Volksmund

Transcrição

Volksmund
HEFT 2
2,50 EURO
volks
mund
D A S V O L K S T H E AT E R M A G A Z I N
Spielzeit 07 | 08
Warum gehen Sie eigentlich
nicht ins Volkstheater?
Münchner Prominente
antworten
Riedering trifft Gern
Maximilian Brückner
und Philipp Lahm
im Gespräch
Auf geht’s Buam!
Ein Grundkurs
im Schuhplatteln
Der Fachmann fürs
Katholische
Christian Stückls
Theaterpassionen
volks
theater
Kartentelefon 089 / 5 23 46 55
Kartenfax 089 / 5 23 55 56
Münchner Volkstheater GmbH
Brienner Straße 50 am Stiglmaierplatz
80333 München
Telefon 089 / 5 23 55 - 0
Fax 089 / 5 23 55 - 39
www. muenchner-volkstheater.de
Intendant und Geschäftsführer
Christian Stückl
Verwaltungsdirektor
Sebastian Feldhofer
Künstlerisches Betriebsbüro
Utto Kammerl (Künstl. Betriebsleiter)
Dramaturgie
Kilian Engels (Chefdramaturg)
Katja Friedrich
Carsten Golbeck (Gastspiele)
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Frederik Mayet
Technischer Leiter
Siegfried Dellinger
Regisseure
Philipp Jescheck (Hausregisseur)
Frank Abt
Bettina Bruinier
Jorinde Dröse
Christine Eder
Hans Neuenfels
Nikolaus Paryla
Hanna Rudolph
Christian Stückl
Bühnen- und Kostümbildner
Hannah Albrecht
Gerhard Fresacher
Florian Helmbold
Christof Hetzer
Doris Homolka
Justina Klimczyk
Ingrid Jäger
Britta Leonhardt
Marlene Poley
Monika Rovan
Elina Schnizler
Julia Scholz
Alu Walter
Musik / Komposition
Thomas Butteweg
Andreas Imhoff
Georg Karger
Christian Ludwig Mayer
Junge Riederinger Musikanten
DJ Patex
Patrick Schimanski
Ulrich Wangenheim
Markus Zwink
Regieassistenz
Florian Helmbold
Ausstattungsassistenz
Uta Gruber-Ballehr
Beleuchtung
Günther Weiß (Leiter)
Rainer Heuser (Beleuchtungsmeister)
Gerhard Sehl (Beleuchtungsmeister)
Christian Böhlen
Fiorenzo Cianelli
Peter Hausberger
Ralf Martin
Nicola Rademacher
Inspizienz
Danny Raeder
Christian Schmitz-Linnartz
Corinna Thomas
Souffleusen
Ursula Huber
Gertrud Kuik
Anna Münzer
Verwaltung
Dieter Frank-Michaelis
German Huber
Gabriele Kistler
Maria Littel
Kasse
Michael Miehlke (Leiter)
Monica Prokop
Donatella Sewald
Nikola Teubner
Systemverwaltung
Gerhard Mudrack
Ton- und Videotechnik
Peter Ries (Leiter)
Roland Auerhammer
Kostümabteilung
Ingrid Jäger (Leiterin)
Rüstem Basar
Christian Fries
Erich-Josef Hoffmann
Elina Rein
Regine Ries
Georg Staber (Auszubildender)
Requisite
Bernd Rodenhausen (Leiter)
Franz Bayer
Sulamit Karzel
Tim Schnabbe
Tanja Watzlawczik
Astrid Weinert
Maske
Renate Dorn (Leiterin)
Julia Lange
Cosima Leipnitz
Anke Relling
Eva Richter
Technik
Hermann Bantner
(Werkstattleiter, stellv. Techn. Leiter)
Werner von Bremen (Bühnenmeister)
Oliver Cersowsky (Bühnenmeister)
Florian Schmidt-Bockelmann
Hans-Dieter Fischer
Jussi Gerard
Horst Glasschröder
Michael Graser
Ralph Grundke
Sidney Helgath
Norbert Henrich
Paul Mooney
Josef Riss
Timo Schmid
Thomas Schmidt
Peter Spies
Victor Vinnitchenko
Florian Schönhofer
Phillip von Bergmann-Korn
Benedikt Wieland
Leonhard Hagenbucher (Auszubildender)
Cornelia Schmid (Auszubildende)
Hausmeister
Rohan Siebert
Einlass / Garderobe
Bruno Behrendt
Maria Berauer
Johanna Goldschmidt
Philip Kammerl
Daniela Rothensee
Panagiotis Tsoukatos
Johanna Schelle
Christina Schrubar
Maria Schulz
Benedikt Stangl
Elena Weiß
Team Volksgarten
Impressum Volksmund
Herausgeber:
Münchner Volkstheater GmbH
Christian Stückl (V.i.S.d.P.)
Redaktion: Kilian Engels, Katja Friedrich,
Carsten Golbeck, Frederik Mayet,
Felix Zeltner (Leitung)
Autoren: Alexander Runte, C. Bernd Sucher
Grafik und Layout: Otto Dzemla
Fotos: Gabriela Neeb
Anzeigen: Frederik Mayet, Leonhard Reindl
Druckerei: Götz Druck, München
INHALT
05
SPÄTSCHICHT
Ein Abend mit dem Inspizienten
06
LEBENSECHT
Sechs wahre Geschichten
14
WARUM GEHEN SIE EIGENTLICH
NICHT INS VOLKSTHEATER?
Münchner Prominente gestehen
17
» ECHT KRASSES STÜCK «
Eine Publikumsbefragung
21
September 2007
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde des Münchner Volkstheaters,
ELF GUTE GRÜNDE
Das Repertoire
22
RIEDERING TRIFFT GERN
Shootingstars im Gespräch
nach fast zwölfwöchiger Umbauphase starten wir in eine neue,
rauchfreie Spielzeit. All die vielen Mitarbeiter des Volkstheaters haben
ihre Ideen zusammengetragen, um Ihnen mit acht Premieren eine
aufregende Spielzeit zu bereiten.
In der zweiten Ausgabe unseres Magazins „Volksmund“ möchte Ihnen
Frederik Mayet, der in unserem Haus für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich ist, mit seiner Redaktion nicht nur die Personen
vorstellen, die hinter den Ideen stehen, sondern auch Geschichten erzählen. Geschichten von Salzburg bis Brandenburg, von Raubüberfällen
und Kartoffelsalat, von Prominenten und Verwandlungskünstlern.
Ich wünsche Ihnen allen viel Spaß beim Lesen unseres Spielzeitheftes
und freue mich auf Ihren Besuch in unserem Theater.
30
» DIE JUGEND BEKOMMT EINE
NEUE BEDEUTUNG «
Ein Jugendforscher im Interview
32
AUF GEHT’S BUAM!
Einführung ins Schuhplatteln
36
DER FACHMANN FÜRS KATHOLISCHE
Christian Stückl über Glauben
im Theater
42
Im Namen aller Mitarbeiter des Münchner Volkstheaters,
Christian Stückl
PROTEST!
Abgelehnte Volkstheater-Plakate
45
VOLKSREIME
Zwei Gedichte von Sibylle Berg
46
WAS IST DEIN
GRÖSSTER ALPTRAUM?
Schauspieler über ihre Ängste
50
TRAUMROLLE
Das Ensemble verwandelt sich
56
ZU GAST IM VOLKSTHEATER
Vorschau auf die neue Spielzeit
59
DER VOLKSMUND-PERSONALBOGEN
Junge Regisseure im Volkstheater
FOTO: GABRIELA NEEB
64
DAS KLEINGEDRUCKTE
Abos, Preise, Öffnungszeiten
66
C. BERND SUCHERS THEATERKNIGGE
Folge 2: Beifall – richtig gemacht
inhalt · volksmund 2 3
SPÄTSCHICHT
FOTO: GABRIELA NEEB
Alexander Runte begleitet einen Abend
den Inspizienten Danny Raeder und
bekommt nicht nur einen Einblick in dessen
Arbeit, sondern auch Kunstschnee
auf den Kopf.
19.03 Uhr
Bevor es losgehen kann, muss Danny noch hoch
hinaus: über eine Leiter klettert er in den Schnürboden oberhalb der Bühne und überprüft von dort
die Technik und die Requisite. Doch bei der 109.
„Brandner“-Aufführung passt alles. Sogar die Baumstümpfe stehen diszipliniert an der richtigen Stelle.
19.33 Uhr
Ein kurzer Blick in den Zuschauerraum, dann gibt
Danny das Signal: „Los geht´s!“ – mit dem letzten
„Brandner Kaspar“ vor der Sommerpause. Während
die Jagdgesellschaft zur Musik der Riederinger über
die Bühne stapft, tanzen Danny und die Techniker
Hip-Hop-Schritte im Takt der Blasmusik.
20.05 Uhr
Im Textbuch blättert Danny eher beiläufig zu den
Stellen, an denen er Schauspieler ausrufen, die Techniker zum Umbau herzitieren oder den Beleuchter
anweisen muss: „Was das Stück betrifft, sind wir alle
schon geschädigt, wir kennen es in- und auswendig“,
sagt er. Die Honorarabrechnungen für die Gastschauspieler kann er da auch noch parallel unterschreiben.
Es bringt ihn noch nicht mal aus der Ruhe, dass es
jetzt auf uns runterschneit – die Techniker testen
nämlich den Kunstschnee auf unseren Köpfen aus.
Herzlichen Dank auch.
21.16 Uhr
Der schönste Moment bei jedem „Brandner“ ist für
Danny die Pause, denn da bekommt er eine Weißwurst. Und weil er heute Geburtstag hat, gibt es noch
einen kleinen Kuchen und ein Ständchen der
Riederinger dazu. In den jugendfreien Stellen geht es,
so viel darf man verraten, um Schnäpse, die unbedingt getrunken werden müssen.
21.20 Uhr
Die Schauspieler rotten sich um Danny und seine
Monitore zusammen. Er steuert mit einem Joystick
die Bühnenkamera über den Zuschauerraum und
das eigene Publikum hinweg. Fazit: Heute sind nur
wenige Trachtler da, die vielen hübschen Frauen
machen das aber leicht wett.
22.52 Uhr
Donnernder Applaus und Dannys letzte Amtshandlungen: Zuerst koordiniert er den Schauspielerpulk
beim Einzelapplaus, und dann, nach Ende der
Vorstellung, ruft er sein Schlusswort ins Mikrofon:
„Man sieht sich wieder!“ – der nächste „Brandner“
kommt bestimmt.
spätschicht · volksmund 2 5
LEBENSECHT
Notlandung im Kartoffelsalat und Hühnerattacke bei Oma:
Die sechs neuen Ensemblemitglieder erzählen.
FOTOS: GABRIELA NEEB
BARBARA ROMANER > ALIBI IM OHR
Ich lief nach Hause, durch Augsburg, im
Ohr „Alibi“ von David Gray. Das ist ein
Klangteppich, du läufst durch eine unglaublich schöne Landschaft aus Musik.
Ich ging extra einen Umweg nach Hause,
um es länger zu hören. Plötzlich glaubte
ich in einem Hauseingang zwei Schatten
zu erkennen, die sich auf eine komische
Weise umarmten. Ich ging näher hin und
sah einen Mann, der einer Frau die Hand
auf den Mund presste und sie an sich
zog. Die Frau wehrte sich, aber er war
stärker. In meinem Ohr entlud sich gerade bombastisch der Refrain:
Where d'it all go wrong/
My Friday night enfant/
Where d'it all go wrong/
My Friday night enfant
Bis heute weiß ich nicht warum, aber ich
ging tatsächlich hin zu den beiden, wie
von der Musik gesteuert, nahm eine
Hand des Mannes und drehte sie ihm auf
den Rücken. Es war ein Griff, den ich
vom Aikido kannte, aber ich hätte nie
gedacht, dass ich ihn anwenden kann.
Der Mann wehrte sich nicht, und so standen wir da, Sekundenbruchteile, ganz
starr und sahen uns an, die Frau und ich,
dazwischen der Mann. Dann prügelte sie
los, trat ihn und zischte: „Das geschieht
dir Recht, du Schwein!“ Ich hielt den
Mann immer noch fest, war wie in
Trance. Plötzlich ließ die Frau von ihm
ab und rannte um die Ecke. Ich stieß den
Mann weg und rannte hinterher, ohne
nachzudenken. Ich rannte wie um mein
Leben, zu „Alibi“. Ich verlor die Frau aus
den Augen, rannte immer weiter und
weiter um irgendwelche Ecken, bis ich
völlig erschöpft zusammensank. Da saß
ich nun, an die Mauer gelehnt, schnaufend, mit aufgerissenen Augen und
konnte nicht glauben, dass ich
wahrscheinlich gerade einen Überfall
oder Schlimmeres verhindert hatte. Ich
fühlte mich wie ein Held. David Gray
sang in mein Ohr, und ich weiß nicht,
wie lange ich da saß, als plötzlich jemand
an meine Schulter fasste. Ich zuckte zusammen und schrie auf, doch dann sah
ich das besorgte Gesicht eines Freundes
vor mir. Er packte mich aufs Fahrrad und
fuhr mich nach Hause, mit Musik im
Ohr: Tonight I'm running wild...
NICO HOLONICS
> ATTACKE IM STALL
Meine Oma hatte früher einen Bauernhof in Leipzig-Mölkau, einem ziemlich
ländlichen Stadtteil von Leipzig. Sie
hatte sehr viele Tiere: Rinder, Schweine,
Gänse und Hühner. Ich war übers
Wochenende oft da, spielte im Garten,
kuckte beim Melken und beim Schlachten zu. Früh am Morgen ging meine
Oma immer in den Hühnerstall, die Eier
holen. Und dann, an diesem einen
Morgen, ich war drei Jahre alt, da sollte
ich alleine die Eier da rausholen. Ich war
ungefähr zwei Hühner hoch und hatte
schon beim Reingehen die Hosen voll.
Ich kletterte auf die Stiege, auf der die
Hühner saßen, bekam das erste Ei zu
fassen und das zweite, und in diesem
Moment beschlossen die Hühner, mich
rauszujagen und stürzten sich auf mich.
Ich rannte panisch aus dem Stall und
die ganze Horde hinterher. Die Hühner
rannten mir über den gesamten Hof
nach, bis hoch zur Straße, das waren
mehrere hundert Meter, und hackten
die ganze Zeit auf mich ein. Es war
unglaublich schmerzhaft, ich schrie
wie am Spieß. Irgendwann rannte ich
meiner Oma in die Arme, die die
Hühner verjagte. Es dauerte Stunden,
bis sie wieder alle im Stall hatte.
Ich habe mich seitdem nie wieder an
Vögel rangetraut. Tauben und Hühner
sind das Schlimmste, was es für mich
an Tieren gibt. Auch Emus oder
Straußen im Zoo – entsetzlich. Spinnen,
Schlangen, Hunde, die sind mir völlig
egal. Als Zivi war ich im Herzzentrum,
sah oft tote Menschen und musste sie
in die Kühlkammer fahren, das war
überhaupt nicht eklig. Aber wenn ich
einen toten Vogel sehe, wird mir
speiübel. Ich träumte sogar eine Zeitlang davon, dass ich tote Vögel im Bett
habe. Dieses Erlebnis hat sich einfach
so eingebrannt. Ich habe auch Angst
vor diesem Flattern, diesem Geräusch.
Und trotzdem, obwohl ich Vögel so
hasse, wollte ich immer fliegen, Pilot
werden. Das ging aber nicht, weil ich
rot-grün-blind bin. Eine Dozentin auf
der Schauspielschule sagte zu mir:
Wenn du kein Pilot werden kannst,
dann kannst du nur noch auf der Bühne
fliegen. Das ist ein bisschen kitschig.
Aber es gefällt mir.
lebensecht · volksmund 7
ANDREAS TOBIAS
> KARTOFFELSALAT IM
VIER JAHRESZEITEN
Es war Mittag, und ich war bereit.
Hatte alles gepackt, die Wände meiner
alten Wohnung frisch gestrichen, Löcher
ausgebessert und überputzt. Gleich
würde der Vermieter zur Übergabe
kommen. Dann würde ich mein Auto
verkaufen, und abends war ich noch mit
einem Autoren im Hotel „Vier Jahreszeiten“ verabredet. Meine ganzen Möbel
standen schon in der neuen Wohnung in
München. Es war ein schwieriger Tag,
ich hatte sieben Jahre in Hamburg gelebt
und wollte überhaupt nicht nach München. Man verabschiedet sich von allen,
aber am Schluss stehen nicht alle Freunde da und winken. Man ist dann plötzlich alleine.
Der Vermieter ließ auf sich warten.
Ich dachte mir: Okay, dann räum’ ich
noch mein Auto aus. Ich packte alles aus
dem Handschuhfach zusammen und
warf es in die Mülltonne vor dem Haus.
Dann kam der Kofferraum dran. Alles
rein in den großen Container. Ein
großer, metallener Kasten war das,
knapp zwei Meter hoch, mit drei Klappen für den Müll. Dann tauchte der
Vermieter auf. Ich übergab ihm die Wohnung, alles super. Ich fuhr zum Hauptbahnhof, sperrte meine Tasche in ein
Schließfach und fuhr den ganzen Nachmittag in Hamburg herum. Schließlich
hatte ich ja noch Benzin im Tank.
Gegen Sechs wurde es dunkel, und ich
fuhr zum Schrotthändler. So 50 Euro
kriege ich noch, dachte ich. Es war ein
alter Ford Fiesta, rot, ich hatte ihn für
500 Euro gekauft. Er hatte vier Jahre
gehalten, mit vier Unfällen. Ein super
Auto, so eckig. Ich kam beim Schrotthändler an, legte ihm meinen Fahrzeugbrief hin und war überzeugt: Jetzt läuft
alles glatt. Schließlich war mein Zeitplan
ja schon recht eng.
Dann sagte er: „Ich brauche noch den
Fahrzeugschein.“ „Den Fahrzeugschein?“
„Ja, den Fahrzeugschein.“ „Ah! Der
war im...oh Gott.“ Der war im Handschuhfach. Und ich hatte alles weggeworfen. In nicht mal mehr einer Stunde musste ich im Hotel sein. Ich flehte
den Schrotthändler an, aber er blieb
hart. Ich hätte noch mal nach Hamburg
kommen und mein Auto ummelden
müssen, um einen neuen Fahrzeug8
volksmund · lebensecht
schein zu bekommen. Es half nichts,
ich musste zurück zum Müll. Und zwar
schnell. Ich fuhr zu meinem Haus
und fand neben dem Container einen
kleinen Tisch, den jemand entsorgt
hatte. Ich schob den Tisch an den Container, stieg darauf und räumte den
ganzen Müll raus. Alles auf die Straße.
Daneben stand ein roter VW-Bus mit
einer Großfamilie, fünf Kinder und zwei
Erwachsene, die kuckten zu. Ich immer
wieder rausgeräumt, Feuerzeug an, reingekuckt. Immer tiefer. Irgendwann war
nur noch ein halber Meter Müllschicht
drin, und ich steckte vom Kopf bis zum
Gürtel im Container, in der Klappe.
Und als ich da so drinstecke und leuchte
und leuchte, rutsche ich plötzlich mit
meinem Gürtel vom Klappenrand ab.
WOMP!
Ich falle zuerst in einen Haufen
Kartoffelsalat, der muss schon Wochen
alt gewesen sein. Dann kippt mir eine
Kiste Katzenstreu in den Nacken, natürlich auch gebraucht. Meine Füße kucken
oben aus der Klappe. Dann höre ich das
Lachen aus dem Bus und denke: Ich liebe Hamburg, und das ist der Abschluss,
oder was? Ich sollte hier nicht weg. Das
ist die Strafe. Und während ich so kopfüber im Müll liege, mache ich mein Feuerzeug an, sehe diesen schimmeligen
Kartoffelsalat und dann, vor mir, wirklich vor mir liegt: der Fahrzeugschein.
