EXKLUSIV

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EXKLUSIV
www.gd-exklusiv.de
GARTEN
DE S GN
E X K LUSI V
DA S M AGA ZIN FÜR GARTENGES TALTUNG UND GARTENGENUSS AUSGABE 1/2015
Titelthema Wiesen
Deutschland: 14,80 €
PORTRÄT
Cassian Schmidt: Wie die Prärie nach Weinheim kam
DAS DESIGN DER NATUR
Blumenwiesen im Garten
HONIG VOM DACH
Flotte Bienen in der Stadt
ZARTE SCHÖNHEITEN
Blütenkreationen für Auge und Gaumen
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EDITORIAL
ANZEIGE 1
Nüchtern betrachtet, handelt es sich bei Wänden, Mauern und Treppen – denen wir uns im Titelthema dieser
Ausgabe widmen – um technische Bauwerke, die wir
ihrer Funktion wegen errichten lassen. Aber natürlich
sind sie mehr, lassen in unserem Inneren Bilder und
Erwartungen entstehen, was sich auch in einer Vielzahl
von Redewendungen niedergeschlagen hat.
So gelingt manchen Menschen das scheinbar Unmögliche, nämlich ganz unverhofft „eine Treppe hinaufzufallen“. Dem steht die Erkenntnis entgegen, dass „man
die Treppe stets von oben nach unten zu kehren habe“.
Und dass die Welt eben nicht zu allen gerecht ist, das ist
sicherlich zum „die Wände hochgehen“. Aber Hauptsache: es ist „kein Teufel daran gemalt“ und natürlich
auch nichts geschrieben, denn wir wissen ja: „Narrenhände beschmieren Tisch und Wände“, letztere haben
übrigens auch Ohren. Also wähle man seine Worte mit
Bedacht, und „der Lauscher an der Wand hört seine
eigene Schand“.
Erstaunlich viele jahrhundertealte Redewendungen
vermitteln Lebensweisheiten im Zusammenhang mit
Mauern und Wänden. Der eine will „mit dem Kopf hindurch“, der andere „fährt den Karren daran“. Das Spiel
mit den fantasievollen Sinnsprüchen ließe sich fast
beliebig fortführen. Dass sie den Wandel der Zeit überdauerten und uns heute noch etwas zu sagen haben,
zeigt, wie treffsicher menschliche Eigenarten und
Erfahrungen in ihnen eingefangen sind. Und dass die
Mauer nicht nur trennt, sondern auch ein prima Beobachtungsposten ist, das wissen wir ja schon aus unseren Kindheitstagen – zumindest gilt das für die kleine
Wanze, die dort zunächst auf der Lauer liegt, um später
für uns zu tanzen. Was zeigt, dass der genaue Blick auf
Mauern und Treppen lohnt, damit einem Wesentliches
auch im Kleinen nicht verborgen bleibt ...
TOM STUART-SMITH, von Hause aus
studierter Zoologe, ist einer der einflussreichsten zeitgenössischen Gartendesigner in Großbritannien. Er gewann acht
Goldmedaillen auf der Chelsae Flower
Show und war für die Neugestaltung des
Garten von Windsor Castle anlässlich des
Queen-Jubiläums in 2002 ebenso verantwortlich wie für Englands größten formalen Garten in Trentham/Staffordshire.
BERND FRANZEN studierte nach seiner
Gärtnerlehre Landschaftsarchitektur.
Zusammen mit seinen Büropartnern
Sebastian Spittka und Simon Leuffen führt
er das Planungsbüro „gartenplus“, das für
Privat- und Geschäftskunden plant. Einer
breiten Öffentlichkeit bekannt wurde das
Büro durch die Planung und Moderation
der RTL-Fernsehreihe „Mein Garten“, über
die insgesamt 120 Gärten entstanden.
NINA STRUVE ist Diplom-Designerin
und Kunsthistorikerin, seit 2002 als freie
Autorin mit dem Autorenbüro Berlin
selbstständig tätig; ihre Schwerpunkte
sind Themen zur bildenden Kunst, Kultur
und Gartenkunst. Meisner studierte
Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft
und Geschichte in Braunschweig, Austin
(Texas) und Berlin. Sie ist Mitautorin der
Publikation „Geschichte der Mode im 20.
Jahrhundert“.
