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Aus der Werkstatt
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
799
Raumplanung, Raumentwicklung und der
öffentliche Gestaltungsanspruch
Mein Interesse für räumliche Planung wurde Anfang der 1970er Jahre geweckt – genau kann ich es nicht mehr datieren –, als
mir in einer Düsseldorfer Autobücherei bei
der Suche nach interessanten Bildbänden
zu Architektur und Städtebau ein Exemplar des „Nordrhein-Westfalen-Programms
(NWP) 1975“ in die Hände fiel. Ich gebe
gern zu, dass mich seinerzeit die darin enthaltene Perspektive der gesellschaftlichen
Gestaltung durch raumbezogene Planung
durchaus fasziniert hat. Intuitiv erkannte
ich darin einen für mich sehr konkreten
Ausdruck des in dieser Zeit allerorten diskutierten Bedarfs an gesellschaftlichen Reformen auf dem Weg zu einer „besseren“,
sozialeren, gerechteren Welt. Geprägt vom
ethisch anspruchsvollen und politisch hoch
motivierten „Klima“ dieser Zeit bestand für
mich, bestand für uns überhaupt kein Zweifel, „dabei sein“ zu wollen, wenn es um die
Gestaltung dieser „besseren Welt“ gehen
sollte.
In den dürren Worten des Nordhein-Westfalen-Programms war von einer „räumlich-zeitlich und finanziell abgestimmten
Konzeption des Regierungshandelns“ in
Bereichen mit „besonders großer struktureller und gesellschaftlicher Bedeutung“ die
Rede1. Andreas Schlieper 2 hat dieses Selbstverständnis über ein Jahrzehnt später trefflich zusammengefasst:
„Das gesellschaftliche und politische Verständnis in der Bundesrepublik wandelte sich: Wenn
der Staat schon in die wirtschaftlichen Prozesse
eingriff, dann sollte es auch überlegt, gezielt und
planvoll vor sich gehen. Ab etwa 1968/69 begann
in der Bundesrepublik die Ära der „politischen
Planung“, die aus der Kritik und der Analyse gesellschaftlicher Zustände und Entwicklungen mit
wissenschaftlicher Unterstützung politische Programme und Strategien ableiten sollte. … Es war
der Schritt vom reaktiven Krisenmanagement zur
bewussten Gestaltung der gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Entwicklung.“
Erst einige Jahre später, gegen Ende der
1970er Jahre wurde mir deutlich, welche
Folgen eine vollständige Umsetzung der
Modernisierungsstrategien im Sinne des
NWP 1975 gehabt und welche Kosten sie
mit sich gebracht hätte. Sie hätte nicht zuletzt zur flächenhaften „Sanierung“, d. h.
z. B. Abriss von zahllosen Arbeitersiedlun-
Rainer Danielzyk
gen im Ruhrgebiet, geführt, die durch rational geplante „Siedlungsschwerpunkte an
Haltepunkten des schienengebundenen
Schnellverkehrs“ ersetzt worden wären.
Gerade die Kritik an diesen Planungen und
die Neubewertung des „Wohnwerts“ dieser
Siedlungen kann als exemplarisch für die
Probleme und Defizite, ja Realitätsferne der
rationalistischen Modernisierungsstrategie
angesehen werden. Eine neue Generation
von Stadtplanern und insbesondere eine
kritische „Gegenöffentlichkeit“ stellten die
„Allmachtsphantasien“ eines Top-down-Restrukturierungsansatzes zu Recht infrage.3
Auf den ersten Blick wirkt es so, als ob einer
vergleichsweise kurzen Phase der „Planungseuphorie“ eine über Jahrzehnte
dauernde Zeit der Planungskritik und Planungsskepsis folgte. Mit der sich in den
1980er Jahren immer stärker durchsetzenden Globalisierung und Ökonomisierung
wurden Deregulierung und Privatisierung
im staatlichen Sektor und damit auch im
Bereich der Raumplanung gefordert. Immer
knapper werdende Mittel der öffentlichen
Hand und offenkundige Umsetzungsdefizite
bisheriger planerischer Ansätze waren darüber hinaus pragmatische Gründe, die das
bisherige raumplanerische System grundsätzlich infrage stellten.4 Die klassische Vorgehensweise der raumbezogenen Planung 5
mit ihrer Fixierung auf die Erarbeitung von
Plänen und Programmen galt als längst
nicht mehr angemessen. An der klassischen
Planung wird dabei insbesondere kritisiert,
dass vorgegebene Themenkataloge bei
der Erstellung von Plänen auf den – bis zu
sechs! – verschiedenen Planungsebenen
unabhängig von ihrer aktuellen Relevanz
bearbeitet werden. Des Weiteren wird bemängelt, dass die oft über Jahre aufwändig
erarbeiteten Pläne, die dann wiederum für
sieben bis fünfzehn Jahre Gültigkeit haben
sollen, kaum auf den aktuellen Wandel
reagieren können. Im Falle fortlaufender
Änderungen und Ergänzungen der Pläne,
die angesichts der sich rasch verändernden
politischen und gesellschaftlichen Anforderungen in immer kürzeren Abständen erfolgen, stellt sich die Frage, ob die Pläne noch
einer halbwegs konsistenten „Planungsphi-
(1)
NWP 1975, S. 1 f.
(2)
Schlieper, A.: 150 Jahre Ruhrgebiet: Ein Kapitel deutscher
Wirtschaftsgeschichte. – Düsseldorf 1986, S. 185 f.
(3)
Vgl. z. B. Blase, D.: Stadtentwicklung im Ruhrgebiet. Von
den sechziger Jahren bis zur
IBA Emscherpark. In: Die Entdeckung
des
Ruhrgebiets:
Das Ruhrgebiet in NordrheinWestfalen 1946 bis 1996. Hrsg.:
Barbian, J.P.; Heid, L. – Essen
1997, S. 221–245; Rommelspacher, T.: Staat, Montankapital und Ruhrgebiet. In: Ruhrgebiet – Krise als Konzept.
Untersuchungen zur Situation
und Zukunft eines industriellen
Lebensraums. Hrsg.: Katalyse
– Technikergruppe. – Bochum
1982, S. 11–54
(4)
Vgl. Fürst, D.: Die Notwendigkeit, über Planung wieder
nachzudenken. In: Wandel der
Planung im Wandel der Gesellschaft. Hrsg.: Fürst, D.; Müller,
B. – Dresden 2000. = IÖRSchriften 33, S. 1–7
(5)
Aufgrund der Kürze dieses Beitrags wird hier etwas undifferenziert von Raumplanung bzw.
raumbezogenem
staatlichen
Handeln gesprochen. Es wäre
sinnvoll, hier zwischen Stadtplanung bzw. Stadtentwicklung
und (überörtlicher) Raumplanung bzw. Raumentwicklung
stärker zu unterscheiden.
800
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losophie“ folgen können. Neben dem Vollständigkeitsanspruch und der Inflexibilität
wird zudem eine mangelnde Umsetzungsorientierung kritisiert. Im Kontext der allgemeinen Liberalisierungsbestrebungen wird
darüber hinaus behauptet, dass Raumplanung „Freiheit beschränkt“ und einer
„Regulierungswut“ Vorschub leistet sowie
durch „überzogene Planungs- und Genehmigungsverfahren“ die Entfaltung der
wirtschaftlichen Kräfte behindert. Insoweit
steht raumbezogene Planung heute, mehr
denn je, unter Rechtfertigungsdruck.
(6)
Vgl. Danielzyk, R.; Krüger, R.;
Priebs, A.: Das Regionale Entwicklungskonzept als diskursiver Planungsansatz für den
Raum Bremen/Bremerhaven/
Oldenburg. In: Der Unterweserraum – Strukturen und Entwicklungsperspektiven. Hrsg.:
Krüger, R. – Oldenburg 1995,
S. 111–136
(7)
Vgl. z. B. Kegel, U.: Neue Planungsprozesse für die Regionalplanung. In: Praxis der Stadtund Regionalentwicklung. Hrsg.:
Selle, K. – Dortmund 2006. =
Planung neu denken, Bd. 2,
S. 90–100
(8)
Vgl. z. B. Priebs, A.: Planung
neu denken! In: Praxis der
Stadt- und Regionalentwicklung, a. a. O., S. 101–106
(9)
Vgl. z. B. Knieling, J. ; Fürst,
D. ; Danielzyk, R.: Kooperative
Handlungsformen in der Regionalplanung. Zur Praxis der Regionalplanung in Deutschland.
– Dortmund 2003
(10)
Vgl. Danielzyk, R.; Priebs, A.:
Regionale
Entwicklungskonzepte. Erfahrungen aus Westdeutschland und Schlußfolgerungen für die ostdeutschen
Länder. – Duisburg 1997
(11)
Kruse, H.: Strukturpolitik in
Nordrhein-Westfalen. In: Regionale Politik und regionales
Handeln. Beiträge zur Analyse
und Ausgestaltung der regionalen Strukturpolitik in Nordrhein-Westfalen. Hrsg.: Institut
für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes
Nordrhein-Westfalen. – Duisburg 1991, S. 11
(12)
Ebda., S. 12 f.
Spätestens seit Anfang der 1990er Jahre hat
die Raumplanung auf die Kritik durch eine
zum Teil tiefgreifende Veränderung ihrer
Planungsprozesse und -ansätze reagiert.
Als ein frühes Beispiel für dieses veränderte Planungsverständnis kann das Regionale Entwicklungskonzept für den Raum
der Gemeinsamen Landesplanung Bremen/
Niedersachsen gelten.6 Insbesondere die
Regionalplanung hat sich hinsichtlich der
Planungsprozesse7 und des Selbstverständnisses sehr deutlich weiterentwickelt 8 – hin
zu einem stärker von einem kooperativen
Planungsverständnis geprägten Vorgehen.9
Für das veränderte Selbstverständnis
raumbezogenen
staatlichen
Handelns
grundlegender waren aber wohl die neuen
Steuerungsansätze im Kontext der regionalisierten Strukturpolitik, wie sie erstmals
Ende der 1980er Jahre wiederum in Nordrhein-Westfalen und auch in Niedersachsen
entwickelt und umgesetzt wurden.10 Heinz
Kruse11 hat den Kontext zusammengefasst:
„Innovative Technologien, neue Organisationsformen und dezentrale Entscheidungs- und Steuerungsfunktionen führten in den Betrieben und
zwischen den Betrieben zu gravierenden Veränderungen … Der technologische Fortschritt hat
demnach auch im betriebswirtschaftlichen Sinne
schon soziale und kulturelle Voraussetzungen und
Folgen“.
Neben der dezidierten Betonung der soziokulturellen Dimension des Strukturwandels entstand auch eine geradezu „geographisch“ anmutende Diskussion über die
Bedeutung unterschiedlicher räumlicher
„Maßstabsebenen“12:
„Mit der Globalisierung der Märkte werden diese
größer, unvorhersehbar und instabil. Insgesamt
wird das Wirtschaftssystem differenzierter und
komplexer … Deshalb haben wir als Parallelprozess zur Globalisierung unserer Wirtschaft die
enge regionale Vernetzung, weil die Regionen die
Räume abbilden, in denen über zentrale Infrastrukturvorhaben und über die sonstigen qualitativen Standortfaktoren entschieden werden kann.
Die Herausforderung an die Strukturpolitik des
Staates besteht … darin, die Instrumente so eng
wie möglich mit wirtschaftlichen Entwicklungen zu
koordinieren … Deshalb setzt dieser konkrete Koordinierungsvorgang eine Dezentralisierung staatlicher Kompetenzen auf die Region voraus“.
Es wird hier also angenommen, dass die
regionale Ebene besonders gut dafür geeignet sei, staatliches und privates Handeln
zu koordinieren. Durch diese Konzeption
werden Handlungsräume konstituiert, die
eine zukunftsorientierte Bewältigung der
wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen ermöglichen und zugleich die Legitimität staatlichen Handelns durch Nachweis
seiner Handlungsfähigkeit in schwierigen
Situationen sichern sollen, wobei sich sein
Rollenverständnis durchaus verändert.13
Der gerade skizzierte Wandel des raumbezogenen öffentlichen Handelns, der nach
meinem Eindruck sehr stark von paradigmatischen Veränderungen in der regionalen
Wirtschaft- und regionalisierten Strukturpolitik inspiriert wurde und sich in letzter Zeit
immer stärker, etwa bis hin zur ländlichen
Entwicklungspolitik, ausgebreitet hat, kann
wohl mit Klaus Selle am besten als „Raumentwicklung unter Beteiligung öffentlicher
Akteure“ bezeichnet werden.14 Dabei sollte beachtet werden, dass es bei dem Hinweis auf eine „neue Planungskultur“ bzw.
ein neues kooperatives Selbstverständnis
der Planung nicht zuletzt um veränderte
Schwerpunktsetzungen im Diskurs über
das Selbstverständnis der Planung geht. In
der Praxis der Planung ist durchaus festzustellen, dass traditionelle Handlungsmuster
nicht abgelöst werden, sondern weiterhin
eine Rolle spielen, und klassisch-hierarchische und kooperative Steuerungsansätze
eng miteinander verknüpft sind 15.
Auch wenn wohl die gegenwärtigen Ansätze
zur Gestaltung räumlicher Strukturen besser als „Raumentwicklung unter Beteiligung
öffentlicher Akteure“ denn im klassischen
Sinne als „Raumplanung“ zu bezeichnen
sind, so ändert das nichts daran, dass trotz
aller Grundsatzkritik und Liberalisierungseuphorie wichtige Argumente für einen
öffentlichen, politisch verantworteten Anspruch auf Gestaltung räumlicher Entwicklungen und Strukturen sprechen. Die
wichtigsten Argumente dafür sind meines
Erachtens:
Raumbezogenes öffentliches Handeln ist
notwendig, um künftigen Generationen
Handlungsspielräume zu erhalten. Denn
Informationen zur Raumentwicklung
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ohne Regulierung entstehen Marktpreise
nur auf der Basis der aktuellen Angebotsund Nachfragesituation. Die „Verantwortung gegenüber der Zukunft“ war demgegenüber schon immer ein wesentliches
Argument für raumbezogene Planung. Gerade die Nutzung von Flächen schafft häufig
kaum oder gar nicht reversible Strukturen,
die die Handlungsspielräume nachfolgender Generationen massiv beeinträchtigen
können, ohne dass es dafür eine Legitimation gäbe.
Neben den jetzt noch gar nicht bekannten
Motiven und Bedürfnissen künftiger Generationen sind auch die Interessen der jetzt
Lebenden, die aber nur „eingeschränkt
marktfähig“ sind, zu beachten. Hinter dieser abstrakten Formulierung verbergen
sich die Bedürfnisse und Interessen einer
großen Zahl sozialer Gruppen (z. B. Kinder,
Alte usw.). Selbstverständlich bedarf dieses
Argument einer intensiven Reflexion, denn
damit ist die Idee einer „stellvertretenden“
Wahrnehmung von Interessen sowie damit
zusammenhängender Fragen nach Fremdbestimmung und kultureller Kolonialisierung verbunden – was aber keinesfalls gegen
das Argument, sondern nur gegen eine unreflektierte Form stellvertretenden Handelns spricht.
Die Begrenztheit des Raums ist ein weiteres Argument für öffentliche, politisch legitimierte Raumgestaltung. Möglichkeiten
zur Vermehrung nutzbarer Flächen mögen
prinzipiell gegeben sein, sind aber vielfach
nicht von nennenswertem Umfang und vor
allem ökologisch, ökonomisch und auch
sozial-kulturell problematisch (z. B. Landgewinnung im Meer, Kultivierung von Wüsten usw.). Da die Nutzbarkeit des Raums offenkundig begrenzt ist und die potenziellen
Interessen nicht alle am Markt zur Geltung
gebracht werden können, ist eine politisch
vermittelte Organisation der Raumnutzung
erforderlich.
Privates Handeln (der Unternehmen und
der Haushalte) erzeugt externe Effekte, die
– aus grundsätzlichen oder aktuellen Gründen – (noch) nicht in den Marktpreisen zur
Geltung kommen. Deshalb sind Maßnahmen erforderlich, um einer Sozialisierung
der Kosten und Nachteile bei Privatisierung
der Gewinne und Vorteile entgegenzuwirken.
801
Raumbezogenes öffentliches Handeln ist
darüber hinaus für die Bereitstellung gesellschaftlicher Kollektivgüter erforderlich.
Dazu gehören nicht nur verschiedene Infrastrukturen, sondern ebenso die Sicherung
und Entwicklung von Naturraumpotenzialen und Freiraumfunktionen. Selbstverständlich kann sich die Auffassung dessen,
was durch die öffentliche Hand bereitgestellt bzw. „nur“ reguliert werden muss,
verändern (vgl. den Wandel im Bereich der
Telekommunikations- und Verkehrsdienstleistungen).
Darüber hinaus ist auch noch daran zu erinnern, dass auch frühere, öffentlich und
von der Gesellschaft insgesamt bezahlte Investitionen im Hinblick auf ihre Nutzbarkeit
gesichert werden müssen. Es wäre nicht zu
verantworten, für kurzfristige Gewinninteressen über Jahrzehnte und Jahrhunderte
gewachsene und finanzierte Siedlungs- und
Infrastrukturen aufzugeben.16
Die genannten Argumente sind eher aus
funktionalen und prozessualen Überlegungen hervorgegangen. Es geht hier keinesfalls
darum, vor dem Hintergrund bestimmter
„Weltbilder“ normativ „richtige“ Strukturen zu postulieren. Kern eines zeitgemäßen raumbezogenen Gestaltungsansatzes
kann nicht die Verwirklichung bestimmter
inhaltlicher Leitbilder, sondern muss die
Organisation adäquater Planungs- und Gestaltungsprozesse sein.
Am Beispiel der traditionsreichen und zugleich vielfach kritisierten raumordnungspolitischen Leitvorstellung der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ (§ 1
Abs. 2 ROG), die durchaus als räumlicher
Ausdruck des sozialstaatlichen Selbstverständnisses der Bundesrepublik verstanden
werden kann, kann gezeigt werden, dass weniger die klassischen Instrumentarien einer
räumlichen Ausgleichspolitik heute noch
angemessen sind, sondern vielmehr prozedurale Regelungen. So könnten Zielvereinbarungen zwischen übergeordneten staatlichen Ebenen und Teilregionen über die zur
Verfügung gestellten Ressourcen und die zu
erreichenden Ziele abgeschlossen werden.
Das wäre eine interessante Alternative zur
vielfach praktizierten konsensualen Formulierung allgemeiner Zielvorstellungen in der
räumlichen Planung, die weithin zustimmungsfähig sind, aber kaum Relevanz für
konkrete öffentliche Aktivitäten und Mittelvergaben haben.17
(13)
Vgl. Kilper, H.: Die Internationale Bauausstellung Emscherpark. Eine Studie zur Steuerungsproblematik
komplexer
Erneuerungsprozesse in einer
alten Industrieregion. – Opladen
1999. Von besonderem Interesse wäre die Untersuchung der
Frage, ob Elemente und „Mentalitäten“ aus den Zeiten der
„Integrierten Entwicklungsplanung“ („Planungseuphorie“) der
1970er Jahre in diesem „neuen“ struktur- und planungspolitischen Verständnis enthalten
sind, mithin nur eine zeitgemäß
modernisierte Fassung der planerischen „Allmachtsphantasien“ zum Ausdruck kommt.
(14)
Selle, K.: Shut down. Restart...
Vorschläge zur Wiederaufnahme der Diskussion über die
Entwicklung von Städten und
Regionen und der mögliche
Beitrag öffentlicher Akteure. In:
Praxis der Stadt- und Regionalentwicklung, a. a. O., S. 557–
577. Mir ist bewusst, dass diese
Interpretation stärker zwischen
der historischen Entwicklung
der Stadtplanung bzw. -entwicklung und der überörtlichen
Raumentwicklungspolitik
unterscheiden müsste. Gerade
im Hinblick auf die konkrete
lokale Gestaltung müsste die
Bedeutung der „Einbindung“
von z. B. Grundstücksbesitzern
und Investoren, aber auch die
Auseinandersetzung mit bürgerschaftlichem Widerstand für
den Wandel des Planungsverständnisses stärker gewürdigt
werden.
(15)
Vgl. z. B. empirische Studien
zur Praxis der Stadtplanung in
Deutschland von Klemme, M.;
Selle, K.: Zwei Jahre Stadtplanung. Versuch, den Alltag
kommunaler Mitwirkung an der
räumlichen Entwicklung zu beschreiben. In: Praxis der Stadtund
Regionalentwicklung,
a. a. O., 6, S. 262–284
(16)
Vgl. Blotevogel, H. H.: Zum
Verhältnis des Zentrale-OrteKonzepts zu aktuellen gesellschaftspolitischen
Grundsätzen und Zielsetzungen. In: Die
Fortentwicklung des ZentraleOrte-Konzeptes. Hrsg.: ders.
– Hannover 2002. = ARL-Forschungs- und Sitzungsberichte
217, S. 17–23
(17)
Vgl. dazu Blotevogel, H. H.; Danielzyk, R.: Ungleichwertigkeit
der Lebensverhältnisse – Herausforderung für die Raumordnungspolitik? In: Praxis der
Stadt- und Regionalentwicklung, a. a. O., S. 59–71
802
(18)
Vgl. Selle, K.: Shut
a. a. O., S. 562
(19)
Ebda.
(20)
Ebda., S. 573
Otto Dienemann
Aus der Werkstatt
down,
Genau in diesem Sinne ist Klaus Selle zuzustimmen, dass „räumliche Planung nur
ein Beitrag öffentlicher Akteure zur räumlichen Entwicklung“18 ist. Zugleich ist auch
sein Hinweis berechtigt, dass „gelegentlich
überzogene Hoffnungen“ auf die Wirksamkeit kooperativer, Netzwerk-orientierter
Steuerung gesetzt werden.19 Es sei an dieser Stelle daher die Prognose gewagt, dass
räumliche Planung im engeren Sinne aufgrund der mit ihr gegebenen Möglichkeit,
verbindliche Entscheidungen in Verteilungskonflikten zu treffen sowie Planungsund Investitionssicherheit auf längere Sicht
zu schaffen, mittelfristig wieder eine größere Bedeutung erlangen wird. In zu vielen
Fällen hat sich das ausschließliche Vertrauen auf den konsensorientierten Diskurs
nicht bewährt. Allerdings ist damit keine
Rückkehr zur hierarchischen Steuerung
im Sinne der überkommenen integrierten
Entwicklungsplanung der 1970er Jahre gemeint. Zeitgemäße Gestaltung der räumli-
chen Entwicklung wird vielmehr diskursive
Verfahrensschritte bei der Erarbeitung mit
rechtsverbindlichen Entscheidungen zur
Sicherung der Prozessergebnisse kombinieren. Dabei ist nicht auszuschließen, dass
– nicht zuletzt vor dem Hintergrund der von
den USA ausgehenden Immobilien-, Kredit- und Bankenkrise – die Deregulierungseuphorie ihren Höhepunkt überschritten
hat und die Verlässlichkeit einer öffentlichen Gestaltung in politischer Verantwortung wieder eine höhere Bedeutung erlangt.
Aber auch dann würde gelten, was Klaus
Selle hinsichtlich der Gestaltung räumlicher
Entwicklung treffend zusammenfasst:
„Ob es nun um den vermeintlichen Gegensatz
von moderierenden und hoheitlichen Steuerungsverhalten, um Plan- oder Prozessorientierung,
um Rückzug oder Ausweitung öffentlicher Steuerungsansprüche oder eben um Projekt vs. Strategie geht – in allen Fällen gilt: Nicht entweder /
oder sondern sowohl / als auch kennzeichnen die
Wirklichkeit“ 20.
Bauforschung, Raumordnung, Stadtsanierung
und Entwicklung von Standorten im Land
Brandenburg
Ein Rückblick auf die letzten 25 Jahre
Zur räumlichen Situation sowie zur
Situation in ostdeutschen Städten und
Dörfern kurz vor der Wende
Die im Rahmen der Zwangsbindung des
östlichen Teils Deutschlands an die UdSSR
gesellschaftspolitisch verfolgten Ziele zum
Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft
sowjetischer Prägung mit Planwirtschaft,
zentralem Dirigismus, Beseitigung von Privateigentum und Aufbau staatlich geführter
Produktionsstrukturen waren grundlegend
gescheitert. Begleiterscheinungen des Niedergangs der ehemaligen DDR waren eine
unvertretbar hohe Beanspruchung der
Naturressourcen, hohe Luft-, Wasser- und
Bodenbelastungen sowie desolate Innenstädte, dies zum einen wegen der einseitigen Orientierung auf randstädtischen Plattenbau zur Lösung der Wohnungsfrage, zum
anderen wegen des absolut vorrangigen
Ausbaus von Berlin (Ost). Die Wirtschaftsordnung hatte sich als nicht zukunftsfähig
erwiesen: Die produktive private mittelständische Wirtschaft war beseitigt und in
staatliche Großbetriebe zwangseingegliedert, die zentrale Planwirtschaft auf der Basis volkseigener Betriebe nicht ausreichend
produktiv. Die Abschaffung bzw. starke Einschränkung von Privateigentum und Privatinitiative hatten in Verbindung mit dem
zentralen staatlichen Dirigismus diesen
wirtschaftlichen und politischen Niedergang vorrangig mitzuverantworten.
Der nach der Teilung Deutschlands und
insbesondere nach der Grenzziehung einsetzende Eingriff in die räumlichen Strukturen Ostdeutschlands mit neuen Standorten
für die in diesem Teil Deutschlands nicht
vorhandene Grundstoff- und verarbeitend
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Industrie war nach der Wiedervereinigung
in dem nun wieder räumlich zusammengehörigen deutschen Wirtschaftsgefüge nicht
mehr zu halten, teilweise auch infolge des
technologischen Rückstands. Der Rückbau
war mit Bezug auf ein nun wieder einheitliches Deutschland überwiegend eine Folge
wirtschaftlicher Vernunft, auch wenn das
von den örtlich Betroffenen anfänglich oft
nicht immer so gesehen wurde.
Die Raumordnung stand im Zuge des nun
erforderlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbaus vor sehr großen Aufgaben. Die Defizite waren enorm:
• Der Anteil der Bausubstanz in den Bauzustandsstufen III (schwere Schäden) und
IV (unbrauchbar) war überaus hoch. Das
zeigte sich insbesondere in den Innenstädten sowie im Bereich der technischen Infrastruktur, wo er teilweise bei über 40 % lag.
Rund 50 % der vor 1945 gebauten Mehrfamilienhäuser, rd. 30 % der Verkaufsstellen,
49 % der Großhandelslager sowie 66 % der
kommunalen Straßen befanden sich ebenfalls in den Bauzustandsstufen III und IV.
• Die ökologische Belastung in den industriellen Ballungsgebieten erreichte europäische Spitzenwerte. Die SchwefeldioxidEmission war fünf- bis sechsmal höher als
in der Bundesrepublik Deutschland, und
die baulichen Anlagen und Ausrüstungen
waren teilweise in überaus schlechtem Zustand. Tagebaugebiete, Standorte des UranAbbaus sowie auch Militärstandorte waren
Gebiete von besonderer ökologischer Brisanz. Aber auch überdüngte Felder in der
Landwirtschaft stellten eine Bedrohung dar,
insbesondere in den Gebieten mit leichten
Böden und geringen Bodenwertzahlen.
• Die technische Infrastruktur; besonders
im Bereich Abwasserentsorgung und -behandlung, war in den Städten unter 20 000
Einwohnern sowie in den kleineren Siedlungen und Dörfrern wenig ausgebaut. Der
Anschluss an Kläranlagen lag unter 40 %.
Völlig unzureichend war die Ausstattung
der Haushalte mit Telefonananschlüssen.
• Die mit dem Ziel der Unterstützung einer zentralistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsführung geschaffenen 15 Bezirke
(einschließlich Berlin/Ost) mit ihren Bezirksverwaltungen waren aufzulösen. Das
historisch gewachsene Territorial- bzw. Regionalsystem mit Ländern und Landtagen
war mit Blick auf das nun wieder einheit-
803
liche Deutschland und das in den Altbundesländern erfolgreiche förderale System
wieder zur Ordnungsgrundlage einzurichten.
Wichtigste Ziele zu Beginn der 1990er
Jahre
Unmittelbar nach der Wiedervereinigung
setzte sich das Land Brandenburg vor allem
folgende Ziele:
• Bewahrung und Entwicklung der erhaltenswerten Bausubstanz der Städte und
Dörfer, insbesondere der kulturhistorisch
wertvollen Ensembles in den Kernbereichen der Städte, aber auch von respektablen Herrenhäusern und Landsitzen im Land
Brandenburg; Nachbesserung der Plattenbaugebiete und Beseitigung ihrer Defizite
• Erhalt und Ausbau der Netze der technischen Infrastruktur; Angleichung an die
in den Altbundesländern erreichten Standards
• Ökologischer und wirtschaftlicher Umbau der produzierenden Bereiche; Wiederaufbau mittelständischer und kleiner Betriebe bei durchgängiger Modernisierung;
Rückbau der im wiedervereinigten Deutschland nicht mehr benötigten Industriestandorte sowie Rekultivierung von überflüssigen
Tagebau- und Militärflächen
• Entwicklung des Großraums Berlin bei
Orientierung an den künftigen Verkehrsund Verflechtungsbeziehungen zum osteuropäischen Raum, Gestaltung Berlins als
Hauptstadt der BRD und Metropole des
Ostens im Rahmen der EU; Entwicklung
und Einbindung Berlins in das Netz der
Weltmetropolen; Gestaltung Berlins und
Brandenburgs als ein Bundesland; Erreichen einer neuen Art der Zusammenarbeit
zwischen Zentralstadt und Umland
• Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen den Regionen West- und Ostdeutschlands; Sicherung regionaler Mindeststandards; Stärkung der regionalen Eigenkräfte;
Überwindung des lähmenden Zentralismus
ostdeutscher Prägung; Stärkung von Eigeninitiative und Privateigentum in den östlichen Bundesländern
• Mitwirkung an der Schaffung von Grundlagen für ein europäisches Raumentwicklungskonzept, insbesondere mit Blick auf
die östlichen Nachbarländer.
804
Aus der Werkstatt
Zu den Rahmenbedingungen bei der
Umsetzung der Ziele und ausgewählte
Probleme der zurückliegenden Jahre
• Grundlage für die anstehenden Aufgaben
war, wie in allen neuen Bundesländern, ein
breit angelegtes Förderprogramm, das alle
vorgenannten Ziel- und Aufgabenstellungen bediente. Der materielle Rahmen war
umfänglich und überaus wirkungsvoll.
• Das Hauptproblem jedoch war, insbesondere in den neuen Bundesländern: Der
wirtschaftliche Strukturwandel, der demographische Wandel, die Binnenwanderung
sowie die Globalisierung verliefen parallel
und schneller als vorhergesehen. Die Bedingungen für die Stadterneuerung und den
Aufbau Ost veränderten sich ständig gravierend, und das in überaus hohem Tempo.
