Organisation
durch internationale Regelungen, um die seit
über 150 Jahren bewährten genossenschaftlichen Verfahren zu erhalten. Denn die
Rechtsform der eG ist im Hinblick auf
Insolvenzen die sicherste aller Unternehmensformen. Rechtliche Modernisierung
wird bejaht, sofern das Kind nicht mit dem
Bade ausgeschüttet wird.
Förderungsauftrag heute
Als 1998 der DRV und der Deutsche Bauernverband eine gemeinsame Initiative starteten,
um den Strukturwandel in der Molkerei- und
Fleischwirtschaft zu fördern, legten sie den
Förderungsauftrag zeitgemäß aus: Oberste
Priorität müsse der nachhaltige Unternehmenserfolg haben, so der Tenor. Dieser sei wie
in der übrigen Wirtschaft an einer zukunftsfähigen Stärkung der Marktposition zu messen.
Damit bestätigten sie die heute vorherrschende Interpretation des Förderungsauftrages im Genossenschaftswesen.
Klaus Lambert, der langjährige Präsident des
Genossenschaftsverbandes Frankfurt, hatte
bereits 1991 eine zeitlose verbandspolitische
Definition geliefert: „Wer als Genossenschaftsverband seinen Förderauftrag erfüllen
will, muss seine Mitglieder in deren Wettbewerbsfähigkeit unterstützen.“ Dies müsse
heutzutage aktiv und zunehmend initiativ
geschehen, so sein Credo.
Die genossenschaft lichen Prüfungs-,
Regional- und Dachverbände können, da sie
keine Organstellung besitzen, nicht direkt auf
Primärgenossenschaften einwirken. Um
Einfluss zu nehmen, blieb und bleibt ihnen –
außer der Beanstandung sachlicher Mängel
im Rahmen von Prüfungen – der oft mühsame Weg fortdauernder Überzeugungsarbeit.
Ein lohnendes Unterfangen, denn der Erfolg
spricht für sich. Bis heute ist die Insolvenzrate genossenschaft licher Unternehmen im
Vergleich zur Gesamtwirtschaft gering. Die
genossenschaft liche Bankengruppe ist nicht
nur eine wichtige Partnerin des Mittelstandes in den Bereichen Dienstleistung und
Industrie geblieben, sondern auch in der
Agrarwirtschaft. 2001 etwa vergab sie allein
47 Prozent der ausgelegten Kredite an die
deutsche Landwirtschaft (Gesamtvolumen
rund 30 Mrd. Euro).
netzwerk 12/09
Ausgezeichnet!
Zwei Spitzenleistungen für ein gemeinsames
Ziel: Erstklassiges Private Banking für
Sie und Ihre Kunden!
Spitzenplatz für die
DZ BANK International
vom Finanzmagazin €uro
Im FinanzVerbund der
Volksbanken Raiffeisenbanken
Bestnoten für die
DZ PRIVATBANK Schweiz
vom Fuchsreport
D I E R E G I O N A LV E R B Ä N D E
3
Konzentration der Kräfte
Etappen der Verbandsentwicklung bis 1989.
17. Verbandstag der gewerblichen Genossenschaften 1898 in Gifhorn im „vollklimatisierten“ Sitzungssaal. Links am Baum stehend Hermann Löns als Redakteur
des „Hannoverschen Anzeigers“.
3.1 Gemeinschaft in Freiwilligkeit: der Genossenschaftsverband
Niedersachsen
Einvernehmliches
Miteinander
Die genossenschaft lichen Verbände in
Niedersachsen handelten zügig. 1973, nur
ein Jahr nach der historischen Verschmelzung der ländlichen und gewerblichen
Traditionslinien zum DGRV auf Bundesebene, fusionierte der Raiffeisenverband
Hannover e.V., Hannover, mit dem Niedersächsischen Genossenschaftsverband
(Schulze-Delitzsch) e.V., Hannover, einvernehmlich zum Genossenschaft sverband
Niedersachsen e.V., Hannover. Das Verbandsgebiet umfasste die Bundesländer
Niedersachsen und Bremen und für die
gewerblichen Genossenschaften die Region
30
Weser-Ems. Für die anderen Genossenschaften in Weser-Ems ist bis heute der
Genossenschaft sverband Weser-Ems e.V.,
Oldenburg, zuständig, der die damalige
Einladung, ebenfalls unter das gemeinsame
Dach zu treten, nicht annahm. Vielfältige
Kooperationen zwischen den beiden
Regionalverbänden sorgten aber weiterhin
für eine gute genossenschaft liche Nachbarschaft .
Zuvor waren die Raiffeisen- und SchulzeDelitzsch-Verbände in Niedersachsen
getrennte Wege gegangen. Zwei Männer
hatten die Entstehung und den Aufbau der
beiden regionalen genossenschaft lichen
Traditionen maßgeblich beeinflusst: Senator
Georg Ludwig Glackemeyer als Gründer und
Organisator der gewerblichen Genossenschaften und Landesökonomierat Peter
Johannssen als sein Pendant für die ländlichen
Genossenschaften.
Niedersachsen entstand als einheitliches
Staatsgebilde erst 1946 auf Anordnung der
britischen Militärregierung aus den Ländern
Hannover, Braunschweig, Freistaat Oldenburg und Schaumburg-Lippe. Die 1973
fusionierten Genossenschaft sverbände
gingen jeweils aus mehreren kleinen
regionalen Vorgängerinnen hervor, die ihren
Ursprung auch in der damaligen politischen
Zersplitterung des heutigen Bundeslandes
hatten.
Wurzeln und Werdegang des
Schulze-Delitzsch-Verbandes
Seit 1851 bildeten sich erste gewerbliche
Genossenschaften in Niedersachsen. 1882
gründeten 14 Kreditgenossenschaften den
Niedersächsischen Verband der Erwerbs- und
Wirtschaftsgenossenschaften Hannover,
Hannover. Als erster Verband der Region ist
er die früheste Wurzel des späteren Genos-
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D I E R E G I O N A LV E R B Ä N D E
In Niedersachsen entstanden bis 1900 neben
Glackemeyers Verband zwei weitere gewerbliche Regionalverbände mit Sitz in Osnabrück
bzw. Braunschweig, die danach mal in
Kooperation, mal in Konkurrenz zueinander
agierten. 1920, als in Berlin die Schulze-Delitzsch-Verbände mit der DGV-Gründung
erstmals unter einem Dach zusammenfanden,
beendeten auch die Hannoveraner und
Osnabrücker durch die Gründung des
Niedersächsischen Genossenschaftsverbandes
e.V., Hannover, ihre getrennten Wege. Der
neue Hannoveraner Verband trat dem DGV
bei. 1933 ging der Braunschweiger Verband im
Niedersächsischen Genossenschaftsverband
auf. Danach vertrat nur noch dieser Regionalverband die gewerblichen Genossenschaften
in Niedersachsen.
Der gewerbliche Regionalverband in
Hannover hatte bereits 1931 eine Satzungsänderung beschlossen, die in der Folgezeit
zu einer verstärkten Professionalisierung
der eigenen Tätigkeit führte. Zukünft ig
sollten die Mitgliedsgenossenschaft en
formell und materiell geprüft werden, was
einen Ausbau der Geschäft sstelle nach sich
zog. Denn fortan beschäft igte der Verband
außer einem Syndikus fünf Revisoren, zwei
Assistenten und zwei Schreibkräfte. 1935
richtete der Verband einen Garantiefonds
ein, um die Sicherheit der den Volksbanken
anvertrauten Einlagen zu erhöhen. Ab 1941
Gründungsprotokoll der Spar- und Darlehnskasse
Oldenburg in Holstein 1896.
waren Verbandsdirektoren hauptamtlich
tätig. Während des Zweiten Weltkriegs war
die Verbandstätigkeit nur noch provisorisch
möglich, besonders nachdem die Geschäft sstelle durch Bombenangriffe zerstört wurde.
Nach Kriegsende dauerte es knapp drei Jahre,
bis die Verbandstätigkeit wiederhergestellt
war. Bezirkskonferenzen, Einzelberatungen
und Besprechungen wurden wieder durchgeführt. 1949, seitdem unter der Firmierung
senschaftsverbandes Niedersachsen. Zum
ersten – nebenamtlich tätigen – Verbandsdirektor wurde Georg Ludwig Glackemeyer
gewählt. Außer zum Erfahrungsaustausch
der Genossenschaften untereinander erfolgte
die Bündelung der Kräfte in einem Verband,
um die Konkurrenz durch neue öffentliche
und mancherorts sogar neue genossenschaftliche Banken besser abwehren zu können.
Das Prüfungsrecht erhielt er nach dem
Inkraft treten des GenG 1890.
1884 trat der Niedersächsische Verband dem
Allgemeinen Verband von Schulze-Delitzsch
in Berlin bei. Zwischen beiden Verbänden
kam es jedoch bald zu Streitigkeiten über
Grundsatzfragen. Glackemeyers Verband trat
aus dem Allgemeinen Verband wieder aus,
firmierte sich um und eröff nete den überregionalen Konkurrenzkampf durch die erfolgreiche Mitgliedswerbung von Genossenschaften von Hamburg bis München.
netzwerk 12/09
Verbandsgebäude Kiel: das „Haus der Landwirte“.
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D I E R E G I O N A LV E R B Ä N D E
Niedersächsischer Genossenschaftsverband
(Schulze-Delitzsch) e.V. agierend, gehörten
dem Verband eine Zentralkasse, 104 Volksbanken und 221 Warengenossenschaften mit
insgesamt rund 80.000 Mitgliedern an.
Niedersachsen und Bremen erteilten dem
Verband nun offi ziell das Prüfungsrecht für
ihre Länder.
Wie die anderen Regionalverbände der
Bundesrepublik Deutschland baute der
Niedersächsische Genossenschaftsverband in
der Folge seine Tätigkeitsbereiche erheblich
aus, um den rasch wachsenden Bedürfnissen
der Mitgliedsgenossenschaften gerecht zu
werden. 1950 wurde der Garantiefonds wieder
eingerichtet und drei Abteilungen (Prüfung;
Volksbanken, Recht und Allgemeine
Geschäftsführung; Warengenossenschaften
und Steuern) etabliert. 1965 läutete die
Gründung der VODAG-Rechenzentrale die
Ära der zentralen Datenverarbeitung mit
moderner Technologie ein.
Bis zur Verschmelzung des Verbandes mit der
Raiffeisen-Linie 1973 reduzierte sich durch
das Ausscheiden der Bäcker-Einkaufsgenossenschaften und durch Fusionen die Mitgliederzahl auf 95 Volksbanken und 68 Warenund Dienstleistungsgenossenschaften.
Die Entwicklung
der Raiffeisen-Verbände
Versuchen von 1883, jeweils in Norden
und Göttingen Verbände von Konsumge-
Feldbestellung in alter Zeit.
nossenschaften zu gründen, war kein
dauerhafter Erfolg beschieden. Wie einige
weitere kleine Regionalverbände, die in
der Folgezeit entstanden, lösten sie sich
später wieder auf. Ihre Mitglieder schlossen
sich einem neuen Verband an: Kurz nach
Verabschiedung des GenG regte die
Königliche Landwirthschaftsgesellschaft in
Hannover (1899 ausgebaut zur Landwirtschaft skammer Hannover) 1889 den
Revisionsverband der landwirthschaftlichen
Genossenschaften in der Provinz Hannover
und dem Hamburger Gebiet, Hannover, an.
Die Königliche Landwirthschaftsgesellschaft stellte dem Verband kostenlos ein
Zimmer in ihrem Haus zur Verfügung und
übernahm anfangs auch die anfallenden
Büroarbeiten. Peter Johannssen wurde zum
Direktor des Verbandes gewählt, der rasch
das Prüfungsrecht erhielt und ab 1891 unter
dem Namen Verband hannoverscher
landwirtschaftlicher Genossenschaften
eingetragener Verein, Hannover, zum
wichtigsten Vorläufer des späteren Raiffeisenverbandes avancierte. Parallel übernahm
Johannssen ab 1899 die Direktion der
Landwirtschaft skammer.
24 Spar- und Darlehnskassen, 13 Molkereigenossenschaften, 15 Bezugsgenossenschaften und eine Vereinigung von Landwirten zur Herstellung von Konserven
umfasste die Gründergeneration des
Verbandes. Bis 1930 stieg ihre Zahl auf
Ländliche Genossenschaften in den 1960er-Jahren.
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rund 1.000 an, darunter nun auch Viehverwertungs-, Elektrizitäts-, Molkerei-,
Maschinen- und andere Genossenschaft en
mit jeweils 20 bis 30 Mitgliedern.
Der Verband reagierte darauf mit dem
Ausbau der Organisation. Mehrmals bezog
er in der Folgezeit neue, jeweils größere
Geschäftsräume in Hannover. 1905 beschäftigte er einen Generalsekretär, sechs
Revisoren, dreizehn Bücherordner, die den
Mitgliedsgenossenschaften bei der Buchführung halfen, und drei Bürogehilfen. 1920
richtete er eine Steuerstelle ein.
1931 fusionierte der Hannoveraner mit dem
Verband der Raiffeisen-Genossenschaften
Forderungen“ zu bearbeiten. Aus ihr wurde
wenig später die eigenständige Genossenschafts-Treuhand-Gesellschaft mbH. Sie sollte
– unter mehrmals wechselnden Firmierungen
– sich ab 1948 eine Zeit lang auch mit dem
Lastenausgleich (für durch den Krieg und
seine Folgen geschädigte Deutsche) befassen
und Primärgenossenschaften und Zentralen
mit Vordrucken, Werbemitteln, Buchungsautomaten und anderen Utensilien versorgen.
In dieser Zeit begann der Verband, größer
und leistungsfähiger gewordenen Genossenschaften zu empfehlen, hauptamtliche
Geschäft sführer einzustellen. Er half bei
der Vermittlung geeigneter Fachkräfte
und übernahm anfangs oft eine Gehalts-
... und städtische Volksbank.
Festsetzung von Höchstpreisen, Absatzbeschränkungen, Beschlagnahmungen und
andere politische Maßnahmen der nationalsozialistischen Führung die wirtschaft liche
Tätigkeit. Nach 1945 nahm der Verband
zahlreiche Flüchtlinge auf und integrierte sie
in die ländlichen Genossenschaften. Da viele
von ihnen bereits Erfahrungen mit genossenschaft licher Arbeit als Geschäftsführer oder
Angestellte mitbrachten, schlossen sie so
manche personelle Lücke in Niedersachsen.
Ländliche Kreditgenossenschaft ...
Braunschweig e.V., Braunschweig, zum
Verband ländlicher Genossenschaften
Hannover-Braunschweig e.V., Hannover, der
sich 1961 in Raiffeisenverband Hannover e.V.,
Hannover, umbenennen sollte, um die Einheit
der im Bundesgebiet tätigen ländlichen
Genossenschaften zu betonen. 1932 musste
sich der neue für ganz Niedersachsen
zuständige ländliche Regionalverband mit den
Folgen der Weltwirtschaftskrise von 1929
befassen. 400 Genossenschaften drückte 1932
eine Schuldenlast von etwa 30 Mio. Reichsmark. Einen Teil der Verluste glich die
sogenannte Reichsgenossenschaftshilfe aus.
Der Verband richtete eine Mahn- und
Einziehungsabteilung ein, um „gefährdete
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garantie. 1938 richtete der Verband
30 Prüfungsbezirke ein. In jedem Bezirk
war von nun an ein versierter Prüfer
angesiedelt, der die Genossenschaft en
als ortsnaher Vertreter des Verbandes
prüfte und betreute. Die Prüfungsleitung
blieb zentral in Hannover.
Im Zweiten Weltkrieg wurden der Raiffeisenverband Hannover und seine Genossenschaften durch den Kriegseinsatz von
Mitarbeitern personell stark dezimiert. Die
Verbandsgeschäftsstelle wurde – ebenso wie
die des Schulze-Delitzsch-Verbandes – bei
Bombenangriffen 1943 zerstört. Zudem
beeinträchtigten Kriegsverordnungen,
In der ökonomischen Prosperität der
folgenden zwei Jahrzehnte entwickelte sich
der Raiffeisenverband Hannover immer
deutlicher vom Prüfungs- zum Wirtschaftsverband mit vielseitigen Funktionen und
umfassender Beratung. Spezielle Abteilungen und Beratungsstellen befassten sich
mit Prüfungs-, Rechts- und Steuerfragen.
Die Mitarbeiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit und Werbung betreuten die seit
1911 existierende Verbandszeitung, bauten
eine Gemeinschaft swerbung auf und
knüpften und pflegten Kontakte zur Presse
sowie zu Rundfunk und Fernsehen. Die
Molkereiabteilung förderte Strukturverbesserungen im Molkereisektor. In der
Bau- und Maschinenberatungsstelle
übernahmen Architekten und Ingenieure
des Verbandes für betroffene Genossen-
33
D I E R E G I O N A LV E R B Ä N D E
schaften die Anfertigung von Entwürfen,
die Ausschreibung, die technische Leitung
und die Abnahme. Für die verbandseigene
Aus- und Fortbildung öff nete 1956 die
Genossenschaft sschule in Isernhagen ihre
Pforten. 1964 gab die Gründung der
Raiffeisen-Datenverarbeitung GmbH das
Startsignal für den Eintritt in ein neues
technisches Zeitalter. Die Organisationsabteilung des Verbandes beriet die Kredit- und
Warengenossenschaften bei der Umstellung
des Rechnungswesens. In Zusammenarbeit
mit Orts- und Zentralgenossenschaft en
erarbeitete der Verband Organisationspläne
zur sinnvollen Verschmelzung von Genossenschaften und zur Abstimmung erweiterter Geschäft sbezirke für jede Sparte.
Impulse des einheitlichen
Genossenschaftsverbandes
Ab 1974 ermunterte der Verband als eine
Hauptaufgabe Kredit-, Waren-, Molkereiund andere Genossenschaften zu Verschmelzungen, um sie angesichts des wachsenden
Wettbewerbsdrucks in allen Sparten und des
veränderten Wirtschaftslebens zu leistungsstarken Geschäftsbetrieben auszubauen. Ein
schrittweises, behutsames Vorgehen war
notwendig. Mancherorts waren Animositäten zwischen Kreditgenossenschaften der
Raiffeisen- und Schulze-Delitzsch-Tradition
zu überwinden und Betroffene mussten oft
erst in mühevoller Kleinarbeit von der
wirtschaft lichen Notwendigkeit der Veränderungen überzeugt werden. Nach und nach
wurden so Konkurrenzen entschärft oder
beseitigt, das Zweigstellennetz bereinigt und
eine einheitliche Geschäftspolitik vorangetrieben. Kreditgenossenschaften mit
Warenverkehr gab es wegen der zunehmenden Spezialisierung bald immer weniger.
Ihre Zahl halbierte sich fast von 1974 bis 1982
auf 91 bei anhaltendem Trend: 1989 waren es
54, 2002 sollten es nur noch 21 sein. 1982 zog
34
Glückliche Gewinner beim Gewinnsparen.
der Verband eine erfreuliche Zwischenbilanz:
Die Zahl der Mitglieder, Sparer und Kunden
hatte sich spürbar erhöht, die Gesamtbilanzsumme war seit 1974 von 10 auf 24 Mrd. DM
gestiegen.
Als Spiegelbilder des Wirtschaftslebens, wie
Genossenschaften oft trefflich charakterisiert
werden, zwangen starke Marktmächte, die
durch die zunehmende Konzentration im
Lebensmitteleinzelhandel entstanden waren,
und die europäischen Agrarbeschlüsse die
landwirtschaft lichen Waren- und Verwertungsgenossenschaften zur Anpassung. Die
ehemals bäuerlichen Universal-Höfe
entwickelten sich zu Betrieben mit oft mals
nur noch einem Markterzeugnis: nur
Getreide, nur Milch, nur Schweine, nur
Rinder, nur Hühner. In der Folge kam es zu
einem enormen Strukturwandel bei den
Warengenossenschaften. Es entstanden
genossenschaft liche Unternehmen mit
zahlreichen Zweig- und Außenstellen, die
mit modernen Geschäft shäusern, Silos,
Lagerhallen und Werkstätten auf die neuen
Leistungsanforderungen mit Erfolg reagierten. Die Umsätze steigerten sich von 746
(1970) auf 1.785 Mio. DM (1982).
Auf der Grundlage des Marktstrukturgesetzes von 1969 wurden von 1970 bis 1990
etwa 100 Erzeugergemeinschaften auf
Initiative des Verbandes gegründet. Sie
hatten die Aufgabe, die Erzeugung und
Vermarktung landwirtschaft licher Produkte
den Anforderungen des Marktes anzupassen.
Nach Erfüllung ihrer Aufgaben wurden sie
allerdings weitgehend mit den sie betreuenden Ortsgenossenschaften fusioniert.
Immer wichtiger wurden die Zentralen. Sie
passten ihre Organisationsform ebenfalls den
neuen Herausforderungen an. Die RaiffeisenHaupt-Genossenschaft eG, Hannover,
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übernahm Großhandelsfunktion, unterhielt
eigene Lagerhäuser zur Direktversorgung
von Landwirten und stellte in Fachwerkstätten die landtechnische Versorgung flächendeckend sicher. 2004 fusionierte die RHG
Hannover mit der Raiffeisen Central-Genossenschaft Nordwest eG in Münster zur
heutigen AGRAVIS Raiffeisen AG. Diese
bündelte damals das Geschäft in 26 Tochtergesellschaften, Beteiligungen oder Betriebsstellen neu.
Interne Weichenstellungen
Der Genossenschaft sverband Niedersachsen
entwickelte seit 1974 seine innere Organisation ständig weiter, um sich für den
dauerhaften Wandel zu wappnen. Richtungsweisend war das Einrichten dreier
Fachräte als zusätzliches Organ des
Verbandes für die drei Fachvereinigungen
der Kreditgenossenschaften, der Raiffeisen
Waren-, Verwertungs- und Dienstleistungsgenossenschaften sowie der gewerblichen
Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften. In den Fachvereinigungen wirkten
Vertreter der Primärgenossenschaften des
Verbandes mit. Sie wählten die jeweiligen
Fachratsmitglieder. Das darauf basierende,
später um die Sparte Agrargenossenschaft en
erweiterte Fachrätekonzept wurde rasch
ein Markenzeichen des Verbandes, mit
dem er vorbildlich Fachwissen und Erfahrungen der Mitglieder allgemein nutzbar
machte und sie demokratisch in den
verbandseigenen Entscheidungsfi ndungsprozess einband.
Ferner intensivierte der Verband die
Öffentlichkeitsarbeit und Werbung und
integrierte neue Aufgabengebiete wie das
Marketing. Die damit betrauten Mitarbeiter
knüpften zwecks Erfahrungsaustauschs und
gemeinsamer Initiativen rasch Kontakte zu
den einschlägigen Abteilungen der Bundes-
verbände und zu ihren Kollegen in den Nachbarverbänden.
In dieser Zeit wurden, vermittelt durch die
Kreditgenossenschaften, erstmals günstige
Flugreisen für Mitglieder der Genossenschaften angeboten. New York City oder
Mexiko waren damals Ziele, von denen die
meisten Bundesbürger nur träumen
konnten, die aber anders als heute kaum
realisierbar schienen. Aus den für viele
Beteiligte unvergesslichen Erlebnissen
entwickelte sich später das genossenschaftliche Reisegeschäft .
Durch die Unterstützung der regionalen
Veranstaltungen des Internationalen
Jugendwettbewerbs versuchte der Verband
seine Mitglieder von den Vorteilen eines auf
Dauer angelegten Sponsorings zu überzeugen. Dabei stand ihm mit dem Niedersächsischen Kultusministerium ein verlässlicher
Partner an der Seite. Allerdings, so resümierte später der langjährige Hannoveraner
Verbandsmitarbeiter Gerhard Ewerbeck, sei
„immer, wenn wir für Genossenschaften
Werbung machten, die Voraussetzung
gewesen, dass die Leistung und der Service
vor Ort stimmten und die Kunden zufrieden
waren.“
Ein internationales Ausrufungszeichen aus Niedersachsen
Die politische Lobbyarbeit des Regionalverbandes beschränkte sich weitgehend auf
Kontakte zu Landes- und Kommunalpolitikern. In jährlichen Parlamentarierabenden
informierten Verbandsvertreter Landtagsabgeordnete über Prinzipien und aktuelle
Entwicklungen des genossenschaft lichen
Wirtschaftens. Zudem knüpfte man dort den
ein oder anderen persönlichen Kontakt, der
dann im Arbeitsalltag gelegentlich die Wege
zueinander verkürzte.
Daneben wirkten herausragende Repräsentanten des Verbandes in den Spitzenverbänden auf Bundes- und zuweilen auch auf
europäischer Ebene mit. Der DRV richtete
bereits 1967 ein eigenes Verbindungsbüro in
Europas Entscheidungszentrum Brüssel ein.
Als ein Lobbyist der ersten Stunde baute er
ein Netzwerk von Kontakten zu relevanten
politischen Entscheidungsträgern auf und
pflegt sie bis heute.
Anfang der 1980er-Jahre war Verbandsdirektor Dietrich Ohlmeyer maßgeblich
daran beteiligt, in Brüssel das Ansinnen
europäischer Kollegen und Politiker
abzuwehren, die Pfl ichtmitgliedschaft von
Genossenschaften in Prüfungsverbänden
aufzuheben. Das hätte die Existenz der
deutschen Verbände infrage gestellt. Als
Vertreter des DGRV gehörte er zwei
Kommissionen als Vorsitzender an, in
denen bilanz- und berufsrechtliche Fragen
von Genossenschaften verhandelt und
Gesetzesvorlagen erarbeitet wurden. Er
erinnert sich noch heute gut an die dramatische Rettungsaktion: „Alle schienen sich
einig, die Pfl ichtmitgliedschaft abzuschaffen. Da haute ich im wahrsten Sinne des
Wortes auf den Tisch, um klarzumachen,
dass wir da aus gutem Grunde nicht
mitziehen. Wir setzten dann die Regelung
in Brüssel durch, dass der Vorstand
mehrheitlich oder mindestens eins zu eins
mit Wirtschaft sprüfern besetzt wird. Damit
sicherten wir die Unabhängigkeit des
Prüfungsverbandes. Nur dadurch, dass wir
den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer in
den Vorstand hineinbrachten, ist es
gelungen, das Ansinnen abzuwehren und
die Pfl ichtmitgliedschaft – und damit das
Prüfungsrecht und die Prüfungspfl icht – zu
erhalten.“ Der Kompromiss sah außerdem
vor, dass jeder Verband künft ig mindestens
zehn Prozent seiner Prüfungskräfte aus
Wirtschaft sprüfern rekrutieren sollte.
Links: Genossenschaftliche Eier- und Kartoffelverwertung.
netzwerk 12/09
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D I E R E G I O N A LV E R B Ä N D E
Das Bundesverfassungsgericht lehnte
2001 die Verfassungsbeschwerde einer
Genossenschaft gegen die Pfl ichtmitgliedschaft in genossenschaft lichen Prüfungsverbänden ab. In seiner Begründung folgte das
Gericht voll inhaltlich der Argumentationslinie, die der DGRV zur Anhörung vorgelegt hatte. Das Gericht stellte in seiner
grundlegenden Entscheidung fest, dass die
Pfl ichtmitgliedschaft sinnvoll, geeignet und
erforderlich ist und den Genossenschaft en
zugemutet werden kann. Das genossenschaft liche Prüfungssystem sei ebenso im
Interesse der Mitglieder der Genossenschaft
wie auch im Interesse der Gläubiger
geschaffen worden.
Während der Gesetzgeber dieses Ziel bei
Kapitalgesellschaften durch eine obligatorische Mindestkapitalisierung oder bei
Personengesellschaften durch eine obligatorische persönliche Haft ung von Gesellschaftern verfolgt, hat er für die Genossenschaft
auf beide Sicherungsmittel verzichtet.
Stattdessen soll das Prüfungssystem diese
Sicherheit gewähren.
Für die Eignung der Pfl ichtmitgliedschaft
spricht, so das Gericht, dass die Genossenschaften zu den insolvenzsichersten
Unternehmen gehören und damit das
gesetzgeberische Ziel erreicht worden ist.
Die Pfl ichtmitgliedschaft sei zur Erhaltung
eines notwendigen engmaschigen und auf
Dauer angelegten Prüfungssystems geeignet
und erforderlich.
Durch die Mitgliedschaft anderer Genossenschaften in den Prüfungsverbänden wird
nach Überzeugung des Gerichts gleichzeitig
sichergestellt, dass Vergleichsdaten
geschaffen werden, die den Blick für
bestimmte über das einzelne genossenschaft liche Unternehmen hinausgehende
Entwicklungen und deren Gefahren
schärfen.
Damit hat das Bundesverfassungsgericht
die Verfassungsmäßigkeit eines Prüfungssystems bestätigt, das in wesentlichem
Maße dazu beiträgt, dass die Insolvenz
einer Genossenschaft der absolute Ausnahmefall unter den jährlich mehr als 25.000
Insolvenzen in Deutschland geblieben
ist.
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3.2 Öffnung der Horizonte:
der Norddeutsche Genossenschaftsverband
Überwindung von Gegensätzen
und Konkurrenzen
Es war stets mehr als die Vereinigung
unterschiedlicher Genossenschaftstraditionen. Als 1988 der Nordwestdeutsche
Genossenschaftsverband (Schulze-Delitzsch)
e.V., Hamburg, und der Raiffeisenverband
Schleswig-Holstein und Hamburg e.V., Kiel,
erstmals unter der gemeinsamen Firmierung
Norddeutscher Genossenschaftsverband
Schleswig-Holstein und Hamburg (Raiffeisen
– Schulze-Delitzsch) e.V., Kiel, (NGV)
auftraten, überwanden sie auch den historisch
gewachsenen Kontrast zwischen städtischen
und ländlichen Verbandskulturen. Angesichts
eines hier einerseits im Stadtstaat und in der
Millionenmetropole Hamburg verankerten
Schulze-Delitzsch-Verbandes und eines
andererseits von dem recht dünn besiedelten
ländlichen Flächenstaat Schleswig-Holstein
geprägten Raiffeisen-Verbandes ist die
Leistung beider Parteien, zu einer Einheit
zusammenzufinden, besonders hoch einzuschätzen. Die Politik hat Vergleichbares
übrigens bis heute nicht geschafft.
Die Frühgeschichte des norddeutschen
Genossenschaftswesens ist voll von Rivalitäten, die es zu überwinden galt. Heute
arbeiten Bauern- und Genossenschaftsverband
mit jeweils eigenen Interessenschwerpunkten
oft vertrauensvoll zusammen. Aber nach dem
Ersten Weltkrieg war der Schleswig-Holsteinische Bauernverein, aus dem später mit dem
Land- und Bauernbund eine einheitliche
berufsständische Organisation hervorging,
zeitweilig mit eigenen Kredit- und Warengenossenschaften bewusst in Konkurrenz zu den
regionalen Genossenschaftsverbänden
getreten. Diese lagen sehr lange selbst über
regionale Zuständigkeiten miteinander im
Clinch. Besonders mit dem gewerblichen
Verband in Hannover hatte es immer wieder
Streit um die Mitgliedschaft der Volksbanken
gegeben. Erst das Gesetz zur Gebietsbereinigung zwischen Schleswig-Holstein, Lübeck
und Mecklenburg sowie das Groß-HamburgGesetz, beide aus dem Jahr 1937, klärten die
Zuordnungen.
Eine starke Wurzel besaß die gewerbliche Seite
des NGV im 1866 gegründeten Verband der
Vorschuß- und Creditvereine von NordwestDeutschland, Altona. 1902 wurde in Kiel der
Verband der gewerblichen Genossenschaften in
der Provinz Schleswig-Holstein e.V. errichtet.
1928 gingen beide auf im Genossenschaftsverband von Nordwest-Deutschland e.V., Elmshorn, dem späteren Nordwestdeutschen
Genossenschaftsverband. Er verlegte seinen
zuvor wechselnden Hauptsitz 1939 endgültig
nach Hamburg.
Ländliche Prägung
des Kieler Verbandes
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
eröff nete die Einführung von Handelsdünger und in großem Stil produzierten
Fischereigenossenschaft in Heiligenhafen.
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Saatguts den Bauern eine intensive landwirtschaft liche Produktion. Aber die
Innovationen waren begleitet von betrügerischer Manipulation, denen der einzelne
Bauer oft hilflos ausgeliefert war. Der
Schleswig-Holsteinische Landwirtschaftliche Generalverein, der Vorläufer der
Landwirtschaft skammer Schleswig-Holstein, regte deshalb an, Konsumvereine zu
gründen. Diese sollten qualitativ akzeptable
Dünge- und Futtermittel sowie Saatgut zu
möglichst günstigen Konditionen einkaufen. Federführend waren dabei Wanderlehrer wie Karl Plönnies, die im Auft rag des
Generalvereins Landwirte in SchleswigHolstein berieten. Plönnies machte seine
Erfahrungen und Beobachtungen mit
genossenschaft lichen Entwicklungen in
Hessen und Oldenburg im Norden publik.
Vertreter von acht Konsumvereinen hoben
1884 in Neumünster den Verband der
landwirtschaftlichen Konsumvereine des
schleswig-holsteinischen landwirtschaftlichen
Generalvereins, Kiel, aus der Taufe. Der
Verband sollte den erfolgversprechenden
Start der Konsumvereine unterstützen. So
enthielt sein erstes Statut noch Aufgaben, die
denen einer Zentralgenossenschaft entsprachen: Beschaff ung von Betriebsmitteln in
entsprechender Güte und zu billigen Preisen
sowie Qualitätskontrolle der Erzeugnisse der
Mitglieder. Zudem forderte die Satzung, neue
Konsumvereine zu initiieren und genossenschaft liche Interessen allgemein zu vertreten.
Mit Verabschiedung des GenG 1889 wurde
die Prüfung eine weitere zentrale Aufgabe
des Verbandes.
Der anfangs eng auf die Bedürfnisse von
Konsumvereinen zugeschnittene Verband
öff nete sich bald anderen Genossenschaftssparten. Zunächst wurden die ab 1895 ins
Leben gerufenen Spar- und Darlehnskassen
integriert. Dafür erfolgte die Namensänderung in Verband der schleswig-holsteinischen
landwirtschaftlichen Genossenschaften, Kiel.
Erst allmählich und nach Vereinheitlichung
der zunächst unterschiedlichen Rechtsform
traten die bereits in großer Zahl vorhandenen Meiereigenossenschaften dem Kieler
Verband bei.
Mit den Gründungen 1895 der Landesgenossenschaftskasse und 1898 der landwirtschaft-
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lichen Hauptgenossenschaft traten früh
wichtige Zentralen an
die Seite des Verbandes.
