Informationspapier Puten - tier-im

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Informationspapier Puten - tier-im
Informationspapier Puten
Inhalt:
Zucht
Haltung
Krankheiten
Verhaltensstörungen, Amputationen
Biohaltung
Verbesserungsvorschläge
In Deutschland werden im Jahr zwischen 30 und 36 Mio Puten (auch "Truten", "Truthühner" oder
"Truthähne") gemästet.1 96 Prozent der Tiere werden in Betrieben mit über 5.000 Tieren gehalten, fast 85
2
Prozent in Betrieben über 10.000 Tieren. Für die Haltung gibt es keine rechtlich bindende Grundlage
außer den allgemeinen Regelungen für Nutztiere.3 Da in Deutschland fast ausschließlich Teilstücke
vermarktet werden, mästet man in Deutschland die schwersten Puten weltweit.4
Zucht
Zwei Unternehmen teilen sich den Weltmarkt der Putenproduktion. Ein drittes Unternehmen beliefert den
US-amerikanischen Markt.5 Außer den schwergewichtigen Mastputenrassen, denen 95 Prozent der Tiere
in Deutschland angehören,6 gibt es noch eine leichte Putenrasse, die in England gezüchtet wurde und für
eine artgerechte Haltung in Bio- oder Neulandbetrieben geeignet ist.7
1
Bestand im Mai 2007: 10,9 Mio Puten, 2,8 Mastdurchgänge pro Jahr: https://wwwec.destatis.de/csp/shop/sfg/bpm.html.cms.cBroker.cls?cmspath=struktur,vollanzeige.csp&ID=1022875 (21.08.09);
Geflügelhandbuch 2008, S, 71. http://dokumente.linksfraktion.net/drucksachen/7770392953_1612572.pdf.
2
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch über Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten 2008. Wirtschaftsverlag NW GmbH, Bremerhaven, S. 140.
3
http://www.deutscheputen.de/fileadmin/downloads/Dateien_und_Dokumente/sonstige_Dokumente/Bundeseinheitl._Eckwerte__L3001102TM09.pdf (21.08.09).
4
Thomas Richter (Hrsg.): Krankheitsursache Haltung. Beurteilung von Nutztierställen – Ein tierärztlicher Leitfaden. Enke-Verlag,
Stuttgart 2006, S. 197.
5
http://www.pastoralpeoples.org/docs/livestock_genetics_de.pdf; S. 7f (21.08.09).
6
Geflügeljahrbuch 2008, Stuttgart, 2007, S. 131.
7
http://www.kelly-turkeys.com (21.08.09).
1
Wie generell in der Nutztierzucht üblich werden auch Puten durch künstliche Befruchtung vermehrt, da es
sich um Hochleistungshybriden handelt. Anders als andere Nutztiere können sich Puten durch ihr
unnatürlich hohes Körpergewicht und die überdimensionale Brustmuskulatur jedoch auch gar nicht mehr
auf natürlichem Wege fortpflanzen.8
Solche Puten sind nach Ansicht der Tierschutzkommentare von Lorz und Hirt Qualzuchten, die nach § 11b
Tierschutzgesetz verboten sind.9 Experten fordern daher schon seit langem die Entwicklung gesünderer,
weniger hochgewichtiger Zuchtlinien: Besonders die in Deutschland vorwiegend eingesetzten,
hochgewichtigen Puten seien ein "empfindliches System dicht an seiner biologischen Leistungsgrenze", bei
dem schon kleinste Managementfehler des Halters zu massiven Gesundheitsschäden am Tier führten.10
Eine entsprechende Verordnung zum Verbot solcher Qualzuchten plante die große Koalition nicht, und
auch von der jetzigen Bundesregierung ist ein solches Verbot nicht zu erwarten.11 Bessere Haltungsbedingungen können die zuchtbedingten Gesundheits- und Verhaltensprobleme nur mildern, aber nicht
12
beseitigen.