CASSIAN SCHMIDT ist Stauden­gärtner­
meister und Landschaftsarchitekt. Seit
1998 leitet er den Schau- und Sichtungsgarten Hermannshof in Weinheim, der sich
längst zu einem Mekka für Pflanzenfreunde
entwickelt hat. Schmidt lehrt seit 2010
auch als Honorarprofessor an der Hochschule Geisenheim und ist Vorsitzender
des Arbeitskreises Pflanzenverwendung
des Bund deutscher Staudengärtner.
FERDINAND GRAF VON LUCKNER
Interior, Portrait und Reportagefotografie gehören zu seinem Repertoire
und ergänzen seine Leidenschaft für die
Gartenfotografie. Prägend dafür waren sicherlich die vielen Sommerferien auf dem
Bauernhof zusammen mit dem elterlichen
Garten. Von Luckner studierte an der FH
Dortmund, zu finden sind seine Arbeiten
in Zeitschriften wie Schöner Wohnen und
Living atHome sowie in vielen Büchern.
TANJA MINARDO studierte Landschaftsarchitektur und Umweltplanung
in Höxter. Danach arbeitete sie in einem
Planungsbüro und schrieb daneben
Artikel für Zeitschriften und entwickelte
Vorträge über ihre Gartenreisen. Minardo
ist überzeugt davon, dass sich eine leichte
Pflege und eine schöne Gartengestaltung
nicht ausschließen müssen, wenn Grundlegendes beachtet wird. Schließlich sollen
Gärten in erster Linie ja Spaß machen.
DIE
FA SZINATIO N
Mit ein paar Handvoll
Samen hat der englische
Gartendesigner Tom StuartSmith 2.000 Quadratmeter
Garten gestaltet. Nördlich
von London wächst
jetzt im vierten Jahr ein
kompaktes Beet exotischer
Präriestauden. Mit
seinen kräftigen Farben
erinnert es vor allem im
Spätsommer und Herbst an
ein abstraktes Gemälde.
FOTO: MARIANNE MAJERUS| DESIGN: TOM STUART-SMITH
DES
ZUFÄLLIG E N
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AUF AUGENHÖHE MIT DEN
PFLANZEN
D IE
FA SZINATIO N D E S
ZUFÄLLIG E N
Wer bei Wiese an kniehohe Blüten denkt,
liegt bei Stuart-Smith falsch. Selbst gut 1,95
Meter groß, bevorzugt er Pflanzen, die schnell
wachsen und sehr groß werden. „Ich will
einer Pflanze möglichst ,ins Gesicht’ schauen,
ohne dafür auf Händen und Knien durch den
Garten zu kriechen.“ Keine Abneigung hat der
studierte Zoologe, sich die Finger schmutzig
zu machen. Für ihn gehören Säen, Mähen und
Zupfen einfach dazu. Was er in seinem Präriebeet regelmäßig tut, auch wenn die Familie einen Gärtner beschäftigt. Er muss einfach
immer experimentieren, neue Kombinationen ausprobieren und Grenzen überwinden.
Nur so fühlt er sich sicher, wenn er für andere
plant, gesteht der Designer.
Der Entwicklung einer Pflanzung ganz
vom Anfang beizuwohnen, reizt ihn dabei
besonders. Schon länger arbeitet der Designer
deshalb mit James Hitchmough zusammen,
Professor für Landschaftsgestaltung an der
englischen Sheffield Universität östlich von
Manchester. Hitchmough forscht intensiv
an Aussaatmethoden für Stauden. Mehr als
40 verschiedene Sorten mischten die beiden
zusammen, zu 60 Prozent aus Nordamerika
sowie zu weiteren Teilen aus Südafrika und
Eurasien. Darunter sind bekannten Arten
wie Sonnenhüte (Echinacea), Rudbeckien
(Rudbeckia) und Prärie-Astern (Aster turbinellus). Auch weniger bekannte Blühstauden
gehören dazu, zum Beispiel die lila Prachtscharten (Liatris aspera), Baikal-Helmkraut
(Scutellaria baicalensis) und Palmlilienblättriges Mannstreu (Eryngium yuccifolium) mit
weißen Blütenbällen. Auch wenige Gräser
sind in der Mischung, etwa die orangefarbene
Neuseeland-Segge (Carex testacea) und Bartgras (Andropogon gerardii). Nicht alles funktionierte reibungslos, und zu seinem Ärger
war versehentlich auch ein sehr vitaler Korbblütler in der Mischung. Die Becherblume
(Silphium perfoliatum) begann Überhand
zu nehmen. Stuart-Smith riss sie einzeln
per Hand raus, während ihre ebenfalls gelb
Lila Prachtscharten
(Liatris aspera)
sowie große und
kleine Sonnenhüte
(Rudbeckia fulgida
var. deamii, R.
