Rieselfeld: Neues aus der Sickergrube „Ich freue mich immer wieder

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Rieselfeld: Neues aus der Sickergrube „Ich freue mich immer wieder
Rieselfeld: Neues aus der Sickergrube
„Ich freue mich immer wieder, in das schön menschliche Rieselfeld gezogen zu sein.“
(Ehrenamtliche des Thekendienstes im Glashauscafe/Stadtteilcafe im Stadtteilmagazin Rieselfeld)
Bis in die Siebzigerjahre beherbergte das Rieselfeld genau das, was der Name hergibt: eben alles,
was die Freiburger nicht mehr haben oder wovon sie nichts Genaueres mehr wissen wollten; das
waren neben Abwässern, einer Abdeckerei, dem als „asozial verrufenen Barackenquartier der
Opfinger Siedlung“ (Wikipedia) auch die notdürftigen Unterkünfte von überlebenden Sinti Familien
aus Auschwitz und Buchenwald. Nachdem die Kläranlage den Abwässern nicht mehr Herr werden
konnte, ohne der beliebten Freiburger Natur größeren Schaden zuzufügen, beschloss die Stadt, dem
Moloch endlich ein Ende zu machen. Für die Sinti entstanden Wohnsiedlungen in Weingarten und
Haslach (Die Glücklichen!), und von der Kläranlage schweigen die Quellen. In den 80er Jahren, der
Zeit der Wohnungsnot und des Häuserkampfes, erkannte die Stadt das zivilisatorische Potential der
Rieselfelder, und der inzwischen hochdotierte, familienfreundliche Stadtteil erstand auf dem „Ort
des gesellschaftlichen Ausschlusses“ (ebenda) wie ein Phönix aus der Scheiße.
Um alten Baumbestand und präzise angelegte Infrastruktur schmiegen sich heute Häuserreihen,
denen nicht einmal bekennende Altbauliebhaber etwas vorwerfen könnten: Bunt, hell und nicht so
hoch, dass man nicht trotzdem den Himmel sehen könnte, gewähren die Bewohner gegen ihr gutes
Recht auf Licht und Aussicht ins Grün gerne Einblick in ihre Wohn- und Esszimmerlandschaft. In
den Garagen stehen vor allem Familienwagen, die Gärten sind nicht so ungepflegt, dass man so
recht eigentlich von Ungepflegtheit überhaupt reden könnte - und dürfte, denn schon das Wort in
den Mund zu nehmen, erscheint wie ein Verrat an den bestimmt unheimlich freundlichen
Menschen, die jeder hier antrifft, wenn er etwa das Glashaus besucht, den Stadteiltreff im Zentrum,
an deren vielfältigen Angeboten teilzunehmen alle herzlich, sehr herzlich eingeladen sind: „Sie
spüren hoffentlich, wir sind gerne für SIE alle da!“ droht eine Ehrenamtliche in der eigenen
Stadtteilzeitung. Fast alle Einrichtungen im Rieselfeld haben eine Stadtteil- Silbe davor, das spricht
für das erschreckend gut funktionierende Stadtteil-, beziehungsweise Gemeindeleben.