Nach dem Ersten
Weltkrieg setzte, wie
vielerorts in Deutschland, eine erneute
Gründungswelle von
Genossenschaften ein.
1922 erreichten die
Ein- und Verkaufsgenossenschaften mit 188,
drei Jahre später die
Spar- und Darlehnskassen mit 490 und 1936
die Meiereigenossenschaften mit 635 ihre
jeweils höchste Zahl im
Verband. Im Zweiten
Weltkrieg musste der
gesamte landwirtschaft liche Bereich die
von der nationalsozialistischen Führung
angeordnete „Erzeugungsschlacht“
durchführen.
Kreditgenossenschaft im Raum Kiel.
Aufschwung nach
dem
Zweiten Weltkrieg
Auch in Norddeutschland reorganisierten
sich nach 1945 bald alte genossenschaft liche
Zusammenschlüsse und neue kamen hinzu.
Die Landesregierung Schleswig-Holsteins
stand vor der Herausforderung, mit dem
höchsten Anteil an Flüchtlingen und
Heimatvertriebenen unter den Bundesländern zurechtkommen zu müssen. Die
Bevölkerungszahl stieg bis 1949 auf 2,7 Millionen. 1939 waren es noch 1,6 Millionen
Einwohner gewesen. Ansiedlungsaktionen
der Landesregierung, insbesondere in den
heutigen Kreisen Plön und Ostholstein,
belebten auch das Genossenschaftswesen: So
wurden dort fünf Spar- und Darlehnskassen,
drei landwirtschaft liche Ein- und Verkaufsgenossenschaften sowie vier Fischergenossenschaften neu gegründet.
als 80 Dachdeckereinkaufs-, Malereieinkaufsgenossenschaften sowie Sanitär-,
Klempner-, Metall-, Friseur- und andere
gewerbliche Genossenschaften kamen hinzu.
Als nach der Währungsreform 1948
zunehmend privaten Haushalten Konsumentenkredite gewährt wurden, schossen überall
Teilzahlungsinstitute wie Pilze aus dem
Boden. Eine Zeit lang beteiligten sich auch
Teilzahlungsgenossenschaften an diesem
Boom. Heute haben solche Institute ihre
Bedeutung aber weitgehend verloren.
Das Wirtschaft swunder kam auch im
ländlichen Genossenschaft swesen an. In
den 1950er-Jahren entstanden zahlreiche
Viehverwertungsgenossenschaften, um die
Rationalisierung des Absatzes zu beschleu-
Parallel expandierte die gewerbliche Seite.
Zehn Volksbanken entstanden in SchleswigHolstein neu, eine weitere in Hamburg. Mehr
37
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Begünstigt durch die ökonomisch notwendigen Fusionen kam es in der Folge – von
wenigen Ausnahmen abgesehen – zu der
gewünschten Einheitlichkeit. Flankiert
wurde die Etablierung des Markenzeichens
„Raiffeisen“ durch die Benennung von
Plätzen und Straßen in zahlreichen Dörfern
nach dem Vorbild Friedrich Wilhelm
Raiffeisens. In der in einer Gemeinschaftsaktion von Raiffeisenverband Kiel, DRV und
Freilichtmuseum Molfsee bei Kiel wieder
aufgebauten historischen Genossenschaft smeierei Voldewraa aus Angeln zeugte ab
1980 ein Raiffeisen-Museum vom Leben und
Wirken des genossenschaft lichen Gründervaters.
Mobile „Filiale“ einer Spar- und Darlehnskasse.
nigen. Damals stammten mehr als 40 Prozent der Einnahmen der schleswig-holsteinischen Landwirtschaft aus dem Viehverkauf. Immer stärker erfasste der
Modernisierungsschub in der Bundesrepublik Deutschland nun auch den
ländlichen Bereich. Stolz vermeldete der
Kieler Verband bereits in seiner Jubiläumschronik 1959: „Der Abstand zur Entwicklung in der gewerblichen Wirtschaft hat sich
verringert; die Konsequenzen, die der Bauer
aus seiner Stellung in einer entwickelten
Industriegesellschaft gezogen hat, haben
ihre ersten beachtlichen Früchte getragen.“
Modernisierung von Image und
Strukturen
Der ländliche Regionalverband stützte die
positive Entwicklung durch eine verstärkte
und zeitgemäße Präsentation als gemeinsamer Wirtschaft sverband, der in der
zentralen Raiffeisen-Organisation einen
starken Partner an seiner Seite wusste. Dies
kam früh in Namensänderungen zum
Ausdruck. Mit der Umfirmierung 1949 in
Verband der schleswig-holsteinischen
landwirtschaftlichen Genossenschaften –
Raiffeisen e.V., Kiel, und mit der erneuten
Umbenennung 1957 in Raiffeisenverband
Schleswig-Holstein und Hamburg e.V., Kiel,
betonte er die Zugehörigkeit zur bundesweiten Organisation.
Die Vereinigung der genossenschaft lichen
Traditionen auf Bundesebene 1972 bot dann
38
Anlass für eine umfassende Initiative, das
Erscheinungsbild zu vereinheitlichen.
Hintergrund war, dass die Zusammengehörigkeit der einzelnen Genossenschaften
durch unterschiedliche Firmierungen in der
breiten Öffentlichkeit schwer erkennbar war.
Zudem entsprachen die Firmennamen nicht
mehr den aktuellen Erfordernissen eines
Marktauft ritts. In einem Rundschreiben an
alle Kredit- und Warengenossenschaften
1973 begründete der Kieler Verbandsvorstand seine Initiative: „Wegen der verschiedenen Firmennamen im gesamten norddeutschen Raum muß schon seit einigen Jahren
die gemeinsame Fernsehwerbung im
Norddeutschen Werbefernsehen entfallen, da
allein durch das Nennen und Aufzeigen der
verschiedenen Firmennamen zu hohe Kosten
entstehen und die eigentliche Werbeaussage
in der verbleibenden Zeit zu kurz ist.
Ähnliche Schwierigkeiten treten immer
wieder in der Funk- und Anzeigenwerbung
auf.“
Der Vorstand unterstützte die Vereinheitlichungs- und Vereinfachungsbestrebungen
der Bundesverbände und empfahl den
Kreditgenossenschaften, die einheitliche
Bezeichnung „Raiffeisenbank“ anzunehmen,
um die genossenschaft liche Bankengruppe
als „dritte Kraft“ neben den Großbanken und
Sparkassen zu etablieren. Den Warengenossenschaften legte sie dringend Namenskürzungen ans Herz. Sie sollten künft ig nur noch
als „Raiffeisen-Warengenossenschaft“ oder
„Raiffeisen Waren eG“ auft reten.
Zudem trennten sich die meisten Raiffeisenbanken von ihrem Warengeschäft , so dass
diese nicht nur das Erscheinungsbild,
sondern auch ihre Unternehmenskonzeption
den veränderten Rahmenbedingungen
entsprechend neu ausrichteten. Im Warengeschäft stieg der Einfluss der Zentrale. In
Absprache mit dem Regionalverband
entwickelte die Kieler Raiffeisen Hauptgenossenschaft Anfang der 1980er-Jahre das
sogenannte WAKO-System, das die warenwirtschaft liche Zusammenarbeit der
Zentrale mit den Primärgenossenschaften
rechtlich neu formulierte. Die übergroße
Mehrheit der Warengenossenschaften schloss
sich dem System an. In der Folge fungierte
die HaGe als Kombination aus Zentrale und
Primärgenossenschaft , mit der sie die im
zunehmend internationalen Geschäft eher
schwierigen regionalen Standortbedingungen – bäuerliche Agrarstruktur und
Marktferne – durch ihre gestiegene, flexibel
akzentuierbare Wirtschaft skraft ausgleichen
und für neue Wachstumschancen sorgen
konnte. Zuletzt bewies sie dies 2005, als die
Beteiligung der dlg Kopenhagen an der
Raiffeisen Hauptgenossenschaft Nord AG zur
Vereinbarung führte, die Expansionsmärkte
Polen und Baltikum in Zukunft gemeinsam
zu bearbeiten. Ende 2008 schied die Kieler
HaGe, da bereits mehrheitlich in dänischem
und schwedischem Besitz, aus dem genossenschaft lichen Verbund aus.
Die Norddeutsche Fleischzentrale (NFZ) als
genossenschaft liche Vieh- und Fleischzentrale ist vor rund zehn Jahren in niederländische
Eigentümerhände übergegangen und auch
netzwerk 12/09
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aus dem genossenschaft lichen Verbund
ausgeschieden.
Progressiver Umgang mit ökonomischen Herausforderungen
Nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich in
Westdeutschland ein enormer Strukturwandel in der Landwirtschaft, dessen Tendenzen
bis heute anhalten. Von den 1,4 Millionen
landwirtschaft lichen Betrieben, die 1950 über
fünf Hektar Fläche selbstständig bewirtschafteten, existierten fünf Jahrzehnte später
nur noch etwa 350.000 mit einer durchschnittlichen Fläche von 45 Hektar. Die
langfristig gesunkenen Erzeugerpreise
zwangen zu einer Steigerung der Mengen
und der Produktivität pro Betrieb, eine
wesentliche Ursache der heute deutlich
höheren Flächenausstattung.
Auch im Genossenschaftswesen SchleswigHolsteins erkannte man die Bündelung der
Kräfte als wirkungsvolle Maßnahme, auf die
verschärften Wettbewerbsbedingungen zu
reagieren. Sowohl in der Milch- als auch in
der Fleischproduktion fanden inzwischen
enorme Konzentrationsprozesse statt mit
einer Tendenz zu internationalen Kooperationen. Darüber hinaus erwies sich Qualitätssteigerung in Form einer gezielten Veredelungswirtschaft als zukunftsfähig.
Die jüngst aufgezeigten Lösungsvorschläge,
die die Meiereien des Landes in eine
Kooperations- und Vermarktungsgenossenschaft führen sollen, scheinen ein Weg zu
sein, der die Wertschöpfung im Genossenschaft ssektor verbleiben lässt und für eine
zusätzliche Milchgeldstabilisierung sorgen
kann. Die geplante Milch eG ist jedoch nicht
zustande gekommen.
Vor diesem Hintergrund und angesichts
einiger eklatanter Defizite in der Milch- und
Agrarforschung wurde jüngst der Genossenschaftsverband e.V. unter Federführung von
Dr. Burghardt Otto aktiv. Um den notwendigen Wandel wissenschaft lich zu begleiten,
initiierte er die Einrichtung einer Stift ungsprofessur für „Ökonomie der Milch- und
Ernährungswirtschaft“ mit. Gemeinsam mit
der Bremer NORDMILCH und der Innovationsstiftung Schleswig-Holstein (ISH) gelang
es dem Genossenschaftsverband, Verbündete
zu gewinnen und die Mittel für eine solche
Professur an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel im Rahmen einer „PrivatePublic-Partnership“ zu organisieren. Geplant
ist, die Stelle in Kürze zu besetzen, den
traditionsreichen Milchforschungsstandort
Kiel mit Blick auf ein aufzubauendes
„Kompetenzzentrum Milch Schleswig-Holstein“ zu stärken und durch praxisnahe
Forschung einen Beitrag zum Erhalt einer
auch in Zukunft wettbewerbsfähigen
heimischen Milchwirtschaft zu leisten.
Die Führung des damaligen Kieler Genossenschaftsverbandes versuchte in den letzten
Jahrzehnten unermüdlich, seine Mitglieder
von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich
auf einen fortdauernden Wandel einzustellen. Dieser machte auch nicht an den
Landesgrenzen Halt. Der langjährige
Verbandsdirektor Dietrich Hill publizierte
seit den 1960er-Jahren regelmäßig über
Beobachtungen, wie die Partner im europäischen Ausland mit den jeweiligen Herausforderungen umgingen. Die wichtigsten
Ergebnisse wurden in der Schriftenreihe des
Verbandes dokumentiert. Dabei, so erinnerte
Hill später, habe er stets versucht, den Blick
für das Positive zu öff nen: „In Dänemark sah
man eher die Chance als das Problem.
In Schleswig-Holsteins Landwirtschaft
nimmt die Milchwirtschaft bis heute eine
zentrale Position ein. 2006 stammten rund
ein Drittel aller landwirtschaft lichen
Verkaufserlöse des norddeutschen Bundeslandes aus der Milchviehhaltung. Knapp
5.100 Landwirte erzeugen heutzutage eine
Milchmenge von etwa 2,4 Mio. t, von denen
2,04 Mio. t in Schleswig-Holstein verarbeitet
werden. 14 selbstständige Meiereigenossenschaften beteiligen sich daran.
Die Milchwirtschaft in Schleswig-Holstein
stellt sich derzeit im Hinblick auf das
Auslaufen der Milchquotenregelung 2015
und den dann vermutlich sich weiter
verschärfenden Wettbewerb strategisch neu
auf. Die immer wieder gestellte Frage nach
einem angemessenen Milchpreis veranschaulicht, wie schwer es den Betroff enen
mitunter fällt, sich auf schwieriger werdende Rahmenbedingungen einzustellen.
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Die Krone der Baufinanzierung
Im FinanzVerbund der
Volksbanken Raiffeisenbanken
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Solches Denken wollte ich vermitteln.
Genossenschaften haben mit dieser Einstellung dort eine starke ökonomische Position
errungen, sie sind in Dänemark einflussreicher als der Bauernverband.“
3.3 Brückenschlag in die
Zukunft: der Genossenschaftsverband Hessen/Rheinland-Pfalz
Zusammenführen der
gewerblichen Regionalverbände
mit Sitz in Hessen
Bis 1980 die Frankfurter Genossenschaft sverbände der Schulze-Delitzsch- und der
Raiffeisen-Tradition zusammenkamen,
hatten sie eine lange Geschichte aufzuweisen, in denen sie jeweils zunächst ihre
eigenen Kräfte bündelten. So gründeten sich
in Hessen in den frühen 1860er-Jahren
außer dem Wiesbadener zwei weitere
gewerbliche Genossenschaft sverbände in
Darmstadt und in Gießen (späterer Sitz:
Kassel). Nach mehreren Umfi rmierungen
und organisatorischen Veränderungen
wurden sie zunächst 1930 in einem
Zweckverband zur gemeinsamen Arbeit
zusammengeführt, um dann 1933 zum
Hessisch-Mittelrheinischen Genossenschaftsverband e.V. zu Wiesbaden, Wiesbaden, zu
verschmelzen.
Zukunftsweisende
Grenzüberschreitung
Von Beginn an weigerten sich die Gründerväter des ältesten deutschen Regionalverbandes, die Enge der deutschen Kleinstaaterei zu akzeptieren: „Die gemeinsame
Wahrnehmung der Vereinsinteressen
gegenüber der Gesetzgebung der betreffenden Einzelstaaten“ war ein Hauptzweck
des am 25. Mai 1862 gegründeten Verbandes
der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften
am Mittelrhein e.V., Wiesbaden. Die Vertreter
der 17 Genossenschaften, die sich damals auf
Einladung des Wiesbadener Vorschußvereins
auf der dortigen Dietenmühle trafen, um den
Verband ins Leben zu rufen, kamen unter
anderem aus Wiesbaden, Mainz, Frankfurt,
Worms – also aus den heutigen Bundesländern Rheinland-Pfalz und Hessen. Doch
diese entstanden in ihrer Ausdehnung und
Verfasstheit erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Bis dahin wechselten die politischen
Grenzen in der Region mehrmals.
Bereits 1970 gelang dem gewerblichen
Regionalverband in Wiesbaden und dem
ländlichen Regionalverband in Frankfurt der
parallele Brückenschlag nach RheinlandPfalz. Die Wiesbadener fusionierten mit dem
Rhein-Pfälzischen Genossenschaftsverband
(Schulze-Delitzsch) e.V., Mainz, zum Verband
südwestdeutscher Volksbanken und Warengenossenschaften e.V. Dessen Sitz wurde
Frankfurt am Main, wo die Wiesbadener
bereits seit 1930 vertreten waren. Der Genossenschaftsverband Rhein-Main-Neckar
verschmolz mit dem Verband der pfälzischen
landwirtschaftlichen Genossenschaften –
Raiffeisen – e.V., Ludwigshafen, zum
Raiffeisenverband Rhein-Main e.V. mit Sitz
ebenfalls in Frankfurt.
40
Oben: Über die Gründung
des ältesten Vorläufers
des heutigen Genossenschaftsverbandes e.V.
berichtete damals
die regionale Presse
ausführlich.
Links: Für sein
unermüdliches
Engagement für die
Genossenschaftsbewegung auch in Hessen
erhielt Hermann
Schulze-Delitzsch bereits
zu Lebzeiten Anerkennung.
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Der Wiesbadener Verband avancierte rasch
zum Vorbild für weitere Verbandsgründungen. Wie alle anderen frühen Zusammenschlüsse startete er nicht als Prüfungsverband.
Seine Satzung sah die Förderung wechselseitiger Geschäftsverbindungen seiner Mitglieder, den internen Erfahrungsaustausch
über wirtschaftliche Entwicklungen und die
Repräsentation nach außen vor. Allerdings
integrierte der Verband noch vor der
reichsweiten Verpflichtung durch das GenG
von 1889 die Prüfung in sein Aufgabenspektrum. Ab 1885 berichteten Prüfer auf den
Verbandstagen über die Ergebnisse ihrer
Tätigkeit. 1867 hatte Hermann Schulze-Delitzsch erstmals teilgenommen, um seinen
Entwurf des Genossenschaftsgesetzes
vorzustellen. Seine späteren Gastauft ritte
dienten der Anregung organisatorischer
Innovationen. Generell entwickelten sich
Verbandstage zu lebendigen Foren, auf denen
sich Mitglieder persönlich kennenlernen und
austauschen konnten. Besonders zu Jubiläen
sorgte ein reichhaltiges Rahmenprogramm
für Unterhaltung.
Die Entwicklung der gewerblichen hessischmittelrheinischen Regionalverbände bis zur
Bäcker, Kraft fahrer und viele andere
Berufszweige organisiert.
Prägungen ländlicher
Regionalverbände in Hessen
durch Wilhelm Haas
Auf die Entwicklung des ländlichen
Genossenschaft swesens in Hessen nahm,
wie erwähnt, der 1839 in Darmstadt
geborene Wilhelm Haas großen Einfluss.
Sein 1873 in Mainz mit initiierter Verband
der hessischen landwirtschaftlichen Konsumvereine wurde nach dem Zusammenschluss
mit zwei weiteren regionalen Genossenschaft sverbänden 1889 in Verband der
hessischen landwirtschaftlichen Genossenschaften, Darmstadt, umbenannt. Dieser
verschmolz 1934 mit dem Ländlichen
Genossenschaft sverband – Raiffeisen – e.V.
zu Frankfurt am Main, Frankfurt am Main,
der aus zwei 1888 in Limburg und Wiesbaden gegründeten Regionalverbänden
hervorgegangen war. Der neue Ländliche
Genossenschaft sverband Rhein-MainNeckar e.V., Frankfurt am Main, vertrat
fortan einen Großteil der ländlichen
Genossenschaften in Hessen.
vorteilung und Wucher sollten damit
ausgeschlossen werden. Der Verband hielt
für die Gründung von Darlehnskassen-Vereinen Musterstatute bereit. Auch der Haas‘sche
Genossenschaftsverband führte die Prüfung
noch vor 1889 ein. Der Revisor sollte, so
Haas, nicht der strenge Aufseher, sondern der
Freund und Helfer in der genossenschaftlichen Arbeit sein.
Der 1934 per Fusion neu geschaffene Verband
zählt knapp 2.400 Mitgliedsgenossenschaften
unterschiedlichster Couleur. Mit über 1.100
waren Kreditgenossenschaften die zahlenmäßig stärkste Sparte, gefolgt von knapp 500
allgemeinen Bezugs- und Absatzgenossenschaften und fast ebenso vielen Molkerei- und
Milchabsatzgenossenschaften. Hinzu kamen
unter anderem 88 Dreschgenossenschaften,
40 Obst- und Gemüseverwertungsgenossenschaften, 19 Eierverwertungsgenossenschaften, 13 Viehverwertungsgenossenschaften,
6 Baugenossenschaften, 3 Siedlungsgenossenschaften, 2 Gartenbaugenossenschaften, 1 Maschinengenossenschaft, 1 Weidegenossenschaft sowie 1 Wasserbezugsgenossenschaft.
Winzergenossenschaften als
regionale Besonderheit
Wie sich damals beispielsweise an Nord- und
Ostseeküste Fischereigenossenschaften als
spezifische regionale Variante des deutschen
Genossenschaftswesens gründeten, so entstanden nach und nach in nahezu allen deutschen
Weinanbaugebieten Winzergenossenschaften.
Der Ländliche Genossenschaftsverband
Rhein-Main-Neckar in Frankfurt führte 1934
bereits 39 Winzergenossenschaften.
Gesamtansicht einer genossenschaftlichen Speicheranlage mit Anschlussgleis.
Fusion 1933 verlief ähnlich. Zunächst
dominierten Kreditgenossenschaften unter
den Mitgliedern, später waren ihre Genossenschaften Ausdruck eines vielfältigen
Wirtschaftslebens in der Region. 1938 wies
der Hessisch-Mittelrheinische Verband
neben 129 Kreditgenossenschaften 100
Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften
aus. Darin waren Tapezierer, Brauer,
Diamantenschleifer, Drogisten, Fleischer,
netzwerk 12/09
Haas sah im Verband eine Chance, auf dem
Markt mit größerer Wirtschaft smacht
aufzutreten, als es dem einzelnen Landwirt
und selbst der Genossenschaft möglich
gewesen wäre. Er initiierte die Gründung
weiterer genossenschaft licher Verbände und
Zentralen. Zudem regte er an, Warengenossenschaften durch eine auf die ländlichen
Verhältnisse zugeschnittene genossenschaftliche Kreditwirtschaft zu ergänzen. Über-
Erste vereinsmäßige Zusammenschlüsse von
Winzern, um ihre schwache wirtschaft liche
Stellung zu verbessern, gab es bereits in den
1820er-Jahren in Baden. 1852 gründeten sich
an der Mosel derartige Vereine erstmals
unter dem Namen „Winzergenossenschaft“.
Ihre Statuten enthielten bereits maßgebliche
Grundsätze der späteren Genossenschaften
41
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Anfang des 20.
Jahrhunderts gründeten sich auch in der
Rhein-Main-NeckarRegion zahlreiche
Winzergenossenschaften, die dauerhaft
erfolgreich wirtschafteten. Als sich deutsche
Winzergenossenschaften später
zunehmend Konkurrenz machten, kam es
in mehreren Regionen
zur Gründung von
Zentralkellereien.
Winzergenossenschaften gibt es im Verbandsgebiet seit 1852.
Raiffeisen‘scher Prägung. Die gemeinsame
Nutzung von Personal, Geräten, Maschinen
und Gebäuden für Weinausbau und Vertrieb
sollten die Produktions- und Vertriebskosten
optimieren. Dennoch scheiterten die
Unternehmen bald an einem ökonomischen
Kardinalfehler: Sie zahlten ihren Mitgliedern
aus aufgenommenen Darlehen höhere
Beträge aus, als später auf dem Markt zu
erzielen waren. Ähnlich erging es vielen
frühen Versuchen dieser Art in anderen
Regionen.
Friedrich Wilhelm Raiffeisen widmete
Winzergenossenschaften in seiner wegweisenden Publikation über DarlehnskassenVereine von 1866 ein eigenes Kapitel. Bald
entstanden Genossenschaften auf ökonomischen Grundlagen, die sich als tragfähiger
erwiesen. Als älteste der heute noch existierenden Winzergenossenschaft gilt Mayschoß-Altenahr, deren Wurzeln bis 1868
zurückreichen. Ende des 19. Jahrhunderts,
42
Bald kam es zu
gemeinsamen
Werbeaktionen, die
auch der Frankfurter
Verband aktiv
unterstützte. Eine in
der Mainmetropole
eingerichtete Weinwerbestube der deutschen
Winzergenossenschaften übernahm
zum Beispiel die
Werbung für einheimische Winzergenossenschaftsweine, führte
Verkostungen durch und beteiligte sich an
einschlägigen Ausstellungen. Zudem
ermunterte der Verband seine Mitglieder,
ihre technischen Betriebseinrichtungen stets
auf aktuellem Stand zu halten, um eine
möglichst hohe Qualität der produzierten
Weine zu gewährleisten.
Winzergenossenschaften sind trotz hohem
Wettbewerbsdruck durch in- und ausländische Konkurrenz eine erfolgreiche
Genossenschaftssparte geblieben. 2007
gehörten von den 212 deutschen Winzergenossenschaften 42 dem Frankfurter Genossenschaftsverband an. Diese erwirtschafteten
2007 auf der Grundlage von 6.567 Mitgliedsbetrieben einen Umsatz aus dem Eigengeschäft von rund 128 Mio. Euro. Der
Regionalverband begleitet die Winzergenossenschaften heute aktiv unter anderem durch
die Förderung von Kooperationen, die
Synergien sowohl bei den Kosten als auch auf
bestimmten Märkten schaffen sollen.
Die lange eigenständige
Entwicklung in Kurhessen
Als 1930 der Kurhessische Verband ländlicher
Genossenschaften – Raiffeisen – e.V., Kassel,
aus der Verschmelzung des Verbandes der
Hessischen Raiffeisen-Genossenschaften e.V. zu
Kassel, Kassel, mit dem Verband der landwirtschaftlichen Genossenschaften für den
Regierungsbezirk Kassel und angrenzender
Gebiete e.V., Kassel, entstand, gab es Kurhessen
politisch längst nicht mehr. In seiner wechselvollen Geschichte existierte Kurhessen auf der
politischen Landkarte nur zwischen 1803 und
1866 als eigenständige Einheit. Heute ist
Kurhessen über die Regierungsbezirke Kassel,
Gießen und Darmstadt verteilt. Doch die neue
Firmierung 1930 war mit Bedacht gewählt
worden, denn keine andere definierte das
Verbandsgebiet präziser als „Kurhessen“ und
unterschied ihn so bereits durch den Namen
deutlich von den anderen hessischen Raiffeisen-Verbänden. Der Kurhessische Raiffeisenverband sollte bis zur Fusion mit dem
Frankfurter Genossenschaftsverband 1992 an
seiner Eigenständigkeit festhalten.
Die genossenschaft liche Bewegung in
Kurhessen war anfangs geprägt von Darlehnskassenvereinen. Den Anfang machte die
Gemeinde Friedewald, wo unter Federführung von Pfarrer August Haupt 1879 der
erste derartige Verein gegründet wurde.
Haupt war durch die Schriften Raiffeisens
inspiriert worden und half in Not geratenen
Dorfbewohnern zunächst durch Initiierung
einer Viehkasse und wenig später einer
Darlehnskasse. Die Dorfbewohner sollten, so
Haupt, nicht mehr auf Wucherer angewiesen
sein. Am 1. Mai 1882 gründeten auf Initiative
von Freiherr Bodo von Trott zu Solz Vertreter
von sieben Genossenschaften, darunter auch
Pfarrer Haupt, den Hessen-Casselscher
Verband. Vorläufiger Sitz wurde Hersfeld
(1895 nach Kassel verlegt).
Der Verband baute in der Folgezeit kontinuierlich seine Organisation aus. 1891 entstanden die ersten Unterverbände, die dem
intensiveren Austausch von Erfahrungen und
der Förderung der örtlichen und wirtschaftlich zunächst aufeinander angewiesenen
Genossenschaften dienten. Zahl und
Einteilung der Unterverbände veränderten
sich mit den Jahren, wobei sie an politischen
netzwerk 12/09
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Gliederungen orientiert blieben. So hatte der
Verband nach 1945 entsprechend der 16
Kreise über mehrere Jahrzehnte 16 Unterverbände, bis einige von ihnen in Zusammenhang mit der Kommunalreform zusammengelegt wurden. Der Verband führte seine
satzungsgemäßen Verbandstage bis 1992 an
unterschiedlichen Orten seines Gebietes und
später auch in allen Unterverbänden jährliche
Unterverbandstage mit allen wichtigen
Repräsentanten der Organisation durch, um
seine Verbundenheit mit dieser basisnahen
Organisationsform zu unterstreichen.
Bereits 1897 wurde ein erster Kurs durchgeführt, um die Rechner der Mitgliedsgenossenschaften besser auszubilden. Der große Erfolg
machte ihn zu einem frühen Vorreiter des von
den Genossenschaftsverbänden getragenen,
ständig fortentwickelten genossenschaftlichen
Bildungssystems. Der Kurhessische Verband
gründete unter anderem 1938 die Raiffeisenschule Marburg (siehe auch das Kapitel „Vom
Bildungsanbieter zum Personalentwickler“).
Ab 1905 wurde der Verband offiziell von
einem gewählten Verbandsanwalt geführt. Mit
der neuen Satzung erhielt der Verband die
Bezeichnung Hessischer Verband ländlicher
Genossenschaften e.V., Kassel (die Ergänzung
„Raiffeisen“ erfolgte 1923). 1906 erhielt der
Verband das Revisionsrecht. Unter Verbandsanwalt Georg Rexerodt (von 1893 bis 1923 im
Amt) richtete der Verband eine Versicherungsabteilung ein und baute seine Verbandstage zu repräsentativen Veranstaltungen aus.
Parallel wurde das Bild der Mitgliedsgenossenschaften bunter: Zu den Raiffeisenkassen
gesellten sich bald Milchgenossenschaften,
Kornhausgenossenschaften und Genossenschaften vieler anderer Wirtschaft sbereiche.
1909 wurde die Landwirtschaft liche An- und
Verkaufsgesellschaft Hessenland gegründet,
deren Vorläufer bis 1895 zurückreichen.
Ihre Entwicklung ähnelt der der anderen
erfolgreichen Raiffeisen-Hauptgenossenschaften. Die spätere Raiffeisen-Warenzentrale Hessenland GmbH gehört heute als
Raiffeisen-Warenzentrale Kurhessen-Thüringen GmbH mit einem Umsatz von rund
630 Mio. Euro (2008) zu den Stützen des
genossenschaft lichen Verbundes.
Zunächst waren die Kreditgenossenschaften
an die Zentral-Darlehnskasse in Neuwied
netzwerk 12/09
angeschlossen gewesen, 1929 gründeten sie
dann die Kurhessische Raiffeisenbank als
selbstständige regionale Zentralkasse. Die
spätere Raiffeisen-Zentralbank Kurhessen
AG folgte 1989 der bundesweiten Entwicklung hin zu einer Straff ung des genossenschaft lichen FinanzVerbundes und übertrug
ihre Geschäfte auf die damalige DG Bank.
Die erwähnte Verschmelzung mit dem 1891
gegründeten Verband der hessischen Raiffeisen-Genossenschaften erfolgte im Zuge der
Zusammenführung der ländlichen Reichsverbände 1930. Sie sollte bis 1992 die einzige
Fusion des Kurhessischen Verbandes bleiben.
Hintergrund dieser eigenständigen Entwicklung war eine erfolgreiche Reorganisation und
eine damit verbundene lang anhaltende
wirtschaftliche Prosperität des Verbandes und
seiner Mitglieder nach dem Zweiten Weltkrieg. 1949 firmierte der Verband um in
Raiffeisenverband Kurhessen e.V., Kassel.
wurde vom Bankgeschäft abgetrennt, unter
anderem durch die Gründung selbstständiger
Unternehmen. In den 1960er-Jahren setzte
ein sehr dynamischer Fusionsprozess unter
den Raiffeisenbanken ein, der 1970 mit 45
Verschmelzungen einen Höhepunkt hatte.
Waren es 1960 noch 556 Kreditgenossenschaften gewesen, gab es 1973 noch 226. Der
Trend sollte sich in gemäßigterem Tempo
fortsetzen, so zählte der Kurhessische
1950 begann die Ära von Konrad Jacob als
Verbandsanwalt. Er prägte über 30 Jahre den
Verband. 1953 weihte der Verband in Kassel
sein neues Raiffeisenhaus ein. Es war der
Startschuss für eine dortige Konzentration
der zentralen genossenschaft lichen Institutionen Kurhessens im sogenannten Raiffeisenviertel. Darüber hinaus gaben diese genossenschaft lichen Bautätigkeiten Impulse für
einen Wiederaufbau der im Krieg stark
zerstörten Kasseler Innenstadt.
Der Verband baute mit Blick auf die sich
verändernden und ständig wachsenden
Bedürfnisse der Mitglieder seine innere
Struktur aus und schlüpfte immer stärker in
die Rolle eines Schrittmachers der genossenschaft lichen Organisation. Ein Beispiel dafür
ist die Eröff nung des ersten regionalen
Rechenzentrums des deutschen Genossenschaftswesens 1964 in Kassel. In Zusammenarbeit mit den anderen genossenschaft lichen
Zentralinstitutionen meisterten sie den
gesellschaft lichen und ökonomischen
Strukturwandel lange Zeit erfolgreich. Im
landwirtschaft lichen Bereich war dafür
besonders die Raiffeisen-Warenzentrale eine
wichtige Partnerin. Im Zusammenwirken
mit dem genossenschaft lichen Verbund
unterstützte der Kurhessische Regionalverband die Entwicklung seiner Raiffeisenkassen hin zu Universalbanken. Das Waren-
43
D I E R E G I O N A LV E R B Ä N D E
Raiffeisenverband 1992 noch 70 Kreditinstitute.
Allerdings erhöhte sich ab den 1970er-Jahren
gerade aus den genossenschaft lichen Kreditinstituten heraus der Druck auf den Verband,
nach dem Vorbild der Spitzenverbände auch
auf der Ebene des Regionalverbandes den
engeren Schulterschluss zwischen Raiffeisenund Schulze-Delitzsch-Organisationen zu
suchen. Ein gemeinsamer Verband sollte unter
anderem helfen, die anhaltenden Konkurrenzen zwischen Volksbanken, die dem
Frankfurter Verband angehörten, und
Raiffeisenbanken in Kurhessen zu mindern.
Eine entscheidende verbandsinterne Weichenstellung dafür erfolgte 1983 durch die Wahl
des Juristen Hans Heinrich Gessner zum
Verbandsanwalt in der Nachfolge von Konrad
Jacob. Der damit verbundene Generationenwechsel geschah in einer dramatischen Wahl:
Gegen einflussreiche Mitbewerber setzte sich
Gessner im vierten Wahlgang durch.
