Inhalt - Art Identity

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Inhalt - Art Identity
Inhalt
7
Detail: Peter Halley, Cross Currents, 2009
Vorwort Foreword
9
13
Heute. Malerei – Worte und Bilder Annegret Laabs und Uwe Gellner
Today. Painting – Words and Pictures
Gerhard Richter
22
28
Gespräch Gerhard Richter und Jan Thorn-Prikker
Conversation
Jonathan Lasker
36
37
40
42
Antworten Jonathan Lasker und Uwe Gellner
Answers
Schlaf und Poesie: Das Bewusstsein der Tiere Jonathan Lasker
Sleep and Poetry: The Consciousness of Animals
Peter Halley
54
58
62
65
Antworten Peter Halley und Annegret Laabs
Answers
Abstraktion und Kultur Peter Halley
Abstraction and Culture
Adrian Schiess
70
74
Die Farben der Mimosen
The Colors of Mimosas
Neo Rauch
82
88
Bildgründe. Stichworte zum Werk von Neo Rauch
Backgrounds. Watchwords for Neo Rauch‘s Œuvre
Daniel Richter
96
99
No More Heroes. Konzept und Expressivität
No More Heros. Concept and Expressivity
Fabian Marcaccio
108
112
118
121
Malerei als Widerstand Fabian Marcaccio
Painting Resistance
Rope Paintings: Medienwirklichkeit und Heterotopie
Rope Paintings: Heterotopias and Media Reality
Alicia Paz
129
136
Painted Stories
Painted Stories
Sarah McGinity
144
148
Imago und Realität
Imago and Reality
Rashid Johnson
158
165
Der Entstehungsmoment
The Moment of Creation
171
Verzeichnis der Abbildungen
List of Illustrations
176
Impressum Imprint
Uwe Gellner
Harald Kunde
Susanne Figner
Uwe Gellner
Annegret Laabs
Julie Rodrigues Widholm
Martin Hentschel
Vorwort / Foreword
Inmitten einer realen Welt, die täglich unüberschaubarer wird, behauptet sich die Malerei, wie schon so oft, auch zu
Beginn des 21. Jahrhunderts. Kein anderes Medium der Kunst ist so alt. Kein anderes Medium vollzieht sich so entfernt
von der realen Welt und ist in seinen Möglichkeiten so vollständig frei. In den Autorentexten in diesem Band wird an
Hand einprägsamer Beispiele der Malerei der Gegenwart gefragt nach dem Vorgang des Malens als Untersuchungsfeld, nach dem Bild, das die Malerei uns gibt von der widersprüchlichen, unabänderlichen und komplexen Beziehung
Mensch – Welt.
Der Band HEUTE. MALEREI ist angesichts der gleichnamigen Ausstellung entstanden und präsentiert internationale
Positionen - weniger zum Vergleich als zur Veranschaulichung des jeweils Eigenen und Besonderen. Von den Herausforderungen und Krisen der Medien und des Marktes bleibt auch die Malerei nicht unberührt. Exemplarisch zeigt sich,
was Malerei in die heutige Zeit der Dominanz medialer Bilder einbringt, was die Malerei aktuell in Reaktion auf die
neuen Medien hinzugewinnt und worin ihre Besonderheit gegenüber anderen künstlerischen Medien besteht.
Die Realisierung des aufwändigen Buchprojektes wäre nicht möglich gewesen ohne das unglaubliche Engagement
der Künstler, die durch intensive Diskussion um den Gegenstand Malerei die Idee zu den zahlreichen aktuellen
Texten in diesem Band auslösten. Unser Dank gilt ihnen ebenso wie den verschiedenen Autoren für ihre Beiträge. Den
zahleichen privaten und öffentlichen Leihgebern sei herzlich gedankt für die gute Zusammenarbeit.
Ausdrücklich danken wir den Fördermittelgebern, dem Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt, der Stiftung
Kloster Unser Lieben Frauen, der Ostdeutschen Sparkassenstiftung im Land Sachsen-Anhalt, der Stadtsparkasse
Magdeburg, der Stiftung Kunst und Kultur der Stadtsparkasse Magdeburg, Lotto-Toto GmbH Sachsen-Anhalt sowie
der Öffentlichen Versicherung Sachsen-Anhalt für die finanzielle Unterstützung.
In the middle of a real world that every day becomes increasingly insurmountable, painting asserts itself, as it has so
often since the beginning of the twenty-first century. No other medium of art is as old. No other medium takes place
so far from the real world and is so completely free in its possibilities. In the texts by the authors in this volume, a few
memorable examples of contemporary painting are used to inquire into the process of painting as a field of study, into
the image that painting offers us of the contradictory, immutable, and complex relationship to the human world.
The volume TODAY. PAINTING has been produced to accompany the eponymous exhibition and presents a number of
international artists, not so much for comparison as to illustrate their individual and particular qualities. Painting has
not been unaffected by the challenges and crises of the media and the market. These examples show what painting
introduces to the present age dominated by media images, what painting currently gains by reacting to new media, and
wherein its unique qualities vis-à-vis other artistic media lie.
This elaborate book project could never have been realized without the commitment of the artists, whose intense
discussions of the object of painting triggered the idea of the many contemporary texts in this volume. We are also
grateful to the various authors for their contributions. The numerous public and private lenders deserve our thanks for
their collaboration.
We would like to thank the funding providers Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt, the Stiftung Kloster Unser
Lieben Frauen, Ostdeutsche Sparkassenstiftung im Land Sachsen-Anhalt, Stadtsparkasse Magdeburg, Stiftung Kunst
und Kultur der Stadtsparkasse Magdeburg, Lotto-Toto GmbH Sachsen-Anhalt as well as the Öffentliche Versicherung
Sachsen-Anhalt for the final support.
Annegret Laabs and Uwe Gellner
HEUTE. MALEREI
Worte und Bilder
Annegret Laabs und Uwe Gellner
Der fast siebzigjährige Paul Cézanne resümiert in einem Brief vom 23. Oktober 1905 an seinen jüngeren
Malerfreund Émile Bernard: „In meinem Alter sollte ich mehr Erfahrung haben und sie für das Gemeinwohl
verwenden.“1 Und er fährt mit der bemerkenswerten Aussage fort: „Ich schulde Ihnen die Wahrheit in der
Malerei und werde sie Ihnen sagen.“ Dieses Versprechen ist geknüpft an den unerbittlichen Erkenntnisdrang, mit dem sich Cézanne dem Studium der Natur hingibt, und mit seiner Erwartung, aus dieser für ihn
erklärtermaßen wichtigsten Quelle zu schöpfen, um die Schwelle der eigenen Gegenwart in der Malerei zu
erklimmen. Bereits ein paar Zeilen zuvor hatte er die Größe der Aufgabe umrissen: „Nun aber ist die zu lösende Aufgabe – welches auch immer unser Temperament oder unsere Kraft angesichts der Natur sei – das
Abbild dessen zu geben, was wir sehen, und dabei alles zu vergessen, was vor uns dagewesen ist.“ Es blieb
ihm von diesem Tag noch ein Lebensjahr.
Als Jacques Derrida 1978 auf die Worte Cézannes zurückkommt, indem er sie als Titel für sein Buch
„Die Wahrheit in der Malerei“ (original „La vérité en peinture“) nutzt, sind mehr als 70 Jahre vergangen. In
der Zwischenzeit hat die Malerei die Kunst ganz maßgeblich auf ihrem erfolgreichen Weg in die Moderne
geleitet, was der Ungeduld Cézannes rückblickend bereits die symptomatischen Züge der permanent die
Gegenwart bestürmenden Folgezeit anheftet. Aber, schon seit dem Beginn der 1970er Jahre steckt die
Malerei in ihrer bisher größten existenziellen Krise. Ihr wurde aberkannt, die Vergangenheit vergessen zu
können, und sie ist nun selbst das Indiz einer Vergangenheit in der Kunst, die es zu überwinden gilt. Derrida
geht nicht darauf ein. Das Buch gilt als sein kunsttheoretisches Hauptwerk; er schreibt hierin, wie er selber
formuliert, „viermal um die Malerei herum“.2 Cézannes Bemerkung bewertet er als: „... eine befremdliche
Aussage. Derjenige, der spricht, ist ein Maler. Er spricht, er schreibt vielmehr, es ist ein Brief und dieses
‚bon mot‘ schreibt sich leichter, als dass es sich spricht. Er schreibt in einer Sprache, die nichts zeigt.“3 Das
Buch besteht aus vier Teilen über ganz unterschiedliche Sujets; im letzten dieser Teile kommt Derrida der
Malerei am nächsten und wendet sich dem wichtigsten Postimpressionisten neben Cézanne zu, Vincent van
Gogh. Dessen Gemälde von einem Paar Schuhen, gemalt 1868, gerät speziell in seinen Focus, weil Martin
Heidegger auf diesem Bild eine Darstellung von Bauernschuhen, der Kunsthistoriker Meyer Schapiro aber
die Schuhe van Goghs erkannt haben will, und Derrida analysiert, was es mit den beiden Interpretationen für
eine Bewandtnis haben kann, wenn sich doch keine davon verlässlich bestätigen lässt.4 Wenngleich Derrida
auf diese Weise weitere Wahrheiten über die Malerei neben der Philosophie zulässt, geht es ihm nicht um
einen kunsttheoretischen, sondern philosophischen Diskurs, und wie Peter Mahr feststellt, nicht „… um
die Wahrheit der Malerei, nicht darum, worum es in der Malerei in Wahrheit geht, sondern um die Art von
Wahrheit, so wie sie die Malerei verkörpern kann. Man könnte sagen, was immer die Malerei ist – sie hat
keinen Sinn, ihr wird Sinn und Wahrheit erst gegeben.“5 Um auf Cézanne zurückzukommen: Demnach führt
der Weg der Wahrheitssuche in der Natur durch die menschliche Natur des Malers und des Betrachters.
1
2
Detail: Rashid Johnson, Guido‘s Cosmic Slop, 2011
Dieses und die folgenden Zitate: Paul Cézanne,
Briefe, aus dem Franz. übers. und hrsg. von John
Rewald,1962,Aufl.1978,S.295f.
Zit. nach: Jacques Derrida, Die Wahrheit in der
Malerei, Hg. Peter Engelmann, aus dem FranzösischenvonMichaelWetzel,Wien1992,S.24.
13,Wien1993,S.104f.
3 Derrida,(wieAnm.1),S.17.
5 PeterMahr,ebd.,S.104.
4 Sieheauch:PeterMahr,AusdemRahmen
gefallen.PhilosophischeSpurensicherung,Rezen-
sion zu Jacques Derrida, Die Wahrheit in der
Malerei, Wien 1992, in: Parnass. Kunst Archi tekturDesignFotografieMusikTheaterLiteratur
9
TODAY. PAINTING
Words and Pictures
Annegret Laabs and Uwe Gellner
12
fassender digitaler Vernetzung lassen sich malerisch komplexe Motive nicht auf zu jeder Thematik greifbare
Applikationen (Apps) reduzieren. So klärt beispielsweise Fabian Marcaccio die Frage nach der Bedeutung
der virtuellen Realität und ihrem Verhältnis zur wirklichen Welt in seinen Rope Paintings. Die ikonografische
Aneignung des Bilderfundus des Internets erfolgt durch die Maler ebenso wie die bewusste Kritik an gesellschaftskonformen Verhaltensweisen. Die malerische Revolte eines Daniel Richter gilt beispielhaft der
allgegenwärtigen, durch Computerclips und Fernsehwelt übermächtig aggressiv über uns hereinbrechenden
Bilderflut. Es ist die Frage nach dem Bild, das die Malerei uns gibt von der widersprüchlichen, unabänderlichen und unübersichtlichen Beziehung Mensch–Welt, die wir beispielhaft in den malerischen Bildcollagen
von Alicia Paz finden und die uns immer wieder zeigt: Malerei konstruiert ihre eigenen Gegenstände, ihren
eigenen Raum, ihre Illusion, ihre Sinnlichkeit und ihre Emotionen, und all das beruht auf Individualität.
Bis heute haftet der Malerei etwas Unvergängliches an. Fabian Marcaccio konstatiert: „Die Malerei
bringt nach wie vor sporadische Innovationen hervor und löst einzigartige Zuwendung aus.“14 Was bedeutet
diese Aussage, vielleicht, dass Malerei dem Betrachter besonders nahe kommen kann? Gemälde erfreuen
sich nach wie vor einer vielfachen Lesbarkeit. Dies unterscheidet sie mitunter grundlegend von den neuen
Medien, wie Fotografie, Film und Video. Die verschiedenen Rezeptionsmöglichkeiten fördern das Nachdenken über die Malerei und haben in der langen Geschichte der Malerei immer wieder dazu geführt, den
Betrachter auf ganz besitzergreifende Weise ins Bild zu holen, ihn zum Komplizen zu machen. Schon im
16. Jahrhundert sprach Gabriele Paoleotti (1522-1597), Bischof von Bologna, davon, die Rezipienten alle zu
integrieren; jeder müsse in der Malerei seinen Anteil wiederfinden, „die Maler die kunstgemäße Darstellung,
die Gebildeten die adäquate Auffassung des Inhaltes, die Ungebildeten die Schönheit, die Geistlichen den
anagogischen, das heißt den frommen Gedanken und zu Taten stimulierenden Charakter der Malerei“.15
Konstatieren lässt sich vorerst, dass die Malerei der Gegenwart ihre Bestimmung einmal mehr darin gefunden hat, die existente Brüchigkeit zwischen Imago und Wirklichkeit für den Betrachter zu visualisieren.
Künstler halten an Übersetzung in Malerei fest, weil sie am weitesten entfernt ist von der alltäglichen, durchschnittlichen Vorstellung von Realität. Kein anderes Medium vollzieht sich so entfernt von der realen Welt
und ist in seinen Möglichkeiten so vollständig frei wie die Malerei. Und, um auf die eingangs zitierten Paul
Cézanne und Jacques Derrida zurückzukommen: Es bleibt im 21. Jahrhundert ein faszinierender Versuch,
die Wahrheit in einem anderen Medium als der gesprochenen und geschriebenen Sprache zu ergründen.
13 T.J.Clark,ClementGreenberg‘stheoryofart,in:
CriticalInquiry,Bd.9,Nr.1,1982,S.152.
The nearly-seventy-year-old painter Paul Cézanne summed up in a letter of October 23, 1905, to his
younger colleague and friend Émile Bernard: “At my age, I should have more experience and use it better
for the general welfare.”1 And he continued with the remarkable statement: “In painting, I owe you the truth
and I shall tell it to you.” This promise was linked to the unrelenting thirst for knowledge with which Cézanne
devoted himself to the study of nature and with his expectation of drawing from what he declared to be the
most important source for him in order to cross the threshold from his own era in painting. Just a few lines
earlier he outlined the size of this task: “Now, the thesis to be expounded—whatever our temperament or our
strength in the face of nature—is to render the image of what we see, in forgetting everything that appeared
before us.” From that day he had only one year to live.