So können zum Beispiel Rampen es den schweren Tieren ermöglichen, eine höhere Ebene
aufzusuchen – denn durch Fliegen erreichen sie eine erhöhte Sitzgelegenheit nicht mehr. Obwohl die
körperlichen Möglichkeiten zur Umsetzung fehlen, haben jedoch auch die schweren Mastputen noch
immer das gleiche Bedürfnis wie ihre Vorfahren, die Wildputen, nachts auf einer erhöhten Ebene zu
13
sitzen, um sich vor Feinden am Boden zu schützen.
Haltung
Der Trend in den Haltungsbedingungen geht seit Jahren zu immer höheren Besatzdichten (also Anzahl von
Tieren oder kg Körpergewicht pro Quadratmeter). Ein Literaturüberblick zeigt, dass von der Wissenschaft
8
http://www.pastoralpeoples.org/docs/livestock_genetics_de.pdf; S. 16f (21.08.09).
http://www.laves.niedersachsen.de/servlets/download?C=12602914&L=20, S. 40 (21.08.09).
http://www.hybridturkeys.com/Media/PDF_files/Management/Breast%20Meat%20Yield%20Utilizing%20the%20Genetic%20Resource%20-%20web.pdf (21.08.09). Zahlreiche internationale Quellen auf
http://www.hsus.org/web-files/PDF/farm/HSUS-Report-on-Turkey-Welfare.pdf.
9
Almuth Hirt, Christoph Maisack, Johanna Moritz: Kommentar zum Tierschutzgesetz, Verlag Franz Vahlen, München, 2007,
§11b, Rn. 21. Albert Lorz, Ernst Metzger: Kommentar zum Tierschutzgesetz. 6. Aufl., Verlag C.H. Beck, München 2008, § 2,
Rn 31. http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?id=8440850&top=SPIEGEL (21.08.09).
http://www.bundnrw.de/fileadmin/bundgruppen/bcmslvnrw/PDF_Dateien/Themen_und_Projekte/Landwirtschaft_Gentechnik/BUNDhintergrund
_Putenhaltung_2009.pdf (19.12.09).
10
http://www.laves.niedersachsen.de/servlets/download?C=12602914&L=20; S. 46 (21.08.09).
11
http://dokumente.linksfraktion.net/drucksachen/7770392953_1612572.pdf, S. 8f (03.10.09).
12
http://elib.tiho-hannover.de/dissertations/spindlerb_ss07.html (21.08.09).
13
Jutta Berk, Ellen Cottin: Verhalten, Lauffähigkeit und Tibiale Dyschondroplasie in Abhängigkeit von Besatzdichte und
strukturierter Haltungsumwelt bei männlichen Puten. In: Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft, Deutsche
Veterinärmedizinische Gesellschaft (Hrsg.): Aktuelle Arbeiten zur artgemäßen Tierhaltung, Darmstadt 2005, S. 156-165.
2
immer so viele Tiere für die Höchstbesatzdichte gehalten wurden, wie zur Zeit der Studie üblicherweise
pro Quadratmeter gehalten wurden. Die für möglich gehaltene "Höchstbesatzdichte" stieg daher im Lauf
2
der Jahre immer weiter: Lag sie 1969 noch bei 20 kg/m , so hatte man sie bis 1975 schon auf 25
kg/m2 erhöht, 1986 auf 40 bzw. 50 kg/m2.14
Parallel zur Besatzdichte ist aber auch das Gewicht der Puten gestiegen. Die in Deutschland am
häufigsten gemästete "B.U.T. Big 6" erreichte 1981 ein Mastendgewicht von knapp 13 kg; 1996 lag es
bei fast 16 kg. Heute erreichen Putenhähne ein Mastendgewicht von bis zu 22 kg. Die "Brustfleischausbeute" liegt bei Putenhähnen bei fast 40 Prozent des Schachtkörpers.15
Üblich sind heute Quadratmeter-Besatzdichten bis zu 50 (58) kg bei Hähnen und bis 45 (52) kg bei
Hennen – eine rechtsverbindliche Vorgabe gibt es nicht.16 Bei einem Hahn von gut 21 kg und einer
Henne von knapp 11 kg17 sind das drei Hähne pro Quadratmeter und fünf Hennen.18 Die Tiere können
sich also nicht fortbewegen, ohne andere Tiere zu verdrängen. Soziale Mindestabstände können nicht
eingehalten werden, und rangniedere Tiere können ranghöheren in dieser Enge nicht ausweichen. Bei
solchen Besatzdichten kommt es daher zu mehr Drohungen und Hackschlägen, wobei letztere zu
ernsthaften Verwundungen führen können, wenn der rangniedere Vogel dem Angriff nicht ausweichen
kann. Der beschränkte Bewegungsraum durch hohe Besatzdichten ist also ein Grund für die hohen
19
Verletzungsraten in der kommerziellen Putenmast.