Ich kletterte aus der Mülltonne, sagte
„Hallo“ zur Familie, aber die lachte nur
und lachte. Mit fünf Kindern. Das war
peinlich. Ich räumte den Müll wieder
ein, stieg ins Auto und düste los. In der
Zwischenzeit hatte es angefangen zu
regnen, ich hatte nur ein T-Shirt an und
war total voll Müll, überall in den
Haaren und im Gesicht der Kartoffelsalat. Ich wischte mein Gesicht am
Beifahrersitz ab.
Der Schrotthändler gab mir 50 Euro
bar auf die Hand, ich rannte zur U-Bahn
und ab ins Vier Jahreszeiten. Als ich
dort ankam, war ich durchgeschwitzt,
nass vom Regen und voll Müll. Das Wasser aktivierte die Gerüche zusätzlich.
Der Autor sagte als erstes: „Sag mal,
nach was riechst du denn?“
Dann saßen wir da, aßen Canapés,
tranken unglaublich teuren Tee, den
er bezahlte, und ich erzählte ihm die
Geschichte. Ein dreckiger Abschluss.
In München würde so etwas nicht
passieren. Es ist viel zu sauber hier.
lebensecht · volksmund 9
FRIEDRICH MÜCKE >
ZUSAMMENGESCHWEISST
Zwei Wochen nach Beginn der Schauspielschule lernte ich meine Freundin
kennen. Sie war in meinem Jahrgang.
Ich zog aus der Wohnung meiner Eltern
aus und zu ihr. Einzimmerwohnung,
30 Quadratmeter für 295 Euro warm.
Ihre Bilder, ihr Regal, ihr Schrank,
ihr Bett, ihre Küche. Von mir war nichts,
nur ein paar Bücher, die ich in die
letzten Lücken ihres Bücherregals
drückte. Ich arbeitete und las im Bett,
sie am Tisch. Dann zogen unter uns erst
ein Technofreak und danach ein
Althippie ein, der laute Rockmusik hörte
und heftig kiffte. In unserem Dielenboden war ein kleines Loch, der Dunst
zog direkt zu uns hoch. Als ich ihn
im Treppenhaus ansprach, raunte er
zurück, dass er Wolle heiße und Kehlkopfkrebs habe. Wolle sah aus wie
Charles Bukowski, lange Haare, Jeansjacke, Stiefel, glasige Augen. Er fing an,
nachts bei uns zu klingeln. Wenn wir
öffneten, flüsterte er: „Ich kann nicht
mehr, ich habe nicht mehr lange zu
leben.“ Wir riefen den sozialpsychiatrischen Dienst, aber es half nichts.
Wolle kam immer wieder, vor allem
nachts. Wenn wir nicht auf sein
Klingeln reagierten, krächzte er durch
die Tür: „Ich weiß, dass ihr da seid.
Macht auf!“
Wir wollten oft da raus. Wir gingen
uns auf den Sack in der Enge. Wenn wir
stritten, musste einer raus und um den
Block gehen, weil wir keine Tür hatten,
die wir zwischen uns zumachen
konnten. Aber dann war der Streit
vorbei, und wir zogen wieder nicht um.
Als ich meinen Freunden nach einiger
Zeit von unserer gemeinsamen
Wohnung erzählte, sagten die. „Wie,
ihr wohnt da zusammen? Wie, du bist
jeden Abend da? Und beide Schauspieler? Ihr seid doch völlig ego, wie geht
das denn?“ Seitdem bin ich ein bisschen
stolz darauf. Die Wohnung hat uns
zusammengeschweißt. Wir haben
dreieinhalb Jahre zusammen gewohnt
und sind immer noch zusammen.
Jetzt bin ich nach München umgezogen.
Es ist für mich das erste Mal richtig
weg von zu Hause. Ich hoffe, das
Wohnen wird entspannter. Und ich
hoffe, meine Freundin zieht irgendwann
hierher, zu mir.
10
volksmund · lebensecht
XENIA TILING
> LI
Mein Studium in Berlin hatte gerade
angefangen, ich kam ins Foyer der
Schauspielschule, da saß ein Kommilitone völlig verzweifelt und weinte. Ich
fragte ihn, was los sei, und er erzählte,
dass eine Freundin von ihm aus dem
Studentenwohnheim, eine Musikstudentin, ihr Zimmer nicht mehr bezahlen
könne und nun auf dem Gang schlafen
müsse. Er wisse nicht, was er machen
solle, er könne ihr nicht helfen. „Kein
Problem, ich habe zwei Zimmer, eins
davon ist noch nicht eingerichtet“,
sagte ich. „Für ein paar Tage kann sie
zu mir kommen.“
Dann klingelte es irgendwann bei mir,
und vor der Tür stand Li. Li war 45 Jahre
alt, Asiatin, und hatte ein Horn, einen
kleinen Aktenkoffer und einen Notenständer bei sich, Kleidung fast keine. Li
sprach nicht wirklich Deutsch, was die
Sache nicht erleichterte. Es stellte sich
heraus, dass sie gar nicht studierte, sondern erst versuchte, sich zu bewerben.
Dafür musste sie einen Deutschtest machen. Ich bot ihr meine Hilfe an, und so
verbrachten wir die folgenden Abende
in der Küche und versuchten uns zu
unterhalten.
Ein paar Tage später kam ich nach Hause und sie stand vor meiner Wohnungstür, in einem neuen Anzug (sie trug immer Hosenanzüge). „Ich habe ein Auto
gemietet, wir fahren aufs Land“, sagte
sie. „Nee, Li, ich bin schon mit meiner
Schwester verabredet.“ „Nein, das habe
ich schon abgesagt“, sagte Li und lachte.
Sie sagte von da an meine sämtlichen
Verabredungen ab, ich saß zu Hause,
wartete auf Freunde, die kamen nicht.
Ihr Einfluss auf mein Leben war riesig
geworden. Und dann, eines Tages, stand
sie vor mir und sagte: „Ich liebe dich.“
Ich war sprachlos. „Willst du mit mir
nach Paris fahren?“, fragte sie. „Wir fahren nicht nach Paris, wir fahren nirgendwohin!“ schrie ich zurück.
Ich hielt es nicht mehr aus und schmiss
sie kurz darauf raus. Von da an bekam
ich Geschenke durch den Briefschlitz in
der Tür: Mal einen Pashminaschal, mal
ein Lamy-Füllerset. Auf meinem
Anrufbeantworter waren bis zu fünfzig
Nachrichten am Tag, ohne ein Wort,
nur manchmal ein Lachen oder Atmen.
Eines Nachts kam sie zu meinem Haus
und drückte stundenlang auf die Klingel.
Ich konnte die Klingel nicht ausschalten.
Horror.
Und dann die Krönung: Meine Mutter
kam zu Besuch. Ich war tagsüber in der
Schule und hatte den Schlüssel im Buchladen nebenan hinterlegt. Als ich das
Haus betrat, hörte ich schon von unten
meine Mutter sprechen. Ich klopfte
an der Tür, und da standen sie, in heller
Eintracht: meine Mutter und Li. Das
kann nicht wahr sein, dachte ich. Meine
Mutter sagte lächelnd: „Li hat gesagt, ihr
wärt heute verabredet und ich habe ihr
gesagt, da hat Xenia wohl was verwechselt. Aber ich habe sie jetzt zum Abendessen eingeladen.“ „Mami“, schnaufte
ich, „kannst du bitte kurz einfach in
mein Zimmer gehen, ich erzähle dir
dann gleich alles (ich hatte es meiner
Mutter nicht erzählt). Nicht jetzt einmischen und nicht zum Essen einladen
und nicht freundlich sein.“ Als meine
Mutter verschwunden war, legte sich Li
steif auf den Küchenboden und wollte
nicht aufstehen. Ich zog an ihrem Arm,
aber sie lachte und stand nicht auf.
„Okay Li, ich rufe jetzt die Polizei an“,
sagte ich. Sie glaubte mir nicht. Ich
nahm den Hörer, wählte die Nummer,
begann zu sprechen und in diesem Moment war sie weg. Ich sah sie danach
noch ein paar Mal in Neukölln, aber wir
grüßten uns nicht. Ich weiß nicht wie es
ihr geht, ich habe nie wieder von ihr
gehört.
Als ich nach München umzog, fiel mir
ein altes Passfoto in die Hände. Ich drehte es um und erschrak.
Da war sie wieder.
lebensecht · volksmund 11
Ich hatte ein Poster über dem Bett, von
John Travolta. Er steht vor einem Jet,
trägt eine Uniform, hat eine Pilotenbrille
auf und sieht gut aus. John Travolta ist
Schauspieler und Jetpilot. Das wollte ich
auch werden. Ein paar Jahre später hatte
ich es fast geschafft. Ich besuchte eine
Schauspielschule und hatte gerade meine erste Flugprüfung bestanden, für kleine Maschinen, auf dem Stuttgarter Verkehrsflughafen. Und dann das.
Der Tag fing schon komisch an. Ich steige in den Flieger, habe Freigabe vom
Tower, rolle Richtung Startbahn, ganz
vorsichtig, man muss da wahnsinnig viel
beachten auf einem Verkehrsflughafen –
und dann spricht mich über Funk auf
einmal ein anderer Pilot an. Das ist eigentlich verboten. „Spezi, schau mal in
den Rückspiegel, mir ham’s eilig!“ Rück12
volksmund · lebensecht
spiegel? Toller Witz. Ich hab’ ja gar keinen. Ich drehe mich also um, da ist plötzlich ganz knapp hinter mir in meiner
zweisitzigen Cessna ein Riesenadler von
der Lufthansa, der mich beinahe überrollt. Ich gebe Gas und hebe ab. Kurz
darauf höre ich, dass irgendwas komisch
ist mit dem Funkgerät. Es rauscht wahnsinnig, ich verstehe nur ganz wenig. Ach,
denke ich, jetzt schaltest du den Funk ab,
das macht nur nervös.
Kurz vor der geplanten Zwischenlandung in der Nähe vom Bodensee schalte
ich mein Funkgerät wieder an, stelle die
Frequenz des Towers ein und melde
mich. In meinem Kopfhörer knackst es
zurück: „Ed...ais...em...ad...aiim...ab...a.“
Ich funke, dass ich nichts verstehe. Wieder nix. Ich haue gegen das Funkgerät.
Schalte aus, schalte an, nehme den Kopf-
P R O T O K O L L E : F E L I X Z E LT N E R
STEFAN MURR > DIE NOTLANDUNG
hörer ab und versuche, über die Lautsprecher im Flieger was zu hören, aber
es ist viel zu laut. Der Flughafen kommt
immer näher. Ich funke noch einmal.
„Ne...ver...gmsk...id...aba“, hackt es zurück. Scheiße. Was jetzt? Zurück kann
ich nicht, in Stuttgart kann ich so erst
recht nicht landen, Verkehrsflughafen,
das ist komplett verboten ohne Funk.
Ich fange an zu schwitzen. Soll ich ein
Notsignal senden? Oder mache ich damit nur alle verrückt und am Ende steht
die Feuerwehr auf der Landebahn?
Mit Puls von 180 gehe ich in den Landeanflug. Halte alles genau ein, alle Höhen,
alle Richtungen, und fliege von hinten
auf einen Jet zu, der auf der Startbahn
steht. Jetzt geht mir endgültig der Arsch
auf Grundeis. Wenn der Jet startet, kurz
bevor ich reinkomme, wird’s gefährlich.
Als Kleiner sind alle großen Flugzeuge
deine Feinde. Wenn die starten, erzeugen ihre Flügel Verwirbelungen, die können ein kleines Flugzeug leicht auf den
Kopf legen. Und dann bist du hin.
Dann sehe ich, wie der Jet von der Startbahn wegrollt. Und wie die anderen
Hobbyflieger um mich herum beginnen,
hochzusteigen und Warteschleifen zu
drehen. Wegen mir.
Ich lege eine Top-Landung hin, rolle zu
einem Hangar, stelle den Flieger ab und
steige aus. Meine Knie geben nach. Ich
muss mich auf den Boden setzen. Ein
Techniker führt mich zu einem Telefon,
ich werde in den Tower zitiert und bekomme einen ordentlichen Anschiss.
Der Jet hätte nicht starten können, ihren
Flugplan hätten sie umstellen müssen,
ich hätte alles unterbrochen. Nach einer
kurzen Diskussion lassen sie mich gehen, und ich finde einen netten Bastler,
der mein Funkgerät repariert. Es war ein
Wackelkontakt, durch den ich zum Kamikazepiloten wurde. Nach einigen Testrunden über dem Flughafen darf ich
zurückfliegen nach Stuttgart.
Als ich die Cessna zurückgebe, scheiße
ich die Leute von der Flugschule zusammen, die mir den Flieger gegeben haben.
Der Schulleiter ist Lufthansapilot, Kapitän für 747-Jumbos, Langstrecke. Er sagt
nur: „Ja mei, da gibt’s viel schlimmere
Sachen. Was glaubst du, was uns schon
passiert ist auf dem Weg nach Tokyo,
Hong Kong...“
Ich setzte mich ins Auto, fuhr nach Hause, stieg auf mein Bett und hing das Poster von John Travolta ab.
WARUM GEHEN SIE EIGENTLICH
NICHT INS VOLKSTHEATER?
Immer mehr Menschen gehen ins Volkstheater. Trotzdem waren noch nicht alle Münchner da.
Acht prominente Antworten auf eine Frage.
CHARLES SCHUMANN
BARKEEPER
Weil ich gar nicht weiß, wo das Theater
ist. Aber den Volksgarten kenne ich,
vom Hörensagen und vom Vorbeiradeln. Von meinen Mitarbeitern geht der
Klaus ins Volkstheater. Und mein Sohn
geht viel ins Theater. Den muss ich mal
fragen, ob der schon im Volkstheater
war. Der ist ein echter Theaterfreak, warum weiß ich nicht, von mir hat er das
nicht. Ich gehe gar nicht ins Theater.
Das hat natürlich auch mit meiner Arbeitszeit zu tun. Wenn die Theater spielen, bin ich hier. Ich hatte auch einmal
überlegt, im Schumann’s Theater zu
machen. Der Abend hier läuft ja eh’
schon wie im Theater ab. Es findet jeden
Abend eine Vorstellung statt. Das alte
Schumann’s war eine kleine Bühne, das
neue ist ein großes Theater. Wenn man
eine Gastronomie dieser Größe macht,
ist das Sehen und Gesehenwerden ganz
wichtig. Da gibt es die Plätze, von denen
aus man sehen kann, wer raus- und reinkommt. Diese Plätze werden von den
Stammgästen vehement verteidigt. Im
Gegensatz zum Theater ist es in einer
Bar aber auch wichtig, dass es Plätze
gibt, an denen man nicht gesehen wird.
An denen man sich verstecken kann. An
denen man zu Hause ist und doch nicht
im eigenen Wohnzimmer. Früher habe
ich Plätze verteilt, war auch Platzanweiser, aber das mache ich inzwischen nicht
mehr. Ich muss dafür sorgen, dass alles
funktioniert. Das ist auch eine Art von
Regie, dass die Gäste ordentlich bedient
werden und zufrieden mit dem Abend
wieder rausgehen. Es muss auch eine
Leistung gebracht werden. Sonst ist
man alleine in seinem Theater. Wenn
ich meine Bar im Volkstheater hätte,
würde ich natürlich Bier anbieten. Und,
weil wir in München sind, dazu eine
14
volksmund 2 · warum gehen sie nicht ins volkstheater
Brotzeit. Für die jungen Leute müsste
man irgendwas mit Wodka machen. Die
saufen ja alle wie die Idioten. Oder Gin
Tonic. Da hätte man sicher Erfolg.
VERONICA FERRES
SCHAUSPIELERIN
Ich würde ja gerne ins Volkstheater gehen. Nur zu gerne. Tolle Inszenierungen, eine Theatertruppe, die für München
ganz neue Facetten der Bühnenkunst
aufzeigt. Also alles absolut viele Besuche
wert. Aber ich schaff’s leider nie. Dabei
probiere ich es jedes Mal aufs Neue.
Mache mich daheim hübsch. Nehme
meinen Mann an die Hand und sag ihm,
dass heute eh’ nichts im Fernsehen
kommt. Wir steigen ins Auto. Und dann
gehen die Probleme los. Kein Parkplatz.
Ich finde nie einen Parkplatz vor dem
Volkstheater. Also eine Runde um den
Block. Auch keiner. Noch eine Runde.
Mein Mann wird schon ungeduldig, ich
bekomme langsam schon wieder Hunger. Und die Uhr tickt. Noch eine allerletzte Runde, dieses Mal auf der anderen Seite. Wieder nichts. Ah, doch, ich
hab einen. Vor dem Löwenbräukeller.
Und ich habe Hunger vor lauter Parkplatzsuche. Also schnell noch rein in
den Biergarten, diese Art von Volkstheater als Einstimmung aufs Volkstheater.
Oh, was? Wo kommen denn die ganzen
Leute her? Wie, die Vorstellung ist
schon zu Ende? Sind wir so lange gesessen? Och. Wir haben es wieder nicht
geschafft. Der Parkplatz war schuld.
RAINER LANGHANS
68’ER-IKONE
Ich gehe überhaupt nicht ins Theater.
Ich gehe nicht mal ins Kino. Wenn man
einmal selbst so viel Theater gemacht
hat wie ich 1967/1968, dann ist man für
dieses „alte“ Theater, also das subventio-
nierte Theater, nicht mehr so recht zu
haben. Wir haben reichlich Theater gespielt früher. Das nannte sich dann Demonstration, Politik und so weiter. Das
„andere Leben“ der Kommune, das war
schon Provokation genug. Wenn du
irgendwo hinkamst, brauchtest du nur
lange Haare zu haben, und die Leute
haben mit dir Theater gespielt.
Ich weiß noch genau, wie damals Schauspieler und Künstler zu uns in die Kommune kamen und zukucken wollten,
weil es das war, was sie nicht hinkriegten. Die hatten Angst, dass wir ihnen die
Jobs wegnehmen. Die konnten ja nicht
mehr arbeiten, wenn da so wahnsinnig
gute Schauspieler Stücke aufführten,
von denen sie nur träumen konnten, die
sie nur mühsam nachstümpern konnten.
Heute ein Theaterstück anzusehen würde mich langweilen, ich fände es künstlich, zu sehr gespielt. Ich lebe mit vier
Frauen zusammen, da werden dauernd
Stücke aufgeführt. Aber die erfinden wir
jeden Tag neu, und keiner weiß vorher,
dass er sie spielen will. Das ist dramatisch, und es läuft den ganzen Tag von
selbst.Wenn es nach mir ginge, würden
in einem Volkstheater Performances
laufen, bei denen nichts vorgeschrieben
ist. Schauspieler und Publikum könnten
in einen lebendigen Austausch treten,
alles würde aus der Situation heraus
entstehen. Theater könnte Leben sein,
Wirklichkeit sein und nicht nur eine
Nische, in der sich der Bürger mal ein
paar andere Gedanken und Gefühle
kauft und von anderen Leuten vorführen lässt. Wir haben damals die Jugend
neu erfunden – ohne zu wissen, wie das
geht. Es ist entstanden, und keiner wusste, wieso und wodurch genau, weder die
Soziologen noch die Studenten. Das ist
für mich großes Theater; das ist das große, berühmte Gesamtkunstwerk.
Rainer Langhans
Rick Kavanian
Veronica Ferres
Charles Schumann
Sybille Beckenbauer
Harriet Köhler
junge riederinger musikanten · volksmund 15
HARRIET KÖHLER
SCHRIFTSTELLERIN
Es muss Sommer gegeben haben, die
heißer als der WM-Sommer waren.
Aber keiner von ihnen fühlte sich heißer an. Ich weiß noch, wie klebrig sich
die Hitze über den Königsplatz ergoss.
Wie die Schwüle über der Brienner
Straße stand. Und wie kühl mich von
dort der Volksgarten empfing, die grüne
Luft, eine schattige Hand. Ich weiß
noch, wie ich in einen der Liegestühle
sank und erst nach einem kalten Bier
in der Lage war, der Vorberichterstattung auf der Leinwand zu folgen.