TEXT: VERENA GROSS FOTOS: MARIANNE MAJERUS
Seine kugelförmigen
Blütenbälle öffnet das
T
om Stuart-Smith ist bekannt für seine
außergewöhnlichen Pflanzungen. So
richtig wild geht es auf seinem eigenen Grundstück in Hertfordshire zu:
Hinter seinem Wohnhaus, einer umgebauten historischen Scheune, liegt sein „BarnGarden“ (Scheunen-Garten). Gemeinsam mit
seiner Frau Sue hat er ein Buch darüber veröffentlich. Statt Rosenbeete und englischem
Rasen gibt es gezähmte Wildheit auf einer
Palmlilien-Mannstreu
großen Blumenwiese aus heimischen Arten.
Vor vier Jahren säte Stuart-Smith direkt daneben auf einer Fläche von 2000 Quadratmetern ein exotisches Gegenstück aus. „Im ersten Jahr sah es fürchterlich aus und machte
viel Arbeit“, gibt der 54-Jährige freimütig zu.
Doch schon im zweiten Jahr zeigte sich der
besondere Charme der ungewöhnlichen Stauden, also Pflanzen die viele Jahre lang nach
einer Winterpause neu austreiben.
(Eryngium yuccifolium)
in 1,80 Metern Höhe.
Maxima) ragen in
die geschwungenen
Graswege.
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blühenden Verwandten Kompass-Pflanze (S.
laciniatum) und Prairie Dock (S. terebinthinaceum) bleiben durften. Schließlich sind sie
mit rund drei Metern Höhe ein imposanter
Anblick.
Das Aussähen hat jedoch viele Vorteile: Es
ist weitaus kostengünstiger als eine Pflanzung, verursacht langfristig weniger Arbeit,
und die Stauden wachsen als Gemeinschaft
viel dichter. „Für meine Projekte habe ich
schon mehrfach Wiesenbeete ausgesät, weil
ich die zufällige Verteilung der Pflanzen und
die vielen fremdartigen Blüten und Wuchsformen faszinierend finde“, sagt StuartSmith. Voraussetzung für das Gelingen ist,
die heimischen Wildkräuter zu unterdrücken. Um Unkraut abzutöten, besprüht er den
Boden mit einer Phosphatverbindung und
bedeckt ihn dann mit einer knapp acht Zentimeter dicken Schicht aus groben Sand. In das
sterile Beet kommen zwischen 100 und 150
Samen pro Quadratmeter. Eine enorme Zahl,
wenn man es mit gepflanzten Präriestaudenbeeten vergleicht. Dort setzen Gärtner sieben
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FOTO: M ARIANNE M AJERUS | DESIGN: TOM STUART-SMITH
bis zehn Pflanzen auf den Quadratmeter. Nach
der Saat wird die Fläche mit grobmaschigem
Jutestoff bedeckt. Das hält zum einen Vögel
und Nager ab, zum anderen bleibt die Feuchtigkeit im Boden. Sechs Millimeter Wasser
pro Tag brauchen die Keime in den ersten zwei
bis drei Monaten. Eine automatische Bewässerung ist da von Vorteil, und der Jutestoff dient
dabei als Indikator: Er färbt sich im feuchten
Zustand dunkel. Erst wenn die Wurzeln der
Pflanzen durch die Sandschicht in den darunterliegenden Boden gewachsen sind, können
sie sich selbst versorgen und kommen auch
mit längerer Trockenzeit klar. Der Jutestoff
zerfällt indes. Probleme machten im BarnGarden Würmer. Sie brachten Samen von heimischen Wildkräutern aus tieferen Schichten nach oben, wo sie keimten. Stuart-Smith
zupfte sie mühevoll per Hand heraus.
Die Wiese kann durch geschwungene Graswege durchquert werden, so lässt sich das
Spektakel auch aus der Mitte betrachten. „Ich
kann darin abtauchen“, sagt der Designer. Die
gepflegten Wege aus einer Grasmischung,
Nach einer Blumenwiese
mit heimischen Arten
wagte sich Tom
Stuart-Smith in seinem
Privatgarten an eine
exotische Prärie-Wiese.
PL AN: TOM STUART-SMITH
die sich nicht ausbreitet, bilden einen starken Kontrast zu den wilden Prärieflächen.
Im Winter sieht die Fläche ein wenig wie
ein Dschungel aus, gibt Stuart-Smith zu. Im
Frühjahr werden die Reste mit der Motorsense heruntergeschnitten. Und wenn die
Stauden dann austreiben, ist die Pflanzung
in seinen Augen bereits wieder schön. Einige
schmalblättrige Osterglocken (Narcissus
triandrus ‘Hawera’) sorgen für Farbtupfer.
