Nur die Ruhe - Alfaclub eV

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Nur die Ruhe - Alfaclub eV
RESTAURATION
Nur die Ruhe
Mit freundlicher Genehmigung:
OLDTIMER PRAXIS Ausgabe 09/2011
Die Alfa-Bertone-Coupés sind eigentlich gar
nicht so selten.
Doch ihr schickes Design und der Fahrspaß,
den sie vermitteln, sorgt für ungebrochene
Beliebtheit.
Selten ist nur eines: eine rostarme Karosserie.
Ein paar Exemplare gibt es aber tatsächlich…
Der Alfa Romeo 2000 GTV hatte alles, was
einen heißen Schlitten in den Siebzigern ausmachte: eine hinreißend geformte Karosserie,
den leistungsstarken Vierzylinder-Doppelnocken-Motor, der auch seine Geschwister
Spider und Giulia befeuerte und ein Fünfgang-Getriebe, mit dem man den schicken
Mailänder nach Drehzahlmesser richtig sportlich bewegen konnte. Klar, dass diese Autos,
die darüber hinaus mit rund 18.000 DM
Einstandspreis im Vergleich zu Porsche und
Konsorten noch halbwegs erschwinglich waren, gerne in Händen eiliger Fahrer landeten.
Gestraft durch italienische Sorglosigkeit bei
der Blechkonservierung und beherzten Tritt
aufs Gaspedal bei kaltem Motoröl, hat es viele
Halbzeit: Der 2000 GT Veloce
ist seit 20 Jahren in Familienbesitz und in Top-Blechzustand.
Für einen Alfa…
Coupés schon früh dahingerafft. Doch ebenso
viele wurden mit liderlichen Methoden am Leben gehalten: Noch immer sind einige grausig
verrostete Leichen mit glänzendem Lack und
kompressionslosem Motor unterwegs. Originale und vor allem nahezu ungeschweißte
Fahrzeuge sind heute rar.
„Unser Bertone hatte die meiste Zeit ein ziemlich ruhiges Leben“, sagt Marc Holzhauer, der
Rund 20 Jahre verbrachte der 1972er GTV in Norditalien,
dann kaufte ihn Marc Holzhauers Vater. Angemeldet war er
in Deutschland nie.
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seit rund zwei Jahren einen 1972er GT Veloce in Arbeit hat. Das Unser erklärt sich dabei
leicht – der 47-Jährige ist zwar heute alleiniger
Besitzer des Autos, gekauft hat ihn anno 1990
jedoch sein Vater Fred, der wie Marc schon
lange in der Alfa-Szene zuhause ist. „Das Coupé kam aus Norditalien und diente als Zweitwagen bei einem Ferienhaus“, berichtet der
Eigner. „Auf dem Tacho standen kaum 70.000
Kilometer, alles war original und unverbastelt.
Der Pflegezustand überzeugte nicht wirklich,
aber der Wagen war kerngesund. Und das ist
er noch immer.“ Nach dem Kauf wurde der
GTV nie regulär zugelassen; bis heute existiert
neben den italienischen Papieren ein nicht
ausgefüllter deutscher Blanko-Fahrzeugbrief
von 1990.
„Der Bertone wurde nur auf roter Nummer
bewegt, die Restaurierungsmaßnahmen waren nicht sehr tiefgreifend. Originale Sporträder, ein neuer Lack in Darkburgundy-Metallic statt Hellgrau – das war’s im Großen und
Ganzen. Vorm Lackieren hatte ich noch neue
Türschweller eingesetzt, später hat sich ein
Karosseriebauer an den Türen versucht, die
an der Unterkante irgendwann Blasen war-
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Der Doppelnocken-Motor ist
noch immer der Originale.
Die meiste Arbeit machte
seine Reinigung.
Wozu Weber? „Die SolexVergaser haben nie Probleme
bereitet“, sagt der Eigner.
Deshalb bleiben sie auch
drauf.
fen“, sagt der Kfz-Meister.