Um auf die Gärten zurück zu kommen: Nein, nicht ungepflegt, sondern eher auf sympathisch
menschliche Weise verwahrlost sind manche Vorgärten, denn die Rieselfelder haben wichtigeres für
das Allgemeinwohl beizutragen als oberflächliche Harmonie, zum Beispiel
(Stadtteil-)Kinder
bekommen und hüten. Keiner entkommt als potentielle Bezugsgruppe den bienenfleißigen
Kümmerern, die im übrigen alle Hände voll damit zu tun haben, überhaupt hilfebedürftiges Klientel
heranzuschaffen; schließlich ist das Rieselfeld einfach Spitzenreiter in jeder denkbaren sozialen
Disziplin: in einer gemeinwohlig-zärtlich kommentierten Onlinestatistik der Stadt Freiburg zeigt
sich, dass es hier keinen schönen Schein zu durchbrechen gibt. „Der Anteil an Kindern und
Jugendlichen und insbesondere der Anteil an Kindergarten und Grundschulkindern ist im Vergleich
zur Gesamtstadt deutlich höher“ triumphiert der Statistiker. Und diese lieben Kinderlein begehen
auch fast keine Straftaten, jedenfalls fällt die Quote auch hier „deutlich niedriger als in der
Gesamtstadt“ aus. Ausländeranteil, Arbeitslosigkeit: alles „deutlich niedriger“. Beste Chancen also
für den Nachwuchs, selbst einmal Teil des großen gemütlichen Ganzen zu werden, zum Beispiel
durch eine Ausbildung auf dem hauseigenen Kepler-Gymnasium. Wer das nicht schafft, muss zur
nächsten Haupt- oder Realschule raus nach Weingarten, rein in den sozialen Abstiegskampf.
Denn in Weingarten steht die Reservearmee schon bei Fuß, kaserniert in riesigen Betonpfeilern,
vielleicht einzig zur Abschreckung der braven RieselfelderInnen, die tunlichst gemäß „des
Konzepts, das für den Stadtteil entworfen wurde, (...) in Rieselfeld, bzw. in der näheren Umgebung
ihre Arbeitsstelle finden. Es wird davon ausgegangen, dass nach Vollausbau im Jahr 2013 rund
1.000 Arbeitsplätze in den Kindergärten, den Schulen, in Restaurants, Arztpraxen, etc. zur
Verfügung stehen.“ (Wikipedia) Bei diesen Berufsaussichten ist aber eigentlich auch keine Angst
der Bewohner vor einem Marschbefehl der Weingartener gen Rieselfeld erwarten. Nein, Rieselfeld
ist eine saftige Weide für die gehobene Mittelschicht, so voller praller Lebensqualität, dass die
Bewohner der ehemaligen Sickergrube es nicht nur bearbeiten und bekochen, sondern am liebsten
gleich ganz aufessen wollen: „Das Essbare Rieselfeld“ bewirbt ein Artikel des Stadtteilmagazins
„unseren Gemeinschaftsgarten“.
Und dunkle Ecken? Wenigstens ein klitzekleinesbisschen Sündenpfuhl ist schon in Freiburg
schwierig auszumachen; googelt man jedoch selbst Harmloses, wie etwa „Freiburg Rieselfeld
Sexshop“ erhält man doch nur Angebote der Rieselfelder Hundesportgruppe und der Friseurinnung.
Vielleicht ist aber doch die in porenlosen Sichtbeton gegossene, natürlich ökumenische Kirche (hier
wird keiner vom allgegenwärtigen WIR ausgeschlossen) im Stadtteilzentrum als einzige
pädagogische Andacht der Grausamkeit moderner Gesellschaft gewidmet: kein Besucher darf sich
hier der betretenen Erkenntnis entziehen, dass er selbst als trauriger Einzelner nur Fliegenmatsch
auf der Windschutzscheibe von etwas sehr viel Höherem, nämlich Mächtigerem, Effizienterem und
Zeitloserem ist.
Pegida und ihre Gegner
Monatelang beherrschten Dresdner Wutbürger, die sich verquast „Patriotische Europäer gegen die
Islamisierung des Abendlandes“ nennen die Schlagzeilen deutscher Medien, um dann genau so
plötzlich, wie sie die Bildfläche betraten im medialen Niemandsland zu verschwinden. Während
sich bei Günther Jauch die anwesenden Politikprofis gegenseitig darin überboten, ihrer Sprecherin
Örthel Honig ums Maul zu schmieren, rechneten die Zeitungen allenthalben den Dresdner
Demonstranten vor, dass doch weniger als ein Prozent Moslems in Sachsen lebe. Dabei gilt das
gleichermaßen für die Anti-Pegida-Demonstranten im Westen. Gemessen an der Einwohnerzahl
dürften wenigstens wenigstens hier die Pegida-Demonstranten im Promillebereich zu finden sein. In
Freiburg, wo es keine einzige Pegida-Demonstration gab, wurde die Gegendemonstration mit
20.000 Teilnehmern zur größten der Stadt seit Ende des II. Weltkrieges. Dabei reklamieren beide
Seiten für sich, das Volk und die gesellschaftliche Mitte zu repräsentieren – und haben vermutlich
beide Recht.