Ich weiß noch, dass ich die größere
Hälfte des riesigen Burgers zurückgehen
lassen musste, als das Spiel begann und
die wachsende Nervosität meinen
Speichel metallisch schmecken ließ. Ich
weiß noch, dass ich hin und wieder den
Blick über die Liegestuhllandschaft
schweifen ließ und Menschen sah, die
allen Ernstes ins Volkstheater eilten,
um den „Brandner Kaspar“ zu sehen.
Dass ich den Kopf schüttelte und dann
wieder zur Leinwand sah, wo es doch
gerade existenziell wurde, wo sich
schon wieder ein Schicksal entschied,
wo Sein und Nichtsein nur eine
Torchance weit auseinander lagen. Kein
einziges Mal habe ich daran gedacht,
dem Theater-Publikum zu folgen. Ich
habe mich nicht einmal um einen Blick
ins Programmheft bemüht. Ich weiß
nur, dass ich mich an kaum ein Ergebnis
dieser WM erinnern kann – und man
den „Brandner Kaspar“ in dieser Saison
immer noch spielt.
RICK KAVANIAN
COMEDIAN
Ich gehe nicht ins Volktheater. Immer
wenn ich ins Volkstheater möchte, komme ich zu früh, und um die verbleibende Zeit zu überbrücken, installiere ich
mich im Volksgarten. Von dort komme
ich nicht mehr los, weil dann das legendäre Essen mein Leben bestimmt und
zwar immer so lange, bis die Vorstellung
drüben beendet ist. Der einzige Weg
also für mich, ins Volkstheater zu kommen wäre, meinen Tisch vom Volksgarten auf die Bühne des Volkstheaters zu
Gerhard Meir
Axel Berg
16
volksmund 2 · warum gehen sie nicht ins volkstheater
stellen – gewissermaßen als kleines Requisit zur laufenden Aufführung. Kann
ja wohl nicht sooooo schwer sein. Mahlzeit!
SYBILLE BECKENBAUER
EX-KAISERIN
Ich kenne die Oper, das Deutsche
Theater, das Theater am Gärtnerplatz,
das Prinzregenten-Theater und die
Komödie. Das Volkstheater kenne ich
nicht. Woran das liegt, weiß ich auch
nicht, wahrscheinlich daran, dass
ich noch nie etwas vom Volkstheater
gelesen habe. Jetzt habe ich immerhin
gehört, dass es das Volkstheater gibt.
Dann, glaube ich, werde ich auch mal
hingehen.
GERHARD MEIR
STARFRISEUR
Da muss ich gleich ein mea culpa einschieben: Ich habe die letzten 18 Jahre
von Freitagabend bis Mittwoch in
Hamburg verbracht und hatte daher
keine Berührung mit dem Volkstheater.
In Hamburg war ich sehr viel im
Theater, auch in kleinen Bühnen und
Experimentiertheatern. Mir geht es
nicht um dieses blasierte Dahin- und
Dorthingehen wegen Zadek oder Neuenfels, mich interessiert, was das Ensemble macht. Im Laden mache ich praktisch dasselbe: Meine Kunden sind die
Zuschauer, ich bin Regisseur und
Intendanz, die Mitarbeiter sind die
Darsteller. Ich gebe Empfehlungen,
manchmal bin ich auch Kartenbettler –
in Salzburg zum Beispiel habe ich inzwischen einen sehr guten Zugang
zu den Generalproben. Das Vitamin B
geht über die Schere. Ans Theater
angedockt haben mich Anneliese Friedmann, die Frau des Gründers der
Abendzeitung, und Charlotte Kerr, die
Frau von Friedrich Dürrenmatt. Das
war ganz am Anfang meiner Karriere.
Mein erstes Theaterstück war „Lulu“
mit Cornelia Froboess, 1977 in den
Kammerspielen. Früher habe ich auch
gerne im Volkstheater gesessen, aber
das ist Jahrzehnte her. Ich mag Volksbühnen gerne. Ich bin gebürtiger
Schlierseeer, da gibt’s diese traditionellen Volksbühnen auch. Eigentlich habe
ich Lust, so etwas wieder zu erleben.
Die Mundart, das echte Bayerische.
Wenn ihr ein gutes Programm habt,
bin ich sofort dabei.
P R O T O K O L L E : F E L I X Z E LT N E R , K I L I A N E N G E L S ; I L L U S T R AT I O N : B E R N D R O D E N H A U S E N
AXEL BERG
BUNDESTAGSABGEORDNETER
Ja, wann denn bitte schön? In München
muss ich doch selbst allabendlich bella
figura bei Podiumsdiskussionen, Versammlungen oder Jubiläen machen und
aufpassen, dass meine Volksreden nicht
zur Realsatire werden. Über die Hälfte
meiner Zeit sause ich durch Berlin,
Deutschland und den Rest der Welt, um
gut Wetter für München zu machen.
Und dabei habe ich nicht mal einen
Souffleur. Immerhin – zu meiner Exkulpation – war ich nicht nur lange im Vorstand des Kulturforums der Sozialdemokratie. Nein, ich bin auch Gründungsvorsitzender des Freundeskreises des
Metropoltheaters in Freimann, das auch
Volkstheater-Fans reinlässt, falls hier
mal spielfrei ist. Doch im Metropol werden Sie mich auch kaum in der Vorstellung treffen. Ich muss doch meine
Chance nutzen. Wer weiß, wie lange
meine Abgeordnetenphase geht. Jetzt ist
für mich die Zeit zu kämpfen und etwas
zu bewegen. In meiner nächsten
Lebensphase will ich dann wieder mehr
ins Theater gehen. Und warum eigentlich nicht ins Volkstheater?
» ECHT KRASSES STÜCK «
Zuschauer sagen ihre Meinung. Eine Umfrage an vier Abenden.
» DAS FEST «
SANJELA KURENJA,
SPRACHTRAININGBETREUERIN
Es hat sich einfach so ergeben, dass ich
für heute Abend Karten bekommen
habe. Ich erhoffe mir die großen Gefühle, in die man nur im Theater tief eintauchen kann: das Reale, Anfassbare, die
Interaktion zwischen Schauspielern und
Zuschauern.
ERIKA UND GERD SENT,
HAUSFRAU UND PENSIONÄR
Wir bekommen das Programmheft zugeschickt und haben so die Möglichkeit,
früher Karten zu bestellen. Die
Geschichte zum Stück hat uns interessiert und wir haben dann auch gleich
für heute Abend Karten bekommen. Das
ist das erste Mal, dass wir zu einer Premiere gehen.
UDO WACHTVEITL,
SCHAUSPIELER
Ich habe es vor vier Tagen in Wien gesehen, und da hat es mir recht gut gefallen. Deshalb schaue ich es mir heute
Abend nochmal an.
JULIAN MONATZEDER,
STUDENT
Ich studiere Theaterwissenschaften und
habe dieses Semester ein Seminar zum
„Fest“ belegt. Es ist spannend, ob es in
der Inszenierung genauso realistisch
angelegt wird wie im Film oder eben
genau nicht.
MARLENE SCHMIDT,
RENTNERIN
Ich bin ganz kurzfristig eingesprungen,
ich hatte noch nicht mal Zeit, mich auf
das Stück vorzubereiten, wie ich es
sonst immer mache, wenn ich ins Theater gehe. Denn heute stand ich den ganzen Tag auf der Terrasse und habe Steine geklopft.
THOMAS LOIBL,
SCHAUSPIELER AM
RESIDENZTHEATER
Ich bin wegen der Inszenierung von
Jorinde Dröse hier. Das, was sie bisher
gemacht hat, hat mir immer sehr gut
gefallen. Mal schauen, was sie anders
machen wird als im Film.
GERHARD SCHIFERL,
VERTRIEBSINNENDIENSTLER
BEATRICE GOSNY, HEBAMME
Beatrice hat mich heute Abend eingeladen. Eigentlich gehe ich nicht so häufig
ins Theater, aber ich glaube, ich gehe
jetzt wieder regelmäßiger, auch wenn
das ein echt krasses Stück war.
HEINZ WANITSCHEK,
CHOREOGRAF UND DOZENT
AN DER OTTO-FALCKENBERGSCHAUSPIELSCHULE
Das war eine recht spontane Entscheidung, heute Abend herzukommen.
Zum einen kenne ich die Schauspieler, zum anderen habe ich selber mal
die Choreografie bei einer Inszenierung in Nürnberg gemacht. Mir war
es aber zu flächig und zu unbrisant heute Abend.
PATRIZIUS OTZKO,
MALER UND KÜNSTLER
Eigentlich befand ich mich alkoholtrinkenderweise schon auf
dem Nachhauseweg, als ich auf
der Straße von einem Freund
angesprochen wurde, er habe
noch eine Karte übrig. Und dann
dachte ich mir: Theater, Tragik,
warum nicht?
»DER BRANDNER KASPAR
UND DAS EWIG’ LEBEN «
GEORG RIEDL, SCHÜLER
Ich hab’ das Stück im Fernsehen gesehen und das meiner Mutter erzählt.
Deshalb sind wir heute da. Das ist das
erste Mal, dass ich ins Theater gehe.
SEVERIN LEYERER, ABITURIENT
SELMA BAUSINGER,
ABITURIENTIN
Ich bin heute hier, weil meine Freundin
mich gezwungen hat. Außerdem komme ich aus der Nähe des Hauptdarstellers. Nein, im Ernst: meine Freundin hat
den „Brandner Kaspar“ schon mal gesehen und wollte ihn gerne mit mir zusammen sehen.
ERIKA AMANN
Ich habe eine sehr gute Kritik gelesen
und wollte es mir deshalb anschauen.
Bisher kannte ich nur die Inszenierung
aus dem Residenztheater und muss
sagen, es ist absolut spitze.
MORITZ DEHNER, FAHRLEHRER
Ewig lang ist es her, zwanzig Jahre oder
so, dass ich es mal im Fernsehen gesehen habe und da wollte ich es mir eben
heute nochmal anschauen.
FAMILIE LUDWIG AUS ERDING
Wir haben es bereits im März schon mal
gesehen und fanden es so toll, dass wir
es dann unseren Eltern geschenkt haben.
Insgesamt sind wir 13 Leute hier: von
den Großeltern bis zu den Enkeln.
CHRISTIAN HITSCH,
ARCHITEKT UND BILDHAUER
Ich komme aus Österreich und finde es
ganz ausgezeichnet. Immer, wenn ich in
einer anderen Stadt bin, versuche ich,
ein Stück zu sehen, das zur Stadt passt.
Und der „Brandner Kaspar“ passt
perfekt zu München.
ANITA UND NADINE KNOTT,
STUDENTIN UND
HANDELSFACHWIRTIN
Nadine war schon in der 100. Vorstellung und meinte, wenn wir sie mal besuchen, müssten wir unbedingt das
Stück sehen. Und so sind wir aus dem
Tessin für den „Brandner Kaspar“ nach
München gekommen.
18
volksmund 2 · publikumsbefragung
BERNHARD SCHRADET,
HALS-NASEN-OHREN-ARZT
Der „Brandner Kaspar“ ist eins meiner
Lieblingsstücke. Ich habe es schon in
anderen Inszenierungen gesehen, aber
hier gefällt’s mir sehr gut. Denn wenn
wir schon aus der tiefsten Provinz am
Chiemsee nach München kommen, sollte es sich auch lohnen.
» LEONCE UND LENA «
VOM BACKSTAGEKLUB DES
VOLKSTHEATERS
NADJA MICHALSKI,
MODEDESIGN-STUDENTIN
Ich schaue mir „Leonce und Lena“ an,
weil der Regisseur und ich selber mal
ein Projekt gemeinsam machen wollen.
Am Stück mag ich auch so gerne, dass
eine Welt um sich herum gebaut wird.
SOPHIE KNABNER,
SCHÜLERIN
Ich habe vor Jahren mal selbst in einer
Schulaufführung bei „Leonce und Lena“
mitgespielt. Da habe ich noch gar nicht
verstanden, worum es geht. Deswegen
schaue ich es mir heute nochmal an.
JASMIN TRUONG, SCHÜLERIN
Mich hat heute Morgen meine beste
Freundin angerufen, dass sie noch eine
Karte fürs Theater hat. Da bin ich sofort
mitgekommen. Sonst hätte ich den ganzen Tag über nur gebügelt.
JOCHEN OSTER, INGENIEUR
Ich wollte eigentlich nur eine Karte für
das Wiesenspecial vom „Brandner Kaspar“ haben. Aber beim Kauf habe ich
gesehen, dass „Leonce und Lena“ aufgeführt wird. Das hat mich interessiert, da
es auch bei mir in meiner Heimatstadt
ein tolles Schülertheater gibt.
DOMINIK BIELER, KAUFMANN
Ich bin mit einem der Darsteller
befreundet und deswegen da. Aber die
Inszenierung war auch so toll: die Jugendlichen spielten sehr gut in ihrer
Rolle und das Stück war sehr fantasievoll und präzise in der Sprache umgesetzt.
MAXIMILIAN SOMMERER
KFZ-LEHRLING
Ich habe meine Freundin begleitet, da
eine Freundin von ihr mitspielt. Mir hat
es ganz gut gefallen. Wenn ich nicht ins
Theater gegangen wäre, hätte ich heute
ferngesehen.
publikumsbefragung · volksmund 2 19
GASTSPIEL VON
» LOS POPPOS «
ULRICH ROTHBAUER,
MOLEKULARBIOLOGE
Seit Jahren schon verfolge ich die „Los
Poppos“. Das ist der fünfte Auftritt, den
ich mir heute anschaue. Sie sind einzigartig: unprätentiös, keine Profis, aber
mit intelligentem Humor. Davon
braucht das Theater mehr, finde ich.
RONNY RIETHMÜLLER,
KRANKENPFLEGER
Ich gehe heute ins Theater, weil ich eine
Freikarte bekommen habe. Aber im
Ernst: ich würde mir die „Los Poppos“
auch anschauen, wenn ich dafür zahlen
müsste.
JULIA BERKIC, PSYCHOLOGIN
Mit den „Los Poppos“ bin ich schon seit
zwölf Jahren befreundet und habe mir
auch schon gestern die Vorstellung angesehen. Ich finde es sehr lustig, aber
nicht zu albern. Außerdem mag ich solche Verwechslungsgeschichten im Stil
der fünfziger Jahre.
JOHANNES SCHOLTER,
WISSENSCHAFTSJOURNALIST
Hauptsächlich bin ich hier, weil ich die
Leute kenne, die mitspielen. Aber ich
muss sagen, ich stehe auch total drauf,
was die machen. Man merkt, dass die,
die mitspielen, selber wahnsinnig viel
Spaß haben.
KATRIN ZINDL,
MASKENBILDNERIN
Aus Vetternwirtschaft bin ich hier. Ich
bin Maskenbildnerin am Residenztheater und ein Kollege aus der Requisite
spielt hier mit. Das wollte ich mir ansehen.
Ich habe die Karte von meinen Freunden zum Geburtstag geschenkt bekommen. Sie fanden den Flyer so lustig,
dass sie sofort Karten gekauft haben.
MATHIS BUNGARTEN, SCHÜLER
Mein Vater hat vorgeschlagen, heute ins
Theater zu gehen. Es gefällt mir schon
ganz gut, besonders, dass so viel improvisiert wird.
20
volksmund 2 · publikumsbefragung
P R OT O KO L L E : A L E X A N D E R R U N T E
JÜRGEN MAYER, CONTROLLER
ELF GUTE GRÜNDE, INS VOLKSTHEATER ZU GEHEN – DAS REPERTOIRE
Frank Wedekind
Patrick Süskind
FRÜHLINGS ERWACHEN
DER KONTRABASS
Worum geht’s?
Melchior schwängert seine Klassenkameradin Wendla und fliegt von der
Schule.
Worum geht’s wirklich?
Um große Gefühle und die Nöte der
Pubertät.
Warum hingehen?
Wedekinds hundert Jahre altes Stück
ganz aktuell!
Kurt Wilhelm/Franz von Kobell
Worum geht’s?
Die Hassliebe eines Kontrabassisten zu
seinem Instrument, das ihn sowohl im
Orchester als auch im Leben selbst in
die hintere Reihe zu zwingen scheint.
Worum geht’s wirklich?
Um Midlife-Crisis, zertrümmerte Lebensträume und den Aufbruch zum
Ausbruch.
Warum hingehen?
Nikolaus Paryla in seiner Paraderolle.
Seit mehr als 25 Jahren!
DER BRANDER KASPAR UND
DAS EWIG’ LEBEN
William Shakespeare
Worum geht’s?
Der Brandner Kaspar überlistet den
Tod, schwindelt ihm 18 Lebensjahre ab
und will dann schließlich doch in den
Himmel.
Worum geht’s wirklich?
Um Diesseits und Jenseits, und dass
sich die beiden zum Verwechseln ähnlich sind.
Warum hingehen?
Eine einmalige Gelegenheit, bereits zu
Lebzeiten einen Blick in den Himmel
der Bayern zu werfen!
VIEL LÄRM UM NICHTS
Edward Albee
William Shakespeare
DIE ZIEGE
ODER WER IST SYLVIA?
EIN SOMMERNACHTSTRAUM
Worum geht’s?
Ein Star-Architekt verliebt sich in eine
Ziege.
Worum geht’s wirklich?
Um eine zwanzigjährige Ehe.
Warum hingehen?
Eine großartige Komödie – auch für
Leute, die noch nicht zwanzig Jahre
verheiratet sind.
Georg Büchner
WOYZECK
Worum geht’s?
Eifersuchtsmord im Soldatenmilieu:
Als Franz Woyzeck erfährt, dass seine
Freundin Marie ihn betrügt, bringt er
sie um.
Worum geht’s wirklich?
Um die Frage: Was ist der Mensch?
Warum hingehen?
Die neue Deutung von Büchners Klassiker – nicht nur für Schulklassen.
Worum geht’s?
Hero und Claudio wollen unbedingt
heiraten, aber die Hochzeit wird vereitelt, Beatrice und Benedick geben vor,
sich zu hassen, heiraten dann aber
doch.
Worum geht’s wirklich?
Um viel Lärm um nichts.
Warum hingehen?
Temperamentvolle Inszenierung der
Komödie über die Irrungen und Wirrungen der Liebe.
Worum geht’s?
Lysander und Demetrius lieben Hermia. Den einen will sie, den anderen
soll sie heiraten. Vor der Zwangsheirat
flüchtet das Liebespaar in den Wald,
gefolgt vom verschmähten Bräutigam
Demetrius und der in ihn verliebten
Helena, von der niemand etwas wissen
will. Im Wald spielen dann plötzlich
die Gefühle verrückt und nichts ist
mehr, wie es vorher war.
Worum geht’s wirklich?
Um die Unzuverlässigkeit der Liebe.
Warum hingehen?
Die erfolgreichste Komödie aller Zeiten!
Bertolt Brecht
BAAL
Worum geht’s?
Der Künstler Baal frisst, säuft, hurt und
mordet. Und schreibt dabei noch Gedichte.
Worum geht’s wirklich?
Darum, dass man alles haben kann,
wenn man nur bereit ist, dafür zu bezahlen.
Warum hingehen?
Inszenierung des Altmeisters Hans
Neuenfels.
Thomas Vinterberg/Mogens Rukov
DAS FEST
Worum geht’s?
Helge feiert seinen sechzigsten
Geburtstag. Alle sind eingeladen. Das
Fest verläuft fröhlich, bis sein Sohn
Christian eine Tischrede hält.
Worum geht’s wirklich?
Um die dunklen Geheimnisse und Abgründe einer Familie.
Warum hingehen?
Der berühmte Dogma-Film auf der
Bühne!
Franz Molnár
LILIOM
Worum geht’s?
Der Hallodri Liliom heiratet das Dienstmädchen Julie, verliert seinen Job,
stirbt bei einem Raubüberfall und
kommt nach 16 Jahren im Fegefeuer
noch einmal auf die Welt zurück, um
zu zeigen, dass aus ihm ein besserer
Mensch geworden ist.
Worum geht’s wirklich?
Darum, dass die Liebe stärker ist als
der Tod.
Warum hingehen:
Märchenhafte Tragikomödie und
himmlischer Klassiker der Volkstheaterliteratur.
Darja Stocker
NACHTBLIND
Worum geht’s?
