Inhalt - Art Identity
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Inhalt 7 Detail: Peter Halley, Cross Currents, 2009 Vorwort Foreword 9 13 Heute. Malerei – Worte und Bilder Annegret Laabs und Uwe Gellner Today. Painting – Words and Pictures Gerhard Richter 22 28 Gespräch Gerhard Richter und Jan Thorn-Prikker Conversation Jonathan Lasker 36 37 40 42 Antworten Jonathan Lasker und Uwe Gellner Answers Schlaf und Poesie: Das Bewusstsein der Tiere Jonathan Lasker Sleep and Poetry: The Consciousness of Animals Peter Halley 54 58 62 65 Antworten Peter Halley und Annegret Laabs Answers Abstraktion und Kultur Peter Halley Abstraction and Culture Adrian Schiess 70 74 Die Farben der Mimosen The Colors of Mimosas Neo Rauch 82 88 Bildgründe. Stichworte zum Werk von Neo Rauch Backgrounds. Watchwords for Neo Rauch‘s Œuvre Daniel Richter 96 99 No More Heroes. Konzept und Expressivität No More Heros. Concept and Expressivity Fabian Marcaccio 108 112 118 121 Malerei als Widerstand Fabian Marcaccio Painting Resistance Rope Paintings: Medienwirklichkeit und Heterotopie Rope Paintings: Heterotopias and Media Reality Alicia Paz 129 136 Painted Stories Painted Stories Sarah McGinity 144 148 Imago und Realität Imago and Reality Rashid Johnson 158 165 Der Entstehungsmoment The Moment of Creation 171 Verzeichnis der Abbildungen List of Illustrations 176 Impressum Imprint Uwe Gellner Harald Kunde Susanne Figner Uwe Gellner Annegret Laabs Julie Rodrigues Widholm Martin Hentschel Vorwort / Foreword Inmitten einer realen Welt, die täglich unüberschaubarer wird, behauptet sich die Malerei, wie schon so oft, auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Kein anderes Medium der Kunst ist so alt. Kein anderes Medium vollzieht sich so entfernt von der realen Welt und ist in seinen Möglichkeiten so vollständig frei. In den Autorentexten in diesem Band wird an Hand einprägsamer Beispiele der Malerei der Gegenwart gefragt nach dem Vorgang des Malens als Untersuchungsfeld, nach dem Bild, das die Malerei uns gibt von der widersprüchlichen, unabänderlichen und komplexen Beziehung Mensch – Welt. Der Band HEUTE. MALEREI ist angesichts der gleichnamigen Ausstellung entstanden und präsentiert internationale Positionen - weniger zum Vergleich als zur Veranschaulichung des jeweils Eigenen und Besonderen. Von den Herausforderungen und Krisen der Medien und des Marktes bleibt auch die Malerei nicht unberührt. Exemplarisch zeigt sich, was Malerei in die heutige Zeit der Dominanz medialer Bilder einbringt, was die Malerei aktuell in Reaktion auf die neuen Medien hinzugewinnt und worin ihre Besonderheit gegenüber anderen künstlerischen Medien besteht. Die Realisierung des aufwändigen Buchprojektes wäre nicht möglich gewesen ohne das unglaubliche Engagement der Künstler, die durch intensive Diskussion um den Gegenstand Malerei die Idee zu den zahlreichen aktuellen Texten in diesem Band auslösten. Unser Dank gilt ihnen ebenso wie den verschiedenen Autoren für ihre Beiträge. Den zahleichen privaten und öffentlichen Leihgebern sei herzlich gedankt für die gute Zusammenarbeit. Ausdrücklich danken wir den Fördermittelgebern, dem Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt, der Stiftung Kloster Unser Lieben Frauen, der Ostdeutschen Sparkassenstiftung im Land Sachsen-Anhalt, der Stadtsparkasse Magdeburg, der Stiftung Kunst und Kultur der Stadtsparkasse Magdeburg, Lotto-Toto GmbH Sachsen-Anhalt sowie der Öffentlichen Versicherung Sachsen-Anhalt für die finanzielle Unterstützung. In the middle of a real world that every day becomes increasingly insurmountable, painting asserts itself, as it has so often since the beginning of the twenty-first century. No other medium of art is as old. No other medium takes place so far from the real world and is so completely free in its possibilities. In the texts by the authors in this volume, a few memorable examples of contemporary painting are used to inquire into the process of painting as a field of study, into the image that painting offers us of the contradictory, immutable, and complex relationship to the human world. The volume TODAY. PAINTING has been produced to accompany the eponymous exhibition and presents a number of international artists, not so much for comparison as to illustrate their individual and particular qualities. Painting has not been unaffected by the challenges and crises of the media and the market. These examples show what painting introduces to the present age dominated by media images, what painting currently gains by reacting to new media, and wherein its unique qualities vis-à-vis other artistic media lie. This elaborate book project could never have been realized without the commitment of the artists, whose intense discussions of the object of painting triggered the idea of the many contemporary texts in this volume. We are also grateful to the various authors for their contributions. The numerous public and private lenders deserve our thanks for their collaboration. We would like to thank the funding providers Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt, the Stiftung Kloster Unser Lieben Frauen, Ostdeutsche Sparkassenstiftung im Land Sachsen-Anhalt, Stadtsparkasse Magdeburg, Stiftung Kunst und Kultur der Stadtsparkasse Magdeburg, Lotto-Toto GmbH Sachsen-Anhalt as well as the Öffentliche Versicherung Sachsen-Anhalt for the final support. Annegret Laabs and Uwe Gellner HEUTE. MALEREI Worte und Bilder Annegret Laabs und Uwe Gellner Der fast siebzigjährige Paul Cézanne resümiert in einem Brief vom 23. Oktober 1905 an seinen jüngeren Malerfreund Émile Bernard: „In meinem Alter sollte ich mehr Erfahrung haben und sie für das Gemeinwohl verwenden.“1 Und er fährt mit der bemerkenswerten Aussage fort: „Ich schulde Ihnen die Wahrheit in der Malerei und werde sie Ihnen sagen.“ Dieses Versprechen ist geknüpft an den unerbittlichen Erkenntnisdrang, mit dem sich Cézanne dem Studium der Natur hingibt, und mit seiner Erwartung, aus dieser für ihn erklärtermaßen wichtigsten Quelle zu schöpfen, um die Schwelle der eigenen Gegenwart in der Malerei zu erklimmen. Bereits ein paar Zeilen zuvor hatte er die Größe der Aufgabe umrissen: „Nun aber ist die zu lösende Aufgabe – welches auch immer unser Temperament oder unsere Kraft angesichts der Natur sei – das Abbild dessen zu geben, was wir sehen, und dabei alles zu vergessen, was vor uns dagewesen ist.“ Es blieb ihm von diesem Tag noch ein Lebensjahr. Als Jacques Derrida 1978 auf die Worte Cézannes zurückkommt, indem er sie als Titel für sein Buch „Die Wahrheit in der Malerei“ (original „La vérité en peinture“) nutzt, sind mehr als 70 Jahre vergangen. In der Zwischenzeit hat die Malerei die Kunst ganz maßgeblich auf ihrem erfolgreichen Weg in die Moderne geleitet, was der Ungeduld Cézannes rückblickend bereits die symptomatischen Züge der permanent die Gegenwart bestürmenden Folgezeit anheftet. Aber, schon seit dem Beginn der 1970er Jahre steckt die Malerei in ihrer bisher größten existenziellen Krise. Ihr wurde aberkannt, die Vergangenheit vergessen zu können, und sie ist nun selbst das Indiz einer Vergangenheit in der Kunst, die es zu überwinden gilt. Derrida geht nicht darauf ein. Das Buch gilt als sein kunsttheoretisches Hauptwerk; er schreibt hierin, wie er selber formuliert, „viermal um die Malerei herum“.2 Cézannes Bemerkung bewertet er als: „... eine befremdliche Aussage. Derjenige, der spricht, ist ein Maler. Er spricht, er schreibt vielmehr, es ist ein Brief und dieses ‚bon mot‘ schreibt sich leichter, als dass es sich spricht. Er schreibt in einer Sprache, die nichts zeigt.“3 Das Buch besteht aus vier Teilen über ganz unterschiedliche Sujets; im letzten dieser Teile kommt Derrida der Malerei am nächsten und wendet sich dem wichtigsten Postimpressionisten neben Cézanne zu, Vincent van Gogh. Dessen Gemälde von einem Paar Schuhen, gemalt 1868, gerät speziell in seinen Focus, weil Martin Heidegger auf diesem Bild eine Darstellung von Bauernschuhen, der Kunsthistoriker Meyer Schapiro aber die Schuhe van Goghs erkannt haben will, und Derrida analysiert, was es mit den beiden Interpretationen für eine Bewandtnis haben kann, wenn sich doch keine davon verlässlich bestätigen lässt.4 Wenngleich Derrida auf diese Weise weitere Wahrheiten über die Malerei neben der Philosophie zulässt, geht es ihm nicht um einen kunsttheoretischen, sondern philosophischen Diskurs, und wie Peter Mahr feststellt, nicht „… um die Wahrheit der Malerei, nicht darum, worum es in der Malerei in Wahrheit geht, sondern um die Art von Wahrheit, so wie sie die Malerei verkörpern kann. Man könnte sagen, was immer die Malerei ist – sie hat keinen Sinn, ihr wird Sinn und Wahrheit erst gegeben.“5 Um auf Cézanne zurückzukommen: Demnach führt der Weg der Wahrheitssuche in der Natur durch die menschliche Natur des Malers und des Betrachters. 1 2 Detail: Rashid Johnson, Guido‘s Cosmic Slop, 2011 Dieses und die folgenden Zitate: Paul Cézanne, Briefe, aus dem Franz. übers. und hrsg. von John Rewald,1962,Aufl.1978,S.295f. Zit. nach: Jacques Derrida, Die Wahrheit in der Malerei, Hg. Peter Engelmann, aus dem FranzösischenvonMichaelWetzel,Wien1992,S.24. 13,Wien1993,S.104f. 3 Derrida,(wieAnm.1),S.17. 5 PeterMahr,ebd.,S.104. 4 Sieheauch:PeterMahr,AusdemRahmen gefallen.PhilosophischeSpurensicherung,Rezen- sion zu Jacques Derrida, Die Wahrheit in der Malerei, Wien 1992, in: Parnass. Kunst Archi tekturDesignFotografieMusikTheaterLiteratur 9 TODAY. PAINTING Words and Pictures Annegret Laabs and Uwe Gellner 12 fassender digitaler Vernetzung lassen sich malerisch komplexe Motive nicht auf zu jeder Thematik greifbare Applikationen (Apps) reduzieren. So klärt beispielsweise Fabian Marcaccio die Frage nach der Bedeutung der virtuellen Realität und ihrem Verhältnis zur wirklichen Welt in seinen Rope Paintings. Die ikonografische Aneignung des Bilderfundus des Internets erfolgt durch die Maler ebenso wie die bewusste Kritik an gesellschaftskonformen Verhaltensweisen. Die malerische Revolte eines Daniel Richter gilt beispielhaft der allgegenwärtigen, durch Computerclips und Fernsehwelt übermächtig aggressiv über uns hereinbrechenden Bilderflut. Es ist die Frage nach dem Bild, das die Malerei uns gibt von der widersprüchlichen, unabänderlichen und unübersichtlichen Beziehung Mensch–Welt, die wir beispielhaft in den malerischen Bildcollagen von Alicia Paz finden und die uns immer wieder zeigt: Malerei konstruiert ihre eigenen Gegenstände, ihren eigenen Raum, ihre Illusion, ihre Sinnlichkeit und ihre Emotionen, und all das beruht auf Individualität. Bis heute haftet der Malerei etwas Unvergängliches an. Fabian Marcaccio konstatiert: „Die Malerei bringt nach wie vor sporadische Innovationen hervor und löst einzigartige Zuwendung aus.“14 Was bedeutet diese Aussage, vielleicht, dass Malerei dem Betrachter besonders nahe kommen kann? Gemälde erfreuen sich nach wie vor einer vielfachen Lesbarkeit. Dies unterscheidet sie mitunter grundlegend von den neuen Medien, wie Fotografie, Film und Video. Die verschiedenen Rezeptionsmöglichkeiten fördern das Nachdenken über die Malerei und haben in der langen Geschichte der Malerei immer wieder dazu geführt, den Betrachter auf ganz besitzergreifende Weise ins Bild zu holen, ihn zum Komplizen zu machen. Schon im 16. Jahrhundert sprach Gabriele Paoleotti (1522-1597), Bischof von Bologna, davon, die Rezipienten alle zu integrieren; jeder müsse in der Malerei seinen Anteil wiederfinden, „die Maler die kunstgemäße Darstellung, die Gebildeten die adäquate Auffassung des Inhaltes, die Ungebildeten die Schönheit, die Geistlichen den anagogischen, das heißt den frommen Gedanken und zu Taten stimulierenden Charakter der Malerei“.15 Konstatieren lässt sich vorerst, dass die Malerei der Gegenwart ihre Bestimmung einmal mehr darin gefunden hat, die existente Brüchigkeit zwischen Imago und Wirklichkeit für den Betrachter zu visualisieren. Künstler halten an Übersetzung in Malerei fest, weil sie am weitesten entfernt ist von der alltäglichen, durchschnittlichen Vorstellung von Realität. Kein anderes Medium vollzieht sich so entfernt von der realen Welt und ist in seinen Möglichkeiten so vollständig frei wie die Malerei. Und, um auf die eingangs zitierten Paul Cézanne und Jacques Derrida zurückzukommen: Es bleibt im 21. Jahrhundert ein faszinierender Versuch, die Wahrheit in einem anderen Medium als der gesprochenen und geschriebenen Sprache zu ergründen. 13 T.J.Clark,ClementGreenberg‘stheoryofart,in: CriticalInquiry,Bd.9,Nr.1,1982,S.152. The nearly-seventy-year-old painter Paul Cézanne summed up in a letter of October 23, 1905, to his younger colleague and friend Émile Bernard: “At my age, I should have more experience and use it better for the general welfare.”1 And he continued with the remarkable statement: “In painting, I owe you the truth and I shall tell it to you.” This promise was linked to the unrelenting thirst for knowledge with which Cézanne devoted himself to the study of nature and with his expectation of drawing from what he declared to be the most important source for him in order to cross the threshold from his own era in painting. Just a few lines earlier he outlined the size of this task: “Now, the thesis to be expounded—whatever our temperament or our strength in the face of nature—is to render the image of what we see, in forgetting everything that appeared before us.” From that day he had only one year to live. When Derrida returned to Cézanne’s statement in 1978, using it as the title of his book La vérité en peinture (translated as Truth in Painting), more than seventy years had passed. In the meanwhile, painting had led art in very decisive ways on its successful pass into the modern era, which in retrospect links to Cézanne’s impatience the symptomatic features of the subsequent era, which was constantly striving for contemporaneity. Already in the early 1970s, however, painter was experiencing its biggest existential crisis thus far. It was denied the ability to forget the past, and not it has itself become the indication of a past in art that is supposed to be overcome. Derrida does not go into that. The book is considered his magnum opus on art theory; he wrote, as he put it himself, “four times here, around painting.”2 He assesses Cézanne’s remark as: “A strange utterance. The speaker is a painter. He is speaking, or rather writing, for this is a letter and this ‘bon mot’ is more easily written than spoken. He is writing, in a language which shows nothing.”3 The book consists of four parts on very different subjects; in the last of these sections, Derrida comes closest to painting and turns to the most important Postimpressionist after Cézanne: Vincent van Gogh. He focuses especially on the latter’s painting of a pair of shoes, painted in 1868, because Martin Heidegger believed the painting was of a pair of peasants’ shoes, while the art historian Meyer Schapiro saw them as Van Gogh’s own shoes. Derrida analyzes what can be behind the two interpretations if neither of them can be reliably confirmed.4 Although Derrida thus admits of other truths about painting in addition to the philosophical ones, he is not interested in a discourse on art theory but rather a philosophical discourse, and, as Peter Mahr has observed, “in the truth of painting, not about what painting truly about but about the kind of truth that can be embodied in painting. You could say whatever painting is, it has not meaning; meaning and truth are first given to it.”5 To return to Cézanne: According to this the path to the search for truth in nature leads through the human nature of the painter and the viewer. Just four years later Frederic Jameson returned to Van Gogh’s shoes in a lecture that be included in his pioneering study Post-Modernism; or, the Cultural Logic of Late Capitalism: “there are […] significant differences between the high-modernist and the postmodernist movement, between the shoes of Van Gogh 1 Paul Cézanne, Letters, ed. John Rewald, trans.SeymourHacker,rev.ed.