Die Prozesse überlagerten sich.
• Die enormen Rationalisierungsgewinne
konnten in fast allen Wirtschaftsbereichen
nicht mehr vollständig durch die Ausweitung der Märkte aufgefangen werden. Die
Automatisierung erfasste immer größere
Wirtschaftsbereiche und der Prozess hält an.
Der Sockel arbeitsloser Menschen erhöhte sich bundesweit sehr rasch. Noch nicht
automatisierbare lohnintensive Arbeiten
wurden in Billiglohnländer ausgelagert. Die
in den neuen Bundesländern entwickelten
Gewerbegebiete füllten sich langsamer als
erwartet. Es kam zu Rückabwicklungen bei
bereits an Investoren verkauften Gewerbeflächen, weil sie in den östlichen Nachbarländern unter noch günstigeren Rahmenbedingungen produzieren konnten.
• In einer Wissensgesellschaft, die mit zunehmender Geschwindigkeit den Technologiewandel vollzieht, wird es für weniger begabte junge Menschen immer schwieriger,
sich zu integrieren und über einen Arbeitsplatz gesellschaftliche Anerkennung zu erfahren. Sie werden sich an der notwendigen
Bildungsoffensive naturgemäß nicht beteiligen können und auch keinen Nutzen aus
ihr erfahren. Größere Bevölkerungsgruppen
mit geringeren Einkommen waren zu integrieren, und dieser Prozess hält an.
• Das Ausbluten der Kernstädte, die Verluste im stadttragenden Einzelhandel, die Verluste an Zentralität infolge höherer Mobilität und veränderter Lebensführung waren
in den neuen Bundesländern spürbarer als
in den alten. Die kleinräumig durchmischte
europäische Stadt mit ihren unterschiedlichen Daseinsfunktionen litt erheblich.
Funktionsverluste und teilweise Perforation
wurden zum Problem vieler Städte in den
neuen Bundesländern. Hinzu kamen virtuelle Welten. Nicht nur die Einheit des Ortes,
auch die Einheit der Zeit lösen sich auf –
Einkaufen rund um die Uhr vom häuslichen
Sessel aus. Einkauf in künstlichen Welten,
witterungsunabhängig gekoppelt mit Wellnesstempeln unter riesigen Glaskuppeln,
sowie dreifach überhöhte Verkaufsflächenangebote setzten den historisch gewachsenen, kleinräumig durchmischten Städten
zu.
• Ein oft zweifelhaft gelebtes Demokratieverständnis in den neuen Bundesländern sowie auch wachsende Bürokratie in
den Ämtern und Eigennutz standen vielen
konzipierten zukunftsfähigen Lösungen
im Wege. Überörtliches Denken mit Blick
auf die Nachbargemeinden und die Region mussten sich erst entfalten. Die Einheit
Berlin/Brandenburg war auf der gegebenen
Basis nur in kleineren Schritten denkbar.
Was ließ sich von diesen Zielen
verwirklichen? Wo haben wir das
Machbare erreicht? Wo fehlte uns
seinerzeit der Weitblick?
• Es gab Forschungsvorlauf in den alten
Bundesländern, insbesondere vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
sowie den Fachverbänden für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung. Und
es lagen die Erfahrungen aus der Städtebauförderung in den alten Bundesländern
aus dem Beginn der 1970er Jahre vor. Das
war zu Beginn der 1990er Jahre für die
neuen Bundesländer von unschätzbarem
Wert. Aber die Rahmenbedingungen hatten sich bereits geändert und änderten sich
in den Folgejahren weiter sehr dynamisch,
ohne dass notwendige Reaktionen hierauf
immer rechtzeitig erfolgten. Nicht immer
war formales Übertragen alter Erfahrungen
angemessen, denn nicht alles, was einstmals erfolgreich war, ließ sich übernehmen.
Mit der Sanierung der Städte, der Entwicklung der Infrastruktur sowie der Umgestaltung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern stellten sich für die Stadt und
Raumentwicklung neue Fragen, auf die zu
reagieren war.
Informationen zur Raumentwicklung
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• Auf der Grundlage der Förderprogramme vom Bund und den Ländern und insbesondere der Förderpolitik des Bundes sowie des Landes Brandenburg wurde in den
zurückliegenden 25 Jahren Bedeutendes
geleistet. In historisch kurzer Zeit wurden
eine vergleichbar hochentwickelte Infrastruktur sowie sanierte Innenstädte und
vielerorts hochmoderne zukunftstragende
Industriestandorte geschaffen. Überaus Beachtliches wurde so für eine nachhaltige
Raum- und Siedlungsentwicklung und damit für ein zukunftsfähiges Deutschland in
einem größeren Europa erreicht. Ausgebaute West-Ost-Achsen sind ein wichtiges Ergebnis. Der Flughafen Berlin-Brandenburg
International ist im Bau.
• Bedeutsames wurde auch bei der Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen
den Regionen West- und Ostdeutschlands
erreicht. Sanierte ostdeutsche Innenstädte
sind heute Anziehungspunkt für die internationale Fachwelt sowie für kultur- und
kunstbeflissene Menschen aus aller Welt.
Die Stadt- und Infrastrukturentwicklung
ist sehr positiv verlaufen. Die Städte in den
neuen Bundesländern erfüllen ihre Funktion als Motoren der gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Entwicklung; größer sind
ihre Probleme in den Fragen des sozialen
Ausgleichs und der gesellschaftlichen Integration. Die Probleme auf dem Arbeitsmarkt, verbunden mit sozialer Unsicherheit, die nun höhere Eigenverantwortung in
einer Welt, in der es zu wenig Arbeit gab, die
Brüche in den Arbeitsbiografien, aber auch
Kleinmut und Intoleranz waren Ursache für
Spannungen und Rückschläge in der Entwicklung und Angleichung der Lebensverhältnisse.
• Eine flächenzersiedelnde Ausbreitung
von Wohn-, Handels- und Gewerbegebieten
in stadtnahen Gebieten, in den Verkehrskorridoren und stark genutzten Freizeiträumen konnte in den neuen Bundesländern
trotz aller Negativerfahrungen in den alten
Bundesländern und rechtzeitig ausgesprochener Warnungen nicht erreicht werden.
Das Wohnen nach westeuropäischem Muster in freistehenden Einfamilienhäusern im
Grüngürtel am Rande von Städten sowie
die Ansiedlung von Handel und Gewerbe
an den Knotenpunkten der Mobilität waren auch in den neuen Bundesländern das
stärkere Argument. Die Technologieumbrüche und die hohe und ständig weiter wach-
805
sende Warenvielfalt im Handel sowie die
Erfordernisse moderner arbeitsteiliger Produktion im nationalen und internationalen
Maßstab rund um die Uhr mit den dazu
gehörenden Transport- und Logistikprozessen favorisierten die Achsenkreuze der
Verkehrsadern. Auch war die Schaffung von
selbstgenutztem Wohneigentum den ostdeutschen Bürgern über Jahrzehnte nicht
möglich gewesen, selbst wenn sie über das
nötige Bauland verfügten. Das gewünschte
Ziel, die Eigentumsquote deutlich zu erhöhen, wurde in den neuen Ländern erreicht,
die Zersiedlung war dabei hinzunehmen.
Die Nachfrage nach Geschosswohnungsbauten war nur begrenzt, zu einseitig war in
den Jahren der DDR der Geschossbau favorisiert worden. Der Nachholbedarf bestand
im Eigenheimbau.
• Infolge der großzügigen Förderbedingungen und Rahmensetzungen für mögliche Abschreibungen sowie in Unterschätzung der demographischen Entwicklungen
und der Binnenwanderungsbewegungen
im Bundesgebiet geriet der Wohnungsmarkt
in den neuen Bundesländern in Schieflage.
Wohnungsleerstand, von Insolvenz bedrohte Wohnungsunternehmen sowie Banken
mit faulen Krediten waren die Folge. Wohnungsleerstand in Plattenbauten wie auch
in Altstadtquartieren von teilweise mehr
als 15 % lähmten die Wohnungsunternehmen. Wohnungsbestände wurden gegen
das Marktverhalten der Marktteilnehmer
modernisiert. Von einem ausgeglichenen,
funktionierenden Wohnungsmarkt hatte
man sich entfernt.
• Mit dem Förderrahmen zum Stadtumbau Ost wurde erfolgreich gegengesteuert.
Bei vorrangiger Orientierung auf den Erhalt gewachsener Stadtstrukturen und den
Rückbau nicht integrierter Wohnstandorte
wurde der Prozess des Gesundschrumpfens
als ein Prozess der Kontraktion von außen
nach innen eingeleitet. Der Erhalt ortsüblicher Baustrukturen stand im Vordergrund.
In diesem notwendigen Stadtumbauprozess wurde auch die Infrastruktur auf das
Notwendige zurückgefahren. Die demographischen und sozialen Rahmenbedingungen in den Städten und Gemeinden wurden
dabei auch mit Blick auf Nachbargemeinden vorausschauend einbezogen. Ein Lernprozess hatte sich vollzogen. Nicht Wachstum im herkömmlichen Sinne, sondern das
sinnvolle Gesundschrumpfen bestimmt in
806
Aus der Werkstatt
vielen brandenburgischen Städten und Gemeinden die Arbeit, und dieser Prozess hält
an. Bis 2050 wird Brandenburg ein Drittel
seiner Einwohner verlieren. Dieser Verlauf
wird ganz sicher nicht mit Zuzügen aus Polen und weiteren osteuropäischen Ländern
sowie anderen Bundesländern auszugleichen sein.
Was sind die neuen Erfordernisse?
Was ergibt sich aus den gemachten
Erfahrungen und erkennbaren Entwicklungsverläufen?
• War bisher die Stadt- und Raumentwicklung vorwiegend von der Wiedervereinigung
und dem Aufbau Ost bestimmt, werden
nun die Erfordernisse des wirtschaftlichen
Strukturwandels und des demographischen
Wandels sowie des vergrößerten Europas
dominieren.
• Es bedarf neuer Leitbilder und Handlungsstrategien in der Stadt- und Raumforschung. Zum Teil sind diese neuen Leitbilder
bereits sichtbar. Großräumige Verantwortungsgemeinschaften, Städtenetze sowie
neue Stadt-Umland-Kooperationen mit
Blick auf rationelle Infrastrukturausstattungen, Energie- und Güterversorgung, interkommunale Kooperation in weiteren Bereichen stehen dabei im Blickfeld.
• Nach wie vor gibt es strukturschwache
Regionen, die durch die Neuausrichtung des
Förderprogramms „ Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ weiter zu entwickeln sind. Und auch zur Stabilisierung
der Wohnungsmärkte ist das Programm
zum Umbau der Städte weiterzuführen.
Neben dem noch erforderlichen Rückbau
sollten die Sicherungs- und Aufwertungsmaßnahmen dabei bereits im Vordergrund
stehen.
• Für die Innenstädte und Stadtteilzentren müssen weitere Stärkungsmaßnahmen
ergriffen werden, die vor allem auf das attraktive Wohnen dort und den Erhalt der
Funktionsdichte im Sinne der kleinräumig
durchmischten europäischen Stadt zielen.
Es bedarf eines Städtebauförderprogramms,
dass sich hierauf ausrichtet.
• Wegen der Komplexität und der Interessenkonflikte in den städtischen Entwicklungsprozessen geht es um integrierte
Handlungsansätze im Rahmen einer natio-
nalen Stadtentwicklungspolitik. Die wichtigen Felder hierbei sind: demographischer
Wandel, Strukturwandel in der Wirtschaft,
energieeffiziente Städte, Folgen des Klimawandels, Migration und die Globalisierung
der Wirtschaft mit Echtzeitkommunikation sowie der wachsende Einfluss virtueller
Welten.
• Zeitnah und von großem Einfluss ist die
Energiepolitik mit den europäischen Zielwerten. Das wird ganz vielschichtige Auswirkungen auf die Stadtentwicklung, Wohnungswirtschaft, auf die Gebäude selbst
und die europäische Raumentwicklung
haben. Nunmehr 27 europäische Nationen
werden ihre strategischen Rahmenpläne für
die Entwicklung ihrer Regionen und nachhaltige, zukunftsfähige europäische Städte
vorlegen. Energieverbundnetze, EnergieAutobahnen werden zukunftsorientiert europaweit auszubauen sein. Die regenerative Energiegewinnung und nahräumliche
Energieversorgung, erneuerbare Energien
im Verkehr, in der Strom- und Wärmebereitstellung sowie im Kältesektor werden unser
Leben verändern. In dieser Konsequenz
wurde das am Beginn der 1990er Jahre noch
nicht ausreichend wahrgenommen.
• Alles, was wiederholbar ist, ist auch automatisierbar und wird, wo es sich rechnet,
auch automatisiert werden. Absehbar wird
es dabei nicht nur um einfache Arbeit gehen. Es wird Technik geben, die auch komplexe, schöpferische Prozesse rund um die
Uhr fehlerfrei mit großer Präzision abwickeln kann. Der Mensch wird neue Freiräume gewinnen. Bereits gegenwärtig können
die in der Welt nachgefragten Güter mit
wesentlich weniger Arbeitskräften hergestellt werden, als sich für die Arbeit anbieten. Es wird noch mehr freie Zeit geben,
die sinn- und nutzbringend einzusetzen ist,
aber auch das Verharren in Armut und der
Abstieg in die Armut bleiben eine ständige
Bedrohung.
• Das Auseinanderdriften der Gesellschaft
infolge der Bildungs- und Einkommensunterschiede sowie das weltweite Auseinanderdriften von armen und reichen Ländern
bedrohen den gesellschaftlichen Frieden.
Die Wanderungsbewegungen in Richtung
der reicheren, wirtschaftlich stärkeren Länder werden ein ernstes Problem insbesondere auch für die Raumordnung in einer
globalen Welt bleiben. Verzichtsgesellschaften haben gegenwärtig keinen Zulauf zu erwarten.
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
• Die größten Einflüsse auf unsere menschliche Gesellschaft ergeben sich mit Sicherheit aus der fortschreitenden Geschwindigkeitsaufrüstung in der Wissenschaft.
Im Minutentakt werden neue chemische,
physikalische, medizinische, materielle und
soziale Zusammenhänge aufgedeckt, die
807
zu neuem Denken und Handeln zwingen.
Technologiefolgenabschätzung, das Erkennen von Bedrohungspotenzialen, der Blick
auf mögliche Naturereignisse und die sich
daraus ergebenden Erfordernisse zur Zukunftssicherung werden das Leben in allen
Bereichen sehr nachhaltig beeinflussen.
Wie viel ist ein Einwohner wert?
Markus Eltges
1 Gleichwertige Lebensbedingungen
als gesellschaftspolitisches Ziel
Wie viel ist ein Einwohner wert? Diese Frage
lässt sich grundsätzlich mit dem Wert- und
Moralvorstellungen des christlichen Abendlandes schnell beantworten. Alle Einwohner
sind gleich viel wert. Aber eben nur grundsätzlich. Dieses „grundsätzlich“ ist ein Einfallstor für Ökonomen. Denn ein Einwohner
stiftet Nutzen und ein Einwohner verursacht
Kosten. Fallen Kosten und Nutzen räumlich
auseinander und beeinflussen diese Kosten
und Nutzen dann noch die Struktur und die
Höhe der öffentlichen Haushalte, so verlangt
dies nach einem Ausgleich. Zumindest nach
deutschen wie auch europäischen Wertvorstellungen. Darin kommt der Grundsatz der
Solidarität zum Ausdruck. Diese Solidarität
war und ist eine der wesentlichen Grundlagen und Säulen des föderativen Staatsaufbaus in Deutschland. Dieser Grundsatz, der
üblicherweise auf das Individuum bezogen
wird – der Starke hilft dem Schwachen –, hat
auch eine regionsbezogene Komponente.
Keinem Menschen soll ein Nachteil daraus
entstehen, dass er – aus welchen Gründen
auch immer – seinen Lebensmittelpunkt in
einer bestimmten Region hat.1 Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist
somit ein gesamtstaatliches Ziel von Verfassungsrang. Auch das Gesetz zur Neufassung
des Raumordnungsgesetzes mit Stand vom
16. Juli 2008 betont diesen Grundsatz in seinem Artikel 1 „Aufgabe und Leitvorstellung
der Raumordnung: „(1) Der Gesamtraum
der Bundesrepublik Deutschland und seine
Teilräume sind durch zusammenfassende,
überörtliche und fachübergreifende Raumordnungspläne, durch raumordnerische
Zusammenarbeit und durch Abstimmung
raumbedeutsamer Planungen und Maß-
nahmen zu entwickeln, zu ordnen und zu
sichern. … (2) Leitvorstellung bei der Erfüllung der Aufgabe nach Absatz 1 ist eine
nachhaltige Raumentwicklung, die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an
den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer
dauerhaften, großräumig ausgewogenen
Ordnung mit gleichwertigen Lebensverhältnissen in den Teilräumen führt.“
Es ist vermessen zu glauben, man könne
mit planerischen Instrumenten einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse leisten. Die
Raumordnung hat ihre Berechtigung, indem sie über die Formulierung von räumlichen Leitbildern Orientierung für alle
Fachpolitiken liefern kann und muss. Die
Instrumente, die die Raumordnung selbst
zur Verfügung hat, sind zu schwach, um
die gleichwertigen Lebensverhältnisse auch
nur im Ansatz zu schaffen. Somit haben die
Väter und Mütter der deutschen Verfassung
dem Gesetzgeber nicht nur den Auftrag
erteilt, für die Gleichwertigkeit zu sorgen,
sondern ihm auch eine Reihe von Instrumenten an die Hand gegeben. Über die
Jahrzehnte hat sich so ein ausgereiftes und
historisch gewachsenes fiskalisches Ausgleichsystem zur räumlichen und sozialen
Kohäsion in Deutschland entwickelt.2 In der
Summe umfasst dieses Transfersystem eine
beachtliche Summe. Diese Summe muss
jemand aufbringen, womit einer zahlt und
der andere bekommt. Dies birgt Konfliktstoff. Denn die Zahlenenden fühlen sich
überfordert und die Empfangenden wollen
mehr. Wie viel Ausgleich können und wollen
(1)
Insbesondere der Bundesebene kommt hierbei eine zentrale
Verantwortung zu. Denn in Artikel 72 Absatz 2 heißt es: „(2)
Auf den Gebieten des Art. 74
Abs. 1 … hat der Bund das
Gesetzgebungsrecht, wenn und
soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im
Bundesgebiet oder die Wahrung
der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche
Regelung erforderlich macht.“
(2)
Vgl. zu Einzelheiten Eltges,
Markus:
Gleichwertige
Lebensbedingungen und ihre fiskalische Basis. Informationen
z. Raumentwicklund (2006)
H. 6./7, S. 363 ff.
808
(3)
Die Regelungen zur Einwohnerwertung finden ihre ursprüngliche, theoretische Be­gründung
in den Arbeiten von Brecht/Popitz, wonach größeren Gemeinden ein hö­he­rer Finanzbedarf je
Einwoh­ner zugeschrieben wird
als kleineren Gemeinden. Die
in­strumentellen Ausgestaltungen hinsicht­lich der gemeindlichen Einwohnerwertung sind
historisch gewachsen. Einzelne
Regelungen dieses Systems
lassen sich nicht (mehr) nachvollziehen. Historische Geburtsstunde der Einwohnerwer­tung
ist der 30. Oktober 1923. Vgl.
ausführlich zur historischen Entwicklung der Einwohnerverede­
lung Dietrich, B.: Das Prinzip
der Einwohnerveredelung in
den Finanzausgleichssystemen
der Bun­des­republik Deutschland. – Bonn 1997, S. 28–88
(4)
Die übrigen Finanzausgleiche,
die finanziell nicht weniger bedeutsam sind, sollen hier einmal ausgeklammert werden. Zu
denken wäre hier an die Risikostrukturausgleich zwischen den
gesetzlichen Krankenversicherungen oder an den „verdeckten Regionalausgleich“ über die
Sozialversicherungssysteme.
(5)
Mit der Finanzausgleichspolitik,
an der Bund und Länder beteiligt sind, wird in erster Linie das
Ziel verfolgt, alle Länder und
Gemeinden unabhängig von
ihrer originären wirtschaftlichen
und fiskalischen Leistungskraft
in die Lage zu versetzen, öffentliche Aufgaben ohne größere
regionale Unterschiede wahrnehmen zu können. Damit wird
das Gleichwertigkeitsziel auf
staatlicher Ebene verfolgt.
(6)
Würden zum Beispiel alle Regelungen zur Einwohnerwertung
im geltenden Finanzausgleichsrecht abgeschafft, würden unter
sonst gleichen Bedingungen
die Stadtstaaten einen Betrag
von rd. 3 Mrd. E einbüßen.
(7)
Vgl. BVerfG (1999), 101, 207
Aus der Werkstatt
wir uns noch leisten? Das ist eine zentrale
Frage der deutschen Ausgleichspolitik. Zentrales Instrument dieser Ausgleichspolitik
im regionalen Kontext ist der staatliche Finanzausgleich. Dieser hat in Deutschland
eine lange Tradition.3 Er findet sowohl zwischen den Kommunen eines Bundeslandes als auch zwischen den Bundesländern
statt.4 Im Mittelpunkt dieses Beitrags sollen
jedoch der Länderfinanzausgleich5 und hier
speziell die Einwohnerwertung – oft auch
Einwohnerveredelung genannt – stehen.
Warum? Nun, diese Einwohnerwertung ist
in ihrer Wirkung finanziell so bedeutend,
dass sie mit fast biblischer Regelmäßigkeit,
also alle sieben Jahre, direkt oder indirekt
Gegenstand von Klagen eines oder mehrerer Länder vor dem Bundesverfassungsgericht oder Urteilen dieses Gerichtes sind.
Denn über die Einwohnerwertungen wird
die tatsächliche Einwohnerzahl mit einem
Faktor gewichtet mit der Folge, dass jene
Länder mit Einwohnerwertungen „ärmer
gerechnet“ werden. Dadurch erhalten sie
mehr Zahlungen im System oder müssen
weniger zahlen.6 Dies birgt Konfliktstoff.
Arme Länder klagen gegen reiche und reiche gegen arme. Nach Urteilen von 1986
und 1992 war es 1999 wieder einmal so weit.
Das Gericht entschied über die Klagen der
Länder Bayern, Baden-Württemberg und
Hessen. Insbesondere die Einwohnerwertung der Stadtstaaten Bremen, Hamburg
und Berlin wurde seitens der Klageländer
kritisch hinterfragt. „Die Einwohnerveredelung der Stadtstaaten gemäß § 6 Abs. 2
i. V. m. § 9 Abs. 2 FAG sei insgesamt verfassungswidrig, weil sie einen Bedarf berücksichtige und damit dem aufkommensorientierten verfassungsrechtlichen Begriff der
Finanzkraft widerspreche. Im Übrigen lasse
sich ein entsprechender Mehrbedarf auch
sachlich nicht begründen. Die Einwohnerveredelung werde mit der Vermutung des
Brecht/Popitzschen Gesetzes von der ‚progressiven Parallelität zwischen Ausgaben
und Bevölkerungsmassierung‘ begründet.
Danach hätten einwohnerreiche Städte
und Gemeinden in der Regel höhere ProKopf-Ausgaben als solche mit einer kleineren Einwohnerzahl. Diese Vermutung sei
jedoch weder theoretisch noch empirisch
abgesichert und werde von Sachverständigen nachhaltig in Zweifel gezogen. Damit
sei eine Ausnahme von der Regel, dass jeder Einwohner eines jeden Landes gleich zu
bewerten sei und dass die Finanzkraft sich
auf den realen Einwohner beziehe, nicht zu
begründen und zu rechtfertigen.“ 7
Somit bestand Prüfbedarf. Dieser wurde
vom Bundesverfassungsgericht bestätigt.
Im Zentrum dieses Prüfauftrags stand zum
einen die Einwohnerwertung für die Stadtstaaten und für Länder mit einem hohen
Anteil von größeren Gemeinden. Zum anderen sah das Gericht unter dem Aspekt der
Ländergleichbehandlung zusätzlichen Prüfbedarf, da im vereinten Deutschland neue
siedlungsstrukturelle Gegebenheiten festzustellen seien. Den Stadtstaaten mit sehr
hoher Bevölkerungsdichte und den dicht
besiedelten alten Flächenländern stünden
nun – teilweise extrem – gering besiedelte
neue Flächenländer gegenüber. Aus dieser
dünnen Be­siedlung könnten – so das Gericht – ebenso Mehrbedarfe entstehen, die
im Rahmen von Finanzausgleichsregelungen zu berücksichtigen seien. Mit anderen
Worten: Nicht nur eine extrem hohe Ballung der Bevölkerung könne im Vergleich zu
einer siedlungsstrukturellen Normalsituation mit abstraktem Mehrbedarf verbunden
sein, sondern auch eine extrem niedrige
Bevölkerungsdichte.
Anfang 2001 kam das Bundesministerium
der Finanzen auf den wissenschaftlichen
Bereich des Bundesamtes für Bauwesen
und Raumordnung (BBR) mit der Bitte zu,
eine Untersuchung zur Begründung und
Quantifizierung „abstrakter Mehrbedarfe“
beim Finanzausgleich unter den Ländern
durch­zuführen. Im Herbst 2001 lag das BBR
das Gutachten vor.
Die Erfüllung dieses Prüfauftrages verlangte
eine wissenschaftlich fundierte Konzeption
und Analysemethodik.
2 Die Einwohnerwertung
im Länderfinanzausgleich
Vom Einwohnermaßstab über den
Mehrbedarf zum abstrakten Mehrbedarf
Der Länderfinanzausgleich ist ein Finanzkraftausgleich. Artikel 107 Absatz 2, Satz 1
des Grundgesetzes führt hierzu aus: „Durch
das Gesetz ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird; hierbei sind die
Finanzkraft und der Finanzbedarf der Gemeinden (Gemeindeverbände) zu berücksichtigen.“ Nun haben wir große und klei-
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
ne Länder. Demnach muss die Finanzkraft
der 16 Länder untereinander vergleichbar
gemacht werden. Hierzu bedarf es eines
einheitlichen Maßstabs. Laut Bundesverfassungsgericht hat das Grundgesetz als
Bezugspunkt das Kriterium der Einwohnerzahl als abstrakten Bedarfsmaßstab vorgegeben. Mit der Anwendung des Einwohnermaßstabs wird ein gleicher Finanzbedarf je
Einwohner unterstellt. Die Einwohnerzahl
kann modifiziert werden, wenn abstrakte
Mehrbedarfe begründet sind. Diese müssen
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes
– objektiv
und
von
ländereigenen
(und auch lokalen) Prioritäts- oder
Dringlichkeits­entscheidungen unabhängig sein und
– sich auf Aufgabenbereiche beziehen,
die allen Ländern gleichermaßen vor­ge­
geben sind.
Überträgt man zusätzlich die Ausführungen
des Gerichts zur kommunalen Einnahmeseite auf die Ausgaben, so sind abstrakte
Mehrbedarfe dann ausgleichserheblich,
wenn sie
– finanziell erheblich sind und
– alle Länder, jedoch in unterschiedlicher
Intensität betreffen.8
In dem Gutachten wurde ein Verfahren zur
Ermittlung abstrakter Mehrbedarfe entwickelt, mit dessen Hilfe eine solche indikatorgestützte Überprüfung staatlicher und
gemeindlicher Bedarfe durchgeführt werden kann.9 Auf der Grundlage der Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts wurde ein
einheitliches Prüfverfahren für die Aufgaben
der Länder und Gemeinden/Gemeindeverbände entwickelt und angewendet. Die
zusammenfassende Betrachtung der staatlichen und kommunalen Ebene machte es
möglich, die Flächenländer einschließlich
ihrer Gemeinden und Gemeindeverbände
mit den Stadtstaaten zu vergleichen.
In einem ersten Schritt wurden für alle Aufgabenbereiche der Länder die Nettoausgaben (im Gutachten Mehrausgaben genannt)
ermittelt, die in den einzelnen Ländern aus
allgemeinen Finanzmitteln finanziert wurden. Die Gemeinden wurden dabei den Ländern hinzugerechnet. Die Nettoausgaben
wurden dadurch bestimmt, dass von den in
den Haushalten ausgewiesenen Bruttoausgaben für die einzelnen Aufgabenbereiche
809
die zweckgebundenen Bruttoeinnahmen
für die einzelnen Aufgabenbereiche abgezogen wurden. Bei den Mischfinanzierungen sind daher die Nettoausgaben identisch
mit dem Landesanteil.
Anschließend wurden in einem zweiten
Schritt solche Aufgabenbereiche von der
weiteren Betrachtung ausgeschlossen, bei
denen sich die (im ersten Schritt ermittelten) Nettoausgaben pro Einwohner zwischen den Ländern kaum unterschieden.
Solche Aufgabenbereiche konnten, weil sie
die Länder in ähnlicher Intensität betrafen,
keine Mehrbedarfe begründen. Dies waren
im Wesentlichen die Aufgaben „Schulen,
Schulverwaltung und Schülerbeförderung“
sowie „Raumordnung, Landesplanung, Vermessungswesen“.
In einem dritten Schritt wurde anschließend mittels geeigneter statistischer Methoden für die verbliebenen Aufgabenbereiche
untersucht, ob und inwieweit zwischen den
(Netto-)Ausgaben der Länder pro Einwohner und potenziellen Bedarfsindikatoren
grundsätzlich ein Zusammenhang bestand.
Bestand grundsätzlich ein solcher Zusammenhang, hatte man einen geeigneten Bedarfsindikator für den entsprechenden Aufgabenbereich gefunden.
In einem vierten Schritt wurden für die Aufgabenbereiche, für die geeignete Bedarfsindikatoren ermittelt werden konnten, auf
der Grundlage anerkannter mathematischstatistischer Methoden Ausgabenmehrbzw. Ausgabenminderbedarfe aus den Indikatoren abgeleitet. Unterschiede bei den
Ausgaben für die einzelnen Aufgabenbereiche zwischen den Ländern, die durch den
jeweiligen Indikator erklärt werden konnten, stellten unterschiedliche Ausgabenbedarfe der Länder dar; Unterschiede, die
durch den Indikator nicht erklärt werden
konnten, wurden ländereigenen Prioritätsentscheidungen zugerechnet.
In einem fünften Schritt wurde für die einzelnen Länder durch Addition jeweils ein
Korridor für Gesamtausgabenmehrbedarfe
(bzw. Minderbedarfe) bestimmt, und diese
wurden anschließend miteinander verglichen. Über das Instrument der Einwohnerwertung wurden diese Gesamtausgabenmehrbedarfe (abstrakten Mehrbedarfe)
quantifiziert.
(8)
Das Gericht stellt in seinen Ausführungen auf die kommunale
Ein­nahmenseite ab. Gleichwohl
können die Maßstäbe „finanziell
erheblich“ und „unterschiedliche
In­ten­si­tät“ u. E. auch für die Ableitung abstrakter Mehrbedarfe
herangezogen werden.