Leyla steckt in einer schwierigen Situation: Ihr Freund kann nicht zwischen
Liebe und Gewalt unterscheiden, bei
ihr Zuhause bricht die Familie auseinander.
Worum geht’s wirklich?
Befreiungsschläge tun weh, lohnen
sich aber.
Warum hingehen?
Um unsere Schauspieler auf der Kleinen Bühne hautnah zu erleben!
repertoire · volksmund 2 21
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volksmund 2 · riedering trifft gern
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riedering trifft gern · volksmund 2 23
Maximilian Brückner, Christoph
Süß und Philipp Lahm
Christoph Süß: Maxi, der Philipp kommt
gerade vom Training. Wie weit ist körperliche Fitness in deinem Beruf wichtig?
Maximilian Brückner: Ich mache viel
Sport, ich gehe Gleitschirmfliegen, Kajaken, Kitesurfen und im Winter Telemarken. Ich bin da nicht so der typische
Künstler.
Süß: Machst du das freiwillig oder weil
du es für den Beruf brauchst?
Brückner: Es passt einfach gut zusammen. Im Theater muss ich auch beweglich sein, zum Beispiel in meiner Rolle
beim „Brandner Kaspar“. Für meine
nächste Rolle muss ich aber abnehmen,
obwohl ich eigentlich gar nichts dran
habe. Aber der Film spielt am Ende des
19. Jahrhunderts, und meine Bäckchen
sind dafür zu dick.
Philipp Lahm: Da bin ich ja mal
gespannt, wie du das schaffst.
Süß: Es gibt ja bei Prominenten die berühmte Kokaindiät.
Brückner: Kokaindiät? Da muss ich leider passen. Für nichts auf der Welt.
Süß: Also kein Doping?
Brückner: Ich trinke gerne mal ein Bier.
Lahm: Das ist ja Doping.
Brückner: Jemand hat mir mal gesagt,
Kokain würde die Nerven stärken, aber
ich habe einfach viel zu viel Angst davor.
Ich mach’ halt immer nur das, was erlaubt ist.
Süß: Du bist einfach noch nicht alt genug.
Brückner: Wahrscheinlich, aber wieso
sollte ich mir Ärger einhandeln, wo doch
jeder weiß, dass es nicht gut ist und abhängig macht? Beim Bier merkst du am
24
volksmund 2 · riedering trifft gern
nächsten Tag wenn es zu viel war, und
dann reicht es dir wieder eine Zeit lang.
Das ist der Vorteil.
Süß: Doping gibt es beim Radsport, in
der Leichtathletik – aber beim Fußball
nicht, oder?
Lahm: Mit Sicherheit auch, da wurden ja
schon einige erwischt.
Süß: Was? Es gibt Doping im Fußball?
Lahm: Aber natürlich nicht bei uns.
Süß: Natürlich nicht.
Lahm: In jeder Sportart gibt es Doping,
aber für mich ist das kein Thema.
Süß: Darfst du in Interviews eigentlich
noch alles sagen?
Lahm: Ob ich alles sagen darf?
Süß: In deiner Position, darf man da
noch richtig frei sprechen?
Lahm: Nein!
Süß: Wo sind die Einschränkungen? Wo
springt der Manager dazwischen?
Lahm: Man darf nie etwas Negatives
über Mitspieler, den Trainer und das
Management sagen. Meiner Meinung
nach muss auch nicht immer alles in der
Öffentlichkeit ausgetragen werden.
Süß: Aber schränkt dich das nicht ein,
dass du so vorsichtig sein musst? Die
Journalisten wollen dich ja aufs Glatteis
führen und dann die Schlagzeile haben:
„Philipp Lahm sagt über...“
Lahm: Man wächst da mit rein. Am Anfang, als „Shootingstar“ sozusagen, da
kamen bei mir nicht viele gefährliche
Fragen, aber wenn es mal nicht so gut
läuft, muss ich schon aufpassen.
Süß: Bist du in deinem Beruf als Fußballer auch Schauspieler? Oder bist du da
immer ganz natürlich, immer du selbst?
Lahm: Ich glaube, das meiste, was bei
den Interviews auf den Bildschirmen
rüberkommt, bin ich. Ich finde es
schwer, mich vor Kameras zu verstellen.
Süß: Kommen wir noch einmal zur körperlichen Fitness und der Schauspielerei. Maxi, den Sport machst du ja zum
Spaß, aber gibt es auch ein ständiges
Training, das du als Schauspieler machen musst?
Brückner: Dadurch, dass ich auf dem
Land aufgewachsen bin, war ich eigentlich immer körperlich relativ fit, das war
für mich nie eine Frage.
Süß: Also hast du keinen Coach, zu dem
du regelmäßig gehst und trainierst?
Brückner: Ich bräuchte einen Coach,
damit ich mal meine Drehbücher lerne.
Süß: Du bist textlernfaul?
Brückner: Ja. Manchmal bin ich wirklich
eine faule Sau. Es ist Wahnsinn, mit was
ich manchmal so durchkomme. Aber
dann bin ich auch wieder sehr ehrgeizig.
Ich habe mir das ja erarbeiten müssen
und bekomme einen Haufen Geld für
meine Arbeit. Daher möchte ich es auch
sauber machen. Aber manchmal ist man
halt faul.
Lahm: Das kenne ich auch.
Süß: Ja, sogar ich. Zur Schauspielerei im
Fußball: Faulen, sich im Elfmeterraum
fallen lassen – übt ihr so was?
Lahm: Nein.
Süß: Ist das so eine Frage, die du mit
Nein beantworten musst?
Lahm: Nein, das üben wir wirklich nicht.
Süß: Das muss man also so können, quasi ein Naturtalent mitbringen.
Lahm: Das macht ja auch nicht jeder.
Süß: Also mir hat mal einer gesagt: „Wir
trainieren Fouls.“
Lahm: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, dass man Fouls und Schwalben
trainiert, das gibt es nicht.
Süß: Und Schiedsrichter ablenken? Einer ruft „Senta Berger!“ und der Schiedsrichter sagt „Wo?“ und schaut weg – übt
man so was nicht?
Brückner: Senta Berger?
Süß: Da schauen die Deutschen immer
noch.
Brückner: Also ich weiß nicht, die Senta
Berger ist nicht schlecht, aber...
Süß: Das hängt natürlich von Geschlecht
und Neigung ab.
Lahm: Man kann sich bestimmt bald im
Vorfeld eines Spiels im Internet über die
Neigungen des Schiedsrichters informieren.
Süß: Ist dir auf dem Fußballplatz eigentlich immer bewusst, dass da die Fernsehkameras die ganze Zeit zuschauen?
Lahm: Nein.
Süß: Vergisst man das völlig?
Lahm: Nein, nicht völlig, man kriegt ja
Riedering trifft Gern.
Einfach Süß.
auch die Fans mit, zum Beispiel am 22.
August im Wembleystadion gegen England. Da haben die deutschen Fans eine
super Stimmung gemacht, obwohl es
nur ein paar tausend waren.
Süß: Befallen dich da nicht manchmal
auch Selbstzweifel und du denkst dir:
Mann, die jubeln da jetzt alle und erwarten von mir Mordswunderwas, und ich
bringe das heute gar nicht?
Lahm: Selbstzweifel gibt es nie, aber
natürlich hat man bessere und schlechtere Tage. Gerade beim FC Bayern ist der
Druck immer enorm hoch. Bei mir war
es bestimmt gut, dass ich schon mit elf
oder zwölf Jahren zum FC Bayern in die
Jugend gewechselt bin. Sogar da war es
schon so, dass man jedes Spiel gewinnen
musste. Natürlich ist der Druck jetzt
ganz anders als damals mit 13, aber ich
bin damit aufgewachsen, immer Leistung bringen zu müssen.
Süß: Du bist also schon seit du 13 bist
darauf gebürstet, immer der Erste zu
sein. Was passiert, wenn das mal so
nicht ist? Wenn ihr mal verliert?
26
volksmund 2 · riedering trifft gern
Lahm: Wenn ich ein Spiel verliere, habe
ich keine große Lust, danach noch
irgendwas zu machen. Ich habe schlechte Laune.
Süß: Wer kriegt das ab?
Lahm: Keiner. Keiner!
Brückner: Ein einsamer Schrei in der
Wohnung.
Lahm: Na ja, meistens ist meine Freundin mit dabei. Aber ich pflaume sie dann
nicht an, sondern ärgere mich einfach,
bin ruhig und schaue fern.
Süß: Und die weiß dann auch: Heute
lassen wir den Philipp einfach mal in
Ruhe, der hat heute verloren.
Lahm: Ja. Das weiß die ganze Familie.
Süß: Ist es schwierig, in deiner Position
eine Beziehung zu führen?
Lahm: Eine Beziehung zu führen ist
nicht schwieriger als bei anderen. Eine
Beziehung zu finden ist viel schwieriger,
weil man eben schon aufpassen muss.
Es gibt viele, die kommen, weil man in
der Öffentlichkeit steht, Geld hat und die
eher darauf schauen als auf die Person
Philipp.
Süß: Maxi, hegst du auch so ein generelles Misstrauen, wenn dich eine Frau anspricht? Früher hätte man sich gefreut,
jetzt sagt man: Ach, schon wieder eine.
Brückner: Wenn ich früher auf eine abgegangen bin, bin ich meistens erfolglos
zurückgekehrt. Jetzt ist das anders, die
sagen: „Du bist doch der Schauspieler!“
Aber es ist ganz komisch, manchmal
nervt mich das und dann will ich nicht
mehr. Die besten Menschen lerne ich
meistens über andere Umstände kennen.
Lahm: Ich weiß auch nicht, ob das mit
Geld zu tun hat. Auch in anderen Berufen ist es so: Wenn ein Mann Erfolg hat,
ist das für Frauen anziehend.
Süß: In welchem Moment bist du vom
Prominenzlevel her in die erste Liga aufgestiegen?
Lahm: Das war das Heimspiel Stuttgart
gegen Manchester United in der Champions League. Man merkt dann, dass
man jetzt Bundesligaspieler ist, dass man
jetzt Profi ist.
Süß: Woran merkt man das genau?
Lahm: Dass man in so einem Spiel von
Anfang an spielt. Ich bin 2003 als 19jähriger Amateurspieler nach Stuttgart
gekommen und hatte erst zwei oder drei
Bundesligaspiele von Anfang an
gemacht, als das Spiel gegen Manchester
United kam. Stuttgart hatte lange nicht
mehr in der Champions League gespielt
und nun ging es ausgerechnet gegen
Manchester United, eine der besten
Mannschaften weltweit. Das Spiel kam
ganz groß im Fernsehen, und wir gewannen. Nach dem Spiel wurde ich auf den
Straßen in Stuttgart erkannt.
Süß: War das angenehm oder eher unangenehm, als zum ersten Mal die Leute
auf der Straße riefen: „Schau, da ist der
Philipp Lahm!“
Lahm: Angenehm natürlich. Da würde
jeder lügen, der sagt, es wäre nicht so.
Am Anfang ist das toll, da freut man
sich. Vor allem als 19-Jähriger.
Süß: Maxi, wie ist das bei dir, wenn du
erkannt wirst?
Brückner: Anfangs freut man sich, das
war genauso wie beim Philipp.
Süß: Wenn man nicht erkannt wird,
heißt das, man macht seinen Job
schlecht?
Brückner: Beim Fußball gilt, je besser du
bist, desto mehr wirst du erkannt, desto
mehr bist du im Fernsehen und bei guten Spielen dabei. Genauso ist es beim
Drehen. Bei dir, Philipp, ist das natürlich
extremer, du bist da wirklich noch mal
mindestens zwei Ligen über mir, du bist
vor allem international wesentlich bekannter.
Süß: Fußball ist ja auch wichtiger!
Lahm: Sozusagen...
Brückner: Ja, aber irgendwann wird es
einfach zuviel, man kommt nicht mehr
zur Ruhe. Gerade daheim, wenn ich mit
einem Freund irgendwo hingehe und
einfach mal ratschen will, kommt alle
fünf Minuten jemand daher.
Lahm: Ja, das kenne ich.
Süß: Was tut man da dagegen?
Brückner: Verstecken!
Lahm: Es ist einfach schwer. Was ich
nicht mag, ist, während des Essens angesprochen und gestört zu werden. Das
kann ich überhaupt nicht haben.
Süß: Warum? Weil Essen so sexy ist?
Lahm: Nein, das hat mit Anstand zu tun,
beim Essen stört man einfach nicht.
Süß: Kann man dann nur noch in FünfSterne-Läden gehen, wo nur Fußballer
und Schauspieler sitzen und man weiß:
Andere können sich das gar nicht leisten, da spricht mich sicher keiner an?
Lahm: Nein, ich gehe in solche Läden
nicht. Bei mir am Gärtnerplatz gibt es
viele Orte, wo ich mich draußen
hinsetzen kann und da passiert nichts.
Süß: Ist das so eine Art Börse, wo man
seinen Marktwert einschätzen kann – je
öfter ich erkannt werde, desto mehr
kann ich bei der nächsten Gagenverhandlung verlangen? Nach dem Motto:
„Für das Geld? Mit Maximilian Brückner
nicht mehr!“
Brückner: Die Frage ist, ob das Erkannt
werden unbedingt mit Qualität zu tun
hat. Es gibt viele Schauspieler, die bekannt sind und die ich nicht für
besonders talentiert halte.
Süß: Kannst du Namen nennen?
Brückner: Maximilian Brückner.
Süß: Schön!
Brückner: Das beste Beispiel ist doch
Paris Hilton. Die ist prominent dafür,
reich zu sein. Jeder macht auf einmal
alles. Das Tolle beim Fußball ist, dass die
Spieler an ihre wirklichen Grenzen gehen.
Süß: Du meinst, beim Fußball kann man
schlecht was vortäuschen?
Brückner: Ja, man kann nicht vortäuschen, dass man wirklich gut spielt. Das
ist in der Filmbranche anders. Die Leute
wollen teilweise verarscht werden.
Süß: Philipp, gab es – bevor du bekannt
wurdest – Momente in deinem Leben, in
denen Leute gesagt haben: „Der schafft
das nie. Schau dir den doch mal an! Vielleicht wenn er drei Meter größer wäre,
aber doch nicht so!“
Lahm: Klar gab es das, genügend gab es
das. Wenn ich an meine Jugend zurückdenke, war ich immer einer der kleinsten. Die Jugendnationalmannschaft war
kein Thema für mich, da war ich immer
zu klein, zu schmächtig. Viele haben
gesagt: „Der schafft es nicht.“
Süß: Wenn du diese Leute jetzt triffst,
sagst du denen dann: „Du hast doch damals gesagt, ich wäre zu klein...“ und
freust dich?
Lahm: Natürlich trifft man Leute von
früher, und manchmal ist das schon
schön zu sehen, wie freundlich die auf
einmal sind. Aber es gibt viele Leute, die
mehr mit einem zu tun haben wollen,
zum Beispiel wenn man abends weggeht.
Süß: Maxi, funktioniert das bei dir auch
so?
Brückner: Ja, aber die Genugtuung liegt
schon einfach in diesem Freundlichsein,
da muss ich niemandem was reindrü-
cken. Ich habe immer noch viele gute
alte Freunde, die sehr ehrlich sind und
mich immer wieder auf den Boden zurückholen, indem sie sagen: „Es ist schon
super, wie das bei dir läuft, aber das ist
halt auch nicht alles.“ Und die Leute, die
sich dann auf einmal melden, na ja, da
bin ich einfach höflich und denke mir,
die sollen mich nicht mal für ein Arschloch halten können.
Lahm: Genauso soll es sein.
Süß: Maxi, du sagst, deine Freunde sind
dir wichtig, deine Heimat ist dir wichtig.
Gleichzeitig ist das aber auch eine Art
Marketingstrategie, oder? Denn wenn
man etwas über dich liest, liest man genau das.
Brückner: Am Anfang bin ich ausgelacht
worden, wenn ich gesagt habe: „Ich
komm’ vom Land, ich komm’ von da
draußen und mag das gerne.“ Für manch
einen mag sich das heute wie eine Marketingstrategie anhören – aber das war
von Anfang an mein Ding. Ich kann sehr
wohl akzentfrei Hochdeutsch sprechen,
aber ich spreche einfach gern Bayerisch.
Man merkt natürlich, dass die Leute da
auf einmal darauf anspringen. Aber soll
Stadtsparkasse.
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P H ILIPP LA H M wurde 1983 in
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gegen Costa Rica das erste Tor der
Fußball-WM 2006 und spielte als
einziger deutscher Spieler alle WMSpiele über die vollen 90 Minuten.
MAXIMILIA N B RÜ CKN ER wurde
1979 in München geboren. Bekannt
geworden durch seine Rollen am
Münchner Volkstheater, erhielt er 2006
den Bayerischen Kunstförderpreis in
der Sparte Darstellende Kunst. 2007
wurde er auf der Berlinale zum deutschen „Shooting Star des europäischen
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1999 das wöchentliche Polit- und Satiremagazin „Quer“ im Bayerischen Fernsehen. Seit 2006 unterhält er sich regelmäßig mit hochkarätigen Gästen aus
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„SüßStoff – Die Late-Night im Münchner Volkstheater“ über aktuelle Themen.
28
volksmund 2 · riedering trifft gern
ich das jetzt deswegen verleugnen?
Das wäre ja bescheuert. Wenn jemand
behauptet, dass das eine reine
Marketingstrategie ist, ist mir das eigentlich scheißegal.
Süß: Philipp, bei dir ist das ja nicht ganz
unähnlich. Wir haben lauter internationale Fußballstars und dann kommt da so
ein Junge aus Gern, der es nach oben
geschafft hat. Das wurde ja auch zu einer
Art Verkaufsstory. Nimmst du das genauso wahr wie der Maxi?
Lahm: Genauso, ja. Da muss ich ihm
Recht geben. Man wird gefragt: „Wie
bist du zum Fußball gekommen, wo ist
deine Familie her?“ Dann erzähle ich, wo
ich herkomme, dass ich trotzdem noch
oft bei Gern im alten Verein bin. Wenn
das so ist, kann ich es auch erzählen,
aber ich werde dadurch auch immer
wieder danach gefragt.
Süß: Die halten dich bestimmt für einen
Gott, die Jugendlichen in Gern.
Lahm: Nicht für einen Gott, für die Jüngeren bin ich aber schon ein Vorbild. Für
die Älteren, für die Freunde meiner Eltern eher nicht, die kennen mich von
klein auf und für die bin ich immer noch
der Philipp von früher.
Süß: Da kommt man nie raus.
Lahm: Nein, da kommt man nie raus.
Das ist aber sehr angenehm.
Süß: Maxi, wann warst du zuletzt auf
dem Fußballplatz?
Brückner: Vor ein paar Wochen, beim
Spiel Jungbauernschaft gegen die Feuerwehr und den Trachtenverein. Ich war
beim Trachtenverein, wir haben komplett verloren, aber es war total lustig.
Süß: Philipp, was war dein letztes Theaterstück?
Lahm: „The Rat Pack“ im Deutschen
Theater.
Süß: Und war’s gut?
Lahm: Sehr gut.
Süß: Maxi, gibt es Momente, in denen
du denkst: Schauspieler sein ist ganz
schön, aber eigentlich wäre ich lieber
Fußballer geworden?
Brückner: Das Problem ist, dass ich total
unbegabt bin. Ich spiele gerne, aber ich
kann alleine vor dem Tor stehen und
schieße mit Sicherheit vorbei.
Süß: Ja, aber vom gesellschaftlichen Status her gesehen wirst du als Schauspieler
zwar überallhin eingeladen, aber der
Bundespräsident küsst dich nicht.
Brückner: Ich glaube, ich würde lieber
einen spielen. Ich kann in meinem Beruf
immer alles sein, das ist es, was ich total
gern mag daran.
Süß: In deinem ersten Film hast du einen Fußballer gespielt.
Brückner: Genau, da habe ich einen
schwulen Torwart gespielt.
Lahm: Nee!
Brückner: Doch. Das war mein erster
Film und ich dachte: Wow, die erste
Hauptrolle, jetzt werde ich ein Mädchenschwarm! Ich habe dann schon
geschluckt, als ich das Drehbuch las. Ich
kenne ja auch einige, die schwul sind –
aber es ist schon eigenartig, wenn man
dann das erste Mal küssen muss.
