Dle Szene stirbt!?

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Dle Szene stirbt!?
DU&fCH 08/09 2014
PRO UND CONTRA SCHWULE SZENE
Dle Szene stirbt!?
Von Dirk Ludigs
Mother will never understand
Why you had to leave
But the dnswers you seek
Will never befound at home
Bronski Beat. 1984
Heute vor 30 |ahren war dem ,,Smalltown Boy" nicht zu entkommen. fimmy Somervilles Falsett tönte aus jedem I(offerradio der Republik. Mich und meine Generation rührte der Song der britischen
Band Bronski Beat zu Tränen. Da hatte jemand nicht nur verstanden, wie wir uns fühlten, die wir uns aus unseren Dörfern und I(ein-
burgs Langer Reihe oder der Motzstraße'West-Berlins endete. Gut
30 fahre später haben diese Szeneviertel als selbstgewählte Ghettos
und Fluchtburgen im Großen und Ganzen ausgedient. Die Berliner
Motzstraße zum Beispiel altert schon seit )ahren mit jener ,,Smalltown Boy"-Generation mit, die,,schwul" als |ugendkultur der Achtziger geprägt hat.'Wenige Leute unter 30 interessieren sich noch für
deren Lokale mit ihrer Regenbogenbeflaggung außen und den'Wellenspiegeln innen - und für die darin befindliche I(ientel. Der Rest
sind Touristenbums, Hotels und Fetischboutiquen.
Mutti versteht heute eben in der Regel ihren Sohn, und darum muss
der sie nicht mehr verlassen. Die Antworten, die er sucht, stehen im
Netz.
Aus dem Refugium von einst ist in den 30 |ahren seit Bronski Beat
längst gentrifizierte Großstadt geworden, mit Mieten, die sich junge
Identitätsfindung, das war in den Achtzigern auch im geografischen
Sinne eine Reise. Und je höher der Leidensdruck, je verletzter der
Menschen nicht mehr leisten können, mit schicken Cafds und Boutiquen, vor denen Latte-macchiato-Mütter versonnen ihre Bäuche
streicheln. Und das nicht trotz, sondern wegen der Smalltown Boys,
die es in 30 fahren Großstadt recht häufig auch materiell zu was
Smalltown Boy von Familie, Schule und Religion hinterlassen wurde,
umso größer war die Chance, dass sie in I(ölns I(ettengasse, Ham-
gebracht haben: Raus aus den Darkrooms, rein in die Slow-FoodRestaurants!
städten aufmachten, um der Enge zu entrinnen, der Langeweile, der
Einsamkeit und dem Hass, sondern er war sogar einer von uns.
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DU&|CH 08/09 2014
Schlimm ist das nicht. Eher findet sich hier wenigstens teilweise die
Bestätigung einer beliebten These aus den Siebzigern: Der Soziologe
Rüdiger Lautmann hatte prognostiziert, dass mit der Zunahme gesellschaftlicher Akzeptanz die schwule Szene langsam, aber sicher
verschwinden würde, weil für sie keine gesellschaftliche Notwen-
ten I(ennenlernen, Heiraten, ICnderkriegen das Leben der Heterosexuellen präge. Mehr noch: Homonormativität ist ein Frontalan-
digkeit mehr bestünde. Nun kommt es natürlich darauf an, wie man
schwule Szene definiert. Für die schwulen Ghettos der Großstädte
mit ihren schwulen Bäckern und Metzgern, ihren Halblichtgrößen
und verkrachten Existenzen trifft Lautmanns These sicher zu. Und
Männern die Segnungen der Heteronormativität weitgehend offen,
und die Anziehungskraft der Lebensweisen der Mehrheitsgesellschaft führt zu einer massiven Abwertung der eigenen Entwürfe, die
als Ausdruck von Unfreiheit uminterpretiert werden. Mit einfacheren'Worten: I(appen und Parks gelten als uncool, als Verstecke einer
Generation unfreier Homosexueller, als Orte der Schande, die der
befreite Schwule schlicht nicht mehr nötig hat.