(New York:HackerArtBooks,1984),313. 14 Vgl.FabianMarcaccioindiesemBand,S.108. 15 G.Paoleotti,zit.nachWolfgangKemp:Der Betrachter ist im Bild, Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik,Köln1985,S.10und25. 2 Jacques Derrida, TheTruthinPainting, trans.GeoffreyBenningtonandIan McLeod(Chicago:Univ.ofChicago Press,1987),9;originallypublishedin French as Lavéritéenpeinturein1978. 3 Ibid.,3. 4 SeealsoPeterMahr,“AusdemRahmen gefallen:PhilosophischeSpurensicherung,” A. Review of Jacques Derrida, Die Wahrheit in der Malerei, Vienna, 1992, in: Parnass: Kunst, Architektur, Design, Fotografie,Musik,Theater,Literatur13 (1993):104–5. 5 Mahr,“AusdemRahmengefallen” (see note4),104. 13 16 human beings and the world, which we found, for example, in the painterly visual collages of Alicia Paz and which show us, again and again, that painting constructs its own objects, its own space, its illusion, its sensuality, and its emotions, and all that is based on individuality. Something everlasting clings to painting even today. Fabian Marcaccio observes: “Painting still brings sporadic innovations and triggers singular affection.“14 What does this statement mean? Perhaps that painting can get especially close to the viewer? It remains possible to read paintings in many ways. That sometimes distinguishes it fundamentally from new media such as photography, film, and video. The various possibilities of reception demand reflection painting, and in the long history of painting they have repeatedly led to bringing the viewers quite possessively into the painting and making the accomplices. Already in the sixteenth century, the bishop of Bologna, Gabriele Paoleotti (1522–97), spoke of integrating all the recipients; everyone must be able to find his or her participation: “painters the artistic depiction, the educated an adequate grasp of the content, the uneducated beauty, the religious the anagogic, that is, the character of painting to stimulate pious thoughts and deeds.”15 It can be stated first that contemporary painting has found its purpose in illustrating for the viewer the extant fragility between imago and reality. Artists cling to translation into painting because it is furthest removed from the everyday, average idea of reality. No other medium takes place so far from the real world and is as completely free in its possibilities as painting. And, to return to Paul Cézanne and Jacques Derrida, whom we quoted initially: In the twenty-first century it continues to be a fascinating attempt to explore the truth a medium other than spoken and written language. 15 GabrielePaoleotti,quotedinWolfgang Kemp, Der Betrachter ist im Bild: Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhe tik(Cologne:DuMont,1985),10and25. Gerhard Richter 18 Jonathan Lasker 34 Peter Halley 50 Adrian Schiess 68 Neo Rauch 80 Daniel Richter 92 Fabian Marcaccio 106 Alicia Paz 126 Sarah McGinity 142 Rashid Johnson 154 Gerhard Richter Geboren / born 1932 in Dresden, lebt und arbeitet / lives and works in Köln 1951-1957 Hochschule für Bildende Künste Dresden // 1957-1961 Meisterschüler // 1961-1964 Kunstakademie Düsseldorf /// 1971-1994 Professor für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf Ausgewählte Einzelausstellungen seit 2002 / selected Solo Exhibitions since 2002: 2002/2003 40 Years of Painting, Museum of Modern Art, New York / Art Institute of Chicago / San Francisco Museum of Modern Art / Smithsonians Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington, DC // 2004 Galerie Neue Meister, Albertinum Dresden // 2004/2005 Printed! Druckgrafik, FotoEditionen und Künstlerbücher, Kunstmuseum Bonn / Kunstmuseum Luzern / Kunsthalle Emden / Kunsthalle Tübingen / Museum der Moderne, Salzburg // 2005 Painting as Mirror, K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf / Städtische Galerie im Lenbachhaus, München / 21st Century Museum of Modern Art, Kanazawa (J) / Kawamura Memorial DIC Museum of Art, Sakura (J) // Image after Image, Museum für Moderne Kunst Louisiana, Humlebæk (DK) // Staatliche Kunstsammlungen Dresden – Galerie Neue Meister // 2008 Bilder aus privaten Sammlungen, Museum Frieder Burda, Baden-Baden / Museum Küppersmühle, Duisburg // 2008 Paintings 1963–2007, National Art Museum of China, Peking // Zufall. 4900 Farben und Entwürfe zum Kölner Domfenster, Museum Ludwig, Köln // 2009 Retrospective, Albertina Museum, Wien // Porträts, National Portrait Gallery, London // Abstrakte Bilder, Haus der Kunst, München // 2011 Bilder einer Epoche, Bucerius Kunst Forum, Hamburg // 2011/2012 Gerhard Richter: Panorama, Tate Modern, London / Neue und Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Berlin / Musée National d‘Art Moderne Centre Georges Pompidou, Paris // 2012 Editionen 1965–2011 ,me Collectors Room, Berlin // Atlas, Kunsthalle im Lipsiusbau, Dresden // Dessins et aquarelles 1957–2008, Musée du Louvre, Paris Teilnahme an zahlreichen Gruppenausstellungen / participation in numerous group exhibitions such as documenta 5, 1972 / d7, 1982 / d8, 1987 / d9, 1992 / d10, 1997 / d12, 2007 // 1972 36. Biennale in Venedig (deutscher Pavillon) / 1997 47. Biennale in Venedig (Goldener Löwe) Detail: Wilhelmshaven, 1969 Gerhard Richter Geboren / born 1932 in Dresden, lebt und arbeitet / lives and works in Köln 1951-1957 Hochschule für Bildende Künste Dresden // 1957-1961 Meisterschüler // 1961-1964 Kunstakademie Düsseldorf /// 1971-1994 Professor für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf Ausgewählte Einzelausstellungen seit 2002 / selected Solo Exhibitions since 2002: 2002/2003 40 Years of Painting, Museum of Modern Art, New York / Art Institute of Chicago / San Francisco Museum of Modern Art / Smithsonians Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington, DC // 2004 Galerie Neue Meister, Albertinum Dresden // 2004/2005 Printed! Druckgrafik, FotoEditionen und Künstlerbücher, Kunstmuseum Bonn / Kunstmuseum Luzern / Kunsthalle Emden / Kunsthalle Tübingen / Museum der Moderne, Salzburg // 2005 Painting as Mirror, K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf / Städtische Galerie im Lenbachhaus, München / 21st Century Museum of Modern Art, Kanazawa (J) / Kawamura Memorial DIC Museum of Art, Sakura (J) // Image after Image, Museum für Moderne Kunst Louisiana, Humlebæk (DK) // Staatliche Kunstsammlungen Dresden – Galerie Neue Meister // 2008 Bilder aus privaten Sammlungen, Museum Frieder Burda, Baden-Baden / Museum Küppersmühle, Duisburg // 2008 Paintings 1963–2007, National Art Museum of China, Peking // Zufall. 4900 Farben und Entwürfe zum Kölner Domfenster, Museum Ludwig, Köln // 2009 Retrospective, Albertina Museum, Wien // Porträts, National Portrait Gallery, London // Abstrakte Bilder, Haus der Kunst, München // 2011 Bilder einer Epoche, Bucerius Kunst Forum, Hamburg // 2011/2012 Gerhard Richter: Panorama, Tate Modern, London / Neue und Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Berlin / Musée National d‘Art Moderne Centre Georges Pompidou, Paris // 2012 Editionen 1965–2011 ,me Collectors Room, Berlin // Atlas, Kunsthalle im Lipsiusbau, Dresden // Dessins et aquarelles 1957–2008, Musée du Louvre, Paris Teilnahme an zahlreichen Gruppenausstellungen / participation in numerous group exhibitions such as documenta 5, 1972 / d7, 1982 / d8, 1987 / d9, 1992 / d10, 1997 / d12, 2007 // 1972 36. Biennale in Venedig (deutscher Pavillon) / 1997 47. Biennale in Venedig (Goldener Löwe) Detail: Wilhelmshaven, 1969 EIN GESPRÄCH* Gehard Richter und Jan Thorn-Prikker 22 Jan Thorn-Prikker: 1959, also zwei Jahre nach Ihrer Studentenzeit an der Akademie, besuchten Sie die Documenta II. für mich ein philosophischer Seitenzweig der Sachlichkeit. Können Sie das teilen? Gerhard Richter: Auf der Suche nach einer akzeptablen Form von gegenständlicher Malerei, die dem Bild eines „dritten Weges“ entsprach. Aber was mir dann wirklich dauerhaften Eindruck machte, waren die Bilder von Pollock, Fontana und Fautrier. Gerhard Richter: In meiner Jugend hätte ich das wohl ganz genauso gesehen. Im Konfirmandenunterricht ging mir auf, dass ich gar nicht an Gott glauben kann. Ich war sehr erschrocken und hatte natürlich auch Angst. Da war ich 14. Jan Thorn-Prikker: Die Documenta II legte den Schwerpunkt auf die amerikanische Malerei. Werner Haftmann erklärte damals die Abstraktion zur Weltsprache. Warum haben gerade Jackson Pollock und Lucio Fontana Sie so beeindruckt? Gegenständlich ist das ja nun wirklich nicht gerade. Jan Thorn-Prikker: Sie haben später immer prononciert das „Unideologische“ betont, den Wunsch auf keine Ideologie reinzufallen, keiner Ideologie anzugehören. Das scheint ja seine Wurzeln in diesen Anfängen zu haben: Glauben, das ist nicht meine Sache, haben Sie wohl mal gesagt. Gerhard Richter: Aber radikal anders, rücksichtslos; unfassbar, dass so etwas da ausgestellt war. […] Gerhard Richter: Das ändert sich langsam. hier im Dom taufen ließen, hatte sich meine Einstellung zur Kirche sehr geändert, ich merkte allmählich, was die Kirche bieten kann, wie viel Sinn sie gibt, wie viel Halt, Trost und Geborgenheit. Jan Thorn-Prikker: Auch das ist im Kern eigentlich keine religiöse Begründung für die Religion, sondern eine praktische und eine ästhetische Begründung. Sie schätzen die Kraft der Rituale und den Halt der großen Formensprache. Das bedeutende Wort, den Raum, der uns schützt, das große Bild, die Vision vor Augen, der Klang der Musik. Die Hoffnung auf etwas, was größer ist, als wir selber es sind. Gerhard Richter: All das, was wir brauchen. Jan Thorn-Prikker: Spielte Literatur in Dresden für Sie eine Rolle? Jan Thorn-Prikker: Brauchen Sie die offizielle Anerkennung? Gerhard Richter: Ich sag’s andersrum: Ich wollte zu keiner Zeit ein unverstandener Künstler sein, ein Außenseiter, ein Bürgerschreck. Nie. Schon vor 50 Jahren sah ich es mit Genugtuung, dass in den Blütezeiten der Kunst die Künstler eher Staatskünstler waren als Freaks, dass sie als hoch gebildete Meister zu den Spitzen einer Gesellschaft gehörten. Davon zehren wir noch heute. Jan Thorn-Prikker: Hat Ihr […] jugendlicher Atheismus mit Nietzsche zu tun? Ihre Familie war doch streng protestantisch. Jan Thorn-Prikker: Ich meine, dass es eine grundsätzlich religiöse Tendenz in Ihrem Werk gibt. Da sind zum Beispiel die Vanitasmotive. Die Neigung zur Erhabenheit mancher Motive. Heute hängt hier in Ihrem Atelier in Köln der Entwurf für ein Kirchenfenster. Und nicht zuletzt sind es die zwei Kreuze, die Sie als Objekte gemacht haben. Eigentlich sind das ja nur die Maße Ihres eigenen Körpers in der Höhe und Breite. Das Kreuz sind Sie ja selber stehend, mit ausgebreiteten Armen. Gerhard Richter: Ich bin ein Sympathisant der katholischen Kirche. Ich kann zwar nicht an Gott glauben, aber ich finde die katholische Kirche großartig. Jan Thorn-Prikker: Was beeindruckt Sie so? Gerhard Richter: Mein Vater, ja. Aber das öffentliche Klima war ja sehr antichristlich. Und außer Nietzsche und Schopenhauer und der Freigeisterei meiner Mutter gab es ein Buch, der Autor hieß, glaube ich, Selbmann, ein Wirtschaftswissenschaftler, ein Marxist, der hat etwas wie eine kleine Weltanschauung geschrieben. Über den Dialektischen Materialismus. Das hat mich sehr beeindruckt. Jan Thorn-Prikker: Für mich war der Dialektische Materialismus ein Versuch, eine wissenschaftliche Erklärung der Welt zu geben. Da wurde auf Fragen, warum etwas so ist, wie es ist, immer eine Antwort gegeben. Das entsprach meinem Wunsch nach Sachlichkeit. Materialismus war Gerhard Richter: Sie hat uns geprägt, die christliche Kultur ist für mich die größte und schönste Kultur, die es gibt auf der Welt. Ich bin dankbar für die große Kunst, die Musik, die schönste Architektur, für die Literatur und Philosophie, die ja auch dann noch durch und durch katholisch ist, wenn Sie den extremen Atheismus predigt. Jan Thorn-Prikker: Alles, was Sie an Kunst verehren, kommt aus diesem Denken. Da nehmen Sie die Religion dankend in Kauf, ist das so? Gerhard Richter: Na ja, es ist schon mehr. Als wir unsere beiden Kinder Gerhard Richter: Sehr sogar. Vor allem Thomas Mann. Und als ich damit in den Westen kam, musste ich merken, dass ich mich damit eher lächerlich machte. Er war nicht progressiv, nicht radikal - er war bürgerlich, das waren die wichtigsten Schlagworte dieser Zeit. Jan Thorn-Prikker: Konnten Sie im Westen überhaupt irgendetwas fortsetzen oder war es ein Rückschritt auf den Nullpunkt? Jan Thorn-Prikker: Wie haben Sie Ihre Lehrer gefunden? Gerhard Richter: Damals war es so, dass man nur einen Professor finden musste, der einen in seine Malklasse aufnahm, damit war man eingeschriebener Student. Der freundlichste schien mir Ferdinand Macketanz, bei ihm blieb ich wohl ein Semester, dann wechselte ich zu K. O. Götz, den ich interessanter fand, der auch die interessanteren Studenten hatte, zum Beispiel Konrad Fischer. Bei Macketanz malte ich wie ein Besessener, so zwischen Dubuffet, Giacometti, Tàpies und vielen anderen. Eine Art Crashkurs in Nachkriegsmalerei - später habe ich das alles im Hof der Akademie verbrannt. Bei K. O. Götz fand ich es ganz toll, dass er ins Atelier kam und sagte: „Lassen Sie sich nicht stören.