SAT 3.3d

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d)
Sonderfragen der Schadensberechnung
Lit.:
Armbrüster, JuS 2007, 411 ff, 508 ff, 605 ff; Mohr, Jura 2010, 327 ff.; 645 ff; 808 ff;
Pöschke, JA 2010, 257 sowie die Fallbearbeitungen von Koch, JuS 2007, 739 ff. und
Wolff/Geck, JuS 2009, 1102 ff.
aa)
Grundzüge der Schadensberechnung gem. §§ 249 ff.
Bedeutung des allgemeinen Schadensrechts (§§ 249 ff.)
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Das allgemeine Schadensrecht (§§ 249 ff.) regelt den Anspruchsinhalt bei Schadensersatzansprüchen jeder Art (vertraglich oder gesetzlich). Merke: § 249 ist keine Anspruchsgrundlage, er betrifft die Haftungsausfüllung, nicht die Haftungsbegründung.
Die §§ 249 kommen also bei Schadensersatzansprüchen aller Art zur Anwendung. Ihr
Hauptanwendungsfall ist § 823. Dort gibt es auch etliche Besonderheiten (z.B. Schadensberechnung bei Autounfällen), die üblicherweise im Rahmen des Deliktsrechts besprochen werden und auf die in der Vorlesung Schuldrecht AT nicht eingegangen wird.
Der Schadensersatz dient der Kompensation.
- Der Geschädigte soll seinen gesamten Schaden ersetzt bekommen (Totalreparation), soll aber nicht mehr bekommen (Bereicherungsverbot).
- Ausnahmsweise hat der Schadensersatz auch eine Genugtuungsfunktion: Schmerzensgeld (§ 253 II), Entschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen
- Dient der Schadensersatz auch der Prävention? Theoretisches Problem: für Prävention ist das Strafrecht mit seinen besonderen verfassungsrechtlichen Sicherungen zuständig, praktische Beobachtung: präventive Wirkung (+), denn wem Schadensersatz
droht, der passt auf. Lösung: Prävention als Nebenzweck, begrenzt durch Kompensationsgedanken → kein Strafschadensersatz nach US-Vorbild im deutschen Recht
(Ausnahme: Persönlichkeitsrechtsverletzungen)
HaftungsBegründung
Haftungsausfüllung
Lehrstuhl Zivilrecht VIII
§ 280 I
§ 311a II
§§ 823 ff.
andere
SchE’
ansprüche
§§ 249 ff.
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Systematik der §§ 249 ff.
• Ausgangspunkt Differenzhypothese (zu unterscheiden von der „Differenztheorie" – zu
ihr sogleich): Zu ersetzen ist die Differenz zwischen dem aktuellen Zustand und dem hypothetischen schadensfreien Zustand. Frage im Rahmen des § 280 I: Was wäre, wenn die
betreffende Pflichtverletzung nicht vorgefallen wäre?
• Grundsatz ist nicht Schadensersatz in Geld, sondern Naturalrestitution (§ 249 I): Der
Zustand ist in natura herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis bestünde.
- Beispiel: Aufhebung eines nachteiligen Vertrags im Rahmen der §§ 280 I, 311 II oder
Widerruf einer ehrkränkenden Tatsachenbehauptung
- Beim SchE statt der Leistung ausgeschlossen, da Wiederherstellung in Natur = Erfüllung, s. § 281 IV
- Bei Körper- und Sachschäden kann der Verletzte die Wiederherstellungskosten verlangen (§ 249 II).
- Der Geschädigte braucht die Sache aber nicht reparieren zu lassen, sondern kann die
beschädigte Sache unverändert behalten und den Schadensersatz einstreichen (Beispiel: Student S stört die von Raser R verursachte Beule an seinem Auto nicht. Er kassiert 200 € Schadensersatz und verprasst sie in der Rosenau). Umsatzsteuer kann aber
nur verlangt werden, wenn sie wirklich angefallen ist (§ 249 II 2). Auch die in Mängelbeseitigungskosten enthaltene Umsatzsteuer kann nur geltend gemacht werden,
wenn die Mängel wirklich beseitigt werden, weil der Geschädigte sonst bereichert wäre (BGH NJW 2010, 3086).