Stirbt also deshalb die schwule Szene als Ganzes?'Wohl kaum. Tatsächlich nimmt die Zahl schwuler I(neipen ja fast nirgendwo ab,
vielmehr verstreuen sie sich heute in den Großstädten über viele
Viertel - und nehmen dort meist die Identität der entsprechenden
Gegend auf.In Berlin-Neukölln zum Beispiel treffen sich alternative
Hipster-Queers in ein, zwei Bars in der vom internationalen Hipstertum geprägten'Weserstraße. In Berlin-Mitte dagegen hat der
Besitzer einer Motzstraßenkneipe eine äußerst schicke Cocktailbar
mit viel Gold-Deko und IGonleuchtern eröffnet.
Szene, das ist heute also nicht länger ein Angebot zur Identitätsfindung und Selbstversicherung, sondern findet selbst integriert in unterschiedlichen Identitäten statt. Als Ort der I(ommunikation und
der sexuellen Anbahnung wird es schwule Szene weiterhin geben,
real wie virtuell in den Profilwelten von Gayromeo oder Recon.
Auch Schwule brauchen eine Reeperbahn, die ist schließlich auch
Teil der heteronormativen Welt.
Für all jene aber, die wie der Smalltown-Boy von einst den Ort suchen, an dem sie Antworten auf ihre Fragen finden, sich ihrer Identität versichern, ist die sich seit den Neunzigern breit auffächernde
politische Bewegung in die Bresche gesprungen. Man könnte auch
sagen: Schwule Szene hat sich professionalisiert, vom Sportverein
bis zum Treffpunkt für Regenbogenfamilien, von der schwul-lesbischen Migrationsgruppe bis zur LGBT-Drogenberatung. Eine Blüte
schwulen (genauer gesagt LGBT-)Lebens, das nicht länger von
Politik und Gesellschaft geschmäht, sondern im Gegenteil von ihr
alimentiert wird und das sich somit auch hier nicht mehr sroß vom
Leben der Anderen unterscheidet.
für einen zweiten, wichtigen Teil dessen, was schwule Szene über
)ahrzehnte ausgemacht hat, ebenso: den Sex im öffentlichen Raum!
Klappen und Parks waren vor allem in den |ahren der Illegalität die
einzigen öffentlichen Orte, an denen es möglich war, sich mit
Gleichgesinnten zu treffen und - immer mit dem Risiko verbunden,
von der Staatsgewalt ertappt zu werden - auch Sex zu haben. Die
Möglichkeit ergab sich geradezu aus der Tabuisierung schwuler Sexualität: Nur weil man nicht über ihn sprach, boten sich im Schutz
der Dunkelheit und der Aborte Freiräume, schwulen Sex auszuleben. Die Realität an diesen Orten sah freilich meist weniger glamourös aus, als sie von Veteranen des Public Sex heute gerne dargestellt
wird. Parks und I(appen waren eben zuvörderst Orte
der
verklemmten Triebabfuhr, der verängstigten I(reatur, in der ,,der
rAndere" allenfalls als namenlose Reibefläche der eigenen Fantasien
vorkam.
Orte, die der befreite Schwule nicht mehr nötig hat
I(appen gibt es heute kaum noch, schon allein, weil es frei zugängliche öffentliche Toiletten kaum noch gibt. Und auch das Sexleben
in den vielen Parks der I(ein- und Mittelstädte hat dramatisch nachgelassen. Wo es die Treffpunkte noch gibt, wie im Berliner Tiergarten, steigt auch dort der Altersdurchschnitt kräftig.
Das mag
mit einem Phänomen zusammenhängen, das der ehema-
lige SIEGESSAULE-Chefredakteur Sirko Salka in seinem Buch,,Banal-Sex" 2013 beschrieben hat. Darin postuliert er, dass schwules
Leben sich hauptsächlich auf Sex bezöge: kumpanenhafte Geselligkeit, gepaart mit Abschleppen, Aufreißen oder Abgewiesenwerden.
Diese Lebensform sei prägend, eine Art Homonormativität, so wie
ihr Gegenteil, die Heteronormativität, eben mit ihren Lebensschrit-
griff auf die bürgerliche Moral und damit die Mehrheitsgesellschaft.
Doch das ändert sich zunehmend. Mittlerweile stehen mit der
Lebenspartnerschaft bis hin zur Stiefl<indadoption auch schwulen
Iilarum dieses Thema?