Man sollte wohl das, was Pegida die „Islamisierung des Abendlandes“ nennt, nicht allzu wörtlich
verstehen. Schließlich fällt auf, blickt man einmal auf die mitgebrachten Transparente, die
verschiedenen So-und-so-viel Punkte-Programme und öffentlichen Statements von Organisatoren
wie Teilnehmern der Pegida, dass der Islam, die Islamisierung und der Islamismus nur in
Ausnahmefällen überhaupt genannt werden und dann meist als Versuch, im rationalen Gewand über
Zuwanderung zu lamentieren. Mit Islamkritik hat das aber schon allein deswegen nichts zu tun, weil
der Gegenstand der Kritik um nichts besser wird, wenn seine Anhänger im Ausland sind. Mit
Islamkritik gegen Zuwanderung zu argumentieren ist so dämlich und nationalisitisch, wie die
Antifa-Parole „Nazis raus“. Im Bemühen der Pegida-Anhänger, die zweifelsohne vorhandenen
ausländerfeindlichen Ressentiments möglichst rational zu formulieren, bleibt vor allem die
Forderung übrig, die bestehenden Asylgesetze möglichst konsequent anzuwenden. Gesetze, die seit
Einführung der Drittstaatenregelung den rechtlichen Anspruch auf Asyl beinahe unmöglich machen
und nebenbei bemerkt nicht von Pegida, sondern u.a. den Politikern gemacht wurden, die angesichts
des Dresdner Spuks in jede Kamera Toleranz und Menschlichkeit einforderten. Die von den
Organisatoren gelegentlich erzählte Geschichte, zur Gründung von Pegida sei es aufgrund der
Auseinandersetzungen zwischen Salafisten und Kurden, sowie wegen der (von ihnen wohl als
skandalös empfundenen) Forderung nach deutschen Waffenlieferungen für die Kurden gegen den IS
gekommen, könnte noch als Angst davor gedeutet werden, dass die Konflikte im Nahen Osten in
Deutschland ausgetragen werden. Falsch ist daran aber weniger die Angst selbst, als vielmehr die
Vorstellung, man könnte in einer zum globalen Dorf gewordenen Welt so tun, als beträfe
Deutschland der zum syrischen „Bürgerkrieg“ verharmloste regionale Krieg (in den beispielsweise
mit der Türkei von Anfang an ein europäisches Nato-Mitglied involviert war) nicht. Auch die
deutschen Asylbehörden, die lange Zeit annahmen, die größte Flüchtlingskatastrophe seit 1945 hätte
keine Auswirkungen auf Deutschland, teilten diese naiv-provinzialistische Vorstellung mit Pegida.