Gessner, 1967 als Mitarbeiter der Rechtsabteilung zum Verband gekommen, wurde der
erste hauptamtliche Verbandsanwalt des
Kurhessischen Raiffeisenverbandes. Er war
auch gleichzeitig der letzte. Angesichts des
Strukturwandels im Genossenschaftsbereich,
der dem Verband wie überall größere und
leistungsfähigere, aber damit auch immer
weniger Mitglieder mit größeren Ansprüchen
an Prüfung, Beratung und Betreuung
bescherte, kam Gessner zu der Einsicht, dass
eine Fusion mit dem Frankfurter Regionalverband die sinnvollste Weiterentwicklung sei. Er
warb für seine Position, die dann im Zuge der
deutsch-deutschen Vereinigung 1992 realisiert
wurde. Obwohl er vom Entschluss sachlich
überzeugt gewesen sei, so erinnerte Gessner,
sei ihm der Schritt nicht leicht gefallen, denn
„mit das Schönste in meinem Berufsleben war
die gemeinsame Arbeit mit den Menschen vor
Ort, und das ist in größeren Einheiten
erfahrungsgemäß immer schwieriger.“
Offensive Neuausrichtung
durch Innovation und Qualitätskontrolle
Demokratie, Wirtschaftswunder, technischer
Fortschritt, zunehmender Wettbewerb und ein
verändertes Kundenverhalten prägten auch im
Einflussbereich der Frankfurter Regionalver-
44
bände die Entwicklung des Genossenschaftswesens in der jungen Bundesrepublik
Deutschland. Die Kreditwirtschaft entdeckte
den Privatmann und die Privatfrau als
interessante Bankkunden. In den 1960erJahren setzte der bargeldlose Zahlungsverkehr
ein. Die genossenschaftlichen Kreditinstitute
entwickelten sich zu Universalbanken, ihre
Palette an Finanzdienstleistungen wurde
immer umfassender und ausgefeilter.
Mit der zunehmenden Größe veränderte sich
auch das Selbstverständnis der Genossenschaften. Aus den Betreuten wurden selbstbewusste Partner der Prüfungsverbände. Diese
galten wegen der Verleihung des Prüfungsprivilegs durch die obersten Landesbehörden
als „halbstaatliche Einrichtungen“. Betreuung erlebten Betroffene damals noch öfter als
Bevormundung, Anweisung und Kontrolle,
vor allem in den Raiffeisenverbänden. Das
war nun immer weniger zeitgemäß.
Die Verbände änderten in der Folgezeit ihr
Selbstverständnis hin zu einem Serviceunternehmen und setzten Impulse für eine
effizientere interne Organisation. Der kleine
gewerbliche Rhein-Pfälzische Genossenschaftsverband unternahm dabei bereits früh
große Schritte hin zu einem modernen
Regionalverband. Hier läutete ein personeller
Wechsel nach dem Tod von Verbandsdirektor
Heinrich Laubscher 1962 den Politikwechsel
des Verbandes ein. Unter der Regie des neuen
Verbandsdirektors Erich Weinerth zog ein
neuer, kooperativer Führungsstil ein, der
junge Mitarbeiter sehr motivierte. Verwaltungsmitarbeiter Kurt Littig, der später zum
Geschäftsführer des Frankfurter Verbandes
aufstieg, erinnerte sich später so: „Von seinem
Amtsantritt als Prüfungsdienstleiter im April
1963 bis zu seiner Wahl in den Verbandsvorstand 1964 nutzte Erich Weinerth die
Gelegenheit, intensiv über die künft ige
Gestaltung des Verbandes nachzudenken.
Dabei verfolgte er von Anfang an die Idee, den
Verband aus seiner starren Rolle als Prüfungsverband mit seinen gesetzlichen Aufgaben in
ein Dienstleistungsunternehmen mit einem
breit gefächerten Beratungsangebot für die
Verbandsmitglieder zu überführen. Rechtsund Steuerberatung sowie betriebswirtschaftliche Beratung sollten durch den Aufbau
spezieller Abteilungen die Angebotspalette des
Verbandes vervollständigen. Insbesondere
favorisierte er die Schaffung des Bereichs
Bildungswesen, der Auszubildenden und
Mitarbeitern der Genossenschaften ein
adäquates Bildungsangebot unterbreiten
sollte.
Seine Gedanken über die Strukturierung des
Verbandes hielt Weinerth in einem Arbeitspapier fest. Dazu gehörte auch die Idee, die
interne Verwaltung des Verbandes auf einen
Bereichsleiter zu übertragen, der für
Personal-, Finanz- und Rechnungswesen,
Etatgestaltung sowie für allgemeine Verwaltungsfragen zuständig sein sollte. Letztlich
enthielt das Arbeitspapier auch Gedanken
zur Forcierung der Öffentlichkeitsarbeit, zur
Gestaltung künftiger regionaler Werbung für
die Genossenschaften sowie zur Installation
einer Abteilung für Marketingfragen.
Die Verbandsmitglieder begrüßten das
Konzept zur Neugestaltung des Verbandes,
dessen Umsetzung nach Weinerths Wahl
zum Verbandsdirektor zügig in Angriff
genommen wurde. Auf Initiative Weinerths
zog der Verband 1965 in die Landeshauptstadt Mainz um. Man wollte politische
Präsenz zeigen und dazu war die räumliche
Nähe zu den entscheidenden politischen
Instanzen förderlich. In der Folge knüpfte
der Verband jeweils vitale Kontakte zu den
rheinland-pfälzischen Landesregierungen
unterschiedlicher politischer Couleur. Wenig
später begann der Verband unter Federführung von Littig ein eigenes Bildungswesen
aufzubauen (siehe auch das Kapitel „Vom
Bildungsanbieter zum Personalentwickler“).
Überregionale Impulse des
Rhein-Pfälzischen Genossenschaftsverbandes
Der Rhein-Pfälzische Genossenschaftsverband schuf in dieser Zeit eine viel beachtete
Innovation. Er entwickelte einen Musterprüfungsbericht, der den bis dato üblichen
„Schnippelbericht“ ablöste. Er wurde später
von anderen Genossenschaftsverbänden und
von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften
übernommen. Klaus Lambert, der spätere
Präsident des Frankfurter Verbandes, hatte
daran erheblichen Anteil: „1963, als ich
anfing, arbeiteten beim Verband etwa 20
Mitarbeiter, knapp 40 Kreditgenossenschaften waren zu betreuen. Eine Prüfung
netzwerk 12/09
D I E R E G I O N A LV E R B Ä N D E
lief damals folgendermaßen ab: Ein Prüfer
ging hinaus, um die Volksbank X zu prüfen.
Dann musste er die Prüfungsergebnisse in
einem Prüfungsbericht zusammentragen. Es
gab eine Berichtsverordnung, die festlegte,
was in solch einem Bericht zu stehen hatte.
Jeder Prüfer musste diese Verordnung im
Kopf haben und alle Vorschriften beachten.
Was machte er? Er nahm einen Vorjahresbericht, den der Vorgänger geschrieben hatte,
und baute seinen Bericht nach diesem
Schema auf. Aus der Kopie des Vorgängerberichts schnippelte er die Passagen, die
wiederverwendungsfähig waren, mit der
Schere heraus. Dann klebte er die Passagen
auf seinen Bericht auf, ergänzte oder änderte
sie ab.
Als ich Prüfungsdienstleiter wurde, kam mir
die Idee, nicht mehr jeden einzelnen Prüfer
damit zu belasten, wie der Prüfungsbericht
auszusehen hat. Ich entwickelte gemäß der
Vorschrift einen Musterbericht. Darin
konnten wir auch Punkte aufnehmen, die wir
als Verband über die Vorschriften hinaus
beachtet sehen wollten. Auf der Vorderseite
standen die einzelnen Punkte des Musterprüfungsberichts, auf der Rückseite standen
die Erläuterungen dazu. Der Prüfer bekam
diesen Bericht und fing nach dieser Vorlage
an zu prüfen. Wir schrieben als Varianten
auch Alternativsätze vor wie „Die Vermögenslage ist geordnet/ist nicht geordnet
aufgrund folgender Tatbestände: ...“. Der
Prüfer konnte seine Hinweise daran anfügen.
Wir schrieben von Verbandsseite außerdem
hinein, wann ein Hinweis gegeben werden
muss, wann ein Testat versagt werden muss
und Ähnliches.“
Jedes Jahr überprüfte der Verband seinen
Musterprüfungsbericht, ob neue rechtliche
Regelungen zu berücksichtigen waren und ob
der Bericht noch den aktuellen Erfordernissen entsprach. Als EDV-kompatible Version,
die die enorm gestiegene Zahl an Prüfungsstandards (allein bis zu 100 nach dem IDW)
und das zunehmend komplexe Verfahren
berücksichtigt, leistet der Musterprüfungsbericht bis in die Gegenwart gute Dienste.
Die stete Qualitätskontrolle übertrug die
Verbandsleitung bald auf alle Bereiche der
Organisation. Sie ist bis heute ein Markenzeichen des Frankfurter Genossenschaft sverbandes.
netzwerk 12/09
Mitglieder- und kundenbezogene Orientierung
In den 1970er-Jahren folgten weitere Innovationen, auf denen der Genossenschaft sverband Hessen/Rheinland-Pfalz dann
aufbauen konnte. Moderne Marketingmethoden und eine strategische Orientierung
hielten Einzug in die Verbandsarbeit. Die
Jahresabschlussprüfung bei Genossenschaften wurde nun als Basis herangezogen,
um abzuschätzen, welche künft igen Marktchancen sich daraus ergaben oder wo
absehbare Risiken überwogen. Der Blick ging
somit nach vorne und nicht mehr zurück.
Die Beratungs- und Betreuungstätigkeiten
wurden ausgeweitet, die Bildungsarbeit unter
der bewährten Regie von Kurt Littig
grund legend modernisiert und 1973 in
Bad Münster das neue Schulungszentrum
„Heinrich-Laubscher-Haus“ eingeweiht
(siehe auch Kapitel 4.3 „Vom Bildungsanbieter zum Personalentwickler“).
Nach der Fusion schuf der neue Frankfurter
Verband das System der Bezirkstage, in dem
die jeweiligen Volksbanken und Raiffeisenbanken zusammenkamen und miteinander
gemeinsame Probleme diskutierten. Damit
löste der Verband die bisherigen, isoliert nach
Volksbanken und Raiffeisenbanken tätigen
Bankenarbeitsgemeinschaften ab. Das trug
viel zur Gemeinsamkeit bei und machte
Kapazitäten frei, um sich verstärkt am Markt
und an den Bedürfnissen der Kunden zu
orientieren. Der Verband ermunterte seine
Banken, den ganzheitlichen Betreuungsansatz
zu übernehmen. Ähnlich wie er seine Mitglieder darauf aufmerksam machte, wenn unternehmerisch aus seiner Sicht etwas falsch lief,
sollten sie bei ihrer Beratung den Nutzen für
den Kunden in den Mittelpunkt stellen und
nicht den einzelnen Produktabsatz.
Der Verband änderte selbst seine Finanzierungskonzeption. Sie führte zunehmend weg
von einer allgemeinen Verbandsumlage hin zu
Entgelten für konkret erbrachte Leistungen,
die auf die aktuellen Bedürfnisse der Mitglieder abgestimmt waren. Als 1981 durch
eine Gesetzesnovelle Kreditgenossenschaften
in der Ertragsbesteuerung den Kapitalgesellschaften gleichgestellt wurden, verstärkte der
Verband seine Steuerberatung. Während 1980
noch 44 Prozent der Einnahmen in Höhe von
umgerechnet 11,7 Mio. Euro aus Verbandsbeiträgen stammten, waren es 2003 bei einem
Volumen von 61,6 Mio. Euro noch 14 Prozent.
Know-how und Strukturveränderungen für die Zukunft
Um einen Überblick über die Gesamtstruktur
von Krediten und deren Risiken zu bekommen, entwickelte der Frankfurter Genossenschaftsverband erstmals eine Bonitätsgruppenstruktur, die die Prüfungsergebnisse
einzelner Kredite zusammenfasste. Bis dato
hatte der Vorstand einer Bank Kredite als
individuelles Geschäft verstanden und zu
richtigen Werten bewertet, um zu einem
Ergebnis zu kommen. Der Verband sah
demgegenüber die Notwendigkeit, Kunden zu
klassifizieren. Das Bundesaufsichtsamt für
das Kreditwesen (BAKred) erkannte den
Vorteil einer solchen Vorgehensweise und
übernahm das Prinzip. Inzwischen ist die
Einordnung von Krediten in eine Bonitätsgruppenstruktur berufsüblich.
Im Sinne des späteren BVR-Mottos „Ein
Markt – eine Bank“ förderte der Verband
nach 1980 verstärkt ökonomisch sinnvolle
Fusionen. Wie andernorts erfasste der
Konzentrationsprozess bald alle genossenschaft lichen Sparten. Von 1979 bis 1990
verringerte sich die Zahl der Mitglieder des
Genossenschaftsverbandes Hessen/Rheinland-Pfalz von 1.141 auf 684, wobei die
Bilanzsumme von 30 Mio. DM auf
über 65 Mio. DM wuchs.
Ein Beispiel für die kluge Fusionspolitik ist die
Volksbank am Sitz des Verbandes. Denn
Frankfurt am Main ist nicht nur ein Ort, an
dem wichtige Glieder des genossenschaftlichen Verbundes wie DZ Bank und Union
Investment angesiedelt sind. Der Verband
kann vielmehr ihr Mitglied Frankfurter
Volksbank mit deren 145.000 Mitgliedern und
einer Bilanzsumme von über 5,8 Mrd. Euro
heute mit berechtigtem Stolz den „Platzhirsch“ der Finanzmetropole nennen.
45
M O D E R N E S G E N O SS E N S C H A F T S W E S E N
4
Mobilisierung der Kräfte
Verbandspolitische Antworten auf vielfältige „Entgrenzungen“ seit 1990.
Die Fahnen der Internationalen Grünen Woche Berlin als Symbol für erste Ost-West-Begegnungen nach dem Mauerfall.
4.1 Auf gleicher Augenhöhe:
die deutsche Vereinigung
Im Prinzip standen alle westdeutschen
genossenschaft lichen Verbände und
Institutionen, die nach dem Fall der Mauer
1989 genossenschaft liche Betätigung in
Ostdeutschland zu unterstützen versuchten,
vor den gleichen Herausforderungen und
Bedingungen. In einem beispiellosen
Prozess galt es, ostdeutschen Genossenschaftern im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe
bei der Umstellung von der Plan- auf die
wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft zur
Seite zu stehen. Die eingeleiteten und
durchgeführten Maßnahmen zur Hilfe beim
Aufbau eines funktionsfähigen genossenschaft lichen Prüfungswesens waren
weitgehend gleich, wobei die Umsetzung
46
und Akzentuierung mitunter von Verband
zu Verband variierte. Insofern stehen die
folgenden, einzelnen Verbänden zugeordneten Maßnahmen beispielhaft für die
Aufbauarbeit aller Verbände in den neuen
Bundesländern.
4.1.1 Respekt vor
dem Bestehenden: Praxis aus
Hannover
Partnerschaftliche Unterstützung in unübersichtlicher
Lage
Spätestens die Internationale Grüne Woche
in Berlin Anfang 1990 machte es für alle
sichtbar, dass nach der Öff nung der
innerdeutschen Grenze auch ein neues
Kapitel der Genossenschaft sgeschichte
aufgeschlagen wurde. Heinrich Huch,
damals Abteilungsleiter für Waren-,
Verwertungs- und Dienstleistungsgenossenschaften beim Genossenschaft sverband
Niedersachsen, erlebte es hautnah mit: „Der
Deutsche Raiffeisenverband hatte uns
angeworben, auf dem Messestand in Berlin
als Ansprechpartner zur Verfügung zu
stehen. Doch mit einem so großen Interesse
hatte niemand von uns gerechnet. Es kamen
Heerscharen von Ostvertretern, die in
irgendeiner Form genossenschaft liche
Verbindungen hatten und uns fragten, wie
bei uns Genossenschaft organisiert sei,
welche rechtlichen Bedingungen man
erfüllen müsse und ob wir Ansprechpartner
für dieses und jenes wüssten. Wir verteilten
netzwerk 12/09
MODERNES GENOSSENSCHAFTSWESEN
Die Lage war zunächst generell noch sehr
unübersichtlich. Wie und in welcher
Geschwindigkeit sich das Miteinander
zwischen beiden deutschen Staaten entwickeln würde, war unklar und unter den
politischen Akteuren umstritten. Erste
deutliche Hinweise, dass sich die deutschdeutsche Annäherung rasch vollziehen
würde, gab es nach der Wahl zur Volkskammer am 18. März 1990. Die neue DDR-Regierung unter Lothar de Maizière sendete bald
Signale in diese Richtung. Die Wirtschafts-,
Währungs- und Sozialunion am 1. Juli war
dann ein entscheidender Schritt hin zur
deutschen Vereinigung am 3. Oktober 1990.
Berge an Informationsmaterial. Es war auch
der Beginn vieler menschlicher Kontakte,
die wir in zahlreichen Begegnungen in
Hannover und vor allem vor Ort im Osten
vertieften.“
Die Gremien des Hannoveraner Verbandes
beschlossen, den Aufbau eines Genossenschaftswesens in der DDR kraft voll zu
unterstützen. Erste Kontakte und erste
Kooperationsverträge zwischen genossenschaft lichen Institutionen waren bereits
geknüpft. In Absprache mit den genossenschaft lichen Bundesverbänden und Zentralen konzentrierte sich Niedersachsen auf das
Nachbarland Sachsen-Anhalt. Formalrechtlich existierte dieses aber noch nicht. Wie alle
anderen fünf neuen Bundesländer sollte das
1952 aufgelöste Land erst im Oktober 1990
wieder neu eingerichtet werden.
netzwerk 12/09
Bis dahin wurden in der genossenschaftlichen Aufbauarbeit grundlegende Weichenstellungen und Orientierungen eingeleitet,
die den folgenden Vereinigungsprozess
zwischen sachsen-anhaltinischen und
niedersächsischen Genossenschaft sorganisationen mitbestimmten. Im Frühjahr gründeten sich entlang der DDR-Bezirksverwaltungsstrukturen eigenständige
Raiffeisenverbände, in Halle an der Saale
der Raiffeisenverband Sachsen-Anhalt e.V.
und in Magdeburg der Raiffeisen-Genossenschaft sverband Sachsen-Anhalt/Magdeburg
e.V. Im Bankensektor sah es anders aus.
Die früheren DDR-Genossenschaft skassen
in Sachsen-Anhalt, die sich in Volksbanken
umwandelten, schlossen sich mehrheitlich
direkt dem Hannoveraner Verband an.
Der BVR richtete für den Aufbau genossenschaft licher Kreditinstitute einen Solidarfonds ein, an dem sich auch der Genossenschaft sverband Niedersachsen beteiligte.
Der Regionalverband legte parallel ein
umfassendes eigenes Unterstützungsprogramm auf, das jeder Kreditgenossenschaft
im Osten eine im Westen an die Seite stellte,
und ermunterte seine Mitgliedsbanken
in Form von Patenschaft en selbstverantwortlich aktiv zu werden. Die Leitung
des Genossenschaft sverbandes Niedersachsen beobachtete die Entwicklung sehr
genau und ging behutsam vor. Im Juni
1990 beschloss der Verbandsausschuss,
dass der Genossenschaftsverband Niedersachsen „für eine Ausdehnung nach
Osten offen sein solle, dabei aber die dort
bestehenden Strukturen – insbesondere
Verbandsgründungen – und Verbände
respektieren solle“.
Solidarität mit hohem
persönlichen Einsatz
Für ostdeutsche Genossenschafter war die
Herausforderung umfassend, zumal sie sich
nicht nur auf westliche Bedingungen und
Arbeits- und Organisationsweisen bei ihrer
genossenschaft lichen Betätigung einstellen
mussten, sondern sich ihr Leben insgesamt
radikal veränderte. Sie fanden den Respekt
ihrer westdeutschen Kollegen durch ein
beherztes und, soweit es die Bedingungen
erlaubten, eigenständiges Annehmen der
Herausforderungen. Als „außerordentlich
verantwortungsbewusst und fleißig“ habe er
ostdeutsche Genossenschafter erlebt, betonte
Gerhard Ewerbeck später. Der für Werbung
und Marketing zuständige Mitarbeiter des
Genossenschaftsverbandes Niedersachsen
baute nach der politischen Wende in
Sachsen-Anhalt und später auch in Brandenburg die Gemeinschaftswerbung der
Volksbanken Raiffeisenbanken auf Kreisund Landesebene in den Medien auf unter
der Generalaussage: „Wir machen den Weg
frei“. Ewerbeck verschaffte sich damals früh
und über viele Jahre hinweg durch zahlreiche
Reisen in die neuen Bundesländer eigene
Eindrücke von der dortigen Entwicklung.
Der Hannoveraner Verband blickte anfangs
aufgrund der politischen Vorgaben und
Einlassungen skeptisch auf die ihm unbekannten Formen der Agrar- und der Produktionsgenossenschaften, wenngleich seine
Solidarität, Betreuung und Vertretung sie
prinzipiell einschloss. Der Aufwand für die
Prüfung einer Agrargenossenschaft erschien
anfangs überhaupt nicht kalkulierbar. Es fehle
den Agrargenossenschaften nur an einer
Lobby, nicht aber an Perspektive, so argumentierten sachsen-anhaltinische Genossenschafter bei ihren Auftritten in den Verbandsgremien. Dank ihres Einsatzes und der
ökonomischen Stabilisierung der Betriebe
bereicherten bald Agrargenossenschaften und
einige Produktionsgenossenschaften den
Verband. „Man musste am Anfang zuhören
47
M O D E R N E S G E N O SS E N S C H A F T S W E S E N
Impressionen nach dem Mauerfall.
können, um die Menschen und ihre spezifische Situation dort zu verstehen und um
Vertrauen aufzubauen“, räumte Verbandsdirektor Manfred Schlüter im Rückblick
freimütig den eigenen Lernprozess ein.
Mitarbeiter aller Ebenen des Hannoveraner
Verbandes engagierten sich in großer Zahl
auch vor Ort, um ihr Know-how zur Verfügung zu stellen. Allein etwa 50 Prüfer waren
bereits 1990 im Auftrag des Genossenschaftsverbandes Niedersachsen in Sachsen-Anhalt
unterwegs. Besonders die 11 Bezirksprüfer
nahmen spezielle Beratungs- und Betreuungsaufgaben wahr. Die Verbandszentrale hatte
die Bezirke eingerichtet und mit Prüfern
besetzt, die Prüfungsschlusssitzungen und
Generalversammlungen besuchten sowie bei
Investitionen und sonstigen Fragen als
standortnahe Ansprechpartner zur Verfügung
standen. Die Prüfer schulterten ein Gros der
Aufbauhilfe des Verbandes. Später stellte der
Genossenschaftsverband Niedersachsen
wegen des anhaltenden Bedarfs vier flexible
Teams zusammen, um eine intensive
Betreuung der Kreditgenossenschaften in
Sachsen-Anhalt sicherzustellen. Mancher
Verbandsvertreter beeindruckte nachhaltig
mit ganz pragmatischer Hilfe. Verbandsdirektor Wilfried Bungenstock etwa packte einfach
als Mitbringsel für eine Konferenz im Osten
ein Fotokopiergerät ein, das dort dringend
gebraucht wurde.
Im Sommer 1990 arbeiteten zusätzlich etwa 60
Studentinnen und Studenten, alle ehemalige
Auszubildende von niedersächsischen
Kreditgenossenschaften, bei Partnern in
Sachsen-Anhalt mit. „Unser Verband stellte sie
an und bezahlte sie. Später erstatteten uns die
ostdeutschen Banken die Auslagen wieder,
sofern ihre Situation es zuließ“, erläuterte der
zuständige Abteilungsleiter Manfred
Klingenberg später den Anteil des Genossenschaftsverbandes Niedersachsen an der
Initiative. Ein zeitgenössischer Erfahrungsbericht von Silke Jordan aus Sarstedt, die in der
BHG Jeber-Bergfrieden bei Dessau eingesetzt
war, um westdeutsche Bankgeschäfte
einführen zu helfen, veranschaulicht die
damalige Situation: „Da sowohl der Brief- als
auch der Telefonverkehr mit der ehemaligen
DDR sehr erschwert waren, war meine
Ankunft vorher nicht bekannt. Entsprechend
groß war die Überraschung und Freude der
ungeahnten Hilfe aus dem „Wilden Westen“
(Zitat der dortigen Mitarbeiterinnen).
Mein Tätigkeitsfeld begann damit, bereits
eingetroffene An- und Rundschreiben
westdeutscher Kreditinstitute zu lesen, deren
Inhalt weiterzuvermitteln, zu sortieren und
abzulegen. Außerdem mussten Büromaterial
Aus den Verbandsmagazinen.
48
netzwerk 12/09
2010
Genossenschaftsverband Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland/Sachsen/Thüring
2004
Genossenschaftsverband Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland/Thüringen,
d Pf
F
2002
2000
Genossenschaftsverband Hessen/Rheinland-Pfalz/Thüringen, Frankfurt am Main
1992
1990
Genossenschaftsverband Hessen/Rheinland-Pfalz (Raiffeisen/Schulze-Delitzsch),
Frankfurt am Main
1980
1980
Verband südwestdeutscher Volksbanken und Warengenossenschaften,
Frankfurt am Main
Raiffeisenverband Rhein-Main
Frankfurt am Main
1970
1970
1970
1960
1950
Ländlicher Genossenschaftsverband
Rhein-Main-Neckar,
Frankfurt am Main
Genossenschaftsverband Hessen-Mittelrhein (Schulze-Delitzsch),
Wi b d
Wiesbaden
1940
1934
Ländlicher Genossenschaftsverband
– Raiffeisen, Frankfurt am Main
1933
1930
1930
1920
Verband der
pfälzischen Erwerbsund Wirtschaftsgenossenschaften, Neustadt
a.d.W.
1910
1900
Verband der
Erwerbs- und
Wirtschaftsgenossenschaften
am Mittelrhein,
Wiesbaden
Verband der
Vorschuß- und
Kreditvereine
der Provinz Oberhessen,
Gießen
Verband der
hessischen
landwirtschaftlichen
Konsumvereine, Mainz
Verband der
Starkenburger
VorschußV
h ß und
d
Kreditvereine,
Darmstadt
Anwaltschaft
ländlicher
Genossenschaften
f
Raiffeisen´scher
Organisation in
Nassau,
Wiesbaden
Verband der
nassauischen
landwirtschaftlichen
Konsumvereine,
Limburg
1888
1888
1890
1880
1873
1870
1869
1867
1860
1862
1863
Entwicklung zum Genos
Genossenschaftsverband e.V
Frankfurt am Main
30. Juni 2008
gen, Frankfurt am Main
Frankfurt am Main
Genossenschaftsverband
Kurhessen-Thüringen, Kassel
Genossenschaftsverband Ni
Hannover
1991
Saarländischer
Genossenschaftsverband,
Saarbrücken
n,
1973
Raiffeisenverband Kurhessen,
Kassel
Niedersächsischer Genossenschaftsverband
(Schulze-Delitzsch),
Schulze-Delitzsch)
Hannover
Verband der pfälzischen landwirtschaftlichen
Genossenschaften – Raiffeisen,
Ludwigshafen
g
1949
1949
1946
Kurhessischer Verband ländlicher
Genossenschaften – Raiffeisen,
Kassel
Niedersächsischer Genossenschaftsverband,
Hannover
1930
1933
11920
920
20
Verband der
pfälzischen landwirtschaftlichen
Konsumvereine,
Neustadt aa.d.W.
dW
Verband der
Darlehenskassenvereine
und
d sonstiger
ti
lä
ländlidli
cher Genossenschaften
Raiffeisen´scher
Organisation,
Wachenheim
HessenCasselscher
Verband,
Kassel
Verband der
landwirtschaftlichen
Genossenschaften des
Regierungs
RegierungsBezirkes Kassel
und angrenzender
Gebiete,
Kassel
Verband hannov
Genossenscha
Verband hannoverscher
gewerblicher Genossenschaften,
Osnabrück
1897
Niedersächsischer Verband
band der
der
e E
Erwerbsrwe
werbs
bs u
und
nd
Wirtschaftsgenossenschaften Hannover,
Hannover
1891
1891
Revisionsverb. d. land
Provinz Hannover un
1882
1882
1882
ssenschaftsverband e.V.
V.*
Genossenschaftsverband Norddeutschland, Hannover
2002
Genossenschaftsverband
h f
b d Berlin-Hannover,
l
Hannover
1993/1994
Genossenschaftsverb. Berlin-Brandenburg (Schulze-Delitzsch/Raiffeisen), Berlin
1991
Raiffeisenverband Sachsen-Anhalt, Halle
Raiffeisen-Genossenschaftsverband
Sachsen-Anhalt/Magdeburg, Magdeburg
1990
1990
edersachsen,
Berliner Genossenschaftsverband
(Schulze-Delitzsch), Berlin
Raiffeisenverband Hannover,
Hannover
1961
Die auf dem Gebiet der DDR wieder errichteten regionalen Raiffeisen-Prüf
wurden bis 1951 in die Vereinigung der gegenseitigen Bauerhilfe – Bäuerlichen Handelsgenoss
Die regionalen Verbände der ehemaligen gewerblichen Genossenschaftsinstitute wurden in einem
1949
Verband ländlicher
Genossenschaften
H
Hannover-Braunschweig,
B
h i
Hannover
Brandenburgischer Genossenschaftsverband (Schulze-Delitzsch), Berlin
1938
Revisionsverband gewerblicher Genossenschaften zu Berlin
Berlin, Berlin
1931
1931
verscher landwirtschaftlicher
aften eingetragener Verein,
Hannover
Verband der Raiffeisengenossenschaften
Braunschweig,
Braunschweig
1891
dwirthschaftl. Genossenschaften i. d.
d dem Hamburger Gebiet, Hannover
ca. 1890
1889
* Bei den Vorläuferverbänden wird auf den Zusatz ee.V.
V verzichtet
Deren Namensnennungen sind nicht alle verzeichnet.
Auch in Ostdeutschland gründeten sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts za
ländliche Regionalverbände. 1938 existierten folgende regionale Prüfungsverbände, de
oder teilweise auf dem Gebiet der späteren DDR lag: fünf gewerbliche Verbände, zwei davo
je einer war in Halle an der Saale, Rudolfstadt und Stettin ansässig; zudem gab es sechs R
Stettin, Rostock, Berlin, Halle an der Saale, Erfurt und Dresden
2010
2000
Norddeutscher Genossenschaftsverband (Raiffeisen – Schulze-Delitzsch), Kiel
1992
Raiffeisenverband Mecklenburg-Vorpommern,
R
Rostock
o s to c k
1990
ungsverbände
senschaften (VdgB-BHG) integriert.
m zentralen Prüfungsverband vereinigt.
N
Norddeutscher
o ddeutscher G
Genossenschaftsverband
enos
ossse
e n s c h a f t s ve r b a n d
Schleswig-Holstein und Hamburg (Raiffeisen – Schulze-Delitzsch), Kiel
1990
1988
1980
Raiffeisenverband
Schleswig-Holstein
g
und Hamburg,
g
Kiel
1970
Nordwestdeutscher Genossenschaftsverband
(Schulze-Delitzsch),
H
Hamburg
1960
1957
Verband der Schleswig-Holsteinischen
Genossenschaften – Raiffeisen, Kiel
1950
1949
Von 1933 bis 1945 war das
Genossenschaftswesen in
1940
das zentral gelenkte nationalsozialistische Wirtschaftssystem
eingegliedert.
1939
Genossenschaftsverband
von Nordwest-Deutschland,
Elmshorn
1928
Verband der Schleswig-Holsteinischen
Landwirtschaftlichen
Genossenschaften,
Kiel
1920
Verband der gewerblichen Genossenschaften
in der Provinz SchleswigHolstein,,
Kiel
ahlreiche gewerbliche und
eren Geschäftsbereich ganz
on hatten ihren Sitz in Dresden,
aiffeisen-Verbände mit Sitz in
n.
1902
1895
Verband der landwirtschaftlichen Konsumvereine
V
des Schleswig-Holsteinischen landwirtschaftlichen
Generalvereins, Kiel
1930
Verband der
Vorschuß- und Creditvereine von NordwestDeutschland,
Altona
1910
1900
1890
1884
1880
1870
1866
1860
netzwerk 01/09
MODERNES GENOSSENSCHAFTSWESEN
wie Locher, Ordner, Stifte usw. westdeutscher
Qualität und erste Formulare bestellt werden;
Zeitpunkt des Eintreffens: vier Wochen
später!“ Praktisch sei es darum gegangen, so
Jordan, eine „Bank zu gründen“. Also habe sie
geduldig Grundzüge und Details der
Verwaltung und der Bankgeschäfte erklärt.
„Hier lag eine der Hauptschwierigkeiten: Da
es in der ehemaligen DDR bisher nur die
‚Anlageform‘ des Sparbuchs mit einheitlichem
Zins gab, bestand nie die Notwendigkeit einer
Beratung. Jetzt bei Einführung des Sparbriefs,
Festgeldes, Bonussparens und des Sparbuchs
mit vereinbarter Kündigungsfrist sahen sich
die Mitarbeiterinnen (es gab nur Mitarbeiterinnen, da der Beruf bisher weder besonders
gut angesehen noch gut bezahlt war) der Bank
gezwungen, Beratungen vorzunehmen, was sie
anfänglich mit Scheu ablehnten. Daher habe
ich an zwei Wochenenden ab 6.30 Uhr eine
Produktschulung abgehalten, bei der ich alle
Anlageformen mit ihren jeweiligen Einzelund Besonderheiten vorstellte, schrift lich
formuliert austeilte, die Vorteile extra
hervorhob und durch Rollenspiele das
Bank- und Beratungsgeschäft näherzubringen
versuchte.“
Wochenende um Wochenende machten sich
die Mitarbeiterinnen mit westdeutscher
Buchungstechnik, der neuen EDV-Anlage, die
erst hatte beschafft werden müssen, und vor
allem mit dem ungewohnten ökonomischen
Wettbewerb vertraut. Das Werben um
Kunden war ihnen völlig neu. Zeitweilig
unterstützt vom Innenrevisor einer niedersächsischen Partnerbank sah Jordan am Ende
ihres Aufenthaltes bereits viele Fortschritte.
Doch selbst „mit sehr hohem Kraft- und
Willensaufwand der Bürger“, so ihr sachliches
netzwerk 12/09
Fazit, sei eine Annäherung der Systeme „nur
innerhalb eines mehrjährigen Zeitraumes zu
erreichen“.
Umfassende Hilfe zur Selbsthilfe
und erste Kooperationen
Die Herausforderung, ostdeutsche Betriebe in
Genossenschaften westdeutscher Couleur
umzuwandeln oder solche neu zu gründen,
stellte sich von Branche zu Branche sehr
unterschiedlich dar. Molkereigenossenschaften litten besonders unter Altschulden.