(9)
Vgl. Eltges, Markus; Zarth,
Michael; Jakubowski, Peter;
Bergmann, Eckhard: Abstrakte
Mehrbedarfe im Länderfinanzausgleich, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums
der Finanzen. – Bonn 2002
810
Aus der Werkstatt
Empirische Ergebnisse des Gutachtens
Neuregelung im Länderfinanzausgleich
Die empirischen Ergebnisse belegten die
strukturelle Besonderheit der Stadtstaaten.
Deren abstrakte Mehrbedarfe je Einwohner
lagen deutlich über denen der Flächenländer. Aufgrund ihres weitgehend gleichen abstrakten Bedarfsniveaus erschien eine Differenzierung zwischen den Stadtstaaten nicht
sachgerecht. Verursacht wurden die hohen
abstrakten Bedarfe der Stadtstaaten vor allem in den Bereichen Familien-, Sozial- und
Jugendhilfe, öffentliche Sicherung und Ordnung, Rechtsschutz sowie Wohnungswesen.
Auch die Bereitstellung von „Wissen“ und
breitgefächerten Ausbildungsmöglichkeiten
an Hochschulen, die auch den übrigen Ländern zugute kommen, prägten die strukturelle Besonderheit der Stadtstaaten.
Der Gesetzgeber nahm diese Ergebnisse
auf. Im Gesetz über den Finanzausgleich
zwischen Bund und Ländern (Finanzausgleichsgesetz – FAG) in der Fassung der Bekanntmachung durch Artikel 5 des Gesetzes
vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3955)
heißt es hinsichtlich der Einwohnerwertung
im § 9, Abs. 2 und 3:
„(2) Bei der Ermittlung der Messzahlen
zum Ausgleich der Einnahmen der Länder
nach § 7 werden die Einwohnerzahlen der
Länder Berlin, Bremen und Hamburg mit
135 vom Hundert und die Einwohnerzahlen der übrigen Länder mit 100 vom Hundert gewertet.
– die weit überdurchschnittliche Anzahl
von alleinerziehenden Haushalten, die
ein erhöhtes Engagement der Jugendhilfe erfordert, und
(3) Bei der Ermittlung der Messzahlen
zum Ausgleich der Steuereinnahmen der
Gemeinden nach § 8 werden die Einwohnerzahlen der Länder Berlin, Bremen und
Hamburg mit 135 vom Hundert die Einwohnerzahl des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit 105 vom Hundert, die Einwohnerzahl des Landes Brandenburg mit
103 vom Hundert, die Einwohnerzahl des
Landes Sachsen-Anhalt mit 102 vom Hundert und die Einwohnerzahlen der übrigen
Länder mit 100 vom Hundert gewertet.“
– die besonderen Merkmale der Großstadt,
die mit einer hohen Anzahl von Straftaten einhergehen.
3 Ausblick
Innerhalb der neuen Länder setzten sich die
besonders dünn besiedelten Länder (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und
Sachsen-Anhalt) in der Höhe der abstrakten Mehrbedarfe je Einwohner von Thüringen und Sachsen ab. Dies wurde verursacht
durch die abstrakten Mehrbedarfe in den
Bereichen Kreis- und Gemeindestraßen,
Jugendhilfe, öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie Landwirtschaft und Forsten. Im
Unterschied zu den Stadtstaaten resultierte
hier der erhöhte abstrakte Mehrbedarf aus
jenen Ausgaben, die mehrheitlich in der
kommunalen Zuständigkeit liegen. Ebenso
wurden die abstrakten Mehrbedarfe dünn
besiedelter Länder nicht nur durch räumliche, infrastrukturelle Faktoren begründet,
sondern auch durch sozioökonomische
Faktoren der neuen Länder. Im Vergleich
zu allen anderen Flächenländern waren in
der Summe diese abstrakten Mehrbedarfe
so bedeutend, dass eine Einwohnerwertung
auch hier gerechtfertigt erschien.
Trotz der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs steht dieses Instrument stetig im
Mittelpunkt finanzpolitischer Auseinandersetzungen, begleitet von wissenschaftlichen
Gutachten und Stellungnahmen. Indirekt
ist mit dieser kontroversen Diskussion immer die Frage verbunden, welchen gesellschaftspolitischen Stellenwert die Schaffung
von gleichwertigen Lebensbedingungen im
föderativen Staatswesen in Deutschland haben soll. Das Bundesverfassungsgericht hat
in seinem Urteil von 24. Oktober 2002 hierzu die Meßlatte für den Bund deutlich angehoben. „Das Erfordernis der ‚Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse‘ ist nicht
schon dann erfüllt, wenn es nur um das
Inkraftsetzen bundeseinheitlicher Regelungen geht. Das bundesstaatliche Rechtsgut
gleichwertiger Lebensverhältnisse ist vielmehr erst dann bedroht und der Bund erst
dann zum Eingreifen ermächtigt, wenn sich
die Lebensverhältnisse in den Ländern der
Bundesrepublik in erheblicher, das bundes-
Ursächlich für die erhöhten abstrakten Bedarfe im Vergleich zu den Flächenländern
waren aber auch
– die sehr hohe Anzahl von Empfänger von
Hilfe zum Lebensunterhalt als Spiegelbild der hohen Arbeitslosigkeit,
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
staatliche Sozialgefüge beeinträchtigender
Weise auseinander entwickelt haben oder
sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet.“ Ob sich mit mit diesem Leitsatz
zum Urteil eine Entwicklung anbahnt, dass
ein Einwohner in strukturschwachen Regionen „immer weniger wert wird“, muss die
Zukunft zeigen. Dennoch: auch in Zukunft
811
wird diese Frage Wissenschaft wie Politik
beschäftigen. Und das BBR wird seinen wissenschaftlichen Beitrag zu dieser wichtigen
Frage leisten – zwischen der nicht nur abstakten Frage, was ein Einwohner des jeweiligen Raums wert ist und was der Raum
dem Einwohner wert ist.
Space and the public sphere (in the city)
All cities have their spatial and social dimensions. This most commonplace statement, of course, conceals an almost unlimited range of circumstances, properties and
various relationships. In this essay I would
like to consider briefly and informally the
question of the public sphere in the city’s
socio-spatial realities and to point out
several ways for future research and interpretation.
Let us first consider what is “public” in the
city. An answer to this question may perhaps be found by either an objective or an
attributive concept, i. e., “a thing” or “certain properties.” We may as well start by focusing on the second version. It may be said
that the public domain of the city and of city
life developed outside the proper center of
power and control over its realities, even in
opposition to it. It may therefore be concluded that, historically, those aspects and
qualities of the city’s entirety, which became
public, developed outside the court (i. e.,
the partly real, partly metaphorical center
of the city). In particular the making of autonomous, perhaps even independent patterns of social being-together, the formulation of opinions, the critical verification of
the official position developed.
For the public domain to function it was and
still is necessary that it has a specific place
of its own. The attribute of the public has
always involved public space that defines
the more objective side of the phenomenon. A public park, café, reading room or
stadium (historically, in classical times, perhaps the foremost place for a spontaneous
manifestation of an independent opinion)
are some examples of public attributes and
places in the city.
Generalizations are always risky, given the
enormous number of individual cases, but
we may tentatively note that the public face
of the city has often correlated with tensions, if not conflicts. The public domain is,
again metaphorically, a domain of freedom.
This is not to say that centers of power over
the city (or whoever exercised that power
with whatever underlying mechanisms)
have been adverse to freedom. Nonetheless, we have seen highly characteristic
situations which cannot be accidental and
make us wonder. If, for example, historical
sources can be relied on, Louis XIV hated
Paris and would not tolerate in his midst
anyone who liked it. To dwell for an instant
on this special city, Baron Haussmann’s famous urbanistic modernization, among
other things, involved attempts to strengthen control over unruly citizens. The public
sphere in our title is a complex set of factors and events.
The public sphere is a certain whole consisting of organizational features and awareness including constitutionally important
material-spatial conditions and a subjective
ability to act together as seen in various
social ties. In helping to make the city, the
public sphere is a factor that strengthens
its elemental and consequently its infinite
nature.
Let us also consider those properties that
appear where the spatial and the social
meet. What is city space or rather how does
it become the public facet of social life and
positively correlated with it? It is impossible
to draw a dividing line between the strictly
material and the strictly social, both components being tightly interlocked. Nevertheless, we may attempt an analytical inter-
Krzysztof Frysztacki
812
Aus der Werkstatt
pretation and identify particulars that are
more material and more social (including
characteristic and symbolic).
Seen from this first point of view, public
space should first be relatively open and
accessible; it should relatively freely serve
those who wish to occupy and use it in
some way. It should also be “genuine”, that
is, it should meet with social expectations
and preferences, develop and adjust in a
way that would afford a measure of spontaneity, reflect what we might call the axiology
of urban community. Finally, public space
should be comprehensible. It should for
example be visible to the naked eye, within
walking distance, offering an opportunity to
meet people whom we recognize and with
whom we possibly identify (“anonymous
ties”) and graspable to fleeting thought
as well as deeper reflection. It is therefore
space that can be said to be “good,” a place
where public manifestations in the city can
be reinforced.
The second point of view presents another
three qualities of public space. It should be
a space spontaneously distinguished and
designated, defined as public by those who
make up the public. Consequently, it should
also be socially accepted. Finally, it ought
to offer a measure of broadly understood
security including physical security and a
sense of emotional security permitting participants to overcome feelings of alienation
or shyness. Again, in search for a generalized property we might say that, from this
point of view, it should be “friendly” space.
The above fragmentary remarks have emphasized the natural and spontaneous aspects of public space. This is not to suggest
that urban planning contradicts its public aspects. On the contrary, it may be of
considerable good service. In my opinion,
the key question here is the social process
in planning, its ability to consider various
points of view, to seek compromise and
to include individual members of the city
population at least as, co-authors of what
is being planned and subsequently implemented.
If these definitions of public space are accepted, then let us mention the rising and
increasingly popular view that over the past
decades we have been witnessing a shrinking of the public domain in many cities,
even its deterioration. To name but a few
characteristic and well-known examples,
such concerns are voiced by Jane Jacobs
in “The Death and Life of Great American
Cities”, Henri Lefebvres in “The Right to the
City”, Richard Sennett in “The Fall of Public Man”; Paul Virilio in “The Overexposed
City”. It is deliberate that I do not include
a bibliographical note nor do I engage in
a searching analysis of those highly different but equally interesting publications.
I merely mention them in alphabetical order, a random arrangement as regards their
contents. All I want is to draw attention to
the growing conviction and concern that
the public sphere in contemporary cities is
on the wane. The point is illustrated in an
apt statement by P. Virilio, who wrote that
we are dealing with a crisis of the “great
narrative” of the city, a crisis of what is and
what should be the city in its entirety, while
having a growing and increasingly singleminded focus on a micro-narrative as may
be epitomized by an otherwise perhaps interesting and functional single building or a
small group of buildings that yet seems to
be separated from that entirety. The separation increasingly equates with fences,
security guards, access denied to the general public. This is of course a controversial
point of view, but it undeniably makes one
think.
This is linked with the question of new
trends in urban development. New complexes are being built, some of them being
so large that they require a social-spatial
quality of their own, occupy ever more
land, tie up increasing resources, serve a
rising number of functions and assemble
more and more people. Two outstanding
examples are shopping malls and airports.
They may be said to virtually contain all
that the city has to offer – yet they are no
independent cities. Their highly advanced,
intense spatially functional structure, their
rapidly rising number of consumers and
even the new styles of life they foster do
not seem to contradict the observation that
they are quasi-cities with many functionalities, but they do not add up to a publicly
defined community. In a spirit that is a little more than simply anecdotal, we may recall Steven Spielberg’s motion picture “The
Terminal”, starring Tom Hanks. The movie
skillfully demonstrates that a prolonged
forced stay at a large airport is anything but
normal life. Remembering our earlier generalizations, we may note that such places
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
lack at least the genuineness and spontaneous distinction, the qualities we treat here
as fundamental.
At the same time, however, it should be
noted that the evolving pattern and mechanism of socio-spatial niches seems increasingly meaningful in the urban public and
its circumstances. We can thus say that in
place of a general, common space with its
inclusive public social life we are more and
more dealing with sub-spaces and subpublic spheres. Somewhat metaphorically,
the formula is offered here to emphasize
the unstoppable progressive diversification
in the structural-functional realities of cities
and to create particular segments of such
realities that seem to exist on the sidelines
of all that is global and standardizing.
In this concise format I must be highly selective. Still, some generalized tendencies
can perhaps be isolated. Let us focus on
those points of view where a strictly subjective, notional factor predominates. Our selected example here is the research project
and especially the interpretive effort made
several years ago at Cornell University.1
It concerns precisely the notional and
“post-notional” aspect of knowledge about
cities and the social consequences thereof. Cities generate certain highly subjective, individualized, varied notions about
themselves with those notions again feeding back via states of social awareness into
such cities and almost transforming them.
All this becomes primarily public. An example cited there is as follows. Some qualities of Parisian life, I am not sure to what
extent, brought forth Balzac’s writings, but
his creation began to live a life of its own
and contributed to altering the nature of
Paris in so far that we see the city’s history at that time through the eye of the artist. Perhaps his writing left a mark on the
city’s later history, a subject David Harvey
wrote about. In another part of the project,
Mary N. Woods offers an interpretation titled “After-Images of the ‘New’ New York
and the Alfred Stieglitz Circle”. The author
in her highly interesting manner draws our
attention to the revolutionary role of photographic art in creating a collective imagery
of cities and its impact on such cities “after”
that imagery took root. New York, as photographed by Stieglitz and others in the circle
in which he was a leading figure, received
a special new dimension and presumptions
813
about the city and its legend received force
and clarity, i. e., artistic imagination left its
mark on the city. A capital example of it first
was the photograph of the Flatiron Building at Broadway and Fifth Avenue in Lower
Manhattan which consequently defined its
social and material presence. This unique
triangular structure, photographed over
and over again, became a symbol of daring
architectural ideas and New York’s readiness
to adopt such ideas and forge them into
physical realities. The Flatiron Building in
century-old photographs documents a veritable challenge which New York – all of New
York, with its public – wants to meet and is
capable of doing so.
Let us mention another example of recent
research, this time more objectively oriented, which features the issue of the city’s
public domain; this example is related to
what may be the most classical path in the
sociology of the city: the local community.2
To say that the field of local communities has a long, rich and varied history is
to border on platitude. Nonetheless, I will
risk such a remark as I wish to emphasize
strongly that the wealth of research and
commentary is also of great import for the
public sphere of the city and in particular
to the city’s public. To cite just one general
conclusion, I want to repeat the observation that a local community includes a
characteristic and difficult duality, perhaps
ambiguity. On the one hand, mechanisms
of social organization and ties typical for
urban local communities seem to go a long
way to reinforce the public dimension and
to include individual participants in urban
life by offering them more opportunities for
being-together and acting-together. On the
other hand, the integrated variant of social
intercourse of a local community also probably exerts a pressure toward uniformity,
a limitation of free expression in its varied
forms. Unification happens, at least to some
degree, at the expense of the particular. This
duality has its theoretical, empirical, and
practical aspects.
Such aspects of public space are studiously
considered in a book by Suzanne Keller.
The empirical subject is one of the first
“planned local communities” in the United
States, Twin Rivers, New Jersey. The author
addresses such essential details as where
and how children can play, where adults
meet, how strolling spaces are reconciled
(1)
Keller,
Suzanne:
Community: Pursuing the Dream,
Living the Reality. – Princeton
2003
(2)
Resina, Joan Ramon; Ingenschay, Dieter (eds.): AfterImages of the City. – Ithaca
2003
814
Aus der Werkstatt
with the need to park vehicles, etc. The fundamental question boils down to how, if at
all, a society guided by principles of individualism and private property can build
a functional common reality in which the
public dimension, the shared space and
patterns of social participation reinforce expectations of a good, contented life. The details involved are as prosaic as they are fascinating. The main problem to overcome in
such a setting seems to be what the author
describes as social confusion as seen, for
example, in standards of cleanliness, limits
of personal circumstances and the importance of private property. Space, defined by
the use of its equipment, and the tasks to be
accomplished on it, determines the rights
and obligations of what is “mine, yours,
ours.” Reaching an agreement over all those
is difficult but necessary and possible. It is
a process that continues at various speeds
depending on the nature of the problems at
hand. In particular the principle of shared
responsibility for the maintenance of order
and security has gained a foothold and increasingly influenced ways of life. It might
be said that the idea of local community in
the specific conditions in question “won,”
although there are still some disagreements
and problems that need to be sorted out.
Hans-Peter Gatzweiler
Let us hasten to add that the city as such,
even in its public dimension, is problemridden. We could hardly imagine any city
that does not struggle with serious trouble,
is free of problems to solve and social tensions to resolve. City realities largely consist
of solving problems and attaining objectives that never disappear and never obviate
initiatives for solutions. Appropriate tools
continue to be needed. The ability to maintain and develop the public sphere is probably one such tool. Yet it is not a method
which absolutely works, and broadly understood privacy, risk, financial investment, organizational principles, etc. also seem necessary. All experience supplies a wealth of at
least seemingly contradictory evidence.
Let us therefore finish these remarks on a
note of ambivalence. I wrote them in the
spirit of faith in the public domain of the
city and with great sympathy for it. Still, we
must recognize that it is not a silver bullet that can hit any target and cure all ills.
Problems will remain.
Lässt sich mit Vergangenheit Zukunft
gewinnen?
Eine kurze Reflexion der Raum- und Stadtentwicklungspolitik in Deutschland seit der Wende
Herstellung der deutschen Einheit –
beherrschendes Thema der 1990er
Jahre
Im Zuge der fundamentalen politischen,
wirtschaftlichen und sozialen Wandlungen
im Osten Europas seit Mitte der 1980er
Jahre kommt es im Herbst 1989 zur politischen Wende in der ehemaligen DDR.
Schon ein knappes Jahr später erfolgt die
rasche staatliche Vereinigung in Deutschland durch den am 3. Oktober 1990 gemäß
Artikel 23 Grundgesetz erfolgten Beitritt
der ehemaligen DDR zum Wirkungsbere-
ich des Grundgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland und die Neubildung der Bundesländer Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Mit diesem Ereignis waren und
sind auch besondere Herausforderungen
für die Raumordnungs- und Stadtentwicklungspolitik sowie für die wissenschaftliche
Politikberatung der damaligen Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (BfLR) und des heutigen Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung
(BBR) verbunden.
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
Die Probleme und Aufgaben, die sich aus
der Herstellung der deutschen Einheit ergeben, sind das alles beherrschende Thema
der 1990er Jahre. Die enormen Unterschiede in den Erwerbsmöglichkeiten, der Infrastrukturversorgung, den Wohnungs- und
Wohnumfeldbedingungen sowie der Umweltqualität zwischen den alten und neuen
Ländern treten überdeutlich zutage. Die
Folge ist eine anhaltend hohe Abwanderung
von vor allem jungen Menschen mit der Gefahr einer großräumig passiven Sanierung.
Alte Antworten auf neue
Herausforderungen
Aus Sicht der Raumordnung besteht vordringlicher und gleichrangiger Handlungsbedarf auf drei Feldern: Es ist notwendig,
Erwerbsmöglichkeiten zu sichern und neu
zu schaffen, die wirtschaftsnahe Infrastrukturausstattung rasch zu verbessern und
zugleich die hohe Umweltbelastung abzubauen. Auch die städtebaulichen Herausforderungen sind umfassend: Neben den
Aufgaben einer allseitigen Stadterneuerung
stellen sich angesichts der dynamischen
Entwicklung in vielen Städten der neuen
Länder zunehmend auch Aufgaben einer
geordneten umwelt- und sozialverträglichen Stadterweiterung und einer Koordinierung von Stadt-Umland-Entwicklungen.
Besonders dramatisch entwickelt sich die
Konkurrenz der „grünen Wiese“, weil in den
Innenstädten Fragen der ungelösten Bodenordnung die notwendigen Investitionen
erschweren. Im Umland hingegen führt der
Wettbewerb der Kommunen um Investoren
zu einer Art „Wild-West“-Entwicklung bei
großflächigen Gewerbeausweisungen und
der Ansiedlung von Handelseinrichtungen.
Angesichts der neuen räumlichen Ausgangslage in Deutschland erfährt die schon
aus den 1960er und 70er Jahren bekannte raumordnungspolitische Leitbild- und
Strategiediskussion eine Renaissance. Zur
raumordnungspolitischen Flankierung des
Aufschwungs im Osten legt das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen
und Städtebau alsbald ein raumordnerisches Konzept vor, das recht eindeutig eine
wachstumsorientierte Entwicklungspolitik
unterstützt. In zwölf Regionen mit relativ
günstigen
Entwicklungsvoraussetzungen
sollen Wirtschafts- und Siedlungsstrukturen vordringlich so verbessert werden, dass
815
diese Räume im Wettbewerb europäischer
Städte und Regionen um Investoren eine
gute Ausgangsposition erlangen (Entwicklungsregionen). Das Konzept geht davon
aus, dass nur von wirtschaftsstarken Regionen die notwendige flächendeckende
Modernisierung getragen werden kann. Das
Kümmern um räumliche Ausgleichspolitik
im Osten überlässt die Raumordnung weitgehend der regionalen Strukturpolitik, also
dem Bundesministerium für Wirtschaft.
Die Städtebaupolitik des Bundes stützt sich
im Wesentlichen auf drei Instrumente, um
rahmensetzend eine geordnete städtebauliche Entwicklung in den neuen Ländern
zu fördern: gesetzliche Vorschriften des
Bau- und Bodenrechts, Finanzhilfen an die
Länder und persuasive Mittel. Um den Neuaufbau der städtebaulichen Ordnung zu erleichtern, werden ins Baugesetzbuch eine
Reihe von Besonderheiten eingeführt (Maßnahmengesetz), die bis zum 31. Dezember
1997 gelten. Damit sollen die Voraussetzungen für eine rasche Verwirklichung der
marktwirtschaftlichen Ordnung und zur
Verbesserung von Investitionsbedingungen
geschaffen werden. Durch entsprechende
Maßnahmen wird z. B. sichergestellt, dass
Bauleitpläne aufgestellt werden können,
auch wenn konkret formulierte Ziele der
Raumordnung und Landesplanung noch
nicht vorhanden sind. Zugleich werden
neue Instrumente wie z. B. der Vorhabenund Erschließungsplan eingeführt. Er gibt
den Gemeinden die Möglichkeit, auch ohne
Flächennutzungsplan und Bebauungsplan
mit Hilfe privater Träger dringliche Investitionen im Gemeindegebiet schnell durchzuführen.
Wegen des immensen Erneuerungs- und
Entwicklungsbedarfs in den neuen Bundesländern wird die Städtebauförderung des
Bundes schwerpunktmäßig auf die Städte
und Gemeinden im Osten verlagert. Maßnahmen der Stadterneuerung werden in
den neuen Ländern mit dem Ziel gefördert,
einen Beitrag zur Anpassung der Wohnund Lebensbedingungen an westdeutsche
Standards zu leisten. Sie konzentrieren sich
vor allem auf die Förderung von städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen, den Erhalt der historischen
Stadtkerne und die städtebauliche Fortentwicklung der „Plattenbausiedlungen“. Im
Rahmen des Experimentellen Wohnungsund Städtebaus des Bundesbauministe-
816
Aus der Werkstatt
riums wird ein „Modellstadtprogramm“
eingerichtet zum Erfahrungsaustausch und
Wissenstransfer in Sachen Stadterneuerung. In insgesamt elf Städten verteilt über
das Gesamtgebiet der neuen Länder werden städtebauliche Modellmaßnahmen als
Pilotprojekte durchgeführt.
Nach den ersten raumordnungs- und städtebaulichen „Sofortmaßnahmen“ in den
neuen Ländern setzt sich schon bald die
Erkenntnis durch, dass eine Neuorientierung der Raumordnung in ganz Deutschland erforderlich ist. Eingeleitet wird sie mit
dem 1992 verabschiedeten Raumordnungspolitischen Orientierungsrahmen (ORA)
und dem 1995 beschlossenen Raumordnungspolitischen
Handlungsrahmen
(HARA). Danach soll sich die Raum- und
Siedlungsentwicklung in Deutschland am
Leitbild der dezentralen Konzentration
orientieren. Dieses Leitbild wird als ein
zentrales (ökologisches) Prinzip künftiger
Raumentwicklung und Siedlungsentwicklung angesehen. Raumstrukturell soll es die
Voraussetzungen dafür schaffen, die Funktionen Arbeiten, Wohnen, Versorgung und
Erholung räumlich wieder stärker zusammenzuführen, d. h. die „Region und Stadt
der kurzen Wege“ zu verwirklichen.
Planungsrechtlich sind die alten und neuen
Länder spätestens 1998 vereint. Mit dem
Gesetz zur Änderung des Baugesetzbuchs
und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung (Bau- und Raumordnungsgesetz
1998 – BauROG) endet die Periode des planungsrechtlichen „Experimentierens“ in
den neuen Ländern. Das Gesetz führt nach
Auslaufen des Maßnahmengesetzes zum
Baugesetzbuch und der Überleitungsvorschriften für die neuen Länder das Städtebaurecht wieder einheitlich im Baugesetzbuch zusammen. Gleichzeitig wird das
Raumordnungsgesetz an die heutigen und
künftigen Anforderungen angepasst. Wichtige Ziele sind, das Recht der Bauleitplanung
und Raumordnung durch Vereinheitlichung
der Verfahren und Instrumente übersichtlicher und einfacher zu gestalten und eine
ganzheitliche, die nachhaltige Entwicklung
in Deutschland fördernde Planung zu ermöglichen.
Die räumlichen Folgen des westeuropäischen Integrationsprozesses, die Konsequenzen der Vollendung des EG-Binnenmarkts, geraten Anfang der 1990er Jahre
durch die deutsche Vereinigung und die Um-
wälzung in Osteuropa nur für kurze Zeit etwas aus dem Blickfeld. Denn mittlerweile
hat eine breit angelegte Diskussion über
die Perspektiven einer räumlichen Entwicklungspolitik für Europa eingesetzt. Leitend
aus bundesdeutscher Sicht ist dabei die
Vorstellung, durch Vorgabe gemeinsamer
rahmensetzender inhaltlicher Ziele sowie
durch eine verbesserte Koordination raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen
auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten,
aber auch auf Ebene der Regionen und
Städte eine Politik der europäischen Raumentwicklung zu betreiben – konzeptionell
also im Vergleich zum Aufgabenverständnis
von Raumordnungs- und Städtebaupolitik
auf Bundesebene nichts Neues.
Nachhaltige Entwicklung als
neues Leitbild für die Raum- und
Stadtentwicklung
Spätestens mit der auf der Konferenz zu
Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen im Juni 1992 in Rio de Janeiro verabschiedeten Agenda 21 und der auf der Weltsiedlungskonferenz Habitat II der Vereinten
Nationen im Juni 1996 in Istanbul beschlossenen Habitat-Agenda ist klar, dass Raumordnungs- und Städtebaupolitik nicht nur
eine europäische Perspektive haben, sondern auch dazu beitragen können, globale
Herausforderungen zu bestehen. Wichtige
Schritte zu einer nachhaltigen Stadt- und
Raumentwicklung weltweit müssen vor
allem in den westlichen Industriestaaten
selbst getan werden. Denn sowohl die dortigen Produktions- und Konsummuster als
auch die dortigen Siedlungs- und Stadtstrukturen sind mehr oder weniger nicht
nachhaltig. Deshalb muss auch in Deutschland eine Raumordnungs- und Städtebaupolitik betrieben werden, die sich zugleich
der globalen Zukunftsverantwortung bewusst ist.
Ausgehend von einer nüchternen Bestandsaufnahme des Stands der Siedlungsentwicklung sind die künftigen Probleme absehbar. Der 1995 im Wesentlichen von der
damaligen BfLR – gestützt auf Ergebnisse
ihrer laufenden Raum- und Stadtbeobachtung – erarbeitete Nationalbericht Habitat II „Siedlungsentwicklung und Siedlungspolitik“ benennt Sie eindeutig:
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
Der Verstädterungsprozess wird weiter anhalten, das Siedlungswachstum wird sich weiter
– nach Art einer Wanderdüne – in immer weiter
von der Kernstadt entfernte Städte und Gemeinden im Umlang verlagern. Der Preis ist
eine weitere flächenzehrende räumliche Ausdehnung der Agglomerationsräume ins kleinstädtische und ländliche Umland der Stadtregionen mit der Folge einer weiteren Zunahme
des Autoverkehrs, eines weiteren Verlust siedlungsnaher Freiräume und einer weiteren Minderung ökologischer Ausgleichsfunktionen.
Der ungebremste, disperse Verstädterungsprozess bringt auch soziale Probleme mit sich, vor
allem in den Kernstädten. Während die einkommensstarken Bevölkerungsgruppen ins Stadt-Umland ziehen, bleiben die einkommensschwachen
in den Städten zurück. Konzentration von Einkommensschwächeren und Entmischungsprozesse finden vor allem in drei städtischen Teilräumen
statt: In den Innenstädten, den Siedlungen des
sozialen Wohnungsbaus der 60er, 70er Jahre und
ehemaligen Arbeiterquartieren. Mit der seit Ende
der 80er Jahre anhaltenden Zuwanderung von Bevölkerungsgruppen anderer Kulturen verschärfen
sich die sozialen Konfliktlagen noch zusätzlich.
Private Investoren ziehen sich aus solchen Stadtquartieren zurück. Es fehlen städtische Mittel um
die Desinvestitionserscheinungen zu beseitigen
und somit weiteren Desinvestitionsprozessen entgegenzuwirken.
Denn die wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven der Städte in Deutschland und ihre Finanzen
sind höchst unterschiedlich. Polare Entwicklungsmuster zeichnen sich ab: Für die westdeutschen
Stadtregionen liegt die Spannbreite der zukünftigen Entwicklung zwischen Stabilität und starkem
Wachstum. Von den ostdeutschen werden sich
einige – Leipzig und Dresden, vor allem aber
Berlin – langfristig an die bisher nur im Westen
bekannten Entwicklungsmuster angleichen. Den
meisten Stadtregionen im Osten Deutschlands
drohen dagegen anhaltende Beschäftigungs- und
Arbeitsmarktprobleme sowie eine weitere Bevölkerungsabnahme, also Schrumpfungsprozesse.
An diesen ungleichen wirtschaftlichen Perspektiven der Städte und Gemeinden wird sich mittelfristig nicht viel ändern lassen. Die generelle ökologische Kluft zwischen West- und Ostdeutschland
wird zwar kleiner werden, zugleich aber werden
die kleinräumigen Unterschiede (regionale Disparitäten) dennoch größer.