Neben der Ablehnung von „Wirtschaftsflüchtlingen“ „kriminellen Asylanten“ fällt an den PegidaStatements allerdings die Bandbreite an Forderungen und Parolen auf, deren Zusammenhang mit
einer vermeintlichen „Islamisierung“ nicht im Geringsten einleuchtet:
„Lügenpresse“, „GEZ abschaffen“, „Frieden mit Russland“, Angst um die Rente und immer wieder
„die Politiker“ würden sich nicht „um uns“ kümmern. „Wir sind das Volk“ meint wohl vor allem die
Sehnsucht nach einem Staat, der einem die Last, den Alltag auf sich selbst gestellt bewältigen zu
müssen und den lästigen Zwang, immer aufs Neue in der Konkurrenz bestehen zu müssen, durch
Bevormundung abnimmt. Dass ausgerechnet Asylbewerber zu einer Projektionsfläche dafür
werden, ihnen werde angeblich alles nachgetragen, mag auch daran liegen, dass diese ja tatsächlich
in vielen Bereichen staatlich bevormundet werden, was allerdings einen wesentlichen Aspekt ihres
kaum erträglichen Alltags darstellt. Es scheint als neiden sie den Asylbewerbern, dass diese
außerhalb der Konkurrenz auf staatliche Lebendhaltung angewiesen sind. Die Sehnsucht der
Pegida-Demonstranten
dürfte
im Ergebnis
einer „Islamisierung“, also der
sekundären
Wiederherstellung persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse und klar strukturierten Verhaltensregeln
für den Alltag, gar nicht so fern stehen.
Wenigstens statistisch betrachtet handelt es sich, folgt man einer im Spiegel vorgestellten Studie,
bei Pegida und No-Pegida um einen Generationenkonflikt: Dominiert bei den Dresdner Wutbürgern
die Gruppe der 36-45-Jährigen, in überwiegender Mehrheit männlich und erwerbstätig, so bei ihren
Gegnern die der 16-36 Jährigen, mit hohem Anteil von Frauen, Kinderlosen und noch nicht
Erwerbstätigen. Dass sich beide Gruppen hinsichtlich der Bildung nicht unterscheiden würden, wie
der Spiegel aufgrund des etwa gleichen Prozentsatzes von Hochschulabsolventen auf beiden Seiten
meint, dürfte sich allerdings auf Seiten der Pegida-Gegner durch die hohe Anzahl der noch in
Ausbildung befindlichen Teilnehmer relativeren. Man darf vermuten, dass es sich bei den PegidaGegnern vornehmlich um junge Westdeutsche aus akademischen Familien handelt. Während für das
Milieu der Pegida-Demonstranten Asylbewerber in doppelter Hinsicht eine Konkurrenz darstellen –
lässt man sie arbeiten, sind sie Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt, lässt man sie nicht arbeiten,
sind sie in absehbarer Zeit Konkurrenten staatlicher Zuwendungen zu den klammen Rentenkassen –
gilt das nicht gleichermaßen für die Pegida-Gegner. Herrscht auf den Pegida-Demos oft plumpe
Aggressivität und Angst, so dominiert auf den Plakaten ihrer Gegner neben hohlen Bekenntnissen
für Vielfalt und „Bunt“ vor allem der Witz über die Dummheit und Ängste der Pegida. Während die
Diskussion über Pegida in Zeitungen und Politik vor allem darum kreist, ob man die Ängste der
Pegida nun ernst nehmen müsse oder nicht, scheinen sich die Pegida-Gegner vor allem dazu
bekennen zu wollen, keine Angst zu haben. Und zwar vermutlich genau in dem Sinne, in dem bei
Freud ein Patient von einer Person seines Traumes berichtet und auf die Frage, um wen es sich
dabei handelt, antwortet: „Die Mutter ist es nicht“(Die Verneinung). Die Anziehungskraft der AntiPegida-Demonstrationen dürfte gerade darin bestehen, gegen die Angst zu demonstrieren, einmal
ökonomisch und gesellschaftlich eben jenem Milieu der Pegida anzugehören. Bildet sich die
Gemeinschaft der Pegida im Ressentiment gegen Asylbewerber und die Politiker, so die ihrer
Gegner gegen die Unterschichten und die Banken. So berichtet der Spiegel auch „dass die NoPegida
Befürworter größtes Misstrauen gegen Großkonzerne und Banken bekunden und der freien
Marktwirtschaft (zu 97 Prozent) keine größere Relevanz mehr zumessen mögen“.1
Pegida ist so gut wie von der Bildfläche verschwunden und mit ihr ihre Gegner. Kaum werden sich
Zehntausende über mehrere Monate hinweg mobilisieren lassen. Aber es ist nicht unwahrscheinlich,
dass sich ähnliche Konstellationen zu anderen politischen Themen in der Zukunft wiederholen
werden. Wirklich gefährlich aber könnte es werden, wenn die gegenwärtigen Pegida Anhänger und
Gegner erkennen, dass ihre Ressentiments so weit voneinander nicht entfernt sind.