Lahm: Aber du hast es überstanden.
Brückner: Bei der Premiere in Rosenheim ist bestimmt die Hälfte in Tracht
ins Kino gegangen und ich hatte im Vorfeld nichts über meine Rolle gesagt. Bei
der Kussszene war Totenstille, danach
waren alle begeistert.
Süß: Schwule Fußballer gibt es übrigens
nicht, oder?
Lahm: Mit Sicherheit.
Süß: Verdammt! Ich dachte, es gibt im
Fußball weder Doping noch Schwule.
Lahm: Vielleicht schwule Fußballer, die
dopen?
Süß: Gibt es bei dir Momente, in denen
du denkst, du wärst lieber Schauspieler
geworden?
Lahm: Nein, weil ich nicht so gerne vor
der Kamera stehe.
Süß: Ehrlich nicht?
Lahm: Wir haben ja auch öfters Fotoshootings und Drehs, aber das Warten
und so, das ist nichts für mich.
Süß: Eine echte Quälerei.
Lahm: Das ist harte Arbeit, daran bin ich
einfach nicht gewöhnt.
Süß: So, jetzt machen wir noch Fotos.
Lahm: Ja, ich brauche unbedingt noch
Fotos für die Mutter meiner Freundin.
Fotografin: Von dir?
Lahm: Nein, vom Maxi.
Brückner: Du brauchst Fotos von mir?
Lahm: Ja, klar.
Brückner: Echt?
Lahm: Die sagt immer: Der ist ja so sympathisch.
Süß: Das sind halt Blender, diese Schauspieler.
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volks
theater
Radikal gemütlich:
Was ist nur mit der Jugend los?
»DIE JUGEND BEKOMMT EINE
NEUE BEDEUTUNG «
FOTO: GABRIELA NEEB
Einser im Zeugnis, Urlaub mit Mama
und Bausparvertrag in der Tasche – wie radikal ist die Jugend noch?
Wir haben den Jugendforscher Prof. Claus J. Tully gefragt.
Volksmund: Warum ist die Jugend nicht
mehr radikal?
Prof. Claus J. Tully: Die Jugend ist radikal, und zwar grundsätzlich. Die Jugend
will immer etwas anderes, die Jugend
will immer eine Gesellschaft, die ihre
eigene Handschrift trägt. Jugendliche
haben einen anderen Stil, andere Moden, hören andere Musik und besuchen
andere Theaterstücke als die Älteren. Es
gibt unterschiedliche Geschmacksmuster. Würden die Jugendlichen nur das
tun, was die Erwachsenen wollen, dann
würde es immer die gleiche Gesellschaft
geben, sie würde sich reproduzieren.
Aber warum wird dann behauptet, dass
die Jugend radikal sein soll und es nicht
ist?
Dieses Urteil kommt vor allem aus der
Ecke der Alt-68’er. Die haben damals
sehr grundsätzlich mit all dem gebrochen, was die Generation vorher für gut,
wichtig und lebenswert betrachtet hat.
Das ist ein spezifisch deutsches Phänomen, es hängt zusammen mit dem politischen Hintergrund der Nachkriegsperiode und mit der Aufarbeitung der Zeit
des Faschismus. Dieser radikale Bruch,
diese komplette Distanzierung zu allem
was vorher war, ist bei den nachfolgenden Generationen nicht mehr in dieser
Form aufgetreten.
Seit wann gibt es die Jugend, wie wir sie
heute kennen?
Vor den 1950er Jahren hat es so etwas
wie Jugend nicht gegeben. Früher gab es
junge Erwachsene, also junge Menschen,
die gekleidet waren wie Erwachsene, die
die gleiche Musik hörten wie Erwachsene und die agierten wie Erwachsene.
Selbst die Phase der Kindheit – das kann
man auf Bildern von höfischen Szenen
gut sehen – ist geleugnet worden, indem
man die Kinder in die Kleider von Erwachsenen gesteckt und sie zu kleinen
Erwachsenen stilisiert hat. Erst mit dem
Rock’n’Roll kam so etwas wie eine eigenständige Jugendkultur auf. Da gab es
dann eigene Kleidung, die Jeans, den
Petticoat und all diese Dinge, und das
wurde auch öffentlich wahrgenommen.
Heute ist das ein ganz normales Bild,
dass Jugendliche sich anders kleiden,
andere Musik hören, zum Teil fürchterliche Musik, wie ich jetzt als Erwachsener
sage.
Sind die Jugendlichen von heute konservativer als früher?
Nein. Sie sind höchstens wertkonservativ, in dem Sinne, dass sie einfach pragmatischer sein müssen, als es vorige Generationen waren. Die 68’er hatten das
Glück, dass sie die Gesellschaft kritisieren konnten und trotzdem einen Job
bekamen. Die jetzigen Jugendlichen sind
angepasst und bemühen sich, bekommen aber trotzdem keinen.
Kann man sich als junger Mensch heute
überhaupt noch von den Älteren abnabeln?
Die Generation vorher hatte es natürlich
leichter. Dazu kommt, dass sich die Phase Ausbildung-Geldverdienen-Verselbständigen heute ewig in die Länge zieht.
Die Jugendphase franst nach hinten aus,
aus Amerika stammt der Begriff der
„Floundering period“ – eine Phase, in der
man zappelt wie eine Flunder. Der
durchschnittliche Jugendliche geht heute
mit etwa Neunzehneinhalb in die Ausbildung, ist mit 23 fertig, dann fällt er aus
dem ganzen System raus und macht
vielleicht Praktika oder soziale Dienste,
bis er dann mit etwa 25 einen Job findet.
Ihm fehlt das Einkommen, mit dem er
eine eigenständige Existenz begründen
könnte. Dadurch bleibt er finanziell
letztlich immer von der Familie abhängig, und es ist für ihn sehr schwer, sich
abzunabeln. Die Familie erlebt zurzeit
eine ziemliche Aufwertung gegenüber
früher, und das hat auch damit zu tun,
dass Abhängigkeiten, von denen man
dachte sie seien historisch überwunden,
doch letztlich länger andauern.
Wie wird sich die Jugend weiterentwickeln?
In Zukunft wird die Gesellschaft viel
mehr als heute auf die Jugendlichen angewiesen sein. Man wird genau
hinschauen, ob die Jungen willens und
in der Lage sind, die Alten zu finanzieren. Also bekommt die Jugend eine neue
Bedeutung. Dafür, der Gesellschaft ihre
Handschrift zu verpassen, werden die
Jugendlichen – anders als vor vierzig
Jahren – nicht mehr kämpfen müssen.
Prof. a. V. Dr. habil.
Claus J. Tully forscht
am Deutschen
Jugendinstitut (DJI)
in München. Das DJI
ist das bundesweit
größte außeruniversitäre Forschungsinstitut in Sachen Kinder,
Jugend und Familie. Mit Prof. Tully
sprachen Kilian Engels und Felix Zeltner.
Das Festival Radikal jung am Münchner
Volkstheater fördert jedes Jahr junge
Theaterregisseure aus ganz Deutschland,
das nächste Mal Ende April 2008.
radikal jung · volksmund 2 31
32
volksmund 2 · schuhplatteln
Da schau her, wie der Franz aus
Riedering springen kann!
Auf geht’s
Buam!
Eine Einführung in die hohe Kunst
des Schuhplattelns.
Platteln, äh, blättern Sie bitte um.
T E X T : J O S E F S TA B E R S E N I O R
FOTOS: GABRIELA NEEB
schuhplatteln · volksmund 2 33
Schuhplattler Franz Staber, Mitglied
des Trachtenvereins „GTEV Almengrün
Riedering“ und Mitglied der jungen
Riederinger Musikanten.
Anfangs- bzw. Grundstellung. Kurz vor
Anstoß mit dem rechten Fuß. Auf korrekte Hand- und Armstellung achten.
Attraktiver Zwischenpatscher. Oberschenkel steht schon bereit für den
nächsten Normalaufschlag.
34
volksmund 2 · schuhplatteln
Mit lachendem Gesicht g’scheit dreinschlagen, das ist das Richtige. Knieund Oberschenkel sind hoch, auch hier
auf Hand- und Armstellung achten.
Etwas gefährlicher hinterer Parallelschlag. Die Handinnenfläche muss auf
die breite Vorderfußfläche treffen.
Auf gerade Haltung achten.
Einer der leichteren hinteren
Kreuzschläge.
Vordere Überschläge. Knie und Oberschenkel sind wieder sehr hoch,
dadurch kann der Plattler schön aufrecht stehen. Achtung: Den Überschlag kann
man mit der linken oder mit der rechten Hand ausführen.
Das so genannte „Aussespringa“. Die Fußspitze muss Augenhöhe erreichen.
Wenn der Schlag danach gut hörbar ist und die Landung klappt, ist alles perfekt.
schuhplatteln · volksmund 2 35
DER FACHMANN
FÜRS KATHOLISCHE
Oberammergau, Israel, Salzburg und zurück:
Intendant Christian Stückl über sein Leben zwischen Katholizismus
und Theater und die Schwierigkeit, Glauben zu inszenieren
FOTOS: GABRIELA NEEB
SALZBURG 2007
JEDERMANN
Diesen Sommer kehrte ich nach zweijähriger Pause nach Salzburg zurück, um
mir dort meinen „Jedermann“, den ich
2002 inszeniert hatte, wieder vorzunehmen. Peter Simonischek, der Darsteller
des Jedermann, musste sich plötzlich
noch einmal ganz neu auf das Stück einlassen, dass ihm seit fünf Jahren auf seinen großen Leib (195 cm) gewachsen
war. Es machte Spaß, den Schuldknecht
über die Bühne zu jagen, mit der neuen
Buhlschaft Marie Bäumer (der Uschi im
„Schuh des Manitu“) über die Festtafel
zu robben und mit Sven-Eric Bechtolf,
der in diesem Jahr das erste Mal den
Teufel übernahm, eine ganz neue Figur
zu entwickeln. Mit großer Spielfreude
gingen wir an die Wiederaufnahmeproben, und wie jedes Jahr stockten wir an
der gleichen Stelle und zermarterten uns
die Köpfe mit den Fragen: Wie erzählt
man am Schluss des Stückes, nachdem
der Protagonist erfahren hat, dass er
sterben muss, die Bekehrung des Jedermann? Wie erzählt man seine plötzliche
Erkenntnis, dass er an den eigentlichen
Dingen des Lebens vorbeigeschrammt
ist? Wie erzählt man seine Reue und wie
seinen plötzlich erwachten Glauben an
Jesus und die Auferstehung?
Wieder mussten wir erkennen,
dass diese Stelle im Stück die schwierigste ist. Diesen Sommer trieb ich Simonischeck in die direkte Auseinandersetzung mit Gott (Peter Fitz) und Teufel.
Gab es im letzten Jahr noch die Vermittlerin, im Stück wird sie der „Glaube“
genannt, so musste er in diesem Jahr
direkt und ohne Anwalt vor den Richterstuhl Gottes. Der Teufel spielte den
Staatsanwalt, der die Höchststrafe forderte: ewiges Schmoren in der Hölle.
Vielleicht kamen wir diesen Sommer der
Antwort ein kleines Stück näher, viel36
volksmund 2 · der fachmann fürs katholische
leicht bleiben an dieser Stelle ein großes
Fragezeichen und der grausame schwarze Sarg. Vielleicht können wir uns das
Ende nie ganz erklären.
Als ich 2001 vom damaligen
Schauspielchef und jetzigen Intendanten
der Salzburger Festspiele, Jürgen Flimm,
den Auftrag erhielt, eine Neuinszenierung des „Jedermann“ vorzunehmen,
stellte ich ihm die Frage: „Warum ich?“
Flimm, der im Jahr zuvor das von mir
neu inszenierte Passionsspiel gesehen
hatte, antwortete kurz: „Du bist der Fachmann fürs Katholische!“ Damals musste
ich lachen, und doch dachte ich mir: Hat
er Recht?
OBERAMMERGAU 1970
MEIN ERSTER PASSIONSSOMMER
Ich war gerade acht Jahre alt und in der
zweiten Klasse. Damals bekam ich von
den Bühnenarbeitern im Passionstheater
den Beinamen „Bühnenschreck“. Zu
Recht! Es gab keinen Winkel im Theater,
den ich nicht kannte, es gab keinen
Spieltag, den ich nicht im Theater ver-
Zu Hause in Oberammergau:
Christian Stückl
bracht hätte. Eingeteilt war ich zu den
Szenen „Einzug in Jerusalem“ und in
den lebenden Bildern „Manna“ und
„Trauben“, zwei Bildern, die von der vierzigjährigen Wanderung der Israeliten
durch die Wüste erzählen. Doch in kürzester Zeit hatte ich mich in mehrere
andere Bilder selbst hineininszeniert.
Für jede Szene hatte ich mir ein eigenes
Kostüm besorgt. Immer wieder wurde
ich vom damaligen Spielleiter P. gerügt,
und immer wieder stand ich in einem
neuen Bild. Irgendwann riss Herrn P.
die Hutschnur und ich bekam eine Watschen. Mit großer Empörung trat ich in
die elterliche Küche und verkündete:
„Wenn ich Spielleiter bin, dann zahl’ ich
es dem Herrn P. zurück.“ Sehr früh also
gab es in mir – allerdings aus niederen
Beweggründen – den Wunsch, „Spielleiter“ zu werden. Das Wort Regisseur
kannte ich noch nicht. Der Regisseur
hieß in Oberammergau Spielleiter. Theater war für mich das Passionsspiel und
das Passionsspiel war Theater. Die Rollen, die es zu besetzen gab, waren der
Bei den „Jedermann“Vorstellungen immer ausverkauft:
Der Domplatz zu Salzburg
Vom jungen Christian Stückl
zu neuem Leben erweckt:
Die Karfreitagsratschen
Das Wahrzeichen von
Oberammergau: Der Kofel
Jesus, der Judas, die Maria und der Kaiphas. Kaiphas zu werden war mein zweiter großer Berufswunsch. Der Hohepriester war früher einmal die größte Rolle, in
den Jahren 1950 und 1960 hatte sie mein
Großvater inne, nun mein Vater. Ich betrachtete diese Rolle wie einen Erbbauernhof. Spätestens 1990 würde ich ihn
selber spielen. So dachte ich mit acht.
Aufwachsend in einer Gaststätte,
der „Rose“, erlebte ich das Passionsspiel
fast 24 Stunden täglich. Nach den Proben saßen die Spieler am Stammtisch.
Schon damals wurde viel und heftig
über das Wie und Was gestritten. Mitten
unter den Spielern saß ich mit meiner
Limo. Um den Küchenherd herum rezitierten mein Vater und mein Großvater
(er spielte 1970 den König Herodes) ihre
Texte. Oft hörte ich es aus der Toilette
hallen: „Es ist besser, dass ein Mensch
stirbt, als dass das ganze Volk zugrunde
geht!“ Mein Vater saß dort und lernte
seinen Text.
Mit zwölf Jahren hatte ich bereits
eine kleine Sammlung von Bildbänden
und Textbüchern vergangener Passionsdekaden, hörte täglich auf meinem kleinen Plastikplattenspieler die Passionsmusik des Herrn Rochus Dedler und
löcherte meinen Großvater mit der in
den siebziger Jahren heftig diskutierten
Frage, wie antisemitisch das Passionsspiel sei. Was antisemitisch bedeutet,
war mir natürlich nicht klar, ich merkte
aber wohl, dass mein Opa diese Frage
nicht mochte.
Mit 13 inszenierte ich dann selbst.
Zur jährlichen Weihnachtsfeier des
Trachtenvereins führte ich ein selbst
zusammengeschustertes Krippenspiel
auf. Das erste Mal besetzte ich nun die
Rolle der Maria und des Jesus. Die Rolle
des Jesus bekam eine Puppe meiner
Schwester. Die Kostüme schneiderte ich
selbst. Um dies tun zu können, musste
ich eine Woche lang die Schule schwänzen – eine katholische, das Gymnasium
der Benediktiner in Ettal, von dem ich
dann verwiesen wurde. Das Engelsgewand entwendete ich aus dem Oberammergauer Kirchenspeicher. Wir hatten
damals einen wunderbaren, alten Mesner, den „Niggl“ (Nikolaus). Er war es,
der mich in meinen zweiten Lieblingsspielplatz neben dem Passionstheater
einführte. Er zeigte mir, wie früher einmal im Hochaltar der Ölberg und die
Auferstehung inszeniert wurden. Mit
einer großartigen Bühnenmaschinerie,
angetrieben von Seilzügen, hatte man
Wolken auseinander gefahren, Palmen
verschoben, einen Engel mit Kelch hereinwackeln und Jesus in den Himmel
auffahren lassen. Immer wenn Niggl in
der Kirche arbeitete, war auch ich dort.
Bald auch ohne ihn – ich hatte sein
Schlüsselversteck ausgemacht.
Eines Tages fand ich im Kirchenspeicher große Glaskugeln, in deren Inneren sich tausende toter Fliegen gesammelt hatten. Dahinter fand ich ein altes
Gemälde mit einer Darstellung des Leichnams Jesu, dahinter alte Holzlatten, einen Rahmen, Vorhänge, Schrauben: das
Heilige Grab. Auch eine alte Holzkiste
mit einer Kurbel fand ich: eine Karfreitagsratsche. Ich war fasziniert. Sofort lief
ich hinab in die Kirche und lies mir von
Niggl erklären, zu was all diese Herrlichkeiten zu gebrauchen waren. Und dann
startete ich meine zweite Inszenierung:
Die Karwoche, inszeniert in unserer Kirche. In der Küche meiner Eltern säuberte
ich die Glaskugeln. Meinem Vater graute
es vor den vielen toten Fliegen. Ich baute
mit einem Freund die Holzrahmen zusammen, reinigte den toten Christus von
Spinnweben und die Karfreitagsratsche
kopierten wir gleich vier Mal. Ohne den
Pfarrer einzuweihen, verhängten wir am
Karfreitag die Kirchenfenster, füllten die
Glaskugeln mit bunter Eierfarbe, stellten
Kerzen dahinter, bauten das Grab auf
und drapierten ein Leintuch hinein. Und
dann, bei der Feier der Karfreitagsliturgie, unter den Klängen der Passionsmusik von Rochus Dedler, schoben wir das
Bild mit dem toten Jesus in das Grab.
Dann der Höhepunkt: Wir liefen in den
Kirchturm, kurbelten mit aller Kraft unsere Karfreitagsratschen und waren hoch
erfreut, als alle Kirchenbesucher, die aus
dem Gottesdienst kamen, stehen blieben
und völlig überrascht von dem Höllenlärm, den wir veranstalteten, nach oben
blickten.
Es blieb nicht bei dieser einen Inszenierung einer Liturgiefeier. Ab diesem
Zeitpunkt war ich inszenierender Hilfsmessner. Fortan kümmerte ich mich um
die Gestaltung der Osternacht, des
Pfingstfestes, und über alles liebte ich es,
die Fronleichnamsprozession mit meinen
Ideen aufzupeppen. Meine protestantische Oma freute sich über einen so frommen Enkel und wollte mich auch in die
evangelische Messe mitnehmen. Einmal
ging ich mit. Wie langweilig, dachte ich
mir! Ein unattraktiv gekleideter Pfarrer,
der viel zu lange und viel zu viel spricht,
kein Weihrauch, keine Mozart- oder
Haydnmessen, keine Fahnen, keine Monstranz. Nur eine große Ödnis. Von diesem
Augenblick an wusste ich, ich bin katholisch! Katholisch aus Liebe zur großen
Inszenierung, katholisch aus Liebe zum
Theatralischen. Kurz dachte ich sogar:
Jetzt werde ich Pfarrer, inszenierender
Pfarrer! Doch später kam ich zu meinem
ersten Berufswunsch zurück – Spielleiter.
OBERAMMERGAU 1986
BEWERBUNG ZUM SPIELLEITER
Mit gerade einmal 24 Jahren bewarb ich
mich um die Leitung der Passionsspiele
1990. Mit neun zu acht Stimmen wählte
mich der Gemeinderat zum jüngsten
Spielleiter, den es bis dahin in Oberammergau gegeben hatte.