Der Spannungsbogen der Diskussion um
Raum-/Stadtenwicklung und Raum-/Stadtentwicklungspolitik in Deutschland reicht
Mitte der 1990er Jahre von der Bewältigung
der mit der Einheit Deutschlands entstandenen neuen Aufgaben bis hin zu Aufgaben auf dem Weg zu einer nachhaltigen
Raum- und Stadtentwicklung. Vor diesem
Hintergrund wurde die BfLR 1995 vom Bundesbauministerium beauftragt, einen Städtebaulichen Bericht zum Thema „Nachhaltige Stadtentwicklung“ zu erstellen. Der 1996
mit einer Stellungnahme der Bundesregierung dem Deutschen Bundestag zugeleitete
Bericht stellt wichtige, notwendige Schritte
zur Bewältigung der Aufgaben auf dem Weg
817
zu einer nachhaltigen Siedlungs- und Stadtentwicklung in Deutschland vor.
In einem Szenario „Auf dem Weg zu einer
nachhaltigen Siedlungs- und Stadtentwicklung – Deutschland im Jahr 2010“ zeigt dieser Bericht auf, dass Kurskorrekturen auf
der Handlungsebene, falls sie erfolgreich
sind, dazu führen könnten, dass der Verstädterungsprozess mittelfristig anders als
heute verlaufen wird:
Anlässlich ihrer 10. Sitzung in Kassel stellte die
Ministerkonferenz für nachhaltige Siedlungspolitik (MKSP) mit Genugtuung fest, dass der disperse Verstädterungsprozess im vergangenen
Jahrzehnt in Deutschland abebbte. Heute im Jahr
2010 – konzentriert sich die Entwicklung wieder
auf die Zentren und Mittelstädte in den Agglomerationen und verstädterten Räumen. Flächenrecycling, bauliche Verdichtung, kleinräumige Funktionsmischung, Reduzierung der Automobilität,
Stärkung des Umweltverbundes, Abbau von Umweltbelastungen und so weiter haben die Stadtflucht, die flächenzehrende disperse Suburbanisierung von Haushalten und Betrieben nachhaltig
gestoppt. Städte der kurzen Wege, der vielfältigen
Mischung in polyzentrischen Regionen, haben
sich als durchgängiges Siedlungsstrukturkonzept
für eine nachhaltige stadtregionale Entwicklung
durchgesetzt. Die neuen regionalplanerischen
Steuerungs- und Eingriffsmöglichkeiten zur Umsetzung dieses Leitbildes werden zunehmend
akzeptiert. Die stadtregionale interkommunale Kooperation funktioniert. Insbesondere die Ausweisung neuer Siedlungsflächen erfolgt nur noch an
gemeinsam festgelegten Siedlungsschwerpunkten
und in begrenztem Maße, weil durch Flächenrecycling und dichtere Nutzung bereits erschlossene Flächen der Flächenbedarf reduziert werden
konnte. Grundlegend für den interkommunalen
Finanzausgleich sind die ungleich verteilten Chancen und Belastungen der einzelnen Gemeinden
in der Stadtregion. Die Ausgestaltung der Fördermittel und der steuerrechtlichen Regelungen
des Bundes zugunsten einer nachhaltigen Stadtund Regionalentwicklung haben die kommunalen Handlungsspielräume wesentlich verbessert.
Maßnahmen wie die Einführung einer Flächennutzungssteuer, die Umschichtung der Verkehrshaushalte von Bund, Ländern und Gemeinden
zugunsten des Umweltverbundes, die Auflage eines Investitionsprogramms zur Schrumpfende und
wachsende Städte und Gemeinden in Deutschland Schaffung attraktiver kommunaler und regionaler Schienen- und Bussysteme, die Umstellung
der ÖPNV-Finanzierung aus der bisherigen Abhängigkeit von der Mineralölsteuer auf Nahverkehrs- und Nahverkehrserschließungsabgaben
sowie die verkehrsmittelneutrale Begünstigung der
Arbeitswege (Kilometerpauschale) anstelle der
jahrzehntelangen Bevorzugung der Pkw-Nutzung
entfalten zunehmend spürbare Wirkungen. Intensive Bemühungen um Mitwirkung der Bürger haben
die gesellschaftliche Einsicht in die Notwendigkeit
einer nachhaltigen Stadtentwicklung gestärkt und
den politischen Konsens zum Handeln gefördert
(Quelle: Städtebaulicher Bericht „Nachhaltige
Stadtentwicklung“ der BfLR, Bonn 1996)
818
Aus der Werkstatt
Bilanz und Ausblick
Eine nüchterne Analyse der Entwicklung
von Stadt und Land rund 15 Jahre später
bestätigt die Mitte der 1990er Jahre beschriebenen mittelfristigen Entwicklungstendenzen – wenn man so will, ein Beleg
für die Funktionstüchtigkeit der laufenden
Raum- und Stadtbeobachtung (s. Abbildung). Prägend für die Raum- und Stadtentwicklung in Deutschland ist heute ein
räumliches Nebeneinander von Wachstums- und Schrumpfungsprozessen.
Die Analyse zeigt, dass die mit wirtschaftsstrukturellem
und
demographischem
Wandel verbundenen Wachstums- und
Schrumpfungsprozesse die schon im Nationalbericht Habitat II 1995 erkannten
Herausforderungen an eine nachhaltige
Raum- und Stadtentwicklung noch verstärken. Jenseits der augenscheinlichen OstWest-Unterschiede findet Wachstum und
Schrumpfung kleinräumig nebeneinander
sowohl innerhalb der Stadtregion als auch
außerhalb statt. Im Osten konzentrieren
sich die schrumpfenden, im Westen die
noch wachsenden Städte. Besonders betroffen sind die Großstädte sowie die Mittelstädte außerhalb der Stadtregionen.
Auch wenn einige Entwicklungen des
Wunschszenarios 2010 heute schon Realität
geworden sind, bleibt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Raum- und Siedlungsentwicklung also noch viel zu tun. Jahrzehntelange Erfahrungen mit der Anwendung
des Planungsrechts zeigen, dass gesetzliche
Normen allein nicht ausreichen, um in der
Raum- und Stadtentwicklungspolitik den
Sprung von der Programmatik zum Vollzug
zu schaffen. Deshalb kann in der immer
weiteren Fortentwicklung des Planungsrechts nicht die Zukunft von Raum- und
Stadtentwicklung liegen. Auch eine auf
einzelne Projekte und Aktionen konzentrierte Politik allein kann nicht die Zukunft
sein. Das damit angestrebte, gelegentliche
Finden öffentlicher Aufmerksamkeit kann
nicht der Maßstab sein für Politikrelevanz,
für die Begründung von Raum- und Stadtentwicklungspolitik als Regierungsaufgabe.
Für die Verwirklichung einer nachhaltigen
Stadt- und Raumentwicklung sind gerade
unter instrumentellen Gesichtspunkten
aber weitere Anstrengungen notwendig. Im
Mittelpunkt müssen dabei die finanziellen
Anreize stehen. Die Städtebauförderung
kann hier als erfolgreiches Beispiel für eine
geglückte Kombination der beiden Maßnahmetypen „gesetzliche Normen“ und
„finanzielle Anreize“ gelten. Weitere wichtige Ansatzpunkte für eine ökonomische
Interventionspolitik sind die Förderung
des kommunalen Verkehrs (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz) und die beiden
Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur“ und „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (als wichtiger Eckpfeiler für
die Entwicklung ländlicher Räume).
Das Gemeinschaftswerk der nachhaltigen
Stadtentwicklung geht alle an. Die Rückbesinnung auf aktives Leben in attraktiven
Städten ist so auch das zentrale Ziel des neuen, 2007 vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS)
gestarteten Politikansatzes der Nationalen
Stadtentwicklungspolitik. Mit diesem Ansatz
bekennt sich die Bundesregierung zu ihrer
Verantwortung für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Dabei geht es nicht um neue
Kompetenzverteilungen. Gleichwohl muss
allen Ministerien deutlicher bewusst werden, dass ihre fachpolitischen Maßnahmen
Auswirkungen auf die Städte haben. Die Bemühungen der verschiedenen Fachministerien, die im Bereich Stadtentwicklung tätig
sind oder auf die Stadtentwicklung Einfluss
nehmen, müssen besser aufeinander abgestimmt und verknüpft werden. Mehr integrierte Stadtentwicklungspolitik ist künftig
gefragt und muss das Ziel sein.
Fazit
Raum- und Stadtentwicklungspolitik auf
Bundesebene sind ebenso wie gestern und
heute auch morgen wichtige Politikbereiche
zur Verwirklichung des Prinzips der regionalen Chancengleichheit und der Umsetzung
des Konzepts Nachhaltige Entwicklung.
Dies gilt umso mehr, da die Städte und Regionen in Deutschland noch ein gutes Stück
davon entfernt sind, nachhaltig zu sein.
Viele Ursachen der weltweiten ökologischen
Probleme wie z. B. des Klimawandels liegen
in den Industrieländern, nicht zuletzt in
deren nicht nachhaltigen Raum- und Stadtstrukturen, Produktions- und Konsummustern. Es gilt politische Problemlösungen
zu entwickeln, die zugleich Strategien der
Zukunftsverantwortung sind, d.h. sich am
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
Schrumpfende und wachsende Städte und Gemeinden in Deutschland
819
820
Aus der Werkstatt
Konzept nachhaltiger Entwicklung orientieren.
Um solche Strategien umzusetzen ist es
aber notwendig, aus tradierten Handlungsbahnen auszubrechen, sich auf eine Politik
einzulassen, die zunehmend in kooperativen und sich zwischen Akteuren selbstorganisierenden Prozessen stattfindet, auf
informative Kooperations- und Koordinierungsstrategien zu setzen, trotz oder gerade wegen der Finanzkrise der öffentlichen
Hände eine größere Zielkonformität raumwirksamer Mittel einzufordern oder auch
mitzuwirken an der Ausformung gesamtstaatlicher marktsteuernder Instrumente.
Alles in allem also müssen Raum- und
Stadtentwicklungspolitik auf Bundesebene
versuchen, neue Antworten auf alte Herausforderungen zu finden. Bleibt zu hoffen,
dass sich auch der politische Wille dazu einstellt, neue Antworten zu geben.
Epilog: Zur Rolle der angewandten
Forschung
Im Schauspiel „Raum- und Stadtentwicklungspolitik“ des Bundes spielt das BMVBS
die Hauptrolle. Eine tragende Rolle im Hintergrund spielt die Ressortforschung, vor
allem ausgefüllt vom wissenschaftlichen
Bereich des BBR als Ressortforschungseinrichtung dieses Ministeriums.
Selbstbewusst festzuhalten ist, dass ohne
sie, ohne Information und wissenschaftliche Beratung, viele Aufgaben in den vergangenen Jahren weniger gut gelöst worden wären. Wegen der sich kontinuierlich
Konrad Goppel
wandelnden Aufgaben, der engen Bezüge
zu anderen Fachpolitiken, der besonderen
Abhängigkeit von allgemeinen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen,
vor allem aber wegen der unmittelbaren
Bedeutung von Raum- und Stadtentwicklungspolitik für die Lebensverhältnisse der
Bevölkerung, die Umwelt und die Entwicklungsmöglichkeiten von Städten und Regionen ist eine qualifizierte wissenschaftliche
Politikberatung für diesen Politikbereich
besonders wichtig.
Bei dieser Aufgabenstellung ergeben sich
für das BBR drei Kernaufgaben, die eine
Einheit im Prozess angewandter Forschung
darstellen: eigenständige Bearbeitung von
Forschungsaufgaben; Planung, Begleitung
und Auswertung von Forschungsprojekten
innerhalb der Ressortforschungsprogramme des BMVBS; Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis.
Kontinuität im Wandel war und ist das
Überlebensprinzip für die frühere BfLR wie
jetzt für den wissenschaftlichen Bereich des
BBR. Auch künftig ist der wissenschaftliche
Bereich des BBR (oder das vorgesehene
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im BBR) gefordert, sich laufend
auf neue Politikberatungsinhalte, -situationen und -anforderungen einzustellen. Von
der Raum- und Stadtentwicklungspolitik
werden Konzepte, Maßnahmen, Instrumente zur Umsetzung einer nachhaltigen
Stadt- und Raumentwicklung erwartet. Es
gilt, dazu neue politische Handlungsfelder
und -formen zu erschließen, neue Antworten auf die bestehenden Herausforderungen zu finden – denn nicht immer lässt sich
mit Vergangenheit Zukunft gewinnen.
Zukunft braucht Vergangenheit
Die Zukunft ist der Ansporn jeglicher Planung, gleich ob sie ordnet oder entwickelt.
Es ist dem etwas Motivierendes, Ermutigendes zu eigen: ein wenig zuständig sein
für die Zukunft. Zukunft heißt Perspektiven, heißt Aufbruch, Wagnis auch und Mut,
Vorausschau mehr und weniger Rückblick,
heißt Offenheit und Bereitschaft für das
Kommende. Und überdies, zuständig zu
sein nicht für eine beliebige Zukunft, zuständig zu sein für die Zukunft des Raums,
des Landes also, dem man verbunden ist
und das den Einsatz lohnt.
Zukunft heißt freilich auch Ungewissheit,
kein sicherer Weg zum sicheren Ziel. Zukunft bedeutet mögliches Verfallsdatum für
Wohlerwogenes, Wohldurchdachtes und
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
Wohlgeplantes, Abschiednehmen vom gelobten Land und Aufbruch zu neuen, ungewissen Ufern. Von der „Hürde der Zukunft“
hat Martin Lendi zu Recht gesprochen, der
er die Raumentwicklung ausgesetzt sieht.
Bei aller beflügelnden Perspektive und aller
beklemmenden Unsicherheit, die demnach
mit der Zukunft für eine Disziplin wie die
Raumentwicklung verbunden sein mögen,
hat die Zukunft rückblickend naturgemäß
auch eine Vergangenheit. Und wenn sich
diese auch genau genommen erst dann als
solche erkennen lässt, nachdem die Zukunft zur Gegenwart geworden ist, so ist sie
doch von unbestreitbarer Relevanz: Gerade
die notwendige Verwegenheit und das systembedingte Wagnis einer zukunftsgerichteten Disziplin bedürfen der Vergangenheit
als Maßstab und Richtschnur. Was in ihr erfolgreich gedacht, geplant und verwirklicht
wurde, mag als Grundlage dafür dienen,
was auch in Zukunft Erfolg und Wohlfahrt
versprechen kann. Es darf in der Raumentwicklung keine Erbhöfe von immer schon
gehandhabten und lieb gewonnenen Instrumenten und Strategien geben, es müssen aber gleichwohl neue Wege und neue
gedankliche Ansätze an den Erfahrungen
der Vergangenheit gemessen und deren
strengen, verifizierbaren Maßstäben unterworfen werden. Dies selbstkritisch zu verinnerlichen, dürfte mancher abgehobenen
Raumwissenschaft und mancher selbstgerechten Deregulierungswut gut anstehen.
Was an Vergangenheit der Raumentwicklung gilt es sich nun bewusst zu machen?
Worin findet die Zukunft dieser Disziplin
ihre verlässlichen Wurzeln – und vor allem,
was davon kann eine solide Basis bilden,
um den gewagten Sprung in eine sicher
spannende, aber gleichwohl ungewisse Zukunft wagen zu können?
Als besondere Grunderfahrung der Vergangenheit, auf die sich die Zukunft der Raumentwicklung bauen lässt, erscheint mir
die Rechtsverbindlichkeit ihrer klassischen
Instrumente und deren strikte Beachtung.
Raumordnung hat abzuwägen, abschließend abzuwägen, wenn sie sich in Zielen
verfestigt. Sie hat sich um Akzeptanz zu bemühen, durch intensive Einbindung ihrer
Adressaten. Sie beteiligt neuerdings sogar
den Bürger, unbeschadet der fehlenden
Drittwirkung ihrer Instrumente. Das Ergebnis allerdings all des Bemühens um Einbindung und Teilhabe, um Überzeugung
821
und Verständnis muss dann auch Gültigkeit
beanspruchen, ist ein- und auszuhalten
von Politik und Verwaltung. Überall dort,
wo man diesen Grundsatz gelebt hat, wo
selbstbewusst nach ihm verfahren wurde,
hat Raumordnung und Landesplanung sich
in der Vergangenheit gegenüber divergierenden Fachinteressen durchgesetzt, hat sie
sich Ansehen und Respekt erworben und
auch Zuspruch und Unterstützung durch
die Rechtssprechung erfahren. Gerade diese Erkenntnis gilt es daher für die Raumentwicklung aus der Vergangenheit in die
Zukunft zu tragen.
Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen sind allerdings keine Leerformeln.
Maßgeblich ist der Inhalt dessen, was von
einer Disziplin vertreten wird. Nimmt man
hier das Maß der Vergangenheit, so war es
stets das Bemühen um die Schwächeren,
das der Raumentwicklung zum Verdienst
gereichte. Allein hieraus erwachsen ihr Legitimation und praktische Notwendigkeit.
Hierin hat sie seit jeher die dritte Säule der
Nachhaltigkeit, das Soziale vorausgeahnt.
Konzentriert findet sich dieses Bemühen
um die Schwächeren in dem Leitprinzip
der wertgleichen Lebensbedingungen, dem
Anliegen also, jedem Teilraum des Landes
und damit auch den strukturschwachen
Räumen in ihrem Wert vergleichbare Lebensbedingungen zu ermöglichen. Es mag
durchaus wieder in Mode gekommen sein
– etwa unter Verkennung oder bewusstem
Missbrauch des Gedankens der Metropolregionen – nur auf die starken Räume zu
setzen. Es mag dafür auch nachvollziehbare Argumente geben, etwa aus der Sicht
einiger der neuen Länder, die sich auf den
demographischen Wandel und fehlende Finanzmittel berufen und die ökonomische
Machbarkeit der wertgleichen Lebensbedingungen in Zweifel ziehen. Dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes jedenfalls
werden diese Ansätze nicht gerecht, und
die Zukunft der Raumentwicklung vermögen sie keinesfalls zu begründen. So kann
wohlverstandene Raumentwicklung immer
nur das gesamte Land zum Gegenstand haben, ganz abgesehen davon, dass die stark
strukturierten Räume einer Disziplin wie
der Raumentwicklung kaum bedürften.
Verdeutlicht man sich vor diesem Hintergrund die Instrumente der Raumentwicklung im Einzelnen, um Maß zu nehmen an
deren Erfolg oder Misserfolg in der Vergan-
822
Aus der Werkstatt
genheit und um diese dann wiederum zum
Maßstab der Zukunft zu machen, gilt es vor
allem die Regionalplanung zu nennen. Mag
sie auch die angefochtenste und vor allem
gerade von jenen, die ihrer im Besonderen
bedürfen, auch die meist gescholtene Planungsebene sein, so erscheint sie doch und
vielleicht gerade deshalb im Lichte der Vergangenheit als die am wenigsten verzichtbare. Gäbe es sie nicht bereits, sie müsste
für die Zukunft erfunden werden.
So ist den Kommunen sicher unbestreitbar hohe Kompetenz in der Bauleitplanung
zuzusprechen, über den Tellerrand der
Gemeindegrenzen werden kommunales
Selbstverständnis und Verantwortungsbewusstsein allerdings selten hinausreichen.
Es bedarf daher zwingend einer eigenen
regionalen Planungsebene, die sich die Erstellung eines Siedlungs-, Verkehrs- und
Freiraumkonzepts zum Thema macht, die
etwa den Abbau von Bodenschätzen regionsweit verbindlich regelt, die Nutzung
und Ausschluss von Windkraft sinnvoll zumisst und allgemein die Ansprüche an den
Raum sachgerecht ordnet sowie verträglich
verteilt. Es ist verständlich, aber keineswegs
hinnehmbar, dass die kommunalen Gebietskörperschaften als Träger und Normgeber der Regionalplanung die mit dieser
verbundene Möglichkeit, das Land und
sogar den Bund zu binden, gern wahrnehmen, aber die darin liegende zwingende
Konsequenz allerdings, an die getroffenen
Festlegungen auch selbst gebunden zu
sein, nur schwer zu ertragen vermögen. Vergleichbar vordergründig erscheint die Haltung jener Vertreter von Politik und Verwaltung, die der Regionalplanung deshalb mit
deutlicher Abneigung begegnen, weil sie in
vielen Fällen opportunen Wünschen und
Bestrebungen Grenzen setzt, die man gern
verwirklicht sähe, und denen es im Übrigen an Standhaftigkeit und Mut ermangelt,
selbst bei Erkenntnis von deren Fragwürdigkeit die erforderliche Gegenwehr zu leisten.
Dennoch oder gerade deshalb begründet
verantwortungsvoll wahrgenommene Regionalplanung ein gewichtiges Pfund aus der
Vergangenheit der Raumentwicklung, das
bis heute unverzichtbar ist und mit dem
auch in der Zukunft gewuchert werden sollte.
Schließlich sei noch ein Ansatz aufgegriffen,
der, aus der eher jüngeren Vergangenheit
der Raumentwicklung stammend, deren
Zukunft in besonderer Weise zu verbürgen
scheint. Es sind dies die sog. weichen Instrumente, wie Teilraumgutachten, Regionalmarketing und Regionalmanagement – im
Raum entstanden, aus dem Raum angestoßen und vom Raum selbst betrieben und
gehandhabt. Die staatliche Raumentwicklung ist hier nur Partner; sie begleitet und
unterstützt den Raum bei seinen Aktivitäten und teilt sich mit ihm den finanziellen
Aufwand.
Sicherlich werden diese Instrumente allein nicht die Zukunft der Raumordnung
garantieren können und als Grundlegung
und zwingende Begleitung der klassischen,
hoheitlichen Instrumente bedürfen. Und
sicher wird gegenüber ihren konfliktarmen,
beifallheischenden Verlockungen auch eine
gewisse Skepsis ratsam sein. Aber dennoch:
Sie setzen regionale Energien frei, sie bringen Motivation und Begeisterung der Menschen vor Ort ins Spiel, sie fördern Vernetzung und Kooperation statt Ausgrenzung
und Kirchturmdenken, sie führen zu Kreativität und Aufbruchsstimmung, statt trägem
Beharren und ängstlicher Weinerlichkeit.
Weiche Instrumente erscheinen damit bei
aller Unsicherheit, die neuen Wegen innewohnen mag, als ein verlässlicher Garant
künftiger Raumentwicklung, der in der jüngeren Vergangenheit seine Bewährung gefunden hat.
Mögen sich durchaus auch noch weitere
Grundfesten räumlicher Planung aufspüren
lassen, so dürften allein schon die erwähnten genügend deutlich machen, dass sich
eine auch noch so unbestimmte Zukunft
von Aufgabenstellung und Inhalten dieser
Disziplin auf hinreichend konkrete und
bewährte Erfahrungen der Vergangenheit
gründen lässt.
Diese Verankerung in einer bewährten Vergangenheit mag allen Raumplanern die Zuversicht geben, dass weder ihr Instrumentarium noch dessen Inhalte die ungewisse
Zukunft zu fürchten haben.
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
823
Spurensuche in Zeiten der Ungewissheit
Jeder Rückblick betrachtet und bewertet
frühere Aktivitäten anders, als sie seinerzeit
gesehen wurden. Heute verfügen wir über
eine andere Sicht, weil sich inzwischen weitere Erfahrungen angesammelt und stark
veränderte Verhältnisse eingefunden haben. Wenn ich das reflektiere, was ich seit
den 1970er Jahren mit all dem bewirkt haben könnte, was ich inszeniert und zu Papier gebracht habe, so stoße ich nicht nur
auf ein erhebliches Messproblem. Ich stoße
auch auf das Dilemma, dass ich sowohl die
Aufbruchstimmung als auch die Erkenntnisschranken der früheren Zeit zu berücksichtigen habe, wenn ich die Aussagen nun
überwiegend mit heutiger Brille interpretiere, die ihrerseits in gewisse Stimmungen
und Schranken, wenn auch andere (kurzlebigere) eingebettet ist. Ich stoße zudem
auf eine Art eingebauter Enttäuschung, die
wir offenbar immer gleich mitproduzieren,
wenn wir über Gegenwärtiges hinausweisen und hinauskommen wollen (und das
wollten wir!), und die sich doch ganz sachbezogen einfach dadurch ergibt, dass zwischen normativem Bemühen und erreichbarer praktischer Folge eine Diskrepanz
klafft und immer klaffen wird.
Als ich 1982 nach Bamberg berufen wurde,
konnte mir noch ein Fachgebiet mit der
Bezeichnung „Sozialplanung“ im Rahmen
des Soziologie-Studiengangs zugeeignet
werden. Trotz breiter theoretischer Fundierung 1 und einer Erweiterung auf Themen
der Stadtforschung war schon nach wenigen Jahren zu erkennen, dass das Etikett
einer gesellschaftlichen und sozialen Planung nicht mehr griff, weder theoretischsoziologisch noch praktisch-planerisch; die
Absolventen blickten sich ratlos auf dem
Arbeitsmarkt um und steuerten andere Häfen an. Hätte man dies schon bei der Widmung der Stelle wissen müssen? Bietet die
Erweiterung um „Urbanistik“ die Gewähr
für eine dauerhafte Tragfähigkeit? Ich jedenfalls hatte mich darauf eingelassen, erlebte
die drohende Irrelevanz als Abseits in der
sozialwissenschaftlichen Community und
wollte doch aus tiefer Überzeugung daran
festhalten, den Studierenden die Voraussetzungen für normative Entwürfe einer „besseren“ Gesellschaft zu liefern und diese zu
erproben. Heute meine ich, dass an einem
Karl-Dieter Keim
solchen Anliegen – abgesehen von dem
Auf und Ab der gesellschaftlichen Nachfrage – mit den Aufgaben und Möglichkeiten
einer Fachprofessur nur im mehrjährigen
Verbund mit anderen Einrichtungen befriedigend gearbeitet werden kann; man sollte
sich lieber bescheidenere Ziele setzen.
Immerhin: Im Jahr 1987 ließ sich, mit guter
Mobilisierung von Fachkompetenz und örtlicher Kommunalpolitik, ein „Wiesbadener
Forum zur Stadtentwicklung“ organisieren.
Mit den Erfolgen der „Grünen“ schien wieder so etwas wie eine Aufbruchstimmung
aufzukommen. Aus den Referaten und Debatten entstand damals eine Publikation 2
mit verschiedenen Ansätzen einer neuen
Steuerungs- und Reformstrategie, zentriert durch das theoretische Konzept einer
„selbst-produktiven Gesellschaft“ (Touraine). Die Stadt trat als kulturelles Produkt
und Projekt in den Blickpunkt. Resonanz
gab es reichlich, doch die möglichen Wirkungen wurden ab Ende 1989 völlig überlagert durch den Prozess der deutschen
Einigung. Andere Konzepte traten in den
Vordergrund. Die Renaissance der „civil
society“, erst auf der Makroebene, später auch lokal und regional, eröffnete die
Chance, die Bedingungen für eine „selbstproduktive Gesellschaft“ weiterzuverfolgen.
Seitdem sind dazu zahlreiche Ausarbeitungen entstanden, auch praktische Erfahrungen traten hinzu – es bleibt der Eindruck,
dass zivilgesellschaftliche Ansätze oft zu
ungenau ausfallen, um Analysen mit überprüfbaren Befunden leisten zu können.
Mit der Wende begann ein neues Spiel.
Zwar gab es auch schon in den 1980er Jahren gelegentliche Begegnungen mit DDRKollegen, gab es Soziologen, die Bekannte
im Osten hatten und ab und zu dorthin
reisten, doch im Grunde genommen war
es ein totaler Neubeginn. Ich erinnere mich
noch, wie sich das anfühlte: Es war, als sei
man lange Jahre einen Weg gegangen, dessen Kontext einem vertraut war. Jetzt lehrte
der historische Einschnitt, dass dieser Weg
nicht mehr weiterführte – ein ganz anderer war zu beschreiten, und dessen Kontext
war unbekannt. Dieses Gefühl erfasste diejenigen unter uns stärker, die sich damals
entschlossen, im deutschen Osten tätig zu
(1)
Dazu zählten, ähnlich wie bei
Bernhard Schäfers i. d. H., Texte
von Karl Mannheim, Friedrich
Tenbruck, Charles E. Lindblom,
Fritz W. Scharpf, Alain Touraine,
Amitai Etzioni, Manuel Castells
und John Friedmann.
(2)
Siehe hierzu Keim, K.-D. (Hrsg.):
Arbeit an der Stadt. Plädoyers
für eine selbst-produktive Politik
der Stadtentwicklung. – Bielefeld 1989
824
(3)
K.-D. Keim (Hrsg.): Aufbruch
der Städte. Räumliche Ordnung
und kommunale Entwicklung in
den ostdeutschen Bundesländern. – Berlin 1995
Aus der Werkstatt
sein. Nun galt es, neue Zukunftsthemen
erst einmal zu erschließen. Es half nicht
so recht, einfach mit den herkömmlichen
Analyseansätzen und -begriffen vorzugehen; genau das aber geschah reichlich. Es
bedurfte einer neuen Begrifflichkeit von
Transformation, von Anpassungsverhalten, von nachholender Modernisierung,
von dürftiger Demokratisierung, von zähen
Mentalitätsmustern. Jahre waren nötig, um
diese Begrifflichkeit zu erarbeiten.
(„multiple self“) verkörpern, wenn sie zudem kooperativ und als strategische Akteure
auftreten. Welche Angebote gab es hierzu?
Wie haben die Kommunen sie aufgegriffen?
Aus heutiger Sicht meine ich: Trotz zutreffender Charakterisierungen erwies sich der
normative Rahmen als zu anspruchsvoll; er
hat wissenschaftlich wenig Weiterarbeit mit
den vorgeschlagenen Kategorien ausgelöst
und politisch und öffentlich keine Resonanz hervorgerufen. Also l’art pour l’art?
Die für dieses Heft zentrale Frage nach der
Zukunftsbedeutung früherer Konzepte besitzt auch eine wichtige institutionelle Seite. Wissenschaftliche Standorte und Perspektiven können in Instituten viel besser
„auf Dauer“ gestellt werden (was ihre permanente Revision einschließt) als bei Professuren mit wenig stabilen Ressourcen. In
meinem Fall war der Neubeginn mit der
Gründung des heutigen Leibniz-Instituts
für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner bei Berlin verbunden.
1991 wurden drei solche Institute der Blauen Liste in Ostdeutschland gegründet; sie
verkörpern inzwischen eine beachtliche Kapazität der (außeruniversitären) raumwissenschaftlichen Forschung. Zusammen mit
der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) bilden sie einen Verbund
und konnten sich so in Politik und Öffentlichkeit mehr Gehör verschaffen, als dies
den einzelnen Professuren seither möglich
war. Erwiesen sich ihre Ausarbeitungen als
relevant?