Stadion-Debatte
Bezeichnend für die Stadion-Debatte in Freiburg ist die Tatsache, dass in ihrem Verlauf niemand
deren Gegenstand in Frage stellte: Für gehörige finanzielle Mittel einen Ort zu schaffen, in dem 22
Menschen sich 90 Minuten daran abarbeiten, einen mit Pressluft gefüllten Lederbeutel in ein vorher
abgezirkeltes Rechteck zu schießen, um dabei von zur kollektiver Erregung zusammengefundenen
Freund-Feind-Lagern angefeuert zu werden, erscheint schon absurd noch vor den sinnfreien
Spieler- und Trainer-Interviews , die die mediale Verwertung eines solchen Ereignisses abrunden.
Und dass ein Stadion ein durchkommerzialisierter Ort zur Organisation einer Freizeit-Masse ist,
zeigt sich schon an der äußeren Ununterscheidbarkeit heutiger Fußballstadien, Konzertarenen und
Messehallen. Und so wird vermutlich das neue Stadion bestätigen, dass den Verantwortlichen
Mitscherlichs Klage über die „Unwirtlichkeit der Städte“ in ihrem Soziologie-Studium wohl
entgangen ist oder sie den Inhalt nicht richtig verstanden haben. Ob sich das Stadion in die endlose
Kette des ästhetischen Totalversagens von Bauherren, Bauordnungsamt und Architekten einreiht, d.
h. die jüngere Freiburger Baugeschichte, wird sich zeigen. Nichts spricht dagegen.
Mehr Ticket-Verkäufe und VIP-Lounges als im alten Stadion, um etwas anderes geht es auch laut
SC nicht. Weil das zu schnöde kaufmännisch klingt, bedarf es vorgetäuschten Mitleids: Ein
Rollstuhl-Fahrer bittet auf den Plakaten der Pro-Initiative, doch bitte nicht „im Regen“ stehen
gelassen zu werden. Auch die Segelflieger, deren Startbahn dem Neubau zum Opfer fallen wird,
mutieren zu Opfern: „Erst wir, dann ihr“ drohen sie mit der Ankündigung, das Ende ihres Sportes in
Freiburg werde auch alle anderen in den Abgrund reißen. Die Stellungnahmen der
Gemeinderatsfraktionen dagegen bringen erwartbare Beispiele internalisierter Verwertungspanik:
Ein Stadion, so OB Salomon, sei einer der „wichtigsten positiven Werbe- und Imageträger“, der SC
weniger ein Sportclub als ein „wichtiger Wirtschaftsfaktor“ mit insgesamt rund 300 Arbeitsplätzen,
von dessen Tätigkeit die Stadt profitiere. Wem Zweifel an dem Nutzen einer solchen Investition aus
öffentlicher Hand kommt, dem wird ein „solides und nachhaltiges Finanzierungskonzept“
1
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/franz-walter-ueber-die-anhaenger-der-gegenbewegung-nopegida-a1014993.html
versichert. Der grüne Appell an die glokale Volksgemeinschaft darf nicht fehlen, an
„gemeinsame[n] Enthusiasmus, Vorbilder für junge Menschen, ein Wir-Gefühl für Stadt und
Region“. Das allerdings wollte sich partout nicht einstellen; denn der grüne Traum zur Herstellung
einer Konsens-Fiktion in der Verschmelzung von Souverän und Volk, d.h. der Volksentscheid,
brachte nicht den ersehnten sozialen Frieden. „Das Volk weiß es nicht besser“, titelte demnach die
FAZ und zitierte OB Salomon: „Die Grünen, so Salomon, sollten ihren „Gründungsmythos“
überdenken, der besage, dass das Volk immer alles besser wisse. Der Protest von Bürgerinitiativen
sei heute „alt, oft verbittert und manchmal richtig böse“. Die Kampagnen seien häufig geprägt von
„extremer Regellosigkeit“. Außer der eigenen Betroffenheit wollten Initiativen heute keine Regeln
mehr kennen.“ So zerfällt die letzte Staatsfiktion im letzten Moment ihrer Herstellung. Die Grünen
trösten sich mit der „Werbung auf internationalem Parkett für eine kleine, lebenswerte Großstadt im
Süden“ als Antidot gegen die Sinnkrise einer City, in der Green nur der Schwarzwald ist.
Vom Elend des Antifaschismus
Nicht an irgendeinem, sondern – wie es die Ironie der Geschichte möchte – ausgerechnet am
Jahrestag der Novemberpogrome zeichnete der Antizionist Horst Haitzinger für die Badische
Zeitung (BZ) eine Karikatur auf der eine Schnecke mit dem Kopf einer Friedenstaube abgebildet ist
und sich auf dem Weg nach Genf, zu den anhaltenden Atomverhandlungen mit dem Iran, schleicht.
Neben der Schneckentaube steht ein prosaisch blickender Benjamin Netanjahu, der beim Betrachten
der Schnecke seinem mutmaßlichen Mordkomplizen telefonisch mitteilt: „Ich brauche Taubengift
und Schneckenkorn“. Auf die antisemitische Lüge von Juden als Brunnenvergiftern rekurriert der
Österreicher Haitzinger, dessen ganzer Erfolg darauf fußt, dass er an den eintönigen Verstand der
Deutschen appelliert. Wer am Morgen des Jahrestages der Novemberpogrome nicht den Lieblingen
der Deutschen, den toten Juden, gedenkt und am Nachmittag der liebsten und frühesten politischen
Übung, der sogenannten Israelkritik, verfällt, verrät seine politische Verpflichtungen nicht nur
gegenüber Europa, sondern gerade auch gegenüber Israel. So gesehen ist Horst Haitzinger ein
äußerst gewöhnlicher Antisemit, der bestens darüber in Kenntnis gesetzt ist, wie es um das
gesellschaftliche Produktionsverhältnis der europäischen Gedenk- und Außenpolitik bestellt ist.
Man hätte noch viel mehr Worte über diese Karikatur und die darauf folgenden Reaktionen
verlieren können, doch bei der endgültigen Entblödung des Freiburger antideutschen
Antifaschismus, der in Form eines Flugblatts daherkam, geriet man mehr als nur ins Staunen. Eine
steile These vertrat die Antifaschistische Initiative Freiburg (AIF), die sich auf den Punkt gebracht,
wie folgt liest: „In einer Welt ohne Antisemitismus wäre Haitzingers Zeichnung nicht
judenfeindlich.“ Dort sind nicht nur Versatzstücke eines Kombinationsstudienganges der Soziologie
und Politikwissenschaft, sondern auch der künftige sozialpädagogische Impetus zu studieren, woran
der hiesige Antifaschismus immer zu kränkeln scheint. So darf man Haitzinger, nach Logik der AIF,
nicht als Antisemiten bezeichnen, auch wenn zugestanden wird, dass die Zeichnung antisemitisch
sei (was sie ohne Frage ist), sondern ein gesellschaftliches Unbewusstes (was auch immer das sein
mag), „das Bildsprache, literarische Klischees und Topoi“ produziere und auch den Antisemitismus
in den Köpfen manifestiert, dass das Motiv für die Zeichnung gewesen sein soll. „Aus diesem
Grund“, so die angehenden Sozialpädagogen, „sagen Menschen häufig Dinge, die sie sich selbst gar
nicht
explizit
klar
gemacht
haben.