• Schadensersatz in Geld (§ 251 I) ist nach der gesetzlichen Konstellation eigentlich die
Ausnahme. Möglich wenn
- Herstellung nicht möglich (so beim SchE statt der Leistung: § 281 IV, anderes Beispiel: Totalschaden beim Verkehrsunfall)
- Herstellung nicht ausreichend (Beispiel: Verlust der Neuwertigkeit bei Beschädigung
eines Neuwagens)
- Unverhältnismäßigkeit (Beispiel: 2.000 € Reparaturkosten bei Gebrauchtwagen im
Wert von 1.000 €), dazu Sonderregelung für Heilungskosten bei Tieren (200 € Heilungskosten bei Promenadenmischung im Wert von 50 € wären ersatzfähig)
• Zum SchE in Geld gehört der entgangene Gewinn (§ 252, 1) (Beispiel: Übungsfall zum
SchE statt der Leistung, Arbeitsunfähigkeit eines Selbständigen). Da sich die Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns bereits aus § 249 I ergibt (Prinzip des Totalersatzes), hat
§ 252, 1 aber nur klarstellende Bedeutung. Anders dagegen § 252 2, der dem Kläger durch
eine widerlegbare Vermutung den Beweis erleichtern soll.
• Grundsatz: nur Vermögensschäden sind ersatzfähig (§ 253 I), Ausnahme: Schmerzensgeld (§ 253 II) bei Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der sexuellen Selbstbestimmung, daneben richterrechtlich anerkannte Entschädigung bei
schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen
• Der Schadensersatzanspruch wird anteilig gemindert bei
Mitverschulden des Geschädigten bei der Entstehung des Schadens (§ 254 I)
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Unterlassen einer möglichen Schadensminderung oder eines Hinweises auf Gefahr
einer besonderen Schadenshöhe (§ 254 II)
Kausalität und Zurechnung
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Die Pflichtverletzung muss den Schaden kausal und zurechenbar hervorgerufen haben.
Unterschied zu § 823 I: dort zwei Kausalbeziehungen: Schädigungshandlung - Rechtsverletzung (haftungsbegründende Kausalität) und Rechtsverletzung – Schaden (Haftungsausfüllende Kausalität)
Ausgangspunkt: Äquivalenztheorie = „naturwissenschaftliche“ Kausalität, alle Kausalitätsfaktoren sind gleichwertig
Alternative Kausalität: wenn feststeht, dass von mehreren Beteiligten einer den Schaden
verursacht hat, haften alle (§ 830 I 2, der auch im Vertragsrecht gilt)
Adäquanztheorie = für einen objektiven Beobachter völlig unwahrscheinliche Kausalverläufe scheiden aus, Kritik: das kommt fast nie vor, für eine wertende Einschränkung
der naturwissenschaftlichen Kausalität ist diese Theorie ungeeignet.
Schutzzweck der Norm = Haftung nur für Schäden, gegen die die verletzte Norm schützen will, Beispiel: In der Werkstatt des W wird ein Schaden an der Lichtanlage des A
übersehen, bei deren Reparatur das Auto eine Stunde länger in der Werkstatt geblieben
wäre. A fährt los und gerät auf der Autobahn bei strahlendem Sonnenschein in eine Massenkarambolage, die er bei Abfahrt eine Stunde später vermieden hätte. Keine Haftung
des W, da die Pflicht nur gegen Schäden durch unzureichende Beleuchtung schützen sollte.
•Prüfungsschema zur Haftungsausfüllung:
Obersatz: Der durch die Pflichtverletzung verursachte und dem Schädiger zurechnbare Schaden ist nach Maßgabe der §§ 249 ff. zu ersetzen.
1. Schadensermittlung nach der Differenzhypothese
• Vergleich der aktuellen Vermögenslage mit der hypothetischen Lage bei Fehlen der
Pflichtverletzung
• Frage, welche einzelnen Schadensposten gem. §§ 249 ersatzfähig sind.