Keineswegs. Heute zeigt sich, dass dieselben Fragen unter neueren begrifflichen Vorzeichen weiterverhandelt werden. Dies lässt
sich vor allem an den zahlreichen Governance-Konzepten zeigen. Sie enthalten, da
es nicht nur um Regierungs-Akteure geht,
auch zivilgesellschaftliche, also selbst-produktive Ansätze, und sie geben der räumlichen Planung eine andere theoretische
Einbettung, die auf längere Sicht eher zu
einer Annäherung an angelsächsische Auffassungen hinführen wird. Auf diese Weise
wird sich nach und nach auch eine stärkere
Internationalisierung unseres Fachgebiets
herausbilden, was auch nötig ist.
Die Frage nach der Leistungsfähigkeit der
ostdeutschen Kommunen und das Ausmessen des künftigen Handlungsraums der lokalen Politikarena standen im Mittelpunkt
einer IRS-Veröffentlichung 3; die Autoren
waren angetreten, um wissenschaftlicher
Beratung und kontextsetzenden Fachpolitiken eine Orientierungshilfe zu bieten. Als
ein gemeinsames Situationsmerkmal in der
Phase der Transformation galt die Ungewissheit (Unsicherheit). Dieses Merkmal wirkte
sich nicht nur auf die Charakterisierung der
Realität als fragil und auf eine Vorläufigkeit
verwendeter Begriffe und Konzepte aus, es
stellte auch zwingend die Frage, wie Akteure lokal- und regionalpolitisch verfasst sein
sollten, um in ungewissen, unübersichtlichen Situationen erfolgreich handeln zu
können. Kommunen wurden eher Chancen
eingeräumt, wenn sie mehrere Identitäten
An dieser Stelle möchte ich mit Nachdruck
dafür plädieren, die Beurteilung früherer
Ansätze bei Sozialwissenschaftlern und bei
Planern (beiderlei Geschlechts) systematisch zu unterscheiden. Der oftmals enge
Dialog zwischen beiden und die durchaus
bemerkenswerten gemeinsamen Projekterfahrungen verschleiern allzu leicht, dass
es hierbei um zwei alternative Funktionen
geht.
Für Soziologen und Politikwissenschaftler
– das gilt wohl begrenzt auch für Humangeographen – steht die Analyse im Vordergrund, auch normative Theorien sind
zunächst einmal hinsichtlich ihrer empirischen Realisierungsformen, ihrer Instrumentalisierungen, ihrer Verwendungs-Selektivität und ihrer Bedeutung für Diskurse
zu untersuchen. Dieser analytische Vorrang
lässt sich nur einlösen, wenn ein erheblicher Anteil der Forschungskapazität hierauf gerichtet (und gefördert) wird. Wie ist
das für die letzten zwanzig Jahre zu beurteilen? Wie viele Studien sind analytisch,
wie viele sind konzeptuell angelegt worden,
mit welchen Wirkungen? Aufbereitete Daten dazu gibt es nicht, jede Aussage hierzu
wäre spekulativ. Doch festzuhalten bleibt:
Erst nachgeordnet, von Fall zu Fall, wird es
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
(meist in Kooperation mit anderen Disziplinen) sozialwissenschaftlich um das Entwerfen von Steuerungs- und Planungskonzepten gehen, ob allgemeiner oder konkreter
Art. Dazu zählen auch Sozialexperimente.
Diese normativen Konzepte hingegen
bilden den Hauptanteil des Wirkens der
Planerkollegen und -kolleginnen. Bei ihnen
lässt sich meinem Eindruck nach besser
ausfindig machen, inwieweit ihre Vorschläge und Entwürfe realisiert worden sind,
welche längeren Wirkungen sie hervorgerufen oder welche Kräfte ihre Umsetzung
verhindert haben.
Die disziplinäre Differenz verdeutlicht noch
einmal, dass es bei einer Würdigung der
früheren Arbeiten in wissenschaftlicher
Sicht um eine Beurteilung des erzielten
Erkenntnisgewinns gehen muss. Meiner
Auffassung nach sind durch die zahlreichen Studien, Konzepte, Umfragen und interdisziplinären Forschungen in der durch
Transformation und Globalisierung drastisch veränderten deutschen Raumszenerie
umfangreiche neue Erkenntnisse gewonnen worden. Doch nach und nach schälte
sich auch eine schwere Hypothek des neuen Zeitgeists heraus: Es fehlt strukturell an
der konzisen Bearbeitung grundlegender
Theorieansätze, an Konzeptualisierungen
und synthetischen Auswertungen von empirischen Befunden. Das meiste Tun in
unserem Fachgebiet zerfällt in individuelle
Aktivitäten, anscheinend beliebig zu steigern und beliebig zu ersetzen, und diese
Haltung ist selbstverständlich dem Konkurrenz- und Karrierezwang geschuldet. Ich
bin überzeugt davon, dass dies nur anders
ist, wo es zu mehrjährigen gemeinsamen
Forschungsprogrammen kommt – was leider selten der Fall ist.
Andererseits gibt es keinen Grund, warum
es – unabhängig von einer mittelfristigen
Forschungsprogrammatik – um die wissenschaftlichen Produkte anders bestellt
sein sollte als zum Beispiel um die Produkte der Belletristik, der Filmkunst oder von
Städtebau/Architektur: Manches setzt sich
durch, das meiste hat eine Aufmerksamkeitszeit von ein, zwei Jahren und ist dann
nur noch im „Speicher“ vorhanden, aber je
nach Bedarf auch wieder rückhol- und aktualisierbar. Das ist der Rhythmus der intellektuellen Fortschrittsmelodie. Auch hier
also hohe Ungewissheit, und niemand weiß
825
zu sagen, ob das, was sich im Mainstream
durchsetzt, aus späterer Sicht tatsächlich
einen Fortschritt bedeutet.
Wenn allerdings nicht der Erkenntnisgewinn angestrebt wird, sondern Arbeiten für
die praktische Politik und Planung durchgeführt werden, schalten wir einen anderen
Scheinwerfer ein. Dann fragen wir: Gelang
es den Experten, ihre Vorstellungen (die im
besten Fall auf neuem Erkenntnisgewinn
fußen) gegenüber einer verharrenden oder
ideologisch gesteuerten Politik und einer
im bürokratischen Routinehandeln befangenen Verwaltung durchzusetzen? Da wird
jede Bilanz enttäuschender ausfallen, auch
wenn sich viele Anhänger bemühen, der
Tradition der deutschen Raumforschung
gemäß möglichst politiknah tätig zu sein.
Das ist zwiespältig.
Wer Politiknähe sucht, gibt im Grunde den
Anspruch auf, ein auf unabhängige Weise produziertes raumwissenschaftliches
Wissen zu erarbeiten und es ebenso unabhängig in die Politikarena oder die Öffentlichkeit zu transferieren. Soll dadurch Ungewissheit in der Verwendung von Wissen
reduziert werden? Oder geht es eher um
einen machtbestimmten Gestaltungsanspruch, um ein Bewegenwollen? Wer in einer Behörde arbeitet, ist ihren Regelsystemen unterworfen, das versteht sich. Doch
hier spreche ich von der eigenen Sphäre
des kulturellen Teilsystems Wissenschaft.
Ich nehme für mich in Anspruch, über viele Jahre alle Facetten des normativen Handelns eines Wissenschaftlers ausgelotet zu
haben. Mein Fazit lautet: Wissenschaftler
sollten nur das öffentlich und politisch vertreten, was sie mit guter Begründung als
ihr gesichertes Fachwissen und als Ergebnis ihrer (methodisch gut durchgeführten)
Untersuchungen erarbeitet haben. Alles
andere zählt zur aktiven Bürgerrolle ohne
wissenschaftliche Legitimation. Das was sie
anzubieten haben, sollten sie allerdings anwendungsorientiert und in Praxisvorhaben
auch bereitstellen und konstruktiv-kritisch
kommunizieren.
Ich bewerte es als positiven Lerneffekt der
letzten 15 Jahre, dass inzwischen das Verständnis für ein unabhängigeres raumwissenschaftliches Arbeiten zugenommen hat.4
Mehr Politikferne schwächt die fundierte
Beeinflussung der Raumpolitik nicht, sondern stärkt sie. Dies ließe sich besonders
(4)
Dies wird näher ausgeführt in
Keim, K.-D.: Das Fenster zum
Raum. Traktat über die Erforschung sozialräumlicher Transformation. – Opladen 2003,
Kap. 3 und 4; ders.: Besondere
Stellung raumbezogener Wissenschaftsdisziplinen. In: Zur
Zukunft ländlicher Räume. Entwicklungen und Innovationen in
peripheren Regionen Nordostdeutschlands. Hrsg.: Hüttl, R.;
Bens, O.; Plieninger, T. – Berlin
2008, S. 88–95
826
Aus der Werkstatt
dadurch demonstrieren, dass im Politikbereich der Raum-, Regional- und Stadtentwicklung alle zwei oder vier Jahre ein
unabhängiges Sachverständigengutachten
erarbeitet wird (wie in anderen Ministerien
üblich), das die zuständige Regierung nicht
ummodelt, sondern nur kommentiert.
Thomas Kontuly
Von Heinrich Böll stammt der Satz: „Das
Wirkliche liegt immer ein wenig weiter als
das Aktuelle.“ Welch ein Motto für die nahe
Zukunft eines Fachgebiets, dessen Fortentwicklung bereits in der Vergangenheit immer wieder formuliert worden ist!
Changing interregional human settlement
patterns in Germany and other developed
countries
Twenty-five years ago, Roland Vogelsang
and I embarked on a research trajectory
that investigated the processes of interregional change in the old Federal Republic of
Germany (FRG). Research on the existence
of an possible “new” trend of population
deconcentration in the USA1 generated a
great deal of interest world-wide and motivated the question of whether this process
was international in scope and was occurring in other highly industrialized countries 2. The European literature adopted
Berry’s 3 term of “counterurbanization” to
characterize this new phenomenon, while
in the USA it was called the migration or
population “turnaround”. Researchers from
economics, demography, geography, regional science, rural sociology, and sociology contributed to this body of work.
Research on this new trend completed
with Daniel R. Vining, Jr., at the comparative level 4, suggested the possible existence
of interregional deconcentration in the old
FRG, and the next step in better uncovering the reasons for and explanations of this
process was to undertake this investigation
at the individual country level. There were
several advantages to do so on the old FRG.
The first was the existence of a central place
urban structure, second was the existence
of a set of functional urban delimitations,
and third was the availability of high-quality, yearly internal migration data disaggregated by age. If this research thrust proved
to be correct, there could be far-reaching
implications for future human settlement
patterns in Germany and in other highly industrialized countries.
Investigating this process in the old FRG,
an interregional or spatial deconcentration
of human population was discovered in
the 1970s and this process was found to be
distinct from the process of suburbanization.5 In this Informationen zur Raumentwicklung article, the terms interregional/
spatial/regional deconcentration and counterurbanization will be used interchangeably.
Then the USA experienced a migration
“turn-back-around” during the 1980s,
and reverted to traditional patterns of urbanization.6 Other developed countries
showed either continuing or a new pattern of counterurbanization7 or a return to
urbanization. The original euphoria surrounding the possibility of a new trend of
population deconcentration, in the developed world, dampened as a result of these
findings on the 1980s. However, since the
findings were not conclusive and did not
indicate a clear, dominant trend in one direction or another, this research trajectory
continued.
The old FRG closely followed the changing
patterns of interregional movement identified in other developed countries. Between
1970 and 1984 a trend toward greater interregional deconcentration occurred in West
Germany, measured in terms of a net shift
down the urban size hierarchy from large
to small-sized metropolitan regions.8 This
shift occurred within the context of a northto-south redistribution of population that
occurred at the scale of the entire country
and that reflected the economic and industrial transformations taking place in the
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
old FRG. A shift back toward interregional
concentration or an urbanization tendency,
with net migration occurring up the urban
size hierarchy, started in 1985 and continued through 1988.9 As the result of these
changes it was not clear if regional tendencies in the old FRG were returning to traditional patterns of concentration, were a
temporary postponement of deconcentration tendencies or represented alternating
cycles of spatial concentration and deconcentration. Other researchers also investigated the phenomenon in the old FRG and
provided additional evidence of interregional population deconcentration.10
Then, reunification impacted the patterns
of interregional change in Germany. During the years 1989 to 1994, a major relocation of the German population occurred
from the eastern to the western part of the
country.11 An interregional deconcentration
of the population was found once again for
the western part of Germany during the
post-unification period of the 1990s; Eastern Germany, on the other hand, showed
interregional population concentration.12
A similar trend also occurred in the old
German Democratic Republic during the
1980s.13
How did the situation in West Germany
compare to the changes experienced by
other European countries? Using an international comparative perspective, over
the period of the 1970s, 1980s, and 1990s,
Kontuly 14 classified eighteen European
countries based on their tendencies of regional population change. An urbanization
trend was equated to regional population
concentration while regional population
deconcentration was considered the same
as counterurbanization. A six-part classification15 divided the eighteen countries into
the following:
• Czechoslovakia, Germany (East) and Portugal – strong urbanization during
the 1970s, 1980s, and 1990s
• Finland, Ireland and Norway – slowing
urbanization during the 1970s
• Spain – slowing urbanization during the
1980s
• Belgium, Denmark, France, Iceland, the
Netherlands, Sweden and Switzerland –
counterurbanization during the 1970s
• Austria, Germany (West) and Italy –
counterurbanization during the first half
of the 1980s
827
• Greece – counterurbanization in the
second half of the 1980s.
After the year 1985, changes were found to
be “complex” 16 with
• Finland, Ireland and Norway – returning
to strong urbanization
• Austria, Iceland and the Netherlands –
returning to urbanization from a prior
counterurbanization trend
• Denmark, France, Greece and Italy –
showing continued counterurbanization
• Belgium, Germany (West), Spain, Sweden and Switzerland – showing no clear
trend in one direction or the other.
So, West Germany was one of several European countries that exhibited counterurbanization during the 1980s, but then
showed no clear tendency after 1985.
Britain was the only European country
showing a consistent, long-term trend of
counterurbanization that started as early as
1950 and lasted until 1991.17
In a 2003 comparative study of fifteen European Union member countries, Panebianco
and Kiehl 18 concluded that during the 1980s
and 1990s regional population trends in
Europe did not show a single tendency toward either concentration or deconcentration. Also, they commented that research
on the existence of counterurbanization
in Germany is a rather controversial topic,
with several researchers, such as Bade 19 and
Bade et al.20, contending that the deconcentration of economic activity worked against
the large agglomerations, and others such as
Klemmer 21, Stahl 22, and Irmen and Blach23
do not see a great deal of potential for economic growth in the rural regions. They 24
concluded that while the above-average
performance of rural areas in Germany
represents counterurbanization, the aboveaverage development of urban regions also
represents a form of renewed urbanization
or a form of re-urbanization.
The controversial nature of this debate continues today. As an example, Gatzweiler
and Schlömer 25 contend that the re-urbanization trend recently seen in Germany will
not continue into the future.
Research on the counterurbanization topic
continues on the European countries of
Estonia, France and Spain.26
828
Aus der Werkstatt
In an attempt to help unravel this mystery, Kontuly and Dearden 27 used the differential urbanization model 28 to understand interregional change 29 in the old
FRG. Counterurbanization is imbedded
as a separate stage in the broader differential urbanization model, and the model
is useful as a tool for investigating change
in the entire settlement system of the old
Federal Republic of Germany (FRG). The
model distinguishes between large, medium and small-sized urban and metropolitan regions and hypothesizes that these
regions pass through successive temporal
stages of rapid and slow growth. The three
stages are labeled as urbanization, polarization reversal and counterurbanization, with
the urbanization stage characterizing a period of regional population concentration
while the polarization reversal and counterurbanization stages depict periods of population deconcentration. The model suggests
that the temporal sequence is the following:
from urbanization to polarization reversal
to counterurbanization, and this sequence
represents the first phase of the model.
After completion of the first phase, the second phase begins.
The differential urbanization model was
found to accurately characterize regional
population change in Western Germany
between 1939 and 2010 and a progression
through the stages of the model was evident
as a “consistent tendency in a general direction” 30. Between 1987 and 1995, regional
population deconcentration was apparent in all of western Germany in the form
of polarization reversal. During the stage
of polarization reversal, medium-sized regions grow faster than large metropolitan
and small-sized regions. Using projected
regional population data, it was predicted
that western Germany would experience
counterurbanization between 1995 and
2010.31
Then, utilizing the differential urbanization
model to investigate yearly variations in net
internal migration rates between 1970 and
1988, changes in the national settlement
system of the old FRG were also found to
correspond with the temporal expectations
of the model. By 1986 the settlement system in western Germany passed through
the first phase of the differential urbanization model and entered the second phase.
In addition, transitions from one stage of
the model to another, or temporal change,
occurred over very short periods.32 The two
studies mentioned above 33 provide examples of the potential of using the differential
urbanization model to understand better
the complex temporal changes of a settlement system in a developed nation. These
studies also suggest that regional change in
the old FRG and in Unified western Germany can be represented as alternating cycles
of regional concentration and deconcentration.
In keeping with the theme of this special
issue to evaluate research trajectories as
topics that at one time were important and
then passed out of consequence, it can be
said that the investigation of interregional
change in western Germany remains alive
and well. The interregional deconcentation
of population, identified by Kontuly, Wiard
and Vogelsang 34 in the old FRG during the
1980s, was disturbed by political unification, and then returned in the western part
of unified Germany during the 1990s. This
paper argues that the differential urbanization model provides a better understanding
of past temporal change in a national settlement system and is useful in establishing educated guesses about future change.
It suggests that interregional change can
be represented as alternating cycles of concentration and deconcentration. Also, temporal change appears to occur much faster
than originally expected, with this acceleration possibly due to the process of globalization.
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
829
References
(1)
Berry, B. J. L.: The counterurbanization process:
how general? In: Human Settlement Systems:
International Perspectives on Structure, Change
and Public Policy. Hrsg: Hansen, N. M. - Cambridge, MA 1976, S. 25-49; Beale, C. L.: The
recent shift of United States population to nonmetropolitan areas, 1970-75. International Regional Science Review (1977) 2, S. 113-122;
Vining, D. R. Jr.; Strauss A.: A demonstration that
the current deconcentration of population in the
United States is a clean break with the past. Environment and Planning A (1977) 9, S. 751-758;
Fuguitt, G. V.; Beale, C. L.: Population Trends in
Nonmetropolitan Cities and Villages in Subregions
of the United States. Demography (1978) 15,
S. 605-620
(2)
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(33)
Kontuly, T.; Dearden B.: Testing the temporal
characterization, log.cit.; Kontuly, T.: Changing
relationships between urban and rural places in
Germany, log.cit.
(34)
Kontuly, T.; Wiard, S.; Vogelsang, R.: Counterurbanization in the Federal Republic of Germany,
log.cit.
830
Aus der Werkstatt
Sang Jun Lee
German unification and Korea
Transformation and integration
Transformation and its social and economic consequence were major issues of social
science in Germany and Central and Eastern
Europe in the 1990s. Especially German unification brought various issues and research
items not only to German researchers but
also to Korean ones. Many politicians and
scholars in South Korea argued that various
aspects of German unification should be
reviewed for preparing Korean unification
in the future. In this regard, research works
concerning transition economies became
very popular not only in Europe but also in
South Korea. Many papers about German
unification and transition economies were
published in the 1990s. Although outputs
concerning transition economies were reduced in the 2000s, many Korean researchers believe that the theme of unification and
integration is one of the most important
issues on the Korean peninsula.
As seen in the German case, South and
North Korea are expected to face many obstacles in the course of integration after unification. I am not sure whether the German
case is the best model of unification for the
two Koreas. However, it is evident that the
German case gives us valuable insights of
unification and integration on the Korean
peninsula.
Many Korean unification experts said that
we should not repeat the way of German
unification on the Korean peninsula because two Germanys were unified by a radical way and the social and economic costs
were enormous. However, two Germanys
were unified peacefully. Since a peaceful
unification may be the best way of unification for the two Koreas, we need to learn the
German way of unification. The German
experience will help us to avoid the mistakes in the process of integration of the
two Koreas.
Urban and regional consequences
of unification
Unification brought many issues concerning transformation and integration in the
former GDR (German Democratic Repub-
lic). Since 1990, many cities in the former
GDR have been confronted with drastic
challenges such as a massive loss of jobs in
the secondary sector. According to empirical studies on the German unification and
on transition economies, transformation
did not only bring social but also spatial
changes. Restructuring social and spatial
systems in transition economies was one of
the major issues in the 1990s.
The experience of transition economies
showed that marketization, privatization
and economic globalization are defined
as the key variables determining the postreform spatial development in transition
economies. Marketization in land and
housing and privatization of enterprises by
attracting foreign investment in transition
economies have begun to change the scene
of urban and regional development. Suburbanization and revitalization of central
areas through a growth of commercial areas
in large cities in the former GDR and Central and Eastern Europe were spatial consequences of marketization, privatization and
globalization. Suburbanization was one of
the spatial consequences of the changing
spatial behavior of private enterprises affected by special transformation measures
like the privatization of land ownership and
state-owned enterprises. However, it also
brought negative impacts such as shrinking
central areas and diminishing green areas
around large cities. After the privatization of
land and state-owned enterprises, a pattern
of diverse and intensive land use developed
in the former GDR and Central and Eastern
Europe.
Although the former GDR and countries in
Central and Eastern Europe had similarities
in many aspects of transformation, the role
of the government was apparently different. The Federal Government of Germany
played a more important role in transformation than that of Central and Eastern Europe. Many foreign experts agreed that the
former GDR had been transformed more
successfully than the other former socialist
countries in Central and Eastern Europe. I
think that one of the factors, which brought
success to the former GDR, was a deep engagement of the Federal Government in the
process of transformation.
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
In the 1990s, many policy instruments for
urban and regional development including urban renewal programs were implemented in the former GDR and they played
an important role in improving the living
environment of regions. Especially many
old dwellings of inner city areas were fully
or partially renovated and the living conditions in the inner city were improved significantly.
One of the most important problems of
German unification were social and spatial
disparities, which were direct consequences of transformation. Although the Federal Government has implemented many
policies designed for a balanced regional
development in the former GDR since 1990,
a rapid economic transformation brought
serious problems such as regional disparities.
At the time of German unification, economic disparities in the former GDR were
not more serious than in the former FRG
(Federal Republic Germany). The former
GDR has been developing with high economic growth rates since unification, but
a balanced regional development has not
yet been achieved. In the beginning of the
transformation process, the reduction of
jobs in rural areas and in so-called old industrial regions was higher than in other
regions in the former GDR.
The gap of economic power between rural
regions like Mecklenburg-Western Pomerania and agglomerated regions like Berlin
became more acute in the 1990s. Especially
old industrial regions in Sachsen-Anhalt
suffered a reduction of jobs and a lack of
new investments in the context of a process of industrial restructuring. The process
of economic transformation and its spatial
consequences in the former GDR showed
the costs of unification and integration.
Some lessons and tasks for Korean
planners
Like the former GDR, North Korean people
will have to overcome many difficulties including those arising in the globalisation
process as well as in the process of transformation and integration. I think that one of
the most serious problems with spatial policies after German unification was a lack of
comprehensive and integrated policy meas-
831
ures for urban and regional development.
Only sectoral investments were planned
and implemented. Some plans, which were
established under political consideration,
had negative consequences. In many areas
in cities, it became necessary to remove vacant dwellings which already exceeded the
demand. In general, urban development
measures should be based on a solid demand. Therefore, policy measures to promote infrastructure development should be
established in respect of changing demands.
The German case reveals the importance of
adequate and integrated policy measures
for urban development.
The German experience in the spatial context gives us two important implications.
First, we should consider a balanced regional development as one of the most
important policy objectives in the process
of economic integration after unification.
Changing industrial demand and geographic characteristics of cities and regions are
the main factors which might play an important role in urban and regional development in the process of transformation.
If policy measures concerning privatization and marketization are implemented in
North Korea, the winners and losers among
North Korean cities might become more
apparent. Economic problems such as high
unemployment and low investment might
be more serious in cities that are based
on heavy industries than in other cities.
Furthermore, cities, which have poor geographical conditions, would face problems
of low investment. South Korea has experienced the negative effects of economic and
population concentration in the Seoul metropolitan region for the last three decades.
To achieve a balanced urban development
in North Korea in the future and to attract
foreign investments, the improvement of
infrastructure in cities, which have poor
geographical conditions and are specialized
in heavy industries, should be considered
as one of the most important policy targets.
In order to achieve a balanced regional development, an active and adequate role of
the central government is very important.
Second, integrated policy measures for preventing urban sprawl and enhancing the
living conditions of urban areas should be
prepared to achieve a sound spatial development and to enhance the competitive-
832
Aus der Werkstatt
ness of cities. Minimizing the destruction
of green areas should not be neglected in
the process of transformation. The German
case shows the importance of living conditions in the transformation process. While
the maintenance and creation of jobs will be
the most urgent issue in the transformation
process in North Korea after unification,
they should be promoted in combination
with the creation of good living conditions.
In this regard, an improved living environment in cities of North Korea should be
considered as an important factor for rebuilding the economy of North Korea.
Thomas H. Morszeck
Horst Degenkolbe
Apparently, unification might provide an
opportunity for the two Koreas. However,
the problems and challenges arising from
unification might be more extensive and
difficult than expected. Therefore, careful
preparations for unification are essential
for minimizing the negative effects and
costs of unification. This is a reason why we
are concerned with failures and successes
of Germany. Winds of change coming from
Germany would bring us a chance for building peace and prosperity on the Korean peninsula. It depends on our willingness.
Fachinformation für Raumordnung,
Städtebau, Wohnungswesen und Bauwesen
Vom IuD-Programm bis zum Web 2.0
Geht man davon aus, dass die Gegenwart
die Schnittstelle zwischen Vergangenheit
und Zukunft darstellt, dann beschreiben
die letzten 25 Jahre – unter Einbeziehung
der Gegenwart – stets die Vergangenheit der
Zukunft. Ganz besonders gilt das für die rasante Dynamik im Umfeld des Internets, das
die technische Entwicklung der gesamten
Fachinformation entscheidend geprägt hat.
Daneben beeinflusste in diesem Zeitraum
eine Reihe politischer Vorgaben die Aufgaben und Zielsetzungen der Fachinformationseinrichtungen.
(1)
Der Bundesminister für Forschung und Technologie: Programm der Bundesregierung
zur Förderung der Information
und Dokumentation (IuD-Programm) 1974–1977. – Bonn
1976, S. 21
(2)
Der Bundesminister für Forschung und Technologie: Fachinformationsprogramm 1985-88
der Bundesregierung. – Bonn
1985, S. 13. Hier wird auch eine
privatwirtschaftliche
Öffnung
angedacht: „…, um die Finanzierung der Fachinformationsdienste über die Nachfrage zu
verstärken, die Strukturen der
IuD-Einrichtungen mit dem Ziel
höherer Effizienz, insbesondere
bei der Vermarktung, zu überprüfen“.
Im politischen Bereich griff die Bundesregierung in den 1970er Jahren mit ihrem
„IuD-Programm“ und den darauffolgenden
Fachinformationsprogrammen nachhaltig
in die Gestaltung des Systems der deutschen Fachinformation und damit auch in
den Aufgabenbereich des Fraunhofer Informationszentrums Raum und Bau (IRB)
ein. Damals hieß es: „Das Strukturkonzept
zielt insbesondere darauf ab, durch Umgestaltung und Neuorganisation des wissenschaftlichen und technischen Informationswesens die bisher recht verstreuten
Dokumentationsaktivitäten, zentralen Fachbibliotheken und Übersetzungsdienste zu
etwa 16 großen überregionalen Fachinformationssystemen zusammenzufassen und
systematisch zu leistungsfähigen Einheiten
fortzuentwickeln …“.1 Die Umsetzung dieses
Programms bestimmte wesentlich den
Zielbildungsprozess und die Entwicklung
des IRB in den 1980er und 1990er Jahren.
Die auf das IuD-Programm aufsetzenden
Fachinformationsprogramme der Bundesregierung veränderten auch grundsätzlich
die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
für alle geförderten Informationseinrichtungen: „Das Gutachten über die Fachinformation in der Bundesrepublik Deutschland
… vom April 1983 empfahl eine Neuformulierung der Fachinformationspolitik, um die
Kernfrage zu beantworten, ob es sich bei
der Fachinformation um eine Infrastruktur
handelt, die der Staat vorzuhalten hat, oder
um einen Markt, bei dem der Staat die Rahmenbedingungen setzt.“ 2
Die dynamischen Entwicklungen im technischen Bereich (Datenbanken, Telekommunikation) führten in den 1990er Jahren im
IuK-Sektor zu tiefgreifenden Veränderungen
in allen Komponenten der Fachinformationsinfrastruktur, insbesondere natürlich
durch die weltweite allgemeine Einführung
des Internets.
Drei Beispiele zur Infrastruktur der RSWB
(Raumordnung, Städtebau, Wohnungswesen, Bauwesen)-Fachinformation sollen
stellvertretend für die Vielzahl von strategi-
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
schen Planungsansätzen und Produktentwicklungen in den vergangenen 25 Jahren
vor dem Hintergrund der oben angeführten
Rahmenbedingungen kurz vorgestellt werden: (1) das Konzept des Informationszentrums in einem Fachinformationssystem
Raumordnung, Bauwesen, Städtebau bzw.
Raumordnung, Städtebau, Wohnungwesen,
Bauwesen (RSWB), (2) der Versuch des angepassten individuellen Informationstransfers und (3) die strukturelle Integration von
Informationszentrum und Fachverlag.
Das Konzept des IRB
Im Rahmen der Planung und Ausprägung des
IuD-Programms wurde unter Federführung
des damaligen Forschungsministeriums
und nach Abstimmung mit dem damaligen
Bauministerium eine Fachplanungsgruppe
(FPG) gebildet, die die Notwendigkeit und
Möglichkeiten des Aufbaus eines Fachinformationssystems (FIS) Raumordnung, Bauwesen, Städtebau untersuchte. Zur fachlichen Beratung der beteiligten Ministerien
wurde ein Ad-hoc-Ausschuss gebildet, dem
Vertreter der Nutzergruppen aus Forschung
und Praxis und Fachleute aus der Information und Dokumentation angehörten.