Mit der Zeit mehren sich die kleinen Gebrechen, bis Vater Holzhauer beschließt, den
Bertone irgendwann doch gründlicher aufzubereiten. Beim Zerlegen offenbart sich das
noch recht frische Flickwerk an den Türen
als üble Grobschlosserei: „Der vermeintliche Profi hat einfach Blechstreifen großzügig
überlappend draufgesetzt, sie bestanden
auch noch aus zwei auf Stoß aneinandergeschweißten Stücken. Und beim Schweißen
ist alles so heiß geworden, dass es sich verzogen hat. Die total wellige Türhaut wurde
dann mit massenhaft Aluspachtel glattgekittet. Wenn Du so einen Pfusch entdeckst,
verlierst Du manchmal die Motivation – der
Wagen blieb jedenfalls erstmal stehen“, erinnert sich Marc, der selbst eigentlich auf den
frontgetriebenen Alfasud setzt und bis dahin
nur gelegentlich am GTV mitschraubte. „Irgendwann war meinem Vater klar, dass er
gar nicht die Zeit hat, dieses Auto so aufzubauen, wie er es möchte. Und so hat er es
mir schließlich geschenkt.“
Aktionismus ist nun aber nicht ausgebrochen:
„Mir war klar, dass der Bertone komplett restauriert werden sollte – so gesund die Technik und trotz allem auch die Karosse waren.“
Das Zerlegen geht in der komfortablen VierFahrzeuge-Garage schnell von der Hand. Danach wird mit Muße gearbeitet: „Sämtliche
Auf guter Substanz
aufgebaut: Die Bremse
ist komplett neu, der Rest
„nur“ sorgsam aufbereitet.
Fahrwerksteile sind gesandstrahlt und mit
schwarzem Seidenmatt-Lack gestrichen. Die
Schrauben habe ich neu gelbchromatieren
lassen, selbst die Spurstangen sind teilweise
noch die Originalen. Lieber ein einwandfreies Altteil als ein nagelneues Repro, das nichts
taugt. Immerhin, einige Sachen gibt es noch
in Erstausrüsterqualität. Die vorderen Traggelenke etwa sind Made in Germany, auch
die Bremssättel werden noch überholt. Die
Gehäuse sind bereits restauriert, nun wird
das Innenleben noch bei einem Markenhersteller erneuert. Die Dehnschrauben, die die
Gehäusehälften fixieren, kann man im freien
Handel nicht kaufen. Also müssen hier die
Profis ran.“
Wenig Aufwand bereitet der Motor – eigentlich: „Das 136-PS-Triebwerk ist noch immer
in so gutem Zustand, dass ich es für ungeöffnet haltbar erklärt habe. Allerdings verbrachte
ich Stunden mit dem Dremel-Schleifer, um
das Teil komplett zu reinigen und zu polieren.
Kleine Verbesserungen gibt’s freilich auch.
Die kontaktlose Zündanlage stammt aus einem späten Alfa Spider, sie arbeitet einfach
zuverlässiger und genauer als das Original.
Und die schwächliche 35-Ampere-Lima habe
ich durch ein 75-Ampere-Exemplar aus dem
Alfa 75 ersetzt. Solche Modernisierungen sind
dank des Baukastensystems ohne großen
Aufwand machbar. Die nicht so beliebten,
originalen Solex-40-PHH-Vergaser hingegen
lasse ich drauf. Viele bauen zwar auf Weber
40 DCOE um, doch die Solex-Exemplare
funktionieren hier seit jeher völlig problemlos,
daher bleiben sie, wo sie sind.“
Alle Schrauben wurden gelbchromatiert, die Fahrwerksteile gestrahlt und frisch lackiert.
Die neuen Traggelenke sind „Made in Germany“
Kontaktlose Zündanlage aus dem Neunziger-Jahre-Spider und die 75-Ampere-Lima vom Alfa 75:
Der Firmen-Baukasten hift stilgerecht.
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Und der Bertone rostet doch…
Aller Anfang: Viel Optimismus!
Ein Bertone fast ohne Rost – Marc Holzhauers Halbzeit-Bilanz beweist, dass
es das tatsächlich gibt. Die Regel ist es
freilich nicht, wie Jens Kowalczyk, unser
zweiter Bertone-Proband gleich doppelt
feststellen durfte:
„Mein erstes Auto habe ich in einem Anflug von Optimismus vor gut vier Jahren
blind gekauft – einen 1750 GT für 2500
Euro, der den Beweis antrat, dass man
auch eine halbe Tonne Rost noch so fotografieren kann, dass sie wie ein Auto aussieht“, erklärt der Alfa-Fan. Das einzige,
wozu das Auto noch taugte: ausschlachten. Technik und Interieur legte der Mann
aus Anröchte zur Seite, von besonderem
Interesse war dabei das Stahlschiebedach
von Golde, mit dem nur sehr wenige Bertone bestückt waren.
Der entscheidende Schritt
Eine brauchbare Rohkarosserie musste
her, um Verwendung für das Teilelager
zu finden. Kowalczyk trieb für 1500
Euro die Blechhülle eines 2000 GT von
1973 auf, mit kompletter Verglasung und
montierten Achsen. In einem Zustand,
den der Schrauber heute „weitgehend
Bertone-typisch“ nennt: „Ich musste die
untere Frontschürze ersetzen, Mittel und
Außenschweller, die darüberliegenden
Endspitzen, etliche Kleinigkeiten an den
Typischer Schaden: Gammel im Fußraum. Zu sehen ist
übrigens die „gute“ Rohkarosse.
Bodenblechen, B-Säulen und den Ecken der
hinteren Ausstellfenster sowie den unteren
Teil des Heckscheibenrahmens. Alles wohlbekannte Bertone-Schwachstellen.“
Auf einem selbstgebauten Gestell legte der
Restaurierungs-Novize die Karosse auf die
Seite und entfernte den Unterbodenschutz
von Hand. Danach entlackte er aus Angst
vor Verzug beim Sandstrahlen die Hauben
und Seitenteile manuell mit Hartvliesscheiben. Anschließend ging’s zur Sache: Mit
40 Säcken à 40 Kilo (!) Quarzsand, einem
dieselbetriebenen Straßenbaukompressor,
Sandstrahlpistole und Atemschutzausrüstung strahlte er in seiner hermetisch mit
Folie abgeklebten Garage den Unterboden,
die Radläufe, Innen-, Koffer und Motorraum,
die Regenrinnen sowie alle anderen rostigen
Bereiche und einige Technik-Teile. Sein Resumee: „Eine Sauerei vom Herrn! Nie wieder.
Am meisten Angst machte mir der Gedanke,
das intakte Dach aufzuschneiden, um mein
‚heiliges’ Stahlschiebedach zu inplantieren,
aber das ist gutgegangen. Gerade in diesen
Tagen habe ich die Türen fertiggestellt, die
im gesamten unteren Bereich durchgerostet
waren. Die Außenhäute wurden entfernt, der
innere Türkorpus, entrostet, gereinigt und
versiegelt und dann mit neuen Türhäuten
beplankt. Die Teile gibt es für etwas mehr als
150 Euro in passabler Passform. Die Karosserie ist jetzt zu 95 Prozent fertig.“
Männer auf verlorenem Posten. Kowalczyks Bertone Nummer eins trat
Was noch aussteht
Die Innenausstattung des geschlachteten
Bertone Nummer eins ist überholt, die Achsen sind gestrahlt und technisch auf Vordermann, alle Schrauben und Bolzen gelbverzinkt oder vernickelt. Nur die Motorinstandsetzung und die Lackierung stehen noch aus
– „das sind die einzigen Arbeiten, die ich
nicht selbst erledigen will“, sagt Kowalczyk.
Und der Fertigstellungstermin? „Nächstes
Der normale Wahnsinn: Rost im Schweller ist immer ein
Thema - auch bei dem feinen Coupé.
Und die Endspitzen? Modern immer. So auch in diesem
Fall. Fast alle Blecharbeiten übernahm...
Perforiert: Sage niemand, dass ein Dach nicht rosten könnte.
Zumindest die Kante kann´s!
Belege für gründliche Arbeit: Die Konservierung der Türrahmen. Inzwischen sind die Portale...
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an zu beweisen, dass das Coupé wirklich überall rosten kann...
Frühjahr. Hoffentlich. Nach inzwischen
vier Jahren Arbeit wüsste ich gerne mal
wie sich ein Bertone so fährt.“
lr
Eineinhalb Jahre Kratzerei: Unter der alten Lackierung
versteckte sich Spritzspachtel in durchaus rekordverdächtiger Menge.
Ein „Profi“ setzte in den Neunzigern die Türen instand: Je
zwei Blechstreifen und zehn Kilo Aluspachtel - mehr hat er
dafür nicht gebraucht.
Bei so viel Licht muss es doch auch irgendwo
Schatten bei der Alfa-Restaurierung geben,
oder? Richtig – wie erwartet beim Blech.
Allerdings war nicht der Rost das Problem:
„Der erste Lackierer in Deutschland hatte
offensichtlich keine Lust, kleine Dellen zu
beseitigen und jauchte stattdessen einfach
literweise Spritzspachtel auf die Karosserie.
Diese Schicht war stellenweise zwei Millimeter dick! Ich hab die Karosserie daraufhin bis
aufs blanke Blech abgeschabt. Nach eineinhalb Jahren Kratzerei mit Heißluftföhn und
Spachtel war ich fertig. Schleifen wäre zur
Stauborgie ausgeartet.“
Korrosion kommt nur wenig zutage: Um den
linken Scheinwerfer gammelt’s, das Spritzblech im rechten Radkasten weist eine fünf
mal fünf Zentimeter große Durchrostung auf,
und die in der Nähe liegende Wagenheberaufnahme ist morsch. Dazu kommen freilich
Alfa-typisch noch etliche Anrostungen an
nicht oder nur sehr nachlässig geschütztem
Blech. Und eben jene Unebenheiten, wegen
denen der Lacker einst zur Füllmasse griff.
„Die Schweißarbeiten habe ich zügig durchgeführt. Zum Glück sind mein Vater und ich
schon lange im Alfa-Club. Bei einem Treffen
konnte ich für schmales Geld ein originales
Reparaturblech für den Kotflügel kaufen. Die
Endspitzen gibt’s als Rep-Blech ohnehin bei
den meisten Alfa-Händlern, und auch die verpfuschten Türen sind kein wirkliches Problem,
ihre Außenhäute werden wieder produziert.
Sie habe ich jetzt aufziehen lassen, denn den
letzten Feinschliff an der Karosserie führt ein
Profi aus. Der, der den Bertone anschließend
auch lackiert, übrigens wieder in Darkburgundy-Metallic, dieses Mal aber inklusive Kofferund Motorraum. Den Boden des Innenraums
habe ich vorher schon mit Epoxid-Grundierung und Hammerite-Schutzlack gestrichen.
Mit der Fertigstellung der Karosse rechne ich
Anfang 2012. Eilig habe ich’s ja nicht.“
Daniel Bartetzko
... der Restaurierungsanfänger selbst - Hut ab angesichts
dieses Ergebnisses!
Erfolgssportler
Der Alfa Romeo GT…
...fertig und auch das Schiebedach ist ins Dach der Karosserie Nummer zwei implementiert.
…war ein Dauerbrenner: Ab 1963 konnte man
das von Bertone gezeichnete Coupé kaufen.
Sein legendärer Doppelnocken-Vierzylinder
hatte anfangs 1300 Kubik, ab 1967 wurde er
zunächst mit 1750, später mit 1600 und 2000
Kubik angeboten. Der Namenszusatz Giulia
Sprint entfiel 1971 beim Debüt des 2000ers;
fortan hießen die Wagen 1300, 1600 und 2000
GT. Der 2000 GT blieb als letzter Bertone-Alfa
bis 1977 (!) im Programm. Im Dreier-Zustand
taxiert ihn Classic Data auf 14.600 Euro – vorausgesetzt das Blech ist solide! Rostige Restaurierungsobjekte gibt’s oft schon ab 2000 Euro.
Die Ersatzteilversorgung ist auch in punkto
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Blech gut, es gibt mehrere auf Alfa-RomeoKlassiker spezialisierte Anbieter. Der Blick in
den Anzeigenteil von OLDTIMER MARKT und
OLDTIMER PRAXIS genügt.
Noch mehr Bertone-Freunde…
…gibt es unter anderem im:
Alfaclub e.V., Porschestraße 10,
32107 Bad Salzuflen, Telefon 05222/4265,
www.alfaclub.de

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