When Derrida returned to Cézanne’s statement in 1978, using it as the title of his book La vérité en
peinture (translated as Truth in Painting), more than seventy years had passed. In the meanwhile, painting
had led art in very decisive ways on its successful pass into the modern era, which in retrospect links to
Cézanne’s impatience the symptomatic features of the subsequent era, which was constantly striving for
contemporaneity. Already in the early 1970s, however, painter was experiencing its biggest existential crisis
thus far. It was denied the ability to forget the past, and not it has itself become the indication of a past in art
that is supposed to be overcome. Derrida does not go into that. The book is considered his magnum opus on
art theory; he wrote, as he put it himself, “four times here, around painting.”2 He assesses Cézanne’s remark
as: “A strange utterance. The speaker is a painter. He is speaking, or rather writing, for this is a letter and
this ‘bon mot’ is more easily written than spoken. He is writing, in a language which shows nothing.”3 The
book consists of four parts on very different subjects; in the last of these sections, Derrida comes closest
to painting and turns to the most important Postimpressionist after Cézanne: Vincent van Gogh. He focuses
especially on the latter’s painting of a pair of shoes, painted in 1868, because Martin Heidegger believed the
painting was of a pair of peasants’ shoes, while the art historian Meyer Schapiro saw them as Van Gogh’s
own shoes. Derrida analyzes what can be behind the two interpretations if neither of them can be reliably
confirmed.4 Although Derrida thus admits of other truths about painting in addition to the philosophical ones,
he is not interested in a discourse on art theory but rather a philosophical discourse, and, as Peter Mahr has
observed, “in the truth of painting, not about what painting truly about but about the kind of truth that can
be embodied in painting. You could say whatever painting is, it has not meaning; meaning and truth are first
given to it.”5 To return to Cézanne: According to this the path to the search for truth in nature leads through
the human nature of the painter and the viewer.
Just four years later Frederic Jameson returned to Van Gogh’s shoes in a lecture that be included in
his pioneering study Post-Modernism; or, the Cultural Logic of Late Capitalism: “there are […] significant
differences between the high-modernist and the postmodernist movement, between the shoes of Van Gogh
1 Paul Cézanne, Letters, ed. John Rewald,
trans.SeymourHacker,rev.ed.(New
York:HackerArtBooks,1984),313.
14 Vgl.FabianMarcaccioindiesemBand,S.108.
15 G.Paoleotti,zit.nachWolfgangKemp:Der
Betrachter ist im Bild, Kunstwissenschaft und
Rezeptionsästhetik,Köln1985,S.10und25.
2 Jacques Derrida, TheTruthinPainting,
trans.GeoffreyBenningtonandIan
McLeod(Chicago:Univ.ofChicago
Press,1987),9;originallypublishedin
French as Lavéritéenpeinturein1978.
3 Ibid.,3.
4 SeealsoPeterMahr,“AusdemRahmen
gefallen:PhilosophischeSpurensicherung,” A. Review of Jacques Derrida,
Die Wahrheit in der Malerei, Vienna, 1992, in:
Parnass: Kunst, Architektur, Design, Fotografie,Musik,Theater,Literatur13
(1993):104–5.
5 Mahr,“AusdemRahmengefallen” (see
note4),104.
13
16
human beings and the world, which we found, for example, in the painterly visual collages of Alicia Paz and
which show us, again and again, that painting constructs its own objects, its own space, its illusion, its sensuality, and its emotions, and all that is based on individuality.
Something everlasting clings to painting even today. Fabian Marcaccio observes: “Painting still brings
sporadic innovations and triggers singular affection.“14 What does this statement mean? Perhaps that painting can get especially close to the viewer? It remains possible to read paintings in many ways. That sometimes distinguishes it fundamentally from new media such as photography, film, and video. The various
possibilities of reception demand reflection painting, and in the long history of painting they have repeatedly
led to bringing the viewers quite possessively into the painting and making the accomplices. Already in the
sixteenth century, the bishop of Bologna, Gabriele Paoleotti (1522–97), spoke of integrating all the recipients; everyone must be able to find his or her participation: “painters the artistic depiction, the educated an
adequate grasp of the content, the uneducated beauty, the religious the anagogic, that is, the character of
painting to stimulate pious thoughts and deeds.”15 It can be stated first that contemporary painting has found
its purpose in illustrating for the viewer the extant fragility between imago and reality. Artists cling to translation into painting because it is furthest removed from the everyday, average idea of reality. No other medium
takes place so far from the real world and is as completely free in its possibilities as painting. And, to return
to Paul Cézanne and Jacques Derrida, whom we quoted initially: In the twenty-first century it continues to be
a fascinating attempt to explore the truth a medium other than spoken and written language.
15 GabrielePaoleotti,quotedinWolfgang
Kemp, Der Betrachter ist im Bild:
Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhe tik(Cologne:DuMont,1985),10and25.
Gerhard Richter
18
Jonathan Lasker
34
Peter Halley
50
Adrian Schiess
68
Neo Rauch
80
Daniel Richter
92
Fabian Marcaccio
106
Alicia Paz
126
Sarah McGinity
142
Rashid Johnson
154
Gerhard Richter
Geboren / born 1932 in Dresden, lebt und arbeitet / lives and works in Köln
1951-1957 Hochschule für Bildende Künste Dresden // 1957-1961 Meisterschüler // 1961-1964 Kunstakademie Düsseldorf /// 1971-1994 Professor für
Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf
Ausgewählte Einzelausstellungen seit 2002 / selected Solo Exhibitions since
2002: 2002/2003 40 Years of Painting, Museum of Modern Art, New York /
Art Institute of Chicago / San Francisco Museum of Modern Art / Smithsonians
Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington, DC // 2004 Galerie
Neue Meister, Albertinum Dresden // 2004/2005 Printed! Druckgrafik, FotoEditionen und Künstlerbücher, Kunstmuseum Bonn / Kunstmuseum Luzern /
Kunsthalle Emden / Kunsthalle Tübingen / Museum der Moderne, Salzburg //
2005 Painting as Mirror, K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf / Städtische Galerie im Lenbachhaus, München / 21st Century Museum
of Modern Art, Kanazawa (J) / Kawamura Memorial DIC Museum of Art, Sakura (J) // Image after Image, Museum für Moderne Kunst Louisiana, Humlebæk (DK) // Staatliche Kunstsammlungen Dresden – Galerie Neue Meister //
2008 Bilder aus privaten Sammlungen, Museum Frieder Burda, Baden-Baden
/ Museum Küppersmühle, Duisburg // 2008 Paintings 1963–2007, National
Art Museum of China, Peking // Zufall. 4900 Farben und Entwürfe zum Kölner
Domfenster, Museum Ludwig, Köln // 2009 Retrospective, Albertina Museum,
Wien // Porträts, National Portrait Gallery, London // Abstrakte Bilder, Haus der
Kunst, München // 2011 Bilder einer Epoche, Bucerius Kunst Forum, Hamburg // 2011/2012 Gerhard Richter: Panorama, Tate Modern, London / Neue
und Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Berlin / Musée National
d‘Art Moderne Centre Georges Pompidou, Paris // 2012 Editionen 1965–2011
,me Collectors Room, Berlin // Atlas, Kunsthalle im Lipsiusbau, Dresden //
Dessins et aquarelles 1957–2008, Musée du Louvre, Paris
Teilnahme an zahlreichen Gruppenausstellungen / participation in numerous
group exhibitions such as documenta 5, 1972 / d7, 1982 / d8, 1987 / d9,
1992 / d10, 1997 / d12, 2007 // 1972 36. Biennale in Venedig (deutscher
Pavillon) / 1997 47. Biennale in Venedig (Goldener Löwe)
Detail: Wilhelmshaven, 1969
Gerhard Richter
Geboren / born 1932 in Dresden, lebt und arbeitet / lives and works in Köln
1951-1957 Hochschule für Bildende Künste Dresden // 1957-1961 Meisterschüler // 1961-1964 Kunstakademie Düsseldorf /// 1971-1994 Professor für
Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf
Ausgewählte Einzelausstellungen seit 2002 / selected Solo Exhibitions since
2002: 2002/2003 40 Years of Painting, Museum of Modern Art, New York /
Art Institute of Chicago / San Francisco Museum of Modern Art / Smithsonians
Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington, DC // 2004 Galerie
Neue Meister, Albertinum Dresden // 2004/2005 Printed! Druckgrafik, FotoEditionen und Künstlerbücher, Kunstmuseum Bonn / Kunstmuseum Luzern /
Kunsthalle Emden / Kunsthalle Tübingen / Museum der Moderne, Salzburg //
2005 Painting as Mirror, K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf / Städtische Galerie im Lenbachhaus, München / 21st Century Museum
of Modern Art, Kanazawa (J) / Kawamura Memorial DIC Museum of Art, Sakura (J) // Image after Image, Museum für Moderne Kunst Louisiana, Humlebæk (DK) // Staatliche Kunstsammlungen Dresden – Galerie Neue Meister //
2008 Bilder aus privaten Sammlungen, Museum Frieder Burda, Baden-Baden
/ Museum Küppersmühle, Duisburg // 2008 Paintings 1963–2007, National
Art Museum of China, Peking // Zufall. 4900 Farben und Entwürfe zum Kölner
Domfenster, Museum Ludwig, Köln // 2009 Retrospective, Albertina Museum,
Wien // Porträts, National Portrait Gallery, London // Abstrakte Bilder, Haus der
Kunst, München // 2011 Bilder einer Epoche, Bucerius Kunst Forum, Hamburg // 2011/2012 Gerhard Richter: Panorama, Tate Modern, London / Neue
und Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Berlin / Musée National
d‘Art Moderne Centre Georges Pompidou, Paris // 2012 Editionen 1965–2011
,me Collectors Room, Berlin // Atlas, Kunsthalle im Lipsiusbau, Dresden //
Dessins et aquarelles 1957–2008, Musée du Louvre, Paris
Teilnahme an zahlreichen Gruppenausstellungen / participation in numerous
group exhibitions such as documenta 5, 1972 / d7, 1982 / d8, 1987 / d9,
1992 / d10, 1997 / d12, 2007 // 1972 36. Biennale in Venedig (deutscher
Pavillon) / 1997 47. Biennale in Venedig (Goldener Löwe)
Detail: Wilhelmshaven, 1969
EIN GESPRÄCH*
Gehard Richter und Jan Thorn-Prikker
22
Jan Thorn-Prikker: 1959, also zwei Jahre nach Ihrer Studentenzeit an
der Akademie, besuchten Sie die Documenta II.
für mich ein philosophischer Seitenzweig der Sachlichkeit. Können Sie
das teilen?
Gerhard Richter: Auf der Suche nach einer akzeptablen Form von gegenständlicher Malerei, die dem Bild eines „dritten Weges“ entsprach.
Aber was mir dann wirklich dauerhaften Eindruck machte, waren die
Bilder von Pollock, Fontana und Fautrier.
Gerhard Richter: In meiner Jugend hätte ich das wohl ganz genauso
gesehen. Im Konfirmandenunterricht ging mir auf, dass ich gar nicht an
Gott glauben kann. Ich war sehr erschrocken und hatte natürlich auch
Angst. Da war ich 14.
Jan Thorn-Prikker: Die Documenta II legte den Schwerpunkt auf die
amerikanische Malerei. Werner Haftmann erklärte damals die Abstraktion zur Weltsprache. Warum haben gerade Jackson Pollock und Lucio
Fontana Sie so beeindruckt? Gegenständlich ist das ja nun wirklich nicht
gerade.
Jan Thorn-Prikker: Sie haben später immer prononciert das „Unideologische“ betont, den Wunsch auf keine Ideologie reinzufallen, keiner Ideologie anzugehören. Das scheint ja seine Wurzeln in diesen Anfängen zu haben: Glauben, das ist nicht meine Sache, haben Sie wohl
mal gesagt.
Gerhard Richter: Aber radikal anders, rücksichtslos; unfassbar, dass so
etwas da ausgestellt war. […]
Gerhard Richter: Das ändert sich langsam.
hier im Dom taufen ließen, hatte sich meine Einstellung zur Kirche sehr
geändert, ich merkte allmählich, was die Kirche bieten kann, wie viel
Sinn sie gibt, wie viel Halt, Trost und Geborgenheit.
Jan Thorn-Prikker: Auch das ist im Kern eigentlich keine religiöse Begründung für die Religion, sondern eine praktische und eine ästhetische
Begründung. Sie schätzen die Kraft der Rituale und den Halt der großen
Formensprache. Das bedeutende Wort, den Raum, der uns schützt, das
große Bild, die Vision vor Augen, der Klang der Musik. Die Hoffnung auf
etwas, was größer ist, als wir selber es sind.
Gerhard Richter: All das, was wir brauchen.
Jan Thorn-Prikker: Spielte Literatur in Dresden für Sie eine Rolle?
Jan Thorn-Prikker: Brauchen Sie die offizielle Anerkennung?
Gerhard Richter: Ich sag’s andersrum: Ich wollte zu keiner Zeit ein unverstandener Künstler sein, ein Außenseiter, ein Bürgerschreck. Nie.
Schon vor 50 Jahren sah ich es mit Genugtuung, dass in den Blütezeiten
der Kunst die Künstler eher Staatskünstler waren als Freaks, dass sie
als hoch gebildete Meister zu den Spitzen einer Gesellschaft gehörten.
Davon zehren wir noch heute.
Jan Thorn-Prikker: Hat Ihr […] jugendlicher Atheismus mit Nietzsche zu
tun? Ihre Familie war doch streng protestantisch.
Jan Thorn-Prikker: Ich meine, dass es eine grundsätzlich religiöse Tendenz in Ihrem Werk gibt. Da sind zum Beispiel die Vanitasmotive. Die
Neigung zur Erhabenheit mancher Motive. Heute hängt hier in Ihrem
Atelier in Köln der Entwurf für ein Kirchenfenster. Und nicht zuletzt sind
es die zwei Kreuze, die Sie als Objekte gemacht haben. Eigentlich sind
das ja nur die Maße Ihres eigenen Körpers in der Höhe und Breite. Das
Kreuz sind Sie ja selber stehend, mit ausgebreiteten Armen.
Gerhard Richter: Ich bin ein Sympathisant der katholischen Kirche. Ich
kann zwar nicht an Gott glauben, aber ich finde die katholische Kirche
großartig.
Jan Thorn-Prikker: Was beeindruckt Sie so?
Gerhard Richter: Mein Vater, ja. Aber das öffentliche Klima war ja sehr
antichristlich. Und außer Nietzsche und Schopenhauer und der Freigeisterei meiner Mutter gab es ein Buch, der Autor hieß, glaube ich,
Selbmann, ein Wirtschaftswissenschaftler, ein Marxist, der hat etwas
wie eine kleine Weltanschauung geschrieben. Über den Dialektischen
Materialismus. Das hat mich sehr beeindruckt.
Jan Thorn-Prikker: Für mich war der Dialektische Materialismus ein
Versuch, eine wissenschaftliche Erklärung der Welt zu geben. Da wurde
auf Fragen, warum etwas so ist, wie es ist, immer eine Antwort gegeben.
Das entsprach meinem Wunsch nach Sachlichkeit. Materialismus war
Gerhard Richter: Sie hat uns geprägt, die christliche Kultur ist für mich
die größte und schönste Kultur, die es gibt auf der Welt. Ich bin dankbar
für die große Kunst, die Musik, die schönste Architektur, für die Literatur
und Philosophie, die ja auch dann noch durch und durch katholisch ist,
wenn Sie den extremen Atheismus predigt.
Jan Thorn-Prikker: Alles, was Sie an Kunst verehren, kommt aus diesem
Denken. Da nehmen Sie die Religion dankend in Kauf, ist das so?