Mehr Zwiebeln für eine frühe Blüte zu setzen, scheitert an dem dichten Bewuchs durch
die Präriepflanzen. Akzente setzt die Wiese
vor allem von Anfang Mai bis Ende Oktober
– und damit viel später in der Saison als die
meisten heimischen Arten. Am Anfang blüht
die Fläche hauptsächlich in Rosa und Rot, im
Sommer überwiegen Rosa und Weiß, und
später im Jahr übernehmen die leuchtenden
Herbstfarben mit viel Gelb. Dabei wechselt
Stuart-Smith nach seinem Geschmack Arten
aus und reduziert diejenigen, die Überhand
nehmen wie die Prärie-Aster (Aster oblongifolius). Dennoch braucht die Prärie-Pflanzung
nur etwa zehn Prozent der Pflege, die ein Blumenbeet sonst dem Gärtner abverlangt. Im September, wenn das
Indianer-Grass (Sorghastrum
nutans, rechts) seine Ähren
zeigt, leuchtet die Wiese in
Rottönen.
Das Hellblau und Purpur der
Astern (A. azureus, A. novaeangliae ‘September Ruby’)
bilden einen spannenden
Kontrast zu den vielen
gelben Blüten.
FOTO: MARIANNE MAJERUS | DESIGN: TOM STUART-SMITH
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FOTO: M ARIANNE M AJERUS | DESIGN: TOM STUART-SMITH
WENN SCHNECKEN IN DIE PRÄRIE
EINFALLEN
Ein reger Feind seiner Wiesenbeete sind
Nacktschnecken. Präriepflanzen sind nicht
an Schneckenfraß angepasst, da es wegen
sehr kalter Winter und heißer Sommer in
ihren natürlichen Lebensräumen kaum
Befall gibt. Das schert die englischen Plagegeister jedoch wenig. Ein Kiesstreifen rund
um die Pflanzung hält sie nur bedingt davon
ab, sich über die jungen Triebe herzumachen. Deshalb plant der Hausherr, die Fläche
zum Ende des Winters abzubrennen, wie es
ihm Cassian Schmidt empfohlen hat. Vom
Leiter der Schaugärten in Weinheim hat er
schon so manche Inspiration und wertvollen
Tipp für die Verwendung von Präriestauden
bekommen.
Stuart-Smith würde keinen kompletten
Garten mit Präriebeeten gestalten. Auch auf
einem kleinen Grundstück funktioniert es
schlecht. „Doch wer einen Garten ab 1.000
Quadratmetern Fläche hat, sollte darüber
nachdenken.“ Vor allem innerhalb einer
strukturierten Umgebung können die Pflanzen ganz eigene Akzente schaffen. Das funktioniert auch gut in formalen Gärten. Die Stauden erscheinen durch den engen Bewuchs als
kompakter farbiger Block und nicht als einzelne Pflanzen, erklärt der Designer. Umgeben von minimalistischer Gestaltung, wirkt
ihre Wildheit wie ein riesiges abstraktes
Gemälde, das allein in einer Galerie hängt. Im Oktober bringt warmes
Licht die englische Prärie
zum Leuchten, über der die
letzten Blütenstände der gut
zwei Metern hohen KompassPflanze (Silphium laciniatum).
Tom und Sue
Stuart-Smith
(sie ist Ärztin)
haben ein Buch
über ihren
Scheunen-Garten
geschrieben.
TOM STUART-SMITH ist einer der einflussreichsten zeitgenössischen Gartendesigner
in Großbritannien. Er gewann acht Goldmedaillen für seine Schaugärten auf der Chelsae
Flower Show. Außerdem zeichnete er verantwortlich für die Neugestaltung des Garten von
Windsor Castle aus Anlass des Queen-Jubiläums in 2002 und von Englands größtem formalen Garten in Trentham/Staffordshire. Seinen privaten Barn-Garden öffnet er dieses Jahr am
Sonntag, 21. Juni, für interessierte Besucher (mehr Infos unter www.gardenmuseum.org.uk).
Wer nicht so weit reisen möchte, bekommt voraussichtlich 2017 auf der Internationalen
Gartenschau in Berlin die Gelegenheit. Stuart-Smith hat sich darum beworben, einen
Schaugarten mit einer seiner Präriemischungen zu gestalten.
FOTO: M ARIANNE M AJERUS