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Im Febrrar2014 erreichte uns eine Anfrage von Matthias I(uske, der für die Aids-Hilfe NRW den
Runden Tisch dieses Jahr vorbereitete. Ziel der Veranstaltung Mitte Mai war es, wichtige aktuelle
Themen aufzugreifen und mit Fachleuten und Alltagsexperten zu diskutieren. Das Thema: ,,Die
Szene stirbt! Es lebe die Szene!" Dazu fand eingangs ein Streitgespräch statt, für das wir zwei unserer langjährigen Autoren empfahlen. Martin Reichert warb dafür, dass die Szene weiterhin
wichtig ist. Dirk Ludigs meinte dagegen, dass die Szene tot ist und nicht mehr gebraucht wird.
Jetzt baten wir beide Autoren, ihre Standpunkte für Essays in DU&ICH in'Worte ztr fassen - und
siehe da: Die beiden Meinungen kommen erstaunlich ambivalent daher. Irgendwie steckt nun in
beiden Texten etwas von ,,Die Szene stirbt! Es lebe die Szene!". Aber lest selbst - ihr seid ja alle ein
Teil der Szene. Und weil die schwul-lesbischen Medien - und damit auch unser Magazin
DU&ICH - ja ebenfalls zur Szene gehören, baten wir Hans-Hermann l(otte um eine Bestandsaufnahme.
Andreas Hergeth
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PRO UND CONTRA SCHWULE SZENE
Dle Szene lebt!?
Von Martin Reichert
Die Rede vom Niedergang jedweder I(ultur
-
ist so alt wie die Geschichte der menschlichen
o tempora, o mores!
-
I(ultur selbst. Von die-
ser N{entalität betroffen ist nun auch die schwul-lesbische Subkultur,
die sich im Anschluss an die Bürgerrechtsbewegungen der Sechziger- und Siebzigerjahre insbesondere in den westlichen Industrienationen entwickelt hat.
Zum einen wird jenes un-
Ein Niedergang der schwulen Infrastruktur war zu dieser Zeitzun
Greifen nah - in den USA sind die Badehäuser bis heute weitgehend
-, doch dann kam das Jahr 1996 und mit ihm die Einführung der HAART (hochaktive antiretrovirale Therapie). Das große Sterben nahm ein Ende, und in Städten wie Berlin wurden sogenannte Tüten-Partys Mode,
geschlossen
heimliche,,Neuland" namens
reine Sexpartys, deren Ruf bis
heute Touristen aus aller'Welt
Internet ftir diese Entwick-
in die
lung verantwortlich gemacht.
Anstatt Bars und Clubs auf-
lockt. Das Berghain verfügt
zusuchen, vergnügten sich
die Menschen)etzt lieber vor
deutsche Hauptstadt
mit dem ,,Lab,Oratory" sogar
über eine eigene, exklusir'
schwule Tüten-Party-Lokali-
dem heimischen Rechner
tät. Die Berliner ,.Szene" starb
oder bestellten sich ihre Se-
nicht, ganz im Gegenteil, sie
begann sich auszuweiten über fast sämtliche Innen-
xualpartner nach Art einer
Pizza einfach nach Hause.
Diese Rede wiederum ist nun
stadtbezirke.
schon so alt wie das Internet
Wandel also war immer, Niedergang auch - der größte
war in den )ahren des Nationalsozialismus zu verzeich-
selbst. Zum anderen wird das
Eintreten einer Utopie
aus
den Siebzigern herangezogen, um das Ende dieser (ungeliebten?) Subkultur geradezu heraufzubeschwören: Man nahm an,
dass eine eigene Szene/Subkultur eines schönen Tages überflüssig
sein werde, nämlich dann, wenn Schwule und Lesben gleiche Rechte
haben würden, Dann, so die Annahme, würde sich deren Andersar-
tigkeit in der Mitte der Gesellschaft auflösen wie eine Brausetablette
in einem Glas Wasser - ein'Wunsch nach Selbstauflösung, der unter
der Prämisse eines starken gesellschaftlich bedingten Leidensdrucks
durchaus verständlich war. Und insbesondere, weil bestimmte se-
xualisierte Ausdrucksformen dieser I(ultur wie Saunen und Darkrooms ab den Achtzigern von einer existenziellen Angst namens
Aids überschattet wurden. Die einstige Utopie von sexueller Freiheit,
die im eher hedonistisch als politisch motivierten Teil der Szene
fröhliche Urständ gefeiert hatte, war in einen Albtraum gemündet und nicht wenige der Überlebenden flüchteten sich in Zweisamkeit,
Monogamie oder Enthaltsamkeit.