Gerhard Richter: Na ja, es ist schon mehr. Als wir unsere beiden Kinder
Gerhard Richter: Sehr sogar. Vor allem Thomas Mann. Und als ich damit
in den Westen kam, musste ich merken, dass ich mich damit eher lächerlich machte. Er war nicht progressiv, nicht radikal - er war bürgerlich, das waren die wichtigsten Schlagworte dieser Zeit.
Jan Thorn-Prikker: Konnten Sie im Westen überhaupt irgendetwas fortsetzen oder war es ein Rückschritt auf den Nullpunkt?
Jan Thorn-Prikker: Wie haben Sie Ihre Lehrer gefunden?
Gerhard Richter: Damals war es so, dass man nur einen Professor finden musste, der einen in seine Malklasse aufnahm, damit war man
eingeschriebener Student. Der freundlichste schien mir Ferdinand
Macketanz, bei ihm blieb ich wohl ein Semester, dann wechselte ich
zu K. O. Götz, den ich interessanter fand, der auch die interessanteren
Studenten hatte, zum Beispiel Konrad Fischer. Bei Macketanz malte
ich wie ein Besessener, so zwischen Dubuffet, Giacometti, Tàpies und vielen anderen. Eine Art Crashkurs in Nachkriegsmalerei - später habe ich
das alles im Hof der Akademie verbrannt. Bei K. O. Götz fand ich es ganz
toll, dass er ins Atelier kam und sagte: „Lassen Sie sich nicht stören.“
Jan Thorn-Prikker: Ihre Picasso-Begeisterung hat also genau bis Düsseldorf gehalten und war dann vorbei. Von da an konnten Sie so malen,
wie Sie es wollten?
Gerhard Richter: Na ja. Es dauerte schon ein gutes Jahr, bis ich überhaupt und ansatzweise wusste, was ich wollte, was mich interessierte
und was zu mir passt.
Jan Thorn-Prikker: Düsseldorf bot ja damals sehr viele Anregungen?
Gerhard Richter: Eher die Ankunft bei Null. Das machte auch Angst,
diese plötzliche Freiheit, die ja nichts anderes war als Verlassenheit. In
meiner Not bin ich ja dann nach Düsseldorf an die Akademie gegangen,
um überhaupt ein Zuhause zu haben. Da traf ich zum Glück einen ehemaligen Kommilitonen aus Dresden wieder. Er wohnte in Düsseldorf,
erklärte mir, dass Düsseldorf ein Zentrum der modernen Kunst sei, und
ließ mich die ersten Wochen bei sich wohnen. So blieb ich dort und ging
nicht nach München, wo ich anfangs dachte, hingehen zu müssen.
Gerhard Richter: O ja, es war ungeheuer aufregend mit all den Ausstellungen und Veranstaltungen, den vielen Künstlern. Und dazu kam der
große Glücksfall, dass ich dort an der Akademie die richtigen Freunde
fand, also Sigmar Polke, Konrad Fischer und Palermo, wir erlebten alles
gemeinsam, die ersten Happenings, die Fluxus-Auftritte, die schon eine
ungeheure Wirkung hatten.
Jan Thorn-Prikker: Sie wurden 1961 also noch einmal Student, mit 29
Jahren - ein „verspäteter Maler“?
Gerhard Richter: Damals erschien mir das nicht so, und wenn man von
den Mitläufern absieht, gibt es noch einige, die geblieben sind: Nam
June Paik, Beuys und Cage natürlich.
Gerhard Richter: Und da ich ein bisschen jung aussah, etwas kindlich war, fiel das nicht so auf. Der Polke war neun Jahre jünger
als ich. Konrad Fischer sieben Jahre, Palermo elf Jahre. Alle waren
jünger als ich. Und die eigentlichen Altergenossen, die Zero-Leute,
die waren für mich die Älteren.
Jan Thorn-Prikker: Aber Fluxus war doch auch eine komische Bastelbude.
Jan Thorn-Prikker: Gehörte John Cage zu Fluxus? Für mich war er der
große Star, den ich von Fluxus getrennt wahrnahm. Er war „der Künstler“, der Rest war „die Bewegung“.
23
Conversation*
Gehard Richter and Jan Thorn-Prikker
28
Jan Thorn-Prikker: In 1959, two years after finishing your studies at the
Academy, you visited documenta II.
Gerhard Richter: In search of an acceptable form for representational
art, congruent with a “third way”. But it was the works by Pollock, Fontana and Fautrier that really made a lasting impression.
Jan Thorn-Prikker: The main focus of documenta II was on American
painting. Back then, Werner Haftmann declared abstract art to be a
worldwide language. So why did Jackson Pollock and Lucio Fontana
impress you so much? Their works aren’t exactly what you’d call representational.
Gerhard Richter: But radically different, ruthless – it was incredible that
something like that should be displayed there. […]
Jan Thorn-Prikker: Do you need the official recognition?
Gerhard Richter: I’ll put it like this: I never wanted to be a misunderstood artist, an outsider, a bogeyman. Never. Even fifty years ago I found
the thought satisfying that, whenever culture blossomed, artists tended
to be part of the establishment rather than freaks; that their status as
highly qualified masters made them part of the elite. We still benefit
from that today.
Jan Thorn-Prikker: Did the youthful atheism have something to do with
Nietzsche? Your family, after all, was staunchly Protestant.
Gerhard Richter: My father, yes. But the public climate was very much
anti-Christian. And, apart from Nietzsche and Schopenhauer and my
mother’s liberal ethics, there was also this book – I think the author’s
name was Selbmann, an economist, a Marxist, who wrote a kind of treatise an the world. About dialectical materialism. It impressed me a lot.
Jan Thorn-Prikker: To me, dialectical materialism was an attempt to
explain the world scientifically. There was always an answer to every question about why things are they are. That satisfied my need for
objectivity. As far as I was conerned, materialism was a philosophical
branch of objectivity. Can you relate to that?
Gerhard Richter: In my youth, I think I would have seen it exactly the
same way. In confirmation classes it dawned on me that I simply
couldn’t believe in God. I was shocked, and afraid of course. I was fourteen at the time.
Jan Thorn-Prikker: Later on you always emphasized the “non-ideological,“ the desire not to be duped by an ideology, not to follow an ideology.
That seems to be rooted in these early experiences. Faith is not for me,
you are supposed to have said once.
Gerhard Richter: That’s beginning to change.
Jan Thorn-Prikker: I think there’s a fundamentally religious tenor in your
work. There are the Vanitas motifs, for instance; the sublimity inherent in
many motifs. Hanging here today in your studio in Cologne, is a plan for
a church window. And not least, there are the two crosses you made as
objects. Basically they just represent the proportions of your own body,
in height and width. The cross is you yourself, standing, with your arms
spread out.
Gerhard Richter: I sympathize with the Catholic Church. I can’ believe in
God, but I think the Catholic Church is marvellous.
Jan Thorn-Prikker: What do you find so impressive?
Gerhard Richter: Our global Christian culture has formed us. I’m thankful
for the great art, the music, the most wonderful architecture, for the
literature and the philosophy, which happens to be thoroughly Catholic
even when it preaches absolute atheism.
Jan Thorn-Prikker : Everything you worship in art is derived from this
value system. So is religion something you’ll gladly grin and bear?
Gerhard Richter: Well, no, it’s a little more than that. When we had our
two children christened here in the cathedral, my attitude towards the
church had already radically changed, and I had slowly begun to realize
what the church can offer, how much meaning it can convey, how much
help, confort and security.
Jan Thorn-Prikker: But even that isn’t, in essence, a religious justifica-
tion for religion, but a practical and aesthetic one. You have high regard
for the power of its rituals and the sense of security conveyed through
its grand language of forms. The meaningful word, the space that
shields us, the grand painting, the guiding vision, the sound of music.
The faith in something that is greater than we are.
Gerhard Richter: Everything we need.
Jan Thorn-Prikker: Was literature important for you in Dresden?
Gerhard Richter: Very much so. Above all, Thomas Mann. And when I
took this passion with me to the West, I had to discover that it made me
appear like a bit of a fool. He wasn’t progressive or radical – he was
bourgeois, and these were the important catchwords of the time.
Jan Thorn-Prikker: Was it possible for you to continue with anything in
the West, or did you have to start everything from scratch?
fide student. The friendliest seemed a be Ferdinand Macketanz, and
I stayed with him for about a semester, then I changed to K. O. Götz, who I
found more interesting, and who also had the more interesting students
– Konrad Fischer, for example. When I was with Macketanz, I painted like
I was obsessed, varying in style between Dubuffet, Giacometti, Tàpies,
and many others. Kind of a crash-course in post-war painting… Later
I burnt everything in the yard of the Academy. One thing I thought was
great about K. O. Götz was that he would come into the studio and say,
“Don’t let me disturb you.”
Jan Thorn-Prikker: So your love for Picasso lasted precisely until you
arrived in Düsseldorf, and then it was over. After that, you could paint
as you wanted?
Gerhard Richter: Well, it took at least a year until I even roughly knew
what I wanted, what interested me, and what suited me best.
Jan Thorn-Prikker: Did Düsseldorf give you lots of inspiration back then?
Gerhard Richter: When I arrived, it was more like being at zero. It was
also frightening, this sudden freedom, which was essentially nothing
else but being abandoned. In my anguish, I went to study at the Academy in Düsseldorf, so I would have a home. Luckily I met a former fellow
student from Dresden. He lived in Düsseldorf, explained to me that Düsseldorf was a centre of modern art, and let me stay at his place for the
first few weeks. So I stayed and didn’t go to Munich, which is where I
had initially thought I needed to go.
Jan Thorn-Prikker: So in 1961, aged twenty-nine, you became a student
again – a “late painter”?
Gerhard Richter: And because I looked younger than my age and was a
bit childish, people didn’t notice so much. Polke was nine years younger
than me. Konrad Fischer was seven years my junior. Palermo, eleven years. Everyone was younger than me. And my contemporaries, the Zero
people, seemed like the older ones to me.
Jan Thorn-Prikker: What did you think of your teachers?
Gerhard Richter: Back then all you had to do was find one professor who
would allow you to take part in his drawing class and you were a bona
Gerhard Richter: Oh yes, it was incredibly exciting, with all those exhibitions and events, all those artists. And then I was incredibly lucky to
find the right friends at the Academy: Sigmar Polke, Konrad Fischer and
Palermo. We experienced everything together, the first Happenings, the
Fluxus events: these things had an enormous effect on me.
Jan Thorn-Prikker: But Fluxus was also a bit of an odd, slapdash kind
of affair.
Gerhard Richter: It didn’t seem like that to me at the time, and if you
ignore the hangers-on, there are quite a few that remained loyal to the
concept – Nam Jun Paik, Beuys and Cage, of course.
Jan Thorn-Prikker: Does John Cage belong to Fluxus? To me he was like
the big star whom I regarded as a separate entity from Fluxus. He was
“the artist” and the others were “the movement.”
Gerhard Richter: I felt the same way. And, later on, I started to love his
music, and it became something of an exemplary artistic symbol to
me.
29
60
Cross Currents, 2009
Abstraktion und Kultur (1991)*
Peter Halley
62
Überraschenderweise dreht sich ein Großteil der aktuellen Auseinandersetzung mit der Abstraktion um die Idee der Abstraktion
als stilistisches Mittel oder Erfindung, die sich formalen Anliegen der
Künstler verdankt. Sie behandelt die Abstraktion als ein Phänomen,
deren Geschichte sich nach wie vor als eine Serie stilistischer Veränderungen innerhalb der Sprache der Kunst der Moderne selbst
nachzeichnen lässt. Außerdem gilt die Abstraktion weiterhin als eine
überlegene Sprache des emotionalen Ausdrucks, bei der das „freie“
Spiel der „reinen“ Farbe, Form und Geste es dem Künstler und dem
Betrachter ermöglichen, auf einer emotionalen oder spirituellen „Ebene“ jenseits des Narrativen und Abbildhaften zu kommunizieren.
Irgendwie muss man doch sagen, dass man, wenn man unser Verständnis der Bedeutung der Abstraktion, oder von irgendetwas sonst, auf eine beschwörende Aufzählung seiner eigenen
formalen Geschichte beschränkt, etwas leugnet, nämlich die unzähligen Verbindungen zwischen der Kultur und anderen Historien und
zwischen dem Künstler und der Welt.
Wenn wir über diese exklusivste aller Bildsprachen nachdenken,
ziehen wir uns intellektuell offenbar in das Kloster der Hochkultur
zurück. Wir leugnen, dass die Abstraktion ein Spiegelbild stärkerer
historischer und kultureller Kräfte ist. Wir leugnen, dass das Phänomen der Abstraktion nur in dem Ausmaß Bedeutung erlangt, in dem
es stärkere Kräfte widerspiegelt und in ihre Geschichte eingebettet ist.
Schon in den 1930er Jahren verdeutlichte Meyer Schapiro diese Perspektive mit bemerkenswerter Präzision. „Die Abstraktion“,
schrieb er, „reflektierte die ökonomische Mechanisierung des Bewusstseins“ in unserer Kultur, unsere Unterordnung „unter einen
äußeren Zweck“, der „gleichgültig gegenüber dem Einzelnen“ war.
Doch nach Schapiro kamen Alfred Barr und Clement Greenberg,
deren Bemühungen die Abstraktion in einen hermetisch abgeschlossenen Garten Kant’scher Machart umsiedelten, wo die Macht der Kultur sie in all diesen Jahren nur allzu gerne festgehalten hat.
•••
Doch in welcher Beziehung steht die Abstraktion zu umfassenderen gesellschaftlichen Kräften und intellektuellen Trends in unserem
Jahrhundert? Tatsächlich ist Abstraktion in der Kunst nur eine Erscheinungsform eines universellen Drangs hin zum Begriff der Abstraktion,
der das Denken des zwanzigsten Jahrhunderts beherrscht hat. Im
zwanzigsten Jahrhundert wurde auf jedem Gebiet des intellektuellen
Bemühens der Empirismus, die Leitideologie des Denkens und der Kultur im neunzehnten Jahrhundert, durch die Idee der Abstraktion ersetzt.
Die Abstraktion beruht auf der Idee der Anordnung eigenständiger,
spezifischer Vorfälle zu verallgemeinerten, wiederholbaren Mustern. In
den bildenden Künsten hat das zu der Idee geführt, dass spezifische
visuelle Vorfälle sich durch verallgemeinerte Formen repräsentieren
lassen, die sich schließlich von ihrer tatsächlichen phänomenologischen Quelle befreien.
Abstraktion in den bildenden Künsten beruht außerdem auf der Idee,
dass die Wechselbeziehung zwischen den Teilen in einem Kunstwerk
wichtiger ist als ihre individuelle symbolische Identität. Wie wir sehen
werden, findet diese Betonung sprachlicher Beziehungen auch auf anderen Gebieten des Denkens im zwanzigsten Jahrhundert einen Widerhall.
Es ist wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass die visuellen Prinzipien der Abstraktion nicht auf die Praxis der Hochkunst beschränkt
sind, sondern sich auf sämtliche Aspekte unserer visuellen Kultur
erstrecken. Abstraktion findet sich nicht weniger in gewöhnlichen
populären Formen als in Werken von Kandinsky, O’Keefe oder Kelly.
