Die Geschichte der Familien Jacob Jacobs und

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Die Geschichte der Familien Jacob Jacobs und
Raum: Nationalsozialismus
Themenwand: Unter Zwang
Lebensgeschichte: Jacob Jacobs
Die Geschichte der Familien
Jacob Jacobs und Albert Sachs
Das Schicksal zweier jüdischer Familien zwischen Deutschland und den Niederlanden
in der Zeit des Nationalsozialismus
Ein Leben über die Grenze hinweg führten der gelernte Viehhändler Jacob Jacobs und
seine Frau Julie. Das Jahr 1935 war keine gute Zeit, um als Jude in Halle/Westfalen
beruflich Fuß zu fassen. Wie die NSDAP versuchte, belastendes Material gegen den
unbescholtenen Jacobs zu finden und wie dieser schließlich gemeinsam mit der Familie
seiner Schwester Emma Sachs in die Niederlande flüchtete, recherchierte Frauke Keßner.
Familie und Ausbildung
Jacob Jacobs wird am 11. März 1895 in Borne bei Enschede
(Niederlande) geboren. Er ist das dritte von fünf Kindern
einer jüdischen Familie. Seine Mutter stammt aus Laer
(Deutschland).
Wie sein Großvater und sein Vater wird Jacob Viehhändler.
Ab 1910 arbeitet er in Deutschland. Als 17-Jähriger
bekommt er in Bakum-Melle eine Legitimationskarte, die ihn
berechtigt, auf Rechnung der Firma Mildenberg Vieh zu
kaufen.
Jacob Jacobs Anfang der 1930er Jahre in Ahlen – Arbeitserlaubnis,
Stadtarchiv Halle (Westf.), Foto: F. Keßner
Anfang 1913 meldet er sich beim Einwohnermeldeamt in Ahlen/Westf. „für dauernden
Aufenthalt“ an. Im Laufe der folgenden 20 Jahre zieht er innerhalb der Stadt zweimal um,
erwirbt zwei Grundstücke und Hausbesitz.
Am 8. April 1921 erteilt ihm das Kollegium der Fleischüberwachungsstelle beim
Oberpräsidenten in Münster die Erlaubnis für Handel „nur mit Rindvieh“.
Um das Jahr 1922 heiratet Jacob Jacobs die aus einer jüdischen Familie in Trier
stammende Julie Lazarus. Die Ehe bleibt kinderlos. Jacobs Mutter Friederike, die seit 1908
Witwe ist, zieht zu ihnen nach Ahlen. Im September 1933 geht die Familie Jacobs zurück
nach Borne.
1934 beschließt Jacob Jacobs, nach Halle zu ziehen. Seine jüngere Schwester Emma, die
mit dem jüdischen Viehhändler Albert Sachs aus Werther verheiratet ist, wohnt hier schon
seit 1925. Sie haben eine neunjährige Tochter, Friedel, geboren 1925.
Jacob Jacobs meldet sich in Halle unter der
Adresse der Familie Albert Sachs „Lange Straße
25“ an. Seine Frau Julie bleibt vorläufig noch in
Borne wohnen.
Das Haus Lange Straße 25 in Halle in dem die
Familien Sachs und Jacobs wohnten.
Foto: F. Keßner
Schwager Albert Sachs beantragt im Februar 1935 für Jacob eine Legitimationskarte für
den Handel mit Rindvieh auf seine Rechnung.
Die Haller Polizei leitet den Antrag an die Staatspolizei in Bielefeld weiter, wo festgestellt
wird, dass Jacob Jacobs bisher nicht vorbestraft ist. Obwohl angemerkt wird, dass er
Niederländischer Jude ist, gibt es erst mal keine politischen Einwände gegen eine
Arbeitserlaubnis. Die Legitimationskarte für das Jahr 1935 wird ihm am 22. Februar 1935
gegen eine Gebühr von drei Mark ausgehändigt.
Kurz danach, im März 1935, zieht seine Frau Julie nach Halle.
Die Arbeitserlaubnis – Grundlage der Existenz
Am 5. April 1935 bekommt Jacob vom Haller Bürgermeister Eduard Meyer zu Hoberge –
ohne Angabe von Gründen – die Nachricht, dass die Arbeitserlaubnis eingezogen sei und er
sie „Sofort!“ abzugeben habe. Die NSDAP hat Einwände geltend gemacht und kein
Verständnis dafür, dass ein Jude so einfach die Erlaubnis zur Gründung eines Gewerbes
bekommt.