In der Zwischenzeit hatte ich viel
übers Theater gelernt. Mit meiner Theatergruppe, die ich mit etwa 18 Jahren
gegründet hatte, führte ich im Gasthaus
meiner Eltern, im Kino oder im Kurgästehaus von Oberammergau Stücke von
Molière, Shakespeare und Büchner auf.
Darüber hinaus hatte ich eine Regieassistenz bei Dieter Dorns „Faust“ hinter mir.
Besonders an diese Inszenierung erinneder fachmann fürs katholische · volksmund 2 39
re ich mich bis heute. Oft stellte ich mir
die Frage, was uns die Glocken noch bedeuten, die uns zur Osternacht rufen.
Kann man Engel oder gar Gott auf der
Bühne darstellen? Wie ein großes Monster beherrschte Maria die Szenerie, und
unter ihrem Rock hauste Mephisto. Dorn
hatte an meinem bis dahin sehr naiven
Bild des Katholizismus gerührt.
Nun aber mein erstes Passionsspiel. Die eigentliche und größte Auseinandersetzung mit meiner katholischen
Prägung begann. Bewacht von einem
katholischen Professor, den Kardinal
Wetter mir zur Seite stellte, bewacht
von unserem damaligen Pfarrer, einem
heutigen Weihbischof, bewacht von der
Gruppierung um den Altspielleiter, die
jegliche Veränderung am traditionellen
Spiel verhindern wollte, machte ich
mich im Jahr 1987 an die Textbearbeitung. Die größte Herausforderung sah
ich darin, das Spiel von allen antisemitischen Tendenzen zu reinigen. Zwei jüdische Organisationen aus Amerika hatten dies seit den sechziger Jahren immer
wieder gefordert. Nun konnte ich mit
dem Begriff, den mir mein Großvater
nicht wirklich erklären wollte, umgehen. Plötzlich sah ich mich von katholischen, evangelischen und jüdischen
Theologen umringt. Schmerzlich erfuhr
ich in dieser Zeit, wie ein Glauben an
die „una sancta ecclesia“, an die eine,
heilige Kirche es verhindern kann, mit
den anderen Religionen in einen Dialog
zu treten. Ich musste erkennen, dass die
uralte Tradition der Passionsspiele auch
im Alten Testament auf Spurensuche
gehe. Bis heute lässt mich diese Suche
nicht los.
eine genauso alte Tradition der Verurteilung nach sich zog, die in dem Satz gipfelte: Die bösen Juden haben unseren
(christlichen) Gott gemordet.
ISRAEL 1989
SPURENSUCHE
In dieser Zeit reiste ich das erste Mal mit
einer Gruppe von Theologen und Darstellern nach Israel. Auf der Spurensuche
nach Jesus, den wir uns auf der Bühne
darzustellen vorgenommen hatten, erfuhren wir, wie sehr jener Jude war, wie
stark eingebettet in ein jüdisches Umfeld
er lebte und agierte. Nie ging er sonntags
in eine Kirche. Er hatte weder eine Erstkommunion noch firmte ihn ein Bischof.
Er wusste von solchen Bräuchen nicht
einmal – es gab sie ja noch nicht. Er vielmehr ging am Sabbat in die Synagoge,
wurde nach seiner Geburt beschnitten
und hatte mit zwölf Jahren, wie jeder
jüdische Junge, seine Bar Mitzvah. Als er
mit 33 Jahren ans Kreuz genagelt wurde,
betete er wie viele in Not geratene Juden
den 22. Psalm. Sein Abendmahl war keine Vorabendmesse – er feierte mit seinen
Freunden ein Passahmahl.
Damals fragten wir uns, ob Jesus
die Gründung einer katholischen Kirche,
die ihn verehrt, überhaupt wollte. Fragen
über Fragen. Viele unserer Erfahrungen
flossen damals in die Darstellung der
Geschichte mit ein. Nach dieser Zeit war
ich plötzlich ein Katholik, der sich seiner
jüdischen Wurzeln sehr bewusst war, ich
wusste, dass ich unsere katholische Geschichte nur verstehen kann, wenn ich
2000 BIS HEUTE
DIE PASSION GEHT WEITER
Im Sommer 2005 inszenierte ich mit
vielen Ammergauern die Geschichte des
großen jüdischen Königs David. In diesem Sommer agierten über fünfhundert
Darsteller, Sänger und Musiker in meiner Inszenierung von Stefan Zweigs
„Jeremias“ auf der Bühne des Passionstheaters. In vielen Sätzen des alttestamentarischen Propheten, den der JesusDarsteller von 2000, Martin Norz, spielte, hörten wir Worte, wie wir sie auch
aus dem neuen Testament kennen. Immer mehr verbinden sich die großen
Erzählungen der Bibel und ergeben ein
Ganzes. Eine Spurensuche, die sich wirklich rentiert hat.
2010 werde ich wieder die
Passionsspiele machen und weitersuchen. Im nächsten Sommer werden erneut die Kinder Jerusalems ihre Schafe
über die Passionsbühne treiben und Jeremias vor dem Untergang warnen. Und
ein weiteres Mal werden Peter Simonischek und ich in Salzburg versuchen,
den letzten Dingen des Lebens auf die
Spur zu kommen. Vielleicht findet die
aber nur der „Brandner Kaspar“ im
Volkstheater... Irgendwie bin ich eben
doch der Fachmann fürs Katholische.
Christian Stückl eröffnet mit Schillers
„Don Karlos“ die Spielzeit 2007/08.
Bühnenspektakel…
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CHRISTIAN STÜCKL INSZENIERT
JEREMIAS
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„MARTIN NORZ ALS JEREMIAS
BEGEISTERT ALS SCHMÄCHTIGER MANN
DES VOLKES, DER MIT DER MÄCHTIGEN
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FOTO: ELMER BATTERS, © 2006 TASCHEN GMBH, ELMER BATTERS ESTATE, HOHENZOLLERNRING 53, D-50672 KÖLN, WWW.TASCHEN.COM
Münchner Volkstheater GmbH
Theater der Stadt München
Brienner Str. 50 am Stiglmaierplatz
80333 München
www.muenchner-volkstheater.de
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VON WILLIAM SHAKESPEARE
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REGIE: CHRISTIAN STÜCKL
BÜHNE UND KOSTÜME: CHRISTOF HETZER
MUSIK: MARKUS ZWINK
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Fegefeuer in
Ingolstadt
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von Marieluise Fleißer
Regie: Jorinde Dröse
Bühne: Julia Scholz
Kostüme: Britta Leonhardt
Premiere:
25. Januar 05
Plakatprotest · volksmund 2 43
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Pro: Verwirrungen der Liebe, Zwillingspaare. Gibt es ein schöneres Bild zu
diesem Thema?
Contra: Was wir wollen? Ist doch klar,
eine seriöse Auseinandersetzung mit der
Inszenierung und keine Fantasien
älterer Herren.
Pro: Okay, ein Frosch am Kreuz zur
Weihnachtszeit verletzt religiöse Gefühle. Aber die Hölle, die in einem
brennt, muss man doch zeigen dürfen.
Contra: Methan ist einer der größten
CO2-Killer, das wollten wir einfach nicht
fördern.
Pro: Eine vermeintlich private Liebesbeziehung erhält hier auf dramatische
Weise gesellschaftliche Relevanz.
Contra: Die bekannteste Liebesgeschichte der Welt in Zusammenhang mit dem
größten Massenmörder der Welt zu
bringen, war uns dann doch zu heiß.
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Pro: Wird er sie kriegen, ist dies Teil
einer Intrige? Dies fragt man sich sofort.
Exakt, doppelbödig, shakespearesk.
Contra: Bei genauerer Betrachtung und
Hinterfragung des Motivs sehen wir
hier nur puren SEX!
Pro: Der öffentlichen Verfall ehemaliger
Jugendidole berührt tief und macht das
Thema erlebbar.
Contra: Wer die Faltencremes von Uschi
Glas benutzt, hat für die Lacher nicht zu
sorgen.
Pro: Die selbstverständliche Haltung, die
dieser junge Mann einnimmt, entspricht
vollkommen der Figur des Baal.
Contra: Sieht aus wie ein Penis, nur viel
kleiner...
volksmund 2 · Plakatprotest
ZWEI VOLKSREIME VON
SIBYLLE BERG
gedicht 1
gedicht 2
Zwei Tiere sitzen Nachts am Bach
und rechnen ihre Spesen nach
die Therapie ist viel zu teuer
mir ist der Kerl eh nicht geheuer
ich soll in meinem Innern wühlen
nach tief verborgenen Gefühlen
sagt Tapirmann zu Tapirfrau,
die hört ihn nicht, denn sie ist blau.
Der Mann er weint still in sich rein
wo kann er Mann denn nur noch sein.
Wir brauchen Zeit für unsre Liebe.
Sagt sie, und gibt ihm ein paar Hiebe.
Sie sehen hier den Alfred Meier
hat jeden Tag die gleiche Leier:
Er steht um 8 in seinem Laden.
Verkauft an Angler alte Maden.
Nach Hause geht er in der Nacht
dort wird noch schnell ein Brot gemacht.
Das isst er auf und schaut gen Himmel
und denkt sich – hab ich einen Fimmel.
Die Arbeit mach ich um zu leben
doch Leben kann’s so keines geben.
Und müde liegt der Meier dann
schaut in der Nacht die Tränen an,
die aus seinen Augen fallen
und kann auch leise nur noch lallen
lieber Gott ich bitt dich sehr
gib mir schnell mehr Freizeit her.
Der Gott ist grade Urlaub machen
und kümmert sich um andre Sachen.
Tieftraurig schläft der Meier ein
im Traum da kann er ein Playboy sein.
Dann wacht er auf und es ist grau
dem Meier wird schon morgens flau.
Doch am Wochenende dann,
wenn der Meier leben kann
liegt er im Bett und ihm ist kalt
er spürt – nun wird er langsam alt.
Kann sich kein anderes Leben denken
und prüft an Haken sich zu henken.
Er läuft um Häuserblocks herum,
das wird ihm auch recht flott zu dumm.
Er freut sich auf den Montag dann
wo er zu seinen Maden kann.
Dann kommt der Höhepunkt im Jahr
Herr Meier reist nach Sansibar.
Liegt dort im Bett und schwimmt im Meer
das langweilt ihn doch furchtbar sehr.
So wird der Meier immer älter
die Raucherbeine immer kälter.
Eines Tages ist er tot
mit ihm vorbei die ganze Not.
In seiner Wohnung findet man
sehr viele Fotos irgendwann
da ist der Meier drauf zu sehn
beim um die Häuserblocks drumgehn,
beim Baden in diversen Meeren,
beim Gähnen in so vielen Sphären.
Die Fotos landen auf dem Müll
der Meier liegt auch endlich stüll
verwest recht fein und ihm ist klar
dass Leben nur ein Irrtum war.
Komm lass uns doch zusammen reisen
zu einem fernen, netten Land.
Spezielle Kleidung, gute Speisen
dort sitzen wir dann Hand in Hand.
Wir könnten uns analysieren
so macht man das heut unter Tieren.
Wir finden unsere Schwächen raus
und tragen die Konflikte aus.
Viel zu schön ist das jetzt hier
mein lieber Mann drum sag ich dir
lass uns mal schnell in Süden fahren
dort werden wir uns wieder paaren.
Mal los, sagt da schnell Tapir Meier
denn unter uns, ihn jucken die Eier
sie düsen flugs in einen Club
mit einem integrierten Pub.
Der Tapir jeden Abend blau
Frau Meier sagt: nimm dies du Sau
so schlagen sich die Tapirs sehr
an Paaren denkt da keiner mehr
die Nase Bruch, die Augen rot
am Ende da sind beide tot
und bitter ist auch ihnen klar
dass das ein super Urlaub war.
Die Gedichte sind Exklusivbeiträge von
Sibylle Berg für den Volksmund.
Gemeinsam mit Wiglaf Droste tritt sie am
24.11.2007 im Volkstheater auf.
Gedichte · volksmund 2 45
WAS
IST
DEIN
GRÖSSTER
ALPTRAUM?
Gastschauspieler
des Volkstheaters
verraten, was ihnen am
meisten Angst macht.
FOTOS: GABRIELA NEEB
HUBERT SCHMID
NICHOLAS REINKE
Den ganzen Tag in einem Büro arbeiten
zu müssen.
Buttermilch.
spielt in „Der Brandner Kaspar und das
ewig’ Leben“
spielt in „Viel Lärm um nichts“, „Frühlings Erwachen“, „Woyzeck“, „Liliom“ und
„Baal“
BETTINA SCHWARZ
LUDWIG BLOCHBERGER
DIRK BENDER
Ich habe Angst, blind zu werden.
Mehlmotten im Müsli...
Aus dem Alptraum nicht mehr zu
erwachen.
spielt in „Frühlings Erwachen“
spielt in „Baal“
spielt in „Viel Lärm um nichts“,
„Frühlings Erwachen“ und „Das Fest“
46
volksmund 2 · dein größter alptraum
ANNE BOMMER
PETER MITTERRUTZNER
INES SCHILLER
Wenn ich mein Leben lang Fernbeziehungen führen müsste.
Seelisch zu erblinden.
Als Huhn in einer Legebatterie wiedergeboren zu werden.
spielt in „Das Fest“
spielt in „Der Brandner Kaspar und das
ewig’ Leben“
CHRISTIAN SCHNELLER
JUNGE RIEDERINGER MUSIKANTEN
Kein Alptraum ist so schlimm,
dass man ihn nicht weglachen könnte.
Versehentlich beim „Musikantenstadl“ oder bei den „Wirtshausmusikanten“ mitzuspielen.
spielt in „Don Karlos“
spielen in „Der Brandner Kaspar und das ewig’ Leben“
spielt in „Liliom“
dein größter alptraum · volksmund 2 47
HANS SCHULER
THOMAS KYLAU
TOBIAS VAN DIEKEN
Mein schlimmster Alptraum ist bereits
Realität: Ein Innenminister, der die
Methoden der Staatssicherheit
einführt, eine Bundeskanzlerin, die in
Russland Demonstrationsfreiheit einfordert und in Heiligendamm Protestierende verhaften lässt, Industriekonzerne, wie Monsanto und BASF, die auf
einem stillen Wege der grünen Gentechnik den Boden bereiten wollen,
einen Bundeslandwirtschaftsminister,
der nichts dagegen tut, Gesetze, die
nach Verbrechern benannt werden,
Politiker, die dem Klimawandel durch
das Abdecken von Gletschern mit weißen Planen entgegenwirken und neue
Braunkohlekraftwerke in Betrieb nehmen, Großkonzerne, die unablässig an
der Wiedereinführung der Sklaverei
arbeiten, und ein Volk, das handytelefonierend und wohlstandsbebaucht
durch die Welt stolpert und das alles
goutiert. Und das verstärkte Auftreten
des Coloradokäfers.
Alpträume kenne ich eigentlich nicht.
Alles Unmögliche scheint mir möglich.
Ich bin nie überrascht und doch fürchte
ich mich nie. Übliche Angstträume beende ich selbst. Ich fliege hoch und
weg, oder sage zu mir: Wach einfach
auf! Das ist doch nur ein Traum! Mein
Schauspieler-Angsttraum ist stets derselbe: Der Intendant aus Verden/Aller
sagt jedesmal: „Bei mir kannst du sofort
immer spielen!“ Und dann steh’ ich auf
einer Wirtshausbühne, soll irgendwas
ad hoc übernehmen, bin völlig
ahnungslos, weiß keinen Text, improvisiere schweißgebadet, die Kollegen sind
längst von der Szene verschwunden
und der Vorhang fällt – schrecklich.
Dann aber bricht ein Toben los im Zuschauerraum, ein Applaus wie sonst
nur in Arenen. Der Intendant und die
Kollegen in den Kulissen heben die
Hände zum Plafond und rufen begeistert: „Die nächste Saison ist wieder
gerettet!“ Das kann ich nun auch nicht
als Alptraum bezeichnen.
Ersticken durch Ertrinken
Am vergangenen Sonntag ist der junge,
charismatische Schauspieler Tobias van
Dieken im bayerischen Obing tödlich
verunglückt. Zeugenberichten zufolge
hatte er sich zu weit in die Moorgründe
des Griessee vorgewagt. Jeder Rettungsversuch kam zu spät. Van Dieken stand
mit dem Film „Lukas Podolski - Mein
Leben“ kurz vor dem internationalen
Durchbruch. Die Trauerfeier findet im
engsten Familienkreis statt.
spielt in „Der Brandner Kaspar und
das ewig’ Leben“
48
volksmund 2 · dein größter alptraum
spielt in „Viel Lärm um nichts“
spielt in „Viel Lärm um Nichts“ und „Der
Brandner Kaspar und das ewig’ Leben“
LEOPOLD HORNUNG
WERNER HAINDL
KATHARINA HAINDL
Mit Werner Haindl auf der Bühne zu
stehen, der mich schon vier Jahre als
Lehrer auf der Theaterakademie
genervt hat.
Noch einmal mit Leopold Hornung auf
der Bühne zu stehen, der mich schon
vier Jahre als Schüler auf der Theaterakademie genervt hat.
Zu realisieren, dass der Alptraum wahr
ist und die Wirklichkeit ein Traum war.
spielt in „Viel Lärm um nichts“,
„Woyzeck“ und „Das Fest“
spielt in „Das Fest“
KATHRIN VON STEINBURG
MICHAEL GUNN
KARIN WERNER
Wenn Alpträume Realität werden.
To be denied freedom in any way....!
Ein Alptraum ist ein Alptraum ist ein
Alptraum.
spielt in „Der Brandner Kaspar und das
ewig' Leben“
spielt in „Das Fest“
spielt in „Das Fest“
spielt in „Baal“
dein größter alptraum · volksmund 2 49
TRAUMROLLE
Was wärst du gerne für einen Tag?
Das Ensemble des Volkstheaters gibt Auskunft
FOTOS: GABRIELA NEEB
50
volksmund 2 · traumrolle
Benjamin Mährlein > Angela Merkel
Markus Brandl > Pumuckl
Samstag, 6.00 Uhr: Ich wache auf. Neben mir liegt
Joachim im Bett und schnarcht. Ich bin Angela
Merkel, ich kann es nicht glauben. Schnell aufstehen, bevor er aufwacht. Ich mache den Schrank
auf, eine Auswahl von korrekten Unterwäsche-Sets
erwartet mich. Damit habe ich nicht gerechnet.
Halt, noch schnell unter die Dusche. Ich reinige
meinen erstaunlich weiblichen Körper, springe in
die Klamotten, richte meine Haare und rufe den
Chauffeur. Rudi heißt er. Rudi holt mich ab und
bringt mich zum Bundeskanzlerinnenamt.
8.00 Uhr: Ich bin im Büro. Mein Sekretär bringt
die Tagesdispo. So viele Leute treffe ich sonst in
einem Jahr. Zur Entspannung höre ich mir „Angie“
von den Stones an.
Kurz vor 10 Uhr: Gleich ist die Aufzeichnung für
meinen nächsten Video-Podcast. Noch schnell in
die Maske, die Ansprache habe ich schon von meinem Korrektor Korrektur lesen lassen. Ich bin
aufgeregt, aber verstecke meine Nervosität. Mit
gefalteten Händen, die sich hin und wieder mal
öffnen, und einem leicht erhöhten Puls spreche
ich vor der Kamera über die Lage der Nation.
12.00 Uhr: Das Ding ist im Kasten. Joachim
schickt eine SMS: „Bis heute abend! Klassik zum
Kuscheln, habe die Karten!“ Ich sitze etwas erschöpft in meinem Büro und denke daran, dass ich
jetzt gerne eine Fahrt ins Grüne machen würde...
*
Ich schrecke hoch und starre auf die Uhr. 14 Uhr!
Ich bin für zwei Stunden zusammengesunken.
Zum Glück hat mich keiner gesehen. Ich hole meinen Blutdruckmesser aus dem Schreibtisch, aber
es scheint alles okay zu sein. Verdammt, ich habe
das Mittagessen verschlafen. Hoffentlich hat die
Kantine noch offen. Ich fahre mit dem Fahrstuhl
hinunter und bekomme noch eine lauwarme
Forelle mit Kartoffelecken. In der Uckermark
hat es mir besser geschmeckt.
19.30 Uhr: Joachim ruft mich an, in einer halben
Stunde beginnt das Konzert. Rudi fährt mich in
die Philharmonie. Joachim wartet mit einem
Strauß Rosen auf mich. Süß!
20.00 Uhr: Haydn. Die Berliner Symphoniker geben alles, Joachim ist ganz in seinem Element.
22.30 Uhr: Das Konzert ist zu Ende, Joachim ist
ziemlich gut drauf. Wir lassen uns nach Hause
fahren, trinken noch einen kleinen Prosecco und
ich sage: „Ich würde jetzt gerne schlafen. Ich habe
einen harten Tag hinter mir und bin sehr, sehr
müde.“ Joachim kann das gar nicht verstehen, ich
spüre seine Hand auf meinem Knie. Oh Gott, die
Blumen, die Klassik und der Wein, ich weiß was er
will. Ich sage, dass ich noch kurz ins Bad muss,
schließe mich ein und warte...
0.00 Uhr: Vorbei! Ein Tag Merkel ist genug für den
Rest meines Lebens.
Ich würde schon am Tag vor der Verwandlung
ins Flugzeug steigen und nach Washington
fliegen. Dann würde ich vor dem Weißen
Haus warten, bis ich Pumuckl bin, mich unsichtbar machen und reinmarschieren. Und
dann würde ich George W. Bush einen ganzen
Tag lang ärgern. Wenn er aufsteht, verstecke
ich alle seine Unterhosen. Wenn er ins Bad
geht, verstecke ich die Zahnbürste. Wenn er
sich anzieht, streue ich ihm Juckpulver in den
Nacken. Wenn er im Büro seine Akten liest,
lasse ich den Kaffee drüber kippen. Wenn er
eine ernste Rede zur Lage der Nation hält,
kitzele ich ihn, bis er einen Lachanfall
bekommt. Und die ganze Zeit über ziehe ich
ihn immer wieder an den Hoden, immer wieder, bis er völlig ausrastet, und flüstere dabei:
„Unterschreib das Kyoto-Protokoll! Zieh deine
Truppen aus dem Irak ab!“ P.S.: Wenn ich das
Flugzeug nach Washington verpassen sollte,
besuche ich Christian Stückl. Ich mache mich
unsichtbar, warte, bis er über die nächste
Spielzeit nachdenkt, klettere auf seine Schulter und flüstere ihm ins Ohr: „Brandl – Hamlet! Brandl – Hamlet!“
traumrolle · volksmund 2 51
Timur Isik > Zauberer
Gabriel Raab > Nasenchirurg
Ich wollte schon als Kind immer Zauberer
werden. Dann war ich mit meinen Eltern
in einer Zaubershow. Der Zauberer holte
mich auf die Bühne und fragte, ob ich etwas
wegzaubern möchte. Ich antwortete: „Meine
Mutter“. Alle lachten, nur meine Eltern nicht.
Meine Mutter war total traurig, das war
ganz schlimm. Dann stellte der Zauberer
mich in eine Kabine und zauberte mich weg.
Ich weiß gar nicht mehr wie das ging. Ich
glaube, jemand holte mich von unten weg.
Auf jeden Fall fand ich es total cool und
wünschte mir zu Weihnachten einen Zauberkasten. Den bekam ich auch, von meinem
Vater. Ich übte viel, mit Zauberstab, aber die
Tricks bekam ich nie wirklich hin. Es gab zum
Beispiel so Schaumstoffwürfel, die nahm
man in die Hand, machte die Hand zu und
wieder auf, und die Würfel waren weg.
Das klappte bei mir nie, weil ich zu kleine
Hände hatte. Aufgetreten als Zauberer bin
ich erst auf der Schauspielschule. Als wir unser eigenes Stück machen durften, entschied
ich mich für eine Zaubershow und zersägte
vor Publikum eine Jungfrau – fehlerfrei.
An diesem Tag würde ich DIE Nase entwickeln, die man in der kommenden Saison
tragen muss. Das modische Accessoire
schlechthin. Das absolute Muss, um in jeden
Club zu kommen und in jede Gesellschaft aufgenommen zu werden. Die Nase würde nach
meiner Nase entwickelt: griechisch, groß, mit
großen Nasenflügeln und Nasenlöchern, kleine Knorpel, leichter Schwung. Natürlich wäre
die Nase, die ich verkaufe
und die alle tragen, einen Tick weniger schön
als meine. In 24 Stunden könnte ich die
Nase entwickeln und bis zu fünf Operationen
durchführen. Dafür müsste ich Prominente
an Land ziehen, Models oder Schauspieler,
Politiker eher nicht. Damit wären die Identifikationsfiguren für die Nase geschaffen.
Es würde sich nach und nach herumsprechen,
dass diese Nase getragen werden muss.
Genau wie bei American Apparel. Am Ende
des Tages würde ich dann meinen Nachfolger
einsetzen. Er hätte die Aufgabe, meine
Nase in der Welt zu verbreiten. Eine Lebensaufgabe. Ich glaube, mein Bruder wäre
dafür geeignet. Er hat geschickte Hände. Und
eine ähnliche Nase wie ich.
Elisabeth Müller > Hochhaus
Nachts regnet es, ich werde nass. Dann
kommt die Morgensonne, und mein Rücken, die Südseite, wird langsam trocken.
Ein Vogel kommt vorbei und kackt mir auf
den Kopf, ein anderer Vogel nistet sich
zwischen zwei Balkonen ein. Ein Flugzeug
fliegt über mich hinweg, ich werde erschüttert von den Schallwellen. Dann fahren
Leute mit dem Fahrstuhl in mir hinauf
und hinunter, hinauf und hinunter. Einer
streicht seine Wand, es kitzelt ein wenig.
Im siebten Stock, an meiner Schulter,
wird jemand erstochen. Im Erdgeschoss,
unten an den Füßen, wird eine Oma aus
dem Haus getragen, weil sie gestorben ist.
Es passiert der ganz normale Tag eines
Hochhauses. Und ich stehe ganz still da
und lasse es geschehen.
Warum? Ich mag Hochhäuser wahnsinnig
gerne. Vor allem nachts schaue ich sie gerne an, weil sie diese vielen Fenster haben,
die mal mehr, mal weniger leuchten. Ich
werde dann neugierig, starre hinauf und
erkenne einen Vorhang, eine Lampe,
manchmal Gestalten. Ich glaube, dass auch
ein Haus eine Seele hat.
Ursula Burkhart > Eintagsfliege
Der Grund, warum ich eine Eintagsfliege
sein will: Die Eintagsfliege verbringt bis zu
vier Jahre als Larve. Dann entpuppt sie sich
plötzlich, schlüpft raus und ist für einen
Tag das, auf das sie sich jahrelang vorbereitet hat. Das finde ich einen schönen Vergleich zum Menschen. Wer weiß, ob wir für
unser wahnsinnig langes Leben nicht auch
eine noch viel längere Vorbereitung haben?
Und auch innerhalb des Lebens: Wie oft
war ich traurig und es ging mir längere Zeit
nicht gut, weil Dinge passierten, die nicht
so schön waren. Dann hatte ich einen sauguten Tag und dachte: Es war alles nicht so
schlimm. Der eine Tag hatte mich versöhnt.
Mein Tag als Eintagsfliege wäre deshalb ein
Tag voller Glück, irgendwo im Grünen.
traumrolle · volksmund 2 53
Sophie
> Im Film „Smoke“
NIRVANAWendt
– HEART-SHAPED
BOX
Kurt Cobain war und ist immer noch
mein
Ich
Held.so
„Heart-shaped
Box“ habeanich
würde
um vier Uhr morgens
stundenlang
angehört,
immer
fangen
und dabei
zusehen,
wieund
Newimmer wieder.
IchDann
war damals
RealYork
aufwacht.
würde auf
ich der
zu Augschule
undTabakladen
saß in meiner
Klasse
gie
in den
gehen
undganz
mit
hinten.
ich anfing, Was
den Refrain
ihm
denWenn
Tag verbringen.
ich toll zu
singen,
ganze
Klasse mitgesunfinde
anhat
so die
einem
Tabakladen
ist, dass
gen.ganze
die
Den Lehrern
das bald zu
Welt zu wurde
dir reinkommt.
Duviel
und beschützt,
ich flog von
deresSchule.
bist
und
kommt jedes Mal
ein Stück Eigenleben zu dir. Ich würde
ELVIS PRESLEY
hinter
dem Tresen
– JAILHOUSE
stehen undROCK
ein bisMein Vater
hatteEs
„Elvis
eine
schen
bedienen.
wäreForever“,
für Auggie
Best-Of-Platte, im Schrank
„Jailselbstverständlich,
so als obstehen.
ich immer
house
Rock“
Lieblingssong.
da
wäre,
nichtwar
nurmein
für den
einen Tag. Ich
Auf der
Plattenhülle
Alben
wäre
völlig
integriert,waren
und esalle
wäre
ganz
von Elvis
abgebildet.
war damals
klar,
dass ich
mit Jim Ich
Jarmusch
eine Zineun oder
zehn
underwollte
sie alle(obhagarre
rauche,
wenn
reinkommt
ben. Jedes
Mal,nie
wenn
ich Taschengeld
wohl
ich sonst
rauche).
Ich würde
bekam,
ichdie
zum
Plattenladen
und
auch
garging
nicht
Schauspieler
kennen
habe mir
eine Elvis-Platte
gekauft.
Irgendlernen
wollen,
sondern die
Figuren
aus
Alle
sichmir
nurselbst,
mit den
wannFilm.
dachte
ichwürden
dann von
ich
dem
Filmnamen
Amschneiden
Abend,
sei Elvis, ließansprechen.
mir eine Tolle
bevor
der Tagseinen
zu Ende
geht, würdenach.
ich
und machte
Klamottenstil
ausbrechen.
In einen
anderen Film,
„The
Eines Tages habe
ich geträumt,
ich würLast
Radio
Show“ zum
Beispiel.
Ichhatte
würde ihn
im Himmel
besuchen.
Elvis
de
zu Meryl
Streep
und Lily Tomlin
auf
blonde
Haare,
wir unterhielten
uns. Ein
die
steigenerfuhr
und mit
einurpaarBühne
Tage später
ich,ihnen
dass er
Lied
singen.wirklich blond gewesen ist
sprünglich
und sich die Haare färbte. Ich war völlig
begeistert und mir sicher, dass Elvis damals wirklich zu mir gesprochen hatte.
FALCO – AMADEUS
Falcos „Amadeus“ war die erste Nichtdie ich mir gekauft habe und
Elvis
Platte,
Markus
Brandl
hatte dabei fast ein schlechtes Gewissen.
Aber es gibt dieses Interview von Falco:
Er – total zugekokst – wird gefragt, ob er
wirklich so wäre oder ob er dieses ganze
Gehabe irgendwann mal aufgebe. Er
zieht an seiner Zigarette, schaut nach
links oben, wieder nach vorne und sagt
im Wiener Schmäh: „I muss heiß sein. I
bin so. I kann ned anders.“ Einfach cool.
Weltempfänger
MICHAEL JACKSON – DIRTY DIANA
Ich war 15, feierte mit drei Freunden
Sylvester und machte durch. Am Neujahrstag fuhren wir über die Grenze
nach Kufstein. Dort gab es eine Jugenddisco, die „Fünf-Uhr-Tee“ hieß. Als NeuIm Tabakladen
des
„Smoke“Ich
(1995,
jahrsgetränk
gab
esFilms
Asbach-Cola.
Regie:das
Wayne
Drehbuch:
PaulmeiAustrank
ZeugWang,
und sagte
zu einem
ner
ter) Freunde:
treffen sich
IchTag
muss
für jetzt
Tag schräge
MichaelGeJacksons
stalten aus
„Dirty
Brooklyn,
Diana“
deren
hören.
Geschichten
Er ging
zum
sich im
DJ,Laufe
der sagte
des Films
“Nein,”
miteinander
worauf mein
verKumpel
weben. Den
ihmBesitzer
androhte,
Augustus
die Disco
„Auggie“
auseinWren spielt
HarveyDer
Keitel.
ander
zu nehmen.
DJ gab nach, legte
54
volksmund 2 · traumrolle
den Song auf, ich ging total betrunken
auf die Tanzfläche und fing an, Michael
Jackson zu tanzen. Ich konnte das ganz
gut, weil ich zu Hause wie ein Irrer die
Schritte aus dem Video geübt hatte. Bald
hörten die anderen auf zu tanzen und
schauten mir zu. Noch bevor das Lied zu
Ende war, kam das Asbach-Cola hoch
und ich kotzte alles voll.
U2 – WITH OR WITHOUT YOU
Als U2 groß rauskamen, hatte ich lange
Haare. Auf meiner Schule waren ein
paar Mädels die sagten, ich sähe aus wie
Bono. Ich fand, dass Bono total scheiße
aussah. Dann luden die Mädchen mich
zu sich ein, und wir schauten einen Konzertmitschnitt auf Video an. Plötzlich
merkte ich, dass die Mädels Bono total
cool fanden. Da fand ich ihn auch nicht
mehr so schlecht. Mit einem der Mädchen war ich dann länger zusammen.
ADRIANO CELENTANO - SOLI
Mein Stiefvater ist Italiener, ich wuchs
in seiner Pizzeria auf. 1982 war FußballWM in Spanien und Italien wurde Weltmeister. Bei uns im Lokal war die Hölle
los. Ich war Fan von Italien, Deutschland
und vor allem von meinem Vater. Jedes
Mal, wenn er mit Kochmütze und Schürze in der Küche stand, habe ich mir die
gleichen, viel zu großen Kochklamotten
aus dem Lager geholt und angezogen.
Dann bin ich durchs Lokal zur Jukebox
gelaufen und hab „Soli“ von Adriano
Celentano gehört. Es ist eines der wenigen Lieder das ich von vorne bis hinten
auswendig kann. Später habe ich es benutzt, um Mädchen zu beeindrucken.
Eine Ausnahmeerscheinung:
das radio.string.quartet.vienna spielt
am 20.11. im Volkstheater
ZU GAST IM
VOLKSTHEATER
Eine Vorschau auf die Spielzeit 2007/08.
✒
20. / 21.10.
THEATER
PHÖNIX AUS DER ASCHE
Schweig, Bub! von Fitzgerald Kusz
Die aktuelle Produktion der überwiegend aus jungen, autistischen Teilnehmern bestehenden Theatergruppe im
Volkstheater. Leitung: Anne ZieglerWeispfennig und Renate Groß.
✒
14.10. / 11.11. / 09.12.
SÜßSTOFF – DIE LATE-NIGHT IM
VOLKSTHEATER
Eine Koproduktion mit dem BR
✒
08.10.
LESUNG
NORA TSCHIRNER
UND IRIS BAHR LESEN
Moomlatz oder Wie ich versuchte in
Asien meine Unschuld zu verlieren
Der erste Roman der erfolgreichen amerikanischen Schauspielerin und Komikerin Iris Bahr ist eine urkomische und
clevere Erzählung über das Paralleluniversum der Backpacker und die LonelyPlanet-Generation. Die Entjungferung
der Protagonistin wird zu einem turbulenten Unternehmen, an dessen Ende
einige Erkenntnisse stehen.
Die Infotainment-Show mit Christoph
Süß geht in die dritte Spielzeit.. Mit ausgesuchten Experten, Musik und Kabarett geht er gesellschaftspolitischen und
philosophischen Phänomenen auf den
Grund. Im Oktober ergründet das SüßStoff-Team den Humor, im November
erforscht es das Phänomen der Zeit, um
das Jahresende mit der Frage zu
beschließen, was wir über den Tod wissen und wie die Menschen mit der
Sterblichkeit umgehen.
Mit: Harald Lesch, Carsten Golbeck,
Newton Saxofon Quartett u.a.
✒
22.10.
LESUNG
HARALD MARTENSTEIN
Männer sind wie Pfirsiche.
Subjektive Betrachtungen über den
Mann von heute mit einem objektiven
Vorwort von Alice Schwarzer
Einer der bekanntesten Kolumnisten
Deutschlands präsentiert zusammen mit
Rezzo Schlauch und weiteren prominenten Gästen sein neuestes Buch.
Eine Veranstaltung der ZEIT FORUM
KULTUR in Zusammenarbeit mit
und
✒
17. / 18.11.
KONZERT
GEORGETTE DEE & TERRY TRUCK
Greatest Hits
Die beiden haben in der deutschen
Musik und der hiesigen Abendunterhaltung einen neuen Maßstab gesetzt. Über
zwanzig Jahre haben die Diseuse Dee
und der auffallend hintergründige
Vor sieben Jahren gegründet und einige
Male umbesetzt, ist die Formation um
den ersten Violonisten Bernie Mallinger
heute eine hochkarätige Besetzung aus
Kammer- und PhilharmonieorchesterSolistInnen, bewandert sowohl im Jazz
als auch in Neuer Musik. Neben dem
Preis der deutschen Schallplattenkritik
erhielt das Album auch den 1. PasticcioPreis der Austrian Broadcasting-Cooperation. Nach dem ausverkauften und
umjubelten Auftritt im März in der
Unterfahrt sind wir froh, das Quartett
noch einmal in der Stadt zu haben.
Mit: Cynthia Liao, Asja Valcic, Johannes
Dickbauer, Bernie Mallinger
✒
20.11.
KONZERT
RADIO.STRING.QUARTET.VIENNA
Celebrating the Mahavishnu Orchestra
Auch wenn es für das Volkstheater
etwas ungewöhnlich ist, ein Streichquartett zu präsentieren – das radio.string.
quartet.vienna ist eine solche Ausnahmeerscheinung, dass man es nicht an
München vorbeiziehen lassen kann.
„Celebrating the Mahavishnu Orchestra“
ist die Bearbeitung der großen Werke
von John McLaughlin, einem der größten Gitarristen der Rockmusik. Souverän verschmolz er Blues-, Jazz-, Flamenco- und Reggaeelemente und rockte
vom Pizzicato bis zum Elektronik-Gewitter derart intensiv und dynamisch, dass
keine Schallplatte den Notenhagel
wiedergeben konnte ohne den Tonarm
aus der Rille zu katapultieren. Die
Musik seines Mahavishnu Orchestra
war „laut, intensiv, stark rhythmisch
und nach Stilkategorien völlig
undefinierbar“ (New York Times).
58
volksmund 2 · gastspiele
22.11.
LESUNG
UDO WACHTVEITL
Letze Lockerung.
Ein Handbrevier für Hochstapler und
solche, die es werden wollen
von Walter Serner
JULIA KOCK & RAINER BIELFELDT
Sein Handbrevier ist geistreich, frech
und pointiert. In den 1920ern avancierte es zum Kultbuch der Dada-Bewegung,
denn nirgendwo ist das Lebensgefühl
des literarischen Amoralismus gewitzter
auf den Punkt gebracht als in den Sernerschen Sentenzen: „Die Welt will betrogen sein, gewiß. Sie wird sogar ernstlich böse, wenn du es nicht tust.“ Neben
Udo Wachtveitl wird der Herausgeber
des im Manesse Verlag erschienenen
Buches, Andreas Puff-Trojan, das Brevier vorstellen.
Mascha
Chansons nach Gedichten von
Mascha Kaléko
✒
✒
Komponist und Pianist Truck Konzerte
geliefert, die Geschichte gemacht haben.
Nach sechs Jahren kommen sie gemeinsam zurück, um ihre Highlights mit
uns zu feiern: Alles von mir, Prinzen und
Engel, Seeräuberjenny u.a. Sie durchstreifen noch einmal den Beziehungsdschungel – singend, seufzend, stöhnend, elegant, lasziv und unnachahmlich exzessiv.
✒
21.11.