Denkt man etwa an die allgegenwärtigen kodifizierten Zeichen, die
Reisende im vielsprachigen Flughafen von heute zum Gepäck, zu
den Toiletten oder zu Tabakläden führen, dann stellt man fest, dass
diese Darstellungen des männlichen oder weiblichen Körpers, eines
Gepäckstücks oder einer Zigarette sich ebenfalls einer höchst abstrakten Sprache verallgemeinerter Formen bedienen, fernab jeglicher
spezifischen Darstellung.
In ähnlicher Weise offenbart ein Vergleich von Comics aus der Mitte des 20. Jahrhunderts wie Peanuts oder Felix the Cat und politischen
Karikaturen aus dem 19. Jahrhundert, dass die Karikaturisten im 19.
Jahrhundert die spezifischen, empirisch beobachteten Charakterzüge
ihres Gegenstands übertrieben (eine große Nase, eine fleckige Haut),
während Charly Brown oder Felix abstrakte Darstellungen oder kodifizierte Gestalten eines kleinen Jungen oder einer Katze sind und lediglich diagrammatische visuelle Muster bieten. Der Drang zur cartoonartigen Abstraktion ist für unsere gesamte visuelle Kultur wesentlich. Er
hat in den letzten Jahren derart zugenommen, dass selbst in den Filmen, die noch so tun, als würden sie spezifische Ereignisse filmen, die
realen menschlichen Figuren die kodifizierte abstrakte Welt ihrer Vettern aus den Cartoons nachzuahmen beginnen. (Zurück in die Zukunft,
Batman und Total Recall sind gute Beispiele für dieses Phänomen.)
Natürlich beherrschen dieselben Prinzipien auch nicht-visuelle Bereiche der Kultur. Wie Jean Baudrillard erklärt hat, nimmt das Modell,
sprich das abstrakte Modell, in allen Bereichen des heutigen Lebens
eine Vorrangstellung gegenüber dem Spezifischen ein. So bemühen
sich in der akademischen Welt Psychologen, Wirtschaftswissenschaftler oder Soziologen darum, die Existenz verallgemeinerter Verhaltensmuster festzustellen, die dann als jene Linsen fungieren, durch die
man spezifische Vorkommnisse betrachtet. Das davon abweichende
Individuum muss folglich als psychopathisch, soziopathisch oder Borderline-Phänomen klassifiziert werden. Und die Wirtschaft, selbst eine
Abstraktion, muss mittels der Kategorien Wachstum oder Rezession
beurteilt werden und ihre Produktion messbar sein.
Wesentliche Pionierarbeit im Hinblick auf das Erkennen der Wirkung dieser Ideen der Systematisierung und Kategorisierung wurde,
daran gilt es zu erinnern, von Michel Foucault geleistet. Seine Untersuchungen zur Systematisierung der Medizin und Geisteskrankheiten
sind wesentliche Studien. Als ebenso einfaches wie markantes Beispiel wies Foucault, man wird sich erinnern, in seinen späten Werken
zur Sexualität darauf hin, dass selbst das Phänomen der Klassifizierung von Sexualität (in Hetero- und Homosexualität, Normalität und
Abweichung) ein Phänomen der Moderne ist.
Auf dieselbe Weise werden auch die moderne Physik und Biologie
von einem extrem kodifizierten Konzept der Kombination und Analyse neutraler abstrakter Einheit beherrscht, egal ob es sich dabei um
subatomare Partikel oder DNS-Stränge handelt. Diese Betonung der
sprachlichen Struktur der Materie, bei der man feststellen kann, dass
das Verhalten der Materie bestimmten grammatischen Gesetzen gehorcht, die auf der Neukombination abstrakter Elemente beruhen, hat
ihr genaues Pendant in der Art und Weise, wie die Abstraktion in den
bildenden Künsten funktioniert.
Das Phänomen der Abstraktion spiegelt sich in der Technologie
nicht minder als in der intellektuellen Produktion. Dem marxistischen
Denken zufolge ist Ideologie der Schlüssel zum Verständnis des Bewusstseins. Doch da die Technologie eine zunehmend autonomere
Rolle hinsichtlich der Beeinflussung der Gesellschaftsstruktur spielt,
scheint es unerlässlich zu sein, sie als eine Macht zu untersuchen, mit
der zu rechnen und deren Bedeutung derjenigen der Ideologie ebenbürtig ist. Eine Reihe von Gesellschaftstheoretikern, darunter Mumford,
Giedion, Ellul und Debord, haben diesen Weg gewählt. Darüber hinaus
erkennt ein großer Teil der heute verfassten Sozialgeschichte die Aus-
wirkungen des technologischen Wandels auf die Kultur an. Man denke
etwa an Wolfgang Schivelbuschs Buch Lichtblicke: Zur Geschichte
der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert oder an Stephen Kerns
The Culture of Time and Space 1880-1918, das die Auswirkungen des
technologischen Wandels auf den Gebieten Reise und Kommunikation
auf die Künste im Zeitalter des Kubismus untersucht.
In diesem Jahrhundert ist die Technologie selbst abstrakter geworden, und sie hat die Welt, in der wir leben, in eine abstraktere
Umwelt verwandelt. Die Technologie hat sich im Wesentlichen Schritt
für Schritt von jedweder Beziehung zu dem gelöst, was gemeinhin
als Natur aufgefasst wird. Das Pferd wurde durch das mechanische
Automobil ersetzt, die Kerze durch das elektrische Licht usw. Die Technologie wurde immer autonomer, indem die Muskelkraft zunächst
durch Dampf, dann durch Strom und schließlich durch die Kernkraft
ersetzt wurde. Wenn wir mit Autos, elektrischen Lichtern, Klimaanlagen und Telefonen in Berührung kommen, dann treten wir in eine
Welt ein, in der wir nicht mehr an die natürlichen Kräfte gebunden
sind, die diese Apparaturen ersetzen. Wir treten in eine Welt ein,
in der die Technologie von der Natur unabhängig und unsere Umwelt selbst abstrakt wird, sowohl in visueller als auch in physischer
Hinsicht.
Darüber hinaus haben die raschen Veränderungen, die in diesem
Jahrhundert auf den Gebieten Reise und Kommunikation stattgefunden haben, uns exponentiell stark in eine Welt gedrängt, die nicht
mehr von „realer“ oder „natürlicher“ Zeit oder „realem“ oder „natürlichem“ Raum abhängig ist. Wir halten es für selbstverständlich, dass
wir mit jemandem auf der anderen Seite des Erdballs sprechen können, oder dass wir nur ein paar Stunden benötigen, um Tausende von
Meilen zu reisen. Derartige Disjunktionen in Raum und Zeit haben
auch eine Welt geschaffen, die extrem formbar und frei von natürlichen Bezügen ist.
Wenn wir das Alltagsleben eines Angehörigen der Mittelschicht
in den USA oder Europa untersuchen, erhalten wir das Bild einer
Existenz von außerordentlicher Abgeschlossenheit. Menschen leben
in abgeschotteten Häusern oder Wohnungen in extrem kontrollierten
Landschaften. Sie reisen in abgeschlossenen Autos über die abstrakte
Bahn des Highways in ebenso künstliche Büroparks und Shoppingmeilen. Wenn man von abstrakter Kunst spricht, ist es von großer Bedeutung,
sich daran zu erinnern, dass sie nur das Spiegelbild einer physischen
Umwelt ist, die im Wesentlichen ebenfalls abstrakt geworden ist.
63
Abstraction and Culture (1991)*
Peter Halley
64
Wann immer Andy Warhol über den Tod, Sex oder irgendeine andere beunruhigende emotionale Situation sprach, pflegte er zu sagen:
„Das ist so abstrakt.“ Doch auch wenn die Geschichte der Abstraktion
in der Nachkriegszeit diese intellektuellen und technologischen Veränderungen widerspiegelt, handelt es sich bei der abstrakten Kunst keineswegs nur um deren Aufzeichnung oder Darstellung. Vielmehr ist die
Abstraktion der Nachkriegszeit durch eine gewisse emotionale, durch
Entfremdung ausgelöste Verweigerung gekennzeichnet. Wenn die
Abstraktion der Nachkriegszeit überhaupt irgendetwas aufzeichnet,
dann ist es die emotionale Verständnislosigkeit, Leere und Stumpfheit
einer abstrakten Welt, in der die sozialen Beziehungen genauso bindungslos geworden sind wie die Technologie.
In ihrem bedeutenden Werk über die Welt der Vorstädte, The Moral Order of a Suburb, schrieb M. P. Baumgartner, wir lebten in einer
Welt des „moralischen Minimalismus“ und „schwacher Bindungen“,
in der die Leute einer Situation lieber aus dem Wege gehen als sich
einer sozialen Konfrontation zu stellen, in der Familien das Haus wechseln, damit jedes Familienmitglied sein oder ihr eigenes Zimmer haben
und den Kontakt mit den anderen vermeiden kann. Zugleich leben wir
jedoch in einer Welt, in der die brutalen, aber unwirklichen Auswirkungen der Kommodifizierung an Intensität eher zu- als abgenommen
haben, in der der Status von der Fähigkeit abhängig ist, Dollars anzulocken und abstrakte wirtschaftliche Veränderungen auf einen Schlag
die imaginierte Sicherheit des Einzelnen zerschmettern können.
Abstraktion hat also wirklich nichts mit ästhetischen Anliegen zu
tun, noch lässt es sich formal durch den Gebrauch spezifischer Formen, Techniken oder Konfigurationen kennzeichnen. Ein Car Crash
(Autounfall) von Warhol, ein Joke (Witz) von Prince oder ein Filler (Füllsel) von Meyer Vaisman - sie alle spiegeln dasselbe leere Leid, das
das Werk Rothkos und de Koonings kennzeichnete, das sich in der
stoischen Abgeschlossenheit des frühen Stella oder Rymans fortsetzte
oder in Gemälden wie No von Johns und in den tragikomischen Meditationen Naumans oder Smithsons. Abstrakte Kunst ist einfach die
Wirklichkeit der abstrakten Welt.
ErstveröffentlichunginTemaCeleste,Nr.32-33,Herbst
1991.WiederabdruckinSelectedEssays:1981-2000,
hrsg.v.RichardMilazzo,NewYork,Paris,Turin,September
2012.
ÜbersetzungausdemEnglischen:NikolausG.Schneider.
Surprisingly, most of the current discussion of abstraction continues
to focus on the idea of abstraction as a stylistic device or invention, borne
out of artists’ formal concerns; it treats abstraction as a phenomenon
whose history can still be traced as a series of stylistic changes within the
language of Modernist art itself. Further, abstraction continues to be seen
as a superior language of emotional expression, in which the “free” play
of “pure” color, form, and gesture enable artist and viewer to commune on
an emotive or spiritual “plane” beyond the narrative and representational.
Somehow, it must be said that to limit our understanding of the
meaning of abstraction (or anything else) to an incantatory recital of its
own formal history is a denial – a denial of the myriad connections between culture and other histories and between the artist and the world.
In thinking about this most rarefied of visual languages, it seems we
intellectually retreat into the cloister of high culture; we deny that abstraction is a reflection of larger historical and cultural forces. We deny that the
phenomenon of abstraction only gains meaning to the extent to which it
does reflect larger forces and is embedded with their history.
In fact, as early as the 1930s, Meyer Schapiro made this perspective
clear with remarkable precision. “Abstraction,” he wrote, “reflected the
economic mechanization of consciousness” in our culture, our submission
“to some external purpose” that was “indifferent to the individual.” But
after Schapiro came Alfred Barr and Clement Greenberg, whose efforts
relocated abstraction in a tightly-locked garden of Kantian design where
cultural power has been all too content to keep it for all these years.
•••
But how is abstraction related to larger social forces and intellectual
trends in our century? In fact, abstraction in art is simply one manifestation of a universal impetus towards the concept of abstraction that has dominated twentieth-century thought. In every area of intellectual endeavor,
the twentieth century has seen the idea of abstraction replace empiricism,
the guiding ideology of nineteenth-century thought and culture.
Abstraction is based on the idea of the organization of discrete, specific
incidents into more generalized, repeatable patterns. In the visual arts, this has
led to the idea that specific visual incidents can be represented by generalized
forms, which eventually free themselves from their actual phenomenological
source. Abstraction in the visual arts is also based on the idea that the interrelationship between parts in a work of art is more important than their individual
symbolic identity. As we will see, this emphasis on linguistic relationships is
echoed in other areas of twentieth-century thought as well.
It is important to remember that the visual principles of abstraction
are not confined to high-art practice, but rather extend to all aspects of our
visual culture. Abstraction appears no less in commonplace popular forms
than it does in the works of Kandinsky, O’Keeffe, or Kelly. Thus, if one thinks
of the ubiquitous codified signs that direct travelers to baggage, toilets, or
tobacco shops in the contemporary multi-lingual airport, one observes that
these representations of the male or female body, a piece of luggage, or
a cigarette, also employ a highly abstract language of generalized shapes
that are completely removed from specific representation.
Similarly, a comparison between mid-twentieth-century comic strips
like Peanuts or Felix the Cat and nineteenth-century political caricature
reveals that while the nineteenth-century caricaturist exaggerated the
specific empirically-observed traits of his subject (a large nose, blotchy
skin, etc.), Charlie Brown or Felix are abstract representations or codified
gestalts of a little boy or cat, providing only diagrammatic visual patterns.
This impulse to cartoon abstraction is essential to our entire visual culture.
It has advanced so far in recent years that even in the movies, which still
purport to film specific events, the actual human characters have begun
to mimic the codified abstract world of their cartoon cousins. (Back to the
Future, Batman, and Total Recall are good examples of this phenomenon.)
Clearly, these same principles govern non-visual areas of culture, as
well. As Jean Baudrillard has stated it, the model, that is to say the abstract
model, takes precedence over the specific in all areas of contemporary
life. Thus, in the academic world, the psychologist, the economist, or the
sociologist seek to establish the existence of generalized patterns of behavior that then act as a lens through which to view specific incidents.
The aberrant individual must be classified as psychopathic, sociopathic, or
borderline. The economy (itself an abstraction) must be categorized as in
growth or recession and its output must be measurable.
Much of the pioneering work in recognizing the impact of these
notions of systematization and categorization, it should be remembered,
was done by Michel Foucault. His examination of the systemization of
medicine and mental disorder are crucial studies. As a simple and poignant example, one remembers that in his later work on sexuality, Foucault
pointed out that even the phenomenon of the classification of sexuality
(into hetero- and homosexuality, normalcy and deviance) is itself a modern
phenomenon.
In the same way, modern physics and biology are also governed by a
highly codified concept of the combination and breakdown of neutral abstract units (be they subatomic particles or strands of DNA). This emphasis
65
Adrian Schiess
Geboren / born 1959 in Zürich, lebt und arbeitet / lives and works in Le
Locle (CH)
1975-1976 Vorkurs an der Kunstgewerbeschule, Zürich / preliminary course
at the Kunstgewerbeschule, Zürich // 1976-1980 Lehre als Grafiker / apprenticeship as a graphic designer
Ausgewählte Einzelausstellungen / selected Solo Exhibitions: 1984 Kunsthalle Waaghaus, Winterthur // 1990 Aargauer Kunsthaus, Aarau // 1993 ARC /
Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris // 1994 Kunsthalle Zürich // The Showroom, London // 1996 Adrian Schiess. Flache Arbeiten 1992-96 und Videos,
Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz // 1998 Adrian Schiess –
Paintings, Kunsthaus Bregenz // 2001 Adrian Schiess. Malerei, Neues Museum
Nürnberg // 2004 Malerei-Grünorange, Villa Merkel, Esslingen // Adrian
Schiess – Aquarelle, Kunstmuseum Solothurn (CH) // 2005 Sonnenuntergang
mit Vollmond, Städtische Galerie Nordhorn // 2007 Off the Wall, Indianapolis
Museum of Art // La Station, Nizza // 2008 Peintre, Le Parvis, Centre d’Art
Contemporain, Ibos // 2009 Musée national Fernand Léger, Biot // 2010 Musée
d‘ Art Moderne, St. Etienne // Summer Endings, Stiftung Langmatt, Baden (mit
Annelies Štrba) // 2012 Nizza schön, 14°, Bündner Kunstmuseum, Chur (CH)
Ausgewählte Gruppenausstellungen / selected Group Exhibitions: 1990
44. Biennale di Venezia, Venedig // 1992 Documenta 9, Kassel // 1994 Positionen. Beobachtung zum Stand der Malerei in den 90er Jahren, Museum
Folkwang Essen // Immedia, Malerei in den 90er Jahren, Neue Galerie am
Landesmuseum Joanneum, Graz // Color and Paint, Kunstmuseum St. Gallen
// 1996 Malerei der 90iger Jahre, Kunstmuseum Bonn // Bilder Zauber - Ein
seriöses Spiel, Fotomuseum Winterthur // 1998 Freie Sicht aufs Mittelmeer.
Junge Schweizer Kunst, Kunsthaus Zürich // L’hypothèse du tableau volé, Musée d´Art Moderne et Contemporain, Genf // 2000 Mixing Memory and Desire,
Kunstmuseum Luzern // Dépaysement, MDD, Deurle // 2001 Painting: Zero
Degree, Center for Art and Visual Culture, Baltimore, MD // Painting on the
Move, Museum für Gegenwartskunst – Emanuel Hoffmann-Stiftung, Basel //
Collections sans frontières, Galleria Civica d´Arte Moderna e Contemporanea, Turin // 2004 Herbert Brandl, Helmut Dorner, Adrian Schiess, Christopher Wool – Malerei, ZKM Karlsruhe // 2005 Farbe und Faktur - Reflexionen
über Formprinzipien der Russischen Avantgarde, MUMOK, Wien // 2006
Premio Biella per l‘Incisione 2006, Museo del Territorio di Biellese, Biella //
2007 Swiss Made II., Kunstmuseum Wolfsburg // 2011 Example: Switzerland,
Kunstmuseum Lichtenstein, Vaduz
Detail: Coucher du soleil avec mimosas, 2011
Die Farben der Mimosen
Uwe Gellner
70
Coucher du Soleil avec Mimosas (Sonnenuntergang mit Mimosen) – dieser Titel entwickelt ein Bild,
noch bevor man etwas gesehen hat. Der Titel klingt romantisch, die darin benannten Dinge sind unstet und
ein atmosphärischer Windzug durchstreift unsere Vorstellungen. Man wird nicht gleich annehmen, dass
dieses Bild eine pflanzenkundliche Beschreibung illustriert, die sich im schwindenden Sonnenlicht zeigt,
während auch die Farben schwinden und der Raum sich in die Dunkelheit verengt. Dennoch wecken die
Worte zahllose Vorstellungen darüber, was auf dem Bild alles zu sehen sein könnte. Ein Grund dafür liegt
in der Natur der Sprache, die uns Worte zur Verfügung stellt, damit wir unsere Vorstellungen von den Dingen verbinden und austauschen können, Worte, die eine oft dahinter stehende Vielfalt an Lesbarkeit und
Bedeutung vereinheitlichen und abstrahieren. Ein zweiter Grund liegt darin, ein Bild zu benennen, das wie
alle Bilder einen mehr oder weniger benennbaren Gegenstand bezeugt, was bei Adrian Schiess, dessen
jedes Bild eine Reise ins Unbekannte eröffnet, indem es allem Vereinheitlichenden widerstrebt, allerdings
über gewohnte Grenzen der Erkennbarkeit und Benennbarkeit hinweg und über den Gegenstand hinaus
führt. Daher könnte der Titel jeder nur denkbar verschiedenen Deutung und Beschreibung durchaus nahe
stehen.
Adrian Schiess vertritt von Anfang an einen Anspruch, der den gewohnten Regeln und Erwartungen
in der Malerei misstraut. Seit 1980 hat er parallele Praktiken entwickelt, die von einer Ablehnung des objekthaft selbständigen Tafelbildes ausgehen und die die räumliche Umgebung des Bildes mit dem vorhandenen Tageslicht zu immanenten Koordinaten seiner Malerei erklären.1 Dreh- und Angelpunkt für diese
Überlegungen ist das Phänomen der Farben, die Substanz der Malerei. Unsere eigentümlich relative und
individuell leicht verschiedene Wahrnehmung von Farben, speziell noch in ihrer Abhängigkeit vom Licht,
wird in seinen Bildern zum Untersuchungsfeld und Handlungsraum. Entsprechende Festlegungen trifft er
für die beteiligten Faktoren, wie die Beschaffenheit der verwendeten Farben, die Methode des Farbauftrages, die Materialität, die Form und Größe der Bildträger und eben auch die Art der Platzierung seiner
Werke in einem gegebenen architektonischen Raum, die er in Beziehung zum natürlichem Tageslicht setzt.
Spätestens seit 1987 verwendet Adrian Schiess den Titel Coucher du Soleil, damals für einen im Foto
festgehaltenen Blick ins späte Sonnenlicht. Innerhalb der letzten zehn Jahren wurde dann eine ganze
Reihe von Gemälden unterschiedlicher Größe mit diesem Titel benannt, zu denen auch die beiden hier abgebildeten zählen, das kleinere von Adrian Schiess im Übrigen als „Shape“ rubriziert.2 Der Maler bewertet
im Gespräch die Naturnähe seiner Arbeiten als grundsätzlich.3 Insofern könnte der Titel vielleicht schon
festliegen, noch bevor das Bild entsteht, und als eine Art Formel dienen, welche die begriffliche Abstraktion
voranstellt, um Vorstellungen zu wecken, die sich im entstehenden Bild messen können, das sich in den
individuellen Raum der Worte hinein bewegt und ihn transzendiert. Die mehrfache Wiederkehr des Titels,
ohne eine verbindende motivische Absicherung beizusteuern, hat konzeptuelle Gründe.
1
AdrianSchiessimTelefonatmitdem
Autor,August2012.
2
AdrianSchiesshatdenBegriff„Shape“in
einemTelefonatimSeptember2012verwendet.
3
ZurVerwendungdesBegriffs„Natur“bei
AdrianSchiess:SchöneBrüchigkeit–
brüchigeSchönheit–EinGesprächzwischen
AdrianSchiess,ChristelRausmüllerund
StephanKunz,in:AdrianSchiess,Werke
1978-2012,Hg.StephanKunz,RomanKurzmeyer,Heidelberg/Berlin2012,S.215.
Das große Bild auf blaugrün gefasstem Nylongrund besitzt zentral und rechts der Mitte eine dominante
Partie blauvioletter Durchtränkung, die teils mit Silberfarbe überfangen wurde, was subtile Lichtreflexionen
bewirkt, während der gesamte linke obere Bildteil deutlich von spritzend ausfließendem Gelb erfasst ist.
Protuberanzen? Im Inhalt des Formates kreuzen sich gegensätzliche Verfahren. Das Bild zeichnet einen
latenten Zustand auf, der visuell für den Moment steht und selbst bei langer Betrachtung kaum Stabilität
erlangt, der sich innerhalb der Formen verschiebt, verschwimmt und räumlich weitet. Die dunklen Farben
strömen aus, lagern sich in Nestern ab, darüber Stege bildend, die wiederum ein Labyrinth aus Höhleneingängen errichten. Die helleren Tonwerte bewahren der Malfläche ihre Lichtdurchlässigkeit, was diesen
Bereichen im Bild einen schwebenden Zustand verleiht. Zwischen den Farben entstehen Überlagerungen,
weniger Vermischungen, was die räumlichen Wirkungen betont und die Flächigkeit des Bildes zurücknimmt.
Alle Formen verbleiben in der Abstraktion ihres Materials. Die Worte des Titels geben der Betrachtung ein
Etikett, nicht aber eine Bedeutung, weil die Worte dem Phänomen, das sie bezeichnen, die Vielfalt möglicher
Auslegungen bieten, ohne dem Auge illustrative Wege zu weisen. Es steht uns frei, den „Sonnenuntergang“
und die „Mimosen“ vielleicht assoziativ aufzuspüren und allegorisch zu deuten.
In den letzten zehn Jahren hat Adrian Schiess malerische Techniken entwickelt, bei denen er mit den
Farben in bedingt kontrollierten gestischen Aktionen über mehreren auf dem Boden übereinander liegenden
sehr dünnen Malgründen agiert, die teils mit Naturmaterialien wie Blättern von Bäumen belegt sind. Die
Farben über mehrere Tage in unterschiedlicher Konsistenz auf die Fläche gießend und teils verwaschend,
verbindet der Maler intuitives Suchen und notwendiges praktisches Handeln miteinander. Die Bildgründe
nehmen Abläufe in sich auf, die nicht abgeschlossen erscheinen, die der Maler unterbricht. Diese Malerei
entwickelt komplexe, semantisch entgrenzte Situationen, die den unablässigen Wandel von naturgegebenen
Abläufen antizipieren. Was beschreibt einen Sonnenuntergang, was sind Mimosen auf einem Bild, und was
hat das eine mit dem anderen zu schaffen? Als in der Kunst darstellbare Phänomene kennt man das erste
tausendfach, das zweite selten. Aber Adrian Schiess geht es nicht um irgendeine Darstellung, es geht ihm
ausschließlich um Malerei. Der im Nachhinein festgelegte Titel darf ein Bild nicht einschnüren. In diesem
Fall ergibt sich zwischen den beiden Begriffen ein Imaginationsraum, den die Natur ausfüllt, aus dem Archiv
unserer Erinnerungen und Vorstellungen abgerufen und entsprechend bedingt konkret und flüchtig in seiner
Erscheinung - wie die Blattwedel von Mimosen, wenn man sie berührt oder wenn sie im schwindenden Licht
bei Sonnenuntergang zusammenklappen. Bilder kann man nicht wörtlich nehmen, der Titel ist ein zugeordneter Bestandteil des Bildes, nicht aber seine Erklärung.
Das kleinere „Shape“ Coucher du Soleil (Sonnenuntergang), im Unterschied zu dem großformatigen Bild
auf dichtem Leinwandgrund entstanden, fällt zunächst durch seine unregelmäßige Außenform auf. Während
die Seitenkanten links und oben einen rechten Winkel bilden, fügen sich die Seitenkanten rechts und unten
4
Ebd.,S.213.
5
Ebd.,S.212f.
6
Ebd.,S.212.
71
The Colors of Mimosas
Uwe Gellner
74
Coucher du soleil avec mimosas (Sunset with mimosas) —the title conjures up an image even before
we have seen anything. The title sounds romantic; the things it names are restless, and an atmospheric
breeze sweeps through our imaginations. One does not immediately assume that this painting illustrates a
horticultural description in fading sunlight while the colors also fade and the space constricts into darkness.
Nevertheless, the words evoke countless ideas about what we might see in the painting. One reason for that
lies in the nature of language, which makes words available to us so that we can connect and exchange our
ideas of things—words that unify and abstract a diversity of readings and meanings that often lie behind
them. Another reason is titling a painting that, like all paintings, vouches for a more or less nameable object.
In the case of Adrian Schiess, every one of whose paintings initiates a journey into the unknown by opposing
everything that unifies, but goes beyond familiar boundaries of the recognizable and identifiable and beyond
the object itself. For that reason, the title could certainly be compatible with every conceivable interpretation
and description.
Adrian Schiess has from the outset advocated an approach that distrusts the usual rules and expectations
in painting. Since 1980 he has developed parallel practices, setting out from a rejection of the object-like,
autonomous easel painting and declaring the spatial surrounding of the painting with the existing daylight to
be the immanent coordinates of his painting.1 The pivot of these reflections is the phenomenon of color—the
substance of painting. Our perception of colors, which is strangely relative and differs slightly by individual,
especially in its dependence on light, becomes the field of exploration and space for action in his paintings.
He makes corresponding decisions for the factors involved, such as the composition of the paints used, the
method of applying them, the materiality, the form and size of the support, and the way his works are placed in
a given architectural space, which he relates to natural daylight.
At least since 1987, Adrian Schiess has used the title Coucher du soleil originally for a view into sunlight
photographed late in the day. Within the past ten years, he gave this title to a series of paintings of different
size, which also includes the two that are shown here, the smaller one Adrian Schiess rubricated incidentally as
“shape.”2 In conversation, the painter describes it as essential that his works be close to nature.3 In that sense,
the title might already be determined before the painting is even produced and thus serve as a kind of formula
that puts terminological abstraction first in order to evoke ideas that can measure themselves in the incipient
painting, which moves into the individual space of the words and transcends it. The multiple recurrence of the
title has conceptual reasons, though without a binding determination of the motifs.
The large painting on a nylon ground painted bluish-green has a dominant part saturated in bluish-violet
in the center and to the right of the center, partially covered with silver paint, resulting in subtle reflections of
light, while the entire top left section is clearly swept with spattered, flowing yellow. Protuberances? Within the
content of the format, antithetical methods intersect. The painting records a latent state that stands visually for
1 AdrianSchiessinatelephoneconversation
withtheauthor,August2012.
2 AdrianSchiessusedtheword„shape“inatele-
phoneconversationwiththeauthor,Septem-
ber2012.
3 Ontheuseoftheconceptof“nature”inthe
workofAdrianSchiess,see“BeautifulFragili-
ty—FragileBeauty:AConservationbetween
AdrianSchiess,ChristelRaussmüllerand
StephanKunz,”inStephanKunzandRoman
Kurzmeyer,eds.,AdrianSchiess,Werke/
Works,1978–2012,exh.cat.,BundnerKunst-
museum,Chur(Heidelberg:Kehrer,2012),
221–33,esp.215
the moment and even when viewed for an extended period scarcely obtains stability, instead shifting, blurring,
and expanding spatially within the forms. The dark colors stream out, are deposited in nests, forming bridges
across them that in turn construct a labyrinth of entrances to caves. The brighter tonal values preserve the permeability of the picture plane to light, giving the painting a sense of floating in these areas. Between these colors
there are areas of overlapping, not really mixing, which emphasizes the spatial effects and reduces the planarity
of the painting. All the forms remain in the abstraction of their material. The words of the title give a label, but
not a meaning, to our viewing, because the words offer a wealth of possible interpretations to the phenomenon
they name without pointing out illustrative paths to the eye. We are free to track down the “sunrise” and the
“mimosas” associatively and interpret them allegorically.