Ganze
Wissenschaftszweige
–
zum
Beispiel
Literaturwissenschaft und Psychologie – beruhen auf dieser Erkenntnis.“ Haitzinger sei also einem
Unbewussten aufgesessen und da man es sich verbietet jemanden als Antisemiten zu titulieren, da
dies nach der AIF erst Grund für den virulenten, gesellschaftlichen Antisemitismus ist, soll es laut
dieser sportlichen Truppe darum gehen „was jemand gesagt oder getan hat, nicht was jemand ist.“
Die Initiative leugnet den Antisemitismus zwar nicht, aber um diskursfähig zu bleiben und
vermutlich niemanden zu stigmatisieren (denn immerhin wohnt das Topoi in uns und die Reflexion
ist bereits jetzt auf den Müllhaufen der Geschichte verbannt), tritt man – ganz postmodern – für den
„Antisemitismus ohne Antisemiten“ (Henryk M. Broder) ein. Für die Verbreitung des
Antisemitismus, einer – wie es begriffsscharf heißt: „prägenden Entwicklung der kapitalistischen
Moderne“, sei die „Tabuisierung“ des Antisemitismus maßgeblich. Denn: „Anstatt ihn [den
Antisemitismus] sozialwissenschaftlich zu betrachten wird er als schlechthin (sic!) böses,
unerklärliches Phänomen mystifiziert, an dem es nichts zu verstehen, sondern nur zu verurteilen
gibt.“ Woher das Bedürfnis stammt, eine in sich unbegreifbare Sache wie den Antisemitismus
verstehen zu wollen, einer Irrationalität also noch ein rationales Moment und den Antisemiten ein
solches Motiv zu attestieren, ist selbst nicht begreifbar. Eine auf Mord und Totschlag abzielende
und auf Wahn begründete Denkform, verbindet eine innige Verwandtschaft mit der
weltgeschichtlichen, durch das Kapital kontstituierten, Unvernunft, die in der in sich selbst
unbegreifbaren geschichtlichen Tat namens Auschwitz sich Bahn brach, sich auf alle Zeit zu
verewigen scheint und derzeit durch die Islamisten aller Länder und ihrer europäischen Freunde
inzestuöse Hochzeit feiert. Da das gesellschaftliche Klima sich wandelte, man hierzulande „Israel“
sagt und „die Juden“ denkt, wenn man sich des Ressentiments entledigt, beteiligen sich die
europäischen Haitzingers an der Endlösung mit Karikaturen. Doch sie verhalten sich arbeitsteilig zu
ihren Brüdern und Schwestern, den islamistischen Mörderbanden, die Raketen auf den Staat der
Juden (wie vergangenen Sommer) feuern. Der Blutdurst der Antisemiten ist so unersättlich, dass
einzig sachlich zu den Antisemiten sich jener verhält, der nicht nur an Denunziation zu denken
gezwungen ist, sondern auch an das Bonmont Woody Allens erinnern möchte: „Ich bevorzuge
Baseballschläger“. Und weil die restlos auf Verstand setzenden künftigen Akademiker den
Antisemiten mit einem nachmittäglichen Gesprächsangebot mit Tee und Kuchen aufwarten, statt
mit Prügel, kann man sich nebst dem antisemitischen Karikaturisten auch noch schützend vor den
Pfeife rauchenden Blechtrommler mit Literaturnobelpreis stellen. „Auf jeden Fall kann der tägliche
Karikaturist in der morgendlichen Zeitung genauso wenig dieses Vorwurfs [Antisemit zu sein]
schuldig sein, wie der Nobelpreisträger, der die Blechtrommel geschrieben hat.“ Wer so viel
Verständnis zeigt, darf sich mit gutem Gewissen intellektuell schimpfen.