Die Fachplanungsgruppe 8 empfahl nach
Abschluss ihrer Untersuchungen den Aufbau eines FIS Bau mit einem koordinierenden Fachinformationszentrum FIZ 8 bzw.
dessen Vorläufer, einem Informationsverbundzentrum (IVZ). Der Ad-hoc-Ausschuss
unterstützte diese Empfehlung und es entstand der Vorläufer des heutigen Fraunhofer IRB, das Informationsverbundzentrum RAUM und BAU. Im Planungsbericht
hieß es: „Eine wichtige Voraussetzung zur
Realisierung eines FIZ wurde bereits durch
Vereinbarung zur Gründung eines sogenannten
Informationsverbundzentrums
(IVZ) geschaffen. Ab 1.1.1977 wird dieses
IVZ, das sich durch den Zusammenschluß
der DBt (Dokumentationsstelle für Bautechnik) und dem IfWP (Institut für Wohnungsund Planungswesen) bildet und durch die
FhG getragen wird, gegründet sein.“ 3
Der strategisch wichtigste Punkt dieser Entscheidung bestand darin, dass eine zentrale Informationsinfrastruktur 4 geschaffen
wurde, die sowohl die Planer-Fachbereiche
Raumordnung und Städtebau als auch die
Architektur- und Bautechnik-Fachbereiche
in einem Informationszentrum zusammen-
833
fasste. Unter Beibehaltung der dezentralen
fachlichen Zuständigkeit und Kompetenz
der in diesen Fachbereichen tätigen Einrichtungen und Institutionen – zum Teil
mit eigenen Informationsstellen – wurde
das Informations- und Wissensmanagement zentralisiert, um die Vollständigkeit
und Wirtschaftlichkeit der Wissensspeicherung zu erhöhen und den Wissenstransfer
zu verbessern. Durch diesen Schritt konnte insbesondere die horizontale Diffusion
des Fachwissens zwischen den Planer- und
Bautechnik-Fachbereichen verbessert werden.
Nicht zuletzt ging es auch darum, den
Facheinrichtungen und allen anderen am
Planungs- und Bauprozess Beteiligten eine
verlässliche Informationsinfrastruktur bereitzustellen – unabhängig von den sich
ändernden politischen und/oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, denen
die Fachinstitute und -institutionen unterworfen waren und auch heute immer noch
sind. Wie wichtig gerade der Punkt der Verlässlichkeit im Bereich RSWB-Fachinformation ist, soll das Beispiel der Forschungsdokumentation Raumordnung Städtebau
Wohnungswesen „FORS“ illustrieren:
Im Zusammenhang mit der Planung des
FIZ 8 schlossen die Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung
(BfLR) und das Fraunhofer IRB einen Kooperationsvertrag, in dem unter anderem
die Lieferung von Forschungsprojektinformationen durch die BfLR vereinbart wurde.5 Das Fraunhofer IRB speicherte die Daten in der Datenbank FORS ab, machte sie
der Fachöffentlichkeit zugänglich und kümmerte sich um die Entwicklung und den
Vertrieb von Informationsprodukten. 1998
zog sich die BfLR im Umfeld einer Neuausrichtung aus dem Bereich der Forschungsdokumentation zurück und stellte diese zur
Disposition. Nach Abstimmung zwischen
BfLR, Fraunhofer IRB und dem Institut für
Landes- und Stadtentwicklungsforschung
des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS), das
vorher schon die Erhebung der Projektinformationen für NRW übernommen hatte,
wurden die Tätigkeiten zwischen Fraunhofer IRB und ILS aufgeteilt.6 Inzwischen
hat sich auch das ILS im Kontext seiner
wiederholten Umstrukturierung aus der
Datenerhebung vollständig zurückgezogen. Das Fraunhofer IRB betreibt jetzt die
Datenbank FORS von der kontinuierlichen
Bundesministerium für Forschung
und
Technologie:
Planungsbericht zum Fachinformationssystem
Raumordnung, Bauwesen, Städtebau (FIS 8). – Bonn 1977.
= Bericht der Planungsgruppe (FPG 8), S. 379. Die Planungsgruppe hatte insgesamt
fünf IuD-Stellen selektiert, die
geeignet erschienen, das Fachinformationszentrum zu bilden:
1. Bundesforschungsanstalt für
Landeskunde und Raumordnung (BfLR), Bonn-Bad-Godesberg; 2. Deutsches Institut für
Urbanistik (Difu), Berlin; 3. Dokumentationsstelle für Bautechnik (DBt), Stuttgart; 4. Institut
für Wohnungs- und Planungswesen (IfWP), Köln, welches
zum Deutschen Verband für
Wohnungswesen,
Städtebau
und Raumordnung e. V. gehörte;
5. Städtebauliches Institut der
Universität Stuttgart (SI).
(4)
Der Begriff Informationsinfrastruktur ist im Kontext dieses
Aufsatzes sehr weit gefasst.
Er umfasst, wie dieses auch
im Fachinformationsprogramm
formuliert ist, sowohl die Inhalte als auch die technische und
organisatorische Infrastruktur
zur Speicherung, Verwaltung
und zum Angebot der Fachinformation.
(5)
Die BfLR erhob mittels Fragebögen laufende Forschungsarbeiten bei Städten, Ministerien,
Stiftungen, Hochschulinstituten,
Behörden und forschenden
Instituten und wertete zusätzlich die Erhebungen anderer
Institutionen aus, wie z. B.: Informationszentrum der Sozialwissenschaften, Bonn; Institut
für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes
Nordrhein-Westfalen,
Dortmund; Umweltbundesamt, Berlin; Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung, Nürnberg.
(6)
Das ILS übernahm die Erhebung der Forschungsinformationen bundesweit, das IRB die
inhaltliche Erschließung, Abspeicherung, Produktion und
den Vertrieb der inzwischen
entwickelten CD-ROM-Version
der Datenbank FORS.
834
Aus der Werkstatt
Datenerhebung bis zur Bereitstellung im
Internet allein. Möglich wurde dies durch
die wirtschaftliche Nutzung der vorhandenen Ressourcen im IuK-Bereich 7 und durch
die Nutzung der bereits für andere Zwecke
vom Fraunhofer IRB entwickelten InternetAngebotsformen.
Verlässlichkeit ist selbstverständlich nur ein
Aspekt, der für eine zentrale RSWB-Informationsinfrastruktur spricht. Weitere wichtige Argumente sind fachliche und instrumentelle Qualität bzw. Qualitätssicherung,
Aktualität, Vollständigkeit, (technische) Sicherheit etc. Nach allgemeiner Verbreitung
des Internets für die Öffentlichkeit wurden
diese Argumente Anfang der 2000er Jahre
insbesondere auf der Nutzerseite relativiert.
Grund dafür war vor allem die freie und
scheinbar unbegrenzte Zugänglichkeit aller
Informationen durch die Internet-Suchmaschinen. Sowohl Wissenschaftler als auch
Bau- und Planungspraktiker vertraten immer wieder die Meinung, dass sie ihren Informationsbedarf in vielen Fällen durch die
Nutzung einer zentralen Internet-Suchmaschine, z. B. Google, decken könnten. Auch
auf der Anbieterseite der Contentlieferanten
wurde immer wieder geäußert, dass es ausreiche, wenn die jeweilige Facheinrichtung
bzw. -institution ihre fachlichen Erkenntnisse auf einer eigenen Webseite publiziere.
(7)
Die Institutionen, Institute und
Einrichtungen melden über Internet. Dadurch kann zwar nicht
die Qualität der Erhebung durch
BfLR und ILS erreicht werden,
es konnte aber ein vernünftiger
Kompromiss zwischen Qualität
und Aufwand hergestellt werden.
(8)
Besonders erfolgreich ist der
Einsatz des zentralen Internetportals
www.baufachinformation.de mit einem „MetaSuchfeld“, das das gesamte
IRB-Informationsangebot tief bis
auf die Artikelebene durchsucht
und den Nutzer bis zur OnlineBestellung führt. Suchanfragen
in Suchmaschinen wie Google
führen ebenfalls unmittelbar auf
diese tiefgehende Artikelebene.
(9)
Informationszentrum
RAUM
und BAU (IRB): Aufbau und
Einführung des InformationsService ARCONIS für kleine
und mittlere Unternehmen und
Handwerksbetriebe der Bauwirtschaft – Abschlussbericht.
Gefördert vom Bundesminister
für Forschung und Technologie
(BMFT) – Stuttgart 1992
Diese Einschätzungen haben sich inzwischen wieder geändert. Aktuell kann festgestellt werden, dass sich das Konzept einer
zentralen RSWB-Informationsinfrastruktur
auch oder gerade im Umfeld des Internets
sowohl aus der Sicht der Nutzer als auch
aus der Sicht der „Wissensproduzenten“
bewährt und zweifelsfrei als zukunftsfähig
herausgestellt hat. Einerseits wurden für
alle Beteiligten die Grenzen und Schwächen
der zentralen Suchmaschinen deutlich. Auf
der anderen Seite nutzt das Fraunhofer IRB
erfolgreich die Stärken dieser Suchmaschinen, d. h. sie werden genutzt, um die Fraunhofer IRB-Inhalte leichter such- und vor allem auffindbar zu machen. Darüber hinaus
wurden weitere Internet-Instrumente wie
das zentrale Portal www.baufachinformation.de 8 entwickelt, um den Zugang zu dem
umfassenden Informationsangebot zu optimieren. Gleichzeitig wurde und wird das
Fraunhofer IRB-Netzwerk mit „Wissensproduzenten“ und Multiplikatoren intensiv ausgebaut, um sowohl auf der Seite des
qualitativ hochwertigen Inputs als auch auf
der Seite der gezielten Nutzeransprache das
Alleinstellungsmerkmal als zentrale RSWBInformationsinfrastruktur zu festigen.
„Wissensvermittlung über Köpfe“
durch individuellen Informationstransfer
Nach Einführung der Datenbanken bzw. der
Möglichkeit, diese auf CD-ROM oder über
Datenleitung online abzufragen, stand die
Entwicklung von elektronischen Informationsprodukten ab Ende der 1980er Jahre
im Vordergrund. Ziel war es, die dezentrale Nutzung zentraler Informationsspeicher
zu erleichtern. Diese Datenbanken und Informationsdienste konnten bei wichtigen
Nutzergruppen des Fraunhofer IRB erfolgreich eingeführt werden, wurden aber von
anderen Nutzern nur sporadisch abgefragt.
Insbesondere die Planer und Baufachleute
in kleineren Büros und Einrichtungen, aber
auch in kleinen Abteilungen und Arbeitsgruppen großer Unternehmen und Institutionen taten sich offensichtlich schwer,
die Informationen aus Datenbanken im
täglichen Arbeitsprozess lösungsorientiert
einzubinden. Ein Grund hierfür bestand
darin, dass das Ergebnis einer Datenbankrecherche allein meist nicht ausreichte,
um die Entwicklung von Lösungen komplexer Themenstellungen zu unterstützen,
wie sie beim Planen, Bauen und Forschen
häufig vorkommen. Meist waren nach der
Recherche weitere Folgeschritte notwendig,
um aus anderen Quellen vertiefende oder
weiterführende Fachinformationen zu erhalten.
Vor diesem Hintergrund entwickelte das
Fraunhofer IRB mit Förderung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie den Informations-Service „ARCONIS“.9
Dieser bot seinen Nutzern die Möglichkeit
der individuellen und gestuften Unterstützung bei der Lösung von Informationsproblemen durch Planer und Baufachleute, die
entweder im Fraunhofer IRB beschäftigt
waren oder als externe Experten hinzugezogen wurden. Als Alternative zur alleinigen Datenbanknutzung stand die Arbeit
des Informations-Service unter dem Motto
„Wissensvermittlung über Köpfe“ und „Alle
Informationen aus einer Hand“. Entsprechend der jeweiligen Problemstellung des
Kunden führten Planer und Baufachleute
des „ARCONIS Information-Consulting“
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
Datenbankrecherchen durch, erhoben zusätzliche Informationen aus anderen nationalen und internationalen Quellen und
schalteten bei Bedarf externe Fachingenieure ein. Um dabei schnell auf externe
Fachleute zugreifen zu können, wurde ein
Expertennetz „ARCONET“ aufgebaut.10 Das
Leistungsspektrum von ARCONIS umfasste
sowohl die Planer-Fachbereiche Raumordnung, Städtebau, Wohnungswesen (RSW)
als auch die Architektur- und BautechnikFachbereiche. Es wurde eine breite Palette
von Informationskategorien angeboten, die
von der einfachen Statistik- und Literaturrecherche bis zur kompletten Marktstudie
reichten.11
Während der Aufbau- und Entwicklungsarbeiten von ARCONIS kam es zur Wiedervereinigung Deutschlands. Zur Unterstützung der gewaltigen Planungs- und Bauaufgaben in den neuen Bundesländern und des
Neugründungsprozesses des Mittelstands
im Planungs- und Baubereich wurde das
ARCONIS-Konzept kurzfristig ausgeweitet.
Im Interesse einer größeren Problemnähe
wurden insgesamt fünf ARCONIS-Agenturen mit Fachleuten aus der jeweiligen Region in dort ansässigen Firmen und Einrichtungen12 gegründet.
Das Konzept der „Wissensvermittlung über
Köpfe“ wurde in der Aufbau- und Einführungsphase in durchaus akzeptablem Umfang in Anspruch genommen, konnte später aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht
mehr aktiv angeboten werden; die Preise,
die für die Informationsdienstleistungen
gefordert werden mussten, um einen wirtschaftlichen Betrieb zu ermöglichen, konnten nicht realisiert werden. So schlossen
nach einigen Jahren zuerst die Agenturen in
den neuen Bundesländern und wurde später auch das ARCONIS-Angebot des Fraunhofer IRB zurückgenommen.
Die Ursache dafür, dass sich diese eigentlich sinnvolle Idee letztendlich nicht
durchsetzen konnte, lag vermutlich in der
Fehleinschätzung der Akzeptanz solch eines kostenpflichtigen Informationsangebots in den neuen Ländern, insbesondere
vor dem Hintergrund nicht vorhersehbarer
wirtschaftlicher und sozialer Turbulenzen
nach der Wiedervereinigung. Es herrschte
zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch die
Ansicht vor, dass Fachinformation nichts
bzw. nicht viel kosten darf – eine Tendenz,
die sich in der scheinbar unbegrenzten,
835
freien Zugänglichkeit des Internetangebots
zunächst überall fortsetzte. Inzwischen hat
auch hier ein Umdenken dahingehend eingesetzt, dass qualitativ hochwertige und
valide Information durchaus nicht immer
„umsonst“ zu haben ist.
Die Informationsangebote des Fraunhofer
IRB werden heute inhaltlich gruppiert auch
auf Fachportalen angeboten, mit dem Ziel,
es dem kundigen Nutzer zu ermöglichen,
von diesem Portal aus möglichst jede für
ihn relevante Fachinformation beziehen zu
können. Die Nutzer können dabei bereits
auf Pushdienste, d. h. auf Elemente des Web
2.0 wie RSS-Feed zurückgreifen, so dass sie
benötigte Informationen maßgeschneidert
und aktuell per E-Mail geliefert bekommen.
Integration von Informationszentrum
und Fachverlag
Mit dem Ziel der Erwirtschaftung eines größeren Deckungsbeitrags zu den Gesamtkosten des Fraunhofer IRB bei gleichzeitig
verbesserter Informationsversorgung der
breit gefächerten Nutzergruppen aus dem
Planen und Bauen wurde 1982 der IRB Verlag gegründet. Auf diesem Weg sollten die
Informationsdienste zu gängigen Marktpreisen angeboten und Angebots- und
Vertriebswege genutzt werden, die den
Nutzern vertraut waren (Verlagsprogramm,
Buchhandel, Verzeichnis lieferbarer Bücher
etc.). Der Verlag startete mit einem eher bescheidenen Programm bzw. Anspruch: „Die
gedruckten Dienste des IRB sollen aus der
Grauzone der Institutsveröffentlichungen
herausgeführt werden. Deshalb wurde der
IRB Verlag als unselbstständige Abteilung
des Instituts gegründet. Die Verlagsveröffentlichungen sollen in zunehmendem
Maße über den Fachbuchhandel vertrieben
werden. Der IRB Verlag ist ein Fachdokumentationsverlag und arbeitet subsidiär
zu den Fachverlagen. Er veröffentlicht Dokumentationen, wie Bibliographien, Referateorgane oder die ‚Kurzberichte aus der
Bauforschung‘ und vertreibt Forschungsberichte, die in Kleinstauflagen erstellt werden, in kopierter Form.“13
Im Laufe der folgenden Jahre entwickelte
sich der IRB Verlag von einem Dokumentationsverlag zu einem vollwertigen Baufachverlag. Mit einer Vielzahl von Publikationen
(10)
Anfangs wurden Fachleute
aus Firmen, Institutionen und
Forschungseinrichtungen, die
schon seit langem mit dem
IRB kooperierten, in ARCONET
aufgenommen. Später kamen
weitere Spezialisten hinzu,
die aufgabenbezogen von den
Externen als kompetente und
zuverlässige Partner genannt
wurden.
(11)
Neben den üblichen Kategorien, wie Berichte zum Stand der
Technik, Ermittlung von Firmen,
Experten, Bauprodukten, wurden auch neue Angebote kreiert. Am erfolgreichsten waren
die sog. Fachkommentare. Hierbei handelte es sich um die zusammenfassende Beschreibung
des aktuellen Stands eines
technischen oder wirtschaftlichen Problembereichs auf der
Grundlage einer Literaturrecherche mit anschließender Auswertung der Fachliteratur und
Absicherung dieser Auswertung
durch die Begutachtung eines
externen Experten.
(12)
ARCONIS Berlin Brandenburg c/o Tetra Technology Trading GmbH, Berlin; ARCONIS
Mecklenburg-Vorpommern c/o
Architekten- und Ingenieurunion Stralsund GmbH (AIU);
ARCONIS Sachsen c/o Architektur- und Ingenieurbüro
Bauinvest GmbH, Dresden;
ARCONIS Thüringen c/o Materialforschungs- und Prüfanstalt,
Hochschule für Architektur und
Bauwesen, Weimar.
(13)
Informationszentrum Raum und
Bau der Fraunhofer-Gesellschaft: Tätigkeitsbericht 1982.
– Stuttgart 1983, S. 11
836
Aus der Werkstatt
gehört der Fraunhofer IRB Verlag, wie er
inzwischen heißt, heute zu den angesehenen Baufachverlagen im deutschsprachigen Raum. Das Verlagsprogramm spiegelt
thematisch-fachlich die Geschäftsfelder
des Fraunhofer IRB wider. Es erscheinen
Veröffentlichungen aus allen Bereichen des
Planens und Bauens, insbesondere zu den
Themen Bauen im Bestand, Bausanierung,
Bauschäden, Bauerhaltung und Denkmalpflege, Bautechnik und Bauphysik, Bauforschung sowie zu Themen aus der Stadtund Raumplanung. Daneben erfüllt er aber
noch immer seine Aufgaben als Dokumentationsverlag mit Kleinstauflagen – er ist
inzwischen eine der wichtigsten Quellen
für den Bezug von Bauforschungsberichten im deutschsprachigen Raum. Zum Einsatz kommen längst moderne Print-onDemand-Verfahren oder aber auch die elektronische Lieferung von Dokumentationen.
(14)
SCHADIS ist das „Schadensinformationssystem“, das im Auftrag der Bundesregierung vom
IRB aufgebaut wurde.
(15)
Eine herausragende Rolle spielt
hierbei das Portal www.baufachinformation.de.
Dietmar Scholich
Die Programmarbeit des Verlags ist eingebunden in die IRB-Strategieplanung, die
seit 2005 wirksam ist. Strategisch besonders bedeutsam mit vielen innovativen
Entwicklungschancen ist die Kopplung
der Aufgaben, Produkte und Vertriebswege eines Informationszentrums mit denen
eines Fachverlags. Bereits Ende der 1980er
Jahre wurden mit SCHADIS 14 Informationsprodukte entwickelt, die sowohl als Volltextdatenbank mit nach Stichwörtern re-
cherchierbaren Volltextkapiteln als auch
als konventionelle Fachbücher angeboten
wurden. Dieser cross-mediale Publikationsweg ist noch heute zukunftsweisend. Es
werden viele inhaltsgleiche Informationsdienste und Verlagspublikationen über unterschiedliche Medien angeboten und über
das Internet vertrieben.15 Als besonders
zukunftsträchtig erweisen sich inzwischen
auch die Verlagskompetenzen des elektronischen Publizierens im Zusammenhang
mit den Diskussionen über den freien Zugang und zur freien Verfügung von Fachinformation und Fachwissen (open access,
open content). Diese Themen dürften in
der Zukunft gerade für die „papierlastigen“
Planerdisziplinen interessant werden.
Die drei vorgestellten Themenbereiche aus
der Geschichte des Fraunhofer IRB skizzieren für das Gebiet der Fachinformation
im Planungs- und Bauwesen exemplarisch
den Wandel innerhalb der letzten 25 Jahre.
Geprägt wurde diese Entwicklung sowohl
von den sich häufig ändernden politischen
Rahmenbedingungen als auch (noch mehr)
von der technischen Entwicklung, hier vor
allem der „Revolution“ des Internets, deren
Ende noch nicht abzusehen ist. Insbesondere vor diesem Hintergrund beschreiben
die vergangenen 25 Jahre treffend „die Vergangenheit der Zukunft“.
Raumwissenschaftliche Politikberatung –
ein schwieriges, aber wichtiges Geschäft
Jeder Krämer lobt seine Ware – Aber: Gehe nur zum Fürst, wenn Du
gerufen wirst!
Quelle: Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), Bern 2007
Raumwissenschaftliche Forschung fühlt
sich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
der Städte und Regionen, der sozialen Solidarität und dem ökologischen Gleichgewicht verpflichtet. Sie hat in Generationen
zu denken. Deshalb ist raumwissenschaftliche Forschung in besonderer Weise mit
dem Prinzip der Nachhaltigkeit verbunden.
Und sie versteht sich als inter- und transdisziplinäre Wissenschaft. Schon deshalb
muss sie sich um Theorien der räumlichen
Entwicklung und deren Steuerung, um Methoden der Problemanalyse und der Um-
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
setzung von Planungen in Raum und Zeit
sowie vis à vis der modernen Gesellschaft
mit ihren vielfältigen, sich verändernden
Ansprüchen kümmern. Das war vor 25 Jahren nicht anders als heute.
Raumwissenschaftliche Politikberatung soll
dazu beitragen, politische Entscheidungen
sachgerecht vorzubereiten. Deshalb geschieht sie auch in der Raumpolitik regelmäßig. Allerdings gibt es so gut wie kein empirisches Material, keine Erhebungen und
Klärungen ihrer materiellen Wirksamkeit.
Auch dabei unterscheiden sich raumwissenschaftliche Forschung und Raumpolitik
nicht von anderen Bereichen. Vor diesem
Hintergrund ist der Umgang mit Politikberatung ambivalent, für die Wissenschaft wie
auch für die Politik. Auch daran hat sich im
letzten Vierteljahrhundert (leider) nichts
Grundlegendes geändert.
1 Vielgestaltige Formen und Wege
der Politikberatung
Es gibt viele Formen und Wege der Politikberatung, so den einzelnen Experten,
ad hoc oder dauerhaft arbeitende Kommissionen, Sachverständigenräte und vieles andere mehr. Raumwissenschaftliche
Erkenntnisse werden beispielsweise bei
parlamentarischen Anhörungen im Vorfeld von neuen Gesetzen nachgefragt, wie
jüngst bei der erneuten Novellierung des
Raumordnungsgesetzes (ROG) und der Erarbeitung eines Umweltgesetzbuchs (UGB),
oder bei der Entwicklung von politischen
Strategien wie den neuen Leitbildern der
Raumentwicklung in Deutschland. Oder es
werden raumwissenschaftliche Forschungen veranlasst mit dem Ziel, Materialien
für die Entscheidungsfindung zu erhalten,
beispielsweise zur Anpassung an den Klimawandel, zum demographischen Wandel,
zur Verkehrsentwicklung oder zur Regionalpolitik. Beratung kommt zustande, weil
die Politik entsprechende Unterstützung
erbittet. Mindestens gleichgewichtig sind
spontane Beratungsinitiativen aus dem
raumwissenschaftlichen Bereich heraus,
etwa durch gezielte Publikationen oder Veranstaltungen. In den zurückliegenden 25
Jahren sind der Beratungsbedarf und die
Beratungsnotwendigkeiten speziell im Zusammenhang mit europäischen Initiativen
(EUREK, Förderpolitiken, EU-Richtlinien
etc.) und natürlich besonders im Zuge der
837
Wiedervereinigung Deutschlands erheblich
gewachsen.
2 Politikberatung als
problematisches Terrain
Das hohe Abstraktionsniveau räumlicher
Prozesse sowie die in der Regel mittel- bis
langfristige Orientierung der raumwissenschaftlichen Forschung und der raumplanerischen Maßnahmen erschweren den
Zugang in die Politik. Auch wird der Raum
in seiner Bedeutung als Struktur- und Zielgröße bislang noch zu wenig wahrgenommen, obwohl vielfältigste menschliche
Handlungen in ihm und mit ihm stattfinden.
Neben dieser grundsätzlichen Dauerproblematik ist man mit weiteren Schwierigkeiten und Missverständnissen konfrontiert,
aus welchem Blickwinkel man raumwissenschaftliche Politikberatung auch immer
betrachtet. So wird der Politik regelmäßig
vorgeworfen, sie fordere Beratung vorrangig
zur Verstärkung ihres Einflusses ein, nutze
sie lediglich als Alibi und bestelle Experten,
Kommissionen oder Stellungnahmen nicht
um der Sache willen, sondern um Tatkraft
vorzutäuschen. Politikberatung würde viel
zu oft routinemäßig eingefordert, bekäme
deshalb inflationäre Züge und lasse auch
deshalb die notwendige Qualität vermissen. Kaum erstaunen kann, dass Expertenempfehlungen ungern oder gar nicht zitiert
werden, wenn dadurch der Politik nicht der
Rücken gestärkt wird. Diese und andere Argumente werden – offen oder dezent verpackt – auch herangezogen, wenn offenbar
bestimmte Erwartungen nicht erfüllt worden sind. Meist wird dann umgehend eine
neue Beratung in Gang gesetzt.
Berater sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt,
sie würden sich viel zu oft zu belanglosen
Themen zu Wort melden und missbrauchten ihre Aktivitäten, um politische Einflussnahmen geschickt zu kaschieren. Von anderer Seite kommen abfällige Kommentare,
die Experten seien die heimlichen Regierer.
Ebenso regelmäßig wird die fehlende Unabhängigkeit oder mangelnde Kompetenz von
Beratern und Beratungsgruppen beklagt.
Die Probleme und Missverständnisse ändern nichts daran, dass die Qualität der
Politikberatung ganz wesentlich von der
Qualität sowohl der Berater und deren Emp-
838
Aus der Werkstatt
fehlungen als auch der Beratenen abhängt.
Darüber hinaus wird spätestens beim Umgang mit den Beratungsergebnissen klar, ob
der Beratene selbst den hohen Ansprüchen
an die Politikberatung genügt.
3 Abnehmender Stellenwert raumwissenschaftlicher Politikberatung
In einer Welt wachsender Komplexität, der
Globalisierung und der Internationalisierung müsste Politikberatung eigentlich an
Bedeutung zunehmen. Allerdings ist in jüngerer Zeit eine gewisse Beratungszurückhaltung auf Seiten der Politik zu erkennen.
Es hat augenscheinlich noch nie so viele
zeitgleich tätige Expertengruppen, Gutachterkommissionen o. ä. gegeben wie zurzeit –
zahlenmäßig steigen die Politikberatungen
also, ob bestellt oder unbestellt.
Trotzdem oder vielleicht deswegen hat deren politischer Stellenwert in jüngerer Zeit
offenkundig abgenommen. Das liegt vermutlich auch am Ausbau der Ressortforschungskapazitäten in den letzten Jahren,
die der Politik intern zuarbeiten. Nahezu alle
Ministerien verfügen darüber hinaus über
wissenschaftliche Beiräte oder Sachver-
ständigenräte. Daneben holt sich die Politik
mehr und mehr Rat bei Privatunternehmen
ein. Das verursacht nicht nur in der Regel
deutlich höhere Kosten im Vergleich zu Forschungseinrichtungen aus dem Hochschuloder außeruniversitären Bereich, sondern
führt zudem zu einer sinkenden Resonanz
und teilweisen Beratungsresistenz gegenüber wissenschaftlichen Empfehlungen.
Ein grundsätzliches Problem ist, dass sich
die Wirkungen von Politikberatung in der
Regel erst mit großer Zeitverzögerung nachweisen lassen. Die Hauptursache liegt hier
darin, dass sich die Wirkungen von Berater
und Beratenem vermischen und der Nachweis nur selten gelingt, was der konkrete
Politikberatungsbeitrag war und was dem
jeweiligen Entscheider zugerechnet werden muss. Auch hier konnte in den letzten
zweieinhalb Jahrzehnten kaum Boden gutgemacht werden.
Aber auch ohne Politikberatung wächst die
Informationsflut ständig an, was die Resonanz auf Politikberatungen schmälert. Vor
dieser gewaltigen Flutwelle muss selbst
mancher Berater kapitulieren. Dabei wäre
es aber gerade die Aufgabe der Politikberatung, diese Welle zu durchdringen und die
Spreu vom Weizen zu trennen.
Der geringere Stellenwert und die manchmal sogar festzustellende Beratungsresistenz sind für die raumwissenschaftliche
Forschung doppelt problematisch. Greift
die Raumpolitik nicht auf raumwissenschaftliche Erkenntnisse zurück, wirkt sich
das negativ auf das politische Gewicht der
Disziplin aus. Gleichzeitig wird der Erkenntnistransfer in andere Politikbereiche
behindert, die für die raumwissenschaftliche Forschung von großer Bedeutung sind,
wie beispielsweise die Umwelt-, Verkehrs-,
Finanz- und Wirtschaftspolitik.
4 Erwartungen an und für die raumwissenschaftliche Politikberatung
Sie können zueinander nicht finden – Kein einfacher Zugang zur Politik!
Quelle: Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), Bern 2007
Politikberatung durch raumwissenschaftliche Forschung wird wieder an Fahrt gewinnen. Denn schon heute ist die Raumpolitik großen Herausforderungen ausgesetzt, wenn auch offenbar noch nicht
massiv genug. Die Raumnutzungskonflikte
und Flächeninanspruchnahmen zu Lasten
der Freiräume werden in bestimmten Teilräumen noch an Brisanz gewinnen und
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
raumpolitische Entscheidungen erforderlich machen. Das gilt in gleicher Weise für
die Probleme wachsender Zersiedlung, Zerschneidung, Verlärmung und Verschmutzung von Landschaften sowie für die
räumlichen Konsequenzen einerseits des
demographischen Wandels mit Bevölkerungsrückgang, Alterung und Wanderungen und andererseits der Anpassung an den
Klimawandel. Auch werden die regionalen
Disparitäten zunehmen und wird sich der
Wettbewerb der Standorte und Regionen
verschärfen. Hinsichtlich der Umsetzung
nachhaltiger Raumentwicklung stehen
wichtige raumpolitische Entscheidungen
nach wie vor aus.