Nach Ansicht von Experten verstoßen derartige Besatzdichten - wie schon die Zucht selber - gegen das
Tierschutzgesetz: "Seitens der Veterinärbehörden wird bezweifelt, ob die von wirtschaftlichen
Überlegungen diktierten Zahlen eine dem § 2 Tierschutzgesetz entsprechende verhaltensgerechte
14
http://www.laves.niedersachsen.de/servlets/download?C=12602914&L=20; S. 36 (21.08.09).
Geflügeljahrbuch 2008, Stuttgart, 2007. S. 229.
16
http://dokumente.linksfraktion.net/drucksachen/7770392953_1612572.pdf, S. 4f (03.10.09). Geflügeljahrbuch 2008,
Stuttgart, 2007. S. 135. http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C12602914_L20.pdf (21.08.09). Außerdem gibt es
unverbindliche Empfehlungen des Europarats zur Haltung von Puten:
http://www.bmelv.de/cae/servlet/contentblob/383048/publicationFile/22234/EU-HaltungPuten.pdf (21.08.09).
Vereinbarungen oder Verordnungen, die gegen das Tierschutzgesetz verstoßen, sind übrigens rechtswidrig und daher nichtig –
vgl. Almuth Hirt, Christoph Maisack, Johanna Moritz: Kommentar zum Tierschutzgesetz, Verlag Franz Vahlen, München, 2007,
§ 2, Rn. 44.
17
Geflügeljahrbuch 2008, S. 71.
18
http://www.laves.niedersachsen.de/servlets/download?C=12602914&L=20, S. 39 (21.08.09). http://www.rentenbank.
de/cms/dokumente/10011465_262637/2be9400b/Rentenbank_Schriftenreihe_Band17_.pdf, S. 132 (21.08.09).
19
Theres Buchwalder, Beat Huber-Eicher: Einfluss der Gehegefläche auf das Aggressionsverhalten von Masttruten. In: Kuratorium
für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft, Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft (Hrsg.): Aktuelle Arbeiten zur
artgemäßen Tierhaltung, Darmstadt 2005, S. 148-155.
15
3
Unterbringung der Tiere sicherstellen, zumal die tolerierbare Besatzdichte eng mit dem Management,
insbesondere Lüftung, Einstreu und Stallhygiene verknüpft ist. Puten dürfen nur bei solchen Besatzdichten
gehalten werden, daß offensichtliche Schäden, wie z.B. Sohlenballenveränderungen, Brustblasen oder
Verletzungen, nicht auftreten."20
Krankheiten
Annähernd 100 Prozent der Puten erleiden durch Zucht und Haltung bedingte Krankheiten. Viele davon
lassen sich darauf zurückführen, ein Ungleichgewicht zwischen dem Wachstum der inneren Organe und
dem Wachstum der Muskulatur besteht. So lassen sich Fußballenveränderungen bei nahezu 100 Prozent
der Puten nachweisen,21 ebenso leidet die überwiegende Mehrheit der Tiere unter einer weiteren Form
der Beinschwäche, der Tibialen Dyschondroplasie (TD).22 Als TD bezeichnet man abnorme
Knorpelwucherungen, durch die im Extremfall der Oberschenkelkopf auseinandergedrückt wird. Die
Knochenfestigkeit ist vermindert, so dass TD zu Verbiegungen der Beine führen kann.
Die Beinschwäche bei Puten ist vor allem genetisch bedingt und kann daher nur durch eine Zucht auf
geringeres Körpergewicht und eine Verbesserung der Lauffähigkeit vermieden werden. Sie entsteht, weil
die jugendlichen Knochen das schnell wachsende Muskelgewicht nicht tragen können oder weil der
riesige Brustmuskel die Beine zur Seite drängt. Dementsprechend leiden Puten unter sich verformenden
Knochen, X- und O-Beinen, die mit Schmerzen, Leiden und einem höheren Medikamenteneinsatz
23
verbunden sind.
Gegen Ende der Mast liegen die Tiere aufgrund ihres hohen Gewichts meistens nur noch. Durch das
lange Liegen kommt es zur Bildung von Brustblasen (eitrigen Entzündungen des Brustschleimbeutels, die
mit Leiden und Schmerzen verbunden sind). Überbesatz, kotverschmutztes Gefieder, Erkrankungen des
Bewegungsapparates und sehr feuchte oder harte Einstreu fördern die Entstehung solcher Brustblasen, die
sich in gravierenden Fällen bei mehr als der Hälfte der Hähne einer Herde zeigen können.24 Die
20
http://www.laves.niedersachsen.de/servlets/download?C=12602914&L=20; S. 38 (21.08.09).
http://elib.tiho-hannover.de/dissertations/grosseliesnerb_ss07.pdf, S. 134ff (21.08.09).
22
http://elib.tiho-hannover.de/dissertations/cottine_ws04.pdf (21.08.09).
23
http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000001515/1_kap1.pdf?hosts=
(21.08.09); http://www.laves.niedersachsen.de/servlets/download?C=12602914&L=20, S. 41f (21.08.09).
24
Thomas Richter (Hrsg.): Krankheitsursache Haltung. Beurteilung von Nutztierställen – Ein tierärztlicher Leitfaden. Enke-Verlag,
Stuttgart 2006, S. 205.
21
4
Vorgaben der freiwilligen "Bundeseinheitlichen Eckwerte" werden hinsichtlich der Einstreuqualität und der
Versorgung kranker Tiere nicht oder nur unvollständig eingehalten.25
Durch Feuchtigkeit in der Einstreu wird zudem vermehrt Ammoniak aus dem Putenkot freigesetzt, der eine
ätzende Wirkung hat. Wenn der Tierhalter dann noch aus falsch verstandener Sparsamkeit die Lüftung
drosselt, steigt der Ammoniakgehalt in der Luft so an, dass die Tiere Atemwegserkrankungen erleiden
können.26
Auch schmerzhafte Gelenkveränderungen treten in erheblicher Zahl auf und sind ebenfalls hauptsächlich
auf die Zucht zurückzuführen.27 Es verwundert nicht, dass unter diesen Bedingungen zahlreiche Tiere
vorzeitig verenden.28
Immer häufiger findet man auch bei Puten sogenanntes PSE-Fleisch ("pale, soft, exudative" = "hell, weich,
wässrig"), das von Schweinen bekannt ist, die vor oder während der Schlachtung großem Stress
ausgesetzt waren. Bei Puten wird die Entstehung von PSE-Fleisch unter anderem durch lange
Nüchternheitszeiten vor der Schlachtung, langen Aufenthalt in den Transportkäfigen und Temperaturstress
vor der Schlachtung begünstigt.29
Verhaltensstörungen, Amputationen
Da die Puten ihre arttypische Futtersuche in der Einstreu nicht erfolgreich durchführen können, üben sie
Ersatzhandlungen aus und bepicken stattdessen andere Objekte. In der strukturarmen, reizarmen
Umgebung sind allerdings kaum leblose Objekte vorhanden, und daher bepicken sich die Puten
gegenseitig: Es kommt zu sogenanntem Federpicken und Kannibalismus. Verschmutztes Gefieder von
25
Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns, Ruth Ellerich, Julia Böhme, Kerstin Cramer, Angelique DellaVolpe, Heike Mitterer-Istyagin,
Martina Ludewig, Karsten Fehlhaber, Ernst Schuster, Jutta Berk, Dietmar Aldehoff, Dietmar Fulhorst, Wolfgang Kruse, Annette
Dressel, Ulrich Noack, Thomas Bartels: Erhebungen zur Haltung und Gesundheit bei Mastputen in Deutschland. In: Berliner und
Münchener Tierärztliche Wochenschrift 122, Heft 7/8, 2009, S. 271-283.
26
Thomas Richter (Hrsg.): Krankheitsursache Haltung. Beurteilung von Nutztierställen – Ein tierärztlicher Leitfaden. Enke-Verlag,
Stuttgart 2006, S. 184f.
27
Birgit Spindler, W. Baumgärtner, Jörg Hartung: Pathologische und histo-pathologische Befunde an Gelenken von Mastputen.
In: Deutsche Tierärztliche Wochenschrift 113, 2006, S. 84-88.
28
Über acht, evtl. auch über zehn Prozent: Birgit Spindler, W. Baumgärtner, Jörg Hartung: Pathologische und histo-pathologische
Befunde an Gelenken von Mastputen. In: Deutsche Tierärztliche Wochenschrift 113, 2006, S. 84-88. Thomas Richter (Hrsg.):
Krankheitsursache Haltung. Beurteilung von Nutztierställen – Ein tierärztlicher Leitfaden. Enke-Verlag, Stuttgart 2006, S. 207.
29
http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=963241958&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=963241958.pdf
(21.08.09).
5
Puten, die zu schwer sind, um sich noch überall selbst putzen zu können, ist ein reizvoller
Anziehungspunkt für Pickhandlungen. Licht, Klima, die Art des Haltungssystems, Besatzdichte, Fütterung
30
und die genetische Veranlagung begünstigen solche Verhaltensstörungen weiter.
Zudem haben die
Puten als Küken keine Anleitung in normalem Sozialverhalten durch erwachsene Tiere erhalten. Denn
obwohl Puten normalerweise in komplexen Sozialstrukturen aufwachsen, werden sie in der industriellen
31
Haltung vom ersten Lebenstag an nur mit Altersgenossen eingestallt.
Um die Verletzungen zu verringern, die aus dieser Verhaltensstörung entstehen, werden fast allen Puten
die Schnäbel gekürzt. Dieser Eingriff unterliegt nach § 5 Tierschutzgesetz einem Erlaubnisvorbehalt und
dem Betäubungsgebot. Da in der Praxis aber das betäubungslose Kürzen der Schnabelspitze von den
Behörden toleriert wird, kommt die Absicht des Gesetzgebers, den Eingriff immer wieder neu in Frage zu
stellen, nicht zum Tragen.
In Deutschland werden zum Schnabelkürzen vor allem der Lichtbogen (Bio-Beaker) und der Infrarotstrahl
(PSP) verwendet. Beide Methoden verursachen den Tieren schwerwiegende Schäden und erhebliche
langandauernde Schmerzen, denn die Schnäbel sind als Tastorgane mit Nerven durchzogen wie etwa
menschliche Fingerspitzen und insofern sehr empfindlich. Das Tier muss den hochgradig schmerzenden
gekürzten Schnabel jedoch durchgängig weiterbenutzen, da es ansonsten verhungern würde. Durch den
Bio-Beaker werden Gewebe, Knochen und Nerven umfangreich zertrümmert bzw. zusammengeschmolzen. Der Infrarotstrahl hingegen löst eine Verbrennung aus, die ebenfalls Knochen, Gewebe und
Nerven betrifft. Die Hornschicht des Schnabels kann so weitgehend abfallen, dass der Oberkieferknochen
freiliegt. Der Amputationsstumpf wird im Laufe der Zeit von neuem Horngewebe überzogen. Im
Narbengewebe bilden sich Nervenwucherungen aus, und chronischer Amputationsschmerz kann
entstehen. Über 90 Prozent der Tiere können nach einer Behandlung mit dem Infrarotstrahl den Schnabel
nicht mehr richtig schließen. Dass zukünftig schmerzlose Methoden des Schnabelkürzens entwickelt
werden, scheint unwahrscheinlich.32
30
http://www.laves.niedersachsen.de/servlets/download?C=12602914&L=20, S. 45ff (21.08.09).
Thomas Richter (Hrsg.): Krankheitsursache Haltung. Beurteilung von Nutztierställen – Ein tierärztlicher Leitfaden. Enke-Verlag,
Stuttgart 2006, S. 196. http://www.diss.fuberlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000001880/02_2breuer.pdf;jsessionid=1052714BC5D
02FDCB2C7DA36A3E0D6CC?hosts= (20.12.09).
32
H.-H. Fiedler: Schnabelkürzen bei Puten. In: Deutsche Tierärztliche Wochenschrift 113, 2006, S. 110-112.
http://dokumente.linksfraktion.net/drucksachen/7770392953_1612572.pdf, S. 1f (03.10.09).
31
6
Biohaltung
Es gibt eine Putenlinie, die speziell für die Freilandhaltung gezüchtet wurde.33 Grundsätzlich können aber
34
selbst Puten, die für die Stallhaltung gezüchtet wurden, im Freiland gehalten werden.
Tiergerecht ist
unseres Erachtens aber nur eine Biohaltung zu nennen, die auf die Verwendung konventioneller
Qualzuchten verzichtet.
Die EG-Öko-Verordnung erlaubt das Schnäbelstutzen nicht systematisch, es kann aber von der
genehmigenden Behörde dennoch erlaubt werden.35 Grundsätzlich verboten ist es bei dem Bioverband
Bioland und beim Markenfleischprogramm Neuland (das nicht "bio", aber sehr tier- und umweltfreundlich
ist). Die Höchstbesatzdichte ist durch EG-Öko-Verordnung und auch im Neuland-Programm auf 21 kg/m2
begrenzt. Neuland schreibt außerdem Gruppengrößen von höchstens 150 Tieren vor. Allerdings gibt es
auch hier keine Vorschrift über die zu verwendende Rasse.36
Verbesserungsvorschläge:
-
kurzfristig: Umsetzung des grundsätzlichen Verbots des Schnabelkupierens
-
kurzfristig: Senkung der maximalen Besatzdichte auf 21 kg/m
-
kurzfristig: rechtsverbindliche Vorgabe eines maximalen Mastendgewichts
-
kurzfristig: Einstallung erwachsener Hennen mit den Küken
-
mittelfristig: Gebot strukturierter Stallhallen
-
mittelfristig: Verbot der schweren Rassen
-
mittelfristig: Gebot des Weidezugangs
2
33
http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=3702 (21.08.09). H.-H. Fiedler: Schnabelkürzen bei Puten. In:
Deutsche Tierärztliche Wochenschrift 113, 2006, S. 110-112.
34
http://edoc.ub.uni-muenchen.de/5738/1/Bergmann_Shana.pdf (21.08.09). http://edoc.ub.uni-muenchen.de/3274/
(21.08.09). http://www.rentenbank.de/cms/dokumente/10011465_262637/2be9400b/Rentenbank_Schriftenreihe_Band
17_.pdf, S. 156 (21.08.09).
35
http://www.bmelv.de/cae/servlet/contentblob/560586/publicationFile/27803/889_2008_EG_Durchf%C3%BChrungsb
estimmungen.pdf (21.08.09).
36
http://www.neuland-fleisch.de/assets/files/Richtlinien/RichtlinienMastgefluegel.pdf (21.08.09).
7

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