Over the past ten years, Adrian Schiess has developed techniques for painting in which he applies the paints
using gestural actions that are controlled only to a limited extent, working above several thinly primed supports
that are stacked on the floor and partially covered with natural materials such as tree leaves. By pouring paints
of varying consistency on the surface and then partially washing them away, the painter combines intuitive
searching and necessary practical action in separate phases or days, sequentially and thus bringing them together in the process. The pictorial grounds take up processes that appear to be unfinished but interrupted by
the painter. Such painting develops complex situations that dissolve semantic boundaries and anticipate the
incessant transformation of natural processes. What describes a sunset? What are mimosas in a painting? And
what does the one have to do with the other? As phenomena that can be depicted in art, we know thousands of
examples of the former but the latter are rare. But Adrian Schiess is not interested in just any form of depiction;
he is exclusively interested in painting. The title chosen subsequently cannot be allowed to corset the painting.
In this case, a space for the imagination opens up between the two terms, filling out nature, called up from the
archive of our memories and ideas, and correspondingly limited in specificity and fleeting in their appearance,
such as the fronds of mimosas when they are touched or when they close up in the fading light of the sunset.
Paintings cannot be taken literally; the title is an assigned component of the painting but not its explanation.
The smaller “shape” Coucher du soleil (Sunset), which unlike the large-format painting was painted on a
thick coat of primer, is immediately striking for the irregularity of its outer form. Whereas the sides form a right
angle at the top left, at the bottom right they do not follow the same familiar rule of geometry and look like the
edges of a sketch. Much as they do in Coucher du soleil avec mimosas, the colors lead their own lives. The pale
grayish-green placed over a similarly pale but bright red is partially permeable, and we assume we see reciprocal, especially as the gray, cloudy forms are quite animated above the brilliant, bright red level. Only on the left
edge has the grayish-green obviously solidified into an elegantly contoured, think marginal figure. The energetic
happenings between the colors are flanked by the title to form a grand natural drama. There is no why the colorful movements should be limited to the narrow format, so the visual impressions spread into the unpainted area
75
78
Coucher du soleil avec mimosas, 2011
Neo Rauch
Geboren / born 1960 in Leipzig, lebt und arbeitet / lives and works in Leipzig
1981-1986 Studium der Malerei an der Leipziger Hochschule für Grafik und
Buchkunst (HGB) bei Arno Rink // 1986-1990 Meisterschülerstudium an der
HGB bei Bernhard Heisig /// 1993-1998 Assistent von Arno Rink an der HGB,
Leipzig // 2005-2009 Professor für Malerei an der HGB, Leipzig // seit 2009
Honorarprofessor an der HGB, Leipzig
Ausgewählte Einzelausstellungen / selected Solo Exhibitions: 1995 Curator’s
Choice II: Echoes - Neo Rauch & Maren Roloff, Galerie für Zeitgenössische
Kunst, Leipzig // 1997 Kunstpreis der Leipziger Volkszeitung, Museum der
bildenden Künste Leipzig // 2000 Randgebiet, Galerie für Zeitgenössische
Kunst, Leipzig // 2003/2004 Arbeiten auf Papier, Albertina, Wien // 2005 Neo
Rauch, CAC, Malaga (E) // 2006 Neue Rollen, Kunstmuseum Wolfsburg // 2007
Neo Rauch at the Met. para, Metropolitan Museum of Art, New York // para,
Max Ernst Museum, Brühl // 2010 Neo Rauch – Begleiter, Museum der bildenden Künste Leipzig und Pinakothek der Moderne, München // 2011 Neo
Rauch - Begleiter. Mythos Realismus, Zacheta National Gallery, Warschau
// Neo Rauch, Museum Frieder Burda, Baden-Baden // 2011 Rosa Loy und
Neo Rauch. Hinter den Gärten, Essl Museum, Klosterneuburg/Wien // 2012
Neo Rauch. Das grafische Werk – Erster Teil. Grafikstiftung Neo Rauch,
Aschersleben
Ausgewählte Gruppenausstellungen / selected Group Exhibitions: 1999-2001
After the Wall, Moderna Museet Stockholm / Ludwig Museum, Budapest
/ Hamburger Bahnhof, Berlin // 2001 49. Biennale in Venedig // 2002/2003
Lieber Maler, male mir…, Centre Pompidou, Paris / Kunsthalle Wien / Schirn
Kunsthalle, Frankfurt/M. // 2003 Die Erfindung der Vergangenheit, Pinakothek
der Moderne, München // 2004 26. Biennale São Paulo (BR) // 2006 MADE
IN LEIPZIG. Bilder aus einer Stadt, Schloss Hartenfels, Torgau // 2008 Neue
Leipziger Schule, Cobra Museum für moderne Kunst, Amstelveen (NL) // 2008
The 3rd Guangzhou Triennial (CN) // 2011 4. Moscow Biennale // 2012 Müde
Helden, Hamburger Kunsthalle
Detail: Ausflug, 1998
Dörfler, 2009
Pendel, 2009
Daniel Richter
Geboren / born 1962 in Lütjenburg, lebt und arbeitet / lives and works in Hamburg, Berlin, Wien
1991-1995 Hochschule für bildende Künste in Hamburg /// 2004-2006 Professor für Malerei an der Universität der Künste, Berlin // seit 2006 Professor
für Malerei an der Akademie der bildenden Künste, Wien
Ausgewählte Einzelausstellungen / selected Solo Exhibitions: 2000 Für immer, Gesellschaft für aktuelle Kunst, Bremen // 2001 „Billard um halb Zehn“,
Kunsthalle Kiel / Museum der bildenden Künste Leipzig // 2002 Grünspan. K21
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf // 2003 Hirn, Neuer Berliner
Kunstverein // 2004/2005 White Horse – Pink Flag, The Power Plant, Toronto
/ National Gallery of Canada, Ottawa // 2006 Huntergrund, Museum für Gegenwartskunst Basel // Die Peitsche der Erinnerung, Kunsthaus Stade (mit
Jonathan Meese) / 2007 Daniel Richter, Hamburger Kunsthalle // Passion for
Art, Essl Museum – Kunst der Gegenwart, Klosterneuburg/Wien // 2007/2008
Daniel Richter, GEM, Den Haag // 2008 A Major Survey, Denver Art Museum //
CAC Malaga // 2009 Kunsthaus Hamburg // 2010 The Black Saint and the Sinner Lady, Museum der Moderne Salzburg // 2011 10001nacht, Kestnergesellschaft Hannover / Contemporary Fine Arts, Berlin // 2012 Der archäologische
Schrecken (gemeinsam mit Jonathan Meese), Helms Museum, Hamburg
Ausgewählte Gruppenausstellungen / selected Group Exhibitions: 1995 Scharfer Blick, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn
// 1999 German Open 1999 - Gegenwartskunst in Deutschland, Kunstmuseum Wolfsburg // 2000 Abstrakte Kunst, Neues Museum, Staatliches Museum
für Kunst und Design, Nürnberg // German Festival in India, National Gallery
of Modern Art, Bombay / Birla Academy of Art and Culture Museum, Calcutta
/ Karnataka Chitrakala Parishath, Bangalore / National Gallery of Modern Art,
New Delhi // 2001 Vantage Point, Irish Museum of Modern Art, Dublin // 2002
Preis der Nationalgalerie, Hamburger Bahnhof, Berlin // 2003 Berlin - Moskau
/ Moskau - Berlin 1950-2000, Martin-Gropius-Bau, Berlin / Staatliches Historisches Museum am Roten Platz, Moskau // New abstract painting - Painting
abstract now, Schloss Morsbroich, Leverkusen // 2005 Big Bang - Destruction
and Creation in 20th Century Art, Centre National d’Art et de Culture Georges
Pompidou, Paris // 2006 Tokyo – Berlin / Berlin – Tokyo, Mori Art Museum,
Tokio / Neue Nationalgalerie, Berlin // Paint it Blue, Neues Museum Weserburg,
Bremen // Ferne Nähe – Natur in der Kunst der Gegenwart, Kunstmuseum
Bonn // Die Kunst ist super!, Hamburger Bahnhof, Berlin // 2012 Vertrautes
Terrain-Aktuelle Kunst in und über Deutschland, ZKM, Karlsruhe // Der gemalte
Raum, Essl Museum – Kunst der Gegenwart, Klosterneuburg/Wien
Detail: Elektro/a, 2005
94
Elektro/a, 2005
Malerei als Widerstand
Fabian Marcaccio
108
Die heutige Malerei ist ein ständiges Manöver, sich selbst und die eigenen Grundlagen im Verhältnis
zu anderen Bereichen zu definieren. Sie ist permanent im Zustand einer „Variante“, in einem komplexen
Status des Sich-in-sich-selbst- und des Sich-außerhalb-von-sich-selbst-Befindens.
Die Malerei steht auf der Seite der Rechte auf Subjektivierung und verteidigt diese, und sie ist offen
für vielfältige Spielarten, sich auf das Reale zu beziehen. Sie vermittelt kontinuierliche, produktive und
organische Modelle, die das Herz, das Gehirn und die Eingeweide menschlicher Subjektivierungsprozesse ausmachen.
Die heutige Malerei ist eine Form des Widerstands, eine Form der Arbeit, eine alternative Art und
Weise des Begehrens und des In-der-Welt-Seins. Die Malerei ist eine kontinuierliche und organische
nicht-entfremdete Arbeit. Ihrer Herstellung folgt einer von unten nach oben verlaufenden Logik, von
der Einheit zur Totalität. Diese charakteristischen Kennzeichen machen sie zum Ziel von Angriffen von
links, von rechts und aus der Mitte und lassen sie zu idiosynkratisch, zu menschlich, zu animalisch, zu
chaotisch werden.
Malerei ist ein Widerstand gegen die Trägheit der auf Sprache beruhenden und gebrauchsfertigen bildbasierten Kultur, gegen die Kultur der „Cut-and-capture“-Fragmente, die aus jedem beliebigen
Foto-, Video- und Filmbereich herausgelöst werden. Sie steht im Gegensatz zu der bürokratischen und
monolithischen, von oben nach unten verlaufenden Datenausbeutung. Sie ist eine Alternative zur parasitären Logik der Dematerialisierung und Lichtprojektionen. Sie ist gegen die fadenscheinige Kultur des
„Interessanten“ und für das „Interessierte“.
Die Malerei bringt nach wie vor sporadische Innovationen hervor und löst einzigartige Zuwendung
aus. Konzeptkünstler versuchen sie zu gebrauchen, Maler missbrauchen sie im Allgemeinen, Fotografen
benutzen sie als Vorgabe, die digitalen Künste erschaffen sie ständig neu, und der Markt liebt diese
dunkle und glitschige Ware. Vielleicht kann die Malerei mit ihrem Minderwertigkeitskomplex gegenüber
anderen, neueren Medien zurechtkommen, indem sie ihre Eigenart bewahrt und übertreibt und sich
das, was wichtig ist, von anderen Künsten nimmt.
Rope Paintings [Seilbilder]
Die Kunst und vor allem die Malerei ist nicht unabhängig von allem. Wenn sie Glück hat, hat sie
eine Minute lang die Illusion von Unabhängigkeit und Autonomie, aber natürlich ist auch diese Minute
in ein organisches Zeit-Raum-Kontinuum eingebettet. Das Malen und Betrachten der Rope Paintings ist
so, als liege man mit dem eigenen Gesicht im Schlamm. Sie verwirklichen Abstraktion, indem sie sie
unmöglich machen.
Die Rope Paintings zielen auf einen Begriff von echter Historienmalerei, investigativer Reportagemalerei, möglicher gemeinschaftlicher Malerei oder von Action Painting für den aktiven Betrachter. Ich
betrachte die Rope Paintings als einen Zeit-Raum-Material-Impressionismus, eine postdigitale Plastemic
Cell-Malerei, eine Materie/Antimaterie-Membranmalerei und eine der wenigen angemessenen Möglichkeiten, der Pixeldiktatur des Digitalen die Stirn zu bieten. Sie versuchen eine „realere“ Repräsentation
zu präsentieren, eine körperliche Repräsentation, die aus abgesonderten Präsentationen besteht. Diese
zwangsläufig weniger arbiträre Repräsentation ist das Ergebnis konkreter nicht-abstrakter Bildkräfte.
Dies sind keine abstrakten informalistischen Gemälde. Es sind reale menschliche Ereignisse, die
durch reale Malereignisse geschaffen wurden. Es sind digitale Informationen, die durch bildliche Informationen verkörperlicht und territorialisiert wurden. Diese Bilder stammen aus dem entmaterialisierten
Fluss des Internets, Bilder von historischer Bedeutung, ohne Zuhause oder Territorium, Bilder, mit denen
die gängigen Medien nicht zu Rande kommen, die sie vergessen oder auslöschen wollen. Nachdem
ich mehr als ein Jahrzehnt lang digitale Gemälde komponiert habe, habe ich die entmaterialisierten
digitalen Prozesse derart verinnerlicht, dass ich sie jetzt rematerialisieren kann.
Die Rope Paintings sind ein heterogener Prozess, von der Stützstruktur über das Weben des Bildgrunds bis zu den vielfältigen Malweisen, darunter der direkte Farbauftrag von vorn und von hinten,
Airbrush-Malerei sowie Malerei mit gedrückten und gegossenen Farben. Sie sind äußerst massiv und
materiell, doch zugleich voller Luft und Atmosphäre. Man sieht die Wand und ihre Trägerstruktur, die
Schatten, die das Gemälde auf sich selbst und auf die Wand wirft. Das offene, vergrößerte Geflecht von
Seilen erzeugt diese Maschenoberfläche, eine dicke, doch zugleich offene fibröse Material-Atmosphäre.
Es sind keine skulpturalen Gemälde, sondern poröse Bildtopografien. Es geht bei ihnen auch nicht
um kunsthandwerkliches Geschick. Das Weben dient dazu, für jedes Gemälde einen in puncto Maßstab,
Qualität und Charakter spezifischen Bildgrund zu schaffen, der solche Mikro-Makro-Bildereignisse zu
tragen vermag. Die phänomenologische Wahrnehmung wird übertrieben und bis zu dem Punkt verstärkt, dass sie sowohl aus großer Entfernung als auch in der Nahansicht und auf dem Weg vom einem
zum anderen beim Durchqueren der Maschenatmosphäre eine Nah-Fern-Erfahrung bieten. Sämtliche
graduellen Entfernungen und Positionen des aktiven Betrachters verschmelzen in einer Mikro-MakroVerbrennung.
Dies sind keine „Zurück-zur-Natur“- oder „Zurück-zum-Ursprung“-Gemälde. Sie sind konstruktive,
analytische, biokulturelle Gemälde, in der Zeit gemacht, in der sich Radymade und Collage-Modelle
durch Techno-Wissenschaft und Massenmedien integriert und approbiert haben – dem Übergang von
gebrauchsfertig [ready-made] zu wachstumsbereit [ready-growth].
Sie sind keine abgemalten Fotografien, sondern Anwendungen vielfacher, ausgeprägter Bildmodelle
an der Stelle eines verbliebenen Fotogeistes – Bildereignisse mit einer verbliebenen paradigmatischen
Realität. Es sind rhetorische, materielle und räumliche Hyperrealisierungen einzigartiger Ereignisse, die
vergessen werden wollen und mit fast unmöglichen bildnerischen Mitteln gemacht sind, die man kaum
vergessen kann.
Die Rope Paintings sind kühn: Sie scheinen progressiv und reaktionär zugleich. Sie versuchen durch
die Türe zu gehen, der sich William DeKooning näherte, die er aber vermutlich nicht durchschritt: das Innerbildliche, das Nanobildliche. Man sieht Dinge auf ihnen, man sieht Dinge in ihnen und man sieht durch
sie hindurch. Dieses gespenstische Territorium des „Intra-paint“ ist analytisch ohne die Hilfe des übertriebenen Ausdrucks, der leichten Transzendenz oder der chronischen Spezialitäten der freien Künste.
Etwas mit Farbe zu machen bedeutet, es auf die realmöglichste Weise zu repräsentieren und dabei
das Reale immer im Hinterkopf zu behalten, auch wenn es immer verspätet oder unmöglich ist.
ÜbersetzungausdemEnglischen:NikolausG.Schneider.
109
110
Podium, 2011
Painting Resistance
Fabian Marcaccio
112
Painting today is in a constant maneuver to define itself and its grounding in relation to other domains. It is in
a permanent “variant” condition, in a complex state of being in itself and out of itself, in a ghost and mutant state.
Painting is on the side and defense of the rights to subjectivation and open to the multiple ways to relate to the real. It brings continuous, productive, and organic models at the heart, brain and guts of human
processes of subjectivation.
Painting today is a form of resistance, a form of labor, an alternative way of desiring and being in the
world. Painting is a continuous and organic non-alienated labor. Its making follows a bottom-to-top logic
from unity to totality. These characteristics make it a target of attacks from left, right, and center, rendering
it too idiosyncratic, too human, too animal, too messy.
Painting is a resistance to the inertia of language-based and ready-made image-based art, to the culture of the „cut and capture“ fragments disembodied from any domain of photo, video and movie. It is in
opposition to top-to-bottom bureaucratic and monolithic data mining. It is an alternative to the parasitic logic
of dematerialization and light projections. It is against the flimsy culture of the “interesting” and in favor of
the “interested.”
Painting still brings sporadic innovations and triggers singular affection. Conceptual artists try to use
it, painters in general misuse it, photographers use it as a default, digital arts constantly remake it, and the
market loves this dark and slippery commodity. Perhaps painting can deal with its complex of inferiority in
relation to other newer media by holding and exaggerating its own specificity while taking what is important
from other mediums.
Rope Paintings
Art and especially painting is not independent of anything. It is lucky if it has the illusion of independence
and autonomy for a minute, but then again that minute is embedded in an organic time-space continuum.
The painting and viewing of the Rope Paintings is like having your face in the mud. They realize abstraction
by rendering it impossible.
The Rope Paintings aim to a notion of real history painting, investigative report painting, possible communal painting, or action painting for the active beholder. I see the Rope Paintings as a time-space material
Impressionism, a post-digital plastemic cell painting, a matter/anti-matter membrane painting, and one of
the only fair ways to confront the pixel dictatorship of the digital. They try to present a more „real” representation, a corporeal representation made out of secreted presentations. This necessary less arbitrary
representation is the result of concrete non-abstract pictorial forces.
These are not abstract informalist paintings. They are real human events made through real painting
events. They are digital information corporealized and territorialized in pictorial in-formation. These images
are taken from the dematerialized flux of the net, images of historical importance without a home or territory,
images that the mainstream media cannot cope with, wants to forget or erase. After more than a decade
composing digital paintings, I have interiorized the dematerialized digital processes in such a way that now
I can rematerialize it.
The Rope Paintings are a heterogeneous process from the support structure, to the weaving of the
ground, to the multiple ways of paint, including direct paint, reverse paint, air paint, extrusion paint and cast
paint. They are so massive and material but they are full of air and atmosphere. You see the wall and their
support structure, the shadows that the painting cast upon itself and on the wall. The open, magnified web
of ropes creates this mesh surface, thick but open fibrous material atmosphere.
They are not sculptural paintings; they are pictorial, porous topographies. They are not about craft, either. The weaving is used to build a ground specific for each painting in scale, quality and character, a permeable singular ground that can carry such micro-macro pictorial events. The phenomenological perception is
exaggerated and amplified to the point that they offer a near-far experience from a remote distance all the
way to close-up viewing, passing through the mesh atmosphere. All the gradual distance and positions of the
active viewer merge in a micro-macro combustion.
These are not “back to nature” or “back to origin” paintings. They are constructive, analytical, biocultural paintings made in the time when the ready-made and collage models have being integrated and
appro-priated by techno science and mass media—the passage from ready-made to ready-growth.
They are not painted photographs, they are implementations of multiple, distinctive pictorial models in
the place of a residual photo-ghost—image events with a residual paradigmatic reality. They are rhetorical,
material and spatial hyper-realizations of singular events that want to be forgotten made with almost impossible pictorial means that are hard to forget.
The Rope Paintings are bold; they seem both progressive and reactionary. They try to go through the
door that William DeKooning approached but perhaps did not enter - the intra-pictorial, the nano-pictorial.
You see things on them, you see things in them and you see through them. This eerie territory of the
“Intra-paint” is analytical without the help of over-expression, easy transcendence, or the chronic liberal arts
specialties.
To do with paint is to represent in the most real way possible, with the real always in mind even if it is
always belated or impossible.
113
Painted Stories
Uwe Gellner
Bilder von Alicia Paz wie Noche, aus der Serie Monsters and Artists, wirken amüsant und schrill. Mit
dem spanischen Wort für „Nacht“ erinnert uns dieser Bildtitel daran, dass die inzwischen in London lebende
Malerin in Mexico City geboren wurde. Auch den anderen Bildern von Alicia Paz scheint diese biografische
Notiz einen sprachlichen Akzent beizusteuern. Umgeben von Schwarz nimmt eine purpurfarbene Froschfrau
die Bildfläche ein und blickt uns unverwandt aus ihrem Schauspielerinnengesicht an. Echte farbige Knöpfe
auf der Leinwand schmücken den glatten Körper der hockenden Figur, ihre Hände und Füße aber sind chaotisch bunt, als wäre sie über eine Malerpalette gekrabbelt oder als hätte hier irgendeine Laune ihrer Existenz
alle Entscheidungen zur Farbe verhindert. Aus nächster Nähe winkt die „Nacht“ uns mit ihrer rechten Patschhand zu, sie hat uns schon erwartet. Links, im seitlichen Schwarz dahinter, sind zahlreiche Pinselspuren
erkennbar, die den Abdruck eines Nadelbaumes hinterlassen haben, während ein schwacher Lichtschein
aus der weit im Hintergrund angedeuteten Landschaft die Bildtiefe in die unbestimmbaren Weiten der Nacht
dehnt. Auf diese Weise streift ein Anflug von Romantik das merkwürdige Los der Leinwandgestalt, die unter
einem Sternenhimmel bis an die Bildkanten nach vorn gekrabbelt ist, uns beinahe körperlich nahe kommt
und jetzt nicht weiter kann, weil das Bild hier endet. Melancholie ist in der Kunst immer sprachlos und meistens weiblich. Hier tritt sie uns bunt geschmückt und spleenig wie aus einem Traum oder Trauma heraus in
den Weg.
Monsters and Artists? Auch auf allen weiteren Bildern dieser Werkgruppe ist nur jeweils eine Figur zu
sehen, immer sind es weibliche Figuren. Was in Worten auf eine Aufzählung oder Gegenüberstellung hinausläuft, zeigt sich auf dem Bild als offene Frage im spiegelbildlichen Hin und Her derselben Gestalt in verschiedenen Rollen. Diese Ambiguität lässt die Malerin in das Motiv ihres eigenen Bildes schlüpfen, im Grunde
aber charakterisiert das die Bilder von Alicia Paz immer – alle ihre Malereien handeln von der Malerei. Auch
nachdem die Malerin die Arbeit daran abgeschlossen hat, wenn wir die Bilder sehen, ermöglichen sie uns
am Vorgang der Malerei teilzuhaben. Die Bilder laden dazu ein, die Bildentstehung als Bilderzählung mitzuerleben und dies gleich in doppelter Hinsicht, mit Hilfe der verwendeten Methoden des Farbauftrags und
weiterhin mit Hilfe der Motive. Als würde jeder Teil des Bildes seine eigene Geschichte in das Bild mitbringen,
vergleichbar dem Prinzip der Collage, summieren und verschränken die Bilder eine Auswahl von Anleihen
und Fragmenten. Der Duktus der Anwendung der Farben in Noche reicht von Informel bis Pop, er weist
zurück in historische Landschaftsmalerei, er spielt mit dem Trompe-l’œil Effekt und er imitiert Schwarzweißfotografie. Das coole Handzeichen und die armselige Körperhaltung, der ernste Blick einer schönen Frau,
der uns die Selbstporträts von Frida Kahlo ins Gedächtnis ruft, und eine Nähe, die uns keine Ausflucht lässt,
Noche ist anziehend sinnlich, auch beklemmend unmittelbar, aber eben nicht zu erklären. Indem Alicia Paz
nicht nur einen Stil anwendet, entzieht sie ihnen allen den angestammten Raum und überführt sie in ein
Terrain malerischer Visionen. Die großen Hände und Füße beispielsweise schrammen die expressionistische
128
Noche, 2005
129
132
Dinge ereignen können. Es handelt sich um Konstruktionen von Bildern aus Bildern, die sich irgendwie
zu Figuren zusammenfinden. Wir können miterleben, wie diese Figuren damit beschäftigt sind, sich
selbst und das Bild zu malen, das bedeutet, was wir sehen können, ist nur eine Momenterscheinung,
die im nächsten Augenblick obsolet sein kann. Festgehalten als ein Augenblicksereignis, agieren die
Figuren in der Bildpraxis der heutigen Alltagskultur. Der Stoff dieser Bilder fügt sich aus lockerer Hand in
schillernden Szenen über die Malerei und ist inszeniert, wie auf einer Bühne. Die versammelten Chiffren
und Images sind Akteure im selben Stück, aber sie bleiben sich dennoch fremd und agieren autonom.
Eingenommen von Paradoxien und Scheinwelten entwickeln die Bilder Visionen, die nicht verheimlichen
lassen, dass sie aus disparaten Fragmenten und mit Hilfe einiger Tricks zu Stande gekommen sind, was
den leicht neurotischen Zustand mancher Figuren erklärt.
Alicia Paz beschreibt alles in einem einnehmenden Plauderton. Den illustrativen Dekors der konstruierten Erzählungen mit all den Einzelheiten und ihrem ungewissem Ausgang gelingt es, unsere Zeit
dafür zu gewinnen, den Spaß der Malerin an der Entstehung auch noch bei der Betrachtung ihrer Bilder
zu teilen. Das funktioniert, weil uns in diesen Bildleinwänden eine muntere Unbeschwertheit lockt, die
vom kreativen Prozess der Malerei handelt und ihn gleichzeitig repräsentiert.
Black Dawn, 2009
Imago und Realität
Annegret Laabs
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Es gelingt uns nicht, unsere Blicke den übergroßen Augen zu entziehen, die uns aus den Gesichtern
junger Menschen in den Gemälden Sarah McGinitys entgegenschauen. Mit einer Höhe von 1,80 m sind die
gemalten Portraits der in London lebenden Künstlerin weit überlebensgroß und im Raum präsenter als andere Leinwandbilder vergleichbaren Ausmaßes. Im Dreiviertelprofil dargestellt, entsprechen die Bildnisse der
jungen Männer und Frauen auf den ersten Blick ganz den traditionellen, über Jahrhunderte tradierten Vorstellungen vom Portrait als Abbild des Wesens und der inneren Werte einer Person. Doch anders, als wir es
aus der Vergangenheit kennen, sind die Gesichter hier bis zum Bildrand gemalt, sind die Köpfe angeschnitten, sprengen das Format und bilden – umgeben von tiefschwarzem Hintergrund – eine eigenartig plakative
Schablone für immer denselben Grundausdruck. Doch aus dem an sich im gesamten Bild locker gesetzten
Farbauftrag modellieren sich Gegensätze: Mit Weiß vermengte Lasurschichten über dem Malgrund bilden in
feiner Sfumato-Technik die Gesichtshaut der Dargestellten, um die Wiedergabe jeder natürlichen Unebenheit
zu vermeiden. Die immer in gleichem hellen Blond gehaltenen Haare hingegen sind, wie die Kleidung, mit
breiten, schnell gesetzten Pinselzügen als unwesentlich charakterisiert und zeigen einen hohen Grad an skizzenhafter Auffassung. Die gewählte immer ähnliche blau-graue Farbe der Kleidung lässt persönliche Details
in den Hintergrund treten. Konsequent wird auf weitere Angaben verzichtet, die die soziale Klasse, das Milieu, die Persönlichkeit, den Beruf oder die emotionalen Aspekte dieser „Individuen“ kennzeichnen könnten.
Der indirekte Lichteinfall von schräg oben wirkt sich vorteilhaft auf die Gesichtsmodellierung aus, legt
die Schatten geschmeidig um Augen, Nase und Kinn und rückt die Dargestellten in eine undurchdringliche
Abwesenheit, zumindest so lange, bis unser Auge die weißen, reflektierenden Lichtpunkte auf Nasenspitze,
Wange oder Haaransatz erhascht. Ist es nur das Blitzlicht eines Fotoapparates oder der Glanz der Kunststoffoberfläche einer Puppe; ist es ein übermäßig geschminktes Fotomodell im Studiolicht oder eine bewusst
typisierte Methode der Modellierung von Gesichtern auf der Bildfläche?
Gefragt nach dem Realitätsgehalt ihrer Portraits und dem Prozess der Bildfindung bzw. deren Umsetzung auf der Leinwand, beschreibt Sarah McGinity ihr Vorgehen und somit auch ihre Idee vom Portrait als
Prozess des Findens eines Typus in einer bestimmten Zeit. Fotografien aus dem Internet, immer Blondinen,
immer schön, immer jung und irgendwie immer anziehend, werden für sie zum Ausgangspunkt für jene
zwischen bloßer Erfindung und realem Abbild existierenden Bildnisse. Neben der Erinnerung an gefundene
Fotografien ist es das Wissen um stereotype Vorbilder und ein durch nichts zu erschütterndes Schönheitsideal der westlich geprägten Kulturen, das aus den Darstellungen spricht. Sie widerspiegeln ein Ideal, das
bis heute in einem Bild von Schönheit mündet, zu dem das Blondsein ebenso gehört wie der rote Schmollmund. Doch neben Lippenaufpolsterung und kleiner Nasenkorrektur steht die Frage nach dem tatsächlichen
Selbstbewusstsein der jungen Menschen, die Frage nach dem ‚Hinter den Fassaden sein‘. Und so ist das
etwas Ungelenke, das man der Jugend der Dargestellten zuschreiben könnte, auch als Hinweis auf ihre
innere Verfassung zu deuten. Sarah McGinity interessiert die Ambivalenz, die zwischen Realität und Abbild
entsteht, und natürlich die bewusste Aufnahme der Diskussion um die – seit der Erfindung der Fotografie
– immer wieder gestellte Frage nach dem Verhältnis, das zwischen Malerei und Abbild besteht. Ihre Bildnisse sind eine Untersuchung der Möglichkeiten der Imagination in der Malerei. Wann kippt die Darstellung
zwischen dem vermeintlichen Erkennen der Realität und dem Wissen um die Fiktion des Dargestellten? Die
imaginären Portraits bewegen sich auf einer Schwelle, die dem Betrachter keine Möglichkeit lassen, sich
schnell zu entscheiden; sie sind durch ihre malerische Ausführung der Realität enthoben und durch ihre Nähe
zum fotografischen Abbild aus der Imagination in die Realität entflohen. Durch die permanente Wiederholung
des Bildsujets, die unabdingbare Reihung der immer ähnlichen Motive, ist das Portrait für Sarah McGinity
Untersuchungsgegenstand der Authentizität.
Die überlebensgroßen Gesichter erinnern an jene übergroßen fotografischen Portraits der Alltagswelt,
die uns im Straßenbild seit Jahren allerorts verfolgen und die spätestens seit der aggressiven Modewerbung
der Benetton Group am Ende der 1980er Jahre zum allgegenwärtigen Blick auf uns selbst geworden sind.
Doch anders als im Straßenraum haben wir keine Möglichkeit, dem Blick der jungen Menschen in den gemalten Portraits zu entkommen; nicht ausreichend groß genug ist der räumliche Abstand im Innenraum zu
bemessen, um ihnen tatsächlich in menschlicher Größe zu begegnen.
Seit der Erfindung der Fotografie im 19. Jahrhundert hat das Porträt seine Aufgabe als repräsentatives,
reales Abbild einer Person verloren. Realitäsnahe, dem Zwecke der Repräsentation dienende Porträtbildnisse
leben primär in restaurativen Auftraggeberkreisen fort. Von der Pflicht befreit, realitätsnah sein zu müssen,
konnte sich das Portrait im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einem malerischen Psychogramm des Dargestellten entwickeln. In Rückkoppelung an Fotografie und Medienwelt entstanden gemalte Menschenbilder, die
nun, wie bei Andy Warhol, Gerhard Richter, Alex Katz, Franz Gertsch oder Chuck Close in unterschiedlichster
Weise als Sensoren menschlicher Entwicklung fungieren.
Sarah McGinity hinterfragt in ihren Bildnissen diese Tradition des Portraits als Ausdrucksträger menschlicher Individualität im klassischen Sinne. Ihre Untersuchungen des menschlichen Gesichts als Abbild einer
ganzen Generation, eines allgemeingültigen Gefühls, einer Ästhetik der Inszenierung stehen in einer neuen
Entwicklung des Menschenbildes, das „das Portrait ohne Antlitz und das menschliche Antlitz ohne Portrait
präsentiert“1 und zuletzt als „Post-Portrait“ bezeichnet wurde.2
Individualität und Subjektivität weichen mehr und mehr dem allgegenwärtigen Mainstream aus Werbung
und öffentlich gleichgeschalteter Wahrnehmung. Oder ist es doch anders, in einer Zeit, in der gerade das individuelle Portrait – vermittelt über soziale Netzwerke wie Facebook – für die jüngere Generation eine neue, ganz
elementare Wichtigkeit erlangt hat? Die gemalten Portraits Sarah McGinitys scheinen diese Frage zu
stellen. Sie zeugen von der erstaunlichen Beobachtungsgabe dieses Gefühls, das um Identität und
1
Judith Elisabeth Weiss, Von Anti bis Meta.
Neu-Orientierung der Portraitkunst, in: Kunstforum International, Bd. 216, Juli – August
2012,S.32–43,hierS.36.
2
Ebd.
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148
Imago and Reality
Annegret Laabs
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We do not succeed in withdrawing our gazes from the oversized eyes that stare back at us from the faces of
young people in Sarah McGinity’s paintings. At a height of 1.8 meters, the painted portraits by this London-based
artist are much bigger than life-size and more present in the room than other easel paintings of comparable
dimensions. Rendered in three-quarter profile, these portraits of young men and women seem at first glance to
correspond to traditional, centuries-old ideas of the portrait as likeness of a person’s essence and inner values.
But unlike those we know from the past, these faces are painted out to the edge; their heads are cut off, exceeding the format and forming an oddly striking stencil for the same basic expression, surrounded by a jet-black
background. Even so, while the application of paint is as such loose, antitheses nonetheless take shape: Layers of
varnish mixed with white applied over the primer form the sitters’ skin with delicate sfumato technique in order to
avoid reproducing the natural unevenness. By contrast, their hair, always the same light shade of blond, and their
clothing are revealed to be inessential by means of broad, rapidly applied brushstrokes and appear very sketchy.
The ever-similar bluish-gray color of their clothing causes details to fade into the background. The artist rigorously
dispenses with additional details that could indicate the social class, milieu, personality, occupation, or emotional
aspects of these “individuals.”
The indirect lighting falling diagonally from the top is beneficial to the modeling of the faces, lithely placing
shadows around the eyes, nose, and chin and transporting the sitter into an impenetrable absence, at least until
our eyes pickup up the white, reflective points of light on the tip of the nose, cheeks, and hairline. Is it just the
camera’s flash or the sheen of the plastic surface of a doll? Is it an excessively made-up photo model in the light
of the studio or a deliberately standardized method of modeling faces on the surface of the image?
Asked about the degree of realism of her portraits and the process of choosing an image or realizing it on
the canvas, Sarah McGinity describes her approach and hence and hence her idea of the portrait as a process of
finding a type in a particular time. Photographs from the Internet—always blonde women, always beautiful,
always young, and somehow always attractive—become her point of departure for her portraits, which exist
somewhere between pure invention and real likeness. In addition to their reminiscence of found photographs, her
depictions speak to her knowledge of stereotypical models and an ideal of beauty in Western cultures that cannot
be shaken by anything. They reflect an ideal that even today leads to an image of beauty that includes being blonde and having a red pouting mouth. But in addition to puffing up the lips and making small corrections to the nose,
there is the question of the actual self-confidence of the young people, the question of “being behind the facade.”
And so the somewhat awkward quality that could be attributed to the youth of those portrayed also points to their
inner states. Sarah McGinity is interested in the ambiguity that results between reality and likeness and of course
in the deliberate addressing of the discussion of the question, which has been raised ever since the invention of
photograph, of the relationship between painting and likeness. Her portraits are a study in the possibilities of the
imagination in painting. When does the painting switch between being a supposed recognition of reality and the
knowledge of the fiction of what is depicted? The imaginary portraits move on a dividing line that does not give
the viewer an opportunity to decide quickly; they are removed from the rendering of reality in painting and have
escaped from the imagination into reality thanks to their closeness to a photographic likeness. For Sarah McGinity,
the portrait is an object for studying authenticity by means of constant repetition of the pictorial subject and the
inevitable lining up of similar motifs.
The larger-than-life faces recall the oversized photographic portraits that have followed us daily on the streets
for years, and at least since the aggressive fashion advertisements of the Benetton Group of the late 1980s they
have become an omnipresent view of ourselves. Unlike on the streets, however, we have no opportunity to escape
the gaze of the young people in these painted portraits; the spatial distance in the interior is not large enough to
confront them on a human scale.
Since the invention of photography in the nineteenth century, the portrait has lost its purpose as a representative, real depiction of a person. Realistic portraits that serve purposes of representation survive primarily in the
circles of conservative clients. Liberated from the obligation to remain close to reality, the portrait evolved over
the course of the twentieth century into a painted psychograph of the sitter. In a feedback process with photography and the world of the media, artists produced images of the human being that function as sensors of human
development in very different ways in the work of Andy Warhol, Gerhard Richter, Alex Katz, Franz Gertsch, and
Chuck Close.
In her portraits Sarah McGinity questions this tradition of the portrait as the classic medium for expressing
human individuality. Her explorations of the human face as a likeness of an entire generation, a universal emotion,
or an aesthetic of presentation are part of a new development in the image of the human being that “presents the
portrait without a face and the human face without a portrait”1 and has recently be called the “post-portrait.”2
Individuality and subjectivity increasingly give way to the omnipresent mainstream of advertising and a harmonized public perception. Or is that not the case in an era in which the individual portrait—spread via social
networks such as Facebook—has obtained a new, completely elemental importance for the younger generation?
Painted portraits seem to raise this question. They testify to the astonishing powers of observation of this emotion
that revolves identity and personal freedom, around individuality and uniformity, which is interesting for a growing
generation lest they ultimately suffocate in stereotypical features. With their faces rigid like dolls, advantageously
measured to produce a “beautiful face” and yet, on closer inspection, characterized by small inevitabilities such
as an excess of freckles, Sarah McGinity’s paintings begin to call into question the self-confident nonchalance
of the present. Are they at once prisoners and active parties or do they ultimately remain, like those depicted,
dreamers on the path to awakening? The conscious decision to take up these questions in the cautious medium
of painting, and not in the more obvious medium of photography, testifies to Sarah McGinity’s passion for painting
and its traditional possibilities.
TranslationfromGermanbyStevenLindberg.
1
JudithElisabethWeiss,“VonAntibisMeta:Neu-
Orientierung der Portraitkunst,” in Kunstforum
International216(July–August2012):32–43,
esp. 36.
2
Ibid.
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Seit jener Zeit, als die Sklaverei in den Vereinigten Staaten Bedingungen schuf, in denen Flucht die einzige Möglichkeit war, Freiheit
zu erlangen, haben die schwarze Literatur und Kultur eskapistische
Impulse hervorgebracht. Dazu zählen die „Back to Africa“-Bewegung
des schwarzen Nationalisten Marcus Garvey in den 1920ern, die die
Rückkehr der schwarzen Diaspora in die Heimat ihrer Ahnen befürwortete, ebenso wie die Reise zum Saturn, die der Experimentalmusiker
Sun Ra basierend auf der Vision einer Entführung durch Außerirdische
erlebte, ebenso wie Fantasien wie Derrick Bells Space Traders und
Beattys White Boy Shuffle.
Flucht impliziert im Allgemeinen die Ankunft an einem besseren
Ort, einem „gelobten Land“, das möglicherweise nur eine Fata Morgana ist, aber auch zu großen Gedanken und Taten inspiriert. Johnson
erkundet die verschiedenen Bedeutungen dieser Formulierung neben
denjenigen anderer Ausdrücke wie Run (Lauf), Space (Welt-Raum) und
Watch ou (Pass auf) in seinen besprühten Spiegeln, was zu einer Art
konzeptuellen Graffiti führt, deren Bedeutung sich ja nach Betrachter
und Präsentationskontext verändert. Diese Formulierungen sind, wie
Johnsons andere konzeptionelle und physische Materialien, bereits
von unzähligen kulturellen Verweisen und Bedeutungen durchtränkt.
Vielleicht ist dieses gelobte Land ein psychischer Raum, wo man die
Werke schwarzer und anderer zu einer Minderheit gehörender Künstler aufgrund ihrer einzigartigen Qualitäten beurteilen kann und nicht
verpflichtet ist, eine ganze Rasse zu repräsentieren. Im Kontext von
Johnsons Werk könnte das gelobte Land die Entwicklung einer neuen
Sprache sein, die noch innovativere Bezugssysteme hervorbringt, mittels derer sich die Komplexität der Erfahrung diskutieren lässt. Oder
vielleicht impliziert das Spiegelbild auch, dass das gelobte Land nur
als Konzept existiert, als ein eskapistisches fiktives Werk, in dem die
Kirschen nicht immer süßer sind.
Johnsons Werk wirft die Frage auf, wo das Wissen endet und wo
der Glaube beginnt. Unter Verweis auf das unendliche Potenzial des
Raumes zwischen dem, was wir wissen, und dem, was wir nur glauben oder imaginieren können, spielt der Kosmos durch Abstraktionen,
die Bildern herumwirbelnder Materie aus dem Weltall ähneln, sowohl
konzeptionell als auch formal eine bedeutende Rolle in seinem Werk.
Johnsons Werk ist persönlich und universell zugleich. Sein Werk ist
eine formale Erkundung des Kunstschaffens vermittels Materialien,
Komposition, Linie, Form, Farbe, Gestalt, Textur, Maßstab und Geste.
*Excerptaus:“TheMomentofCreation”Rashid
Johnson. in Ausst.-.Kat. Rashid Johnson: A
MessagetoOurFolks,MuseumofContemporary
Art,Chicago,2012.
Das Werk umfasst Aufrichtigkeit, Risiko und Absurdität, stellt dabei
große existenzielle und metaphysische Fragen hinsichtlich der Schöpfung – der Kunst und des Selbst – und verlangt damit kritisches Denken und Offenheit für das Paradox. Johnsons Kunstwerke wenden sich
nicht an unser Bedürfnis nach sofortiger Befriedigung. Sich auf seine
Objekte und Bezüge einzulassen, verlangt eine gewisse Anstrengung.
Man muss sich zunächst mit seiner Sprache vertraut machen, um am
Gespräch teilnehmen zu können, doch dann wird man wirklich traszendental belohnt.
ÜbersetzungausdemEnglischen:NikolausG.Schneider.
Spiral, 2008
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art and the self—the work demands critical thinking and openness to
paradox. Johnson’s artwork does not cater to our need for immediate
gratification. Engaging with his objects and references requires effort.
One must first become conversant in his language in order to participate in the dialogue, but the payoff is truly transcendental.
From Constantin Brancusi to Italian Arte Povera artist Jannis Kounellis and neo-conceptualist Haim Steinbach to contemporary artists
such as Josephine Meckseper and Carol Bove—all of whom consistently use elements of display, such as the shelf or pedestal, as underlying
conceptual tools and artistic tropes to consider the cultural value, visual forms, and signifiers of found objects that are transformed into art.
Ever since slavery in the United States created conditions in which
escape was the only way to obtain freedom, black literature and culture
has produced escapist impulses— including black nationalist Marcus
Garvey’s Back to Africa movement of the 1920s, which advocated the
black diaspora’s return to its ancestral homeland, and the trip to Saturn
experienced by experimental musician Sun Ra, based on a vision of
alien abduction—as well as fantasies—such as Derrick Bell’s Space
Traders and Beatty’s White Boy Shuffle.
Escape generally implies arriving at a better place, a “promised
land” that is perhaps only a mirage yet is also a motivator of great
thought and action. Johnson explores the various meanings of this
phrase along with those of other phrases such as Run, Space, and
Watch out in his spray-painted mirrors, resulting in a kind of conceptual graffiti that shifts in meaning according to its viewers and display
contexts. These phrases, like Johnson’s other conceptual and physical
materials, are already suffused with myriad cultural references and
meanings. Perhaps the promised land is a psychic space where work
by black and other minority artists can be assessed for its unique qualities and is not beholden to represent an entire race. In the context of
Johnson’s work, the promised land might be the development of a new
language that spawns even more innovative frameworks within which
to discuss the complexities of experience. Or perhaps the mirror’s re-
flection implies that the promised land exists only as concept, an escapist work of fiction where the grass is not always greener.
Johnson’s work asks where knowledge ends and belief begins.
Referring to the infinite potential of the space between what we
know and what we can only believe or imagine, the cosmos play a
significant role in his work conceptually as well as formally, through
ab-stractions that resemble swirling images of matter from outer
space. Johnson’s work is both personal and universal. His work is a
formal exploration of art making through materials, composition, line,
shape, color, form, texture, scale, and gesture. Embracing sincerity,
risk, and absurdity while asking big existential and metaphysical questions about creation—of art and the self—the work demands critical
thinking and openness to paradox. Johnson’s artwork does not cater
to our need for immediate gratification. Engaging with his objects and
references requires effort. One must first become conversant in his
language in order to participate in the dialogue, but the payoff is truly
transcendental.
*Excerptfrom“TheMomentofCreation”Rashid
Johnson.inExh.cat.RashidJohnson: A Message
to Our Folks,MuseumofContemporaryArt,
Chicago.2012.
Space, 2008

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