“ Jan Thorn-Prikker: Ihre Picasso-Begeisterung hat also genau bis Düsseldorf gehalten und war dann vorbei. Von da an konnten Sie so malen, wie Sie es wollten? Gerhard Richter: Na ja. Es dauerte schon ein gutes Jahr, bis ich überhaupt und ansatzweise wusste, was ich wollte, was mich interessierte und was zu mir passt. Jan Thorn-Prikker: Düsseldorf bot ja damals sehr viele Anregungen? Gerhard Richter: Eher die Ankunft bei Null. Das machte auch Angst, diese plötzliche Freiheit, die ja nichts anderes war als Verlassenheit. In meiner Not bin ich ja dann nach Düsseldorf an die Akademie gegangen, um überhaupt ein Zuhause zu haben. Da traf ich zum Glück einen ehemaligen Kommilitonen aus Dresden wieder. Er wohnte in Düsseldorf, erklärte mir, dass Düsseldorf ein Zentrum der modernen Kunst sei, und ließ mich die ersten Wochen bei sich wohnen. So blieb ich dort und ging nicht nach München, wo ich anfangs dachte, hingehen zu müssen. Gerhard Richter: O ja, es war ungeheuer aufregend mit all den Ausstellungen und Veranstaltungen, den vielen Künstlern. Und dazu kam der große Glücksfall, dass ich dort an der Akademie die richtigen Freunde fand, also Sigmar Polke, Konrad Fischer und Palermo, wir erlebten alles gemeinsam, die ersten Happenings, die Fluxus-Auftritte, die schon eine ungeheure Wirkung hatten. Jan Thorn-Prikker: Sie wurden 1961 also noch einmal Student, mit 29 Jahren - ein „verspäteter Maler“? Gerhard Richter: Damals erschien mir das nicht so, und wenn man von den Mitläufern absieht, gibt es noch einige, die geblieben sind: Nam June Paik, Beuys und Cage natürlich. Gerhard Richter: Und da ich ein bisschen jung aussah, etwas kindlich war, fiel das nicht so auf. Der Polke war neun Jahre jünger als ich. Konrad Fischer sieben Jahre, Palermo elf Jahre. Alle waren jünger als ich. Und die eigentlichen Altergenossen, die Zero-Leute, die waren für mich die Älteren. Jan Thorn-Prikker: Aber Fluxus war doch auch eine komische Bastelbude. Jan Thorn-Prikker: Gehörte John Cage zu Fluxus? Für mich war er der große Star, den ich von Fluxus getrennt wahrnahm. Er war „der Künstler“, der Rest war „die Bewegung“. 23 Conversation* Gehard Richter and Jan Thorn-Prikker 28 Jan Thorn-Prikker: In 1959, two years after finishing your studies at the Academy, you visited documenta II. Gerhard Richter: In search of an acceptable form for representational art, congruent with a “third way”. But it was the works by Pollock, Fontana and Fautrier that really made a lasting impression. Jan Thorn-Prikker: The main focus of documenta II was on American painting. Back then, Werner Haftmann declared abstract art to be a worldwide language. So why did Jackson Pollock and Lucio Fontana impress you so much? Their works aren’t exactly what you’d call representational. Gerhard Richter: But radically different, ruthless – it was incredible that something like that should be displayed there. […] Jan Thorn-Prikker: Do you need the official recognition? Gerhard Richter: I’ll put it like this: I never wanted to be a misunderstood artist, an outsider, a bogeyman. Never. Even fifty years ago I found the thought satisfying that, whenever culture blossomed, artists tended to be part of the establishment rather than freaks; that their status as highly qualified masters made them part of the elite. We still benefit from that today. Jan Thorn-Prikker: Did the youthful atheism have something to do with Nietzsche? Your family, after all, was staunchly Protestant. Gerhard Richter: My father, yes. But the public climate was very much anti-Christian. And, apart from Nietzsche and Schopenhauer and my mother’s liberal ethics, there was also this book – I think the author’s name was Selbmann, an economist, a Marxist, who wrote a kind of treatise an the world. About dialectical materialism. It impressed me a lot. Jan Thorn-Prikker: To me, dialectical materialism was an attempt to explain the world scientifically. There was always an answer to every question about why things are they are. That satisfied my need for objectivity. As far as I was conerned, materialism was a philosophical branch of objectivity. Can you relate to that? Gerhard Richter: In my youth, I think I would have seen it exactly the same way. In confirmation classes it dawned on me that I simply couldn’t believe in God. I was shocked, and afraid of course. I was fourteen at the time. Jan Thorn-Prikker: Later on you always emphasized the “non-ideological,“ the desire not to be duped by an ideology, not to follow an ideology. That seems to be rooted in these early experiences. Faith is not for me, you are supposed to have said once. Gerhard Richter: That’s beginning to change. Jan Thorn-Prikker: I think there’s a fundamentally religious tenor in your work. There are the Vanitas motifs, for instance; the sublimity inherent in many motifs. Hanging here today in your studio in Cologne, is a plan for a church window. And not least, there are the two crosses you made as objects. Basically they just represent the proportions of your own body, in height and width. The cross is you yourself, standing, with your arms spread out. Gerhard Richter: I sympathize with the Catholic Church. I can’ believe in God, but I think the Catholic Church is marvellous. Jan Thorn-Prikker: What do you find so impressive? Gerhard Richter: Our global Christian culture has formed us. I’m thankful for the great art, the music, the most wonderful architecture, for the literature and the philosophy, which happens to be thoroughly Catholic even when it preaches absolute atheism. Jan Thorn-Prikker : Everything you worship in art is derived from this value system. So is religion something you’ll gladly grin and bear? Gerhard Richter: Well, no, it’s a little more than that. When we had our two children christened here in the cathedral, my attitude towards the church had already radically changed, and I had slowly begun to realize what the church can offer, how much meaning it can convey, how much help, confort and security. Jan Thorn-Prikker: But even that isn’t, in essence, a religious justifica- tion for religion, but a practical and aesthetic one. You have high regard for the power of its rituals and the sense of security conveyed through its grand language of forms. The meaningful word, the space that shields us, the grand painting, the guiding vision, the sound of music. The faith in something that is greater than we are. Gerhard Richter: Everything we need. Jan Thorn-Prikker: Was literature important for you in Dresden? Gerhard Richter: Very much so. Above all, Thomas Mann. And when I took this passion with me to the West, I had to discover that it made me appear like a bit of a fool. He wasn’t progressive or radical – he was bourgeois, and these were the important catchwords of the time. Jan Thorn-Prikker: Was it possible for you to continue with anything in the West, or did you have to start everything from scratch? fide student. The friendliest seemed a be Ferdinand Macketanz, and I stayed with him for about a semester, then I changed to K. O. Götz, who I found more interesting, and who also had the more interesting students – Konrad Fischer, for example. When I was with Macketanz, I painted like I was obsessed, varying in style between Dubuffet, Giacometti, Tàpies, and many others. Kind of a crash-course in post-war painting… Later I burnt everything in the yard of the Academy. One thing I thought was great about K. O. Götz was that he would come into the studio and say, “Don’t let me disturb you.” Jan Thorn-Prikker: So your love for Picasso lasted precisely until you arrived in Düsseldorf, and then it was over. After that, you could paint as you wanted? Gerhard Richter: Well, it took at least a year until I even roughly knew what I wanted, what interested me, and what suited me best. Jan Thorn-Prikker: Did Düsseldorf give you lots of inspiration back then? Gerhard Richter: When I arrived, it was more like being at zero. It was also frightening, this sudden freedom, which was essentially nothing else but being abandoned. In my anguish, I went to study at the Academy in Düsseldorf, so I would have a home. Luckily I met a former fellow student from Dresden. He lived in Düsseldorf, explained to me that Düsseldorf was a centre of modern art, and let me stay at his place for the first few weeks. So I stayed and didn’t go to Munich, which is where I had initially thought I needed to go. Jan Thorn-Prikker: So in 1961, aged twenty-nine, you became a student again – a “late painter”? Gerhard Richter: And because I looked younger than my age and was a bit childish, people didn’t notice so much. Polke was nine years younger than me. Konrad Fischer was seven years my junior. Palermo, eleven years. Everyone was younger than me. And my contemporaries, the Zero people, seemed like the older ones to me. Jan Thorn-Prikker: What did you think of your teachers? Gerhard Richter: Back then all you had to do was find one professor who would allow you to take part in his drawing class and you were a bona Gerhard Richter: Oh yes, it was incredibly exciting, with all those exhibitions and events, all those artists. And then I was incredibly lucky to find the right friends at the Academy: Sigmar Polke, Konrad Fischer and Palermo. We experienced everything together, the first Happenings, the Fluxus events: these things had an enormous effect on me. Jan Thorn-Prikker: But Fluxus was also a bit of an odd, slapdash kind of affair. Gerhard Richter: It didn’t seem like that to me at the time, and if you ignore the hangers-on, there are quite a few that remained loyal to the concept – Nam Jun Paik, Beuys and Cage, of course. Jan Thorn-Prikker: Does John Cage belong to Fluxus? To me he was like the big star whom I regarded as a separate entity from Fluxus. He was “the artist” and the others were “the movement.” Gerhard Richter: I felt the same way. And, later on, I started to love his music, and it became something of an exemplary artistic symbol to me. 29 60 Cross Currents, 2009 Abstraktion und Kultur (1991)* Peter Halley 62 Überraschenderweise dreht sich ein Großteil der aktuellen Auseinandersetzung mit der Abstraktion um die Idee der Abstraktion als stilistisches Mittel oder Erfindung, die sich formalen Anliegen der Künstler verdankt. Sie behandelt die Abstraktion als ein Phänomen, deren Geschichte sich nach wie vor als eine Serie stilistischer Veränderungen innerhalb der Sprache der Kunst der Moderne selbst nachzeichnen lässt. Außerdem gilt die Abstraktion weiterhin als eine überlegene Sprache des emotionalen Ausdrucks, bei der das „freie“ Spiel der „reinen“ Farbe, Form und Geste es dem Künstler und dem Betrachter ermöglichen, auf einer emotionalen oder spirituellen „Ebene“ jenseits des Narrativen und Abbildhaften zu kommunizieren. Irgendwie muss man doch sagen, dass man, wenn man unser Verständnis der Bedeutung der Abstraktion, oder von irgendetwas sonst, auf eine beschwörende Aufzählung seiner eigenen formalen Geschichte beschränkt, etwas leugnet, nämlich die unzähligen Verbindungen zwischen der Kultur und anderen Historien und zwischen dem Künstler und der Welt. Wenn wir über diese exklusivste aller Bildsprachen nachdenken, ziehen wir uns intellektuell offenbar in das Kloster der Hochkultur zurück. Wir leugnen, dass die Abstraktion ein Spiegelbild stärkerer historischer und kultureller Kräfte ist. Wir leugnen, dass das Phänomen der Abstraktion nur in dem Ausmaß Bedeutung erlangt, in dem es stärkere Kräfte widerspiegelt und in ihre Geschichte eingebettet ist. Schon in den 1930er Jahren verdeutlichte Meyer Schapiro diese Perspektive mit bemerkenswerter Präzision. „Die Abstraktion“, schrieb er, „reflektierte die ökonomische Mechanisierung des Bewusstseins“ in unserer Kultur, unsere Unterordnung „unter einen äußeren Zweck“, der „gleichgültig gegenüber dem Einzelnen“ war. Doch nach Schapiro kamen Alfred Barr und Clement Greenberg, deren Bemühungen die Abstraktion in einen hermetisch abgeschlossenen Garten Kant’scher Machart umsiedelten, wo die Macht der Kultur sie in all diesen Jahren nur allzu gerne festgehalten hat. ••• Doch in welcher Beziehung steht die Abstraktion zu umfassenderen gesellschaftlichen Kräften und intellektuellen Trends in unserem Jahrhundert? Tatsächlich ist Abstraktion in der Kunst nur eine Erscheinungsform eines universellen Drangs hin zum Begriff der Abstraktion, der das Denken des zwanzigsten Jahrhunderts beherrscht hat. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde auf jedem Gebiet des intellektuellen Bemühens der Empirismus, die Leitideologie des Denkens und der Kultur im neunzehnten Jahrhundert, durch die Idee der Abstraktion ersetzt. Die Abstraktion beruht auf der Idee der Anordnung eigenständiger, spezifischer Vorfälle zu verallgemeinerten, wiederholbaren Mustern. In den bildenden Künsten hat das zu der Idee geführt, dass spezifische visuelle Vorfälle sich durch verallgemeinerte Formen repräsentieren lassen, die sich schließlich von ihrer tatsächlichen phänomenologischen Quelle befreien. Abstraktion in den bildenden Künsten beruht außerdem auf der Idee, dass die Wechselbeziehung zwischen den Teilen in einem Kunstwerk wichtiger ist als ihre individuelle symbolische Identität. Wie wir sehen werden, findet diese Betonung sprachlicher Beziehungen auch auf anderen Gebieten des Denkens im zwanzigsten Jahrhundert einen Widerhall. Es ist wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass die visuellen Prinzipien der Abstraktion nicht auf die Praxis der Hochkunst beschränkt sind, sondern sich auf sämtliche Aspekte unserer visuellen Kultur erstrecken. Abstraktion findet sich nicht weniger in gewöhnlichen populären Formen als in Werken von Kandinsky, O’Keefe oder Kelly. Denkt man etwa an die allgegenwärtigen kodifizierten Zeichen, die Reisende im vielsprachigen Flughafen von heute zum Gepäck, zu den Toiletten oder zu Tabakläden führen, dann stellt man fest, dass diese Darstellungen des männlichen oder weiblichen Körpers, eines Gepäckstücks oder einer Zigarette sich ebenfalls einer höchst abstrakten Sprache verallgemeinerter Formen bedienen, fernab jeglicher spezifischen Darstellung. In ähnlicher Weise offenbart ein Vergleich von Comics aus der Mitte des 20. Jahrhunderts wie Peanuts oder Felix the Cat und politischen Karikaturen aus dem 19. Jahrhundert, dass die Karikaturisten im 19. Jahrhundert die spezifischen, empirisch beobachteten Charakterzüge ihres Gegenstands übertrieben (eine große Nase, eine fleckige Haut), während Charly Brown oder Felix abstrakte Darstellungen oder kodifizierte Gestalten eines kleinen Jungen oder einer Katze sind und lediglich diagrammatische visuelle Muster bieten. Der Drang zur cartoonartigen Abstraktion ist für unsere gesamte visuelle Kultur wesentlich. Er hat in den letzten Jahren derart zugenommen, dass selbst in den Filmen, die noch so tun, als würden sie spezifische Ereignisse filmen, die realen menschlichen Figuren die kodifizierte abstrakte Welt ihrer Vettern aus den Cartoons nachzuahmen beginnen. (Zurück in die Zukunft, Batman und Total Recall sind gute Beispiele für dieses Phänomen.) Natürlich beherrschen dieselben Prinzipien auch nicht-visuelle Bereiche der Kultur. Wie Jean Baudrillard erklärt hat, nimmt das Modell, sprich das abstrakte Modell, in allen Bereichen des heutigen Lebens eine Vorrangstellung gegenüber dem Spezifischen ein. So bemühen sich in der akademischen Welt Psychologen, Wirtschaftswissenschaftler oder Soziologen darum, die Existenz verallgemeinerter Verhaltensmuster festzustellen, die dann als jene Linsen fungieren, durch die man spezifische Vorkommnisse betrachtet. Das davon abweichende Individuum muss folglich als psychopathisch, soziopathisch oder Borderline-Phänomen klassifiziert werden. Und die Wirtschaft, selbst eine Abstraktion, muss mittels der Kategorien Wachstum oder Rezession beurteilt werden und ihre Produktion messbar sein. Wesentliche Pionierarbeit im Hinblick auf das Erkennen der Wirkung dieser Ideen der Systematisierung und Kategorisierung wurde, daran gilt es zu erinnern, von Michel Foucault geleistet. Seine Untersuchungen zur Systematisierung der Medizin und Geisteskrankheiten sind wesentliche Studien. Als ebenso einfaches wie markantes Beispiel wies Foucault, man wird sich erinnern, in seinen späten Werken zur Sexualität darauf hin, dass selbst das Phänomen der Klassifizierung von Sexualität (in Hetero- und Homosexualität, Normalität und Abweichung) ein Phänomen der Moderne ist. Auf dieselbe Weise werden auch die moderne Physik und Biologie von einem extrem kodifizierten Konzept der Kombination und Analyse neutraler abstrakter Einheit beherrscht, egal ob es sich dabei um subatomare Partikel oder DNS-Stränge handelt. Diese Betonung der sprachlichen Struktur der Materie, bei der man feststellen kann, dass das Verhalten der Materie bestimmten grammatischen Gesetzen gehorcht, die auf der Neukombination abstrakter Elemente beruhen, hat ihr genaues Pendant in der Art und Weise, wie die Abstraktion in den bildenden Künsten funktioniert. Das Phänomen der Abstraktion spiegelt sich in der Technologie nicht minder als in der intellektuellen Produktion. Dem marxistischen Denken zufolge ist Ideologie der Schlüssel zum Verständnis des Bewusstseins. Doch da die Technologie eine zunehmend autonomere Rolle hinsichtlich der Beeinflussung der Gesellschaftsstruktur spielt, scheint es unerlässlich zu sein, sie als eine Macht zu untersuchen, mit der zu rechnen und deren Bedeutung derjenigen der Ideologie ebenbürtig ist. Eine Reihe von Gesellschaftstheoretikern, darunter Mumford, Giedion, Ellul und Debord, haben diesen Weg gewählt. Darüber hinaus erkennt ein großer Teil der heute verfassten Sozialgeschichte die Aus- wirkungen des technologischen Wandels auf die Kultur an. Man denke etwa an Wolfgang Schivelbuschs Buch Lichtblicke: Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert oder an Stephen Kerns The Culture of Time and Space 1880-1918, das die Auswirkungen des technologischen Wandels auf den Gebieten Reise und Kommunikation auf die Künste im Zeitalter des Kubismus untersucht. In diesem Jahrhundert ist die Technologie selbst abstrakter geworden, und sie hat die Welt, in der wir leben, in eine abstraktere Umwelt verwandelt. Die Technologie hat sich im Wesentlichen Schritt für Schritt von jedweder Beziehung zu dem gelöst, was gemeinhin als Natur aufgefasst wird. Das Pferd wurde durch das mechanische Automobil ersetzt, die Kerze durch das elektrische Licht usw. Die Technologie wurde immer autonomer, indem die Muskelkraft zunächst durch Dampf, dann durch Strom und schließlich durch die Kernkraft ersetzt wurde. Wenn wir mit Autos, elektrischen Lichtern, Klimaanlagen und Telefonen in Berührung kommen, dann treten wir in eine Welt ein, in der wir nicht mehr an die natürlichen Kräfte gebunden sind, die diese Apparaturen ersetzen. Wir treten in eine Welt ein, in der die Technologie von der Natur unabhängig und unsere Umwelt selbst abstrakt wird, sowohl in visueller als auch in physischer Hinsicht. Darüber hinaus haben die raschen Veränderungen, die in diesem Jahrhundert auf den Gebieten Reise und Kommunikation stattgefunden haben, uns exponentiell stark in eine Welt gedrängt, die nicht mehr von „realer“ oder „natürlicher“ Zeit oder „realem“ oder „natürlichem“ Raum abhängig ist. Wir halten es für selbstverständlich, dass wir mit jemandem auf der anderen Seite des Erdballs sprechen können, oder dass wir nur ein paar Stunden benötigen, um Tausende von Meilen zu reisen. Derartige Disjunktionen in Raum und Zeit haben auch eine Welt geschaffen, die extrem formbar und frei von natürlichen Bezügen ist. Wenn wir das Alltagsleben eines Angehörigen der Mittelschicht in den USA oder Europa untersuchen, erhalten wir das Bild einer Existenz von außerordentlicher Abgeschlossenheit. Menschen leben in abgeschotteten Häusern oder Wohnungen in extrem kontrollierten Landschaften. Sie reisen in abgeschlossenen Autos über die abstrakte Bahn des Highways in ebenso künstliche Büroparks und Shoppingmeilen. Wenn man von abstrakter Kunst spricht, ist es von großer Bedeutung, sich daran zu erinnern, dass sie nur das Spiegelbild einer physischen Umwelt ist, die im Wesentlichen ebenfalls abstrakt geworden ist. 63 Abstraction and Culture (1991)* Peter Halley 64 Wann immer Andy Warhol über den Tod, Sex oder irgendeine andere beunruhigende emotionale Situation sprach, pflegte er zu sagen: „Das ist so abstrakt.“ Doch auch wenn die Geschichte der Abstraktion in der Nachkriegszeit diese intellektuellen und technologischen Veränderungen widerspiegelt, handelt es sich bei der abstrakten Kunst keineswegs nur um deren Aufzeichnung oder Darstellung. Vielmehr ist die Abstraktion der Nachkriegszeit durch eine gewisse emotionale, durch Entfremdung ausgelöste Verweigerung gekennzeichnet. Wenn die Abstraktion der Nachkriegszeit überhaupt irgendetwas aufzeichnet, dann ist es die emotionale Verständnislosigkeit, Leere und Stumpfheit einer abstrakten Welt, in der die sozialen Beziehungen genauso bindungslos geworden sind wie die Technologie. In ihrem bedeutenden Werk über die Welt der Vorstädte, The Moral Order of a Suburb, schrieb M. P. Baumgartner, wir lebten in einer Welt des „moralischen Minimalismus“ und „schwacher Bindungen“, in der die Leute einer Situation lieber aus dem Wege gehen als sich einer sozialen Konfrontation zu stellen, in der Familien das Haus wechseln, damit jedes Familienmitglied sein oder ihr eigenes Zimmer haben und den Kontakt mit den anderen vermeiden kann. Zugleich leben wir jedoch in einer Welt, in der die brutalen, aber unwirklichen Auswirkungen der Kommodifizierung an Intensität eher zu- als abgenommen haben, in der der Status von der Fähigkeit abhängig ist, Dollars anzulocken und abstrakte wirtschaftliche Veränderungen auf einen Schlag die imaginierte Sicherheit des Einzelnen zerschmettern können. Abstraktion hat also wirklich nichts mit ästhetischen Anliegen zu tun, noch lässt es sich formal durch den Gebrauch spezifischer Formen, Techniken oder Konfigurationen kennzeichnen. Ein Car Crash (Autounfall) von Warhol, ein Joke (Witz) von Prince oder ein Filler (Füllsel) von Meyer Vaisman - sie alle spiegeln dasselbe leere Leid, das das Werk Rothkos und de Koonings kennzeichnete, das sich in der stoischen Abgeschlossenheit des frühen Stella oder Rymans fortsetzte oder in Gemälden wie No von Johns und in den tragikomischen Meditationen Naumans oder Smithsons. Abstrakte Kunst ist einfach die Wirklichkeit der abstrakten Welt. ErstveröffentlichunginTemaCeleste,Nr.32-33,Herbst 1991.WiederabdruckinSelectedEssays:1981-2000, hrsg.v.RichardMilazzo,NewYork,Paris,Turin,September 2012. ÜbersetzungausdemEnglischen:NikolausG.Schneider. Surprisingly, most of the current discussion of abstraction continues to focus on the idea of abstraction as a stylistic device or invention, borne out of artists’ formal concerns; it treats abstraction as a phenomenon whose history can still be traced as a series of stylistic changes within the language of Modernist art itself. Further, abstraction continues to be seen as a superior language of emotional expression, in which the “free” play of “pure” color, form, and gesture enable artist and viewer to commune on an emotive or spiritual “plane” beyond the narrative and representational. Somehow, it must be said that to limit our understanding of the meaning of abstraction (or anything else) to an incantatory recital of its own formal history is a denial – a denial of the myriad connections between culture and other histories and between the artist and the world. In thinking about this most rarefied of visual languages, it seems we intellectually retreat into the cloister of high culture; we deny that abstraction is a reflection of larger historical and cultural forces. We deny that the phenomenon of abstraction only gains meaning to the extent to which it does reflect larger forces and is embedded with their history. In fact, as early as the 1930s, Meyer Schapiro made this perspective clear with remarkable precision. “Abstraction,” he wrote, “reflected the economic mechanization of consciousness” in our culture, our submission “to some external purpose” that was “indifferent to the individual.” But after Schapiro came Alfred Barr and Clement Greenberg, whose efforts relocated abstraction in a tightly-locked garden of Kantian design where cultural power has been all too content to keep it for all these years. ••• But how is abstraction related to larger social forces and intellectual trends in our century? In fact, abstraction in art is simply one manifestation of a universal impetus towards the concept of abstraction that has dominated twentieth-century thought. In every area of intellectual endeavor, the twentieth century has seen the idea of abstraction replace empiricism, the guiding ideology of nineteenth-century thought and culture. Abstraction is based on the idea of the organization of discrete, specific incidents into more generalized, repeatable patterns. In the visual arts, this has led to the idea that specific visual incidents can be represented by generalized forms, which eventually free themselves from their actual phenomenological source. Abstraction in the visual arts is also based on the idea that the interrelationship between parts in a work of art is more important than their individual symbolic identity. As we will see, this emphasis on linguistic relationships is echoed in other areas of twentieth-century thought as well. It is important to remember that the visual principles of abstraction are not confined to high-art practice, but rather extend to all aspects of our visual culture. Abstraction appears no less in commonplace popular forms than it does in the works of Kandinsky, O’Keeffe, or Kelly. Thus, if one thinks of the ubiquitous codified signs that direct travelers to baggage, toilets, or tobacco shops in the contemporary multi-lingual airport, one observes that these representations of the male or female body, a piece of luggage, or a cigarette, also employ a highly abstract language of generalized shapes that are completely removed from specific representation. Similarly, a comparison between mid-twentieth-century comic strips like Peanuts or Felix the Cat and nineteenth-century political caricature reveals that while the nineteenth-century caricaturist exaggerated the specific empirically-observed traits of his subject (a large nose, blotchy skin, etc.), Charlie Brown or Felix are abstract representations or codified gestalts of a little boy or cat, providing only diagrammatic visual patterns. This impulse to cartoon abstraction is essential to our entire visual culture. It has advanced so far in recent years that even in the movies, which still purport to film specific events, the actual human characters have begun to mimic the codified abstract world of their cartoon cousins. (Back to the Future, Batman, and Total Recall are good examples of this phenomenon.) Clearly, these same principles govern non-visual areas of culture, as well. As Jean Baudrillard has stated it, the model, that is to say the abstract model, takes precedence over the specific in all areas of contemporary life. Thus, in the academic world, the psychologist, the economist, or the sociologist seek to establish the existence of generalized patterns of behavior that then act as a lens through which to view specific incidents. The aberrant individual must be classified as psychopathic, sociopathic, or borderline. The economy (itself an abstraction) must be categorized as in growth or recession and its output must be measurable. Much of the pioneering work in recognizing the impact of these notions of systematization and categorization, it should be remembered, was done by Michel Foucault. His examination of the systemization of medicine and mental disorder are crucial studies. As a simple and poignant example, one remembers that in his later work on sexuality, Foucault pointed out that even the phenomenon of the classification of sexuality (into hetero- and homosexuality, normalcy and deviance) is itself a modern phenomenon. In the same way, modern physics and biology are also governed by a highly codified concept of the combination and breakdown of neutral abstract units (be they subatomic particles or strands of DNA). This emphasis 65 Adrian Schiess Geboren / born 1959 in Zürich, lebt und arbeitet / lives and works in Le Locle (CH) 1975-1976 Vorkurs an der Kunstgewerbeschule, Zürich / preliminary course at the Kunstgewerbeschule, Zürich // 1976-1980 Lehre als Grafiker / apprenticeship as a graphic designer Ausgewählte Einzelausstellungen / selected Solo Exhibitions: 1984 Kunsthalle Waaghaus, Winterthur // 1990 Aargauer Kunsthaus, Aarau // 1993 ARC / Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris // 1994 Kunsthalle Zürich // The Showroom, London // 1996 Adrian Schiess. Flache Arbeiten 1992-96 und Videos, Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz // 1998 Adrian Schiess – Paintings, Kunsthaus Bregenz // 2001 Adrian Schiess. Malerei, Neues Museum Nürnberg // 2004 Malerei-Grünorange, Villa Merkel, Esslingen // Adrian Schiess – Aquarelle, Kunstmuseum Solothurn (CH) // 2005 Sonnenuntergang mit Vollmond, Städtische Galerie Nordhorn // 2007 Off the Wall, Indianapolis Museum of Art // La Station, Nizza // 2008 Peintre, Le Parvis, Centre d’Art Contemporain, Ibos // 2009 Musée national Fernand Léger, Biot // 2010 Musée d‘ Art Moderne, St. Etienne // Summer Endings, Stiftung Langmatt, Baden (mit Annelies Štrba) // 2012 Nizza schön, 14°, Bündner Kunstmuseum, Chur (CH) Ausgewählte Gruppenausstellungen / selected Group Exhibitions: 1990 44. Biennale di Venezia, Venedig // 1992 Documenta 9, Kassel // 1994 Positionen. Beobachtung zum Stand der Malerei in den 90er Jahren, Museum Folkwang Essen // Immedia, Malerei in den 90er Jahren, Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz // Color and Paint, Kunstmuseum St. Gallen // 1996 Malerei der 90iger Jahre, Kunstmuseum Bonn // Bilder Zauber - Ein seriöses Spiel, Fotomuseum Winterthur // 1998 Freie Sicht aufs Mittelmeer. Junge Schweizer Kunst, Kunsthaus Zürich // L’hypothèse du tableau volé, Musée d´Art Moderne et Contemporain, Genf // 2000 Mixing Memory and Desire, Kunstmuseum Luzern // Dépaysement, MDD, Deurle // 2001 Painting: Zero Degree, Center for Art and Visual Culture, Baltimore, MD // Painting on the Move, Museum für Gegenwartskunst – Emanuel Hoffmann-Stiftung, Basel // Collections sans frontières, Galleria Civica d´Arte Moderna e Contemporanea, Turin // 2004 Herbert Brandl, Helmut Dorner, Adrian Schiess, Christopher Wool – Malerei, ZKM Karlsruhe // 2005 Farbe und Faktur - Reflexionen über Formprinzipien der Russischen Avantgarde, MUMOK, Wien // 2006 Premio Biella per l‘Incisione 2006, Museo del Territorio di Biellese, Biella // 2007 Swiss Made II., Kunstmuseum Wolfsburg // 2011 Example: Switzerland, Kunstmuseum Lichtenstein, Vaduz Detail: Coucher du soleil avec mimosas, 2011 Die Farben der Mimosen Uwe Gellner 70 Coucher du Soleil avec Mimosas (Sonnenuntergang mit Mimosen) – dieser Titel entwickelt ein Bild, noch bevor man etwas gesehen hat. Der Titel klingt romantisch, die darin benannten Dinge sind unstet und ein atmosphärischer Windzug durchstreift unsere Vorstellungen. Man wird nicht gleich annehmen, dass dieses Bild eine pflanzenkundliche Beschreibung illustriert, die sich im schwindenden Sonnenlicht zeigt, während auch die Farben schwinden und der Raum sich in die Dunkelheit verengt. Dennoch wecken die Worte zahllose Vorstellungen darüber, was auf dem Bild alles zu sehen sein könnte. Ein Grund dafür liegt in der Natur der Sprache, die uns Worte zur Verfügung stellt, damit wir unsere Vorstellungen von den Dingen verbinden und austauschen können, Worte, die eine oft dahinter stehende Vielfalt an Lesbarkeit und Bedeutung vereinheitlichen und abstrahieren. Ein zweiter Grund liegt darin, ein Bild zu benennen, das wie alle Bilder einen mehr oder weniger benennbaren Gegenstand bezeugt, was bei Adrian Schiess, dessen jedes Bild eine Reise ins Unbekannte eröffnet, indem es allem Vereinheitlichenden widerstrebt, allerdings über gewohnte Grenzen der Erkennbarkeit und Benennbarkeit hinweg und über den Gegenstand hinaus führt. Daher könnte der Titel jeder nur denkbar verschiedenen Deutung und Beschreibung durchaus nahe stehen. Adrian Schiess vertritt von Anfang an einen Anspruch, der den gewohnten Regeln und Erwartungen in der Malerei misstraut. Seit 1980 hat er parallele Praktiken entwickelt, die von einer Ablehnung des objekthaft selbständigen Tafelbildes ausgehen und die die räumliche Umgebung des Bildes mit dem vorhandenen Tageslicht zu immanenten Koordinaten seiner Malerei erklären.1 Dreh- und Angelpunkt für diese Überlegungen ist das Phänomen der Farben, die Substanz der Malerei. Unsere eigentümlich relative und individuell leicht verschiedene Wahrnehmung von Farben, speziell noch in ihrer Abhängigkeit vom Licht, wird in seinen Bildern zum Untersuchungsfeld und Handlungsraum. Entsprechende Festlegungen trifft er für die beteiligten Faktoren, wie die Beschaffenheit der verwendeten Farben, die Methode des Farbauftrages, die Materialität, die Form und Größe der Bildträger und eben auch die Art der Platzierung seiner Werke in einem gegebenen architektonischen Raum, die er in Beziehung zum natürlichem Tageslicht setzt. Spätestens seit 1987 verwendet Adrian Schiess den Titel Coucher du Soleil, damals für einen im Foto festgehaltenen Blick ins späte Sonnenlicht. Innerhalb der letzten zehn Jahren wurde dann eine ganze Reihe von Gemälden unterschiedlicher Größe mit diesem Titel benannt, zu denen auch die beiden hier abgebildeten zählen, das kleinere von Adrian Schiess im Übrigen als „Shape“ rubriziert.2 Der Maler bewertet im Gespräch die Naturnähe seiner Arbeiten als grundsätzlich.3 Insofern könnte der Titel vielleicht schon festliegen, noch bevor das Bild entsteht, und als eine Art Formel dienen, welche die begriffliche Abstraktion voranstellt, um Vorstellungen zu wecken, die sich im entstehenden Bild messen können, das sich in den individuellen Raum der Worte hinein bewegt und ihn transzendiert. Die mehrfache Wiederkehr des Titels, ohne eine verbindende motivische Absicherung beizusteuern, hat konzeptuelle Gründe. 1 AdrianSchiessimTelefonatmitdem Autor,August2012. 2 AdrianSchiesshatdenBegriff„Shape“in einemTelefonatimSeptember2012verwendet. 3 ZurVerwendungdesBegriffs„Natur“bei AdrianSchiess:SchöneBrüchigkeit– brüchigeSchönheit–EinGesprächzwischen AdrianSchiess,ChristelRausmüllerund StephanKunz,in:AdrianSchiess,Werke 1978-2012,Hg.StephanKunz,RomanKurzmeyer,Heidelberg/Berlin2012,S.215. Das große Bild auf blaugrün gefasstem Nylongrund besitzt zentral und rechts der Mitte eine dominante Partie blauvioletter Durchtränkung, die teils mit Silberfarbe überfangen wurde, was subtile Lichtreflexionen bewirkt, während der gesamte linke obere Bildteil deutlich von spritzend ausfließendem Gelb erfasst ist. Protuberanzen? Im Inhalt des Formates kreuzen sich gegensätzliche Verfahren. Das Bild zeichnet einen latenten Zustand auf, der visuell für den Moment steht und selbst bei langer Betrachtung kaum Stabilität erlangt, der sich innerhalb der Formen verschiebt, verschwimmt und räumlich weitet. Die dunklen Farben strömen aus, lagern sich in Nestern ab, darüber Stege bildend, die wiederum ein Labyrinth aus Höhleneingängen errichten. Die helleren Tonwerte bewahren der Malfläche ihre Lichtdurchlässigkeit, was diesen Bereichen im Bild einen schwebenden Zustand verleiht. Zwischen den Farben entstehen Überlagerungen, weniger Vermischungen, was die räumlichen Wirkungen betont und die Flächigkeit des Bildes zurücknimmt. Alle Formen verbleiben in der Abstraktion ihres Materials. Die Worte des Titels geben der Betrachtung ein Etikett, nicht aber eine Bedeutung, weil die Worte dem Phänomen, das sie bezeichnen, die Vielfalt möglicher Auslegungen bieten, ohne dem Auge illustrative Wege zu weisen. Es steht uns frei, den „Sonnenuntergang“ und die „Mimosen“ vielleicht assoziativ aufzuspüren und allegorisch zu deuten. In den letzten zehn Jahren hat Adrian Schiess malerische Techniken entwickelt, bei denen er mit den Farben in bedingt kontrollierten gestischen Aktionen über mehreren auf dem Boden übereinander liegenden sehr dünnen Malgründen agiert, die teils mit Naturmaterialien wie Blättern von Bäumen belegt sind. Die Farben über mehrere Tage in unterschiedlicher Konsistenz auf die Fläche gießend und teils verwaschend, verbindet der Maler intuitives Suchen und notwendiges praktisches Handeln miteinander. Die Bildgründe nehmen Abläufe in sich auf, die nicht abgeschlossen erscheinen, die der Maler unterbricht. Diese Malerei entwickelt komplexe, semantisch entgrenzte Situationen, die den unablässigen Wandel von naturgegebenen Abläufen antizipieren. Was beschreibt einen Sonnenuntergang, was sind Mimosen auf einem Bild, und was hat das eine mit dem anderen zu schaffen? Als in der Kunst darstellbare Phänomene kennt man das erste tausendfach, das zweite selten. Aber Adrian Schiess geht es nicht um irgendeine Darstellung, es geht ihm ausschließlich um Malerei. Der im Nachhinein festgelegte Titel darf ein Bild nicht einschnüren. In diesem Fall ergibt sich zwischen den beiden Begriffen ein Imaginationsraum, den die Natur ausfüllt, aus dem Archiv unserer Erinnerungen und Vorstellungen abgerufen und entsprechend bedingt konkret und flüchtig in seiner Erscheinung - wie die Blattwedel von Mimosen, wenn man sie berührt oder wenn sie im schwindenden Licht bei Sonnenuntergang zusammenklappen. Bilder kann man nicht wörtlich nehmen, der Titel ist ein zugeordneter Bestandteil des Bildes, nicht aber seine Erklärung. Das kleinere „Shape“ Coucher du Soleil (Sonnenuntergang), im Unterschied zu dem großformatigen Bild auf dichtem Leinwandgrund entstanden, fällt zunächst durch seine unregelmäßige Außenform auf. Während die Seitenkanten links und oben einen rechten Winkel bilden, fügen sich die Seitenkanten rechts und unten 4 Ebd.,S.213. 5 Ebd.,S.212f. 6 Ebd.,S.212. 71 The Colors of Mimosas Uwe Gellner 74 Coucher du soleil avec mimosas (Sunset with mimosas) —the title conjures up an image even before we have seen anything. The title sounds romantic; the things it names are restless, and an atmospheric breeze sweeps through our imaginations. One does not immediately assume that this painting illustrates a horticultural description in fading sunlight while the colors also fade and the space constricts into darkness. Nevertheless, the words evoke countless ideas about what we might see in the painting. One reason for that lies in the nature of language, which makes words available to us so that we can connect and exchange our ideas of things—words that unify and abstract a diversity of readings and meanings that often lie behind them. Another reason is titling a painting that, like all paintings, vouches for a more or less nameable object. In the case of Adrian Schiess, every one of whose paintings initiates a journey into the unknown by opposing everything that unifies, but goes beyond familiar boundaries of the recognizable and identifiable and beyond the object itself. For that reason, the title could certainly be compatible with every conceivable interpretation and description. Adrian Schiess has from the outset advocated an approach that distrusts the usual rules and expectations in painting. Since 1980 he has developed parallel practices, setting out from a rejection of the object-like, autonomous easel painting and declaring the spatial surrounding of the painting with the existing daylight to be the immanent coordinates of his painting.1 The pivot of these reflections is the phenomenon of color—the substance of painting. Our perception of colors, which is strangely relative and differs slightly by individual, especially in its dependence on light, becomes the field of exploration and space for action in his paintings. He makes corresponding decisions for the factors involved, such as the composition of the paints used, the method of applying them, the materiality, the form and size of the support, and the way his works are placed in a given architectural space, which he relates to natural daylight. At least since 1987, Adrian Schiess has used the title Coucher du soleil originally for a view into sunlight photographed late in the day. Within the past ten years, he gave this title to a series of paintings of different size, which also includes the two that are shown here, the smaller one Adrian Schiess rubricated incidentally as “shape.”2 In conversation, the painter describes it as essential that his works be close to nature.3 In that sense, the title might already be determined before the painting is even produced and thus serve as a kind of formula that puts terminological abstraction first in order to evoke ideas that can measure themselves in the incipient painting, which moves into the individual space of the words and transcends it. The multiple recurrence of the title has conceptual reasons, though without a binding determination of the motifs. The large painting on a nylon ground painted bluish-green has a dominant part saturated in bluish-violet in the center and to the right of the center, partially covered with silver paint, resulting in subtle reflections of light, while the entire top left section is clearly swept with spattered, flowing yellow. Protuberances? Within the content of the format, antithetical methods intersect. The painting records a latent state that stands visually for 1 AdrianSchiessinatelephoneconversation withtheauthor,August2012. 2 AdrianSchiessusedtheword„shape“inatele- phoneconversationwiththeauthor,Septem- ber2012. 3 Ontheuseoftheconceptof“nature”inthe workofAdrianSchiess,see“BeautifulFragili- ty—FragileBeauty:AConservationbetween AdrianSchiess,ChristelRaussmüllerand StephanKunz,”inStephanKunzandRoman Kurzmeyer,eds.,AdrianSchiess,Werke/ Works,1978–2012,exh.cat.,BundnerKunst- museum,Chur(Heidelberg:Kehrer,2012), 221–33,esp.215 the moment and even when viewed for an extended period scarcely obtains stability, instead shifting, blurring, and expanding spatially within the forms. The dark colors stream out, are deposited in nests, forming bridges across them that in turn construct a labyrinth of entrances to caves. The brighter tonal values preserve the permeability of the picture plane to light, giving the painting a sense of floating in these areas. Between these colors there are areas of overlapping, not really mixing, which emphasizes the spatial effects and reduces the planarity of the painting. All the forms remain in the abstraction of their material. The words of the title give a label, but not a meaning, to our viewing, because the words offer a wealth of possible interpretations to the phenomenon they name without pointing out illustrative paths to the eye. We are free to track down the “sunrise” and the “mimosas” associatively and interpret them allegorically. Over the past ten years, Adrian Schiess has developed techniques for painting in which he applies the paints using gestural actions that are controlled only to a limited extent, working above several thinly primed supports that are stacked on the floor and partially covered with natural materials such as tree leaves. By pouring paints of varying consistency on the surface and then partially washing them away, the painter combines intuitive searching and necessary practical action in separate phases or days, sequentially and thus bringing them together in the process. The pictorial grounds take up processes that appear to be unfinished but interrupted by the painter. Such painting develops complex situations that dissolve semantic boundaries and anticipate the incessant transformation of natural processes. What describes a sunset? What are mimosas in a painting? And what does the one have to do with the other? As phenomena that can be depicted in art, we know thousands of examples of the former but the latter are rare. But Adrian Schiess is not interested in just any form of depiction; he is exclusively interested in painting. The title chosen subsequently cannot be allowed to corset the painting. In this case, a space for the imagination opens up between the two terms, filling out nature, called up from the archive of our memories and ideas, and correspondingly limited in specificity and fleeting in their appearance, such as the fronds of mimosas when they are touched or when they close up in the fading light of the sunset. Paintings cannot be taken literally; the title is an assigned component of the painting but not its explanation. The smaller “shape” Coucher du soleil (Sunset), which unlike the large-format painting was painted on a thick coat of primer, is immediately striking for the irregularity of its outer form. Whereas the sides form a right angle at the top left, at the bottom right they do not follow the same familiar rule of geometry and look like the edges of a sketch. Much as they do in Coucher du soleil avec mimosas, the colors lead their own lives. The pale grayish-green placed over a similarly pale but bright red is partially permeable, and we assume we see reciprocal, especially as the gray, cloudy forms are quite animated above the brilliant, bright red level. Only on the left edge has the grayish-green obviously solidified into an elegantly contoured, think marginal figure. The energetic happenings between the colors are flanked by the title to form a grand natural drama. There is no why the colorful movements should be limited to the narrow format, so the visual impressions spread into the unpainted area 75 78 Coucher du soleil avec mimosas, 2011 Neo Rauch Geboren / born 1960 in Leipzig, lebt und arbeitet / lives and works in Leipzig 1981-1986 Studium der Malerei an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) bei Arno Rink // 1986-1990 Meisterschülerstudium an der HGB bei Bernhard Heisig /// 1993-1998 Assistent von Arno Rink an der HGB, Leipzig // 2005-2009 Professor für Malerei an der HGB, Leipzig // seit 2009 Honorarprofessor an der HGB, Leipzig Ausgewählte Einzelausstellungen / selected Solo Exhibitions: 1995 Curator’s Choice II: Echoes - Neo Rauch & Maren Roloff, Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig // 1997 Kunstpreis der Leipziger Volkszeitung, Museum der bildenden Künste Leipzig // 2000 Randgebiet, Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig // 2003/2004 Arbeiten auf Papier, Albertina, Wien // 2005 Neo Rauch, CAC, Malaga (E) // 2006 Neue Rollen, Kunstmuseum Wolfsburg // 2007 Neo Rauch at the Met. para, Metropolitan Museum of Art, New York // para, Max Ernst Museum, Brühl // 2010 Neo Rauch – Begleiter, Museum der bildenden Künste Leipzig und Pinakothek der Moderne, München // 2011 Neo Rauch - Begleiter. Mythos Realismus, Zacheta National Gallery, Warschau // Neo Rauch, Museum Frieder Burda, Baden-Baden // 2011 Rosa Loy und Neo Rauch. Hinter den Gärten, Essl Museum, Klosterneuburg/Wien // 2012 Neo Rauch. Das grafische Werk – Erster Teil. Grafikstiftung Neo Rauch, Aschersleben Ausgewählte Gruppenausstellungen / selected Group Exhibitions: 1999-2001 After the Wall, Moderna Museet Stockholm / Ludwig Museum, Budapest / Hamburger Bahnhof, Berlin // 2001 49. Biennale in Venedig // 2002/2003 Lieber Maler, male mir…, Centre Pompidou, Paris / Kunsthalle Wien / Schirn Kunsthalle, Frankfurt/M. // 2003 Die Erfindung der Vergangenheit, Pinakothek der Moderne, München // 2004 26. Biennale São Paulo (BR) // 2006 MADE IN LEIPZIG. Bilder aus einer Stadt, Schloss Hartenfels, Torgau // 2008 Neue Leipziger Schule, Cobra Museum für moderne Kunst, Amstelveen (NL) // 2008 The 3rd Guangzhou Triennial (CN) // 2011 4. Moscow Biennale // 2012 Müde Helden, Hamburger Kunsthalle Detail: Ausflug, 1998 Dörfler, 2009 Pendel, 2009 Daniel Richter Geboren / born 1962 in Lütjenburg, lebt und arbeitet / lives and works in Hamburg, Berlin, Wien 1991-1995 Hochschule für bildende Künste in Hamburg /// 2004-2006 Professor für Malerei an der Universität der Künste, Berlin // seit 2006 Professor für Malerei an der Akademie der bildenden Künste, Wien Ausgewählte Einzelausstellungen / selected Solo Exhibitions: 2000 Für immer, Gesellschaft für aktuelle Kunst, Bremen // 2001 „Billard um halb Zehn“, Kunsthalle Kiel / Museum der bildenden Künste Leipzig // 2002 Grünspan. K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf // 2003 Hirn, Neuer Berliner Kunstverein // 2004/2005 White Horse – Pink Flag, The Power Plant, Toronto / National Gallery of Canada, Ottawa // 2006 Huntergrund, Museum für Gegenwartskunst Basel // Die Peitsche der Erinnerung, Kunsthaus Stade (mit Jonathan Meese) / 2007 Daniel Richter, Hamburger Kunsthalle // Passion for Art, Essl Museum – Kunst der Gegenwart, Klosterneuburg/Wien // 2007/2008 Daniel Richter, GEM, Den Haag // 2008 A Major Survey, Denver Art Museum // CAC Malaga // 2009 Kunsthaus Hamburg // 2010 The Black Saint and the Sinner Lady, Museum der Moderne Salzburg // 2011 10001nacht, Kestnergesellschaft Hannover / Contemporary Fine Arts, Berlin // 2012 Der archäologische Schrecken (gemeinsam mit Jonathan Meese), Helms Museum, Hamburg Ausgewählte Gruppenausstellungen / selected Group Exhibitions: 1995 Scharfer Blick, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn // 1999 German Open 1999 - Gegenwartskunst in Deutschland, Kunstmuseum Wolfsburg // 2000 Abstrakte Kunst, Neues Museum, Staatliches Museum für Kunst und Design, Nürnberg // German Festival in India, National Gallery of Modern Art, Bombay / Birla Academy of Art and Culture Museum, Calcutta / Karnataka Chitrakala Parishath, Bangalore / National Gallery of Modern Art, New Delhi // 2001 Vantage Point, Irish Museum of Modern Art, Dublin // 2002 Preis der Nationalgalerie, Hamburger Bahnhof, Berlin // 2003 Berlin - Moskau / Moskau - Berlin 1950-2000, Martin-Gropius-Bau, Berlin / Staatliches Historisches Museum am Roten Platz, Moskau // New abstract painting - Painting abstract now, Schloss Morsbroich, Leverkusen // 2005 Big Bang - Destruction and Creation in 20th Century Art, Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou, Paris // 2006 Tokyo – Berlin / Berlin – Tokyo, Mori Art Museum, Tokio / Neue Nationalgalerie, Berlin // Paint it Blue, Neues Museum Weserburg, Bremen // Ferne Nähe – Natur in der Kunst der Gegenwart, Kunstmuseum Bonn // Die Kunst ist super!, Hamburger Bahnhof, Berlin // 2012 Vertrautes Terrain-Aktuelle Kunst in und über Deutschland, ZKM, Karlsruhe // Der gemalte Raum, Essl Museum – Kunst der Gegenwart, Klosterneuburg/Wien Detail: Elektro/a, 2005 94 Elektro/a, 2005 Malerei als Widerstand Fabian Marcaccio 108 Die heutige Malerei ist ein ständiges Manöver, sich selbst und die eigenen Grundlagen im Verhältnis zu anderen Bereichen zu definieren. Sie ist permanent im Zustand einer „Variante“, in einem komplexen Status des Sich-in-sich-selbst- und des Sich-außerhalb-von-sich-selbst-Befindens. Die Malerei steht auf der Seite der Rechte auf Subjektivierung und verteidigt diese, und sie ist offen für vielfältige Spielarten, sich auf das Reale zu beziehen. Sie vermittelt kontinuierliche, produktive und organische Modelle, die das Herz, das Gehirn und die Eingeweide menschlicher Subjektivierungsprozesse ausmachen. Die heutige Malerei ist eine Form des Widerstands, eine Form der Arbeit, eine alternative Art und Weise des Begehrens und des In-der-Welt-Seins. Die Malerei ist eine kontinuierliche und organische nicht-entfremdete Arbeit. Ihrer Herstellung folgt einer von unten nach oben verlaufenden Logik, von der Einheit zur Totalität. Diese charakteristischen Kennzeichen machen sie zum Ziel von Angriffen von links, von rechts und aus der Mitte und lassen sie zu idiosynkratisch, zu menschlich, zu animalisch, zu chaotisch werden. Malerei ist ein Widerstand gegen die Trägheit der auf Sprache beruhenden und gebrauchsfertigen bildbasierten Kultur, gegen die Kultur der „Cut-and-capture“-Fragmente, die aus jedem beliebigen Foto-, Video- und Filmbereich herausgelöst werden. Sie steht im Gegensatz zu der bürokratischen und monolithischen, von oben nach unten verlaufenden Datenausbeutung. Sie ist eine Alternative zur parasitären Logik der Dematerialisierung und Lichtprojektionen. Sie ist gegen die fadenscheinige Kultur des „Interessanten“ und für das „Interessierte“. Die Malerei bringt nach wie vor sporadische Innovationen hervor und löst einzigartige Zuwendung aus. Konzeptkünstler versuchen sie zu gebrauchen, Maler missbrauchen sie im Allgemeinen, Fotografen benutzen sie als Vorgabe, die digitalen Künste erschaffen sie ständig neu, und der Markt liebt diese dunkle und glitschige Ware. Vielleicht kann die Malerei mit ihrem Minderwertigkeitskomplex gegenüber anderen, neueren Medien zurechtkommen, indem sie ihre Eigenart bewahrt und übertreibt und sich das, was wichtig ist, von anderen Künsten nimmt. Rope Paintings [Seilbilder] Die Kunst und vor allem die Malerei ist nicht unabhängig von allem. Wenn sie Glück hat, hat sie eine Minute lang die Illusion von Unabhängigkeit und Autonomie, aber natürlich ist auch diese Minute in ein organisches Zeit-Raum-Kontinuum eingebettet. Das Malen und Betrachten der Rope Paintings ist so, als liege man mit dem eigenen Gesicht im Schlamm. Sie verwirklichen Abstraktion, indem sie sie unmöglich machen. Die Rope Paintings zielen auf einen Begriff von echter Historienmalerei, investigativer Reportagemalerei, möglicher gemeinschaftlicher Malerei oder von Action Painting für den aktiven Betrachter. Ich betrachte die Rope Paintings als einen Zeit-Raum-Material-Impressionismus, eine postdigitale Plastemic Cell-Malerei, eine Materie/Antimaterie-Membranmalerei und eine der wenigen angemessenen Möglichkeiten, der Pixeldiktatur des Digitalen die Stirn zu bieten. Sie versuchen eine „realere“ Repräsentation zu präsentieren, eine körperliche Repräsentation, die aus abgesonderten Präsentationen besteht. Diese zwangsläufig weniger arbiträre Repräsentation ist das Ergebnis konkreter nicht-abstrakter Bildkräfte. Dies sind keine abstrakten informalistischen Gemälde. Es sind reale menschliche Ereignisse, die durch reale Malereignisse geschaffen wurden. Es sind digitale Informationen, die durch bildliche Informationen verkörperlicht und territorialisiert wurden. Diese Bilder stammen aus dem entmaterialisierten Fluss des Internets, Bilder von historischer Bedeutung, ohne Zuhause oder Territorium, Bilder, mit denen die gängigen Medien nicht zu Rande kommen, die sie vergessen oder auslöschen wollen. Nachdem ich mehr als ein Jahrzehnt lang digitale Gemälde komponiert habe, habe ich die entmaterialisierten digitalen Prozesse derart verinnerlicht, dass ich sie jetzt rematerialisieren kann. Die Rope Paintings sind ein heterogener Prozess, von der Stützstruktur über das Weben des Bildgrunds bis zu den vielfältigen Malweisen, darunter der direkte Farbauftrag von vorn und von hinten, Airbrush-Malerei sowie Malerei mit gedrückten und gegossenen Farben. Sie sind äußerst massiv und materiell, doch zugleich voller Luft und Atmosphäre. Man sieht die Wand und ihre Trägerstruktur, die Schatten, die das Gemälde auf sich selbst und auf die Wand wirft. Das offene, vergrößerte Geflecht von Seilen erzeugt diese Maschenoberfläche, eine dicke, doch zugleich offene fibröse Material-Atmosphäre. Es sind keine skulpturalen Gemälde, sondern poröse Bildtopografien. Es geht bei ihnen auch nicht um kunsthandwerkliches Geschick. Das Weben dient dazu, für jedes Gemälde einen in puncto Maßstab, Qualität und Charakter spezifischen Bildgrund zu schaffen, der solche Mikro-Makro-Bildereignisse zu tragen vermag. Die phänomenologische Wahrnehmung wird übertrieben und bis zu dem Punkt verstärkt, dass sie sowohl aus großer Entfernung als auch in der Nahansicht und auf dem Weg vom einem zum anderen beim Durchqueren der Maschenatmosphäre eine Nah-Fern-Erfahrung bieten. Sämtliche graduellen Entfernungen und Positionen des aktiven Betrachters verschmelzen in einer Mikro-MakroVerbrennung. Dies sind keine „Zurück-zur-Natur“- oder „Zurück-zum-Ursprung“-Gemälde. Sie sind konstruktive, analytische, biokulturelle Gemälde, in der Zeit gemacht, in der sich Radymade und Collage-Modelle durch Techno-Wissenschaft und Massenmedien integriert und approbiert haben – dem Übergang von gebrauchsfertig [ready-made] zu wachstumsbereit [ready-growth]. Sie sind keine abgemalten Fotografien, sondern Anwendungen vielfacher, ausgeprägter Bildmodelle an der Stelle eines verbliebenen Fotogeistes – Bildereignisse mit einer verbliebenen paradigmatischen Realität. Es sind rhetorische, materielle und räumliche Hyperrealisierungen einzigartiger Ereignisse, die vergessen werden wollen und mit fast unmöglichen bildnerischen Mitteln gemacht sind, die man kaum vergessen kann. Die Rope Paintings sind kühn: Sie scheinen progressiv und reaktionär zugleich. Sie versuchen durch die Türe zu gehen, der sich William DeKooning näherte, die er aber vermutlich nicht durchschritt: das Innerbildliche, das Nanobildliche. Man sieht Dinge auf ihnen, man sieht Dinge in ihnen und man sieht durch sie hindurch. Dieses gespenstische Territorium des „Intra-paint“ ist analytisch ohne die Hilfe des übertriebenen Ausdrucks, der leichten Transzendenz oder der chronischen Spezialitäten der freien Künste. Etwas mit Farbe zu machen bedeutet, es auf die realmöglichste Weise zu repräsentieren und dabei das Reale immer im Hinterkopf zu behalten, auch wenn es immer verspätet oder unmöglich ist. ÜbersetzungausdemEnglischen:NikolausG.Schneider. 109 110 Podium, 2011 Painting Resistance Fabian Marcaccio 112 Painting today is in a constant maneuver to define itself and its grounding in relation to other domains. It is in a permanent “variant” condition, in a complex state of being in itself and out of itself, in a ghost and mutant state. Painting is on the side and defense of the rights to subjectivation and open to the multiple ways to relate to the real. It brings continuous, productive, and organic models at the heart, brain and guts of human processes of subjectivation. Painting today is a form of resistance, a form of labor, an alternative way of desiring and being in the world. Painting is a continuous and organic non-alienated labor. Its making follows a bottom-to-top logic from unity to totality. These characteristics make it a target of attacks from left, right, and center, rendering it too idiosyncratic, too human, too animal, too messy. Painting is a resistance to the inertia of language-based and ready-made image-based art, to the culture of the „cut and capture“ fragments disembodied from any domain of photo, video and movie. It is in opposition to top-to-bottom bureaucratic and monolithic data mining. It is an alternative to the parasitic logic of dematerialization and light projections. It is against the flimsy culture of the “interesting” and in favor of the “interested.” Painting still brings sporadic innovations and triggers singular affection. Conceptual artists try to use it, painters in general misuse it, photographers use it as a default, digital arts constantly remake it, and the market loves this dark and slippery commodity. Perhaps painting can deal with its complex of inferiority in relation to other newer media by holding and exaggerating its own specificity while taking what is important from other mediums. Rope Paintings Art and especially painting is not independent of anything. It is lucky if it has the illusion of independence and autonomy for a minute, but then again that minute is embedded in an organic time-space continuum. The painting and viewing of the Rope Paintings is like having your face in the mud. They realize abstraction by rendering it impossible. The Rope Paintings aim to a notion of real history painting, investigative report painting, possible communal painting, or action painting for the active beholder. I see the Rope Paintings as a time-space material Impressionism, a post-digital plastemic cell painting, a matter/anti-matter membrane painting, and one of the only fair ways to confront the pixel dictatorship of the digital. They try to present a more „real” representation, a corporeal representation made out of secreted presentations. This necessary less arbitrary representation is the result of concrete non-abstract pictorial forces. These are not abstract informalist paintings. They are real human events made through real painting events. They are digital information corporealized and territorialized in pictorial in-formation. These images are taken from the dematerialized flux of the net, images of historical importance without a home or territory, images that the mainstream media cannot cope with, wants to forget or erase. After more than a decade composing digital paintings, I have interiorized the dematerialized digital processes in such a way that now I can rematerialize it. The Rope Paintings are a heterogeneous process from the support structure, to the weaving of the ground, to the multiple ways of paint, including direct paint, reverse paint, air paint, extrusion paint and cast paint. They are so massive and material but they are full of air and atmosphere. You see the wall and their support structure, the shadows that the painting cast upon itself and on the wall. The open, magnified web of ropes creates this mesh surface, thick but open fibrous material atmosphere. They are not sculptural paintings; they are pictorial, porous topographies. They are not about craft, either. The weaving is used to build a ground specific for each painting in scale, quality and character, a permeable singular ground that can carry such micro-macro pictorial events. The phenomenological perception is exaggerated and amplified to the point that they offer a near-far experience from a remote distance all the way to close-up viewing, passing through the mesh atmosphere. All the gradual distance and positions of the active viewer merge in a micro-macro combustion. These are not “back to nature” or “back to origin” paintings. They are constructive, analytical, biocultural paintings made in the time when the ready-made and collage models have being integrated and appro-priated by techno science and mass media—the passage from ready-made to ready-growth. They are not painted photographs, they are implementations of multiple, distinctive pictorial models in the place of a residual photo-ghost—image events with a residual paradigmatic reality. They are rhetorical, material and spatial hyper-realizations of singular events that want to be forgotten made with almost impossible pictorial means that are hard to forget. The Rope Paintings are bold; they seem both progressive and reactionary. They try to go through the door that William DeKooning approached but perhaps did not enter - the intra-pictorial, the nano-pictorial. You see things on them, you see things in them and you see through them. This eerie territory of the “Intra-paint” is analytical without the help of over-expression, easy transcendence, or the chronic liberal arts specialties. To do with paint is to represent in the most real way possible, with the real always in mind even if it is always belated or impossible. 113 Painted Stories Uwe Gellner Bilder von Alicia Paz wie Noche, aus der Serie Monsters and Artists, wirken amüsant und schrill. Mit dem spanischen Wort für „Nacht“ erinnert uns dieser Bildtitel daran, dass die inzwischen in London lebende Malerin in Mexico City geboren wurde. Auch den anderen Bildern von Alicia Paz scheint diese biografische Notiz einen sprachlichen Akzent beizusteuern. Umgeben von Schwarz nimmt eine purpurfarbene Froschfrau die Bildfläche ein und blickt uns unverwandt aus ihrem Schauspielerinnengesicht an. Echte farbige Knöpfe auf der Leinwand schmücken den glatten Körper der hockenden Figur, ihre Hände und Füße aber sind chaotisch bunt, als wäre sie über eine Malerpalette gekrabbelt oder als hätte hier irgendeine Laune ihrer Existenz alle Entscheidungen zur Farbe verhindert. Aus nächster Nähe winkt die „Nacht“ uns mit ihrer rechten Patschhand zu, sie hat uns schon erwartet. Links, im seitlichen Schwarz dahinter, sind zahlreiche Pinselspuren erkennbar, die den Abdruck eines Nadelbaumes hinterlassen haben, während ein schwacher Lichtschein aus der weit im Hintergrund angedeuteten Landschaft die Bildtiefe in die unbestimmbaren Weiten der Nacht dehnt. Auf diese Weise streift ein Anflug von Romantik das merkwürdige Los der Leinwandgestalt, die unter einem Sternenhimmel bis an die Bildkanten nach vorn gekrabbelt ist, uns beinahe körperlich nahe kommt und jetzt nicht weiter kann, weil das Bild hier endet. Melancholie ist in der Kunst immer sprachlos und meistens weiblich. Hier tritt sie uns bunt geschmückt und spleenig wie aus einem Traum oder Trauma heraus in den Weg. Monsters and Artists? Auch auf allen weiteren Bildern dieser Werkgruppe ist nur jeweils eine Figur zu sehen, immer sind es weibliche Figuren. Was in Worten auf eine Aufzählung oder Gegenüberstellung hinausläuft, zeigt sich auf dem Bild als offene Frage im spiegelbildlichen Hin und Her derselben Gestalt in verschiedenen Rollen. Diese Ambiguität lässt die Malerin in das Motiv ihres eigenen Bildes schlüpfen, im Grunde aber charakterisiert das die Bilder von Alicia Paz immer – alle ihre Malereien handeln von der Malerei. Auch nachdem die Malerin die Arbeit daran abgeschlossen hat, wenn wir die Bilder sehen, ermöglichen sie uns am Vorgang der Malerei teilzuhaben. Die Bilder laden dazu ein, die Bildentstehung als Bilderzählung mitzuerleben und dies gleich in doppelter Hinsicht, mit Hilfe der verwendeten Methoden des Farbauftrags und weiterhin mit Hilfe der Motive. Als würde jeder Teil des Bildes seine eigene Geschichte in das Bild mitbringen, vergleichbar dem Prinzip der Collage, summieren und verschränken die Bilder eine Auswahl von Anleihen und Fragmenten. Der Duktus der Anwendung der Farben in Noche reicht von Informel bis Pop, er weist zurück in historische Landschaftsmalerei, er spielt mit dem Trompe-l’œil Effekt und er imitiert Schwarzweißfotografie. Das coole Handzeichen und die armselige Körperhaltung, der ernste Blick einer schönen Frau, der uns die Selbstporträts von Frida Kahlo ins Gedächtnis ruft, und eine Nähe, die uns keine Ausflucht lässt, Noche ist anziehend sinnlich, auch beklemmend unmittelbar, aber eben nicht zu erklären. Indem Alicia Paz nicht nur einen Stil anwendet, entzieht sie ihnen allen den angestammten Raum und überführt sie in ein Terrain malerischer Visionen. Die großen Hände und Füße beispielsweise schrammen die expressionistische 128 Noche, 2005 129 132 Dinge ereignen können. Es handelt sich um Konstruktionen von Bildern aus Bildern, die sich irgendwie zu Figuren zusammenfinden. Wir können miterleben, wie diese Figuren damit beschäftigt sind, sich selbst und das Bild zu malen, das bedeutet, was wir sehen können, ist nur eine Momenterscheinung, die im nächsten Augenblick obsolet sein kann. Festgehalten als ein Augenblicksereignis, agieren die Figuren in der Bildpraxis der heutigen Alltagskultur. Der Stoff dieser Bilder fügt sich aus lockerer Hand in schillernden Szenen über die Malerei und ist inszeniert, wie auf einer Bühne. Die versammelten Chiffren und Images sind Akteure im selben Stück, aber sie bleiben sich dennoch fremd und agieren autonom. Eingenommen von Paradoxien und Scheinwelten entwickeln die Bilder Visionen, die nicht verheimlichen lassen, dass sie aus disparaten Fragmenten und mit Hilfe einiger Tricks zu Stande gekommen sind, was den leicht neurotischen Zustand mancher Figuren erklärt. Alicia Paz beschreibt alles in einem einnehmenden Plauderton. Den illustrativen Dekors der konstruierten Erzählungen mit all den Einzelheiten und ihrem ungewissem Ausgang gelingt es, unsere Zeit dafür zu gewinnen, den Spaß der Malerin an der Entstehung auch noch bei der Betrachtung ihrer Bilder zu teilen. Das funktioniert, weil uns in diesen Bildleinwänden eine muntere Unbeschwertheit lockt, die vom kreativen Prozess der Malerei handelt und ihn gleichzeitig repräsentiert. Black Dawn, 2009 Imago und Realität Annegret Laabs 144 Es gelingt uns nicht, unsere Blicke den übergroßen Augen zu entziehen, die uns aus den Gesichtern junger Menschen in den Gemälden Sarah McGinitys entgegenschauen. Mit einer Höhe von 1,80 m sind die gemalten Portraits der in London lebenden Künstlerin weit überlebensgroß und im Raum präsenter als andere Leinwandbilder vergleichbaren Ausmaßes. Im Dreiviertelprofil dargestellt, entsprechen die Bildnisse der jungen Männer und Frauen auf den ersten Blick ganz den traditionellen, über Jahrhunderte tradierten Vorstellungen vom Portrait als Abbild des Wesens und der inneren Werte einer Person. Doch anders, als wir es aus der Vergangenheit kennen, sind die Gesichter hier bis zum Bildrand gemalt, sind die Köpfe angeschnitten, sprengen das Format und bilden – umgeben von tiefschwarzem Hintergrund – eine eigenartig plakative Schablone für immer denselben Grundausdruck. Doch aus dem an sich im gesamten Bild locker gesetzten Farbauftrag modellieren sich Gegensätze: Mit Weiß vermengte Lasurschichten über dem Malgrund bilden in feiner Sfumato-Technik die Gesichtshaut der Dargestellten, um die Wiedergabe jeder natürlichen Unebenheit zu vermeiden. Die immer in gleichem hellen Blond gehaltenen Haare hingegen sind, wie die Kleidung, mit breiten, schnell gesetzten Pinselzügen als unwesentlich charakterisiert und zeigen einen hohen Grad an skizzenhafter Auffassung. Die gewählte immer ähnliche blau-graue Farbe der Kleidung lässt persönliche Details in den Hintergrund treten. Konsequent wird auf weitere Angaben verzichtet, die die soziale Klasse, das Milieu, die Persönlichkeit, den Beruf oder die emotionalen Aspekte dieser „Individuen“ kennzeichnen könnten. Der indirekte Lichteinfall von schräg oben wirkt sich vorteilhaft auf die Gesichtsmodellierung aus, legt die Schatten geschmeidig um Augen, Nase und Kinn und rückt die Dargestellten in eine undurchdringliche Abwesenheit, zumindest so lange, bis unser Auge die weißen, reflektierenden Lichtpunkte auf Nasenspitze, Wange oder Haaransatz erhascht. Ist es nur das Blitzlicht eines Fotoapparates oder der Glanz der Kunststoffoberfläche einer Puppe; ist es ein übermäßig geschminktes Fotomodell im Studiolicht oder eine bewusst typisierte Methode der Modellierung von Gesichtern auf der Bildfläche? Gefragt nach dem Realitätsgehalt ihrer Portraits und dem Prozess der Bildfindung bzw. deren Umsetzung auf der Leinwand, beschreibt Sarah McGinity ihr Vorgehen und somit auch ihre Idee vom Portrait als Prozess des Findens eines Typus in einer bestimmten Zeit. Fotografien aus dem Internet, immer Blondinen, immer schön, immer jung und irgendwie immer anziehend, werden für sie zum Ausgangspunkt für jene zwischen bloßer Erfindung und realem Abbild existierenden Bildnisse. Neben der Erinnerung an gefundene Fotografien ist es das Wissen um stereotype Vorbilder und ein durch nichts zu erschütterndes Schönheitsideal der westlich geprägten Kulturen, das aus den Darstellungen spricht. Sie widerspiegeln ein Ideal, das bis heute in einem Bild von Schönheit mündet, zu dem das Blondsein ebenso gehört wie der rote Schmollmund. Doch neben Lippenaufpolsterung und kleiner Nasenkorrektur steht die Frage nach dem tatsächlichen Selbstbewusstsein der jungen Menschen, die Frage nach dem ‚Hinter den Fassaden sein‘. Und so ist das etwas Ungelenke, das man der Jugend der Dargestellten zuschreiben könnte, auch als Hinweis auf ihre innere Verfassung zu deuten. Sarah McGinity interessiert die Ambivalenz, die zwischen Realität und Abbild entsteht, und natürlich die bewusste Aufnahme der Diskussion um die – seit der Erfindung der Fotografie – immer wieder gestellte Frage nach dem Verhältnis, das zwischen Malerei und Abbild besteht. Ihre Bildnisse sind eine Untersuchung der Möglichkeiten der Imagination in der Malerei. Wann kippt die Darstellung zwischen dem vermeintlichen Erkennen der Realität und dem Wissen um die Fiktion des Dargestellten? Die imaginären Portraits bewegen sich auf einer Schwelle, die dem Betrachter keine Möglichkeit lassen, sich schnell zu entscheiden; sie sind durch ihre malerische Ausführung der Realität enthoben und durch ihre Nähe zum fotografischen Abbild aus der Imagination in die Realität entflohen. Durch die permanente Wiederholung des Bildsujets, die unabdingbare Reihung der immer ähnlichen Motive, ist das Portrait für Sarah McGinity Untersuchungsgegenstand der Authentizität. Die überlebensgroßen Gesichter erinnern an jene übergroßen fotografischen Portraits der Alltagswelt, die uns im Straßenbild seit Jahren allerorts verfolgen und die spätestens seit der aggressiven Modewerbung der Benetton Group am Ende der 1980er Jahre zum allgegenwärtigen Blick auf uns selbst geworden sind. Doch anders als im Straßenraum haben wir keine Möglichkeit, dem Blick der jungen Menschen in den gemalten Portraits zu entkommen; nicht ausreichend groß genug ist der räumliche Abstand im Innenraum zu bemessen, um ihnen tatsächlich in menschlicher Größe zu begegnen. Seit der Erfindung der Fotografie im 19. Jahrhundert hat das Porträt seine Aufgabe als repräsentatives, reales Abbild einer Person verloren. Realitäsnahe, dem Zwecke der Repräsentation dienende Porträtbildnisse leben primär in restaurativen Auftraggeberkreisen fort. Von der Pflicht befreit, realitätsnah sein zu müssen, konnte sich das Portrait im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einem malerischen Psychogramm des Dargestellten entwickeln. In Rückkoppelung an Fotografie und Medienwelt entstanden gemalte Menschenbilder, die nun, wie bei Andy Warhol, Gerhard Richter, Alex Katz, Franz Gertsch oder Chuck Close in unterschiedlichster Weise als Sensoren menschlicher Entwicklung fungieren. Sarah McGinity hinterfragt in ihren Bildnissen diese Tradition des Portraits als Ausdrucksträger menschlicher Individualität im klassischen Sinne. Ihre Untersuchungen des menschlichen Gesichts als Abbild einer ganzen Generation, eines allgemeingültigen Gefühls, einer Ästhetik der Inszenierung stehen in einer neuen Entwicklung des Menschenbildes, das „das Portrait ohne Antlitz und das menschliche Antlitz ohne Portrait präsentiert“1 und zuletzt als „Post-Portrait“ bezeichnet wurde.2 Individualität und Subjektivität weichen mehr und mehr dem allgegenwärtigen Mainstream aus Werbung und öffentlich gleichgeschalteter Wahrnehmung. Oder ist es doch anders, in einer Zeit, in der gerade das individuelle Portrait – vermittelt über soziale Netzwerke wie Facebook – für die jüngere Generation eine neue, ganz elementare Wichtigkeit erlangt hat? Die gemalten Portraits Sarah McGinitys scheinen diese Frage zu stellen. Sie zeugen von der erstaunlichen Beobachtungsgabe dieses Gefühls, das um Identität und 1 Judith Elisabeth Weiss, Von Anti bis Meta. Neu-Orientierung der Portraitkunst, in: Kunstforum International, Bd. 216, Juli – August 2012,S.32–43,hierS.36. 2 Ebd. 145 148 Imago and Reality Annegret Laabs 150 We do not succeed in withdrawing our gazes from the oversized eyes that stare back at us from the faces of young people in Sarah McGinity’s paintings. At a height of 1.8 meters, the painted portraits by this London-based artist are much bigger than life-size and more present in the room than other easel paintings of comparable dimensions. Rendered in three-quarter profile, these portraits of young men and women seem at first glance to correspond to traditional, centuries-old ideas of the portrait as likeness of a person’s essence and inner values. But unlike those we know from the past, these faces are painted out to the edge; their heads are cut off, exceeding the format and forming an oddly striking stencil for the same basic expression, surrounded by a jet-black background. Even so, while the application of paint is as such loose, antitheses nonetheless take shape: Layers of varnish mixed with white applied over the primer form the sitters’ skin with delicate sfumato technique in order to avoid reproducing the natural unevenness. By contrast, their hair, always the same light shade of blond, and their clothing are revealed to be inessential by means of broad, rapidly applied brushstrokes and appear very sketchy. The ever-similar bluish-gray color of their clothing causes details to fade into the background. The artist rigorously dispenses with additional details that could indicate the social class, milieu, personality, occupation, or emotional aspects of these “individuals.” The indirect lighting falling diagonally from the top is beneficial to the modeling of the faces, lithely placing shadows around the eyes, nose, and chin and transporting the sitter into an impenetrable absence, at least until our eyes pickup up the white, reflective points of light on the tip of the nose, cheeks, and hairline. Is it just the camera’s flash or the sheen of the plastic surface of a doll? Is it an excessively made-up photo model in the light of the studio or a deliberately standardized method of modeling faces on the surface of the image? Asked about the degree of realism of her portraits and the process of choosing an image or realizing it on the canvas, Sarah McGinity describes her approach and hence and hence her idea of the portrait as a process of finding a type in a particular time. Photographs from the Internet—always blonde women, always beautiful, always young, and somehow always attractive—become her point of departure for her portraits, which exist somewhere between pure invention and real likeness. In addition to their reminiscence of found photographs, her depictions speak to her knowledge of stereotypical models and an ideal of beauty in Western cultures that cannot be shaken by anything. They reflect an ideal that even today leads to an image of beauty that includes being blonde and having a red pouting mouth. But in addition to puffing up the lips and making small corrections to the nose, there is the question of the actual self-confidence of the young people, the question of “being behind the facade.” And so the somewhat awkward quality that could be attributed to the youth of those portrayed also points to their inner states. Sarah McGinity is interested in the ambiguity that results between reality and likeness and of course in the deliberate addressing of the discussion of the question, which has been raised ever since the invention of photograph, of the relationship between painting and likeness. Her portraits are a study in the possibilities of the imagination in painting. When does the painting switch between being a supposed recognition of reality and the knowledge of the fiction of what is depicted? The imaginary portraits move on a dividing line that does not give the viewer an opportunity to decide quickly; they are removed from the rendering of reality in painting and have escaped from the imagination into reality thanks to their closeness to a photographic likeness. For Sarah McGinity, the portrait is an object for studying authenticity by means of constant repetition of the pictorial subject and the inevitable lining up of similar motifs. The larger-than-life faces recall the oversized photographic portraits that have followed us daily on the streets for years, and at least since the aggressive fashion advertisements of the Benetton Group of the late 1980s they have become an omnipresent view of ourselves. Unlike on the streets, however, we have no opportunity to escape the gaze of the young people in these painted portraits; the spatial distance in the interior is not large enough to confront them on a human scale. Since the invention of photography in the nineteenth century, the portrait has lost its purpose as a representative, real depiction of a person. Realistic portraits that serve purposes of representation survive primarily in the circles of conservative clients. Liberated from the obligation to remain close to reality, the portrait evolved over the course of the twentieth century into a painted psychograph of the sitter. In a feedback process with photography and the world of the media, artists produced images of the human being that function as sensors of human development in very different ways in the work of Andy Warhol, Gerhard Richter, Alex Katz, Franz Gertsch, and Chuck Close. In her portraits Sarah McGinity questions this tradition of the portrait as the classic medium for expressing human individuality. Her explorations of the human face as a likeness of an entire generation, a universal emotion, or an aesthetic of presentation are part of a new development in the image of the human being that “presents the portrait without a face and the human face without a portrait”1 and has recently be called the “post-portrait.”2 Individuality and subjectivity increasingly give way to the omnipresent mainstream of advertising and a harmonized public perception. Or is that not the case in an era in which the individual portrait—spread via social networks such as Facebook—has obtained a new, completely elemental importance for the younger generation? Painted portraits seem to raise this question. They testify to the astonishing powers of observation of this emotion that revolves identity and personal freedom, around individuality and uniformity, which is interesting for a growing generation lest they ultimately suffocate in stereotypical features. With their faces rigid like dolls, advantageously measured to produce a “beautiful face” and yet, on closer inspection, characterized by small inevitabilities such as an excess of freckles, Sarah McGinity’s paintings begin to call into question the self-confident nonchalance of the present. Are they at once prisoners and active parties or do they ultimately remain, like those depicted, dreamers on the path to awakening? The conscious decision to take up these questions in the cautious medium of painting, and not in the more obvious medium of photography, testifies to Sarah McGinity’s passion for painting and its traditional possibilities. TranslationfromGermanbyStevenLindberg. 1 JudithElisabethWeiss,“VonAntibisMeta:Neu- Orientierung der Portraitkunst,” in Kunstforum International216(July–August2012):32–43, esp. 36. 2 Ibid. 151 162 Seit jener Zeit, als die Sklaverei in den Vereinigten Staaten Bedingungen schuf, in denen Flucht die einzige Möglichkeit war, Freiheit zu erlangen, haben die schwarze Literatur und Kultur eskapistische Impulse hervorgebracht. Dazu zählen die „Back to Africa“-Bewegung des schwarzen Nationalisten Marcus Garvey in den 1920ern, die die Rückkehr der schwarzen Diaspora in die Heimat ihrer Ahnen befürwortete, ebenso wie die Reise zum Saturn, die der Experimentalmusiker Sun Ra basierend auf der Vision einer Entführung durch Außerirdische erlebte, ebenso wie Fantasien wie Derrick Bells Space Traders und Beattys White Boy Shuffle. Flucht impliziert im Allgemeinen die Ankunft an einem besseren Ort, einem „gelobten Land“, das möglicherweise nur eine Fata Morgana ist, aber auch zu großen Gedanken und Taten inspiriert. Johnson erkundet die verschiedenen Bedeutungen dieser Formulierung neben denjenigen anderer Ausdrücke wie Run (Lauf), Space (Welt-Raum) und Watch ou (Pass auf) in seinen besprühten Spiegeln, was zu einer Art konzeptuellen Graffiti führt, deren Bedeutung sich ja nach Betrachter und Präsentationskontext verändert. Diese Formulierungen sind, wie Johnsons andere konzeptionelle und physische Materialien, bereits von unzähligen kulturellen Verweisen und Bedeutungen durchtränkt. Vielleicht ist dieses gelobte Land ein psychischer Raum, wo man die Werke schwarzer und anderer zu einer Minderheit gehörender Künstler aufgrund ihrer einzigartigen Qualitäten beurteilen kann und nicht verpflichtet ist, eine ganze Rasse zu repräsentieren. Im Kontext von Johnsons Werk könnte das gelobte Land die Entwicklung einer neuen Sprache sein, die noch innovativere Bezugssysteme hervorbringt, mittels derer sich die Komplexität der Erfahrung diskutieren lässt. Oder vielleicht impliziert das Spiegelbild auch, dass das gelobte Land nur als Konzept existiert, als ein eskapistisches fiktives Werk, in dem die Kirschen nicht immer süßer sind. Johnsons Werk wirft die Frage auf, wo das Wissen endet und wo der Glaube beginnt. Unter Verweis auf das unendliche Potenzial des Raumes zwischen dem, was wir wissen, und dem, was wir nur glauben oder imaginieren können, spielt der Kosmos durch Abstraktionen, die Bildern herumwirbelnder Materie aus dem Weltall ähneln, sowohl konzeptionell als auch formal eine bedeutende Rolle in seinem Werk. Johnsons Werk ist persönlich und universell zugleich. Sein Werk ist eine formale Erkundung des Kunstschaffens vermittels Materialien, Komposition, Linie, Form, Farbe, Gestalt, Textur, Maßstab und Geste. *Excerptaus:“TheMomentofCreation”Rashid Johnson. in Ausst.-.Kat. Rashid Johnson: A MessagetoOurFolks,MuseumofContemporary Art,Chicago,2012. Das Werk umfasst Aufrichtigkeit, Risiko und Absurdität, stellt dabei große existenzielle und metaphysische Fragen hinsichtlich der Schöpfung – der Kunst und des Selbst – und verlangt damit kritisches Denken und Offenheit für das Paradox. Johnsons Kunstwerke wenden sich nicht an unser Bedürfnis nach sofortiger Befriedigung. Sich auf seine Objekte und Bezüge einzulassen, verlangt eine gewisse Anstrengung. Man muss sich zunächst mit seiner Sprache vertraut machen, um am Gespräch teilnehmen zu können, doch dann wird man wirklich traszendental belohnt. ÜbersetzungausdemEnglischen:NikolausG.Schneider. Spiral, 2008 170 art and the self—the work demands critical thinking and openness to paradox. Johnson’s artwork does not cater to our need for immediate gratification. Engaging with his objects and references requires effort. One must first become conversant in his language in order to participate in the dialogue, but the payoff is truly transcendental. From Constantin Brancusi to Italian Arte Povera artist Jannis Kounellis and neo-conceptualist Haim Steinbach to contemporary artists such as Josephine Meckseper and Carol Bove—all of whom consistently use elements of display, such as the shelf or pedestal, as underlying conceptual tools and artistic tropes to consider the cultural value, visual forms, and signifiers of found objects that are transformed into art. Ever since slavery in the United States created conditions in which escape was the only way to obtain freedom, black literature and culture has produced escapist impulses— including black nationalist Marcus Garvey’s Back to Africa movement of the 1920s, which advocated the black diaspora’s return to its ancestral homeland, and the trip to Saturn experienced by experimental musician Sun Ra, based on a vision of alien abduction—as well as fantasies—such as Derrick Bell’s Space Traders and Beatty’s White Boy Shuffle. Escape generally implies arriving at a better place, a “promised land” that is perhaps only a mirage yet is also a motivator of great thought and action. Johnson explores the various meanings of this phrase along with those of other phrases such as Run, Space, and Watch out in his spray-painted mirrors, resulting in a kind of conceptual graffiti that shifts in meaning according to its viewers and display contexts. These phrases, like Johnson’s other conceptual and physical materials, are already suffused with myriad cultural references and meanings. Perhaps the promised land is a psychic space where work by black and other minority artists can be assessed for its unique qualities and is not beholden to represent an entire race. In the context of Johnson’s work, the promised land might be the development of a new language that spawns even more innovative frameworks within which to discuss the complexities of experience. Or perhaps the mirror’s re- flection implies that the promised land exists only as concept, an escapist work of fiction where the grass is not always greener. Johnson’s work asks where knowledge ends and belief begins. Referring to the infinite potential of the space between what we know and what we can only believe or imagine, the cosmos play a significant role in his work conceptually as well as formally, through ab-stractions that resemble swirling images of matter from outer space. Johnson’s work is both personal and universal. His work is a formal exploration of art making through materials, composition, line, shape, color, form, texture, scale, and gesture. Embracing sincerity, risk, and absurdity while asking big existential and metaphysical questions about creation—of art and the self—the work demands critical thinking and openness to paradox. Johnson’s artwork does not cater to our need for immediate gratification. Engaging with his objects and references requires effort. One must first become conversant in his language in order to participate in the dialogue, but the payoff is truly transcendental. *Excerptfrom“TheMomentofCreation”Rashid Johnson.inExh.cat.RashidJohnson: A Message to Our Folks,MuseumofContemporaryArt, Chicago.2012. Space, 2008