Bei vielen Grundstücken war die Eigentumsfrage ungeklärt. Rechtsexperten des Genossenschaftsverbandes Niedersachsen übernahmen die Verhandlungen mit der Treuhand,
damit sich die ostdeutschen Genossenschafter
auf das ökonomische Überleben konzentrieren konnten. Die landwirtschaft lichen
Warengenossenschaften erfuhren früh eine
harte und oft übermächtige Konkurrenz
durch westdeutsche Baumarktketten.
Genossenschaft liche Betätigung fand hier oft
eine alternative, dem westdeutschen Trend
entsprechende Form: Die RHG Hannover
schuf bis Ende 1991 selbst 36 Betriebsstätten
in Ostdeutschland, um die landwirtschaftlichen Betriebe mit moderner Landtechnik
und hochwertigen Betriebsmitteln zu
versorgen sowie ihnen als leistungsstarker
Vermarktungspartner für Getreide, Kartoffeln
und Ölfrüchte zur Verfügung zu stehen.
Darüber hinaus boten sie diverse Artikel des
ländlichen Bedarfs wie Baustoffe, Haus- und
Gartenartikel an. Dies war eine generelle
Entwicklung in Ostdeutschland. Von wenigen
Ausnahmen abgesehen, entstanden oder
hielten sich dort keine Ortsgenossenschaften
im Warenbereich.
Der Genossenschaftsverband Niedersachsen
erkannte bald, dass der immense Nachbildungsbedarf im Osten nur durch systematische Schulung zu bewältigen war. Er
erweiterte die GenoAkademie in Isernhagen
und fand 1991 in der ehemaligen Ingenieurschule Neugattersleben ein geeignetes Objekt
zur gezielten Ausbildung in Sachsen-Anhalt.
Die Investitionskosten betrugen etwa
sechs Mio. DM, doch der Aufwand lohnte. Die
„Akademie für Führungspraxis und Persönlichkeitsbildung Neugattersleben“ avancierte
zu einem viel beachteten Symbol für den
erfolgreichen genossenschaft lichen „Aufbau
Ost“. Knapp 2.500 Teilnehmer nahmen dort
bereits im ersten halben Jahr an 92 Schulungen teil, Tendenz steigend (siehe auch
Kapitel 4.3 „Vom Bildungsanbieter zum
Personalentwickler“).
Um den besonders in Banken anfangs
drückenden Mangel an qualifiziertem
Personal entgegenzuwirken, ermunterte der
Genossenschaftsverband Niedersachsen
Interessierte zur dauerhaften Mitarbeit. Heft
Nr. 4/1990 seiner Verbandszeitschrift
„Mitteilungen“ titelte: „Aufruf an alle, die Mut
und Freude am Aufbau genossenschaftlicher
Banken haben“. Im Innern konkretisierte ein
Stellenangebot für Bankleiter, Führungskräfte
und Fachpersonal in Sachsen-Anhalt den
Aufruf. Wie die anderen westdeutschen
Regionalverbände, die in den neuen Bundes-
49
M O D E R N E S G E N O SS E N S C H A F T S W E S E N
Die Ausstellung der VR Banken mit den besten Malarbeiten des Jugend-Wettbewerbs in der wiedervereinigten
Bundesrepublik Deutschland im Kloster Jerichow.
ländern aktiv waren, empfahl der Genossenschaftsverband Niedersachsen den Genossenschaften, die Leitung möglichst in
einheimischer Hand zu belassen und einen
sachkundigen westdeutschen Kollegen als
Stellvertreter hinzuziehen. Denn das
Verwurzeltsein in der Region und die
persönliche Kenntnis der Bewohner waren
kaum ersetzbare Vorteile im ökonomischen
Wettbewerb.
Noch im Oktober 1990 kam es zu Kooperationsverträgen mit den Raiffeisenverbänden in
Halle und Magdeburg mit dem Ziel späterer
Fusionen, die dann bis Anfang 1994 vollzogen
wurden. Im Herbst 1990 erhielt der Genossenschaftsverband Niedersachsen das Prüfungsrecht für Sachsen-Anhalt. Der Verband
erweiterte per Satzungsänderung seine
Gremien und Organe, um Vertreter dortiger
Genossenschaften aufnehmen zu können. Sie
sollten ihre Interessen im Verband künftig
selbstverantwortlich vertreten. In Magdeburg
und Halle richtete der Hannoveraner Verband
zeitweilig Dependancen ein. Um – mit Blick
auf ostdeutsche Genossenschaften – seine nun
generelle Offenheit über Niedersachsen hinaus
zu dokumentieren, änderte der Genossenschaftsverband Niedersachsen zum 1. Januar
1991 seinen Namen in Genossenschaftsverband Hannover e.V. (GVH). Später organisierte er zwecks zielgenauer Unterstützung
spezielle Arbeitsgruppen „Sachsen-Anhalt“ in
seinen Fachvereinigungen.
Bis zu diesem Zeitpunkt schlossen sich
dem Genossenschaftsverband in Hannover
70 Kreditgenossenschaften ohne Waren-
50
geschäft, 53 Raiffeisen-Warengenossenschaften und 1 gewerbliche Warengenossenschaft aus Ostdeutschland direkt an. Die
Entwicklung der dortigen Mitgliedsgenossenschaften verlief in den folgenden
Jahren sehr dynamisch, neue kamen hinzu,
bestehende gaben auf oder schlossen sich zu
leistungsfähigeren Einheiten zusammen. Bis
1993 sank die Gesamtzahl sachsen-anhaltinischer Kreditgenossenschaften im Verband
auf 48, obwohl sich zwischenzeitlich weitere
angeschlossen hatten. 2000 sollten es noch 21
sein.
Aufgaben des 1990 neu gegründeten und ein
Jahr später bereits wieder aufgelösten
Brandenburgischen Raiffeisen-Verbandes
(BRV) e.V., Potsdam, in Form einer Einzelrechtsnachfolge übernahm. Der ehemalige
Direktor des Brandenburger Verbandes Uwe
Schöne wurde auch Direktor des Berliner
Verbandes, der 1991 zum Genossenschaftsverband Berlin-Brandenburg (Schulze-Delitzsch/
Raiffeisen) e.V., Berlin, umfirmierte. Dieser bat
Anfang 1992 bei den westdeutschen Nachbarverbänden um Unterstützung. Der Berliner
Verband hatte es vor der Grenzöff nung im
Wesentlichen nur mit den drei großen
Kreditgenossenschaften der Stadt zu tun
gehabt. Das größte Institut Volksbank Berlin
war zudem von der Deutschen Genossenschaftsrevision geprüft worden. Um Brandenburg angemessen zu betreuen, mangelte es
dem Verband an Infrastruktur und Kapazitäten.
Auf Wunsch des Berliner Verbandes und der
Bundesverbände stimmte der Verbandsausschuss des GVH zu, dass Verbandsdirektor
Schlüter zum Vorstandsmitglied in Berlin
gewählt wurde. Insbesondere aufgrund der
teilweise kritischen Situation der Kreditgenos-
Die Solidaritätsaktionen des GVH zielten stets
vorrangig darauf, die Genossenschaften
ökonomisch auf eigene, zukunftsfähige Beine
zu stellen. Entsprechend professionell wurde
geprüft. Stolz verkündete Verbandsdirektor
Bungenstock im Herbst 1992 dem eigenen
Verbandsausschuss: „Im Zusammenhang mit
der Darstellung des Standes des Prüfungswesens bei den Kreditgenossenschaften in
Sachsen-Anhalt hat der zuständige Abteilungsleiter von sich aus ungefragt erklärt, dass
nach dem Eindruck des Bundesaufsichtsamtes
von allen bei ostdeutschen Kreditgenossenschaften tätigen westlichen und östlichen
Prüfungsverbänden der Genossenschaftsverband Hannover mit Abstand und überragend
den besten Eindruck hinterlasse.“
Erfolgreiche Nothilfe in Berlin
und Brandenburg
Eine besondere Entwicklung nahm der
Berliner Genossenschaftsverband (SchulzeDelitzsch) e.V., Berlin, der die wirtschaft lichen
netzwerk 12/09
MODERNES GENOSSENSCHAFTSWESEN
durch die wachsende Zahl an Arbeitslosen zu
neuerlichen Bewährungsproben. Diese und
die sich weltweit öff nenden Märkte waren
nun grundsätzlich eine gesamtdeutsche
Herausforderung. Wie im Westen erwiesen
sich auch in Ostdeutschland Zusammenschlüsse zu leistungsstärkeren Einheiten als
ein probates Mittel, im Wettbewerb zu
bestehen. Fünf Jahre später erzielten stabile
267 Agrargenossenschaften gute wirtschaftliche Erträge.
4.1.2 Von der LPG zur
Agrargenossenschaft:
Unterstützung aus Kiel
Kahnfährgenossenschaft Lübbenau und Umgebung eG im Spreewald.
senschaften in Brandenburg wurde dann
rasch klar, dass grundsätzliche Lösungen
gefunden werden mussten. Mit den genossenschaft lichen Spitzenverbänden und Zentralinstitutionen wurde über flankierende Maßnahmen beraten, zumal die Unterstützung der
Genossenschaften in Sachsen-Anhalt den
Hannoveranern bereits einiges abverlangt
hatte und längst nicht beendet war. Der
erneute Kraftakt wurde überlegt vorbereitet.
Bis Anfang 1994 vollzogen beide Verbände die
Fusion zum Genossenschaftsverband BerlinHannover e.V. (GVBH). Hauptsitz war
Hannover, der neue Verband blieb aber mit
einer Niederlassung in der Hauptstadt präsent.
Mit den Erfahrungen aus Sachsen-Anhalt
und erneut außerordentlich großem
persönlichen Einsatz gelang es auch hier mit
gutem Erfolg, Probleme aufzuarbeiten, beim
Aufbau von ökonomisch gesunden Genossenschaften zu helfen und eine leistungsstarke Verbandsstruktur zu etablieren.
Wieder machten sich rund 50 Prüfer auf den
weiten Weg. Die Gesamtprüfungsleistung des
GVBH erhöhte sich 1994 gegenüber dem
Vorjahr von rund 26.000 auf 36.000 Tage.
Auch die Beratungsabteilungen waren
dauerhaft im Einsatz. Später mussten der
GVBH und die genossenschaft liche Organisation zusätzlich noch Berliner Kreditgenossenschaften unter die Arme greifen, als diese
in eine ökonomische Schieflage gerieten. „Es
netzwerk 12/09
wurde damals viel Geld investiert, auch die
größte Einzelüberweisung in meiner
Verbandstätigkeit fiel in diese Zeit“, erinnerte
der Hannoveraner Abteilungsleiter Manfred
Klingenberg mit Blick auf die hohen
Sanierungskosten.
Übergang in eine
gesamtdeutsche Realität
Auf dem Verbandstag 1995 zog Manfred
Schlüter ein Resümee: „Für den Verband hat
es wohl keine Zeit vor 1989/90 gegeben, in
der Veränderungen, aber auch Arbeitsbelastungen in einem solchen Ausmaß zu verkraften waren. Einsatzbereitschaft und
Flexibilität hatten in den letzten fünf Jahren
Priorität. Jetzt kommt es zu einer Normalisierung der Arbeitsbedingungen, wenngleich
sich Anforderungen erheblich von früher
und in einzelnen Bereichen unterscheiden.
Die Probleme und Prüfungsrückstände sind
im Wesentlichen abgearbeitet. Die Verschmelzungen waren keine Zusammenschlüsse herkömmlicher Art. Sie erforderten
und erfordern noch heute umfassende und
intensive Unterstützung sowie Aufbau- und
Grundlagenarbeit.“
Vertrauen in engagierte
Menschen
Sie galten als rasch zu entsorgende Relikte
eines gescheiterten Sozialismus. Dabei hatten
die 3.850 Landwirtschaft lichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und ihre über
800.000 Mitglieder in der DDR 1990 mit
jenen Genossenschaften der Gründungsgeneration in den 1950er- und 1960er-Jahren nur
noch wenig gemein. Einige der LPG waren
sogar, gemessen an DDR-Verhältnissen, gut
organisierte, florierende Unternehmen
geworden. Ihnen wurde nun aber allesamt
ökonomisch und rechtlich der Boden
entzogen: Mit der Währungsreform 1990
und der Integration in den europäischen
Binnenmarkt brach der Absatzmarkt im
Osten weg. Die letzte DDR-Regierung schrieb
per Gesetz die Umwandlung in eine westliche
Rechtsform bis Ende 1991 vor. Andernfalls
drohte die Auflösung. Die Frist wurde später
verlängert. Die Mehrheit der Betriebe, die
nicht aufgaben, wollte die kollektive
Organisation bewahren und suchte dafür
eine geeignete neue Rechtsform.
Hans Uhn, Geschäftsführer der mecklenburgischen Agrargenossenschaft Schulenburg
Ende 1995 gehörten dem GVBH 307
Agrargenossenschaften an, die mehrheitlich
einen deutlichen Trend zur Konsolidierung
aufwiesen. In den folgenden Jahren kam es
51
M O D E R N E S G E N O SS E N S C H A F T S W E S E N
eG, blickte anlässlich einer DRV-Tagung über
die „Zukunftschancen der Agrargenossenschaften“ 1995 auf die Entscheidungssituation zurück: „Wir standen 1990 vor der Frage,
wie die Landwirtschaft sich im Osten
weiterentwickeln soll. Wer die Katastrophe
auf den Dörfern nicht miterlebt hat, der kann
sich heute nur schwer vorstellen, wie es
wirklich ausgesehen hat. Wir saßen zusammen und haben beratschlagt. Wir haben
Berater gehabt, die oft mals nur kamen, um
ihr Geld zu verdienen und dann wieder zu
verschwinden. Auf diese Art und Weise
wurden reihenweise Betriebe liquidiert. Aber
unser Betrieb hat dann eine Umwandlung
der LPG in die Agrargenossenschaft
Schulenberg vollzogen, aus einem großen
Solidaritätsgefühl heraus. Wir hatten
zueinander Vertrauen, zum Aufsichtsrat und
zum Vorstand.“
Außenstehende, vor allem Politiker, gaben
dem Experiment kaum Überlebenschancen.
Allerdings weniger aus nüchternen ökonomischen Erwägungen, sondern vielmehr weil
sie der aus ideologischen Motiven heraus
entstandenen Organisationsform LPG
misstrauten und landwirtschaft liche Betriebe
für sie in „Familienhand“ gehörten.
Der heutige Geschäft sführer der Schweriner
Dependance des Genossenschaft sverbandes
e.V. Hartmut Wallstabe kannte 1990 als
ehemaliger Prüfer der LPG ihre prinzipiellen Stärken und Schwächen bestens und
war mit den Betrieben in MecklenburgVorpommern vertraut. Er sah, dass dort
viele Menschen arbeiteten, die ihr landwirtschaft liches Metier verstanden, und fuhr
nach der Grenzöff nung nach Westen, um
sich über geeignete neue Rechtsformen für
die Großbetriebe zu informieren. Auf
Empfehlung dortiger Gesprächspartner
klopfte er beim Norddeutschen Genossenschaftsverband e.V. (NGV) in Kiel an, dessen
Mitarbeiter ihm sofort Unterstützung
anboten. Präsident und Landwirt Sönke
Paulsen, Verbandsdirektor Dietrich Hill
und andere Repräsentanten des NGV
nahmen an vielen lokalen Veranstaltungen
in Mecklenburg-Vorpommern teil und
warben für den Genossenschaftsgedanken.
Geschäft sführer Uhn würdigte 1995 den
Anteil des Verbandes, die Schulenburger
Agrargenossenschaft auf wirtschaft lich
52
gesunde Füße zu stellen: „Gemeinsam mit
dem Norddeutschen Genossenschaftsverband konnte das Konzept umgesetzt
werden.“
280 regionale LPG wandelten sich in eine
Agrargenossenschaft nach dem deutschen
Genossenschaftsgesetz um. Insgesamt
entschieden sich bis Ende 1991 in den neuen
Bundesländern knapp 1.500 Betriebe für
diese Rechtsform, womit sie die Mehrheit
unter den LPG-Nachfolgeunternehmen
stellten.
Die Umwandlung erfolgte in mehreren
Schritten, die auch in DDR-Zeiten getrennte
Produktionseinheiten zusammenführte:
Zuerst schlossen sich mehrere LPG Tierproduktion zusammen, dann fusionierten sie
mit einer Abteilung Pflanzenproduktion im
Ort zu einer neuen LPG. Diese wandelte sich
dann in eine Agrargenossenschaft um. Als
Primärgenossenschaft unterscheidet sich eine
Agrargenossenschaft von anderen landwirtschaft lichen Genossenschaften, die besonders
im Handel oder in der Verarbeitung
agrarischer Erzeugnisse tätig sind. Sie besitzt
einen produktivgenossenschaft lichen
Charakter, d. h. Beschäft igte sind auch
Mitglieder der Genossenschaft . Der NGV
erarbeitete eine neue Mustersatzung für die
Agrargenossenschaften, von denen sich
einzelne direkt dem Kieler Verband anschlossen. Der NGV hatte 1991 das Prüfungsrecht in Mecklenburg-Vorpommern
erhalten.
Ein zentrales Startproblem sei es gewesen, so
Wallstabe, ausreichend Finanzmittel für
notwendige Investitionen zu erhalten. Den
Beteiligten war klar, dass sie nur mit
modernster Technik und aktuellen Produktionsverfahren wettbewerbsfähig sein würden.
Die DG Bank half, aber die wichtigste
Unterstützung kam vom Kieler Verband.
Wallstabe führte ihre Repräsentanten durch
die Betriebe und erläuterte die ökonomischen
Pläne. Das überzeugte: Der NGV stellte sich
entschlossen hinter das Vorhaben und half
bei der Kreditvermittlung. Dauerhafte
persönliche Verbindungen entstanden. „Wir
genossen in Kiel viel Vertrauen bei unseren
ersten Kalkulationen“, erinnert sich Wallstabe noch heute dankbar an den Beginn des
gemeinsamen Engagements.
Friseurhandwerk „Neue Linie“ eG in Grabow.
Umschulung in die ökonomische
Selbstständigkeit
Unter Federführung von Günther Bloch, der
bis dato Prüfungsdienstleiter der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe – Bäuerliche Handelsgenossenschaften (VdgB-BHG)
für den Bezirk Rostock gewesen war,
gründete sich im Juni 1990 der Raiffeisenverband Mecklenburg-Vorpommern e.V.,
Rostock. Vertreter des NGV waren bei der
Gründung dabei, man hatte zuvor schon
gute Kontakte geknüpft . Als gelernter
„Raiffeisen-Mann“ mit langer genossenschaft licher Familientradition kannte Bloch
die Organisationsprinzipien noch sehr gut
und betrachtete die Verbandsgründung
auch als Wiederaufnahme einer Tradition,
die in Mecklenburg und (Vor-)Pommern bis
in die 1880er-Jahre zurückreichten. Die
Durchsetzung des Förderungsauft rages, die
Zeichnung von Geschäftsanteilen, die
Haft ungsregelung, die innere Verfassung
und die Pfl ichtmitgliedschaft in einem
Prüfungsverband hatten in der DDR so
nicht existiert und mussten beim Wiederaufbau des Genossenschaft swesens berücksichtigt werden.
Innerhalb kurzer Zeit entstanden unter
Mithilfe des neuen Raiffeisenverbandes
neue Genossenschaften. Das vorrangige
Anliegen des Raiffeisenverbandes bestand
darin, den Aufbau neuer Raiffeisenbanken
in Mecklenburg-Vorpommern zu organisieren und deren Arbeitsaufgaben zu
netzwerk 12/09
MODERNES GENOSSENSCHAFTSWESEN
Zehn Thesen des NGV 1994
Zur Wettbewerbsfähigkeit der Agrargenossenschaften.
1
Die Agrargenossenschaften haben in
den letzten vier Jahren einen
schwierigen und komplizierten Strukturwandel und Anpassungsprozess gemeistert.
2
Die Agrargenossenschaften haben
von der Größenstruktur her gute
Chancen im Wettbewerb mit den bäuerlichen Familienbetrieben – ganz gleich,
was man darunter versteht und wie man
sie definiert.
3
Die Agrargenossenschaften müssen
im Rahmen der Agrarpolitik mit
anderen Betriebsformen gleich behandelt
werden – das gilt für die Förderung jeder
Art und für die Stabilität bei den Pachtflächen, um zwei wichtige Punkte zu nennen.
4
Die Erfolgschancen sind zurzeit
größer im Marktfruchtbau als in der
Veredlungswirtschaft. Der NGV sieht
daher Handlungsbedarf. Die Agrarpreisgestaltung muss ausgewogener gehandhabt
werden, damit künft ig für Veredlungsbetriebe die realen Aussichten am Markt
wieder zunehmen.
5
Durch gezielte Investitionen müssen
weitere Voraussetzungen für die
Verbesserung der Produktivität geschaffen
werden. Das schließt einen weiteren Personalabbau ein. Es geht darum, zusätzliche
Arbeitsplätze in der gewerblichen
Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern
zu schaffen, um die Abwanderung von
netzwerk 12/09
Arbeitskräften aus der Landwirtschaft zu
erleichtern.
6
Eine Reihe offener Fragen müssen
auch in Zusammenarbeit mit der
Wissenschaft gelöst werden. Stichworte
sind Mitgliedermotivierung, Vergütung
der Vorstände, Fragen der Haftung und
Ausbildung von Führungskräften. Der
NGV ist bereit, mit anderen Institutionen
gemeinsam an der Ausbildung von
Führungskräften mitzuwirken. Die im
Oktober 1994 eröff nete Akademie
Norddeutscher Genossenschaften in Klein
Plasten bei Waren/Müritz bietet Räumlichkeiten für Speziallehrgänge an.
7
Seitens der Banken sollten sich
Kreditzusagen nicht allein auf
Sicherheiten, sondern vielmehr auf die
unternehmerischen Konzepte der
Agrargenossenschaften stützen.
8
Bei den Agrargenossenschaften
besteht im Verbandsgebiet kein
Bedarf für eine Umwandlung in andere
Rechtsformen. Der wirtschaft liche Erfolg
der Betriebe hängt von anderen Faktoren
als der Rechtsform ab.
9
Die Agrargenossenschaften benötigen ständig eine konstruktive
Beratung und Interessenvertretung. Das
sind grundlegende Anliegen der Tätigkeit
des NGV. In diesem Sinne hat das
Präsidium des Deutschen Raiffeisenver-
bandes ein Leitbild verabschiedet, das
deutlich unterstreicht: Die Agrargenossenschaften sind ein wesentlicher Faktor der
sozialen Marktwirtschaft und der Agrarstruktur in den neuen Bundesländern.
10
In den neuen Bundesländern ist im
Bereich der Verarbeitung und
Vermarktung in den vergangenen Jahren
bereits ein erhebliches Investitionsvolumen
getätigt worden. Trotzdem besteht noch
ein Nachholbedarf für moderne Erfassungs-, Produktions- und Vermarktungsanlagen. Im Ganzen kommt es darauf an,
dass die dort produzierten landwirtschaftlichen Erzeugnisse auch vor Ort verarbeitet
werden und die Erzeuger von einer
möglichst hohen Wertschöpfung durch
angemessene Auszahlungspreise profitieren.
Aus dem Vortrag von D. Hill: „Wettbewerbsfähigkeit der Agrargenossenschaften
in Mecklenburg-Vorpommern unter den
Bedingungen der Agrarpreisreform der
Europäischen Union“, Vortragstagung der
Agrar- und Umweltwissenschaft lichen
Fakultät, der Thünen-Gesellschaft und der
Gesellschaft der Freunde und Förderer der
Agrarfakultät anlässlich des 575-jährigen
Bestehens der Universität Rostock am
11. November 1994 in Rostock.
Quelle: Vier Jahre Agrargenossenschaften – Bilanz
und Perspektiven. Schriftenreihe NGV Kiel, Nr. 49,
1994
53
M O D E R N E S G E N O SS E N S C H A F T S W E S E N
Agrargenossenschaft Cobbelsdorf eG.
unterstützen. Die Bankabteilungen der
damaligen Bäuerlichen Handelsgenossenschaften (BHG) bildeten die Basis dafür.
Verstärkt wurde sie durch die Übernahme
und somit durch die Übertragung der
Bankgeschäfte der bisherigen staatlichen
Kreisfi lialen der Bank für Landwirtschaft
und Nahrungsgüterwirtschaft (BLN).
Gleichzeitig erfolgte die Übernahme der
Mehrheit der Mitarbeiter der BLN. Auf
dieser Grundlage fand in MecklenburgVorpommern ein zügiger, flächendeckender
und erfolgreicher Start der Raiffeisenbanken
statt.
Die weitere Aufmerksamkeit des Verbandes
galt der Entwicklung und teilweisen
Umstrukturierung von Genossenschaften in
den Bereichen Handel, Molkerei, Fischerei
und, wie ausgeführt, im Agrarbereich. Ferner
fanden unter Mithilfe des Verbandes
zahlreiche Neugründungen von gewerblichen
Genossenschaften aus den unterschiedlichsten Gewerken statt.
54
Wie andernorts auch, verlief deren Entwicklung angesichts unterschiedlicher Marktbedingungen differenziert. Im Warenhandelsbereich überlebten nur die Dependancen der
westdeutschen RHG. Die Fischereigenossenschaften dagegen entwickelten sich rasch zu
wettbewerbsfähigen Unternehmen. 2002
arbeiteten 19 in Mecklenburg-Vorpommern
Rapsfeld in Norddeutschland.
netzwerk 12/09
MODERNES GENOSSENSCHAFTSWESEN
– zum Vergleich: In Schleswig-Holstein
existierten zu diesem Zeitpunkt 10 Fischereigenossenschaften.
Die nach den Neugründungen entstandenen
Genossenschaften aus allen Bereichen
schlossen sich – mit Ausnahme der
Volksbanken – dem Raiffeisenverband
Mecklenburg-Vorpommern an und
gehörten nach dessen Fusion mit dem Kieler
Verband 1992 dem NGV als Mitglied an.
Dem Raiffeisenverband Rostock schlossen
sich ab 1990 zudem die Mehrheit der
Agrargenossenschaft en und ein etwa 120
Mitarbeiter umfassender Stab an Prüfern
um Hartmut Wallstabe in Schwerin an.
Letztere entstammten dem Prüfungsdienst
der BLN aus den drei mecklenburgischen
DDR-Bezirken. Dessen Personal, so unter
anderem die Empfehlung der genossenschaft lichen Spitzenverbände in Bonn, sollte
möglichst von den neuen Regionalverbänden integriert werden, um den eigenen
Personalbedarf zu decken und deren
Erfahrung mit örtlichen Gegebenheiten
nutzbar zu machen. Für den Rostocker
Verband war dies eine große Herausforderung, zumal das ökonomische Risiko hoch
und rasch absehbar war, dass in Zukunft
längst nicht so viele Mitarbeiter gebraucht
werden würden, wie der BLN-Prüfungsdienst gehabt hatte. Genossenschafter Bloch
griff auf den genossenschaft lichen Grundge-
danken „Hilfe zur Selbsthilfe“ zurück: „Wir
übernahmen das Personal unter der Prämisse, dass die Leute ihr Gehalt auf Dauer
selbst erwirtschaften.“
Der NGV stellte dem Rostocker Raiffeisenverband seine Mustersatzung für Agrargenossenschaften zur Verfügung und das
Team um Wallstabe wurde mit Kieler Hilfe
intensiv geschult. Der NGV räumte der
Nachschulung generell von Beginn an hohe
Priorität ein und baute ein bedarfsgerechtes
Ausbildungssystem auf, das die Gründung
einer neuen regionalen Bildungsstätte in
Klein Plasten einschloss (siehe das Kapitel
„Vom Bildungsanbieter zum Personalentwickler“).
Das Schweriner Prüfungsteam stellte sich
der Aufgabe engagiert und realitätsbezogen,
wie Wallstabe später erläuterte: „Wir
verfolgten von Anfang an den Plan, uns
selbst ernähren zu können. Zunächst
hatten wir fast zwei Jahre jedes Wochenende Ausbildung. Wir dachten: Entweder tun
wir etwas oder wir gehen unter. Dabei
wussten wir, dass von unseren zirka 120
Leuten – fast alles Frauen – nur etwa 40 im
Verband gebraucht werden würden. Wir
sprachen den Personalabbau früh und
offen an. Aber fast alle blieben bei der
Stange. Die nicht Übernommenen hatten
später als gut Ausgebildete gute Arbeitschancen.“
In der Folge entstand eine den jeweiligen
Kompetenzen entsprechende Arbeitsteilung,
die durch einen Kooperationsvertrag
abgesichert wurde: Die Schweriner Geschäft sstelle betreute die Agrargenossenschaften, Kiel die Kreditgenossenschaft en
– die neu gegründeten elf Volksbanken
schlossen sich ohnehin 1990 direkt dem
NGV an – und Rostock die Handelsgenossenschaften. Die Agrargenossenschaften
wurden eine einmalige Erfolgsgeschichte,
die selbst die Berater überraschte. Ihnen
gelang mehrheitlich der schwierige Personalabbau und eine enorme Produktivitätssteigerung. Hatte 1991/92 eine Agrargenossenschaft im Durchschnitt 62 Mitglieder,
waren es zehn Jahre später 28. Der Betriebsertrag je Arbeitskraft verdoppelte sich
im gleichen Zeitraum fast von 117.000 auf
rund 200.000 DM.
netzwerk 12/09
Fusion auf gleicher Augenhöhe
„Unser Ziel war, nicht mit fl iegenden
Fahnen überzulaufen, sondern auf gleicher
Augenhöhe zu verhandeln.“ Aber ihnen sei,
so Bloch, im Rostocker Verband rasch klar
gewesen, dass es in Anbetracht der neuen
ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen keine sinnvolle Alternative zur
Fusion mit einem westdeutschen Prüfungsverband geben würde. Die Kieler hätten
durch ihre vertrauensvolle, konsensorientierte Zusammenarbeit überzeugt. Als erster
der neu gegründeten Raiffeisenverbände in
den neuen Bundesländern schloss sich
Rostock 1992 einem westdeutschen
Regionalverband, dem NGV, an.
Die Rostocker bekamen Sitz und Stimme in
den Gremien des Kieler Verbandes. Dieser
betrieb Büros in Rostock, Schwerin und
Neubrandenburg. Die Genossenschaften des
bisherigen Rostocker Verbandes, darunter
274 Agrargenossenschaften, gehörten nun
dem NGV an. Sie bewirtschafteten knapp 30
Prozent der landwirtschaft lichen Nutzfläche
in Mecklenburg-Vorpommern. Ab 1994
stand der NGV quantitativ auf zwei gleich
starken Beinen: 400 Mitgliedsgenossenschaften zählte er im Westen, ebenso viele
im Osten, darunter knapp 60 aus Brandenburg.
Mit der ökonomischen Stabilisierung der
Genossenschaften und der Etablierung der
Verbandsarbeit im Osten veränderte der
NGV seine Strukturen. Das Büro in
Neubrandenburg wurde mit dem Ausscheiden der dortigen Mitarbeiter als erstes
geschlossen. Als Günther Bloch 1998 in den
Ruhestand ging, war dies Anlass für eine
weitere Konzentration. Die Rostocker
Aufgaben wurden nach Schwerin übergeben, das nun die alleinige Geschäftsstelle für
Mecklenburg-Vorpommern war.
55
M O D E R N E S G E N O SS E N S C H A F T S W E S E N
Vollständige Integration
in den Verband
Ab Mitte der 1990er-Jahre trieb der NGV die
Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen
im Verbandsgebiet voran. Der heutige
stellvertretende Vorstandsvorsitzende des
Genossenschaftsverbandes e.V. und damalige
Kieler Verbandsdirektor Michael Bockelmann fand folgende Situation vor: „Als ich
1995 zum Verband kam, hatten wir eine
Geschäftsstelle in Schwerin, die wie eine
große Wohnung war. Man saß an einfachen
Schreibtischen, umgeben von Mobiliar aus
älteren Tagen. Es war alles ordentlich, hatte
aber keinen westlichen Standard. Die
Arbeitsbedingungen waren schwierig für die
Kollegen vor Ort.“
In der Folge zog die Schweriner Geschäft sstelle in ein neues, zeitgemäßes Büro um. Der
Verband organisierte sich umfassend neu,
indem er künft ig vom Hauptsitz in Kiel aus
alle Kreditgenossenschaften betreute und alle
anderen Genossenschaften in die Hände der
Schweriner gab. Die dortige Geschäftsstelle
wurde entsprechend zu einer weitgehend
autonom agierenden, leistungsstarken
Einheit ausgebaut. Seine Hamburger
Geschäftsstelle löste der NGV 1995 auf.
Zudem glich der Kieler Verband die Löhne
seiner Mitarbeiter in Ost und West an. Die
ostdeutschen Kollegen wurden in die
genossenschaft liche Pensionskasse aufgenommen. Dafür erwartete der Verband, dass
künft ig alle Angestellten unabhängig von
ihrem Einsatzgebiet vergleichbare Leistungen
erbrachten. Diese Maßnahmen, so Wallstabe
rückblickend, hätten maßgeblich dazu
beigetragen, als Mitarbeiter aus dem Osten
im NGV heimisch zu werden.
Politische Lobbyarbeit
durch Kiel
Agrargenossenschaften erschienen der
Verbandsleitung damals recht bald auch aus
einem übergreifenden Trend zukunft sfähig:
Im Westen war ein Streben hin zu größeren
Einheiten in der Landwirtschaft seit
geraumer Zeit unverkennbar und die
Agrargenossenschaften boten dort Tätigen
eine sehr gute Chance, moderne Lebensführung mit Agrarwirtschaft zu vereinbaren.
56
Nachwuchsproblemen à la „Bauer sucht
Frau“ kann in arbeitsteiligen Kollektivbetrieben weitaus wirkungsvoller durch regelmäßige Arbeitszeiten, Freizeitausgleich und
Ähnlichem entgegengewirkt werden.
Der Kieler NGV wurde zu einem überregional engagierten Fürsprecher der neuen
Genossenschaften. Im neu eingerichteten
Fachausschuss Agrargenossenschaften des
DRV wirkten zwei hochrangige Repräsentanten aus Kiel mit. 1994 publizierte der NGV
zehn viel beachtete Thesen „Zur Wettbewerbsfähigkeit der Agrargenossenschaften“,
die deren Zukunftschancen betonten. Unter
dem Slogan „Agrargenossenschaften sind
Mehrfamilienbetriebe“ wurde auch deren
Akzeptanz in politischen Gremien und durch
den Deutschen Bauernverband erreicht. Dies
war eine wichtige Voraussetzung, um die
gleichen Förderchancen im Rahmen von
landes-, bundes- und europäischen Programmen eingeräumt zu bekommen wie andere
landwirtschaft liche Betriebe.
Agrargenossenschaften sind heute trotz der
erheblichen Reduzierung des Personalbestandes oft noch der größte Arbeitgeber im
Dorf und eine unverzichtbare Stütze in den
strukturschwachen ostdeutschen Flächenstaaten. Gemeinsam mit den Kreditgenossenschaften sind sie bedeutende Sponsoren
von Feuerwehr, Sportclubs und kulturellen
Einrichtungen in der Region.
4.1.3 Herstellen der
Wettbewerbsfähigkeit:
Know-how aus Frankfurt
Start mit professioneller
Konzeption
Nach dem Fall der Mauer berieten Vertreter
der Genossenschaftsverbände aus Bayern,
Baden, Württemberg, Kassel und Frankfurt
auf einer Konferenz in Nürnberg, ob eine
eigenständige Verbandslösung für Ostdeutschland gefunden werden sollte oder ein
Anschluss an westdeutsche Prüfungsverbände
der bessere Weg sei. Sie wurden sich nicht
einig. Die drei süddeutschen Verbände
bevorzugten eine separate Verbandslösung,
dagegen erachtete besonders der Frankfurter
Verband dies als nicht sinnvoll.
In den jeweils zugewiesenen Betreuungsgebieten im Osten kam es zu unterschiedlichen
Vorgehensweisen. In Sachsen entstand der
erwähnte eigenständige Mitteldeutsche
Genossenschaftsverband. In Thüringen
gründete sich 1990 in Erfurt ein Raiffeisenverband, der sich aber bald wieder auflöste. Dort
kümmerte sich der Kasseler Verband
erfolgreich um die Genossenschaften, die in
die Fußstapfen der Raiffeisen-Bewegung
traten, und firmierte 1991 zum Genossenschaftsverband Kurhessen-Thüringen e.V.,
Kassel, um. Als sich abzeichnete, dass der
neue thüringische Raiffeisenverband, den sie
zunächst unterstützen wollten, nicht auf die
Beine kommen würde, eröff neten die
Kurhessen in Erfurt ein Büro mit eigenen, gut
ausgebildeten Mitarbeitern und stellten
mehrere lokale Teams zusammen, die die
neuen Genossenschaften betreuten.
Der Frankfurter Verband unterstützte
vorwiegend die gewerblichen Genossenschaften in Thüringen, wobei sich die
beabsichtigte Aufgabenteilung mit den
Kasseler Kollegen entlang der genossenschaftlichen Traditionslinien in der Praxis als nicht
durchgängig möglich und sinnvoll erwies. So
unterhielten auch die Frankfurter von Beginn
an enge Kontakte mit dem dort neu gegründeten Raiffeisenverband und außerdem direkt zu
in Raiffeisenbanken umgewandelten Bäuerlichen Handelsgenossenschaften (BHG).
Vorrangiges Ziel der Frankfurter wie Kasseler
Verbandsleitung war es, den neuen Genossenschaften im Osten möglichst rasch bestmögliche Marktchancen zu eröffnen, um ihnen
dauerhaft ein Überleben sichern zu helfen.
Das könne nur funktionieren, wenn sie dort
ein System unterstützten, das sie selbst
beherrschten. Bloßer Finanztransfer mit ein
wenig Know-how-Vermittlung mache
angesichts der Größe der Herausforderung
keinen Sinn. Der Kasseler Verband übertrug
sein bewährtes System der Unterverbände auf
Thüringen, indem er dort zwei solcher
Einheiten einrichtete.
In Thüringen setzte auch der Frankfurter
Verband seine Vorstellungen konsequent um.
„Alle bisherigen Anstrengungen werden
netzwerk 12/09
MODERNES GENOSSENSCHAFTSWESEN
verpuffen, werden umsonst sein“, so
begründete Verbandsdirektor Klaus Lambert
auf der Mitgliederversammlung in Mainz im
Mai 1990 die Entscheidung, den Thüringer
Genossenschaften den direkten Beitritt zum
eigenen Verband zu empfehlen, „wenn nicht
professionell, bundesweit koordiniert und
konzeptionell vorgegangen wird.“
Wie die anderen direkt am „Aufbau Ost“
beteiligten Genossenschaft sverbände
organisierte der Frankfurter Verband
Patenschaften zwischen seinen Mitgliedsbanken und Thüringer Volksbanken zur
Beratung in genossenschaft lichen und
betriebswirtschaft lichen Fragen. Zudem
richtete er in Erfurt ein Büro ein, das mit
Prüfer- und Beraterteams besetzt wurde, und
übertrug das bewährte Key-Account-System,
das einen Verbandsvertreter zum „Schlüsselverantwortlichen“ für das Wohl und Wehe
der von ihm in der Region betreuten
Genossenschaften bestimmte, auf Thüringen.
Von der Zahlstelle zur
Universalbank
Das bis Anfang 1990 etablierte DDR-Bankensystem war monolithisch strukturiert und
einstufig aufgebaut. Unter den Banken
herrschte kein Wettbewerb, die einzelnen
wirtschaft lichen Zuständigkeitsbereiche
waren streng aufgeteilt. Im landwirtschaftlichen Sektor wurden Kredite durch die Bank
für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirt-
schaft (BLN) vergeben, während die BHG
neben dem Warengeschäft lediglich für die
Annahme der Spareinlagen der ländlichen
Bevölkerung verantwortlich zeichneten. Im
Bereich des Handwerks übernahmen die
Genossenschaftskassen für Handwerk und
Gewerbe den Zahlungsverkehr, das Sparund das Kreditgeschäft . Postsparkassen,
Postscheckämter und die als genossenschaftliches Institut verfasste Reichsbahnkasse mit
ihren acht Filialen rundeten das Bild ab. Es
gab somit 1990 Reste formaler Ähnlichkeit
mit den Gliederungen des westdeutschen
Bankenwesens. Dies waren Ansatzpunkte für
eine Restrukturierung einer gesamtdeutschen Finanzwirtschaft nach westlichem
Muster.
Das Staatsbankgesetz vom 1. April 1990
schuf eine zentrale Grundlage für ostdeutsche Banken, wieder eine eigenständige
Geschäftspolitik frei von staatlichen Plänen
verfolgen zu können. Der Vertrag über die
Schaff ung einer Währungs-, Wirtschaftsund Sozialunion vom 1. Juli 1990 führte die
DM und somit eine frei konvertierbare
Währung ein. Damit war die Diskussion um
die Erhaltung der DDR als eigenständigem
Wirtschaftsraum beendet. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 regelte alle
weiteren im staatlichen Einigungsprozess
anfallenden institutionellen und rechtlichen
Fragen. Die DG Bank übernahm die
Funktion einer Zentralbank für ostdeutsche
Kreditgenossenschaften.
Viele Genossenschaftskassen wandelten sich
in Volksbanken um, für die der BVR – wie
auch für die sich neu gründenden Raiffeisenbanken – Mustersatzungen bereithielt.
20 Volksbanken mit 51 Filialen aus den
ehemaligen DDR-Bezirken Erfurt und Suhl
schlossen sich bis Ende 1990 dem Genossenschaftsverband Frankfurt an. Eines ihrer
zentralen Geschäftsziele sollte der Aufbau und
die Förderung der mittelständischen Wirtschaft in Thüringen sein. In Kooperation mit
dem BVR, genossenschaftlichen Verbundinstituten und den Partnerbanken entwickelte
der Genossenschaftsverband Frankfurt die
neuen Kreditgenossenschaften deshalb
innerhalb kürzester Zeit zu Universalbanken.
Auch in Thüringen war – für den Kasseler wie
den Frankfurter Verband – der Aufwand an
Schulungen an wechselnden und festen
Standorten (siehe auch das Kapitel „Vom
Bildungsanbieter zum Personalentwickler“)
sowie der persönliche und materielle Einsatz
immens. Zahlreiche haupt- und nebenamtliche Dozenten sorgten im Auft rag der
Verbände für eine differenzierte und zielgerichtete Nachbildung. Ferner musste die
Renovierung eines Volksbankgebäudes in Ostdeutschland zu Beginn der 1990er-Jahre.
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M O D E R N E S G E N O SS E N S C H A F T S W E S E N
notwendige Erstausstattung mit elektronischen Schreib- und Rechengeräten, PCs,
Buchungsausrüstungen, Mobiliar, Werbematerial bis hin zur Gebäuderenovierung
geleistet werden. Freie Wochenenden gab es in
den ersten beiden Jahren für die Beteiligten
kaum.
Konsequente Hilfe
zur Selbsthilfe
Besonders die Bankleiterinnen – es überwogen Frauen – in Thüringen waren gefordert,
sich quasi über Nacht die einschlägigen
gesetzlichen Regelungen (BGB, HGB und
GenG) und die Grundlagen und Feinheiten
des westdeutschen Bankwesens anzueignen.
Zu ihrer Unterstützung warb auch der
Genossenschaftsverband Frankfurt westdeutsche Fachleute an, die vor Ort in den
Genossenschaften die umfassende Einarbeitung des ostdeutschen Führungspersonals in
ihre neuen Aufgaben aktiv begleiteten. Dabei
habe der Verband, so Lambert, folgende
Prinzipien verfolgt: „Wir haben eines
erkannt: Der Vorstandsvorsitzende muss
jemand von dort sein. Der zweite Vorstand
Ostdeutschland 1990.
58
konnte dann ruhig aus dem Westen kommen. Wir machten das aber mit Befristung,
weil wir eine Ortsbank mit Ortsleuten sein
wollten, bei der nicht ständig der Filialleiter
wechselt. Die stabile personelle Beziehung ist
eines unserer Erfolgsrezepte.“ Der Raiffeisenverband Kurhessen verfolgte eine ähnliche
Politik und übernahm ebenfalls geeignete
Mitarbeiter aus Thüringen.
Bis 1991 spiegelte sich die Qualifi zierung und
Einwerbung von Fachkräften in einem
mitunter starken Personalaufbau der ostdeutschen Kreditgenossenschaften wider. Danach
stagnierte der Bestand. Der Wettbewerb war
von Beginn an hart und die genossenschaftlichen Kreditinstitute mussten mit schwierigen Ausgangsbedingungen zurechtkommen. Als Nachwirkung der Arbeitsteilung im
sozialistischen Kreditwesen waren 1992 noch
60,3 Prozent aller Gelder, die im Privatkundengeschäft angelegt wurden, bei den
ostdeutschen Sparkassen. Die Genossenschaftsbanken in den neuen Bundesländern
weiteten hier immerhin ihren Marktanteil
von 1990 bis 1993 von 12 auf 17 Prozent aus.
Umso bemerkenswerter ist es, dass heute die
Genossenschaftsbanken in Thüringen im
Ländervergleich hinsichtlich ihres Marktanteils bereits vor einigen Bundesländern im
Westen rangieren.
Abbau von innergenossenschaftlichem Wettbewerb
Das Engagement des Frankfurter Verbandes
ab 1990 wirkte nicht nur auf thüringische Kreditgenossenschaften attraktiv. Auch viele in
Schulze-Delitzsch-Tradition gegründeten
Genossenschaften sowie rund 60 Agrargenossenschaften traten ihm direkt bei. Bei
Letzteren waren es ebenso viele, die sich
damals dem Kasseler Genossenschaftsverband
anschlossen. Zu diesem Zeitpunkt war
allerdings noch nicht abzusehen, welche
Entwicklung sie nehmen und vor welche
Herausforderungen sie die Prüfungsverbände
in Zukunft stellen würden. Dies schien gerade
für den bis dato so stabilen, aber vergleichsweise kleinen kurhessischen Verband ein
schwer kalkulierbares Risiko, wie auch die
Verbandsführung damals erkannte.
Hinzu kam die Entwicklung im gesamten
Genossenschaftswesen hin zu größeren
Einheiten. Aus den genossenschaft lichen
Kreditinstituten verstärkte sich der Druck, die
im Primärbereich längst eingeleitete Überwindung des Nebeneinanders von Schulze-Delitzsch- und Raiffeisenbewegung endlich auch
auf Verbandsebene zu vollziehen. Die Banken
bildeten eine wichtige Gruppe im kurhessischen Verband, nicht zuletzt, da sie 1991 mit
über zwei Dritteln der Verbandsbeiträge und
80 Prozent der Prüfungsgebühren einen
wesentlichen Einnahmeposten stellten.
„Das Nebeneinander zweier genossenschaftlicher Verbandsorganisationen in demselben
Arbeitsgebiet (Kurhessen, Thüringen) ist trotz
des bestehenden und mehrfach erfolgreich
praktizierten Kooperationsvertrages und trotz
punktueller Zusammenarbeit in den Bereichen Marketing und Werbung zwangsläufig
nicht frei von Rivalität. Das passt nicht in eine
Zeit, in der unser Umfeld und seine Veränderungen zwingend ein engeres Zusammenrücken, Abbau von innergenossenschaft lichem
Wettbewerb, Vermeidung von internen Reibungsverlusten und mehr Gemeinsamkeit und
Einheit verlangen, wenn wir uns im Wettbewerb auf den Märkten der Zukunft behaupten
netzwerk 12/09
MODERNES GENOSSENSCHAFTSWESEN
wollen.“ Mit diesem Resümee leitete Verbandsanwalt Hans Heinrich Gessner sein ausführlich begründetes, unter anderem auf den
Unterverbandstagen im März 1992 gehaltenes
Plädoyer für eine Fusion der Genossenschaftsverbände Frankfurt und Kassel ein.
Die Mehrheit der Mitglieder auf dem
Verbandstag im Mai folgte Gessners Argumenten und stimmte zu. Auch in Frankfurt
wurde grünes Licht gegeben. Mit den
Zusicherungen, den geplanten Neubau des
Bildungszentrums in Baunatal rasch zu
realisieren und wieder Mitgliederversammlungen statt Vertreterversammlungen
einzuführen, kamen die Repräsentanten des
Frankfurter Verbandes den Wünschen ihrer
kurhessischen Kollegen entgegen. So verschmolzen 1992 beide Verbände zum
Genossenschaftsverband Hessen/RheinlandPfalz/Thüringen e.V., Frankfurt am Main, was
die genossenschaft lichen Kräfte von Rheinland-Pfalz bis Thüringen endgültig bündelte.
Heranführen an Europa
Der Frankfurter Genossenschaftsverband
nahm früh eine integrative politische
Lobbyarbeit für die Thüringer Genossenschaften wahr. Das Erfurter Verbandsbüro
war untergebracht in den Räumen des
dortigen Informationsbüros des Landes
Hessen. Zu einigen westdeutschen Politikern,
die in Thüringen aktiv wurden, bestanden
gute Kontakte. Am Wirtschaftstag 1992, den
der Frankfurter Verband in Erfurt ausrichtete,
nahm unter anderem der ehemalige rheinland-pfälzische und neue thüringische
Ministerpräsident Bernhard Vogel teil.
Programm zur Förderung der Unternehmenskontakte zwischen Ost und West einschlossen.
Im April 1991 unterzeichneten der Frankfurter Genossenschaftsverband und die französische genossenschaft liche Bankengruppe
Crédit Mutuel nach dem Vorbild des Saarländischen Genossenschaftsverbandes eine
Vereinbarung zur zukünftigen Zusammenarbeit beider Bankengruppen. Mit dieser
Vereinbarung wollten beide Gruppen
frühzeitig den veränderten politischen und
wirtschaft lichen Rahmenbedingungen im
Zuge der Öffnung der Märkte in Ost und West
und der Schaffung eines europäischen
Binnenmarktes Rechnung tragen. Die
thüringischen Genossenschaftsbanken
wurden in diesen „Mosaikstein auf dem Weg
in einen europäischen Finanzverbund“
(Lambert) bewusst sofort einbezogen. Der
Vertrag zielte darauf, europäische Genossenschaftsbanken als typische Ortsbanken für
den Binnenmarkt zu rüsten. Gegenseitiger
Erfahrungs- und Mitarbeiteraustausch
gehörten zu diesem beispielhaften Tritt über
nationale Grenzen. Im grenznahen Bereich
trugen die regelmäßigen Konsultationen zur
Vermeidung von deutsch-französischem
Wettbewerb unter Genossenschaftsinstitutionen bei.
Vom Osten lernen
Solche Veranstaltungen fungierten stets als
Brücke zwischen Ost und West. Engagierte
Genossenschaften trugen dazu bei. Sofort
nach der Entscheidung für die Ausrichtung
des Wirtschaftstages in Erfurt meldete sich
eine rheinland-pfälzische Winzergenossenschaft, die dann dort zur modernen und
atmosphärisch gelungenen Präsentation des
Genossenschaftswesens beitrug.
Mit einer zentralen Kommunikationsstrategie
für Volksbanken in Thüringen flankierte der
Frankfurter Genossenschaftsverband seine
Hilfsaktivitäten. Dabei griff er auch auf den
erfolgreichen bundesweiten BVR-Slogan „Wir
machen den Weg frei“ zurück. Doch den
zuständigen Mitarbeitern in Frankfurt war
bewusst, dass dieses Versprechen im Alltag
seine Gültigkeit beweisen muss, soll es nicht
als werbliche Phrase verkümmern. „Ein
solches Versprechen erfordert beispielsweise
besonders kompetente Mitarbeiter, die die
Probleme ihrer Kunden aus dem Weg
räumen“, schrieb Peter Baumann im Verbandsjournal „Genossenschafts-Kurier“ (Nr.
2/1991).
Die Jahrespressekonferenzen des Frankfurter
Verbandes standen in dieser Zeit wiederholt
im Zeichen der ostdeutschen Aktivitäten.
Dort präsentierte der Verband seine Aktivitäten und Konzepte, die ein spezielles
„Im Osten war die Begeisterung für den
Förderaspekt groß. Sie waren ganz nah am
Kunden“, lobte Klaus Lambert später eine
Stärke der neuen Mitglieder. Ein entscheidender Faktor für den erfolgreichen genossen-
netzwerk 12/09
schaft lichen Neustart war die Bereitschaft der
dortigen Genossenschafter, sich auf den
Wandel inklusive der für sie neuen Wettbewerbssituation intensiv einzulassen.
Ab Mitte der 1990er-Jahre erfasste der allgemeine Konzentrationsprozess im Kreditgewerbe auch die ostdeutschen Genossenschaftsbanken. Viele verschmolzen zu
größeren Einheiten. Von den 337 genossenschaft lichen Kreditinstituten, die sich dort
1990 gründeten, gab es 2003 noch 100.
Angesichts von schrumpfenden Märkten war
es gewiss kein einfaches Unterfangen, in den
ostdeutschen Bundesländern erfolgreich eine
Bank zu betreiben. Ihr durchschnittlicher
Marktanteil ist im Vergleich mit jenen der
westdeutschen Bundesländer geringer, ihre
Ertragslage angespannter, ihre Effizienz- und
Kostenprobleme sowie ihre Personalbestände
höher. Doch der begrenzte Blick auf die
Durchschnittswerte verdeckt den auf
vorbildliche regionale und lokale Erfolge. Erst
2004 schlossen sich die sächsischen Kreditgenossenschaften dem Frankfurter Verband an.
Sie waren erneut zu großen Veränderungen
bereit. Inzwischen sitzt eine der erfolgreichsten Genossenschaftsbanken des
heutigen Genossenschaftsverband e.V. in
Sachsen.
4.2 Globalisierung und
Informationsgesellschaft:
Wegweisungen der Verbände
4.2.1 Sinnvolle Fusionen
und Organisationsentwicklung:
interne Effizienzsteigerungen
Fortdauernde Kräftekonzentration im Genossenschaftswesen
Unübersehbar blieb der anhaltende
Konzentrationsprozess bei den Primärge-
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M O D E R N E S G E N O SS E N S C H A F T S W E S E N
Kooperation mit der Humana Milch Union
im „Nord-Kontor“.
Die 1934 gegründete Butter-Absatz-Zentrale
Niedersachsen in Hannover war jahrzehntelang ein führendes niedersächsisches
Unternehmen in der Vermarktung von
Butter, Schnittkäse, Milch-Trockenprodukten und zeitweilig sogar Eiern und
Geflügel. In den 1950er-Jahren erlebte
die Zentrale ihren ersten ökonomischen
Höhepunkt und feierte 1984 noch stolz
das 50. Jubiläum. 2003 übernahm die
NORDMILCH eG die Butter-AbsatzZentrale.
Getreidefeld mit Raiffeisensilo.
nossenschaften und Zentralen. Die Raiffeisen-Landbund eG beispielsweise war 1932
als Landwirtschaft liche Genossenschaft
Stadthagen von zehn Personen gegründet
worden. Heute ist die eG mit über 1.300
Mitgliedern eine der größten RaiffeisenWarengenossenschaften in Norddeutschland. Zwischen 1967 und 2006 gab es elf
Fusionen mit Raiffeisen-Warengenossenschaften. Die Einrichtungen von elf privaten
Landhändlern sind zudem übernommen
und die Warengeschäft e ebenso wie die von
zwei Genossenschaft sbanken integriert
worden. Die Genossenschaft führte
Diversifi kationen durch und erschloss neue
Märkte wie die Biodiesel-Industrie. Das
Unternehmen ist inzwischen in sechs
Landkreisen inklusive der Region Hannover
mit 25 Betriebsstätten und knapp 200
Mitarbeitern präsent. Es erwirtschaft et
einen jährlichen Umsatz von etwa 170 Mio.
Euro.
Ein anderes Beispiel für den geglückten
Wandel ist die NORDMILCH eG. Hamburger Kaufleute hatten sie 1947 noch als private
GmbH „NORDMILCH – Nordische
Dauermilch-Gesellschaft“ in Zeven-Aspe
gegründet. Ab 1954 operierte die NORDMILCH eG als Genossenschaft . In den
folgenden Jahrzehnten investierte sie
60
konsequent in Technik und Know-how und
baute ihre Produktpalette kontinuierlich aus.
1963 startete sie die Frischkäseproduktion
mit modernsten Quarkseparatoren. Wenige
Jahre später avancierte MILRAM mit neuen
Quarksorten zum Markennamen. Butter,
Buttermilch, H-Milch, Desserts, Crèmefraîche-Erzeugnisse, Joghurt und viele
andere erfolgreich vermarktete Produkte
ergänzten das Sortiment bis Anfang der
1990er-Jahre.
Nach der Verschmelzung 1999 mit mehreren
norddeutschen Molkereien zur neuen
NORDMILCH eG stieg diese mit einem
Milchaufkommen von 4,4 Mrd. kg und
einem Umsatz von 4,7 Mio. DM zu einem der
größten Milchverarbeiter Deutschlands auf.
In der Region sichert sie bereits seit mehr als
einem halben Jahrhundert als Partner der
Landwirtschaft, des Handwerks und des
Handels das Ein- und Auskommen vieler
Familien.
Die Nordmilch hat in den vergangenen
Jahren ein umfangreiches Restrukturierungsprogramm aufgelegt und sich als
Unternehmen schlanker und schlagkräft iger
aufgestellt. Die Neuausrichtung ist besonders
in der Straff ung der Produktpalette spürbar.
Aktuell vermarktet NORDMILCH in einer
Ein weiterer Ausdruck dieser Entwicklung ist
die Zusammenführung der jeweiligen
Symbole von Raiffeisenbanken (Giebelkreuz)
und Volksbanken (V-Zeichen). Ab 1972
wurde es als Doppelzeichen von Banken
beider Genossenschaftstraditionen verwendet, seit 2002 dient ihnen ein neues, darauf
basierendes Zeichen als verbindendes
Symbol.
Die immer größer werdenden Kreditgenossenschaften erforderten einen steigenden
und zunehmend ausdifferenzierten
Prüfungs-, Beratungs- und Betreuungsaufwand. Der Genossenschaft sverband
Berlin-Hannover fasste Mitte der 1990erJahre die betriebswirtschaft liche Beratung,
Vertriebsunterstützung sowie die Personalberatung für Volksbanken und Raiffeisenbanken in einer Abteilung zusammen. Dies
bildete die Grundlage für gemeinsame
Beratungstätigkeiten mit der damaligen
GRZ Hannover (heute mit Münster
fusioniert) und der DG Bank im Betriebswirtschaft lichen Beratungs- und Entwicklungsverbund, Hannover (BBE). BBE hilft
seither bei der bankindividuellen Umsetzung geschäft spolitischer Ziele. Der BBE
fi ng 1995 an und ist seit 1999 eigenständig
als Marktpartner im genossenschaft lichen
FinanzVerbund positioniert. Die BBE-Personalberatung unterstützt Genossenschaft sbanken seit einigen Jahren speziell auch bei
der Vorstandsbesetzung.
Im Rahmen der fusionsbedingten Zusammenführung der bankspezifischen Beratungsaktivitäten beider Alt-Verbände werden
die bisherigen Bereiche der BBE und der
netzwerk 12/09
MODERNES GENOSSENSCHAFTSWESEN
Verbandstage des Genossenschaftsverbandes Norddeutschland e.V. 2007 und 2008.
netzwerk 12/09
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M O D E R N E S G E N O SS E N S C H A F T S W E S E N
Verband bereits 1995 infolge des Brückenschlags nach Ostdeutschland ein größeres
und modernes Verbandsgebäude bezogen
hatte.
Es folgten weitere strukturelle und organisationspolitische Konsequenzen. Das
ostdeutsche Standbein mit der bewährten
Dependance in Schwerin wurde durch
einen Ausbau des Berliner Sitzes gestärkt.
Das erfolgreiche Konzept mit Fachräten
der Fachvereinigungen mit seinen inzwischen vier Gliederungen (Kreditgenossenschaften, Raiffeisen-, Waren-, Verwertungsund Dienstleistungsgenossenschaften,
Agrargenossenschaft en und Gewerbliche
Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften) wurde im neuen Verband
fortgeführt. Die Fachräte unterstützten die
Arbeit der Fachvereinigungen, unter
anderem durch die Förderung von Erfahrungsaustausch unter den Mitgliedern, das
Einbeziehen externen Sachverstandes und
durch die Bildung von dauerhaften und
zeitweiligen Arbeitsausschüssen, die mit
einzelnen Aufgaben betraut wurden. Dem
Fachrat gehörten Organvertreter der
Mitgliedsgenossenschaften der jeweiligen
Sparte an.
um eine transparente und effiziente Leitung
des Verbandes zu sichern. Der Verband
vereinigte 2006 die zunächst in Kiel
belassene schleswig-holsteinische Geschäftsstelle mit der GenoAkademie zum Kompetenzzentrum Rendsburg, um mittel- und
langfristige Synergieeffekte in Form von
Kostenentlastung und der Konzentration von
Bildung und Beratung an einem Ort zu
erzielen. Um die Verbundenheit mit allen
Regionen des Verbandsgebietes auszudrücken, hielt der GVN die Verbandstage nun an
wechselnden Orten ab.
Ende 2007 betreute ein GVN-Team von
rund 600 Mitarbeitern in acht norddeutschen Bundesländern etwa 1.200 Genossenschaften, die 55.000 Mitarbeiter (davon
allein 3.500 Auszubildende) beschäft igten.
Die ländlichen und gewerblichen Genossenschaften erwirtschafteten einen Umsatz von
8 Mrd. Euro. Die flächendeckend an 2.000
Orten in Norddeutschland vertretenen
Volksbanken und Raiffeisenbanken wiesen
eine Bilanzsumme von rund 66 Mrd. Euro
aus.
Interne Strukturerweiterungen
des Frankfurter Verbandes
Die Entwicklung der Genossenschaftssymbole.
GenoConsult künftig unter der Marke
GenoConsult gebündelt und weitergeführt.
Bündelung der norddeutschen
Verbandskräfte
Der Norddeutsche Genossenschaft sverband
Kiel war ein leistungsstarker, aber vergleichsweise kleiner Verband. Ein kostenintensiver Ausbau von eigenen Beratungsleistungen erschien wenig sinnvoll. Denn „die
Zeiten, wo man sagen konnte, erhöhen wir
mal den Verbandsbeitrag, waren da schon
unwiderrufl ich vorbei. Das muss man
verkraften können“, erläuterte Verbandsdirektor Michael Bockelmann die Ausgangsüberlegung. Die Sachlage zwang somit
zunehmend zu Kooperationen. In Kiel und
Hannover entschloss man sich, Nägel mit
Köpfen zu machen. Die beiden Genossenschaft sverbände bündelten ihre Kräfte 2002
durch die Fusion zum Genossenschaft sverband Norddeutschland e.V. (GVN). Zentraler
Sitz wurde Hannover, wo der bisherige
62
Nach einer Beschlussfassung im Fachrat
Kredit war bereits 2000 ein Strategiefonds
der norddeutschen Kreditgenossenschaften
eG, Hannover, als eine eigenständige, von
den Kreditgenossenschaften gesteuerte und
kontrollierte Gesellschaft gegründet
worden. Seine Errichtung erfolgte in
Zusammenhang mit den Strukturveränderungen Ende der 1990er-Jahre im Bereich
der Management- und Personalentwicklung
der Kreditgenossenschaften. Der Strategiefonds unterstützt seither Projekte ideell
und materiell. Erstes initiiertes und
fi nanziertes Fondsprojekt war das vom BVR
empfohlene Programm „geno forum“ zur
Weiterentwicklung von Managementfähigkeiten. 2004 brachte der Strategiefonds
Projekte wie „Benchmarking und Balanced
Scorecard“, „Geschäftsstelle und Onlinekanal als Partner im Multikanalvertrieb“ und
„Outsourcing in Genossenschaft sbanken als
strategische Option“ auf den Weg.
Ende 2004 beschloss der Verbandsrat den
Corporate Governance Kodex für den GVN,
Bereits 1989 hatte der Frankfurter Genossenschaftsverband wegweisende Strukturveränderungen vorgenommen. Er gründete eine
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und die
Tochtergesellschaft „Geno Consult GmbH
– Genossenschaft liche Unternehmensberatung für die mittelständische Wirtschaft“. In
der Folgezeit entstanden mehrere solcher
Tochterunternehmen, die dynamisch
weiterentwickelt wurden. Sie gehörten zu den
fortlaufenden Innovationen, die Mitarbeitern
neue, zukunftsweisende Betätigungsfelder
eröff neten. Damit gelang es dem Verband
auch, eventuelle betriebsbedingte Entlassungen in der Folge von – besonders nach
Fusionen – notwendigen Umstrukturierungen zu vermeiden. Eng mit dem Verband
und seinem Erfahrungspotenzial verbunden,
stellten sich die eigenständigen Tochtergesellschaften dem harten Wettbewerb unter
den zahlreichen Beratungsunternehmen am
Markt. 2007 bot ein Netzwerk aus sieben
Tochterunternehmen spezielles Know-how
für nahezu sämtliche Aufgabenfelder an. Die
auch für Dritte offene Leistungspalette wird
netzwerk 12/09
MODERNES GENOSSENSCHAFTSWESEN
inzwischen von vielen mittelständischen
Unternehmen und weit über das Verbandsgebiet hinaus genutzt.
Ab 1991 zeugte ein als Jahrbuch herausgegebener Geschäft sbericht von der kontinuierlichen Fortentwicklung des Unternehmens
„Genossenschaftsverband“. 1999 schloss der
Frankfurter Genossenschaftsverband mit
seinen Pendants in München, Stuttgart und
Karlsruhe einen Kooperationsvertrag, um
kosten- bzw. fachspezifische Synergien zu
erzielen. Ein Jahr später entwickelten die
Frankfurter für die Mitgliederförderung
neue, spezifische Dienstleistungsangebote,
die sich an den veränderten Aufgaben
orientierten.
Fusion mit dem vorbildlichen
Saarländischen Genossenschaftsverband
Als der Frankfurter 2002 mit dem Saarländischen Genossenschaftsverband e.V.,
Saarbrücken, zum Genossenschaftsverband
Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland/Thüringen
e.V., Frankfurt am Main, verschmolz, kamen
erstmals in der Region Partner zusammen,
die bereits zuvor Schulze-Delitzsch- und
Raiffeisen-Tradition erfolgreich zusammengeführt hatten. Dabei war der kleine
Saarbrücker dem großen Frankfurter
Verband um mehrere Jahrzehnte vorausgegangen. Und nicht nur ihm, denn der
Saarländische Genossenschaft sverband hatte
bei seiner Gründung 1946 von Beginn an
und als erster deutscher Genossenschaft sverband überhaupt Genossenschaften aller
Traditionen unter einem Verbandsdach
vereinigt.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung
erkannte darin bereits damals einen Modellcharakter, den sie zur Nachahmung
empfahl, da diese Zusammenführung der
inneren Stärkung des Genossenschafswesens diene. Geschuldet war das frühe
vorbildliche Vorgehen vor allem der
wechselhaften und komplizierten politischen Entwicklung des historisch relativ
jungen Staatsgebildes „Saarland“ sowie den
Erfahrungen der Genossenschafter mit – so
die rückblickende Begründung führender
genossenschaft licher Repräsentanten von
1952 – der „Engräumigkeit des Landes“,
netzwerk 12/09
seiner „Bevölkerungsdichte und -schichtung, seiner besonderen wirtschaft lichen
Struktur“ und der darauf basierenden
Einsicht der Gründer des Regionalverbandes zur Bündelung der genossenschaftlichen Kräfte.
Als politische Einheit wurde das Saarland in
der Folge des Ersten Weltkriegs erstmals
1920 aus vormals preußischen und bayerischen Gebieten gebildet, wobei heutige
und damalige Grenzen voneinander
abweichen. Bis 1935 stand das autonome
Saargebiet unter Verwaltung des Völkerbundes und gehörte zum französischen
Wirtschaft sgebiet. Nach einer Volksabstimmung erfolgte 1935 der Anschluss an das
nationalsozialistische Deutsche Reich. Nach
dem Zweiten Weltkrieg gehörte das
Saarland zunächst zur französischen
Besatzungszone, erhielt 1947 eine eigene
Verfassung, blieb aber unter politischer und
wirtschaft licher Vorherrschaft Frankreichs.
Frankreich setzte die saarländische
Regierung ein, der französische Franc
wurde offi zielles Zahlungsmittel. In einer
Volksabstimmung 1955 sprach sich die
Bevölkerung gegen das (zweite) Saarstatut
aus, das eine Europäisierung des Saarlandes
vorsah. Das Ergebnis werteten die Beteiligten als Wunsch der Saarländer, sich der
Bundesrepublik Deutschland anzuschließen. 1957 wurde das Saarland politisch,
zwei Jahre später wirtschaft lich wieder in
Deutschland integriert.
Nachdem die Gründung des Genossenschaftsverbandes unter Federführung der
Vorstände der parallel ins Leben gerufenen
Zentralkasse Saarländischer Genossenschaften eGmbH Ernst Terres, Friedrich
Lehmann und Peter Prem in zähen Verhandlungen mit der französischen Besatzungsmacht 1946 gelang, baute der Verband Schritt
für Schritt seine Organisation aus. 1947
erhielt er das Prüfungsrecht. Ein Jahr später
zogen Verband und Warenzentrale in die
Saarbrücker Beethovenstraße ein, wo die
Landwirtschaftskammer ebenfalls ihren Sitz
hatte. Im Unterschied zu den bundesdeutschen Regionalverbänden wurde der
Saarländische Genossenschaft sverband auch
für die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen zuständig. Nach und nach schuf der
Verband fachspezifische Abteilungen für
Prüfung, Steuern, Öffentlichkeitsarbeit und
später für Marketing. Aber bis zur Fusion mit
dem Frankfurter Verband wurden alle
wichtigen Entscheidungen des relativ kleinen
Verbandes vom Vorstand getroffen, der eine
enge Zusammenarbeit mit den Gremien
suchte. Um einen guten Überblick über die
Entwicklung der Genossenschaften im
Verbandsgebiet zu erlangen, hielt die
Verbandsleitung auch zu deren Führung enge
Kontakte. Bei den Schlusssitzungen der
Prüfer in den Genossenschaften war stets ein
Vertreter des Verbandes dabei.
1947 gehörten dem Verband 252 Kreditgenossenschaften (darunter 27 Volksbanken
und 213 Raiffeisenkassen), 210 Warengenossenschaften, 13 Zentralmolkereien,
151 Milchbelieferungsgenossenschaften,
11 handwerkliche Genossenschaften und
40 weitere Genossenschaften aus sieben
verschiedenen Sparten (darunter EDEKA)
an. Ab 1956 erschien die Verbandszeitschrift
„Genossenschaft liche Mitteilungen“. Die
Genossenschaftstage avancierten zum
Forum, in dem zentrale politische Zeitfragen
wie die Einigung Westeuropas und das
deutsch-französische Verhältnis behandelt
wurden. Dabei erschien die Verbandstätigkeit bis 1959 wenig spektakulär, war aber
durch ein stetiges Vorankommen der
Genossenschaften wirtschaft lich und
politisch erfolgreich. In der Politik waren der
Verband und seine Mitglieder auch durch
eine rege Sponsorentätigkeit gern gesehene
Partner.
Die Wiedereingliederung in das bundesdeutsche Wirtschaftssystem 1959 stellte den
Saarländischen Genossenschaft sverband vor
vielerlei Herausforderungen. Zunächst
musste er seine Mitglieder über bundesdeutsches Recht informieren, vor allem im
Blick auf das Steuerrecht. So mussten
ländliche Genossenschaften, die an das
Pauschalisierungsverfahren bei der Umsatzsteuer gewöhnt waren, zur Einzelversteuerung übergehen. Das überstieg oft die Kräfte
63
M O D E R N E S G E N O SS E N S C H A F T S W E S E N
der damals noch vielen nebenamtlichen
Geschäftsführer. Der Verband war hier mit
großem Einsatz beratend tätig. Gleichzeitig
musste er Einnahmeausfälle kompensieren.
Das Prüfungsrecht bundesdeutscher
Spitzenverbände wurde auf das Saarland
ausgedehnt. Verschiedene umsatzstarke
Mitglieder wie EDEKA schieden aus dem
Verband aus. Andere wie ASKO (heute dem
METRO-Konzern angehörend) erwarben
eine außerordentliche Mitgliedschaft. Bis
1969 sank die Gesamtzahl der Mitgliedsgenossenschaften auf 233.
Letzteres hing allerdings vor allem mit dem
übergreifenden Prozess im Genossenschaftswesen hin zu größeren und leistungsfähigeren Einheiten zusammen. So wuchs die
Zahl der Mitglieder der vom Verband
betreuten Genossenschaften von 106.422 im
Anschlussjahr 1959 auf 150.250 im Jahr 1970.
Parallel stieg deren Wirtschaftskraft. Auch
an der Saar war dieser Prozess beispielhaft an
der Entwicklung der Kreditgenossenschaften
zu beobachten: Von 224 im Jahr 1959 war
ihre Zahl bereits 1970 auf 69 geschrumpft.
2001, direkt vor der Verbandsfusion, waren
es dann 22, heute gibt es dort noch 12. Seit
1959 stieg die Gesamtbilanzsumme der
saarländischen Kreditgenossenschaften von
damals zusammen rund 287 Mio. DM auf
über eine Mrd. DM 1970. 2001 waren es
insgesamt fast 15 Mrd.
Der Saarländische Genossenschaftsverband
förderte Konzentrationsprozesse dort, wo er
es für sinnvoll erachtete. Der Wettbewerb
unter saarländischen Kreditgenossenschaften
wurde in der Folge gemäß dem späteren
BVR-Motto „Ein Markt – eine Bank“
vergleichsweise früh verringert und durch
Fusion aufgrund von Sanierungsfällen gelöst.
1967 verschmolz die Saarland-Warenzentrale
mit ihrem Koblenzer Pendant zur RaiffeisenLandwirtschaft lichen Hauptgenossenschaft
Mittelrhein-Saar eG. 1983 fusionierte diese
mit der Kölner Warenzentrale zur Raiffeisen
Waren-Zentrale eG, eine früh konzentrierte
Vorläuferin der heutigen Raiffeisen WarenZentrale Rhein-Main eG. 1985 gab es nur
noch einen aktiven genossenschaft lichen
Molkereibetrieb im Saarland. Ähnlich rasch
kam es zu verbandsübergreifenden Konzentrationen bei der Zentralkasse und der
Rechenzentrale.
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Wirtschaftstage des Alt-Verbandes Frankfurt mit politischer Prominenz: Bundeskanzler Gerhard Schröder (oben) und
Finanzminister Hans Eichel (unten).
Verbandsübergreifende Kooperationen
tätigte der Verband von Beginn an auch im
Bildungswesen. Er unterhielt eine Abteilung
Bildung, in der sich eine Leiterin unter
anderem selbst um unterstufige Aus- und
Fortbildung kümmerte. Ein Raum wurde
dafür als Schulraum genutzt und fachkundige Referenten bedarfsweise aus universitären Einrichtungen oder unter dem
Fachpersonal des Verbandes engagiert.
Mehr war angesichts der geringen Auszubil-
dendenzahlen ökonomisch nicht sinnvoll.
Die weitere Fortbildung erfolgte in Kooperationen mit dem Frankfurter Regionalverband und den Spitzenverbänden.
Saarländischer Einfluss in den
Bundesverbänden
Die historisch einmalige Zusammenführung
beider genossenschaft licher Traditionslinien
bereits mit Verbandsgründung 1946 erwies
netzwerk 12/09
MODERNES GENOSSENSCHAFTSWESEN
sich nach der Reintegration ins westdeutsche
System 1959 als Vorteil. Der Saarländische
Genossenschaftsverband war, so erinnerte
der frühere Vorstand Arnold Bard, „als
einziger in allen Gremien der Raiffeisen- und
Schulze-Delitzsch-Spitzenverbände und auch
des Spitzenverbandes für die Wohnungsbau-
genossenschaften gleichzeitig vertreten.
Dadurch fiel uns eine vermittelnde Position
zu.“ Zum Beispiel war der Wohnungsbaubereich bei Genossenschaften zunächst
steuerfrei gewesen. Dieser wurde später
steuerpfl ichtig, womit sich die saarländischen
Vertreter bereits auskannten und den
„anderen sagen konnten, was auf sie
zukommt. Wir wussten, wie das ist, wenn
man in die Steuerpflicht kommt und
umgekehrt. Wir sind vorrangig durch das
Einbringen von Sachkenntnis von den
anderen Verbänden respektiert worden“, so
Bard.
Wirtschaftstag des fusionierten Genossenschaftsverbandes e.V. 2009 mit EZB-Chef Jean-Claude Trichet (oben).
netzwerk 12/09
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Obgleich die Dimension nicht zu vergleichen
war, konnte der saarländische Verband auch
im Rahmen der deutsch-deutschen Vereinigung Sachkenntnis einbringen, war das
Saarland 1959 doch wie die DDR 1990 auch
nach Artikel 23 des Grundgesetzes der
Bundesrepublik beigetreten. Die Übernahme
der gesetzlichen Regelungen war bei der
Eingliederung des Saarlandes im Prinzip
ähnlich verlaufen. Der saarländische
Verband beteiligte sich seiner Größe
entsprechend zudem an den Solidarmaßnahmen der genossenschaft lichen Organisation
für Ostdeutschland.
In den 1990er-Jahren entstand die Situation,
dass der saarländische Verband selbst immer
stärker von den genossenschaft lichen
Spitzenverbänden und Zentralinstitutionen
profitierte. Bard, der 1989 in den Vorstand
des Saarländischen Genossenschaftsverbandes gewählt worden war und ab 1991 den
alleinigen Vorstand bildete, warb in der Folge
intern für eine Fusion mit dem Frankfurter
Verband, welche er spätestens jetzt für
sinnvoll hielt. Wie erwähnt, wurde die
Verschmelzung 2002 realisiert. Die Frankfurter Kollegen erwiesen sich als faire
Verhandlungspartner, die auf zentrale
saarländische Wünsche eingingen. So blieb
etwa die Niederlassung in Saarbrücken mit
regionalen Ansprechpartnern bestehen. Wie
in der Vergangenheit blieb die Vertretung
gegenüber der Landesregierung Saarland in
den Händen der Saarbrücker Niederlassung.
Bard trat in den Vorstand des neuen
gemeinsamen Frankfurter Verbandes ein, wo
er bis 2005 aktiv mitwirkte.
2004 schlossen sich, wie erwähnt, die
sächsischen Kreditgenossenschaften
ebenfalls dem Frankfurter Verband an. Ab
da agierte er unter der Firmierung Genossenschaftsverband Frankfurt, Hessen/RheinlandPfalz/Saarland/ Sachsen/Thüringen e.V.
(GVF). Ende 2007 zählte er 611 Mitarbeiter
(einschließlich der selbstständigen Einrichtungen), ihm gehörten 617 Genossenschaften
sowie 8 Verbundinstitute, Rechenzentralen
und Zentralgeschäftsanstalten an. Sie hatten
etwa 37.000 Mitarbeiter (darunter mehr als
2.000 Auszubildende). Aus Prüfung,
Beratung und Qualifizierung erzielte der
GVF 78 Mio. Euro Umsatzerlöse. Die
addierte Bilanzsumme der dank ihrer 3.000
66
Zweigstellen selbst in strukturschwachen
Regionen flächendeckend vertretenen
Kreditgenossenschaften betrug 94 Mrd.
Euro. Die Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften erwirtschafteten rund 8 Mrd.
Euro. Neben dem Verwaltungssitz in
Neu-Isenburg unterhielt der GVF Büros in
Kassel, Saarbrücken, Erfurt und Nossen.
4.2.2
Lokales Handeln
bei globalem Denken: aktiver
Beistand im notwendigen
„Spagat“ des Mittelstandes
Aktuelle Standortbestimmungen für den Mittelstand
Aus der Überlegung, mittelständische
Privat- und Geschäft skunden zusammenzuführen, entstand die Idee des jährlichen
Wirtschaft stages. Die Genossenschaft sverbände wollten ihnen damit das Gefühl
geben, nicht nur „Bestandteil“ einer
Ortsbank, sondern wie diese in ein großes
Verbundsystem eingebettet zu sein. Privatund Geschäft skunden sollten dort auf
Aufsichtsräte oder Vorstände anderer
Genossenschaft sbanken und auf Vertreter
von genossenschaft lichen Verbundinstitutionen zwecks Kontaktaufnahme und
Gedankenaustauschs treffen. Die Veranstaltungen wurden und werden bewusst in
attraktiver Form organisiert, oft wechseln
pointierte Informationen mit Showeinlagen
ab.
Der Frankfurter Genossenschaft sverband
führte zeitweilig regionale Wirtschaftstage in
Gießen, Koblenz, Mainz und anderen
zentralen Orten des Verbandsgebietes durch.
Später konzentrierte er sich wieder auf eine
Großveranstaltung in Frankfurt am Main.
Sie war besonders attraktiv für hochrangige
Politiker, darunter mehrere Bundeskanzler
und Ministerpräsidenten. Helmut Kohl,
Gerhard Schröder, Jürgen Rüttgers, Kurt
Beck und viele andere zieren inzwischen die
Gästeliste. Mitunter erwies sich ein solcher
Wirtschaftstag auch als günstige Gelegenheit
für den Verband, Kontakte zu vielversprechenden Nachwuchspolitikern zu knüpfen.
Roland Koch etwa gehörte lange vor seiner
Wahl zum hessischen Ministerpräsidenten zu
den Gastrednern.
In erster Linie aber waren und sind sie Foren,
um mit Mittelstandsvertretern über deren
Probleme und Chancen zu diskutieren. Die
Themen waren stets ein programmatischer
Blick in die Zukunft: 1981 lautete das Motto
beispielsweise „Mittelstand und Ausland –
Chancen und Risiken“, 1993 „Weil wir uns
ändern müssen: Mittelstand im Wandel“, 1998
„Globale Herausforderungen – lokale
Standortpolitik“ und 2000 „Qualifiziert für
das dritte Jahrtausend: Mittelstand auf dem
Sprung in die Wissensgesellschaft“.
Die Veranstaltung „Aufbruch nach Europa:
Mittelstand im gemeinsamen Markt“
bescherte der Institution „Wirtschaftstag“
2001 einen besonderen Höhepunkt. Bewusst
konfrontierte der veranstaltende Frankfurter
Genossenschaftsverband Bundeskanzler
Gerhard Schröder mit den für den Mittelstand
zum Teil sehr problematischen Vorschlägen
des internationalen Baseler Ausschusses für
Bankenaufsicht, die dieser im sogenannten
Basel-II-Paket formuliert hatte. Verbandsvertreter kritisierten vor allem das vorgesehene
externe Rating, das vielen mittelständischen
Unternehmen existenzbedrohende Kosten
aufgebürdet hätte. Knapp 3.000 Mittelständler
und zahlreiche Journalisten wurden Zeuge, als
der Bundeskanzler versprach: „Basel II ist in
der jetzigen Form für Deutschland nicht
akzeptabel.“ Mit Unterstützung des BVR
konnte das externe Rating dann in Verhandlungen mit den zuständigen politischen
Instanzen verhindert werden. Im Oktober
2008 bewies der Frankfurter Verband mit
„Entscheidung für Deutschland: Mittelständische Werte zwischen Staat und Markt“
erneut ein glückliches Händchen bei der
Themenwahl: Der ein Jahr im Voraus geplante
Wirtschaftstag fiel mitten in die im Monat
zuvor eskalierte globale Finanzkrise.
Auch der Wirtschaftstag 2009 fand mit
dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Jean-Claude Trichet und weiteren
prominenten Gastrednern wieder eine
überaus positive Resonanz.
Solche öffentlichkeitswirksamen Foren boten
wiederholt Gelegenheit, die Vorteile genossenschaft licher Betätigung und die Seriosität der
netzwerk 12/09
MODERNES GENOSSENSCHAFTSWESEN
Wirtschaftspartnerin „Genossenschaft“ zu
unterstreichen. Bis zur aktuellen Finanzkrise
hatten die Vorstandsvorsitzenden der
Deutschen Bank Rolf E. Breuer und sein
Nachfolger Josef Ackermann mehrmals das
Drei-Säulen-Modell (Kreditbanken/Privatbanken – Landesbanken/Sparkassen – genossenschaftliche Bankengruppe) des deutschen
Bankensystems infrage gestellt. Nun verweisen Genossenschafter auf Wirtschaftstagen
und ähnlichen Veranstaltungen auf die
Solidität und die Verlässlichkeit genossenschaft licher Kreditinstitute.
Ähnlich traditionsreich wie der Frankfurter
ist der Wirtschaftstag in Lübeck, den der
Presse- und Informationsdienst der Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (PVR)
jährlich für mehr als 1.500 VR Banken und
deren Kunden ausrichtet. 2007 diskutierten
die Teilnehmer dort zum Thema „Klimawandel und Energien“. Das Forum hatte ebenfalls
bereits zahlreiche prominente Politiker zu
Gast, unter anderem Altbundeskanzler
Helmut Schmidt sowie den langjährigen
Bundesaußenminister Hans-Dietrich
Genscher und den ehemaligen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs und jetzigen
Unternehmer Lothar Späth.
Die für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zuständige Marketinggemeinschaft PVR war noch zur Zeit des Kieler
Genossenschaftsverbandes entstanden. Ihr
Pendant im früheren Verbandsgebiet des
Genossenschaftsverbandes Berlin-Hannover
ist die 2004 aus der Banken-Werbegemeinschaft hervorgegangene Marketinggemeinschaft für Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (MVR). Die MVR veranstaltet
inzwischen in Kooperation mit Partnern wie
der 2004 vom Land Niedersachsen gegründeten Investitions- und Förderbank (NBank)
eigene regionale Wirtschaft stage. Diese
dienen wie die Frankfurter und Lübecker
Foren zur aktuellen wirtschaftspolitischen
Standortbestimmung der mittelständischen
Wirtschaft zwischen Globalisierung und
Regionalität.
Aktuelle Anreize und Beratungsleistungen
Was offenkundig fehlte, war eine attraktive
Ideenbörse für den Mittelstand. Als der
netzwerk 12/09
Frankfurter Genossenschaftsverband 1994
zum ersten Mal den „Förderpreis Innovativer
Mittelstand“ vergab, zielte er auf einen
Informationsaustausch zwischen mittelständischen Unternehmen. Der Preis soll seither
das Forschungs- und Technologieklima in
Deutschland mit Blick auf die abweichende
Situation von mittelständischen Betrieben
gegenüber Großunternehmen verbessern
helfen und Gleichgesinnte zusammenbringen.
Bereits 1995 interessierten sich mehr als
1.500 Unternehmen für die Ausschreibung
zum Thema „Arbeitsplätze schaffen“, das
angesichts in dieser Zeit wieder stark
steigender Arbeitslosenzahlen ein besonders
akutes Kernproblem in Deutschland war.
111 Bewerber kamen in die engere Wahl. Sie
zeichneten sich unter anderem dadurch aus,
dass sie ihren Mitarbeiterstand durch
innovative Tätigkeit seit 1990 von rund 2.300
auf 5.800, d. h. um etwa 150 Prozent, erhöht
hatten. Zu den ersten Preisträgern gehörten
ein Soft warehersteller, ein Maschinenbauunternehmen und eine Gesellschaft für
Lichtwellentechnik. Sie zeigten unter
anderem, dass Investitionen in die Entwicklung und den Einsatz neuer Technologien
schon damals äußerst zukunftsträchtig
waren.
Stiftungen haben Hochkonjunktur. Von 1990
bis 2003 erhöhte sich ihre Zahl bundesweit
um gut 40 Prozent auf über 11.000. Seit 2000
werden kleine Stiftungen per Gesetz
besonders unterstützt. Um potenzielle Stifter
zu informieren, starteten die Volksbanken
und Raiffeisenbanken seinerzeit die „Initiative Stift ungen“, die bei Gründungen berät und
die neuen Stiftungen anschließend betreut.
Im Bereich des Genossenschaftsverbandes
Norddeutschland haben sich zwei VR-Stiftungen etabliert.
Oft fehlt nicht die Einsicht, sondern das
Know-how. Aus dieser Erkenntnis heraus bot
der Frankfurter Genossenschaft sverband
2002 erstmals externes Controlling für den
Mittelstand als Dienstleistung an. Viele
Firmenkunden nutzten seither die Möglichkeit, sich mit Hilfe des Verbandes durch
Outsourcing von Controllingleistungen
angesichts steigender Anforderungen im
Wettbewerb zu entlasten.
Aktive Beziehungshilfe mit Blick auf den
„kleinen“ Mittelstand demonstrierte 2007
der Genossenschaftsverband Norddeutschland. Er schloss für seine Mitgliedsbanken in
Schleswig-Holstein mit der Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft SchleswigHolstein GmbH (MBG) eine Kooperationsvereinbarung, die bestehende
Vereinbarungen im Beteiligungskapitalgeschäft ergänzt und kleinere Firmenkunden
mit Beteiligungen bis zu einer Million Euro
im Fokus hat. Eine ähnliche Kooperation
besteht mit der MBG in Niedersachsen. Das
Beteiligungskapital, vermittelt durch die
Genossenschaftsbank und herausgegeben
durch die MBG, ist nach Einschätzung der
Verbandsleitung angesichts des steigenden
Eigenkapitalbedarfs vieler Firmenkunden ein
wichtiger Baustein für dauerhafte Geschäftsbeziehungen.
Gemeinsame Verantwortung für
Wirtschaft und Gesellschaft
„Die Genossenschaften haben traditionell
hier in Norddeutschland, insbesondere bei
der Milchwirtschaft, eine wichtige und
zentrale Verantwortung für ihre Mitglieder“,
betonte Verbandsdirektor Michael Bockelmann 2005 im Rahmen einer Pressekonferenz des Genossenschaftsverbandes Norddeutschland in Kiel-Molfsee. Eine wichtige
Voraussetzung für die Umsetzung von
Strukturmaßnahmen zur Zukunftsausrichtung, betonte Bockelmann, sei die Bereitschaft der Mitglieder, diese Veränderungen
mitzutragen. Dies gelte sowohl hinsichtlich
der Beschlüsse für Kooperationen und
Fusionen als auch im Hinblick auf Investitionsentscheidungen und Eigenkapitalerhöhungen. Insbesondere bei den Molkereien
könnten selbst optimale Strukturen den
Preis- und Mengendruck allenfalls abfedern,
da seit Jahren 15 bis 20 Prozent Überproduktion die Milchpreise in Europa drückten.
Hinzu komme die Konzentration beim
deutschen Lebensmitteleinzelhandel, dessen
zehn größte Unternehmen schon 85 Prozent
67
M O D E R N E S G E N O SS E N S C H A F T S W E S E N
Marktanteil auf sich vereinen. Letztlich, so
das Fazit mehrerer Stellungnahmen von
Verbandsrepräsentanten aus Hannover und
Frankfurt in den letzten Jahren, könne eine
Molkerei auf Dauer nur das auszahlen, was
sie am Markt erwirtschaftet.
Sie bezogen Position in einem heiklen, da bis
heute heftig umstrittenen Segment der
Agrarwirtschaft. Die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) durchlief
in den letzten anderthalb Jahrzehnten tief
greifende Reformen. 2003 führte die Entkoppelung der Direktzahlungen zu einem
grundlegenden Systemwechsel. Die EU-Erweiterung 2004 veränderte die Wettbewerbsbedingungen erneut. Das genossenschaftliche
landwirtschaft liche Warengeschäft hat sich
auf die Veränderungen eingestellt und ist
heute gut aufgestellt. Die Mehrheit der
Genossenschaften und ihre Partner in der
Landwirtschaft lernten, aus dem täglichen
Marktgeschehen heraus ihre Vertriebswege
und ihr Auskommen im Rahmen eines
verantwortungsbewussten Miteinanders zu
finden.
Gemeinsame Verantwortung schließt
gesellschaft liches Engagement mit ein. Die
Genossenschaftsverbände und ihre Mitglieder
versuchen diese Überzeugung immer wieder
durch beispielhaftes Handeln vorzuleben. Mit
Blick auf die unbefriedigende Ausbildungssituation appellierte die Leitung des Genossenschaftsverbandes Norddeutschland auf dem
Verbandstag 2006 an alle Delegierten,
Jugendlichen und jungen Berufstätigen eine
nachhaltige Berufsperspektive in ihren
Betrieben zu bieten. Der Verband erhöhte
selbst seine Zahl an Auszubildenden.
Hinzu kommen zahlreiche Anreize durch
genossenschaftlich initiierte, getragene oder
zumindest geförderte Wettbewerbe und
Preise. Ein Dauerbrenner mit großer Breitenwirkung ist auch im Verbandsgebiet des
heutigen Genossenschaftsverbandes e.V. der
Internationale Jugendwettbewerb geblieben.
Seit einigen Jahren gesellten sich die Sterne
des Sports dazu. In diesem bundesweiten
Wettbewerb des BVR finden nicht die
Spitzensportler Anerkennung, sondern gerade
Vereine, die sich im Breitensport und in
besonderer Weise für die Gesellschaft
engagieren. Regional umgesetzt wird der
68
Wettbewerb von den Volksbanken und
Raiffeisenbanken, oft in Kooperation mit
lokalen Partnern. Die begehrten Sterne
werden in zehn Kategorien – von der
Integration von Behinderten über Programme
im Gesundheits-, Jugend-, Kinder-, Familienund Seniorensport bis hin zum Umweltschutz
– an Sportvereine für innovative Ideen
verliehen. 2007 ehrte Bundespräsident Horst
Köhler die Weddinger Wiesel für ihre
intensive Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im Berliner Bezirk Wedding mit dem
ersten Preis.
2006 veranstalteten die Volksbanken
und Raiffeisenbanken in Niedersachsen
und Bremen erstmals den Wettbewerb
„Fair bringt mehr“. Kinder und Jugendliche werden darin zu mehr Teamgeist
und Fairness untereinander und zum
Engagement gegen Gewalt aufgerufen.
Mehr als 5.000 Jugendliche aus 135 Einrichtungen vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe I beteiligten sich. In solchen Wettbewerben werde über das Thema hinaus vorbildlich
Kreativität und Teamgeist gefördert, lobten
die prominenten Mitglieder der Jury.
4.3 Vom Bildungsanbieter
zum Personalentwickler:
dynamisches Erfüllen der
Bildungsaufgabe
Vom Wanderlehrer zum mehrstufigen Ausbildungssystem
Bildung ist Investition in die Zukunft. Bereits
die Gründerväter der Genossenschaftsbewegung beherzigten diese Erkenntnis und
starteten erste Bildungsinitiativen. Friedrich
Wilhelm Raiffeisen warb für dörfliche
Einrichtungen, in denen praktisches
Wirtschaftswissen an die Genossenschaft smitglieder vermittelt werden sollte. Er
forderte, dort landwirtschaft liche Bücher
und Zeitschriften sowie andere geeignete
Hilfsmittel bereitzustellen. Hermann
Schulze-Delitzsch initiierte eine breiter
angelegte Bildungsoffensive, die über das
Genossenschaftswesen hinausging. Er
gründete die „Gesellschaft für Verbreitung
von Volksbildung“, die in großem Stile den
Aufbau von Volksbüchereien und Fortbildungsschulen unterstützte.
Die ab den 1860er-Jahren entstehenden
Genossenschaftsverbände erkannten ebenfalls
bald, wie notwendig und wichtig Bildung für
die Zukunftschancen ihrer Mitglieder war.
Die Verbände förderten maßgeblich die
flächendeckende Aus- und Fortbildung im
Genossenschaftswesen. In Niedersachsen und
Schleswig-Holstein verbanden genossenschaft liche Wanderlehrer im Auft rag ihrer
Regionalverbände früh Prüfungs- mit
Ausbildungstätigkeiten. Viele der Geschäft sführer und Rechner, die mit ihrer neuen
ehren- und nebenamtlichen Tätigkeit in der
Genossenschaft oft völlig überfordert waren,
lernten so das Einmaleins der ordnungsgemäßen Geschäfts- und Buchführung. Ab 1889
stand auch die Einführung in das GenG auf
dem Lehrplan.
In den 1890er-Jahren gingen ländliche
Regionalverbände dazu über, an zentralen
Orten erste übergreifende Lehrgänge speziell
für genossenschaft liche Bedürfnisse abzuhalten. Rechner- und Rendantenkurse, oft in
Dorfgaststätten durchgeführt, sollten die
Funktionsträger von Genossenschaften
unterstützen. In Kassel führte 1897 eine erste
derartige Lehrveranstaltung in Buchführung,
Bilanzaufstellung, Geschäftsführung,
Genossenschaftsrecht und Kreditwesen ein.
Sie gilt heute als Beginn des systematischen
genossenschaft lichen Bildungswesens. Wenig
später etablierte der schleswig-holsteinische
Raiffeisenverband regelmäßige Unterrichtskurse im „Haus der Landwirte“ in Kiel als
zentrales Bildungsangebot.
Der erste Kasseler Rechnerkurs im Mai
1897 hatte 40 Teilnehmer und dauerte
sechs Tage. Der Lehrplan umfasste im
Wesentlichen praktische Übungen und
Vorträge. Eingewiesen wurde unter anderem
in das sachgerechte Führen von Büchern und
Formularen für den laufenden Geschäftsbetrieb, in das Ausstellen von Quittungen und
den korrekten Umgang mit Krediten sowie
der Behandlung von dauerhaft erworbenen
Sachgütern. Bald erhielt die genossenschaftliche Ausbildung Anerkennung und Förderung durch staatliche Instanzen, zum Beispiel
in Form von Zuschüssen für die Durchführung der Kurse.
netzwerk 12/09
MODERNES GENOSSENSCHAFTSWESEN
kurzfristig organisierte Fachseminare.
Zunehmend wurden externe Spezialisten wie
Universitätsprofessoren als Dozenten
eingesetzt.
Die 1938 errichtete Raiffeisenschule Marburg
wies von Beginn an eine hauptamtliche
Leitung aus. Die Schule bot fortan unter
einem Dach ein breit gefächertes Ausbildungssystem mit Anfänger- und Fortbildungskursen an. In dieser Zeit forderten nationalsozialistische Funktionäre das Einbeziehen
weltanschaulicher Komponenten in den
genossenschaft lichen Unterricht. Trotz dieser
politischen Einflussnahme überwogen rein
fachspezifische Lehrveranstaltungen.
Wilhelm Haas initiierte etwa zur gleichen Zeit
erstmals ein mehrstufiges Ausbildungssystem:
Mitglieder der Ortsgenossenschaften sollten
vor Ort ökonomisch unterwiesen werden, die
Regionalverbände sich dagegen auf die
Weiterbildung von Rechnern und Vorständen
konzentrieren. 1904 errichtete er als erste
zentrale genossenschaft liche Bildungsanstalt
die Deutsche Landwirtschaft liche Genossenschaftsschule mit Sitz in Darmstadt (später in
Berlin). Revisoren, Geschäftsführer, Molkereifachleute und praktische Landwirte absolvierten dort fünfwöchige (später halbjährliche) Lehrgänge.
Die gewerblichen Genossenschaften begannen
1902 gemeinsam mit den Handwerkskammern mit systematischer Ausbildung. Auch
hier gab es zunächst Lehrgänge für Funktionsträger, vorwiegend Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder. Ab 1925 zentralisierte sich
wegen der geringen Anzahl der meist
größeren gewerblichen Genossenschaften die
Schulungsarbeit. Der Niedersächsische Genossenschaftsverband (Schulze-Delitzsch) führte
Lehrlingslehrgänge und vereinzelt Angestelltenseminare in Schulungsheimen und Hotels
durch.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die
Schulungsarbeit generell vertieft und
ausgebaut. Jetzt gehörten Lehrlings- und
Fortbildungslehrgänge zum Standardprogramm. Vortrags- und Aussprechtage
ergänzten das Angebot. Spätestens ab Mitte
der 1930er-Jahre erforderte die einsetzende
hauptamtliche Geschäftsführertätigkeit in
größeren Genossenschaften erste, mitunter
netzwerk 12/09
Während des Zweiten Weltkriegs musste
zunehmend improvisiert
werden, vielerorts wurde
der Betrieb eingestellt.
Der Kieler Raiffeisenverband wich mit seiner
Schulungstätigkeit in
Kreisstädte aus. Da viele
Geschäftsführer in die
Wehrmacht eingezogen
wurden, intensivierten
die Verbände die
Umschulung von
Kriegsverwundeten, die
Ausbildung weiblicher
Hilfskräfte und die
Schulung älterer
Organmitglieder.
schaftsverbände mit neu oder wieder
gegründeten Volkshochschulen die Situation
bald. Stärker in den Blick rückte nun die seit
der Gesetzesänderung von 1934 dringlicher
gewordene Nachwuchsausbildung für die
Verbände selbst. Auch ihr eigenes Professionalisierungsniveau sollte durch qualifi zierte, für
die wachsenden Anforderungen bestens
gerüstete Mitarbeiter erhöht werden. Ab 1947
führte der DRV achtwöchige VerbandsprüferLehrgänge durch. Ein Jahr später folgte der
gewerbliche Spitzenverband mit 14-tägigen
Fortbildungslehrgängen.
In den Regionalverbänden läutete die
zunehmende Errichtung eigener Genossenschaft sschulen – meist mitten im Verbandsgebiet gelegen – eine neue Phase des
Bildungsoffensive nach 1945
Unmittelbar nach
Kriegsende nahmen die
gewerblichen und
ländlichen Genossenschaften ihre Aus- und
Fortbildungstätigkeit
wieder auf. Nach
Improvisationen in
Notunterkünften kam in
der Raiffeisenschule
Marburg 1946 wieder ein erster ordentlicher
Rechnerlehrgang mit 31 Teilnehmern
zustande. 1947 fanden dort bereits drei
Lehrgänge für Anfänger und zwei Bilanzkurse
für fortgeschrittene Rechner statt. Generell
verbesserten Kooperationen der Genossen-
69
M O D E R N E S G E N O SS E N S C H A F T S W E S E N
genossenschaft lichen Ausbildungswesens
ein. „Aus der Praxis für die Praxis“ war das
Motto eines auf große Resonanz stoßenden
Bildungsangebots. 1954 eröff nete der
niedersächsische Raiffeisenverband die
spätere GenoAkademie Isernhagen mit
gehobenen Lehrgängen sowie Vortrags- und
Diskussionsveranstaltungen. Ebenfalls als
Raiffeisenschule startete 1962 die spätere
GenoAkademie Rendsburg.
Die gewerbliche Seite hatte im badischen
Staufen früh eine Bildungsstätte geschaffen,
die die gewerblichen Regionalverbände
zunächst gerne mitnutzten. Der Rhein-Pfälzische Genossenschaftsverband begann 1966/67
dann zusammen mit dem hessischen
Nachbarverband unter Zuhilfenahme
nebenamtlicher Lehrkräfte ein eigenes
Bildungswesen aufzubauen. Der Praxisbezug
der aus Berufsschulen kommenden Lehrkräfte
wurde bald durch Patenschaften des Verbandes mit Banken, die Praktika anboten,
gefördert. Blockseminare in Kaiserslautern
und Kassel bildeten den Kern dieser ersten
Phase verbandseigener Aus- und Fortbildung.
Nach der erwähnten Fusion der gewerblichen
Genossenschaftsverbände von RheinlandPfalz und Hessen trieb der Verband den
Aufbau des Bildungswesens voran. Großen
Zuspruch fand das 1972 eingeführte
„Videodialogsystem“, das erstmals auf der
Basis professionell produzierter Lernvideos
Bildungsinhalte vermittelte. Mehr als zwei
Jahrzehnte gehörte diese innovative Komponente – in ständig aktualisierter Form – zum
modernen Bildungsangebot des Verbandes.
Mit dem Beginn des digitalen Zeitalters
ersetzte die CD die Videokassette, bevor
diese in jüngerer Zeit durch neue, internetgestützte Lernmethoden abgelöst wurde.
Wegen des stark gewachsenen Zuspruchs
errichtete der Frankfurter Verband 1973 in
Bad Münster am Stein-Ebernburg sein
eigenes Bildungszentrum, das später
mehrmals ausgebaut und dessen Lehrangebot mehrmals differenziert wurde. Mehrmalige bauliche Erweiterungen und Modernisierungen der genossenschaft lichen
Bildungsinstitutionen sind generell optischer
Ausdruck einer ständigen Fortentwicklung
der Bildungstätigkeit der Verbände bis heute.
Ausgestattet mit der jeweils modernsten
70
Technik, großzügigen Übernachtungsmöglichkeiten und differenzierten Seminar- und
Tagungsräumen entwickelten sich die
Genossenschaftsschulen zu hochmodernen,
multifunktionalen Bildungszentren.
In die dynamisch angepasste Aus- und
Fortbildungstätigkeit der regionalen
Akademien wurden bald Zentralgeschäft sanstalten und Verbundunternehmen wie die
DG Bank und die R+V Versicherungen
integriert, um für die Mitglieder möglichst
optimale Seminarangebote schneidern zu
können. Vielfach knüpften Verbandsrepräsentanten Kontakte zu den Genossenschaftsinstituten an Universitäten, um gemeinsam
praxisbezogene Projekte zu verfolgen.
Passgenaue Lehrgänge und Veranstaltungen
an den GenoAkademien bedienten nun die
zunehmend differenzierten Bedürfnisse von
Auszubildenden, Bilanzbuchhaltern,
Kreditsachbearbeitern, Geschäft sführern,
Vorständen und Aufsichtsräten aller
genossenschaft lichen Sparten.
Qualitätssicherung durch
fortlaufende Konzentrationen
und Innovationen
Die Bemühungen der Genossenschaftsverbände, mit den rasch wachsenden Anforderungen im Kreditwesen durch eine adäquate
Weiterentwicklung der eigenen Bildungsangebote Schritt zu halten, ließen den
Bankensektor zum Motor des gesamten
genossenschaft lichen Bildungssystems
werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war
allgemein der Ruf nach einer zentralen
Genossenschaft sschule laut geworden,
welche die gewerblichen Genossenschaft sbanken bisher nicht besessen hatten. 1957
gründeten die Schulze-Delitzsch-Organisationen einen Förderverein und begannen,
wie erwähnt, in Staufen (Breisgau) mit
zentraler Lehrtätigkeit, die später in Bad
Honnef, Geisenheim und Frankfurt
fortgeführt wurde. Im Mittelpunkt standen
differenzierte Angebote für die Aus- und
Fortbildung von Bankmitarbeitern, für
Mitarbeiter ohne Banklehre, Fachlehrgänge
sowie Mittel- und Oberstufenlehrgänge.
1970 weihte der DRV Schloss Montabaur als
zentrale Schulungsstätte für den RaiffeisenBankenbereich ein. Trägervereine bildeten
den organisatorischen Rahmen.
Mit der Zusammenführung der Raiffeisenund Schulze-Delitzsch-Traditionen im
DGRV 1972 konzentrierten die Spitzenverbände ihre Bildungsaktivitäten entlang
fachspezifischer Bedürfnisse. Die Bildungsstätte in Montabaur wurde ab 1978 von der
Akademie Deutscher Genossenschaft en e.V.
getragen und die bisherigen Fördervereine
fusioniert. Vom gebündelten Know-how
profitierten Mitarbeiter der Volksbanken
und Raiffeisenbanken dann in den zahlreichen regionalen Bankleiterfachtagungen
und EDV-Schulungen gemeinsam.
Anfang der 1980er-Jahre veränderten
sich erneut wichtige Rahmenbedingungen.
Der Wettbewerb wurde härter, die Gesamtwirtschaft schrumpfte sogar erstmals.
Marktanteilsgewinne, wie sie genossenschaft liche Kreditinstitute noch in den
1970er-Jahren hatten verzeichnen können,
wurden geringer. Der Personalbestand in
den Banken stagnierte. Gleichzeitig
forderten die zunehmend komplexeren und
ausgefeilteren Finanzdienstleistungen
immer höhere Qualifi kationen des Bankpersonals. Das genossenschaft liche Bildungswesen reagierte darauf mit Trainee-Programmen für Hochschulabsolventen, um
Kräfte aus dem akademischen Nachwuchs
zu sichern. Bald kamen Managerseminare
zur speziellen Schulung von Führungskräften hinzu. Im Genossenschaft sverband
Niedersachsen konstituierte sich 1986 ein
Ausschuss, der die verbandseigene Bildungsarbeit kontinuierlich beraten und
weiterentwickeln sollte. Die „Genossenschaft sschulen“ entwickelten sich auch
inhaltlich und thematisch immer stärker zu
„Genossenschaft sakademien“.
In dieser Zeit suchten genossenschaft liche
Bildungseinrichtungen auch verstärkt
den Austausch mit staatlichen Bildungsträgern. 1995 erkannte das niedersächsische
Ministerium für Wissenschaft und Kultur
die vom Genossenschaftsverband BerlinHannover mit initiierte und getragene
Berufsakademie der Volksbanken und
Raiffeisenbanken in Hannover offi ziell
an. Aufgabe der Berufsakademie ist es
seither, die bankpraktische Ausbildung
in der Kreditgenossenschaft mit einem
betriebswirtschaft lichen Studium zu
verbinden.
netzwerk 12/09
MODERNES GENOSSENSCHAFTSWESEN
Ein Kooperationsvertrag zwischen den
Regionalverbänden in Hannover, Kiel und
Oldenburg führte 1999 die genossenschaftlichen Akademien im Norden enger zusammen. Bei Wahrung ihrer rechtlichen und
wirtschaft lichen Identität traten sie nun
gemeinschaft lich unter dem Namen GenoAkademie Nord auf. Die jahrelangen Kooperationen der norddeutschen Akademien
begünstigten die organisatorische Neustrukturierung nach der Fusion zwischen dem
Hannoveraner und dem Kieler Verband 2002.
Bildungsinvestitionen in eine
gemeinsame Zukunft
Im Osten Deutschlands gab es, abgesehen von
Landwirtschaftsschulen der VdgB, bis zur
politischen Wende 1989/90 keine eigenständige genossenschaft liche Aus- und Fortbildung. Der Verband Landwirtschaftlicher
Genossenschaften Mecklenburg e.V. unterhielt
zwar bis 1950 eine eigene Genossenschaftsschule in Bad Doberan. Dort bildete er
Mitarbeiter und Lehrlinge der Kreditgenossenschaften des Landes aus und weiter. Mit
der Zwangsliquidation des Verbandes 1950
erfolgte aber auch die Schließung der Schule.
Die Genossenschaftsmitglieder in den neuen
Bundesländern standen 1990 vor der
Herausforderung, in kürzester Zeit marktwirtschaft liches Denken und Handeln lernen
zu müssen, ohne dabei auf einen geeigneten
organisatorischen Rahmen zurückgreifen zu
können. Die westdeutschen Genossenschaftsverbände erkannten, dass angesichts einer
solchen Herkulesaufgabe die Vielzahl flexibler
Schulungsmaßnahmen vor Ort nicht immer
und überall ausreichen würden, um solides
Basiswissen zu verankern. Der Norddeutsche
Genossenschaftsverband führte zunächst
Schulungen in Rendsburg durch und richtete
1990 am Dümmer See südwestlich von
Schwerin eine Ausbildungsstätte ein. Doch
der Weg nach Rendsburg war vielen Genossenschaftsmitgliedern in Mecklenburg-Vorpommern zu weit und die Kapazitäten am
Dümmer See reichten bald nicht mehr aus. So
investierte der Verband in Klein Plasten in ein
Bildungszentrum eigens für den immensen
regionalen Bedarf an Nachqualifizierung.
Ähnlich verhielt sich der Hannoveraner
Verband. Er erwarb eine geeignete Immobi-
netzwerk 12/09
lie in Neugattersleben und baute in dem
günstig zwischen Magdeburg und Halle
gelegenen Ort eine hochmoderne Schulungsstätte auf. Der damalige Verbandsdirektor Manfred Schlüter, der sich persönlich
sehr für das Projekt engagierte, erläuterte
auf einer Pressekonferenz 1992 die auf die
spezielle Situation im Osten zugeschnittene
Konzeption: „Mit einer Vielzahl von
Seminarbausteinen von zumeist 2,5 Tagen
hat man ein Konzept gewählt, das den
Aufwand der Unternehmen für Schulungszwecke so gering wie möglich hält, eine
möglichst zielgerichtete Seminarauswahl
ermöglicht und damit den Problemkonfl ikt
zwischen Zeitmangel und Qualifi zierungsdefi zit – dem
angesichts deutlich
rückläufiger
Personalbestände
eine besondere
Bedeutung zukommt – entschärft .“
erfolgreiche genossenschaft liche Bildungsarbeit im vereinten Deutschland.
Auch der Genossenschaftsverband Frankfurt
verstärkte in dieser Zeit seine Ausbildungskapazitäten. Die zweite durch die Verbandsfusion 1992 hinzugekommene Bildungsstätte in Kassel ersetzte er 1995 durch das
neue, leistungsfähigere Bildungszentrum
der Volksbanken und Raiffeisenbanken
in Baunatal. Die zeitweiligen Schulungsangebote in Gera, Oberhof, Erfurt und
Weimar wurden in Baunatal integriert.
Dort existieren 160 Übernachtungsmöglichkeiten und rund 300 Tagungs- und
Die neuen Schulungsstätten fanden
damals auch als
Begegnungsstätten
regen Zuspruch.
Einweihung des Neubaus des Schulungszentrums Bad Münster 1978.
Hier war man –
wenn man wollte –
auch „unter sich“
und fühlte sich
verstanden, was
gerade in jener Zeit,
in der sich die
Lebensumstände so
fundamental
veränderten, wichtig
war. An die nun
geltende marktwirtschaft liche Ordnung
wurde offenkundig
in guter Dosierung
und geeigneter
1962 reisten die Seminarteilnehmer zur Raiffeisenschule Rendsburg im VW-Käfer an.
Atmosphäre
herangeführt. Die
Motivation der Betroffenen, sich durch
gezielten und raschen Bildungserwerb selbst
zu helfen, steigerte sich durch die insgesamt
klugen Bildungsinvestitionen enorm.
Neugattersleben und Klein Plasten wurden
überregional beachtete Symbole für
71
M O D E R N E S G E N O SS E N S C H A F T S W E S E N
Seminarplätze. Es ist heute die größte
Schulungsstätte im Verbandsgebiet.
Nach nur wenigen Jahren war dank der
immensen Anstrengungen die Nachqualifizierung in den ostdeutschen Bundesländern
bewältigt. Gleichzeitig veränderten sich die
Bedürfnisse der Primärgenossenschaften,
die inzwischen verstärkt Veranstaltungen in
der eigenen Institution nachfragen. Neue
internetgestützte Lernmethoden fordern
das genossenschaft liche Ausbildungssystem
heute grundsätzlich heraus. Vor diesem
Hintergrund ging die Auslastung besonders
der Akademien in Neugattersleben und
Klein Plasten stark zurück. So trennte sich
der Genossenschaftsverband Norddeutschland vor einigen Jahren von beiden Einrichtungen wieder. In Neugattersleben führt er
aber weiterhin bei Bedarf ein genossenschaft liches Bildungsprogramm durch.
Hinzu kommen mehrere flexible, ortsnahe
Schulungsstätten. Der Genossenschaft sverband Frankfurt integrierte nach der
Eingliederung der sächsischen Kreditgenossenschaften 2004 das dortige Bildungszentrum Nossen in seine VR-SeminarZentren.
Paradigmenwechsel in der
genossenschaftlichen Bildungstätigkeit
Mitte der 1990er-Jahre begann eine neue Ära
im genossenschaft lichen Bildungswesen. Der
schulisch geprägte Begriff Bildung wurde von
der wesentlich weiter gefassten unternehmerisch geprägten Personalentwicklung abgelöst.
Der Trend ging hin zu Seminaren vor Ort,
vorwiegend Inhouse-Veranstaltungen, die
individuell und bedarfsorientiert genutzt
werden. Fachlich orientierte Dozenten wichen
Trainern, die ihre Aufgabe auch in der
Schulungsstätten des Alt-Verbandes Frankfurt.
72
netzwerk 12/09
MODERNES GENOSSENSCHAFTSWESEN
Entwicklung der methodischen und persönlichen Kompetenzen der lernenden Mitarbeiter verstehen.
Die GenoAkademien passten sich dem
Paradigmenwechsel umfassend an und
entwickelten selbst neue bedarfsgerechte
Angebote. Mit „TopStart“ schufen sie 1994 ein
Betreuungsprogramm, das Theorie und
Praxis, Fachkompetenz und Persönlichkeitsentwicklung miteinander verbindet und vor
allem vor Ort im beruflichen Umfeld der
Auszubildenden umgesetzt werden kann.
Lange Seminare in Rendsburg und Isernhagen
machen heute nur noch etwa 17 Prozent des
Leistungsvolumens aus. Der Anteil konkreter
und zielgerichteter Qualifizierungsmaßnahmen wie das 1996 gestartete Programm
„JobTraining“, die Lösungen für spezielle
innerbetriebliche Personalentwicklungsbedarfe bieten, stieg bis Anfang 2008 auf 36 Prozent.
Im September 1997 startete in Niedersachsen
das inzwischen bundesweit angebotene
BankColleg mit 400 Teilnehmern an acht
Standorten. Neue Impulse für die Interpretation der Genossenschaftsidee und Persönlichkeitsbildung standen auch hier von Anfang an
auf der Agenda. BankColleg ist auf die
Aufstiegsfortbildung abgestimmt und bietet
Teilnehmern die Möglichkeit, sich bereichsübergreifend Wissen anzueignen, um den
steigenden Kundenanforderungen weiterhin
gerecht zu werden.
Eingefordert werden damit Urtugenden
genossenschaft lichen Engagements: Eigeninitiative und Selbstverantwortung. Das
BankColleg offeriert Mitarbeitern auf dieser
Basis regionale Chancen zur Weiterbildung.
So zeigte sich beispielsweise Jan Klingbeil von
der Volksbank Lüneburg eG, der 2004
erfolgreich die Ausbildung zum Fachwirt
BankColleg beendete, nicht nur vom Studium
und seiner Praxisnähe begeistert. Vielmehr
erkannte er: „Nach meinen Beobachtungen
liegt es in den Händen eines jeden Einzelnen,
ob und in welchem Umfang das BankColleg
Vorteile mit sich bringen wird. Die persönliche Einstellung ist sicherlich eine der
entscheidenden Größen für den Erfolg.“
Die Entwicklung hat längst alle Sparten
erfasst. Personalforen für Waren- und
Dienstleistungsgenossenschaften wenden sich
netzwerk 12/09
an Führungskräfte und Mitarbeiter, die heute
ein zunehmend umfangreiches Wissen über
die aktuellen Schwerpunkte im eigenen
Berufsfeld besitzen müssen. Die Akademien
vermitteln Know-how in Fachkompetenz und
Strategieentwicklung und erörtern exemplarisch, wie Innovationen umgesetzt und mit
sozialer Verantwortung Personal geführt
werden kann.
Die GenoAkademien bieten seit Ende der
1990er-Jahre individuelle, modulare Lösungen
an. Selbst entwickelt wurde ein grundständiges duales Studium, das zum akademischen
Bachelor-Abschluss führt. 2005 begann als
Antwort auf hochschulpolitische Entwicklungen der erste Bachelor-Studiengang
„Banking & Finance“.
Parallel öffneten sich die Akademien dem
Markt, indem sie erstmals Teilnehmer aus
nichtgenossenschaftlichen Unternehmen
aufnahmen. Die GenoAkademie Nord
erlangte damit bereits 1997 die Anerkennung
als Bildungsstätte nach dem Bildungs-,
Freistellungs- und Qualifizierungsgesetz
(BFQG).
Coachen und Moderieren
als künftige Kernaufgaben
des Verbandes
Wie in der zentralen Bildungsstätte in
Montabaur steht das aktuelle Bildungsangebot
des Genossenschaftsverbandes e.V. unter dem
Leitprinzip, für jedes Thema den besten
Experten zu engagieren, um den Kunden die
beste Qualität bieten zu können. Angesichts
des Trends, dass fachliches Know-how durch
die neuen Medien zunehmend ortsunabhängig, umfassend und auf dem jeweils neuesten
Stand abrufbar wird, erscheint eine neue
Akzentsetzung notwendig: „Wir müssen noch
viel mehr die Anwendung des Wissens ins
Zentrum unserer Bildungsarbeit setzen.
Coaching und Moderation ist heute die
Aufgabe des Verbandes“, so gibt Verbandspräsident Walter Weinkauf die Zielrichtung an.
onen an neuer Wirkungsstätte problemlos
nutzen können.
Wichtige Voraussetzungen dafür wurden
bereits geschaffen. Zentral initiiert wurde
Ende der 1990er-Jahre das genossenschaft liche
Personalentwicklungsprogramm GenoPE.
Der Genossenschaftsverband Frankfurt und
die Frankfurter Volksbank eG entwickelten
2000 gemeinsam als Erste ein individuelles
Modulkonzept mit abschließender Zertifi zierung. Dem bundesweiten Konzept entsprechend wurde nicht nur breites Fachwissen,
sondern auch Aspekte der Methodenkompetenz sowie der Sozial- und Persönlichkeitskompetenz beobachtet und bewertet. Bereits
2001 konnte die Modulreihe „Servicebank“
erfolgreich abgeschlossen werden. Die
GenoAkademie Nord startete parallel erstmals Seminare nach GenoPE.
2003 begann das Bildungsangebot eLearning
für die genossenschaft liche Bankengruppe. Es
ist heute ein fester Bestandteil der Aus- und
Weiterbildung in Deutschland, bei dem
Lerninhalte über das Internet vermittelt
werden und das Lernen mit elektronischen
Medien erfolgt. Ging es bei eLearning
zunächst um Kosteneinsparung, rückte bald
seine didaktische Einbindung in den Lernprozess in den Fokus. Die GenoAkademie
Nord integrierte eLearning in GenoPE, baute
dieses Bildungsangebot weiter aus und
verzahnte den Online-Lernprozess mit
Präsenzveranstaltungen.
Genossenschaftsbanken aus 14 Bundesländern
nutzen heute dieses Angebot des Genossenschaftsverbands als einen festen Bestandteil
ihrer Nachwuchsförderung von qualifizierten
Fach- und Führungskräften. Spezialseminare,
in denen Fachexperten des Verbandes, externe
Spezialisten und Praktiker aus den Genossenschaften mitwirken, ergänzen das neue
Angebot. Unterstützt werden die modernisierten Bildungsangebote von Verbundunternehmen wie Union Investment.
Fotos: Fotolia, Getty Images, Archiv
Zudem erscheint es den Verbandsrepräsentanten sinnvoll, den eingeschlagenen Weg hin zu
bundeseinheitlichen Ausbildungskonzeptionen und -standards weiterzugehen. Denn ein
Genossenschafter, der von Kiel nach München
zieht, sollte die zuvor erworbenen Qualifikati-
73
NEUGRÜNDUNGEN
5
Neue Impulse für genossenschaftliches
Engagement
Viele genossenschaftliche Institutionen fördern Windkraftanlagen und die Nutzungen anderer regenerativer Energien.
Praktische Antworten auf die
Herausforderung Klimawandel
Unterstützung zu Erfolgsmodellen geworden sind.
„Neugründungen“ seien „so etwas wie eine
Geburt. Es ist der Beginn eines neuen
Lebens und die Taufe eines gemeinsamen
Projektes. Neugründungen setzen auf eine
ungewisse Zukunft . Deshalb gilt es, bereits
im Vorwege Sicherheitsleinen einzuziehen,
um Risiken zu minimieren. Über solche
Sicherheitsnetze verfügt die Genossenschaft .“ Mit diesen Worten leiteten die
Verbandsdirektoren Michael Bockelmann
und Horst Mathes ihr Sonderheft über
genossenschaft liche Neugründungen in
Deutschland vom Oktober 2008 ein. Zu
diesem Zeitpunkt blickte der GVN bereits
auf eine Reihe sehr unterschiedlicher
Pionierprojekte zurück, die mit seiner
Schon seit Jahren unterstützen Genossenschaften und Verbände angesichts der
unabsehbaren Folgen der Veränderung des
Weltklimas und der Endlichkeit fossiler
Brennstoffe Projekte zur Energieeinsparung
und zur Nutzung regenerativer Energien. Der
GVN ermunterte seine Mitglieder früh,
Verantwortung gegenüber der Umwelt und
Nachwelt wahrzunehmen. Unter anderem
förderte der Verband eine beispielhafte
Initiative: das Bioenergiedorf Jühnde eG. Die
in Südniedersachsen gelegene Kommune
deckt seit September 2005 als erster Ort in
Deutschland seinen Wärme- und Strombedarf überwiegend aus regenerativen Energien.
74
Erklärtes Ziel der lokalen Initiatoren war es,
sich unabhängig von Ölscheichs und
Energiemultis zu machen. Und zwar durch
CO 2 -neutrale und dezentrale Energiegewinnung. Die zehn Vollerwerbsbauern im Dorf
erklärten sich bereit, die nachwachsenden
Rohstoffe dafür zu liefern. Im Vorfeld der
Gründung informierte der GVN über
Vorteile, Anlagen für erneuerbare Energien
im Rahmen eines genossenschaft lichen
Modells zu betreiben. Die lokalen Protagonisten waren rasch überzeugt, da ihnen das
Modell die besten Mitwirkungs- und
Mitverantwortungschancen bot.
Im Oktober 2004 gründete sich die
Genossenschaft und sorgte auf Anhieb
bundesweit für Furore. Über 70 Prozent der
Jühnder Haushalte traten als Mitglieder der
netzwerk 12/09
NEUGRÜNDUNGEN
Genossenschaft bei. Das Blockheizkraft werk
lieferte bald mehr Energie als geplant, was
zur großen Freude der Betreiber den
Einspareffekt erhöhte. Vorstand Eckhard
Fangmeier meinte in einem Interview 2007:
„Bei keiner anderen Gesellschaft sform ist
die Transparenz für Kunden so groß wie bei
der Genossenschaft. Auch weil wir durch
den Prüfungsverband genau kontrolliert
werden. Das bedeutet zwar einen größeren
fi nanziellen Aufwand für uns, führt aber zu
mehr Sicherheit.“
Inzwischen hat das Modell bundesweit viele
Nachahmer gefunden. Seit August 2008
garantiert eine lokale Betreibergemeinschaft
mit ihrem hochmodernen Biomasseheizkraft werk in Breuberg im Odenwald 150
Haushalten, den beiden Schulen inklusive
Turnhalle und dem Hallenbad im Stadtteil
Rai-Breitenbach die Nahwärmeversorgung.
Der Ortsvorsteher hatte Kontakt zu den
Projektleitern des Bioenergiedorfes
„Jühnde“ in Niedersachsen aufgenommen,
die Einrichtung besucht und das Bioenergiedorf Breuberg-Rai-Breitenbach mit ins
Leben gerufen – ebenfalls in der Rechtsform
eG.
Foto: Fotolia
Im November 2007 informierte der GVN in
einem Sonderheft ausführlich über die
Gefahren des Klimawandels sowie nationale
und internationale Maßnahmen zum
Klimaschutz. Die Präsentation einer breiten
Palette genossenschaft licher Initiativen zum
Thema, von einer Diskussionsveranstaltung
der Volksbanken und Raiffeisenbanken in
Lübeck mit Bundesumweltminister Sigmar
Gabriel bis hin zum Modellprojekt Jühnde,
rundete das Heft ab.
Bürgerschaftliches Engagement
anstelle des Staates
Solche Meldungen las und hörte man in den
letzten Jahren oft : Einer Kommune ging das
Geld aus, öffentliche Einrichtungen wurden
zum Leidwesen der Bewohner geschlossen.
So auch im niedersächsischen NörtenHardenberg. Aus Kostengründen stellte die
Gemeinde im Juni 2004 den Betrieb des
Hallenbades ein. Aber aktive Bürger wollten
nicht auf ihr Bad vor Ort verzichten und
fanden im Modell der eG eine Alternative
zur Fortführung des Schwimmbetriebes. In
enger Abstimmung mit dem GVN erarbeiteten sie ein adäquates Betriebsmodell und
gründeten eine Genossenschaft . Ein breites
Bündnis aus Bürgern, Gewerbetreibenden,
Handwerk und Vereinen beteiligte sich;
auch die Gemeinde war mit von der Partie.
Bürgermeister Frank Priebe wurde
Vorstandsvorsitzender der ersten Hallenbad-Genossenschaft in Deutschland.
Schon im September 2005 eröffnete die
Genossenschaft das modernisierte Hallenbad
neu. Zwei Jahre später wurde die Hallenbad
Nörten-Hardenberg eG vom Bundespräsidenten im Rahmen des Wettbewerbes
Genossenschaftliches Hallenbad in Nörten-Hardenberg.
netzwerk 12/09
75
NEUGRÜNDUNGEN
Absolventen der Berufsakademie für Bankwirtschaft nach bestandenem Examen.
„Deutschland – Land der Ideen“ als herausragende Initiative ausgezeichnet. Laudator
Helmut Tusch lobte bei der Preisübergabe:
„Genossenschaften sind überzeugende
Einrichtungen der Selbsthilfe und Selbstverwaltung. Sie sind universell einsetzbar und in
ihrer lokalen und regionalen Wirkung
einmalige Kooperationen von gleichberechtigten Mitgliedern. Hier in Nörten-Hardenberg wird die Zukunft gemacht, ein bundesweites Vorbild für gemeinsame Initiativen.“
beispielhafte Möglichkeit, Partizipation
schon in der Schule zu praktizieren. Darüber
hinaus vermitteln sie entscheidende Kompetenzen im Bereich wirtschaft lichen Handelns. Wirtschaft ist neben Umwelt und
gesellschaft lichen Gesichtspunkten eine der
drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung.“
Verbandsdirektor Michael Bockelmann hatte
beim feierlichen Startschuss 2006 für die
zwölf teilnehmenden Schülergenossenschaften erklärt, warum dem Verband die
einzigartige Initiative so am Herzen lag:
„Vorrangiges Ziel unseres gemeinsamen
Projektes ist es, die Attraktivität der
Schülergenossenschaften
machen Schule
Sogar die Vereinten Nationen zeichneten es
aus. Im September 2006 war das vom GVN
initiierte und wesentlich getragene Pilotprojekt „Schülergenossenschaften in Niedersachsen“ gestartet. Zwei Jahre später durfte es
sich bereits mit dem Titel „Offizielles Projekt
der Dekade der Vereinten Nationen zur
Bildung für nachhaltige Entwicklung
2005–2014“ schmücken. Der Präsident der
Deutschen UNESCO-Kommission und
niedersächsische Wirtschaft sminister Walter
Hirche begründete die Auszeichnung:
Schülergenossenschaften seien „eine
76
Schul- und Schülergenossenschaft Scheeßel.
netzwerk 12/09
NEUGRÜNDUNGEN
Auszeichnung der Energiegenossenschaft Odenwald eG durch den Genossenschaftsverband e.V.
Genossenschaften für die Gründung von
Schülerfirmen stärker zu verankern. Dabei
geht es nicht um das Erlernen von Gewinnmaximierung, sondern um den Nutzen für
die Gemeinschaft.“ Untersuchungen hätten
gezeigt, so Bockelmann, dass viele Schüler
und auch Lehrer heutzutage mehr über
Aktiengesellschaften wüssten als über
Genossenschaften.
Wie im realen Wirtschaftsleben unterzog der
GVN damals alle Projekteilnehmer einer
Gründungsprüfung, bevor sie im Genossenschaftsregister eingetragen werden durften.
Allein die Projektideen waren Ausdruck von
kreativer Vielfalt. Die Palette reichte von
Beauty-Anwendungen, einem Schülercafé,
Hausaufgabenbetreuung, einer Imkerei, die
eigenen Honig vermarktet, über einen
Veranstaltungsservice und die EDVBetreuung bis hin zur Werbeartikelherstellung und der Planung von Energiesparmaßnahmen. Zwölf Schulen nahmen teil. Die
weitgehend in Eigenregie betriebenen Projekte
trugen Schülerinnen und Schüler aus allen
Schulformen. Sie kamen aus Förderschulen,
Haupt- und Realschulen, Gesamtschulen,
Gymnasien und berufsbildenden Schulen.
Gefördert wurden die Schülergenossenschaften auch durch die Stiftung Niedersächsischer Volksbanken und Raiffeisenbanken
und die Niedersächsische Lottostiftung.
Zur Halbzeitbilanz im Herbst 2007 präsentierten 532 Vertreter von elf Schülergenossen-
Lehrer aus dem Projekt Schülergenossenschaften.
netzwerk 12/09
77
NEUGRÜNDUNGEN
Pressekonferenz mit Prof. Klaus Töpfer (Ex-Bundesumweltminister und früherer UN-Untergeneralsekretär).
schaften in der Hannoveraner GVN-Zentrale
ihre erfolgreichen Firmenideen. Man habe
wachsende Umsätze zu verzeichnen, die
Kunden würden immer bedeutender und das
Echo in den Medien sei sehr gut, so das erste
Fazit. Niedersachsens Kultusminister Bernd
Busemann zeigte sich beeindruckt von der
Leistung und fand die genossenschaft liche
Organisationsform überzeugend: „Das
Engagement des Einzelnen wird ebenso
gefördert wie demokratisches Denken und
Handeln. Durch diese Erfahrungen werden
junge Menschen hervorragend auf zukünftige Aufgaben und Herausforderungen in
Wirtschaft und Gesellschaft vorbereitet.“ Mit
Blick auf die vorgetragenen Erfahrungen
ergänzte Verbandsdirektor Bockelmann, ein
wesentlicher Effekt sei offenkundig „die
Förderung von eigenen Schlüsselkompetenzen, wie Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit. Das zahlt sich spätestens dann aus,
wenn es um die Suche nach dem eigenen
Ausbildungsplatz geht. Denn welcher
Personalchef freut sich nicht über Bewerbungen von jungen Menschen, die bereits im
Vorstand oder Aufsichtsrat einer Schülergenossenschaft Verantwortung übernommen
und getragen haben?“
Der GVN qualifizierte parallel erstmals
betreuende Lehrkräfte in der GenoAkademie
Isernhagen zu zertifi zierten Beratern des
Verbandes weiter. Die Verantwortlichen im
Bildungsbereich machten die Erfahrung, dass
das praktische Lernen in einer genossenschaft lichen Schülerfi rma ein wichtiger
Bestandteil der eigenen Vorbereitung auf die
Zukunft sein kann.
78
Das Pilotprojekt war kaum zu Ende, als sich
seine Vorbildfunktion bestätigte. Das
Niedersächsische Kultusministerium gab im
Sommer 2008 bekannt, es plane bis 2012, in
ganz Niedersachsen 50 Schülergenossenschaften zu gründen. Inzwischen ist das
Projekt gestartet, rund 35 Neugründungen
sind bis Ende 2009 vollzogen. Projektpartner sind neben dem Genossenschaft sverband auch der Schwesterverband in
Niedersachsen, der Genossenschaft sverband
Weser-Ems e.V. und das Kultusministerium.
Die wissenschaft liche Evaluierung übernimmt die FH Frankfurt am Main. Die von
Lehrern gestartete Initiative bindet Schüler
mit in die Unternehmensführung, die
kaufmännische Planung, die Buchführung,
das Controlling, die Beschaff ung und den
Absatz ein.
Systematische Förderung
des Zukunftsmodells
„Genossenschaft“
Im November 2007 ist die mit Unterstützung
des GVF gegründete Schulgenossenschaft
Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Schule
Wetzlar eG feierlich eingeweiht worden. Sie
bereichert heute die lokale Schullandschaft
mit dem Angebot eines qualitativ hochwerti-
netzwerk 12/09
NEUGRÜNDUNGEN
gen und ortsnahen Grundschulunterrichts
inklusive Vorschule und Förderstufe (Klassen
5 und 6) in kleinen, individuellen Lerngruppen – und das alles zu finanziell erschwinglichen Preisen. Charakterbildung der Kinder
gehört hier zu den Hauptzielen. Die Genossenschaftsform schafft eine vertrauensvolle
Grundlage für eine aktive Beteiligung der
Eltern an der Schule, die mit den Genossenschaftsanteilen alle Rechte als Mitglieder
erwerben und sich auch im Rahmen einer
satzungsgemäß vorgesehenen Eltern-LehrerKonferenz, eines Elternbeirats und eines
Vertrauenskreises einbringen können.
Genossenschaft liche Schulen gibt es seit über
60 Jahren auch im GVN-Verbandsgebiet in
Scheeßel und Düsternbrook/Kiel.
Das Gründungs- und Kompetenzzentrum
des GVF fördert genossenschaft liche
Neugründungen in zukunft sfähigen
Geschäftsfeldern inzwischen auch systematisch durch das GenoPortal. Das Portal
identifi ziert Märkte mit Wachstumspotenzial
für neue, innovative Produkte und Dienstleistungen und bietet hierfür einen struktu-
rierten, kostengünstigen und nachhaltig
qualitätsgesicherten Gründungsprozess an.
Neu ist etwa, dass die Leistungspotenziale
im genossenschaft lichen Verbund vernetzt
werden. 2008 begleitete GenoPortal die
Gründung von 17 neuen Verbandsmit-
gliedern in den Bereichen Gesundheit und
Wellness, Energieversorgung, Wissenschaft ,
Dienstleistung, Public-Citizen-Partnership,
Beratung, Handel und Banken. Ende Januar
2009 befanden sich rund 50 Gründungsprojekte in Bearbeitung.
Genossenschaftliche Neugründung: NaturErlebnisBad Luthe eG.
netzwerk 12/09
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AU S B L I C K
Nossen
Erfurt
6
Balance und Statik neu justieren
Perspektiven der gemeinsamen Verbandsarbeit.
Die Zukunft im Blick
Wie sieht die genossenschaft liche Verbändelandschaft 2017 aus? Als sich führende Mit arbeiter des Genossenschaft sverbandes Norddeutschland 2007 zu einer
Strategieklausur trafen, war diese Frage
Ausgangspunkt der Überlegungen und
80
Diskussionen. Alle waren sich einig,
dass der Status quo nur von kurzer Dauer
und zehn Jahre später weitere Verschmelzungen von Regionalverbänden erfolgt sein
würden. Das lehrte bereits der Blick auf die
eigene Geschichte. „Wir wollten selber
gestalten“, erläuterte Vorstand Michael
Bockelmann die abschließende Entscheid-
ung, aktiv in Fusionsverhandlungen zu
treten.
Im Genossenschaft sverband Frankfurt
fanden die Hannoveraner bald einen
interessierten und idealen Partner. Letztere
hatten bereits seit Jahren für eine Konzentration und Mobilisierung der Kräfte der
netzwerk 12/09
AU S B L I C K
Regionalverbände geworben. Die verbandspolitische Ausrichtung hin auf ein starkes
operatives Geschäft war sehr ähnlich, das
Ergänzungspotenzial hoch. Beide waren
wirtschaft lich sehr erfolgreiche Unternehmen. Die Verhandlungen zwischen den
Verantwortlichen im Frühjahr 2008 fanden
sehr zügig ein beide Seiten überzeugendes
Ergebnis. Die jeweiligen Verbandstage im
Herbst stimmten der Fusion mit überwältigender Mehrheit zu: im GVF einstimmig,
im GVN mit 97 Prozent.
Geschäftssparten zu den Großen zu gehören.
Gemessen am Umsatz und an der Zahl der
Wirtschaftsprüfer ist der Verband bereits die
Nummer sechs unter den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, er rangiert unter den
ersten 20 Beratungsgesellschaften und ist
einer der größten Anbieter von Qualifi zier-
ungsleistungen in Deutschland. Fast 150
Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und
Rechtsanwälte sowie weitere Fachkräfte
tragen zur großen Leistungsbreite und zum
hohen Qualitätsstandard bei und er ist
größter genossenschaft licher Bildungsanbieter bundesweit.
Der neue gemeinsame Genossenschaftsverband e.V. organisierte sich mit Absicht so,
dass er für weitere Konzentrationsbemühungen im genossenschaft lichen Verbandswesen offen ist. Seine aktuelle Führungsmannschaft beabsichtigt, den Regionalverband künft ig noch stärker als bisher zur
verbindenden Klammer im genossenschaftlichen Verbund zu machen. Voraussetzung
dafür ist, dass er selbst ein potenter Wettbewerber bleibt. Erklärtes Ziel ist es,
nationale Podiumsplätze zu besetzen, also
auf Bundesebene innerhalb einzelner
Verwaltungssitze des Genossenschaftsverbandes e.V. in Hannover (oben) und Neu-Isenburg (unten).
netzwerk 12/09
81
AU S B L I C K
Vielfältiger Mehrwert
für die Mitglieder
Es müsse spürbarer Nutzen für die Mitglieder herauskommen, betonten die Protagonisten der Verbändefusion unisono während
des Verschmelzungsprozesses. „Wir werden
in den nächsten Jahren Kosteneinsparungen
insbesondere über sinkende Verbandsbeiträge an unsere Genossenschaften weitergeben“, versprach Präsident Weinkauf im
Herbst 2008. Durch die Fusion werde
binnen fünf Jahren eine Kostenentlastung
von mindestens zwölf Mio. Euro für die
Mitglieder erwartet. Ferner sollen die
Genossenschaften von einem systematischen Ausbau der direkten Betreuung
und operativen Nähe sowie dem Zugriff
auf Spezialisten und Kompetenzcenter in
einem interdisziplinären Leistungsnetzwerk
profitieren. Durch eine basisdemokratische
Grundstruktur werde den Mitgliedern eine
unmittelbare Einwirkung auf den Verband
und über diesen auf Verbundentwicklungen
ermöglicht. Der Genossenschaftsverband
werde überall im Geschäft sgebiet Regionalverband bleiben. Das sei eine Frage der
Organisation, die nun auf die neue Realität
als größere Einheit abgestimmt werde.
Landwirtschaft bis hin zu unseren gewerblichen Genossenschaften. Gerade in der
jetzigen Situation allgemeiner Verunsicherung können Genossenschaften mit ihren
Exzellenzfaktoren Mitgliederorientierung,
Regionalität und Identifi kation punkten“,
beschrieb Bockelmann das Selbstverständnis
des Genossenschaftsverbandes. Als größerer
Verband könne er auch unternehmerische
Experimente wagen, die einem kleineren
verwehrt bleiben. Dieser Spielraum sei
unentbehrlich, um die eigene Leistungsfähigkeit und damit die bestmögliche Förderungsfähigkeit der Mitglieder zu erhalten. Denn
„die Mitgliederförderung ist das Alleinstellungsmerkmal der genossenschaft lichen
Organisation. Diese Struktur wollen und
können wir nur gemeinsam zukunftsfähig
gestalten“, fügte Weinkauf hinzu.
Neupositionierung
im Verbund
Inzwischen ist der Verband mit der
Realisierung seiner Versprechen beschäft igt.
In Hannover wird ein zentrales Strategiezentrum für den Bereich Prüfung/Betreuung Ware errichtet und der Standort
Frankfurt zum Strategiezentrum für den
Bereich Prüfung/Betreuung der Genossenschaft sbanken ausgebaut. In Bremen hat der
Verband 2008 eine neue Geschäft sstelle
eröff net, um den 84 Genossenschaften im
Raum einen kompetenten, entscheidungsbefugten und ortsnahen Ansprechpartner
zu bieten. Im Umkreis von etwa 100
Kilometern zu den Mitgliedern sollen
flächendeckend Geschäft sstellen platziert
sein. Zudem wird das Key-Account-System
flächendeckend umgesetzt und das
Fachräte-Konzept in die neue Organisationsform eingebaut.
Der Genossenschaft sverband will die
bewährte selbstverantwortliche Prüfung als
ein Markenzeichen des gesamten genossenschaft lichen Verbundes weiter stärken.
Verbandspräsident Walter Weinkauf sieht
ohnehin eine Notwendigkeit, den Verbund
als genossenschaft liche Einheit effi zienter zu
machen. Er bemängelt, dass von den
Verbundunternehmen zu viele Auft räge an
Prüfungs- und Beratungsgesellschaften, die
mit der genossenschaft lichen Gruppe im
Wettbewerb stehen, vergeben würden. Hier
könne die Organisation Millionenbeträge
sparen: „In der aktuellen Finanzkrise und
deren Bewältigung kommt es entscheidend
darauf an, dass die Verbände jetzt ihr
Gewicht einbringen. Gelingt das nicht,
werden sie an Bedeutung verlieren. Ich
verlange, dass künft ig Ordnungsmäßigkeitsprüfungen bei Verbundunternehmen durch
den Prüfungsverband vorgenommen
werden und nicht nur externe Prüfungen
stattfi nden. Gelingt es uns nicht, die
Mitglieder der Verbundunternehmen dafür
zu mobilisieren, dann haben die Verbände
eine schmale Zukunft .“
„Wir sehen uns als ganzheitlichen Unternehmenspartner, der unseren Mitgliedern,
Kunden und Mandanten Stabilität in der und
für die Veränderung gibt. Das gilt gleichermaßen für alle Bereiche, von Kredit und
Während die Unternehmen des FinanzVerbundes wie die DZ Bank und die Union
Investment als Zulieferer einzelne Leistungsfelder abdecken, ist der Genossenschaft sverband mit seinen Kernleistungen
82
Prüfen, Beraten, Informieren und Qualifizieren ganzheitlicher Unternehmenspartner.
Seine vorrangige Rolle ist, Primärgenossenschaften zukunft sfähig zu machen oder zu
halten. Die grundsätzliche Aufgabenteilung
wird allseits bekräft igt. Aber Weinkauf sieht
in anderer Hinsicht Verbesserungsbedarf:
„Transparente Preise oder Provisionen, die
der Benchmark des Wettbewerbs entsprechen, reichen nicht aus. Die Verbundunternehmen müssen auch einen Beitrag zur
Aufrechterhaltung der dezentralen Struktur
leisten. Ein richtig aufgestellter Verbund
muss fi nanziell mehr bieten können als
Dritte.“
Die künft ige Zusammenarbeit mit den
Spitzenverbänden BVR, DRV und ZGV sieht
der Genossenschaftsverband unberührt. Sie
betreiben spartenspezifi sche Lobbyarbeit in
Berlin und Brüssel, was nicht zum Aufgabenspektrum eines Regionalverbandes
gehöre. „Wir konzentrieren uns auf die
Individualität des einzelnen Mitglieds,
während die Spitzenverbände sich um
Gruppenstrategien kümmern. Bei den
Spitzenverbänden geht es um die Stabilität
der Gruppe. Bei uns geht es um die Stabilität
der einzelnen Genossenschaften in unserem
Verbandsgebiet“, gab der Vorstand des
Genossenschaft sverbandes zu Protokoll.
netzwerk 12/09
L I T E R AT U R
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125 Jahre DZ Bank.
Der Genossenschaftsverbund zieht Bilanz
Frankfurt am Main 2008.
90 Jahre Raiffeisenschule Kassel
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Kassel 1987.
Agrargenossenschaften in Vergangenheit
und Gegenwart. 50 Jahre nach der Bildung
von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der DDR
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125 Jahre Genossenschaftsverband
Hessen/Rheinland-Pfalz
Frankfurt am Main 1987.
Akademie – Investition für die Zukunft,
Rendsburg und Klein Plasten erfüllen
Bildungsauftrag
herausgegeben vom Norddeutschen
Genossenschaftsverband (Raiffeisen-SchulzeDelitzsch) e.V., Kiel 1994
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Entwicklung, Struktur, wirtschaftliches
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Baumgarten, W.:
100 Jahre Nordwestdeutscher
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Beiträge zur Geschichte der Warenund Dienstleistungsgenossenschaften und des genossenschaftlichen
Verbundsystems, herausgegeben vom Historischen
Verein bayerischer Genossenschaften e.V., München,
Genossenschaftsverband Bayern
(Raiffeisen/Schulze-Delitzsch) e.V.,
München 2001.
Bildung braucht Raum
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Hessen/Rheinland-Pfalz/Thüringen e.V.,
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Das Selbstverständnis moderner
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Daheim, H./Kruse, V.:
Kreditgenossenschaften in Deutschland.
Kulturelle Einbettung wirtschaftlichen
Handelns in Deutschland und Taiwan
Hamburg 2008.
Der Deutsche Genossenschaftsverband
von 1948–1970
herausgegeben vom Deutschen Genossenschaftsverband (Schulze-Delitzsch) e.V.,
Bonn, Wiesbaden 1971.
Entwicklung und Realisierung des
Genossenschaftsgedankens vom Mittelalter bis zur Gegenwart
(Dargestellt an ausgewählten Beispielen),
herausgegeben vom Historischen Verein
bayerischer Genossenschaften e.V., München,
Genossenschaftsverband Bayern (Raiffeisen/
Schulze-Delitzsch) e.V., München 2000.
Fabry, P. W.:
Bewährung im Grenzland.
Genossenschaftsarbeit an der Saar
von 1860 bis zur Gegenwart
herausgegeben vom Saarländischen Genossenschaftsverband e.V., Neuwied 1986.
Foto: Fotolia
netzwerk 12/09
83
L I T E R AT U R
Fischer, A.:
Verfolgung, Selbsthilfe, Liquidation.
Jüdische Genossenschaftsbanken im
nationalsozialistischen Deutschland
1933–1938
in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 54
(2006) 3, S. 417–432.
Hill, D.:
Wettbewerbsfähigkeit der Agrargenossenschaften in Mecklenburg-Vorpommern
unter den Bedingungen der Agrarpreisreform der Europäischen Union
in: Rostocker Agrar- und umweltwissenschaft liche Beiträge, Heft 3 (Sonderheft),
Rostock 1995, S. 7–15.
Frankenbach, C.:
Der Hessisch-Mittelrheinische Genossenschaftsverband (Schulze-Delitzsch) e.V. zu
Wiesbaden und seine Genossenschaften.
Darstellung der Entwicklung vom
Ursprung bis zum heutigen Stand
Wiesbaden 1938.
Hill, D.:
Gedanken und Erinnerungen –
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
im Wandel der Zeit
in: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in
einer schwierigen Zeit – Neue Wege und
Strategien. Fortbildungs- und Informationsseminar des Deutschen Raiffeisenverbandes
e.V. in der Akademie Deutscher Genossenschaften e.V., Montabaur, 19. bis 21. Oktober
1994, Broschüre Kiel 1994 (Schriftenreihe
NGV/GVN Nr. 48), S. 7–27.
Genossenschaftsmodelle – zwischen
Auftrag und Anpassung. Festschrift zum
65. Geburtstag von Prof. Dr. Rolf Steding
herausgegeben von M. Hanisch, Berlin 2002.
Hansen, J.:
Genossenschaftliches Unternehmertum.
Aufgabe der Raiffeisengenossenschaften
in der modernen Volkswirtschaft
Neuwied 1976.
Herkunft und Zukunft – Genossenschaftswissenschaft und
Genossenschaftspraxis an der Wende
eines Jahrzehnts. Bericht der XII. Internationalen Genossenschaftswissenschaftlichen Tagung 1990 in Stuttgart-Hohenheim
herausgegeben im Auft rag der Arbeitsgemeinschaft Genossenschaft swissenschaftlicher Institute (AGI) von W. Grosskopf,
Wiesbaden 1990.
Hermann Schulze-Delitzsch.
Weg – Werk – Wirkung
herausgegeben vom Förderverein Hermann
Schulze-Delitzsch, Neuwied 2008.
Hill, D.:
150 Jahre Genossenschaften – eine
Erfolgsbilanz. Chronik für Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und SchleswigHolstein
Hannover 2002
(Schriftenreihe NGV/GVN Nr. 60).
84
Kluge, A.:
Das genossenschaftliche Bankwesen
in Berlin und Brandenburg in:
Bankgeschäfte an Havel und Spree.
Geschichte – Traditionen – Perspektiven
herausgegeben von K. Hübener, W. G.
Hübscher und D. Hummel, Potsdam 2000,
S. 215–248.
Lambert, K.:
„Der Gesetzgeber wäre gut beraten,
Elemente des genossenschaftlichen
Prüfungsprozesses in seine Überlegungen
einzubeziehen“
in: Kreditwesen 56 (2003) 23, S. 1357–1363.
Landwirt Sönke Paulsen.
Genossenschafter aus Überzeugung.
Reden, Gedichte, Geschichten
Kiel 1992 (Schriftenreihe NGV/GVN Nr. 42).
Laschewski, L.:
Von der LPG zur Agrargenossenschaft.
Untersuchungen zur Transformation
genossenschaftlich organisierter Agrarunternehmen in Ostdeutschland
Berlin 1998.
Lühtje, A.:
Lebendige Kräfte. Werden und Wirken
der Raiffeisen-Genossenschaften in
Schleswig-Holstein und Hamburg
Kiel 1974 (Schriftenreihe RV Kiel Nr. 15).
Hill, D.:
Der Zukunft verpflichtet. 100 Jahre
Raiffeisenverband Schleswig-Holstein und
Hamburg
Kiel 1984 (Schriftenreihe RV Kiel Nr. 30 – Sonderausgabe).
Idee, Leistung, Erfolg.
100 Jahre Raiffeisenverband Kurhessen e.V.
Kassel, herausgegeben vom Raiffeisenverband Kurhessen e.V., Kassel, Text und
Konzeption: J. Weishaupt, Neuwied 1982.
Kluge, A. H.:
Geschichte der Bankgenossenschaften.
Zur Entwicklung mitgliederorientierter
Unternehmen
Frankfurt am Main 1991.
Lühtje, A.:
75 Jahre Landwirtschaftliches Genossenschaftswesen in Schleswig-Holstein
Kiel 1959.
Lüthje, A.:
70 Jahre Landwirtschaftliches Genossenschaftswesen in Schleswig-Holstein
Kiel 1954.
Lukas, K.:
Der Deutsche Genossenschaftsverband.
Entwicklung, Strukturen und Funktionen
Berlin 1972.
netzwerk 12/09
L I T E R AT U R
Meilensteine 1948–1998.
50 Jahre Deutscher Raiffeisenverband e.V.
Bonn 1998.
des Genossenschaftsverbandes Norddeutschland
Dissertation Universität Leipzig 2007.
Nagelschmidt, M./Neymanns, H.:
Wandel bewältigt? Perspektiven der
ostdeutschen Genossenschaften
Frankfurt am Main 1999.
Schlosser, C.:
Die Entwicklung genossenschaftlicher
Zentralbankstrukturen und -funktionen
aus institutsökonomischer Sicht
Hamburg 2008.
Pfaffenberger, K.:
Fusionen als „Bündelung der Kräfte“ –
Eine Analyse der Strategien von genossenschaftlichen Primärbanken im Bereich
Selbsthilfe zum Beispiel. Eine Chronik der
Genossenschaften
herausgegeben von D. Ohlmeyer für den
Genossenschaftsverband Niedersachsen e.V.,
Hannover 1984.
Steding, R.:
Die Genossenschaftsidee. Chancen und
Klippen eines Kooperationskonzepts aus
rechtlicher Sicht. Eine Anthologie von
Beiträgen zu ausgewählten Aspekten der
Genossenschaft und ihrer Gestaltung
Berlin 2007.
Thiemann, L.:
Genossenschaftliche Zentralbanken
und genossenschaftliche Finanzverbünde
in Deutschland und Frankreich
Dissertation Marburg 1999.
Über Zeit und Raum.
Die Geschichte des Raiffeisenverbandes
Rhein-Main, 1873–1973
Frankfurt am Main 1973.
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Angaben zum Autor
Dr. Josef Schmid lebt und arbeitet als freiberuflicher Historiker in Hamburg.
Er ist Mitbegründer und aktives Mitglied von Geschichtswerk eG.
Die Genossenschaft bietet umfassende Dienstleistungen für History Marketing,
Unternehmensgeschichte, Ausstellungen und Archivaufbau an.
Schmid ist als Autor, Lektor, Berater, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent
in der Erwachsenenbildung bisher u. a. für die Forschungsstelle für Zeitgeschichte
in Hamburg, den NDR, das Evangelische Studienwerk e.V., Haus Villigst,
die Körber-Stiftung/Hamburg und das Magazin GEO Epoche tätig geworden.
netzwerk 12/09
85
G E N O SS E N S C H A F T E N A L S W I R T S C H A F T S FA K T O R
Genossenschaften als Wirtschaftsfaktor
Stand 31. 12. 2008
Mitgliederbestand Genossenschaften
Kreditgenossenschaften
340
Gewerbliche Waren- und Dienstleienstleistungsgenossenschaften
518
169,1 Mrd. Euro
Umsatz
Verbundgeschäft
94,2 Mrd. Euro
Mitglieder
170.000
Mitglieder
17.000
Mitarbeiter
18.000
Mitarbeiter
11.000
Mitglieder
Mitarbeiter
5.536
Umsatz
466
Bilanzsumme
Bankstellen
10,0 Mrd. Euro
Agrargenossenschaften
1,4 Mrd. Euro
3.869.821
49.744
Landwirtschaftliche
sWaren - und Dienstleistungsgenossenschaften
Umsatz
515
9,8 Mrd. Euro
Mitglieder
156.692
Mitarbeiter
11.759
haften
davon Molkereigenossenschaften
67
Umsatz
Mitglieder
17.551
Mitarbeiter
4.885
nachrichtlich:
3 Warenzentralen mit
Umsätzen von
86
5,1 Mrd. Euro
8,5 Mrd. Euro
netzwerk 12/09
AKTUELLES
Organe & Gremien
Stand der Angaben: Dezember 2009
Vorstandsmitglieder Genossenschaftsverband e.V.
Dipl.-Betriebsw. (FH) Walter Weinkauf (Verbandspräsident und Vorstandsvorsitzender)
WP/StB Dipl.-Kfm. Michael Bockelmann (stv. Vorstandsvorsitzender)
RA Dipl.-Volksw. Martin Bonow
WP/StB Dipl.-Betriebsw. (FH) Horst Kessel
WP/StB Dipl.-Betriebsw. Horst Mathes
WP/StB Dipl.-Betriebsw. (FH) Edgar Schneider
Verbandsrat Genossenschaftsverband e.V.
Vorsitzender
Hildner
Rolf
Wiesbadener Volksbank eG
Stellvertretender Vorsitzender
Siegers
Michael
Volksbank Hildesheim eG
Ordentliches Mitglied
Persönlicher Stellvertreter
Name
Vorname
Genossenschaft
Name
Vorname
Genossenschaft
1
Arnoldt
Siegmar
AGROLAND Agrar eG Thörey/Rehestädt
Naumann
Hans-Günter
Terra eG, Sömmerda
2
Bade
Peter
Volksbank Lüneburger Heide eG,
Lüneburg
Hasselmann
Cord
Volksbank Nordheide eG, Buchholz
3
Baden
FriedrichWilhelm
Volksbank Börde-Bernburg eG,
Bernburg
Lips
Oliver
Volksbank eG, Köthen
4
Baehr
Rüdiger
Raiffeisen-Warengenossenschaft
Stendal eG
Claes
Michael
Raiffeisen Warengenossenschaft
Köthen-Bernburg eG, Köthen
5
Bauer
Claus-Rüdiger
Raiffeisenbank eG, Baunatal
Hegner
Hans
Raiffeisenbank eG, Calden
6
Bernhardt
Dieter
“TIFA” TIEFKÜHLKOST-ALLIANZ eG,
Wiesbaden
Wahl
Anton
ZENTRAG Zentralgenossenschaft des
deutschen Fleischergewerbes eG,
Frankfurt am Main
7
Biehal, Dr.
Manfred
Deutscher Genossenschafts-Verlag eG,
Wiesbaden
Haensel
Frank
ARDEK Arbeitsgemeinschaft der
Kinderausstatter eG, Hofheim
8
Born
Hans-Peter
Groß-Gerauer Volksbank eG
Köhler
Jürgen
Volksbank Mainspitze eG, GinsheimGustavsburg
9
Brinkmann
Jürgen
Volksbank eG Braunschweig Wolfsburg, Wolfsburg
Isensee
Hermann
Volksbank Wolfenbüttel-Salzgitter eG,
Wolfenbüttel
10
Diegruber
Rudolf
Erzeugergemeinschaft für Qualitätstiere Syke-Bassum eG
Schlichting
Detlef
Vermarktungsgemeinschaft für Zuchtund Nutzvieh ZNVG eG, Neumünster
11
Eckert
Rainer
Volksbank Odenwald eG
Weber
Richard Josef
Volksbank Weschnitztal eG
12
Ehlers
Carl-Christian
Kieler Volksbank eG
Bräuer
Hartmut
Volksbank Raiffeisenbank eG, Itzehoe
13
Epp
Oskar Dieter
Volksbank Saaletal eG
N.N.
14
Feld
Engelbert
Gemeinnützige Bau- und Siedlungsgesellschaft mbH, Saarlouis
Schneider
Reinhard
Genossenschaft für Bauen & Wohnen eG,
Bad Vilbel
15
Florian
Jörg
Dachdecker-Einkauf Nordwest eG,
Weyhe
Schmidt
Dietmar
Wirtschaftsgenossenschaft Berliner Taxibesitzer eingetragene Genossenschaft
netzwerk 12/09
87
ORGANE & GREMIEN
Ordentliches Mitglied
Persönlicher Stellvertreter
Name
Vorname
Genossenschaft
Name
16
Flügel
Hildegard
PENTAGAST Marketing- und Dienstleistungsgesellschaft der Gastronomieund Großküchen-Ausstatter eG
N.N.
17
Fromme
Ludolf
Volksbank Eichsfeld-Northeim eG,
Duderstadt
18
Funk
Karl-Walter
19
Gerlach
20
Vorname
Genossenschaft
Schlüter
Helmut
Volksbank Einbeck eingetragene
Genossenschaft
Landwirtschaftlicher Erzeugerring e.G.
Brenz
Rechlin
Arno
Agrar-Genossenschaft Luisenhof e.G.,
Hohenzieritz
Wilhelm
Volksbank Alzey eG
Abel
Uwe
Mainzer Volksbank eG
Gorczynski
Adolf
Maler-Einkauf Süd-West eG, Wiesbaden
Ziegler
Klaus
Dachdecker-Einkauf Rhein-Main eG
21
Grallath
Jürgen C.
Deutsches Weintor eG, Ilbesheim
Guthier
Otto
Bergsträßer Winzer eG
22
Gutzmer
Brigitte
Agrargenossenschaft Neuzelle eG
Schulze
Fred
Agrargenossenschaft Hoher Fläming eG
Rädigke
23
Hanker
Dr. Peter
Volksbank Mittelhessen eG
Failing
Erwin
Volksbank Heuchelheim eG
24
Hatje, Dr.
Holger
Berliner Volksbank eG
Gerdsmeier
Stefan
Berliner Volksbank eG
25
Hellwege
Georg
Raiffeisenbank Ostprignitz-Ruppin eG,
Neuruppin
Wallis
Frank Robby
Brandenburger Bank VolksbankRaiffeisenbank e.G., Brandenburg
an der Havel
26
Hepp
Kurt
Raiffeisenbank Schifferstadt eG
Müller
Rudolf
Volksbank Kur- und Rheinpfalz eG,
Speyer
27
Hildner
Rolf
Wiesbadener Volksbank eG
Brogsitter
Bruno M.
Wiesbadener Volksbank eG
28
Hilgers
Hans-Josef
Raiffeisen Waren-Zentrale RheinMain eG, Köln
Sümmermann, Dr. Karl-Heinrich
29
Hof
Andreas
VR Bank Main-Kinzig eG
N.N.
30
Holland
Frank
Agrargenossenschaft “Osterland” eG
Köckritz
Martin
Wolfgang
Agrargenossenschaft
Großengottern eG
31
Hügel
Arno
VR-Bank Südwestpfalz eG, Zweibrücken
Gerber
Klaus
Volksbank Lauterecken eG
32
Kaiser
Bernhard
Volksbank RheinAhrEifel eG,
Bad Neuenahr-Ahrweiler
Arndt
Günther
Volksbank Daaden eG
33
Kiel
Jörg Andreas
Landwirtschaftlicher Ein- und Verkauf
Ostholstein eG, Oldenburg in Holstein
Kruse
Carsten
Landwirtschaftlicher Ein- und Verkauf
Ostholstein e.G., Oldenburg in Holstein
34
Kirsch
Wolfgang
DZ BANK AG, Frankfurt am Main
Köhler
Wolfgang
DZ BANK AG, Frankfurt am Main
35
Kommer
Alfred
Raiffeisenbank eG, Malchin
Gutzmann
Uwe
Volks- und Raiffeisenbank eG, Wismar
36
König
Volker
MEGA Malereinkaufsgenossenschaft eG, Schmidt
Hamburg
Wolfgang
H G K Hotel- und Gastronomie-Kauf eG,
Hannover
37
Kremer
Josef
Raiffeisenbank Biebergrund-Petersberg eG
Balk
Thomas
VR-Bank Bad Hersfeld-Rotenburg eG
38
Krieg
Wilfried
Agrargenossenschaft eG,
Welsickendorf
Heyde
Dieter
Agrargenossenschaft Werenzhain eG,
Doberlug-Kirchhain
39
Langer
Georg
Volksbank eG, Osterholz-Scharmbeck
Bruns
Werner
Zevener Volksbank eG, Zeven
40
Lattwesen
Otto
NORDMILCH AG, Bremen
Garbade
Reinhard
NORDMILCH AG, Bremen
41
Lenschow
Wilfried
Agrargenossenschaft Bartelshagen I
e.G., Marlow
Vetter
Wolf-Dietmar
Wariner Pflanzenbau eG, Trams
42
Löhl
Heiner
Bank 1 Saar eG, Saarbrücken
Velhagen
Gerd
Bank 1 Saar eG, Saarbrücken
43
Mäder
Heiko
Dachdecker-Einkauf Soltau eG
Krauß
Dieter
FRUCHTHOF BERLIN Verwaltungsgenossenschaft eG
44
Meyerholz
Joost
Heidesand Raiffeisen-Warengenossenschaft e.G., Scheeßel
Schoth
Joachim
Raiffeisen Centralheide eG, Soltau
45
Müller
Thomas
Dresdner Volksbank Raiffeisenbank eG
Schuster
Wolfgang
Volksbank Delitzsch eG
46
Niebuhr
Egon
VR Bank Pinneberg eG
Brüggestrat, Dr.
Reiner
Hamburger Volksbank eG
47
Pfeil
Armin
Raiffeisen Waren GmbH & Co. Betriebs
KG, Alsfeld-Kirchhain
Lorey
Bernd
Raiffeisen Bezugs- und Handelsgenossenschaft Lichte eG
88
Raiffeisen Waren-Zentrale
Rhein-Main eG, Köln
netzwerk 12/09
ORGANE & GREMIEN
Ordentliches Mitglied
Persönlicher Stellvertreter
Name
Vorname
Genossenschaft
Name
Vorname
Genossenschaft
48
Pistorius
Henning
Saatzucht Flettmar-Wittingen eG Raiffeisen-Warengenossenschaft, Müden
Hellberg
Hans-Dieter
Vereinigte Saatzuchten Ebstorf –
Rosche eG, Ebstorf
49
Remus
Manfred
Hansa-Milch AG, Upahl
Beecken
Eckhart
Meierei Barmstedt eG
50
Reuter
Hans-Werner
Dithmarscher Volks- und Raiffeisenbank eG, Heide
Greten
Friedrich
Volksbank-Raiffeisenbank im Kreis
Rendsburg eG, Rendsburg
51
Saage
Horst
Agrargenossenschaft Cobbelsdorf eG
Hupe
Gerhard
Agrargenossenschaft eG
Klein Schwechten
52
Schäfer
Frank
Volksbank Hunsrück-Nahe eG
Weyand
Horst
Volksbank Rhein-Nahe-Hunsrück eG
53
Schlich
Thomas
Pfalzmarkt für Obst und Gemüse eG,
Mutterstadt
Ley
Martin
Vereinigte Großmärkte für Obst und
Gemüse Rheinhessen eG, Ingelheim
54
Schoppe
Arno
Raiffeisen-Warengenossenschaft
Grafschaft Hoya eG
Lohse
Axel
Stader Saatzucht eG
55
Siegers
Michael
Volksbank Hildesheim eG
Deneke-Jöhrens
Henning
Volksbank eG, Pattensen
56
Sievers
Rainer
Milch-Union Hocheifel eG, Pronsfeld
Günther, Dr.
Bernd
Molkereigenossenschaft
Bad Bibra eG
57
Stieglitz
Reinhard
Raiffeisen-Warenzentrale KurhessenThüringen GmbH, Kassel
Beate
Detlef
Raiffeisen-Warenzentrale KurhessenThüringen GmbH, Kassel
58
Taaken
Diedrich
Volksbank Esens eG
Franz
Holger
Ostfriesische Volksbank eG, Leer
59
Tonnellier
Hans-Joachim
Frankfurter Volksbank eG
Mengler
Michael
Vereinigte Volksbank Maingau eG,
Obertshausen
60
von Veltheim
Nikolaus
AGRAVIS Raiffeisen AG, Hannover
Große Frie, Dr.
Clemens
AGRAVIS Raiffeisen AG, Hannover
61
Witt
Claus-Peter
Uelzena eG, Uelzen
Winter
Stefan
Molkereigenossenschaft Osterburg eG
62
Zintl
Leonhard
Volksbank Mittweida eG
Otto
Karl
Volksbank Bautzen eG
Verwaltungsrat
Name
Fachvereinigung
Genossenschaft
Arnold, Siegmar
Agrargenossenschaften
AGROLAND Agrar eG, Ichtershausen
Baden, Friedrich-Wilhelm
Kreditgenossenschaften
Volksbank Börde-Bernburg eG
Bauer, Claus-Rüdiger
Kreditgenossenschaften
Raiffeisenbank eG, Baunatal
Bernhardt, Dieter
Gewerbliche Waren- und Dienstleistungsgen., Immobilienwirtschaft
TIFA Tiefkühlkost-Allianz eG, Wiesbaden
Hildner, Rolf (Vors.)
Kreditgenossenschaften
Wiesbadener Volksbank eG,
Kaiser, Bernhard
Kreditgenossenschaften
Volksbank RheinAhrEifel eG, Bad Neuenahr-Ahrweiler
König, Volker
Gewerbliche Waren- und Dienstleistungsgen., Immobilienwirtschaft
MEGA Malereinkaufsgenossenschaft eG, Hamburg
Niebuhr, Egon
Kreditgenossenschaften
VR Bank Pinneberg eG
Pistorius, Henning
Landw. Waren- und Dienstleistungsgen.
Saatzucht Flettmar-Wittingen eG
Saage, Horst
Agrargenossenschaften
Agrargenossenschaft Cobbelsdorf eG
Siegers, Michael (stv. Vors.)
Kreditgenossenschaften
Volksbank Hildesheim eG
Sievers, Rainer
Landw. Waren- und Dienstleistungsgen.
Milch-Union-Hocheifel eG, Pronsfeld
Witt, Claus-Peter
Landw. Waren- und Dienstleistungsgen.
Uelzena eG, Uelzen
Zintl, Leonhard
Kreditgenossenschaften
Volksbank Mittweida eG
netzwerk 12/09
89
I M P R E SS U M
IMPRESSUM
Magazin für Kooperation & Management
Genossenschaftsverband e.V.
Jahrgang 1
ISSN 1867-9935
12/2009, Sonderheft
Schriftenreihe des
Genossenschaftsverbandes e.V. Heft 1
(Diese Schriftenreihe findet ihre Fortsetzung
aus der bisherigen Schriftenreihe des
Genossenschaftsverbandes Norddeutschland e.V., Hannover, von 1962–2008 mit
insgesamt 66 Heften)
Für die Bereitstellung von Abbildungen
danken wir: Archiv Genossenschaftsverband
e.V./Frankfurt am Main, Stiftung Genossenschaftliches Archiv/Hanstedt, Stiftung GIZ –
Genossenschaftshistorisches Informationszentrum/Berlin, VR Bank Ostholstein Nord – Plön
eG/Neustadt in Ostholstein, Gerhard Ewerbeck/
Lemgo, Kurt Littig/Kaiserslautern, Horst
Schübeler/Boel Schuby
Beilagen:
Raiffeisen Magazin 6/2009
VR LEASING
90
Verlag und Herausgeber:
Genossenschaftsverband e.V.
Wilhelm-Haas-Platz
63263 Neu-Isenburg
Tel.: 069 6978-0
Fax: 069 6978-111
www.genossenschaftsverband.de
Verantwortlich:
Verbandspräsident Walter Weinkauf
Redaktion:
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Joachim Prahst (V.i.S.d.P.)
Hannoversche Straße 149
30627 Hannover
Tel.: 0511 9574-540
Fax: 0511 9574-515
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Geschichtswerk eG
Conventstraße 14
22089 Hamburg
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Markt-Service-Center Süd
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Markt-Service-Center Mitte
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