2. Kausalität und Zurechnung: Der Schaden muss durch die Pflichtverletzung verursacht
und dem Schädiger zurechenbar sein.
• Kausalität nach der Äquivalenztheorie (beachte § 830 I 2, der auch im vertraglichen Bereich gilt)
• Adäquanz
• Zurechenbarkeit, insb. Schutzzweck der Norm
3. Mitverschulden (§ 254)
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Sonderfragen im Rahmen des § 280
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Der Ansatz für die Differenzhypothese unterscheidet sich je nachdem, ob Schadensersatz
neben oder statt der Leistung verlangt wird:
- Schadensersatz neben der Leistung: Vergleich zwischen dem Zustand nach Erfüllung, aber mit Pflichtverletzung und dem Zustand nach pflichtgemäßer Erfüllung.
- Schadensersatz statt der Leistung: Vergleich zwischen dem Zustand bei Nichterfüllung der Primärleistungspflicht und den Zustand bei pflichtgemäßer Erfüllung.
Schwierigkeiten bereitet beim Schadensersatz im gegenseitigen Vertrag die Frage, wie
sich das Schadensersatzverlangen auf die Gegenleistung auswirkt. Beispiel: A und B tauschen Briefmarken. Die von A zu übereignende Marke (Wert 100 €), die B zu 120 € weiterverkaufen könnte, wird zerstört (§ 275 I), die von B zu übereignende Marke (Wert 90
€) bleibt erhalten.
- Surrogations- oder Austauschtheorietheorie: Die Gegenleistung wird erbracht,
Schadensersatz = Wert der Leistung plus zusätzlicher Schaden (im Beispiel: B übereignet seine Marke und verlangt den Wert der zerstörten Marke einschließlich eines
möglichen Weiterverkaufsgewinns, hier 120 €).
- Differenztheorie: Die Leistungen werden nicht mehr ausgetauscht, der Gläubiger
erhält nur einen Schadensersatzanspruch in Geld auf die Differenz zwischen dem objektiven Wert der Leistung und seinem Leistungsinteresse (im Beispiel: B behält seine Marke und erhält lediglich einen Anspruch auf die Differenz zwischen dem Wert
seiner Gegenleistung und seinem Leistungsinteresse, hier 120 € - 90 € = 30 €).
- H.M. zum alten Recht: eingeschränkte Differenztheorie – grundsätzlich gilt die
Differenztheorie, Ausnahme 1: Leistung bereits erbracht, Ausnahme 2: Gläubiger hat
besonderes Interesse an der Erbringung der Gegenleistung.
- Zum neuen Recht bisher nicht entschieden, einiges spricht für ein freies Wahlrecht
des Gläubigers, da nach § 325 Schadensersatz und Rücktritt kumuliert werden können (näher hierzu unten bei den Sonderfragen des gegenseitigen Vertrages)
- Vertiefend: Betz, JA 2006, 60
Dieser Meinungsstreit darf nicht mit der Unterscheidung zwischen großem und kleinem
Schadensersatz verwechselt werden (zur Unterscheidung Betz, a.a.O.). Sie betrifft die
Frage, ob der Gläubiger im Fall des § 281 I 2, 3 (Hauptfall des I 3: mangelhafte Kaufsache) die Teilleistung bzw. die mangelhafte Sache behält und die Wertdifferenz verlangt
(kleiner Schadensersatz) oder ob er die mangelhafte Sache zurückgibt und den Wert der
mangelfreien Sache verlangt (großer Schadensersatz bzw. inzwischen "Schadensersatz
statt der ganzen Leistung"), lies hierzu die Voraussetzungen des § 281 I 2, 3, näheres im
Kaufrecht.
Verlangt der Gläubiger den Schadensersatz statt der ganzen Leistung (also nicht nur den
„kleinen“ Schadensersatz), so kann der Schuldner gem. § 281 V das seinerseits bereits
Geleistete nach §§ 346 – 348 zurückverlangen.
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