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nen, während derer die gesamte schwul-lesbische Infrastruktur in Deutschland zerstört
wurde. Das Beispiel des Berliner Nollendorfplatzes mag diesen Prozess verdeutlichen, denn dort waren in der 'Weimarer Zeit annähernd so viele lesbische Lokale wie solche mit schwulen Besuchern.
Der Nollendorfplatz feierte Jahrzehnte später seine'Wiederauferstehung als schwules Zentrum, allein die Lesben, die sich nach 1945
unter die große Decke des Feminismus geflüchtet hatten, konnten
dort nicht mehr Fuß fassen. Man ging getrennte Wege, das homosexuelle Leben aber ging weiter, wenn auch in veränderter Form.
Mitschuld am Sterben der Szene
Bei der Debatte um den ,,Niedergang" schwul-lesbischer Infrastruktur werden bestimmte äußere Faktoren aber nicht hinreichend berücksichtiet. Wenn in den Innenstadtvierteln deutscher
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Großstädte wie München oder Hamburg schwule Bars schließen
müssen, ist dies kein zwingender Verweis auf das Sterben einer
Subkulutur mangels existenzieller Nachfrage. Vielmehr handelt es
sich häufig um eine I(ombination aus Gentrifizierung
-
die Schwu-
len bilden bei diesem städtischen Prozess meist die Vorhut - und
mangelnder Innovationsbereitschaft: |üngere und auch viele ältere
Schwule haben mitunter einfach keine Lust, sich in einem Ambiente zu bewegen, das im |ahr
1985 stehen geblieben scheint.
Plüsch, Leder und Marianne
Rosenberg. Der Tod tritt meist
ein, wenn steigende Mietpreise
auf einen stagnierenden I(undenstrom treffen.
Ein anderes Beispiel ist
die
Schließung der,,Treibhaussauna"
im Berliner Stadtteil Prenzlauer
Berg. Deren Ableben ist nicht
darauf zurückzuführen,
dass
schwule Saunen nicht mehr im
Trend lägen. Im Gegenteil erfreuen sie sich großer Beliebtheit gerade bei gestressten Arbeitnehmern, die die I(ombination aus Wellness und Sex zu schätzen wissen. Der Eigentümer des Hauses hatte schlicht kein Interesse daran,
weiter eine schwule Sauna zu beherbergen, herrscht doch im legendären Prenzlauer Berg längst eine durchaus zu Aggressionen bereite
Mittelschicht, die auf Sicherheit, Familie und neobürgerliche Werte
bedacht ist. Es handelt sich um jene Schicht, in der Schwule und
Lesben laut Agenda nun angekommen sein wollen, weshalb die
Eigenpropaganda ja auch lautet, dass alle Schwulen und Lesben hei-
raten und I(inder bekommen wollen. In diese Logik fügt sich die
Forderung eines britischen LGBT-Aktivisten, der vor kurzem die
Schließung schwuler Saunen im Allgemeinen forderte. Der Grund:
Solche Etablissements würden gerade jene Leute unnötig verstören,
zu denen man gehörig sein möchte, also besagto{rtreobiedermeierBürger.
Diskretion us. Sichtba rkeit
Nun hat es solche Stimmen schon immer gegeben. Gerade gegen
solche Homosexuelle, die um der Anpassung willen auf Diskretion
bedacht waren, musste sich die Nachkriegsschwulenbewegung mit
ihrer Sichtbarkeitsstrategie behaupten. Und damals wie heute zeichneten sich die Schwulen und Lesben durch Vielfalt aus. Natürlich
gibt es schwule, verheiratete Paare, die einen Bogen um alles ma-
sind auf ,,Grindr", um sich dort mit fungs zu verabreden, und zwar
auf der heimischen Matratze. Na und? Ein öffentliches Leben, das
nichtvon Sexualnot und Unterdrückung geprägt ist, kann durchaus
entspannend sein. Und auch offener. Die Berliner Szene zum Beispiel zeichnet sich auch dadurch aus, dass es immer mehr Räume
gibt, in denen Schwule, Lesben und Heteros aufeinandertreffen. AIs
Beispiel mag das neue SchwuZim Stadtteil Neukölln dienen, aber
auch das mittlerweile legendäre
Ficken 3000, dessen Öffnung ei-
nige Zeit lang so weit fortgeschritten war, dass nunmehr
wieder ein Türsteher darauf be-
dacht ist, das Milieu nicht
kippen zu lassen. Nicht zu viele
Heteros, nicht zu viele Touri-
sten - hier kann man sehr
schön ablesen, wie sich das Verhältnis von Minderheit und
Mehrheit einpendelt. Und auch,
dass es schlussendlich ein Bedürfnis gibt, das Eigene, Andere, Besondere zu bewahren. Manchmal will man eben unter sich
sein. Und haben nicht auch Heteros spezifische Anbahnungsstätten
und Selbsthilfeorganisationen wie - sagen wir - Pro Familia?
Gleiche Rechte zu haben bedeutet nicht zwingend, die gleichen Interessen zu haben. \ü7ill sagen: Nur weil Schwule nun das Recht auf
,,Spießigkeit" haben, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass alle diese
auch leben wollen. In einer freien Gesellschaft können sich Schwule
und Lesben nun einfach entscheiden, wie sie leben möchten. Viel
gelacht wurde zum Beispiel über den ersten ,,Lesbenfriedhof" in
Berlin, Aber:'Warum soll es so etwas nicht geben? Stört ein solcher
Friedhof das Gemeinleben? Tut er-nicht, genauso wenig wie eine
Schwulensauna mit Dampf-Darkroom.
Schwule und Lesben leben nicht mehr in einer Notgemeinschaft.
Vielmehr sind sie ein Bestandteil jener Zivilgesellschaft geworden,
die die Organisation des öffentlichen Lebens (und Raums) selbst in
die Hand zu nehmen beginnt, auch weil sich der (neoliberale) Staat
aus diesen Bereichen immer mehr zurückzieht. Und so beginnt sich
auch der politische Teil der Szene zu wandeln. Diese Infrastruktur,
in großen Teilen in der Aids-Ara mit Hilfe von öffentlichen Geldern
auf die Beine gestellt, steht ebenfalls vor einem'Wandel, nicht zuletzt
einem generationellen. Die Auseinandersetzungen um den letzten
Berliner CSD haben diese Entwicklungveranschaulicht - auch wenn
am Ende eigentlich niemand so richtig wusste, wohin es denn nun
bitte geht.
chen, was mit schwuler Subkultur zu tun hat. Auch hört man in Bars
mit Darkroom wieder öfter den Satz ,,Ich möchte dich um Diskretion bitten, offiziell war ich heute nicht hier". Doch andere nutzen
diese Infrastruktur weiterhin mit größter Selbstverständlichkeit,
wenn auch zum Teil mit gewandelter Motivation. So hat eine Umfrage in München ergeben, dass die meisten Schwulen dort mit der
,,Szene" zufrieden sind und sich gerne in ihr bewegen - allerdings
nicht, um dort zwingend nach Sexualpartnern zu suchen, denn dieser ,,Markt" habe sich längst auf das Internet verlagert. Man geht
also entspannt in schwule Bars, um Freunde und Bekannte zu
treffen.
Und in der Tat lässt sich so die etwas seltam anmutende Beobachtung erklären, dass man mit drei Männern an einem Tresen sitzt,
von denen zwei hektisch auf ihrem Smartphone herumtippen. Sie
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Ausgedlent!?
Die schwul-lesbischen Medien haben in den vergangenen Jahrzehnten einen nicht zu
u nterschätzenden Beitrag zur Schwulen- und Lesbenbewegung geleistet. Doch wie stehen
sie im Jahr 2014 da? Hans-Hermann Kotte über ihre Bedeutung und Bedeutunqslosigkeit
Die erste Ausgabe kostete 1 DM - Deutsche Mark, das war die Währung, als vor 30 |ahren das Schwulenmagazin SECESSÄULE an den
in den Zeiten von Homo-Ehe und fortschreitender rechtlicher
I(osk ging. In Berlin stand noch die Mauer, die Aids-I(rise begann
und im Orwell-fahr 1984 wurde viel über den ,,gläsernen Bürger"
diskutiert. In West-Deutschland war der ,,Schwulenparagraf" I75
diese
noch längst nicht vollkommen abgeschafft.
Gegründet worden war die SIEGESSÄULE von Besetzern des ,,Tuntenhauses", Studenten, Buchhändlern und linksalternativen Aktivisten. Geschrieben wurde in der Redaktion noch auf Schreibmaschinen, gedruckt wurde in Schwarzweiß auf glanzlosem Papier. Es war
eine'Welt ohne Internet, ohne Facebook, Gayromeo, Blogs und
Apps. Das Privatfernsehen steckte in den I(inderschuhen; die I(risenwellen, die die Printmedien Anfang der 2000er-fahre so massiv
treffen sollten, waren noch weit draußen auf dem Ozean.
Gleichstellung überhaupt noch eigene Medien?'Welche Rolle spielen
für die Szene? Das Bedürfnis nach Information und Meinung
Blickwinkel ist zumindest da. So hält sich nun schon
seit mehr als zehn |ahren das News-Portal queer.de. 2012 ging das
journalistische Lesbenportal Phenomenelle an den Start. Und auch
Blogs wie Nollendorfblog, Samstagisteingutertag und die Onlineaus speziellem
Presseschau I(onnys Lesbenseiten
finden ihr Publikum. Nicht zu
vergessen die Onlineportale von siegessauele.de und l-mag.de.
Uiele Ma*enartikler haben immer noch Uorbehalte
Doch Printmedien haben es in Zeiten der Digitalisierung schwer,
das Segment ist und bleibt von I(onzentrationsprozessen und I(risen
geprägt. Seit 2013 erscheinen fast alle regionalen Schwulenmagazine
Keine Großmäzene mit medialem Interesse
Angesichts der Umwälzungen der Medienlandschaft ist es fast ein
kleines'Wunder, dass die SIEGESSAULE heute noch existiert. Es gab
- so die Erweiterung auf ein schwul-lesbisches Pround es kamen neue Verlage. Inzwischen erscheint die SIE-
Deutschlands
-
darunter auch HinnerkundLeo
-
unter einem Dach
bei der Blu Mediengruppe. Im Mai 2014 musste die Bruno Gmünder
Group, die das Magazin Männer und den Reiseführer Spartacus
herausbringt, Insolvenz anmelden. Das Unternehmen soll saniert
neue I(onzepte
werden.
jekt
Dass es immer noch schwul-lesbische Medien auf Papier gibt, liegt
-
GESSAULE als Schwestermagazin von L-Mag und DU&ICH im
Verlag Special Media SDL. So wie die SIEGESSAULE konnten sich
manche Szenemedien lange halten. Für andere war schon nach ei-
zum einen am Engagement der Macherinnen und Macher, oft Quereinsteigende, sowie deren Bereitschaft zur Selbstausbeutung - Tariflöhne sind ein sehr ferner Traum geblieben. Daher sind die
nigen fahren Schluss: etwa für das bundesweite Magazin Magnus
(1989-1996) oder das Lifestyleblatt Front (2007-2009). Ahnlich erging es dem TV-Sender Timm.
Publizistische Leuchttürme wie die MagazineAdvocate in den USA
oder Tötu in Frankreich hat es in Deutschland nie gegeben. Das dürfte auch daran liegen, dass die Anzeigenvermarkter hierzulande konservativ sind, ganz sicher aber daran, dass es keine großzügigen Mäzene mit medialem Interesse gibt. Großverlage haben sich nie
ernsthaft interessiert, das homosexuelle Publikum gilt als zu vernachlässigendes Nischenpublikum. Doch braucht die LGBT-Szene
Szenemedien weiterhin,,Durchlauferhitzer" für journalistische Berufsanfänger, die oftmals nicht lange bleiben. Hinzu kommt, dass
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bislang nur einige wenige Markenartikler ihre Vorbehalte gegenüber
Queer-Medien aufgegeben haben und'Werbung schalten. Doch wie
weit dürfen |ournalisten den Anzeigenkunden entgegenkommen?
Die kundenfreundliche Lifestyle-Orientierung und die Bereitschaft
zur Schleichwerbung von so manchen heutigen Medienmachenden
wäre in der Anfangszeit der SIEGESSAULE undenkbar gewesen.
2012warnte der Bund Lesbischer und Schwuler Journalisten (BLSJ)
vor einer,Verkümmerung der journalistischen Qualität", kritisierte
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DU&lCH-Cover im Wandel der Zeiten von der ersten Ausgabe vom Oktober 1969 (oben links)
bis zu einer jüngeren Ausgabe nach dem letzten Relaunch im Jahr 2013
,,Gratiskultur",,,PR-Artikel" und,,Hungerlöhne". Der Verband rief
dazu aui die lesbisch-schwule Presse als ,,I(ulturgut" zu erhalten,
denn diese schaffe ein Bewusstsein,,für die eigene Identität und die
Community". Eine Leistung, wie sie SIEGESSAULE und DU&ICH
eben erbringen. Debattiert wird die Zukunft des schwul-lesbischen
Journalismus auch regelmäßig im Tagungshaus Waldschlösschen,
das dazu eine Veranstaltungsreihe aufgelegt hat. Jahr für Jahr treffen
sich dort I(olleginnen und I(ollegen zum Austausch. Hier entstand
unter anderem 2013 der ,Valdschlösschen-Appell", der sich gegen
die Verharmlosung homofeindlicher Diffamierungen in den Mainstream-Medien richtet. Solche Herabsetzungen dürften nicht als
,,Debattenbeiträge" oder,,Meinungsäußerungen" durchgehen.
Dass heute solche Medienkritik geübt werden kann, daran haben
die Szenemedien ihren historischen Anteil. Von einem .,subkulturellen Resonanzraum" sprechen die I(ulturwissenschaftler Peter
Rehberg und Bradley Boovy in ihrem Aufsatz ,,Schwuie Medien
nach 1945". Schwule Medienarbeit habe seither ,,zum Entstehen
einer schwulen Gemeinschaft beigetragen", die teils auch a1s ,,Gegenöffentlichkeit" politisch eingegriffen habe, etwa bei der Reform
des Paragrafen 175 und beim Thema HIV/Aids. Sie verdiene
Beachtung als ,,einer der entscheidenden Orte in der Geschichte
der Homosexualität des 20. Jahrhunderts". In dem Text, jüngst erschienen im Sammelband ,Vas ist Homosexualität?" (Männerschwarm), geben die Autoren einen analytischen Uberblick über
schwule Medien von den 1950er- bis 2010er-Jahren. Ahnlich wie
die SIEGESSAULE ein Bündelungsfaktor in der aufblühenden Szene des'West-Berlins der l980er-Tahre war, leisteten Blätter wie
Freundschaft, Die Geftihrten oder Die Insel schon Anfang der
1950er-)ahre Aufbau- und Vernetzungsarbeit, boten Service und
I(ontaktanzeigen.
Diese Arbeit fiel allerdlngs in die Zeit des Paragrafen 175, in die
Zeit von Repression, Razzien und Zensur. Das bekamen die Blätter
zu spüren, viele gingen während der Adenauer-Ara wieder ein. Mit
der ersten Reform des Paragrafen gab es dann einen medialen Auf-
schwung. 1969 wurde DU&ICH gegründet, später kamen Sarny
(umbenannt rn Don oder Don€zAdorls) und lllrn (umbenannt in
Him Applaws) dazu. Ging es hier hauptsächlich um Lebenslust, anregende Bilder und I(ontakte, wurde es in den l98Oer-Jahren
politischer. Gegründet wurden die aktivistische SIEGESSAULE,
das Magazin Magnus, das I(ultur und Politik zusammenbrachte,
und die l<ommerziell orientierte, aber nicht unpolitische Männer
aktuell (später Männer) aus dem Bruno Gmünder Verlag. Die
1990er-Jahre brachten schließlich den Aufstieg der Gratisblätter,
die 201Oer-|ahre sind vom digitalen Umbruch geprägt - durch das
Internet büßen die Printprodukte ihre Servicefunktionen größtenteils ein.
Die schwule Leserschaft reicht offensichtlich nicht aus
Es
bieibt spannend, wie die Szenemedien ihre Rolle zwischen Gay
künftig definieren werden. Laut
Business und Gegenöffentlichkeit
Rehberg und Boorry sind ökonomische Sachzwänge heute das starke
Regulativ, nicht mehr politische Unterdrückung. Dass die Ökonomie
die entscheidende Rolle spielt, ist nicht weiter verwunderlich. Die
homosexuelle Leserschaft reicht offensichtiich nicht aus, eines oder
mehrere Presseerzeugnisse am guten Leben zu halten. Das hat aber
auch damit zu tun, dass es die schwul-lesbischen Medien im Laufe
ihrer Geschichte nicht verstanden haben, sich als unverzichtbaren
Begleiter durch die Biografien ihrer Leserlnnen zu etablieren. Der
notwendige Spagat zwischen Lifestyle, I(onsum und Unterhaltung
einerseits und notwendigen Debatten und journalistischer Aufarbeitung queeren Lebens andererseits ist nie wirklich gelungen. Doch
es bleibt die Notwendigkeit der unabhängigen Perspektive auf die
.Welt.
Die kann einem nicht
eigenen Angelegenheiten und auf die
abgenommen werden von den Mainstream-Medien, die sich noch
immer schwertun mit Homo-Themen. Zwar finden auch dort Lernprozesse statt, doch deren zäher Gang kann kein Taktgeber sein für
das eigene Tempo.
a1
ZI
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AUFREGER
Den Polizisten hatte er berichtet, dass er wohl der Letzte gewesen
sein müsse, der den vermissten Carsten Sr. gesehen hatte. Nun wollten die Beamten mit ihren Spürhunden zu ihm kommen. Alles war
vorbereitet, drei Föne nebst Verlängerungskabeln besorgt, sein Ab-
schämt und der ihm eine Mordanklage eintrug
-
zumal sich die DNA
seines Opfers nicht nur an einem Messer, sondern auch am Deckel
in einer Pfanne befindlichen Pürierstab
nachweisen ließ. Die Staatsanwaltschaft jedenfalls glaubte an einen
eines Mixers und an einem
klin-
Mord aus sexuellen Motiven. Doch im Prozess lässt sich diese Hy-
gelten, saß der 43-|ährige in seiner Wanne und schnitt sich die Puls-
pothese nicht halten. Selbst der geschockte Verlobte des Toten muss
adern auf. Anschließend warf er die Föne ins Badewasser. Als er den
ersten in Betrieb setzen wollte, erlosch das Licht. Der Fehlerstromschutz-Schalter hatte seinen Dienst getan und den Stromkreis unter-
zugeben, dass sein Liebster ihm vieles verschwiegen hatte: ,,Carsten
war introvertiert, er hat viel mit sich selbst ausgemachtl'
Der Lebensgefährte berichtet davon, dass der Verstorbene im Laufe
brochen. Blutüberströmt öffnete Michael S. den Polizisten seine
,,Den Einsatz mit den Hunden können Sie sich sparen',
sagte er. ,,Ich habe ihn umgebracht." Dann wollte er sich wieder in
das Dunkel seiner stromlosen Wohnung zurückziehen. ,,I(ommen
Sie zurück!", brüllten die um ihre Sicherheit besorgten Polizisten. ,,.W.o
ist der Tote?" - ,,Das wollen Sie nicht wirklich wissen', erklärte S. und
zeigte in die I(üche. Dort stank es bestialisch. Vorsichtig öffneten die
Beamten eine Styroporbox und erblickten den gekochten l(opf von
Carsten Sr. Weitere fünf Leichenteile fanden sich in einem I(arton.
einem I(offer - und in der Biotonne. Doch wie war der 37-jährige
ihrer sechsjährigen Beziehung mehr und mehr Gefallen an,,Dirty
schiedsbrief bereits verschickt. Als die Polizisten bei Michael
S.
'Wohnungstür.
Banker gestorben?
Bei der mittlerweile zweiten Auflage des Prozesses gegen Michael
S.
erzählt der Angeklagte, ein kräftiger, freundlich plaudernder Mann,
erstmals von der Beziehung zwischen ihm und seinem Sklaven, den
er ein fahr vor dessen Tod über Gayromeo kennen gelernt hatte.
Sex" gefunden habe, dass seine Wünsche extremer wurden, bis sie
sein Lebensgefährte nicht mehr teilte. ,,Er wollte mehr. Aber für mich
war das mein Partner, den ich liebe. Da war das nicht vorstellbar", so
der
Zeuge.,Vir hatten eine hervorragende Beziehung, aber sexuell
haben wir nicht mehr zusammengepasstl' Der Witwer berichtet, dass
sein Liebster das Bad absperrte, um seinen geschundenen I(örper vor
ihm zu verstecken ... Schon damals ahnte sein Lebensgefährte, welche Gewaltfantasien Carsten Sr. mit anderen Partnern auslebte. Doch
er wollte nicht wahrhaben, was ihm erst nach dem Tod seines Liebsten von allen Seiten zugetragen wurde. Heute kämpft er mit seiner
Trauer sowie seiner'Wut auf den Verstorbenen - ,,weil er einem so
viel vorenthalten hat" - und auf die zahlreichen Bekannten, die von
Carstens Todessehnsucht wussten, aber nicht auf die Idee kamen,
ihm davon zu berichten.

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