Jacob Jacobs beauftragt sofort einen Rechtsanwalt in Osnabrück damit, seine Interessen zu
vertreten. Schon am 6. April 1935 fragt dieser schriftlich an, welche gesetzlichen
Bestimmungen der Entscheidung zu Grunde liegen.
Von Seiten der Haller Behörden beginnen intensive Bemühungen, Argumente zur
Rechtfertigung des Entzugs der Legitimationskarte zu finden. In Ahlen fragt man an, „ob
und eventuell in welcher Beziehung Nachteiliges … bekannt geworden ist“ und warum er
dort zwar für das Jahr 1933 eine Arbeitsgenehmigung bekommen hatte, nicht aber für
1934. Aber aus Ahlen gibt es nichts Negatives über Jacobs zu berichten. Eine zweite
Arbeitsgenehmigung wurde nicht erteilt, weil keine beantragt worden war.
Der Haller Bürgermeister lässt sich vom Justizministerium in Berlin einen Auszug aus dem
Strafregister schicken. Auch in Berlin sind keine Strafsachen über Jacobs bekannt.
So sehr sich die Behörden auch bemühen, nirgendwo lässt sich etwas Negatives über Jacob
Jacobs finden.
Suche nach belastendem Material gegen Jacob Jacobs
Daraufhin wendet sich der Haller Landrat an die Staatspolizeistelle in Bielefeld. Der ganze
Fall wird im Brief wie folgt zusammengefasst: Die Arbeitserlaubnis wurde vorsorglich
eingezogen, weil Jacobs ein Haus kaufen wollte. Das hätte für Unruhe in der Bevölkerung
sorgen können. Immerhin sei er ein ausländischer Jude. Da keine gesetzlichen Einwände
gegen ihn zu finden seien, schlägt der Landrat die spezielle Regelung „Missbrauch des
Gewerbes zu staatsfeindlichen Zwecken“ als Rechtfertigung vor.
In diesem Brief wird auch angeführt, dass sowohl Jacobs‘ Rechtsanwalt als auch das
Niederländische Konsulat gegen die Einziehung der Arbeitserlaubnis Einspruch erhoben
haben. Das Konsulat beruft sich darauf, dass zwischen den beiden Ländern ein
Gleichbehandlungsvertrag bestünde.
Gleichzeitig bemühen sich die NSDAP und die SS in Ahlen, belastendes Material gegen
Jacobs zu sammeln. In einem Brief an ihre Kollegen in Halle diffamieren sie Jacobs als
„einen der widerlichsten Juden“, der, wie alle Juden, politisch total unzuverlässig und
außerdem ein Bauernfänger sei. Nach der bekannten
jüdischen Methode mache er
Geschäfte mit Bauern aus der Umgebung, die der „Rassenfrage noch hintenan
marschieren“. Obwohl der mit leeren Händen nach Deutschland gekommen sei, hätte er in
Ahlen schon schnell zwei Stück Land kaufen können. Er soll sich außerdem „eifrig“ der
Rassenschande schuldig gemacht haben – „dem ureigensten Gebiet der Juden“ - indem er
ein arisches Mädchen „entrasst“ haben soll. Ferner wird Jacobs eine staatsfeindliche
Einstellung vorgeworfen, „die ja sowieso bei keinem Juden angezweifelt werden kann“.
Beweise werden für all diese Anschuldigungen nicht geliefert. Der Brief, der dem Haller
Bürgermeister zugeschickt wird, ist, wie alle anderen Briefe, mit „Heil Hitler“
unterzeichnet.
Im Mai drängt der Landrat die Bielefelder Behörden schriftlich, man möge die schon früher
vorgeschlagene Regelung (wegen Missbrauchs des Gewerbes zu staatsfeindlichen Zwecken)
anwenden, da weiterhin keine gesetzlichen Einwände gegen Jacobs zu finden seien.
Das Hauptamt der Polizei in Bielefeld teilt sowohl dem Haller Bürgermeister als auch dem
Landrat mit, dass es Verzögerungen gibt, weil die Angelegenheit der Staatspolizei in
Dortmund vorgelegt worden sei. „Geheim“ steht in roter Schrift oben auf dem Brief.
In einem Antwortbrief – auf dem wiederum oben und unten „Geheim“ steht, wird
mitgeteilt, dass auf keinen Fall weder Jacobs noch sein Rechtsanwalt erfahren dürfen, dass
sich die Staatspolizei mit diesem Fall beschäftigt. Offenkundig müssen die Aktivitäten der
Briefeschreiber verborgen bleiben.
