PRIVATstil

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PRIVATstil
Privat stil
Leben wie Gott in Frankreich zum Bestpreis? Kein Problem. DealerChic ist das Wort der Stunde, Preisbewusstsein nicht mehr peinlich.
Anteilseigentum an Yacht & Zinshaus, Schnäppchenjagd im Internet.
Zehn Ideen, wie Sie Geld sparen und den Schein wahren.
Durchblick. Wer geschickt beim Einkaufen spart
und auf sein Geld achtet, ist ein Schlaumeier in der
Kon­sumarena und darf – so wie es sich für richtige
Schlaumeier gehört – auch ordentlich damit angeben.
Das Nutzen von Deals und Discounts gilt nämlich
nicht mehr als peinlich oder kleinlich. Das hat nur
vordergründig mit Wirtschafts- und Finanzkrise und
mit der Tatsache, dass die Menschen in den Industrie­
ländern weniger Geld zur Verfügung haben, zu tun.
Es geht auch um Kontrolle und Emanzipation
­angesichts undurchsichtiger Preispolitik großer Marken. Es geht ums Beherrschen neuer Technologien
und das Filtern von Angeboten über Social-MediaKanäle wie Twitter oder Facebook. 79 % der Smartphone-Besitzer nutzen etwa ihr Handy zum Shoppen,
und fast die Hälfte (48 %) sucht damit gezielt nach
Gutscheinen und Rabatten, fand eine Studio von ­Ipsos
und Google heraus. „Das Internet hat für Preistransparenz gesorgt, da steigt natürlich
die Tendenz, die Angebote – ganz
im Sinne unternehmerischen Denkens – zu vergleichen“, kommentiert Andreas Steinle, Trendforscher und Geschäftsführer
des deutschen Zukunftsinstituts, diese Marktentwicklung.
Das lässt sich auch nicht mehr zurücknehmen. Der
„Dealer-Chic“ wird also bleiben. Und Gutscheinanbieter wie Daily Deal oder Groupon erfreuen sich nach
wie vor regen Zuspruchs. Das amerikanische Rabattportal Groupon etwa zählt weltweit fast 143 Millionen
Mitglieder und verkaufte im Vorjahr 33 Millionen
Deals. Vorwiegend Friseur- oder Restaurantbesuche,
aber auch Merkwürdigkeiten wie 44.000 Darmreinigungen fanden ihre Abnehmer. „Jeder kann sparen, und
man sollte Rabatte, sobald sie gewährt werden, unbedingt nutzen“, erklärt Hermann Scherer.
Der Marketingberater und Wirtschaftsbuchautor
hat eben ein „Kleines Lexikon der Karten, Meilen,
Punkte & Rabatte“ veröffentlicht. Der passionierte
Vielflieger listet darin umfangreich und genau die
Leistungen von Kundenkarten auf und erklärt als unaufdringlicher Kenner, welche Programme, Kundenkarten oder Websites für Sparefrohs sinnvoll sind.
Und es gibt natürlich auch eine Schattenseite im
Schnäppchenparadies. „Nicht selten verfallen gekaufte Gutscheine einfach. Und natürlich besteht eine gewisse Gefahr darin, Dinge zu kaufen, die man nicht
wirklich braucht“, erwähnt Scherer.
Andreas Steinle vom Zukunftsinstitut sieht bei
­diesem Konsumtrend ebenfalls nicht nur die positiven
Seiten. „Wenn die Qualität auf der Strecke bleibt
und T-Shirts nur noch einen Euro kosten, wird es
hässlich, und der Diskont zeigt seine Fratze.“ Allerdings hat der Trendforscher durchaus auch Vertrauen
in den Kon­sumenten: „Die Kunden sind zwar preisbewusster geworden, sie fragen sich aber auch, wo
und wie ­Güter produziert wurden. Der Nachhaltigkeitsgedanke setzt sich langfristig durch.“
Hermann Scherer
Kleines Lexikon der
Karten, Meilen,
Punkte & Rabatte
(Gabal, € 11,90)
Wertvolle Tipps, wie Sie
kreativ durch die Krise
kommen.
Zeig, was du hast. Mit stark
verbilligtem Luxus, auch wenn
man ihn nicht unbedingt braucht,
lässt sich’s übrigens nicht nur auf
Konsumentenseite gut leben.
Auch die Anbieterseite macht ordentlichen Umsatz. So setzte die
französische Online-Plattform
vente-privee.com im Vorjahr 1,1
Mrd. Euro mit dem Verkauf und
Versand von Restposten diverser
Markenhersteller um, und das
New Yorker Start-up Gilt schickt
sich gerade an, mit stark ra­
battierter Designerkleidung am
Luxus-Diskontmarkt ordentlich
Staub aufzuwirbeln; es liefert >>
„Natürlich besteht eine gewisse Gefahr, Dinge günstig zu
kaufen, die man nicht wirklich braucht.“
Schnorren
deluxe
fotos: Getty, Anja Wechsler, Verlag
N
iki Lauda hat nichts zu verschenken. Das
akklamiert der erfolgreiche Ex-Formel1-Fahrer und Geschäftsmann mehrmals
täglich via Werbespot als Testimonial für
eine Bank. Der 62-jährige Flugliniengründer wurde seiner Sparfreude wegen nicht selten
Opfer kleiner Sticheleien in den Society-Rubriken diverser Medien. Pfennigfuchserei kommt nämlich nicht
immer gut an und sorgt in wohlhabenden Kreisen mitunter für Kopfschütteln und giftige Kommentare.
Allerdings könnte man Lauda mit seinem teils
selbstironischen Werbeauftritt kurzerhand auch zur
Galionsfigur eines Konsumtrends ernennen, der nun
endgültig den Mainstream erreicht hat und von fin­
digen Marktbeobachtern und Lifestyle-Analysten
„Dealer-Chic“ genannt wird. Hinter dem knackigen
Anglizismus verbirgt sich zwar nur die gemeine
Schnäppchenjagd, also das gezielte Suchen nach den
günstigsten Angeboten und den höchsten Rabatten.
Nur ist diese Jagd, dieses Durchforsten der Angebote
mittlerweile salonfähig, ja sogar hip geworden und
wurde von statusbewussten Konsumenten vom Muff
alter Tage befreit.
Hermann Scherer Wirtschaftsautor und Berater
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Privat stil
interview
Cooles Büro. Auch freischaffende
Existenzen wollen
Stil. Schicke Büros,
die fallweise gemietet werden können, bietet „NENOffices“ jetzt auch
in Wien (work
yourway.com).
„Kippt das Rabattsystem, zeigt der
Diskont seine hässliche Fratze“
Zukunftsforscher Andreas Steinle über gesteigertes Preisbewusstsein, Qualität & Nachhaltigkeit.
HeiSSe Sache. Der Erotikfilm „Hotel Desire“ (zu sehen über das
­Internetportal Videoland) wurde über Crowdfunding finanziert.
170.000 Euro wurden quasi über Privatpersonen erschnorrt.
>> sein Angebot seit kurzem in 90 verschiedene Länder.
Groupon. Die umstrittene
Rabattplattform
hat regen Kundenzuspruch.
Eigenyacht. Der Traum von der eigenen
Yacht ist nicht mehr unerschwinglich. Anteiliger Kauf oder Miete & ein zentraler
Verwalter sorgen für Luxus-Gefühle.
Es war also noch nie so einfach, günstig an Designermode zu kommen.
Gut gekleidet und ausgestattet mit den neuesten
Hightech-Gadgets, lässt sich schon Status zeigen und
Schein(e) wahren. Sparen bei gleichzeitigem ­Prestigegewinn kann man aber auch mit anderen Mitteln.
So ist es – entsprechende Basisfinanzen vorausgesetzt – momentan nicht unüblich, Anteile von Yachten
zu kaufen oder solche mit Gleichgesinnten anzumieten. Für Immobilienanleger wurden Konzepte ent­
wickelt, bei denen man Eigentumsanteile von Zinshäusern kauft, Grundbucheintrag inklusive. Und
selbst schicke Designerbüros lassen sich neuerdings
kurz- oder langfristig zu vertretbaren Konditionen
einfach anmieten. Sogar im Kulturbereich lässt sich
für Projekte, die man umsetzen will, erfolgreich Geld
zusammenschnorren. Crowdfunding heißt das Zauberwort, bei dem Privatpersonen mit Kleinbeträgen
in ein Projekt investieren, an dessen Erfolg sie glauben. Kommt zu wenig zusammen, kriegen die HobbyMäzene ihr Geld zurück, stimmt der Betrag, gibt es
eine Prämie. Auf diese Weise wurde etwa im Vorjahr
der Erotikfilm „Hotel Desire“ (Kosten 170.000 Euro)
produziert. „Das ist die zweite Stufe von Internetnutzung“, erklärt Andreas Steinle. „Jetzt formiert man
sich zu Gemeinschaften, um mit gebündelten Kräften
ein großes Ziel zu verfolgen.“
– Manfred Gram
Zehn Tipps, wie und wo man Geld spart und Prestige gewinnt
Gutscheine. Die Rabattanbieter wie Daily Deal und
Groupon boomen. Es gibt aber auch Spezialanbieter.
coupawz.com kümmert sich etwa um die lieben Haustiere.
Mode. Designerstücke zum Schnäppchenpreis?
Schauen Sie auf brands4friends.com, gilt.com oder
vente.privee.com – da wird man schnell fündig.
Kundenkarten. Nutzt man Kundenbindungsprogram­
me bewusst und sinnvoll, lässt sich einiges an Geld
rausholen. Vor allem bei Vielfliegerprogrammen.
Reise. Wer es klug angeht, kann günstig in Luxus­
hotels übernachten. Fündig wird man u. a. beim
Karten-Schauen. ­„Secret Sale“ von quikbook.com.
Rabatt gegen Daten.
Mit Kundenbindungsprogrammen lässt sich
durchaus Geld sparen.
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Yacht. Ein Anteilseigentum an einer Yacht zu erstehen gehört mittlerweile zum guten Luxus-Ton.
Verlässlicher Anbieter dafür ist smartyacht.net.
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Zinshaus. Ein Zinshaus kann sich kaum wer leisten.
CPI Immobilien, aber auch die Allgemeine Pensions
Vorsorge (APV) hat Konzepte, wie man Miteigentümer wird.
Büro Wer jung und selbständig ist, Stil hat und nicht
ganz prekär lebt, kann sich über workyourway.com
stylishe Büros günstig mieten. Auch stundenweise.
Modernes Mäzenatentum. In Kultur investieren bringt
den Künstlern was und streichelt das Ego des Spen­
ders. Gegenleistungen in Form von Cash oder Rechten.
Crowdfunding. Läuft ab wie unter Punkt 8, allerdings
­unterstützt man mit Kleinstbeträgen Start-ups und Klein­
unternehmer. Gute Plattform für Investoren: kickstarter.com.
Gourmetprodukte. Gutes Essen kostet. Es gibt aber
auch Demokratisierungsprozesse in der Gourmet­
szene. Edle, hochwertige Zutaten bei: gourmondo.de.
fotos: Corbis, Verleih, beigestellt (3)
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Format: Herr Steinle, Rabattjagd und Preisvergleich
scheinen zum neuen Lebensgefühl der Konsumenten geworden zu sein. Man verkündet stolz, wenn man Schnäppchen schlägt. Woher kommt diese Umdeutung?
Steinle: Die Menschen wurden über die Jahre zum unternehmerischen Denken erzogen. Das Internet hat da für die
entsprechende Preistransparenz gesorgt. Diese Transparenz
der Preise steigert natürlich auch die Tendenz, Preise zu
vergleichen. Es ist heutzutage nicht mehr peinlich, wenn
man genau hinschaut und die Angebote abwägt. Es ist aber
natürlich nicht so, dass Menschen immer das Billigste
haben wollen.
Format: Es kommt also eigentlich auf die Qualität an?
Steinle: Ja, und vor allem auf die Nachhaltigkeit. Konsumenten sind nicht nur preisbewusster geworden, sie
­fragen vermehrt, wo das Produkt herkommt und unter
­welchen Bedingungen es produziert wurde. Man verfolgt
einen bewussteren Konsum. Ein gutes Beispiel ist etwa die
Insolvenz der Drogeriekette Schlecker. Die Kunden sind
nicht zuletzt wegen des schlechten Images von Schlecker
weggeblieben: Schlechte Behandlung der Mitarbeiter,
­wenig/kein Angebot an Bio-/Fairtrade-Produkten – so
­etwas ist modernen Konsumenten nicht mehr egal.
Format: Qualität wird zudem erschwinglicher, alleine
durch die Rabattangebote diverser Internetanbieter …
Steinle: Das ist natürlich die KillerApplikation. Das Internet trifft in diesem Fall die Sehnsucht der Konsumenten, Tolles günstig zu entdecken.
Im Menschen steckt eben immer noch
ein Jäger und Sammler. Die Verkaufsplattform vente-privee.com ist nicht
umsonst mit 1,1 Milliarden Euro Umsatz eines der erfolgreichsten Online­Unternehmen Europas.
Format: Inwiefern spielt eigentlich
Geiz ein Rolle in diesem System?
Steinle: Geiz ist kein wirklich guter
Andreas Steinle ist Geschäftsführer
Antrieb und nach wie vor negativ kondes Zukunftsinstituts notiert. Geiz hat keinen Wert, und jeder
und genauer Trendweist Vorwürfe, geizig zu sein, übliu. Marktbeobachter. cherweise sofort von sich. Der bekannzukunftsinstitut.de
te Slogan „Geiz ist geil“ spielt ja letztlich mehr mit dem Lebensgefühl, das entstand, als die
Preise transparenter wurden, und suggeriert Kunden, dass
sie klug sind, sich nicht verschaukeln lassen oder auf Marketingsprüche reinfallen. Dass die Waren dieser Elektronikmarkt-Kette nicht wirklich billiger als anderswo sind,
ist ein kleiner Treppenwitz.
Format: Wo würden Sie Grenzen bei Preisschlachten sehen?
Steinle: Versucht man jemanden zu übervorteilen oder
übertreibt es mit dem Preiskampf, wird es hässlich. Als Ikea
in Holland etwa vor wenigen Wochen Schnitzel um einen
Euro angeboten hat, kippte meiner Meinung nach das Rabattprinzip, und der Diskont zeigte seine Fratze.

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