839
Schritt für Schritt kommt man sich näher
Quelle: Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), Bern, Infoheft RP 1-2/92
Raumwissenschaftliche Forschung
im Vorteil
Gerade die Zukunftsberatung ist eine besondere Herausforderung und Qualität
der raumwissenschaftlichen Politikberatung. Dieses Alleinstellungsmerkmal haben
Fachpolitiken im letzten Vierteljahrhundert
immer wieder auszuhebeln versucht, allerdings erfolglos. Natürlich ist die raumwissenschaftliche Forschung kein Hellseher
und kann nicht in eine gesicherte Zukunft
schauen. Doch sie hat langjährige Erfahrung, Fehlentwicklungen zu erkennen, auf
diese hinzuweisen und Empfehlungen für
politische Dispositionen zu geben. Raumwissenschaftliche Forschung ist durch ihre
Zukunftsorientierung in besonderer Weise
geeignet, die Grundlagen für eine zukunftsfähige, nachhaltige Raumentwicklung zu
schaffen. Sie kann heute Probleme auf die
Tagesordnung setzen, die erst morgen auf
die Gesellschaft zukommen. Diese Frühwarnfunktion war vor 25 Jahren schon
wichtig, wurde aber von der Politik nicht
wahrgenommen und geschätzt. Angesichts
der teilweise massiven Herausforderungen
wird sie aber immer wichtiger.
Raumwissenschaftler können keine Lösungen für eine ungewisse Zukunft entwickeln,
aber aus einem wesentlich größeren Fundus an Optionen schöpfen. Langfristig ist
manches noch flexibel, was kurzfristig nur
überhastetes Krisenmanagement zulässt.
Spontanes Anpassen an Einflüsse aber vernichtet nicht selten wertvolle Ressourcen
und führt zu fehlerhaften Steuerungen.
Raumwissenschaftliche Forschung hat mit
natürlichen Ressourcen zu tun, die endlich
und teilweise nicht reproduzierbar sind. Sie
hat insofern sehr ähnliche Aufgaben wie die
Finanzwissenschaft in Bezug auf die knappe
Ressource Geld und Kapital – nur dass diese
(offenbar beliebig) reproduzierbar ist. Auch
wenn es den Anschein hat, dass bezüglich
der Nachhaltigkeit (momentan) raumpolitisch der Dampf raus ist, auch weil zurzeit
andere Schuhe drücken und kaum noch jemand den Begriff hören mag, wird deshalb
das Thema der Nachhaltigkeit modernen
Gesellschaften dauerhaft erhalten bleiben.
Die begrenzten natürlichen Ressourcen
werden über kurz oder lang dazu zwingen,
die Wirtschafts- und Raumstruktur nach
den damit verbundenen Grundsätzen des
Wirtschaftens umzugestalten.
Das Nachhaltigkeitsthema lässt sich aber
hervorragend von der raumwissenschaftlichen Forschung mit Inhalt füllen. Denn
nachhaltige Raumentwicklung ist ein komplexer Vorgang, der nur durch Integration
der Fachdisziplinen, also durch eine disziplinübergreifende, gemeinsame Sicht geleistet werden kann. Insofern hat raumwissenschaftliche Forschung hier entscheidende
Beratungstrümpfe in der Hand, die sie ausspielen sollte. Und die Raumpolitik wäre gut
beraten, sich dieser Zuarbeit zu bedienen.
Ergebnistransfer fokussieren
Darüber hinaus hat raumwissenschaftliche
Forschung mit Raum und Zeit zwei entscheidende Faktoren im Blickfeld, die für
alle politischen Aufgaben, die Gesellschaft
insgesamt und die Wirtschaft besonders relevant sind. Das ist eine ihrer Stärken, die
840
Aus der Werkstatt
sie in die Waagschale der Politikberatung
werfen kann. Und noch etwas ist für künftiges Beratungshandeln wichtig: Raumwissenschaftliche Forschung sollte in der
Zukunft noch genauer überlegen, welche
Beratungsthemen sie zu welchem Beratungszeitpunkte aufgreift. Nicht alles wird,
wie der kritische Rückblick zeigt, immer
nachgefragt.
Will raumwissenschaftliche Forschung in
die Politikberatung einbezogen sein, muss
sie Politikberatung nach Wesen und Funktion verstehen. Und weil sie bei sinkender
Bedeutung und Effizienz der Politikberatung Kompetenzeinbußen erleidet und ihrer disziplinübergreifenden Aufgabe nicht
ordentlich nachgehen kann, muss raumwissenschaftliche Forschung am ständigen
und kritischen Hinterfragen von Notwendigkeit und Gewicht, von Wirksamkeit und
Fragwürdigkeit der Politikberatung interessiert sein.
Literatur
Jens, U. (Hrsg.): Glanz und Elend der Politikberatung.
– Marburg 2005
Lendi, M.: Politikberatung. Nachfrage, Resonanz, Alibi.
– Zürich 2005
Joerk, C.; Mahnken, G.: Grundlagenforschung und Politikberatung in Zeiten des europäischen Umbruchs. In:
European Space, Baltic Space, Polish Space. Part II. –
Warsaw 1997, S. 465 – 476
Petermann, T. (Hrsg.): Das wohlberatene Parlament:
Orte und Prozesse der Politikberatung beim Deutschen
Bundestag. – Bonn 1990
Konze, H.: Planen und Politik beraten – Lust oder
Frust? In: Novellierung des Landesplanungsrechts in
Nordrhein-Westfalen. Hrsg.: Birkmann, J.; Finke, L. –
Hannover 2006. = Arbeitsmaterial der ARL, Nr. 327,
S. 45 – 49
Uwe-Jens Walther
Schödl, D.C.: Wissen in planerischen Entwicklungsprozessen. – Kaiserslautern 2008. = Materialien zur Regionalentwicklung und Raumordnung, Bd. 24
Die Chancen sozialwissenschaftlicher
Deutung in der Politikberatung
Das Beispiel Schrumpfende Städte
Sozialwissenschaftliche Forschung wird
von der Politikberatung häufig in Anspruch
genommen. Ihre Chancen, auf die Praxis
einzuwirken, sind jedoch bekanntlich nicht
unbedingt groß. Wenn Forschungsergebnisse neue Deutungen der zukünftigen Entwicklung nahelegen, kann es Jahre, wenn
nicht Jahrzehnte dauern, bis sie in Politik
und Planung Wirkungen zeitigen. Die Ergebnisse der Sozialwissenschaften setzen
sich erst im Kontext und Konzert interessierter Deutungen durch und verändern
sich dabei – wie die Karriere des Themas
Schrumpfung zeigt.
Das Beispiel Schrumpfung von Städten
Die Thematik der schrumpfenden Städte
und Regionen ist ein instruktives Beispiel,
wie langwierig und mühsam sich neue
Orientierungen durchsetzen. Unter dieser
Perspektive wurde vor mehr als zwei Jahrzehnten eine radikal veränderte Zukunft
von Stadt- und Regionalentwicklung antizipiert. Was heute selbstverständlich ist,
scheint mir im Rückblick ein besonders
zutreffendes Lehrstück dafür, wie lange
eine solche in der Vergangenheit auf sozialwissenschaftlichem Wege richtig angedachte Zukunft benötigt, um Allgemeingut
zu werden. Denn kritische Versuche, aus
einer Fachdisziplin heraus Politik und Planung anders zu orientieren, gab es bereits
vor zwei Jahrzehnten. Sie wollten städtische
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
Qualitäten vom zentralen Erklärungszusammenhang des Wachstums abkoppeln
und anders deuten. Wahrgenommen wurden sie allerdings erst lange Zeit später.
Dazwischen lagen längere Abwehr- und Inkubationsphasen, nach denen das Thema
allmählich Beachtung fand und schließlich
sich erst in den letzten Jahren wohl wirklich durchsetzen konnte. Ich selbst habe
diese Phasen zwar lediglich als Empfänger
und Verwerter verfolgt, doch sind sie Begleiter meiner wissenschaftlichen Biografie
geworden – insofern habe ich ein sowohl
engagiertes wie distanziertes Verhältnis zu
ihnen.1
Heute ist es selbstverständlich, in der
Schrumpfung von Städten ein für Stadtentwicklung typisches Merkmal des wirtschaftlichen und demographischen Strukturwandels zu sehen. Seit mehr als einer Dekade
entzünden sich öffentliche Diskurse am
Rückgang von Bevölkerung und Arbeitsplätzen und an deren Folgen für Bürger, Politik und Planung.2 So formt sich allmählich
die Gewissheit, dass schrumpfende Städte
keine vorübergehende Erscheinung sind,
sondern ihre Konsequenzen für Politik und
Gesellschaft offenkundig weit in die Zukunft
reichen. Doch die Breite und Fülle der inzwischen vorliegenden Arbeiten darf nicht
darüber hinwegtäuschen, dass bereits seit
mehr als zwei Jahrzehnten dazu publiziert
wurde, ohne dass nennenswerte Wirkungen
davon ausgegangen wären.
Die Anfänge der Debatte
Bereits in den 1960er Jahren seit dem Ausdünnen von peripheren Regionen („Zonenrandgebiet“; „Passivsanierung“) erschienen
im Rahmen der raumordnungspolitischen
und regionalplanerischen Debatten Artikel
zum Thema Schrumpfung. In den 1970er
Jahren wurde der Begriff dann auf die Folgen der Suburbanisierung für die Kernstädte bezogen.3 Schärfe erhielt das Thema
allerdings erst durch den säkularen Strukturwandel in den historisch ersten Schwerpunkten des verarbeitenden Gewerbes, allen voran in England. Frühe Analysen von
altindustrialisierten Städten und Regionen
und deren Anstrengungen, ihren Strukturwandel aktiv zu gestalten, kamen vor allem aus Großbritannien.4 Die Geschichte
der Thematisierung von Schrumpfung und
841
Stadt in Deutschland ist zwar kürzer, umfasst dennoch bereits zwei Jahrzehnte.
Die ersten radikalen Umdeutungen in
Deutschland zu diesem Thema stammen
von Hartmut Häußermann und Walter
Siebel. Sie stellten die Agenda für eine Debatte, die zunächst nicht stattfinden sollte – ein Plädoyer ohne Echo. Sie waren als
analytischer und programmatischer Paukenschlag für die liberale bundesdeutsche
Öffentlichkeit inszeniert: Stadtpolitik müsse ihre Prämissen grundsätzlich überdenken und den Rückgang von Bevölkerung
und Arbeitsplätzen nicht allein als Verlust,
sondern als Gestaltungschance begreifen;
die Lebensqualität in den Städten solle von
der Wachstumsfrage abgekoppelt werden.
Diese Kernbotschaft, das Denken und Planen von Wachstumsimperativen zu emanzipieren, erschien in ihrer Streitschrift „Die
Chance des Schrumpfens“ im Wochenblatt
„Die Zeit“ als ZEIT-Extra 5. Die beiden Autoren legten die Folgen des wirtschaftlichen
Strukturwandels auf städtische Strukturen dar, nahmen Bezug auf nordenglische
(Liverpool, Manchester) und US-amerikanische Erfahrungen und stellten dem
bisherigen Typus der wachsenden den der
schrumpfenden Städte gegenüber. Die Deindustrialisierung werde nicht von tertiären
Arbeitsplätzen kompensiert, ein Nord-Süd
Gegensatz manifestiere sich in weiter wachsenden und wirtschaftlich rückläufigen Ballungsräumen. Auf der Verliererseite fänden
sich Ballungsräume mit „weniger Menschen
und weniger Geld“.
Die Chancen schrumpfender Städte sahen
die Verfasser im Wegfall von Wachstumsfolgen, die bislang die Städte kennzeichneten. Sie erwarteten „entlastete Wohnungsmärkte“ mit „niedrigeren Mieten“; die
Wohnnutzungen in den Randgebieten der
Innenstädte müssten nicht mehr dem Umnutzungsdruck weichen; der Landschaftsverbrauch könne aufgehalten werden, da der
wachsende Wohnflächenbedarf im Bestand
und nicht mehr im Umland realisierbar sei.
Die Prozesse der Entleerung müssten allerdings gesteuert und gestaltet werden. Dazu
müsse Eigeninitiative gestärkt, die Bildung
informeller Netze gefördert und materielle
Unterstützung gewährt werden – „Das Alte
geht nicht mehr, etwas Neues ist noch nicht
in Sicht oder gesellschaftsfähig. Und dennoch muss darauf hin geplant werden.“
842
Aus der Werkstatt
Häußermann und Siebel wandten sich mit
diesen grundsätzlichen Fragen kurz danach
auch an die eigene Disziplin.6 Ihre Artikel
blieben jedoch außerhalb des akademischen (stadt)soziologischen Diskurses, in
den ihre weiteren Veröffentlichungen einwirkten, wenig beachtet. Erst zehn Jahre
später beginnt das Thema Schrumpfung
über Fachöffentlichkeiten hinaus öffentliche Aufmerksamkeit zu finden, nachdem
an die Stelle des Nord-Süd-Gefälles der
deutlich schärfere Ost-West-Kontrast des
neuen, wiedervereinigten Deutschland getreten ist.
Mitte der 1989er Jahre – erste eigene
Erfahrungen
Als ich Mitte der 1980er Jahre frisch von der
universitären Forschung an eine Institution
der Politikberatung des Bundes kam, war
ich bereits geprägt von dem Gedanken, dass
sich die Vorzeichen der Stadtentwicklung
grundsätzlich änderten. Ich war überzeugt,
dass Wachstum und Schrumpfen zugleich
die veränderten Bedingungen von Stadtentwicklung kennzeichnen würden – und
bereits damals zu kennzeichnen begannen.
Als junger Stadtforscher brachte ich diese
Überzeugung in meine neue Beschäftigung
bei der damaligen Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung
(BfLR) ein, dem heutigen BBR. Es müsse,
so meinte ich, nur noch ein breiteres fachliches Bewusstsein dafür geschaffen werden.
Ich hielt es für ein Problem besserer Information und Aufklärung und wollte deswegen diese Einsichten empirisch überprüfen,
fachpolitisch einschlägig veröffentlichen
und so zu einem Teil der Politikberatung
machen. Diese Möglichkeit bot sich mir bei
der damaligen BfLR, denn sie baute im Bereich der Forschung zur Entwicklung von
Stadtregionen neue Kapazitäten auf. Darin
sah ich die seltene Chance, durch veränderte Aggregation der Datenbestände auf
stadtregionaler Ebene diese Parallelität von
Wachstum und Schrumpfung von Bevölkerung und Arbeitsplätzen in Stadtregionen
Westdeutschlands zu demonstrieren. Eine
bessere Datengrundlage als die der laufenden Raumbeobachtung konnte ich mir
dafür nicht vorstellen. Die Ergebnisse veröffentlichte ich in einem Vier-QuadrantenSchema, von dem ich glaubte, das es für
sich sprach.7
Die Entwicklung von Beschäftigten* und Wohnbevölkerung in 16 ausgewählten Stadtregionen 1977 bis 1986
*) sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
Quelle: Laufende Raumbeobachtung der BfLR
Aus: Walther, U.-J.: Entwicklungsprobleme und Perspektiven, a. a. O., S. 676
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
Das Schema (s. Abbildung) verortete die
Entwicklung an zwei der gängigsten Indikatoren von Urbanisierung und Suburbanisierung, den beiden Merkmalen Wohnbevölkerung und Arbeitsplätze in ausgewählten
Stadtregionen Westdeutschlands 1976–1986.
Alle Felder waren gefüllt. Es gab alle Kombinationen von Gewinnen und Verlusten von
Bevölkerung und Arbeitsplätzen: Zunahme
und Abnahme, Zunahme und Zunahme
wie Abnahme und Zunahme. Wachstum
und Schrumpfung, so das Ergebnis, gab es
schon damals in westdeutschen Stadtregionen gleichzeitig – ob in den Kernstädten
oder in den Randbereichen. Stadtentwicklung, so wollte ich zeigen, war komplizierter
geworden: Es gab nicht einen einzigen typischen Verlauf, sondern mehrere Muster von
Stadtentwicklungen („Stadtentwicklung in
der Mehrzahl“).
So einfach, wie ich es mir noch Mitte der
1980er Jahre vorstellte, war es jedoch bald
nicht mehr – auch wegen der verstärkten
Zuwanderung und der Wiedervereinigung
Deutschlands. Über diese Phasenschwankungen ging auch die Einsicht in säkulare
Schrumpfungstendenzen verloren.
Die 1990er Jahre: verschlungene Wege
der Thematisierung
Die fachliche wie öffentliche Wahrnehmung war auch in den 1989er Jahren noch
weit davon entfernt, die neue Realität von
parallelen Wachstums- und Schrumpfungsprozessen anzuerkennen. Andere Faktoren
überlagerten sie. Zunächst war es der stark
anschwellende Zufluss von Migranten insbesondere in die Kernstädte – also der positive Wanderungssaldo –, dann die Dynamik
der gesamtdeutschen Binnenwanderung,
die andere Akzente setzte.
Bei der Deutung dieser neuen Akzente
kann der Einfluss der Medien wohl nur
unterschätzt, die Rolle der wissenschaftlichen Faktenvermittlung und -deutung
dagegen nur überschätzt werden. Ein Blick
auf die Rezeptionsgeschichte des Themas
Schrumpfung in den deutschen Printmedien seit 1990 illustriert, wie drastisch
andere Diskurse zunächst die Thematik der
schrumpfenden Städte überlagerten: In der
Nachwendezeit (1990–1994) war es für Ostdeutschland zunächst die Perspektive eines
völlig fiktiven Wohnungsbaubedarfs („im
843
Osten fehlen eine halbe Million Wohnungen“, titelte „Der „Spiegel“ in seiner Ausgabe
29 von 1991) – gefolgt von der Perspektive
des demographischen Wandels als Folge der
Ost-West-Wanderungen („Massenflucht“,
„Ausbluten ganzer Regionen“). Ab Mitte der
1990er Jahre (1995–1999) traten die ostdeutschen Bevölkerungsrückgänge in den Vordergrund und eine nüchterne Korrektur der
Wohnungsbauprognosen wurde angemahnt
(„in der Einheitseuphorie am Markt vorbeigebaut“, so die „Süddeutsche Zeitung“ am
11. November 1995). Eine Studie der Deutschen Siedlungs- und Rentenbank empfahl
bereits den Abriss von Plattenbauten – nun
fehlten im Osten keine Wohnungen mehr,
sondern das Gegenteil wurde beklagt: Auf
dem Wohnungsmarkt stünde „fast eine halbe Million Wohnungen leer“ 8.
Es war die Stunde der Wohnungspolitik.
Ab 2000 schnitt der Bericht der sog. Wohnungsleerstandskommission des Bundesbauministeriums das Thema breiter, als
Gesamtphänomen städtischen Wandels zu
und fokussierte es auf das ökonomische
Problem der massenhaften Wohnungsleerstände. Die sozialliberale Koalition machte
sich die drängenden Bewirtschaftungsprobleme der großen Wohnungsgesellschaften zu eigen, die sich aus den hohen Leerstandsquoten ergaben – wohl nicht zuletzt
wegen der traditionellen Nähe zu den Trägern des sozialen Wohnungsbaus. Die von
den Unternehmen angestrebte Marktbereinigung durch Abriss von Wohnungen in
Großsiedlungen, speziell in Plattensiedlungen wurde als Fördertatbestand anerkannt.
Das neu aufgelegte Programm „Stadtumbau
Ost“ (später auch das komplementäre Programm „Stadtumbau West“) forderten von
den Gemeinden integrierte Gesamtkonzepte als Voraussetzung für die Finanzierung.
Seit 2000 wurde der Strom der Berichterstattung breiter. Darin überlagerten sich
sehr verschiedene Konnotationen von
Schrumpfung: als Phänomen des Wohnungsmarkts, als wirtschaftliche Folge einer
kaum abgefederten massiven Deindustrialisierung und politischen Transformation, als
demographische Folge von regional selektiven Wanderungen, Geburtenrückgang und
Bevölkerungsalterung. In der Breite der Beschreibungen begann die Thematisierung
als Gesamtphänomen städtischen Wandels.
Bald hatte sie so auch die Regionalplanung
und Raumordnung erreicht. Zeitgleich be-
844
Aus der Werkstatt
kamen die aktuellen stadtsoziologischen
Forschungen in dieser Thematisierungskonjunktur eine größere Öffentlichkeit.
Die Breite der Publikationen seit 2000
Viele Disziplinen, von der Architektur über
die Geographie, Ökonomie und Soziologie bis zur Stadt- und Regionalplanung,
wenden sich inzwischen nicht nur an das
eigene Fachpublikum, sondern häufig an
eine breite Öffentlichkeit. Grundlagentheoretisch orientierte Abhandlungen stehen neben bilderreichen Katalogen und Büchern
aus Architektur und Stadtplanung, die hier
nur exemplarisch gestreift werden können.9
Bei den Veröffentlichungen aus dem Bereich
der Architektur und Stadtplanung dominieren eindrückliche Bilder, Anekdoten und
Zahlen zu schrumpfenden Städten und Regionen. Weniger begriffliche Durchdringungen als vielmehr die Beschreibungen des
immer noch Ungewohnten und Fremden,
Bizarren kennzeichnen viele solcher zum
Teil außerordentlich anschaulichen Darstellungen, die auch sozialwissenschaftliche
Erklärungen einbeziehen.10 Exemplarisch
für diesen Gesamtzugriff ist die auf breite
öffentliche Wirkung angelegte Ausstellung
„Shrinking Cities“. Hier wird Schrumpfung
zu einem kulturellen „Phänomen“, das es
allerdings nun politisch und planerisch zu
gestalten gälte. 11
Zu einem differenzierten Verständnis der realen Prozesse und der politischen Strategien
hat vor allem die Stadt- und Regionalsoziologie beigetragen.12 Sie zeigt zum Beispiel,
dass es wenig hilfreich ist, von „den“ ostdeutschen Städten zu sprechen: Schrumpfende Klein- und Mittelstädte Ostdeutschlands sowie die Städte, die ihr Wachstum
politischen Standortentscheidungen und
einseitiger Industrieentwicklung verdanken, werden hier tendenziell durchgreifender transformiert als die großen Städte und
Städte mit einem starken vorindustriellen
Stadtkern.13
Schließlich gibt es Beiträge zur politischen
Dimension von Schrumpfungsprozessen.
Sie aktualisieren die Frage Häußermann
und Siebels, in welchem Verhältnis eine solche Stadtpolitik des aktiven Umgangs mit
Schrumpfung (nicht nur normativ, sondern
empirisch) zu den bisherigen Wachstumspolitiken steht.
Stadtpolitik: Wachstum oder
Schrumpfung ?
Stadtentwicklungspolitik richtet sich bis
heute auf Wachstum aus. Sie war immer auf
Angebote für Investoren, zur Betriebsansiedlung und auf Leuchtturmprojekte für
die Wachstumsmaschine Stadt eingeschworen. Die Betrachtung von schrumpfenden
Städten kann daher nur ein Aspekt einer
Stadtentwicklungspolitik sein, die weithin
von ihrem Gegenteil, den Triebkräften des
Wachstums und der ungehinderten Kapitalverwertung dominiert ist.
Untersuchungen darüber, ob es überhaupt
eine Stadtpolitik der Schrumpfung gibt und
unter welchen Bedingungen es Städten, die
schrumpfen, gelingt, ihre Stadtpolitik darauf auszurichten, gibt es wenig und noch
nicht lange.14 Was kennzeichnet diese Politik? Eine empirische Studie 15, aus der im
Folgenden einige Ergebnisse zusammengefasst werden, soll hier zur Illustration dienen.
Die Studie vergleicht Duisburg und Leipzig – und damit die Stadtpolitik von zwei
Städten in Ost und West, die beide Bevölkerungsrückgang in der Größenordnung von
100 000 Einwohnern und seit den 1970er
bzw. 1990er Jahren massive Arbeitsplatzverluste hinnehmen mussten. Sie kommt
zu dem Ergebnis, dass nur in Leipzig die
Ursachen in mehreren Dimensionen und
strukturell als Dauerproblem wahrgenommen werden, während Duisburger Akteure
in Politik, Verwaltung und Wirtschaft auf
zyklischen Wechsel setzen und daran festhalten, dass erst durch Wirtschaftswachstum die „Talsohle“ überwunden werden
müsse. Zwar setzte auch Leipzig auf (teilweise durchaus erfolgreiche) Standortprofilierung durch Großprojekte (BMW-Ansiedlung BioCity, Zentralstadion, Messeausbau,
Olympiabewerbung), leitete aber parallel
dazu eine Fülle neuer und unkonventioneller Strategien zur Stabilisierung von sich
entleerenden Wohnquartieren ein, die Abriss ebenso wie Konzepte temporärer Nutzungen mit einschlossen. Erkennbar habe
Leipzig einen deutlich kreativeren Umgang
mit der Tatsache der Schrumpfung als Duisburg ausgebildet. Gleichwohl habe keine
der beiden Städte, so die Verfasserin, letztlich den Schritt zu einem paradigmatischen
Wechsel in der Stadtpolitik vollzogen.
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
Was lässt sich aus den (wenigen) Studien
zur Politik in schrumpfenden Städten lernen? Zusammengefasst demonstrieren sie
vor allem die vielfältigen Schwierigkeiten,
aus rückläufigen Entwicklungen positive,
politisch wirksame Handlungsprämissen
abzuleiten und sie nicht als bloße Defizitposten einer Wachstumspolitik zu begreifen. So gilt Leipzig als Pionierstadt bei der
Entwicklung neuer Konzepte und Verfahren
des Stadtumbaus, die sich mehr als nur graduell vom traditionellen Typus der Wachstumspolitik unterscheiden.16 Eine häufig
betonte Option besteht bei diesen neuen
Politiken darin, vor allem private Akteure
wie kleine Haus- und Grundeigentümer
oder auch Wohnungsgesellschaften dafür
zu gewinnen, als Stakeholder mitzuwirken.
Diese Option steht in deutlichem Kontrast
zu einer Wachstumsstrategie, die auf große
Shareholder-Investitionen setzt. Des Weiteren zeigt sich in diesen neuen Politiken die
Bedeutung strategischer Allianzen, die alle
relevanten Akteure einbinden und sich auf
gemeinsame Werte und Ziele verständigen,
statt allein durch die gemeinsame Absicht,
Verschlechterungen abzuwehren, zusammengehalten zu werden.
Schließlich zeigen die Studien, dass die Leitfrage nach einer eigenständigen Schrumpfungspolitik einer zu starken Idealisierung
aufsitzen könnte. Womöglich ist eine Politik der Schrumpfung weniger eine radikale
Alternative als vielmehr ergänzender Teil
einer aufgeklärten Wachstumspolitik, die
Schrumpfung akzeptiert, ohne die Hoffnungen auf Wachstumspotenziale aufzugeben.
Der erreichte Stand – und die
verbleibenden Desiderata
Den anfänglichen Versuchen der Politisierung des Themas, wie sie in den 1980er
Jahren von Häußermann und Siebel unternommen wurden, folgten mehrere Wellen
der Demographisierung, Ökonomisierung
(Wohnungswirtschaft),
Kulturalisierung
und planungstechnischen Instrumentalisierung des Themas. Erst jüngst gibt es Untersuchungen zum Thema als Gegenstand der
Stadtpolitik – so wie es in den 1980er Jahren
einmal angedacht war.
Diese Wellen der Interpretation, die das
Thema in den letzten beiden Jahrzehnten
erfahren hat, lassen erahnen, wie langwierig
845
und zum Teil erratisch solche Prozesse der
Umorientierung der bisherigen Perspektiven auf Stadt und Region verlaufen können.
Dennoch erzeugten sie kumulativ Wissen,
indem über einen größeren Zeitraum bereichsspezifische Einsichten allmählich
zueinander fanden. Erst die interessierten
Thematisierungen z. B. aus Politik, Wohnungswirtschaft, Medien und aus anderen
Fachdisziplinen nahmen Ende der 1990er
Jahren die Interpretationsangebote aus der
Stadtsoziologie selektiv auf und machten
sie damit anschluss- und gesellschaftsfähiger. Indem sie sich kulturalistische Deutungen zu eigen machten, färbten sie diese
allerdings dabei auch anders ein. Prägend
wirkten vor allem die bau- und planungsbezogenen,
ingenieurwissenschaftlichen
Arbeiten aus der angewandten Forschung
von städtebaulich orientierten Architekten,
die ihrerseits die sozialwissenschaftliche
Stadtforschung assimilierten und praktisch
zu wenden suchten.
Indem ingenieurwissenschaftliche Studien
das Thema zur Frage der Gestalt der Städte
machten, blendeten sie aber auch wichtige
Fragen der Stadtpolitik aus, die eben nicht
allein eine Politik und Planung der Stadtgestalt und Raumbewirtschaftung ist. Getragen von breiten, interessierten Thematisierungen in Politik und Medien griff
auch die Stadt- und Regionalsoziologie die
Themen der Schrumpfung wieder verstärkt
empirisch auf. Allerdings vollzieht auch sie
– als auftrags- und verwendungsbezogene
Forschung – vielfach die Engführungen einer auf praktische Umsetzung gerichteten
Aufgabe nach und beantwortet damit nicht
die grundsätzlichen, weil kategorialen Fragen.
Auch für schrumpfende Stadtentwicklung
gilt: „Stadtentwicklung war immer schon
Stadterweiterung, Stadterneuerung und
Stadtumbau zugleich, jedoch in unterschiedlichen Epochen jeweils zu unterschiedlichen Anteilen“ 17. Solche Mischlagen
zu bilanzieren und zu verstehen, setzt eine
angemessene Distanz zum Untersuchungsgegenstand voraus, den letztlich nur veränderte, theoretisch bewehrte Begriffe schaffen können.
Unser konzeptionelles Verständnis von
Schrumpfungsprozessen kennzeichnet indessen noch ein schmerzlicher Mangel.18
Denn wenn nicht Wachstum, sondern gegenläufige Prozesse des Rückgangs von Be-
846
Aus der Werkstatt
wohnern und wirtschaftlicher Potenz die
Zukunft von Städten bestimmen, erschüttert
das auch die Kernannahmen unseres bisherigen Denkens über Stadtentwicklung: Die
sozialräumliche Ausdifferenzierung durch
Segregation, das kontinuierliche Ausdehnen der bebauten Flächen, die Verdichtung
und funktionale Entmischung von Nutzungen usw. sind alle Ausfluss von Wachstumsprozessen. Stadtentwicklung schien immer
geprägt durch Flächenexpansion, soziale
Differenzierung, Funktionstrennung und
Nutzungsintensivierung. Gilt dies weiterhin
uneingeschränkt? Louis Wirth argumentierte einst im Anschluss an die soziologischen
Klassiker Simmel und Park, urbane Verhältnisse, also „urbanism as a way of life“,
kennzeichneten Größe, Dichte und Heterogenität.19 Gilt diese goldene Formel der
Urbanität auch dort, wo die urbane Realität heute in der Verkleinerung, Entdichtung
und Entmischung liegt?