Entzug der Arbeitserlaubnis
Im Juli 1935 trifft in Halle die Entscheidung der Staatspolizei ein: Die Arbeitserlaubnis des
Juden Jacobs muss eingezogen bleiben, weil er
1. sich öffentlich gegen die Nationalsozialistische Bewegung gewendet hat.
2. eine Gefahr für die öffentliche Ordnung ist.
Auf der Rückseite des Briefes steht, dass Jacobs‘ Ehefrau vor einiger Zeit in die
Niederlande gegangen sei. (Julie hatte sich nach nur sechs Wochen in Halle am 8. Mai
wieder in Borne angemeldet.) Jacobs sei ihr inzwischen gefolgt und ihre Wohnung in Halle
bereits von anderen bewohnt.
Damit ist die Angelegenheit für die Haller Behörden erledigt.
Im November 1935 fragt das Niederländische Konsulat schriftlich in Halle an, ob Jacobs mit
einer schnellen Erteilung der Arbeitserlaubnis rechnen kann. Als die Antwort negativ ist,
reagiert das Konsulat mit der Mitteilung, dass der Umzug im Mai in die Niederlande nur
vorübergehend sei und verweist nochmals auf die Handelsfreiheit zwischen beiden
Ländern. Aber der Haller Bürgermeister bleibt bei seinem Entschluss: Jacob Jacobs hat
Halle vor mehr als sechs Wochen verlassen (inzwischen ist es Dezember 1935). Der Fall ist
abgeschlossen.
Zurück in den Niederlanden
Die Unterlagen des Archivs in Borne belegen, dass sowohl Jacob als auch seine Frau Julie
und seine Mutter Friederike im Zeitraum von 1933 bis 1935 mehrmals zwischen den
Niederlanden und Deutschland umgezogen sind. Bei diesem Hin und Her zwischen den
beiden Ländern, auf der Suche nach Möglichkeiten, zu wohnen und zu arbeiten, wird Jacob
mal von seiner Frau, mal von seiner Mutter begleitet. Es hat den Anschein, als ob immer
jemand in Borne geblieben wäre, um den Standort zu sichern.
Julie und ihre Schwiegermutter ziehen 1933 von Ahlen zurück nach Borne, gemeinsam mit
Emma Sachs und deren Tochter Friedel. Julie arbeitet dort als Hutmacherin.
Jacob Jacobs und Albert Sachs bleiben in Deutschland. Nach vier
Monaten zieht Jacob nach Borne und 1934 dann zu Albert nach
Halle.
Nachdem Julie ab März 1935 nur sechs Wochen in Halle gewohnt
hatte, geht sie im Mai 1935 zurück nach Borne. Jacob und seine
Mutter folgen ihr ein paar Wochen später. Sie wohnen in Borne in
der Lantmanstraat, rechts vom Durchgang.
Zugang zur Lantmanstraat in Borne.
Quelle: Gemeentearchief Borne.
Jacobs Schwester Emma und ihre Tochter Friedel sind schon im Februar 1934 nach
Deutschland zurückgegangen, erst nach Werther und später nach Halle.
Zuflucht in Borne?
Im August 1938 zieht die ganze Familie Sachs von von Halle aus in die Niederlande und
sucht
Zuflucht
in
Borne.
Die
niederländischen
Behörden
erteilen
ihnen
eine
Aufenthaltsgenehmigung „vorausgesetzt, dass sie der öffentlichen Kasse nicht zur Last
fallen (…) indes keine weiteren Familienmitglieder der Familie Albert Sachs mit fremder
Nationalität versuchen werden, sich in unserm Land niederzulassen.“ Die Familie zieht
auch in die Lantmanstraat und Emma nimmt ihren Beruf als Lehrerin wieder auf. Ab
Oktober 1941 unterrichtet sie an der jüdischen Schule in Almelo.
Emma Sachs-Jacobs und ihre
Schüler aus Borne.
Gemeentearchief Borne.
Inzwischen ist die politische
Situation
Deutschland
schwieriger
für
Juden
in
immer
geworden. Die
Familien Sachs und Jacobs
bemühen sich deshalb um
Aufenthaltsgenehmigungen für Familienmitglieder aus Deutschland. Das gelingt ihnen nur
für Alberts Mutter. Sie bekommt die Erlaubnis, wovon aber, soweit bekannt ist, kein
Gebrauch gemacht wird.
Albert versucht, für seinen Bruder Philipp eine Genehmigung zu bekommen, der zu der Zeit
schon im Konzentrationslager ist. Er ist in Lebensgefahr, auch weil er an „leichten“
Nervenzusammenbrüchen leidet (bitter, wie sie versuchen, ehrlich zu bleiben und die
Krankheit zwar angeben, sie aber als „leicht“ bezeichnen). Der Antrag wird abgelehnt.
Emma versucht, einige Neffen, die emigrieren wollen, nach Borne zu holen. Das misslingt
ebenfalls. Der Polizist aus Borne hat Zweifel: „Angesichts der Tatsache, dass ich nicht ganz
überzeugt davon bin, dass die beiden genannten Personen […] wirklich den Versuch
machen, zu emigrieren, muss ich empfehlen, ihnen keine Aufenthaltsgenehmigung zu
erteilen.“
Julie versucht vergeblich, ihre beiden Schwestern in die Niederlande zu holen. Diese
wollen ihrem Bruder Max folgen, der in die Vereinigten Staaten emigriert war.
Verhaftung und Deportation durch deutsche Besatzer
Mutter Friederike Jacobs stirbt im August 1942. Sie ist auf dem Jüdischen Friedhof in Borne
begraben. Im selben Monat wird ihr Schwiegersohn Albert Sachs ins niederländische
Arbeitslager Overbroek eingeliefert.
Fünf Wochen später, am 2. September 1942, werden Emma und Friedel in Borne von den
deutschen Besatzern verhaftet und treffen im Zentralen Durchgangslager KZ Westerbork
(Niederlande) wieder mit Albert zusammen. Emma, Albert und Friedel bekommen in
Westerbork eine Anstellung. Albert lässt sich in die Liste der Frontkämpfer eintragen.
Dadurch gelingt es ihm, zu denen zu gehören, die nach Theresienstadt weitergeschickt
werden. Dort sollen die Lebensbedingungen weniger hart sein, als in anderen
Konzentrationslagern. Im April 1943 werden Albert und Emma nach Theresienstadt
deportiert, im Oktober 1944 nach Auschwitz. Emma wird dort wahrscheinlich sofort
vergast, Albert überlebt in Arbeitslagern bis Februar 1945.
Tochter Friedel arbeitet bis Januar 1944 in Westerbork und
wird dann nach Theresienstadt deportiert. Danach kommt sie
noch
nach
Auschwitz,
Freiberg/Sachsen
und
nach
Mauthausen. Unter anderem leistet sie Zwangsarbeit in einer
Munitionsfabrik. Bei der Deportation war sie 15 Jahre alt. Es
gelingt ihr, all das Grauen zu überleben.
Friedel Sachs nach dem Krieg.
Gemeentearchief Borne.
Nach der Befreiung kehrt Friedel in die Niederlande zurück und
heiratet 1959 Herrn
Theodore Frank in Antwerpen. Die Ehe bleibt kinderlos. Ihr Mann berichtet, dass sie die
letzten Jahre vor ihrem Tod (vor 1984) vollständig gelähmt im Bett verbringen musste –
Folgen der unmenschlichen Bedingungen in den Konzentrationslagern.
Tod und Erinnerung
Jacob und Julie werden 1943 über das Durchgangslager Vught nach Westerbork gebracht
und von dort aus direkt nach Sobibor deportiert, wo sie im selben Jahr ermordet werden.
Für Jacob und Julie, Emma und Albert
sind in Borne in der Lantmanstraat
(Nr. 19 und 34) Stolpersteine verlegt
worden. An Julie wird auch in Trier
erinnert, wo ihr Stolperstein zwischen
denen ihrer Schwestern liegt.
Foto: F. Keßner
Mit Dank an Annette Evertzen für die Fotos von Emma und Friedel Sachs, das Bild der
Lantmanstraat in Borne und für ihre Nachforschungen im Archiv der Gemeinde Borne.
Frauke Keßner
Juli 2015
Quellen:
Stadtarchiv Halle/Westfalen - Akte CS 9 (i); Wandergewerbeschein,
Politische Polizei etc. 1930-1938.
Gemeentearchief Borne
www.stolpersteine-borne.nl
Noordhuis, H., G.P. ter Braak en M.F.S. Kienhuis
„In verdrukking, verzet en vrijheid. Borne-Bornerbroek-Hertme-Zenderen
1940-1945“, Hengelo: Twentsche Courant, 1990.

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