KONZERT
Die Lyrikerin, die dieses Jahr hundert
Jahre alt geworden wäre, zählte Ende
der Zwanziger und Anfang der Dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts
zu den ganz Großen ihrer Zunft. Ihre
Gedichte sind Meisterwerke voller Witz
und Wehmut, Ironie und Melancholie.
Anlässlich ihres Geburtstages präsentieren die Schauspielerin und Sängerin
Julia Kock und der Komponist und
Pianist Rainer Bielfeldt das Leben der
Poetin im Spiegel ihrer Gedichte. Rainer
Bielfeldt, der jahrelang die Konzerte
von Tim Fischer und Gayle Tufts arrangierte und begleitete, komponiert für
Funk und Fernsehen, Hörspiel und
Musical. Zuletzt war er als Begleiter von
Alfred Biolek im Volkstheater. Julia
Kock hat vor allem in der Rolle der
Edith Piaf jahrelange Erfolge in Hamburg und Düsseldorf gefeiert, bevor sie
mit eigenen Programmen auf Tour ging.
Peter Wiegand
am 23.11.
im
Volkstheater
23.11.
KONZERT
PETER WIEGAND
Don Don Don
Seine Stimme ist wie der Dreck und die
darin liegenden Diamanten: rau, ungehobelt, erdig, trunken, gewitterhaft.
Peter Wiegand ist der deutsch-österreichische Tom Waits. Zu hören waren
Wiegand und seine Band „Die Konferenz“ schon in den gefeierten Rosenmüller-Filmen „Wer früher stirbt ist
länger tot“ und „Schwere Jungs“. Eine
furiose Mischung aus Wörtern und
Tönen, aus Swing und Wienerlied,
Rumbaclave und Trauermarsch, Punkpolkablech und Merengue, Charleston
und Indierock, Barockpredigt und Beatnikpoesie. „Lass Dich nicht dumm machen von Deiner Sehnsucht / weil Gott
in krummen Linien schreibt“, heißt es
in einem der Songs. Wiegand weiß,
wovon er singt. 1953 geboren, landete er
als zehnjähriger Streuner im Jugendgefängnis, im Heim für Schwererziehbare.
Als erwachsener Herumtreiber suchte
er in vielen Ländern und noch mehr
Gelegenheitsjobs sein Glück (Eisenwarenverkäufer, Versicherungsarchivar,
Liegewagenschaffner, Tofu-Hersteller,
Anstreicher). Den Dreißigjährigen
schließlich brannte es unter den Nägeln,
seine Erfahrungen künstlerisch umzusetzen. Seitdem ist er als Schauspieler
JUNGE REGISSEURE IM VOLKSTHEATER (1)
Die Regisseurin Bettina Bruinier stellt sich im Dezember 2007 mit einer Inszenierung auf der
Kleinen Bühne dem Münchner Publikum vor.
JUNGE REGISSEURE IM VOLKSTHEATER (2)
Frank Abt, dessen „Finkenwerder Herbstprinzen“ bereits beim Festival Radikal jung zu sehen waren,
wird im Frühjahr 2008 auf der Kleinen Bühne des Volkstheaters inszenieren.
JUNGE REGISSEURE IM VOLKSTHEATER (3)
Philipp Jescheck,
ab der Spielzeit 2007/08 Hausregisseur am Volkstheater, inszeniert
im November 2007
William Shakespeares „Macbeth“.
und Sänger tätig. An seiner Seite die
beiden hervorragenden Musiker und
Komponisten Christian Ludwig Mayer
und Georg Karger, beide auch zu sehen
in den Volkstheater-Produktionen „Kleiner Mann – was nun?“ und „Viel Lärm
um nichts“. Nicht zuletzt dank ihnen
sind Wiegands Auftritte ein wildes,
hemmungsloses, poetisch musikalisches
Abenteuer zwischen Spektralfarben und
Düsternis.
✒
24.11.
LESUNG
SIBYLLE BERG UND
WIGLAF DROSTE
Die Fahrt
Frau Bergs neuer Roman „Die Fahrt“ ist
ein Reiseroman. Ruhelose Glückssucher
fahren an exotische Orte, suchen ihr
bisschen Glück in Rio, Thailand oder
Bangladesh. Bekannt als Meisterin im
Schildern der Abgründe des mitteleuropäischen Wohlstandsmenschen, besticht
sie in ihrem neuen Roman durch die
messerscharfe Beobachtung von sozialen Realitäten an verschiedenen Orten
der Welt. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Lebensverhältnisse stellt sie
sich die Frage: Wann entstand die aberwitzige Idee des Individuums, ein Individuum sein zu wollen?
„Eine katastrophal brillante Komödiantin“, beschreibt die Süddeutsche Zeitung
Sibylle Berg.
Auch von Wiglaf Droste sind diesen
Sommer zwei Textsammlungen erschie-
nen, aus denen er seine „Aufprallprosa“
(Badische Zeitung) liest. „Will denn in
China gar kein Sack Reis mehr umfallen?“ und das Hörbuch „Take a Nordic
Walk on the Wild Side“. Aktuelle und
zeitlose Texte, mit denen der umtriebige
Autor, Polemiker und Sänger uns konfrontiert, brüskiert und amüsiert.
✒
27.11.
KONZERT/LESUNG
AUGUST ZIRNER UND
DAS SPARDOSEN-TERZETT
Einmal ich und zurück
Eine Geschichte in Jazz
Um den Jazzlegenden Thelonious Monk,
Charles Mingus und Roland Rhassan
Kirk nachzuspüren, tat sich der Schauspieler und Musiker August Zirner mit
dem Essener Trio zusammen, das bereits
mit Wiglaf Droste zusammen im Volkstheater gastierte. Von den Vierzigern bis
in die Sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts prägten Monk, Mingus und Kirk
die Musikgeschichte. Ihre Werke sind
bekannt, weniger jedoch, welche Charaktere hinter den Musikgenies steckten.
August Zirner
liest Geschichten
von ihnen und
über sie und fusioniert als Querflötist mit dem Spardosen-Terzett, um
die Meisterwerke
wiederaufleben zu
lassen.
✒
21.01.08
TALK
EIN ABEND MIT ALFRED BIOLEK
Mein Theater mit dem Fernsehen
Nach den Traumquoten im Fernsehen
sorgt das Allroundtalent jetzt auch
für ausverkaufte Theatersäle. Deswegen
kommt er noch einmal, für alle, die
keine Karten mehr bekommen haben
oder die noch einmal mit ihm zusammen vierzig Jahre deutscher Fernsehgeschichte Revue passieren lassen möchten. Seinen Quereinstieg in das Metier,
seine unzähligen Aktivitäten als Produzent, Talentscout, Showmoderator, Fernsehkoch und seine aktuelle Rolle als
Talkmaster dürfen wir noch einmal live
erleben, denn wieder bringt er prominente Gäste und Wegbegleiter mit
ins Volkstheater, mit denen er aus dem
Fernsehkästchen plaudern wird.
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JUNGE REGISSEURE IM VOLKSTHEATER (4)
Christine Eder inszeniert im Januar 2008 das Stück „Verbrennungen“ des preisgekrönten
kanadischen Dramatikers Wajdi Mouawad. Es ist bereits ihre dritte Regiearbeit am Volkstheater.
KARTENTELEFON
089/5 23 46 55 oder
Faxbestellung: 089/5 23 55 56 oder
[email protected]
www.muenchner-volkstheater.de
PREISE:
Kategorie I:
Kategorie II:
Kategorie III:
Kategorie IV:
Kategorie V:
Kleine Bühne:
TAGESKASSE im Volkstheater
Montag - Freitag: 11 - 18 Uhr
Samstag: 11 - 14 Uhr
Abendkasse: Eine Stunde vor
Vorstellungsbeginn
VORVERKAUFSSTELLEN
MünchenTicket · Kartentelefon:
089/54 81 81-81
Faxbestellung: 089/54 81 81-54
Vorverkauf auch im Marienplatz-UG
und Stachus-UG im Box Office bei
Hertie (Stachus) der Ticket Box im
Bahnhof Pasing und bei den bekannten
Vorverkaufsstellen.
A
B
28,- Euro
25,- Euro
21,- Euro
17,- Euro
12,- Euro
15,- Euro
25,- Euro
22,- Euro
19,- Euro
28,- Euro
11,- Euro
Preise für Premieren, Gastspiele,
Sonderveranstaltungen und Silvestervorstellungen entnehmen Sie bitte den
aktuellen Spielplaninformationen
(Leporello, Homepage, etc.)
Jede Eintrittskarte gilt am Tag der
Vorstellung ab 15 Uhr als
Fahrschein zur Hin- und Rückfahrt mit
allen MVV-Verkehrsmitteln
(Ausgenommen: Schüler- und
Studentenkarten im VVK).
Schüler, Studenten, Arbeitslose,
Wehrdienst- und Zivildienstleistende,
Azubis, Münchenpass, M//Card
Vorverkauf: 8,50 Euro
Abendkasse: 6 Euro
Schulklassen bis 20 Schüler:
8,50 Euro
über 20 Schüler: 6 Euro
Gruppenermäßigung ab 15 Personen:
20 Prozent ermäßigt
Schwerbehinderte 50 – 99 Prozent:
50 Prozent ermäßigt
Schwerbehinderte 100 Prozent: frei
Begleitperson: 50 Prozent ermäßigt
VERKEHRSVERBINDUNGEN
U1, Tram 20, 21 (Stiglmaierplatz)
THEATERSCHECK
BACKSTAGEKLUB
Mit dem Theaterscheck sparen Sie bis zu
40 Prozent beim Kauf von 10 Theatergutscheinen und bis zu
25 Prozent beim Kauf von 6 Theatergutscheinen.
Die Gutscheine des Theaterschecks gelten für alle Vorstellungen im Großen
Haus mit Ausnahme von besonderen Gastspielen, Sonderveranstaltungen und
Silvestervorstellungen.
Die Gutscheine sind übertragbar und gelten ein Jahr ab Kauf des Scheckheftes.
Die Scheckhefte können jederzeit an der Tageskasse nachgekauft werden. Sie
wählen Vorstellungen und Wochentage frei aus und können telefonisch per
Fax oder E-Mail reservieren. Die Karten können dann gegen Vorlage des
Theaterschecks bis eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn an der
Abendkasse abgeholt werden.
Seit vier Jahren gibt es den BackstageKlub am Volkstheater. Circa
25 Jugendliche zwischen 10 und
18 Jahren kommen einmal in der
Woche ins Volkstheater und
machen mit Schauspielern, Regieassistenten und Dramaturgen
Workshops, Training und szenische Übungen. Es finden gemeinsame Vorstellungsbesuche, Hausführungen und Gespräche mit
Schauspielern und Mitarbeitern
statt. Die Jugendlichen lernen die
Arbeit an einem Theater von allen
Seiten kennen.
Nachdem in der ersten Spielzeit
eine eigene Fassung von George
Orwells „Animal Farm“ entwickelt und zum Abschluss der
Spielzeit 2004/05 das freie Projekt „Krieg der Sterne - Das Universum sucht den Superstar“ präsentiert wurde, konnten die Jugendlichen 2006 mit William
Shakespeares „Romeo und Julia“
erstmals ein Stück auf der großen
Bühne zeigen. 2007 wurde der
Erfolg mit Georg Büchners
„Leonce und Lena“ wiederholt.
Kategorie
10 Schecks:
6 Schecks:
Kategorie I:
Kategorie II:
Kategorie III:
168,- Euro
150,- Euro
126,- Euro
126,- Euro
113,- Euro
95,- Euro
ABO JUNG GANZ VORNE
Mit dem Abo Jung ganz vorne können Schüler, Studenten und Azubis bis 27
Jahre nicht nur Geld sparen, sondern auch ganz vorne die besten Plätze reservieren und drei Vorstellungen in der ersten Sitzplatzkategorie (nach
Verfügbarkeit) ansehen.
Das Abo kostet 15 Euro und ist ein ganzes Jahr gültig.
Dazu gehören Hausführungen mit Einblick in die Arbeit der Werkstätten, von
der Schneiderei über die Maske bis zum Bühnenbild und der Technik. Der
jeweilige Dramaturg der Inszenierung übernimmt die Rolle des persönlichen
Theater-Guides.
Informationen zu den im Abo enthaltenen Vorstellungen und Termine für
Hausführungen können dem jeweiligen Spielplan entnommen werden:
www.muenchner-volkstheater.de
64
ERMÄßIGUNGEN
volksmund 2 · gastspiele
Auch in dieser Spielzeit wird es
ein neues Projekt des BackstageKlubs geben.
JUNGE REGISSEURE IM VOLKSTHEATER (5)
Hanna Rudolph, die Publikumspreisgewinnerin des letzten Radikal jung-Festivals,
inszeniert im Mai 2008 erstmalig am Münchner Volkstheater.
Hans Henny Jahnn, der am meisten
unterschätzte deutschsprachige Romancier und Dramatiker des 20. Jahrhunderts, selten gelesen, noch seltener gespielt, missachtete Goethe. Der Dichterfürst habe zu allem eine Meinung, spottete Jahnn, manchmal gleichzeitig
mehrere einander widersprechende Urteile; überall und zu allem gebe der dichtende Politiker seinen Senf. Jahnn hat
Recht. Seine Kritik lässt sich indes auch
positiv formulieren: Goethe war
besonders meinungsstark! Auch über
den Beifall hat er sich mehrfach geäußert, nicht bloß im „Faust“, sondern daneben häufig in seinen Briefen. Am 27.
Oktober 1787 schrieb er an Philipp Seidel aus Italien: Beifall lasse sich „wie
Gegenliebe wünschen, nicht erzwingen“.
Nicht falsch, nur ein wenig schlicht, der
Gedanke. Wir haben es alle erlebt:
Manchmal können in der Kunst alle alles
wollen, doch am Ende rühren sich trotzdem nur wenige Hände. Dafür gellt es
aus vielen Kehlen Buh. Flop also. Gewiss
darf jede Zuschauerin und jeder Zuhörer
Freude ebenso kundtun wie Frust, Lust
und Last. Aber wann und wie?
Fangen wir mit dem Wann an. Wer,
wenn sich der Vorhang teilt, bereits laut
meckert – „Schon schlecht!“ –, ist vorlaut, ignorant und ein bösartiger Spielverderber. Unmutsäußerungen verbieten sich auch während der Vorstellung.
Zwischenrufe sind ungezogen. Wer
glaubt, das Gebotene nicht bis zur Pause
(oder bis zum Schluss) zu ertragen, der
sollte versuchen zu schlafen. Wenn das
nicht gelingen mag, weil die Musik zu
laut dröhnt, der Sitz zu unbequem ist
oder das Saallicht nicht gelöscht wurde,
dann gibt es einen einzigen Aus-Weg
nur: Der leise (!) und stumme (!!) Abtritt,
das Sich-weg-Schleichen; und natürlich
schlägt man die Tür nicht laut (!!!) zu.
Noch etwas finde ich extrem lästig, und
zwar für die Künstler ebenso wie für die
anderen Menschen im Publikum: halblautes Murren, Kommentieren und das
lebhafte Schütteln des Kopfes oder anderer Glieder – diese Übung haben einige professionelle Kritiker sehr gut drauf.
Sie exekutieren sie kontinuierlich und
beharrlich und schaffen damit zweierlei:
Sie äußern schon mal vorab und non66
volksmund 2 · suchers theaterknigge
verbal, was sie von der Vorstellung halten; und sie machen sich damit hübsch
wichtig. Ganz eitle Damen (seltener)
und Herren (eher häufig) begleiten diese Bewegungen mit halblautem
Gestöhn. Schlimm.
Darf man sich während der Vorstellung
freuen? Klar doch! Aber Zwischenrufe
sollte man lassen, Auftrittsapplaus für
den geliebten Interpreten ist peinlich
und das Klatschen nach einem hübsch
vorgetragenen ersten Satz störend – im
Konzert übrigens ärger als im Schauspiel. Was fürs Kopfschütteln gilt, gilt
auch fürs Nicken. (Kritikern wird niemand diese segnende generöse Masche
abgewöhnen.)
C. Bernd Sucher ist Jurymitglied beim
Festival Radikal Jung 2008
Wie sich äußern, nachdem der Vorhang
gesenkt oder zugezogen wurde, also
dann, wenn alles vorbei ist? Wer jubeln
will, juble, klatsche, schreie. Bravo für
einen Mann, Brava für eine Frau, Bravi
für mehrere – wes Geschlechts auch
immer. Nichts ist einzuwenden gegen
die Mode, johlend zu loben nach Art der
Karl-May-Indianer. Gewarnt werden
muss indes vorm Pfeifen. Denn der oder
die Angepfiffene, Ausgepfiffene, Be-,
Um- oder Verpfiffene kann schlecht
unterscheiden, ob das Gellen preist oder
verreißt. Also Pfeifen sein lassen.
Damit ist nun auch schon geklärt, wie
sich endlich Unzufriedenheit ausdrükken lässt. Verweigerung von Applaus ist
die nobelste, höflichste Form. Buhrufe
sind eine Steigerung. Beschimpfungen –
Schwachsinn, Hohlkopf, Stümper, Idiot
und ähnliche Nettigkeiten – gehören
sich nicht!
Wie auch immer man seinen Tadel ausdrückt – bevor man ihn ausdrückt, sollte
man sich ein wenig Zeit lassen. Sollte
nachdenken, sollte abwägen. Sich selbst
zu begründen versuchen, warum man
(so) enttäuscht ist. Zuweilen ist die Ursache für den Unmut weniger die Aufführung, also das mangelnde Können
von Autoren, Regisseuren, Sängern oder
Schauspielern, als vielmehr das eigene
Vorurteil und – auch das gibt es – die
eigene emotionale Lage. Wer sich nicht
überraschen lassen will, wird verstört
reagieren auf alles, was er nicht kennt,
was ihn verblüfft, weil es ungewohnt
ist; wird jede Regelverletzung, jeden
Konventionsbruch geißeln.
Was für das Essen gilt, gilt dummerweise
auch so oft für die Kunst. Was der Bauer
nicht kennt, (fr)isst er nicht, heißt für die
Kunst: Ich will wieder erkennen, wieder
hören, was ich schon gesehen, gelesen,
vernommen habe. Die Gefahr, unzufrieden zu werden, wächst in dem Maße,
in dem die Künstler sich von dem schon
Dagewesenen lösen, Regeln verletzen und
Seh- und Hörgewohnheiten missachten.
Ergo: Bevor man Buh brüllt oder blökt;
bevor man den Saal verlässt, aufgepasst!
Wer ist schuld am Missvergnügen? Die
Macher oder die Zumacher? Die Produzenten oder die Rezipienten? Mich verblüfft es immer wieder aufs Neue, wie
schnell manche Zuschauer urteilen und
verurteilen, vor der Pause schon, in der
Pause, nach der Vorstellung. Jeder, der
verurteilt, sollte zuvor sein Urteil überprüfen. Denn eines ist allemal sicher:
Die Künstler haben sich in jedem Fall
und immer länger auseinandergesetzt
mit dem Stoff, haben – sind sie verantwortungsbewusst und fleißig – gearbeitet. Wollten das Beste.
Und noch eines sollte bedacht werden:
Ein Lob lässt sich einfacher und weniger
folgenreich zurücknehmen als ein Tadel.
Die Verletzungen, die Buhrufer bei
den Künstlern anrichten, sind in den
meisten Fällen weit größer, als die selbst
ernannten Scharfrichter der Kunst es
sich vorstellen können. Deshalb meine
Forderung: Im Zweifel für die Künstler.
Immer! Bravi!
FOTO: NINA URBAN
C. BERND SUCHERS THEATERKNIGGE
FOLGE 2: BEIFALL – RICHTIG GEMACHT
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IFBUFS QSPCFO NxHMJDIF FMUFO™
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OTUF BO ODIOFS IOFO™
OTFS OHBHFNFOU SFJDIU WPO
EFS VTCJMEVOH CJT [VS SFNJFSF™
SMFCFO JF NJU VOTž XBT LSFBUJWF
OFSHJF CFXJSLU™
OGPSNBUJPOFO VOUFS
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UJDIXPSU £PMLTUIFBUFS¢
www.paulaner.de
„ Mei, spät wird’s,
du kennst ja die Stoßzeiten!“

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