So bleibt es einstweilen bei den früh formulierten Desiderata einer Diskussion um
das Schrumpfen von Städten, die erst nach
einer langen Latenzperiode breit geführt
wurde und heute Gefahr läuft, sich technokratisch auf das planungspraktisch Erforderliche zu verengen. Häußermann und
Siebel forderten vor zwei Jahrzehnten von
der Stadtpolitik, sich vom alleinigen Umgriff des Wirtschaftswachstums zu emanzipieren und kühn andere Visionen der
Gestaltung zu wagen. Für die Stadt- und
Regionalsoziologie regten sie an, sie solle
ihre zentralen Kategorien der Analyse prüfen und reformulieren. Beide Forderungen
stehen noch heute.
Fazit: Wege wissenschaftlicher
Politikberatung
Die lange Inkubationszeit, die das Thema
Schrumpfung in der politischen wie fachlichen Diskussion benötigte, bis es breiter
akzeptiert wurde, könnte man als Ergebnis
mangelnder Bereitschaft begreifen, sich unpopulären, weil wachstumskritischen Deutungen zu öffnen. Doch es liegt nicht nur
daran, dass die Adressaten wissenschaftlicher Ergebnisse die Botschaft nicht vernehmen wollten. Die Schwierigkeiten, denen sich die sozialwissenschaftliche Politikberatung beim Thema Schrumpfung
gegenübersieht, liegen auch in den Besonderheiten der Disziplin selbst begründet.
Bei seiner Dankesrede zur Verleihung des
Preises der Schader Stiftung 2007 nannte
Franz Xaver Kaufmann mögliche Gründe,
die erklären könnten, warum sozialwissenschaftliche Ergebnisse häufig wirkungsarm
bleiben.20 Die gesellschaftliche Potenz der
sozialwissenschaftlichen Forschung, so
Kaufmann, läge weniger in der Anwendung
ihres Wissens, als vielmehr in der Verwendung und orientierenden Kraft ihrer Begriffe und Deutungen.
In dieser Rede unterscheidet Franz-Xaver
Kaufmann also die Bereitstellung von faktischem Wissen und Orientierungsleistungen. Die sozialwissenschaftliche Forschung
müsse erstens über einen sich wandelnden
Gegenstand veränderte, angemessene Deutungsangebote plausibel machen – und das
insbesondere gegenüber hoch interessierten
gegenläufigen Deutungen. Zweitens müsse
sie übergreifende Perspektiven aus jeweils
disziplinärer Sicht entwerfen. Denn die
Erfahrung von Gesellschaft, so Kaufmann,
bedeute immer auch eine „alltägliche Erfahrungsbereiche übergreifende … zum
mindesten bereichsspezifische Einsichten
relativierende Perspektive“. Letzteres, also
die Synthese unterschiedlicher, spezialisierter Erfahrungsfacetten, hat wohlmöglich einen größeren Einfluss auf die Fähigkeit zu
orientieren und umzuorientieren, als bisher
gedacht.
So sehr man diese Forderung Kaufmanns
begrüßen mag, so wenig klar ist, was sie
praktisch bedeutet. Sozialwissenschaftliche
Forschung, so mein Fazit, kann ihre Ergebnisse nur sehr begrenzt aus eigener Kraft
relativieren und erfahrungsübergreifend organisieren. Dies kann besser gelingen, wenn
sie sich dialogisch, inter- und transdisziplinär organisiert – kurz: sich somit früh auch
den Sichten und Interessen anderer Disziplinen, Professionen und Institutionen aussetzt, an die sich ihre Ergebnisse richten.
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
847
Anmerkungen
(1)
Die Idee und das (literarische) Material zu diesem Aufsatz entstammen einer Bereichsrezension zum Thema „Schrumpfende Städte“ in: Soziologische Revue 30 (2007) 4, S. 383 –392, die
ich gemeinsam mit Johann Jessen verfasst habe.
Verena Pfeiffer danke ich für die gründlichen inhaltsanalytischen Recherchen zur Situation der
1990er Jahre, die sie im Rahmen einer Seminararbeit an der TU Berlin im Sommersemester 2007 anfertigte. Birgit Glock, Martin Gornig,
Hartmut Häußermann, Martin Kronauer und Jens
Wurtzbacher verdanke ich anregende Kritik und
Ergänzungen zu einer frühen Version; für das Ergebnis bleibe ich allein verantwortlich.
(2)
Stellvertretend vgl. hier die bisher immer noch
reichhaltigste Darstellung der verfügbaren statistischen Indikatoren in Gatzweiler, H.-P.; Meyer,
K.; Milbert, A.: Schrumpfende Städte in Deutschland. Fakten und Trends. Informationen z. Raumentwicklung (2003) 10/11, S. 557–574
(3)
Vgl. z. B. Göb, Rüdiger: Die schrumpfende Stadt.
Archiv f. Kommunalwissenschaften 16 (1977) II,
S. 149 –177. Zu einer Genealogie der Schrumpfungsdebatte mit ausführlichem Literaturnachweis vgl. Hannemann, Christine: Marginalisierte
Städte. Probleme, Differenzierungen und Chancen ostdeutscher Kleinstädte im Schrumpfungsprozess. – Berlin 2004, S. 72–75
(4)
Wichtige Impulse lieferten in den 1980er Jahren die „Locality Studies“ des britischen ESRCForschungsprogramm „Changing Urban and
Regional System in the UK“, die sich an Doreen
Masseys (1984) Restrukturierungsthese von der
proaktiven Rolle orientierten, die lokale Körperschaften bei der Transformation zu postindustriellen Strukturen spielten; vgl. Massey, Doreen:
Spatial Divisions of Labour. – London 1984
(5)
„Die Zeit“ Nr. 13/1985 (Extra) vom 22. März
1985
(6)
Vgl. Häußermann, Hartmut; Siebel, Walter: Die
schrumpfende Stadt und die Stadtsoziologie. In:
Soziologische Stadtforschung. Hrsg.: Friedrichs,
Jürgen. – Opladen 1988. = Sonderheft der Kölner Zeitschrift f. Soziologie und Sozialpsychologie, S. 78–94
(7)
Vgl. Walther, Uwe-Jens: Entwicklungsprobleme
und Perspektiven von Stadtregionen – Aspekte
der neueren sozialwissenschaftlichen Diskussion. Informationen z. Raumentwicklung (1987)
11/12, S. 675–688
(8)
Süddeutsche Zeitung am 13. Sept.1997 und Die
Zeit, Ausgabe 43/1997
(9)
Vgl. ausführlicher Jessen, Johann; Walther, UweJens: Schrumpfende Städte. Soziologische Revue (2007) 4, S. 383–392
(10)
In seinem Buch „Luxus der Leere. Vom schwierigen Rückzug aus der Wachstumswelt“ (Wuppertal 2004) über die schrumpfenden Städte
Ostdeutschlands übernimmt Wolfgang Kil bereits
im Titel die frühe Aufforderung von Häußermann und Siebel, die rezessiven Entwicklungen
in den Städten nicht nur defizitär, sondern als
Gestaltungspotenziale zu deuten. Er verknüpft
Fallschilderungen mit sozialwissenschaftlichen
Erklärungsangeboten (Deökonomisierung, Marginalisierung, Ausgrenzung, Transformation, Governance …).
(11)
Vgl. die beiden Bände zur Ausstellung: Oswalt,
Philipp (Hrsg.): Schrumpfende Städte, Bd. 1:
Internationale Entwicklungen. Bd. 2: Handlungskonzepte. – Ostfildern-Ruit 2004 u. 2005
(12)
Vgl. die Beiträge in: Gestring, Norbert; Glasauer, Herbert; Hannemann, Christine; Pohlan, Jörg;
Petrowski, Werner (Hrsg.): Jahrbuch StadtRegion
2004/2005. Schwerpunktthema: Schrumpfende
Städte. – Wiesbaden 2005. Sie bemühen sich
zum Beispiel gegenüber den populären kulturalistischen Gesamtdeutungen der ShrinkingCities-Publikationen einerseits und Verkürzungen
auf die besondere Situation der ostdeutschen
Städte andererseits deutlich um Differenzierung
und eine erweiterte Perspektive.
(13)
Auf die Unterschiede weisen viele Versuche der
Typologisierung hin; vgl. z. B. Goeschel, Albrecht:
Stadtumbau – Zur Zukunft schrumpfender Städte
vor allem in den neuen Bundesländern. Informationen z. Raumentwicklung (2003) 10/11, S. 605–
615. Christine Hannemann (Marginalisierte Städte. Probleme, Differenzierungen und Chancen
ostdeutscher Kleinstädte im Schrumpfungsprozess. – Berlin 2004) gebührt das Verdienst, den
Typus der schrumpfenden Stadt an Kleinstädten
in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern
in seinen Differenzierungen untersucht zu haben.
Ihre These eines kumulativen Charakters der
Marginalisierung, der erst als Überlagerung von
historischen Schichten verständlich wird, illustriert sie an den vier Städten Angermünde, Bad
Wilsnack, Goldberg und Teterow. Das Novum der
stagnierenden oder rückläufigen Bevölkerung
wird hier zum „neuen Normalfall“ (S. 79 ff.). An
den vier systematisch ausgewählten Kleinstadtgemeinden stellt die Autorin eine empirisch gehärtete, komplexe „Typologie der Schrumpfstadt“
vor, die nach Entwicklungsdynamik und nach
Reaktionsfähigkeit unterscheidet: konsolidierte,
stabilisierte, stagnierende, erodierende Städte.
(14)
Einige Veröffentlichungen thematisieren den
Umgang mit Schrumpfungsprozessen in der Planung: Weiske, Christine; Kabisch, Sigrun; Hannemann, Christine: Kommunikative Steuerung des
Stadtumbaus? Interessengegensätze, Koalitionen und Entscheidungsstrukturen in schrumpfenden Städten. – Wiesbaden 2004. Während Birgit
Glock (Stadtpolitik in schrumpfenden Städten.
Duisburg und Leipzig im Vergleich. – Wiesbaden
2006. = Stadt, Raum und Gesellschaft) in ihren
Ergebnissen auf die zentrale Bedeutung von
Handlungsorientierungen (und Wahrnehmungsbarrieren), Kooperationsformen und Akteurskonstellationen für den offensiveren politischen Umgang mit Schrumpfungsphänomenen verweist,
haben Weiske, Kabisch und Hannemann dies
unter dem Stichwort „kommunikative Steuerung“
(s. Anm. 13) vorher direkt zum Gegenstand einer
Veröffentlichung gemacht.
Kabisch, Berndt und Peter untersuchen an einem Fallbeispiel, wie das aktuelle Bund-LänderFachprogramm Stadtumbau Ost umgesetzt wird.
Anhand von Wohnquartieren der ostdeutschen
Mittelstadt Weißwasser zeichnen sie die lebensweltlichen Folgen eines Programms nach, das
planerisch geordneten Rückbau und Aufwertung
anstrebt, faktisch jedoch unter großem Zeitdruck
vor allem den Abriss leerstehender Wohnungen
finanziell fördert – ohne überall die Bewohner
rechtzeitig und angemessen zu informieren und
in die Abriss- und Umbaupläne und -strategien
einzubeziehen; vgl. Kabisch, Sigrun; Bernt,
Matthias; Peter, Andreas: Stadtumbau unter
Schrumpfungsbedingungen: Eine sozialwissenschaftliche Fallstudie. – Wiesbaden 2004
(15)
Glock, Birgit: Stadtpolitik in schrumpfenden Städten, a. a. O.
(16)
Vgl. Jessen, Johann; Walther, Uwe-Jens: Leipzig.
In: stadtmachen.eu. Urbanität und Planungskultur in Europa. Hrsg.: Johann Jessen, Ute Meyer,
Jochem Schneider. – Stuttgart 2008, S. 136–
157
(17)
Jessen, Johann: Stadtverdünnung? Wie verändert sich die funktionalräumliche und morphologische Struktur von Städten unter den Bedingungen des Schrumpfens? In: Stadtlichtungen.
Irritationen, Perspektiven, Strategien. Hrsg.:
Undine Giseke, Erika Spiegel. – Gütersloh 2007.
= Bauwelt Fundamente, S. 52
(18)
Vgl. dazu ausführlich ebda., S. 52–60
(19)
Vgl. Wirth, Louis: Urbanism as a Way of Life. –
Chicago 1964, S. 60–83
(20)
Kaufmann, Franz-Xaver: Was heißt „Anwendung“
in den Gesellschaftswissenschaften? Rede zur
Verleihung des Schader-Preises in Darmstadt
am 10. Mai 2007 (www.schader-stiftung.de/docs/
kaufmann_10-05-07.pdf; 28.06.2008)
848
Claus-C. Wiegandt
Aus der Werkstatt
Über die Unsicherheit, mit der Zukunft
umzugehen
Einleitung
„Vergangenheit der Zukunft“ – berühmte Autoren wie der polnische Philosoph
und Essayist Stanislaw Lem nutzen solche
Wortspiele als Titel einer Aufsatzsammlung zu eigenen Zukunftsansichten von
einst und heute.1 Anspruchsvolle Tageszeitungen wie die Neue Zürcher Zeitung
titeln mit solchen Worten in ihrem Feuilleton zu einer Literaturkritik des Romans
„Falsche Filme“ von Bruno Steiger (NZZ
vom 7.9.2006), und Einrichtungen wie der
Hauptstadtkulturfonds fördern ein Projekt
zur Jugendbewegung unter einem solchen
Motto. Und jetzt ein Themenheft in den
„Informationen zur Raumentwicklung“ zu
diesem scheinbar paradoxen Wortspiel, für
das ich eingeladen bin, einige persönliche
Gedanken zum Verhältnis von Vergangenheit und Zukunft während meiner eigenen
Arbeit der letzten Jahre zu entfalten. Dies
ist sicherlich keine leichte Aufgabe, aber
ich will versuchen, sie einzulösen, indem
ich mich zu drei Zeitschnitten – Anfang der
1980er Jahre, Anfang der 1990er Jahre und
Anfang des neuen Jahrtausends – an einzelne eigene Schlüsselereignisse erinnere,
die in einem Zusammenhang zur früheren
Bundesforschungsanstalt für Landeskunde
und Raumordnung (BfLR) bzw. zum heutigen Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) stehen.
Anfang der 1980er Jahre – regionale
Disparitäten und die Aufgaben der
Raumordnung
(1)
Lem, Stanislaw: Die Vergangenheit
der
Zukunft.
Essays. – Frankfurt/Main, Leipzig 1992
(2)
Vgl. Bundesministerium für
Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen: Raumordnungsbericht 1978. – Bonn 1978, S. 5
(Vorwort)
Ende der 1970er Jahre begann ich mein Studium der Geographie in Münster. Wir waren begeistert von einem Fach, das sich in
einem Wandel von der reinen Länderkunde
hin zu einer ernst zu nehmenden Raumwissenschaft befand. Vor allem über die Nebenfächer waren wir im Studium gefordert,
uns mit der Zukunft der räumlichen Entwicklung in Deutschland zu beschäftigen.
Dabei spielten die Arbeiten aus der damaligen BfLR eine ganz zentrale Rolle. Hier wurden in Bonn Bad Godesberg mit der damals
noch jungen „Laufenden Raumbeobach-
tung“ die großräumigen Unterschiede in
den Lebensbedingungen der Bundesrepublik Deutschland akribisch herausgearbeitet.
Die Wanderungsverluste der strukturschwachen ländlichen Räume waren wichtige Indikatoren in diesem Zusammenhang und
gaben Anlass zu großer Sorge, was die Zukunft dieser peripheren Räume betraf.
Diese Probleme waren damit auch eine
zentrale Legitimation des Bundes für seine
eigene Raumordnungspolitik. So trat beispielsweise der Raumordnungsbericht 1978
deutlich für den Ausgleich regionaler Disparitäten ein und stellte damals fest, dass
die strukturschwachen ländlichen Gebiete
trotz raumordnerischer Einflussnahme und
Fortschritten in der Infrastrukturversorgung
wegen der ungünstigen Arbeitsmarktsituation auch weiterhin als Problemgebiete anzusehen seien.2
Das Emsland galt in dieser Zeit als ein
Musterbeispiel für eine solche Problemregion, für die sich die Raumordnung einsetzen wollte. Allerdings stellten sich bei
mir, der ich in dieser Region aufgewachsen
war, leichte Zweifel bei dieser Zustandsbeschreibung mit Hilfe der Indikatoren der
laufenden Raumbeobachtung ein. Sicherlich waren zahlreiche sozioökonomische
Kennziffern unter dem Bundesdurchschnitt
und gab es auch bei den Jugendlichen Abwanderungsbewegungen nach dem Abitur
– ich gehörte ja selbst dazu –, doch konnte
ich eine generelle Unzufriedenheit in der
Bevölkerung mit den regionalen Lebensbedingungen aus eigener Erfahrung nicht so
eindeutig bestätigen. Im Gegenteil: Nicht
nur großzügige Einfamilienhäuser und eine
reizvolle Landschaft, sondern auch überschaubare Alltagswelten und ein dynamisches Unternehmertum prägten nach meiner eigenen Vorstellung schon damals das
Emsland und ließen einen großen Teil der
Bevölkerung mit den regionalen Lebensbedingungen durchaus zufrieden sein. So entstand im Laufe des Studiums gemeinsam
mit Rainer Danielzyk die Idee, mit wissenschaftlichem Anspruch und entsprechenden quantitativen Methoden genauer in die
Region zu schauen. Wir wollten uns auf die
Lebensverhältnisse der Bewohner im Alltag
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
des Emslandes einlassen. Daraus entstand
dann eine gemeinsame Diplomarbeit 3, die
wir Anfang der 1980er Jahre in Münster abschließen konnten und dann sogar auf dem
Geographentag in Berlin vorstellen durften.
Herr Strubelt als Leiter der BfLR und Herr
Blotevogel als junger Geographieprofessor
an der Hochschule hatten damals als Leiter einer Fachsitzung das Vertrauen in uns,
dass wir einen solchen Vortrag über unsere
Arbeit auch als Studenten in einem solchen
Kreis halten könnten.
Inzwischen haben sich nicht nur die Perspektiven für das Emsland, sondern hat sich
auch die Darstellung einer solchen Region
in der bundesdeutschen Raumbeobachtung deutlich gewandelt. Der westliche Teil
Niedersachsens gilt heute für einige Raumwissenschaftler sogar als eine Vorzeigeregion, die als ein „Best Practice“ Eingang in
einen späteren Raumordnungsbericht gefunden hat.4 Dabei wird an diesem Beispiel
deutlich, dass spezifische regionale Faktoren über den Erfolg oder auch Misserfolg
einer regionalen Entwicklung entscheiden.
So haben sich die ländlichen Räume ausdifferenziert und folgen durchaus jeweils eigenen Entwicklungslogiken, die nur schwer
vorhersehbar sind.
Dies soll nun aber keineswegs als ein Statement verstanden werden, zukünftig den
originären Auftrag der Raumordnungspolitik zu vernachlässigen, einen Ausgleich
der regionalen Disparitäten anzustreben.
Nach jüngeren Diskussionen im raumordnungspolitischen Diskurs und den neuen
Leitbildern der Bundesraumordnung könnte dieser Eindruck entstehen. Doch der oft
unzureichende Anschluss an das schnelle
Internet in dünn besiedelten Regionen oder
der Rückzug der Deutschen Bahn aus der
Fläche sind zwei aktuelle Beispiele, in denen die Argumente der Raumordnung auch
heute noch gefragt sind. Raumordnungspolitik beraubt sich ihrer eigenen Aufgabe,
wenn sie sich nicht auch der schwächeren
Regionen annimmt, die heute eben nicht
im Emsland, sondern in anderen Teilen
Deutschlands sowohl im Osten als auch immer noch im Westen zu finden sind. Dabei
handelt es sich heute keineswegs nur um
ländlich periphere Regionen. Vielmehr besteht inzwischen auch in verdichteten altindustriellen Regionen ein Bedarf für eine
ausgleichsorientierte
Raumordungsperspektive.
849
Anfang der 1990er Jahre – die Unplanbarkeit der Wiedervereinigung
Vor fast 20 Jahren wurde Deutschland von
dem Ereignis der Wiedervereinigung überrascht. Viele der damaligen Gedanken zur
räumlichen Entwicklung Deutschlands
stellten sich innerhalb weniger Monate
unter einem völlig neuen Blickwinkel dar.
So ergaben sich durch den Beitritt der
Deutschen Demokratischen Republik zur
Bundesrepublik Deutschland plötzlich
neue spannende Aufgaben für die Raumordnungs- und Stadtentwicklungspolitik,
die die damalige BfLR wissenschaftlich begleiten konnte. Dies betraf nicht nur den
Perspektivenwechsel der bundesdeutschen
Raumordnung von einem Nord-Süd-Gefälle
zu einem radikalen Ost-West-Gefälle, das
noch heute die Debatten über die bundesdeutsche Raumordnungspolitik bestimmt.
Veränderungen ergaben sich auch in der
Stadtentwicklungspolitik, in der nun die
langjährigen Erfahrungen der westdeutschen Städtebauförderung auf die maroden
Innenstädte und die zahlreichen Großwohnsiedlungen der DDR-Zeit übertragen
werden konnten.
Für mich ging Ende der 1980er Jahre die
Studienzeit und die Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut in Münster zu Ende, und ich hatte das
Glück, zwei Monate vor der Wiedervereinigung in der damaligen BfLR als Projektleiter eine neue Aufgabe im Umweltreferat
übernehmen zu können. Auch wenn ich im
Vorstellungsgespräch Ende Februar 1990
noch ein kurzes Statement zum europäischen Binnenmarkt abzugeben hatte, lag
in der darauffolgenden Zeit zu Beginn der
1990er Jahre ein wesentliches Augenmerk
der BfLR-Tätigkeiten auf den Folgen der
Wiedervereinigung.
So erschien der Ende der 1980er Jahre mühsam zusammengestellte Raumordnungsbericht 1990 zwar noch, doch war sein Inhalt
bereits mit dem Druck überholt, weil er sich
ausschließlich auf Westdeutschland bezog.
Die Ideen zur Zukunft waren sehr schnell
Vergangenheit geworden. Schon 1991 gab
es deshalb einen nächsten außerplanmäßigen Raumordnungsbericht, der sich mit
der Situation in den neuen Ländern auseinandersetzte. Dazu wurden zahlreiche Daten aus den alten DDR-Behörden zusammengetragen und eine räumliche Situation
(3)
Danielzyk, R.; Wiegandt, C.-C.:
Lingen im Emsland. Dynamisches
Entwicklungszentrum
oder „Provinz“? Ansätze zu
einer qualitativen Methodik in
der Regionalforschung. – Paderborn 1985. = Münstersche
Geographische Arbeiten, H. 22
(4)
Bundesamt für Bauwesen und
Raumordnung: Raumordnungsbericht 2005. – Bonn 2005. =
Berichte, Bd. 21, S. 86
850
Aus der Werkstatt
dokumentiert, die mit dem tiefgreifenden
Strukturwandel der ostdeutschen Wirtschaft
und seinen umfassenden gesellschaftlichen
Folgen aber ebenfalls bald wieder überholt war. In einem ersten gesamtdeutschen
Raumordnungsbericht wurden dann 1993
die neuen Disparitäten herausgearbeitet,
aber auch die enormen Aufbauleistungen
des Bundes dokumentiert. Die oft einschneidenden und weitreichenden Veränderungen im Alltagsleben der Ostdeutschen
werden in diesen Veröffentlichungen allerdings nur ansatzweise deutlich.
Vieles von dem, was sich seit Anfang der
1990er Jahre in Ostdeutschland ereignet
hat, war nur schwer vorherzusagen. So
waren anfangs die Mieten in den ersten
Neubauten oder auch sanierten Altbauten
exorbitant hoch, weil der Wohnungsmarkt
nur langsam ein entsprechendes Angebot
bereitstellte. Und diese hohen Preise galten
für Wohnungen, die aus heutiger Sicht vielfach Qualitätsmängel aufweisen und sich
15 Jahre nach ihrem Bau bereits als schwer
vermittelbare Objekte herausstellen. In den
ersten Jahren nach der Wiedervereinigung
war der Abriss von Plattenbauten oder auch
von maroder gründerzeitlicher Bausubstanz
zumeist ein Tabuthema, weil Erinnerungen
an die Flächensanierungen der 1960er Jahre
über eine längere Zeit eine Diskussion zum
Rückbau verhinderten. So wie einige Intellektuelle nach dem Fall der Mauer zunächst
nicht die Möglichkeit der Wiedervereinigung sahen, so taten sich manche Stadtplaner mit dem Gedanken schwer, Wohnungen
abzureißen und damit das Marktgeschehen
zu beeinflussen.
Anfang des ersten Jahrzehnts im
21. Jahrhundert – neue Anforderungen
an die Qualität der gebauten Umwelt
(5)
Nassehi, Armin: Die Sehnsucht
nach Geschichte. Der Architekt
(2008) H. 4, S. 68 – 71
Mit dem Wechsel ins neue Jahrtausend ergaben sich für mich persönlich im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung – wie
die Anstalt inzwischen hieß – neue, weitere
spannende Perspektiven in der frisch eingerichteten Geschäftsstelle „Architektur und
Baukultur“. Hier ging es weniger um die
Zukunft der Raumentwicklung in Deutschland im Sinne einer übergreifenden Raumordnung oder einer Stadtentwicklungsplanung, die sich in dieser Zeit den Ideen der
Nachhaltigkeit verschrieben hatte, sondern
hier stehen auch heute noch konkret die
Perspektiven für eine bessere Gestaltung
der gebauten Umwelt im Vordergrund der
Tätigkeit – eine für das BBR damals ganz
neue Herausforderung. Das physisch-materielle Ergebnis einer Architektur- oder
auch einer Ingenieurleistung erhielt auch
für mich als Stadtforscher und Geograph
eine neue Bedeutung. Denn das Ziel der
Bundesinitiative ist es, ein breiteres Bewusstsein für die Qualitäten des zukünftig
Gebauten in der Gesellschaft zu schaffen –
sei es für die Qualität eines Wohnhauses, in
dem man sich zu Hause fühlt und das man
vielleicht sogar sein Eigen nennt, oder eines
Bürogebäudes, in dem man täglich ein und
aus geht und seine Arbeit verrichtet, sei es
aber auch für die baulichen Qualitäten einer Brücke, die man überquert, oder eines
Trafohäuschens, das man nur sehr indirekt
nutzt und wahrnimmt und über dessen Gestaltung man sich vielleicht auch deshalb
nur sehr selten Gedanken macht.
Interessant erscheint mir hier in einer Abhandlung über die Vergangenheit der Zukunft ein Gedanke zum zeitlichen Stellenwert von Architektur, den der Soziologe
Armin Nassehi jüngst zum 4. BDA(Bund
Deutscher Architekten)-Tag in München
geäußert hat.5 So weist er auf die „zeitliche
Paradoxie des Architektonischen“ hin, dass
alles Gebaute mit seiner Fertigstellung und
dem Beginn seiner Nutzung bereits wieder
Vergangenes darstellt, was die Planung und
den Bau eines Vorhabens immer betrifft. In
der Phase der Planung und Errichtung bestehen verschiedenste Möglichkeiten, ein
Vorhaben auszugestalten, es der baulichen
Umgebung anzupassen oder aber auch als
ein Solitär in einer Stadtlandschaft wirken
zu lassen. Mit der Fertigstellung erhält das
Gebäude aber „die Paradoxie in sich, gebaut worden zu sein“. Es wird einerseits zu
einem „Garant von Kontrolle, Stabilität und
Permanenz in einer Welt, in der es exakt
dies nicht mehr gibt“, andererseits kann es
sich dem Wandel der Nutzer und ihrer Vorstellungen aber nur bedingt anpassen. Das
Gebäude selbst wird sich nicht so schnell
ändern. Es wird über eine lange Zeit den
Vorstellungen der Vergangenheit entsprechen, auch wenn diese Vorstellungen sich
bei vielen Architekten sicherlich auch in die
Zukunft richten. Die Ansprüche der Nutzer
sind hingegen schnell meist andere als zum
Zeitpunkt des Planens und Bauens. Sie wer-
Informationen zur Raumentwicklung
Heft 11/12.2008
den anders gesehen und gelesen, so dass
sich die Räume selbst mit der Praxis ihrer
Nutzer verändern.
Politikberatung braucht
Zukunftsbetrachtung
Zukunft lässt sich nicht eindeutig voraussehen und vollständig planen. Dies zeigt die
Vergangenheit und gilt für die zukünftige
gesamtgesellschaftliche Entwicklung ebenso wie für den eigenen beruflichen Werdegang – wenn auch in ganz unterschiedlicher
Form.
Die letzten 30 Jahre haben deutlich werden
lassen, dass wenige bedeutende, unvorhergesehene Einzelereignisse sehr plötzlich
die Koordinaten für die gesellschaftliche
Entwicklung, aber auch für die räumliche
Planung verändern und damit einmal getroffene Zukunftsaussagen erheblich beeinflussen und relativieren können. Für die
1980er Jahre gehört der Reaktorunfall in
Tschernobyl zweifelsohne zu solchen Ereignissen, die bis in das letzte europäische
Dorf wirksam gewesen sind und gesellschaftliche Debatten über die Risiken von
Technologien seit dieser Zeit entscheidend
verändert haben. Für den Anfang des neuen Jahrhunderts war es der Terroranschlag
vom 11. September 2001 in New York, der
eine ähnliche Wirkung entfaltet hat und
für das gesellschaftliche Zusammenleben
in allen Teilen der Welt wirksam geworden
ist. Neben solchen spektakulären Einzelereignissen waren für Zukunftsaussagen in
851
den letzten Jahren auch eher schleichende
Entwicklungen bedeutsam, die nicht immer
klar prognostiziert wurden und die zugleich
aber erheblichen Einfluss auf räumliche
Entwicklungen ausgeübt haben. Dazu zählen die Veränderungen im Ost-West-Verhältnis seit Ende der 1980er Jahre ebenso
wie die Entwicklungen des Internets, die
noch Mitte der 1990er Jahre von keinem in
dieser Form vorhergesagt wurden und bis
heute in ihren räumlichen Auswirkungen
noch immer nicht umfassend erfasst sind.
Solche Ereignisse, die gar nicht oder nur
sehr schwer für die Zukunft vorhersehbar
sind, sollten nun aber nicht dazu verleiten,
eine räumliche Forschung aufzugeben, die
sich mit den zukünftigen Entwicklungen
beschäftigt, oder gar eine raumwirksame
Politik zu vernachlässigen, die versucht,
zielgerichtet Einfluss auf räumliche Entwicklungen zu nehmen. Vielmehr bedürfen alle Aufgaben, die mich in den letzten
30 Jahren meines Berufslebens beschäftigt
haben – seien es die regionalen Disparitäten, die städtebaulichen Konzepte oder die
Fragen der Gestaltung der gebauten Umwelt – auch weiterhin ebenso einer intensiven Forschung wie eines politischen Handelns. Ohne ein staatliches Korrektiv ist eine
nachhaltige räumliche Entwicklung nicht
garantiert. Damit hat eine wissenschaftlich
fundierte, raumbezogene Politikberatung
– trotz aller Unwägbarkeiten bei Aussagen
über die Zukunft – auch künftig eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe.