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M AT T H I A S FLUTE WWW.MATTHIAS-ZIEGLER.CH 1 ZIEGLER Ein Portrait des Zürcher Flötisten Matthias Ziegler Von Nick Liebmann Der Ausbrecher Enge Räume und begrenzte Flächen sind seine Sache nicht. Matthias Ziegler war stets ein ruhelos suchender Zeitgenosse. Auf immer mehr Flöten und elektronischen Hilfsmitteln erzeugt er immer wieder neue Klänge, Mozart, Jazz und klassische Avantgarde interessieren ihn gleichermassen, der traditionelle Konzertsaal ist ihm längst zu eng geworden. Matthias Ziegler ist ein lebendes «Work in Progress», ein Wanderer, der sich keine Ruhe gönnt. Ein Künstler mit unzähligen Fazetten: Flötist, Erfinder neuer Instrumente, Komponist, Konzertveranstalter, Lehrer und Grenzüberschreiter aus Berufung. Ein paar kurze Notizen zur Biographie. Geboren in schen weltweit bekannten Saxophonisten und Komponi- Bern, aufgewachsen in der Nähe von Zürich, entdeckte sten Daniel Schnyder im Grenzbereich zwischen Jazz und Ziegler nach fünf Jahren Blockflötenunterricht als Zehnjäh- westeuropäischer Kunstmusik. riger die Querflöte. Unmittelbar nach dem Konzertdiplom kam eine un- Er erinnert sich heute noch an die erste Vortrags- verhoffte Einladung vom populären New-Age-Harfenisten übung, an welcher er Glucks Ballettmusikbearbeitung Andreas Vollenweider. Ziegler, der auch Bands wie King «Reigen seliger Geister» zu spielen hatte. In der Musika- Krimson, Jethro Tull und Pink Floyd liebt, zögerte nicht lienhandlung handelte er sich allerdings mit der Bestellung lange und bestritt mehr als 100 Konzerte mit Vollenweider der Noten «Reizen seliger Geister» den Spott der Verkäufer in den USA, in Asien, in Australien und in Europa. Diese ein. ausgedehnte Tournée erlaubte es ihm, mit MikrophonierIn der Mittelschule erste Ausbruchsversuche aus techniken zu experimentieren – eine wertvolle Erfahrung, dem musikalischen Korsett. Ziegler erlernte autodidaktisch die ihm noch sehr zugute kommen sollte. Besonders ein Gitarre und Schlagzeug (später Saxophon) und erlangte im Konzert eines Didgeridoo-Virtuosen wurde zum Schlüssel- sechzehnten Lebensjahr erste Improvisationserfahrungen. erlebnis. Ziegler steckte ein Mikrophon unten in seine Flö- Auf der Flöte improvisierte er über Folksongs, und auch te, was es ihm erlaubte, neue Klangeffekte zu erzeugen. sonst erwachte in ihm die Lust am Ausprobieren («Prö- Ein Nachbar, der Schweizer Filmemacher Xavier Koller war beln», wie Ziegler sich ausdrückt). von den neuen Klängen begeistert und ermutigte Ziegler, Die Karriere des jungen Studenten schien allerdings auf diesem Wege weiterzumachen. in einer andere Richtung zu weisen. Erst nach sechs Seme- Dazwischen gründete der Flötist sein Palladio-En- stern Architektur (während denen Ziegler allerdings immer semble in der Besetzung Flöte-Cello-Cembalo. So haben seine Louis Lot Flöte gespielt hat) hat er sich voll für die Spagate und Kontraste immer das künstlerische Leben Zie- Musik entschieden. Das heisst . . . Ziegler spricht auch heu- glers geprägt, der es liebte, gleichzeitig verschiedene Kar- te noch von einem «Unterbruch» des Architekturstudiums, rieren zu verfolgen. der allerdings bis heute gedauert hat. Stationen auf dem Weg zum Berufsmusiker: Kon- Die Toolbox zertausbildung bei Conrad Klemm in Winterthur, Solisten- Die Begegnung mit einer Bassflöte von Werner diplom bei William Bennett in Freiburg im Breisgau. Da- Wetzel war eine Liebe auf den ersten Blick. Seine Affinität neben wichtige Impulse von André Jaunet, der Zieglers zu den tieferen Flöten begründet Ziegler mit seiner eige- Wohnnachbar war sowie Kurse bei Geoffrey Gilbert in Flo- nen Stimmlage (angenehmer Sprechbariton). Der Musiker rida. meint, dass man in der eigenen Stimmlage am differenzierBereits während seines Studiums arbeitete Ziegler testen höre und dass es deshalb für ihn selber ganz natür- als Soloflötist beim Zürcher Kammerorchester von Edmond lich sei, die tieferen Röhren zu erforschen. So kam bald de Stoutz, nahm aber auch an Jazz-Sessions beim Kontra- auch eine Kontrabassflöte von Kotato & Fukushima zum in- bassisten K.T. Geier teil und bewegte sich mit dem inzwi- zwischen umfangreichen Flötenarsenal. Ziegler reist heute M AT T H I A S FLUTE WWW.MATTHIAS-ZIEGLER.CH 2 ZIEGLER Ein Portrait des Zürcher Flötisten Matthias Ziegler Der Ausbrecher mit zwanzig Kilogramm Flöten und noch einmal zwanzig lichen Klappen integriert und ermöglichen damit zum Kilo Zubehör (Mikrophone, Mischpult, Loop Delay) durch ersten Mal neben Vierteltönen auch das Spielen chroma- die Welt! tischerMehrklänge. Diese Flöte überschreitet eine ähn- Abgesehen vom herkömmlichen Klang fasziniert liche Schwelle wie seinerzeit diejenige von Theobald Böhm Ziegler das Innenleben seiner Flöten; das, was er hört, das und dürfte viele Komponisten zu neuen Werken inspirie- Publikum aber nicht (Nebenluft, Klappengeräusche). Um ren. Es ist bloss eine Frage der Zeit, bis diese technischen den Zuhörern diese faszinierende Klangwelt seiner Instru- Neuerungen auch auf die Bassflöte übertragen werden. mente zugänglich zu machen, begann Ziegler, in seine Flö- Ziegler hat die unzähligen Möglichkeiten, die ihm ten mehrere Mikrophone einzubauen, deren Balance er sein Instrumentarium, seine elektronischen Geräte und mit einem Fusspedal «live» steuert. Damit vollziehe er den seine Spieltechnik erlauben, genau dokumentiert, kata- Schritt von der Flöte zum Orchester. Ziegler denkt beim logisiert und klassifiziert. Er hat auch Klangbeispiele auf- Spiel «orchestral», lässt Instrumente innerhalb des Instru- genommen und die Dynamik und den Tonumfang dieser ments erklingen. Basslinien und Obertöne werden hörbar, «Patentklänge» aufgeschrieben. Damit möchte er Kom- anderswo Gehörtes und Erlebtes wird in die abstrakte ponisten dazu animieren, für seine spezifische Klangwelt Flötenwelt zurückgeholt. Mit möglichst wenigen Andeu- zu schreiben. Einige, darunter der 1962 in Tadschikistan tungen möchte Ziegler im Hörer Assoziationen wecken, so, geborene und heute in Tel Aviv lebende Benjamin Yusupov dass man in Solokonzerten keine typischen Begleitinstru- und der amerikanische Jazzmusiker Mark Dresser sind mente vermisst, sondern diese quasi immer spürt. dieser Aufforderung nachgekommen. Das resultierende Dass zu Zieglers «Toolbox» auch eine Flöte von Louis Werk von Dresser (Banquet) ist bereits auf CD dokumen- Lot, eine Altflöte und ein Piccolo gehören, versteht sich tiert, wogegen Yusupovs «Nola» (für Soloflöte und Streich- von selbst. Eine bemerkenswerte Eigenentwicklung ist orchester) später dieses Jahr in Israel eingespielt werden hingegen die «Matusi-Flöte». wird. Vom Klang der chinesischen Bambusflöten fasziniert überlegte sich Ziegler, wie man diese speziellen Effekt auf Zwischen Mozart und Free Jazz herkömmliche Querflöten übertragen konnte. Die Lösung Die Zuwendung zu alternativen Musikstilen hat für erwies sich als relativ einfach. Ziegler liess seinen experi- Ziegler nichts mit kommerziellen Ueberlegungen zu tun. mentierfreudigen Flötenbauer Kaspar Baechi aus Zürich ein Jazz hat ihm immer gefallen, die Improvisation hat ihn zusätzliches Loch in die Flöte bohren, über das eine spe- immer schon gereizt. Andererseits ist das traditionelle Flö- zielle Membrane gespannt wurde, die beim Spiel in chine- tenrepertoire beschränkt; es gibt leider kein grosses Kon- sischer Art zum Vibrieren kam. Ein Dämpfer erlaubt es dem zert von Brahms, Beethoven oder Mendelssohn. Transkrip- Musiker, diesen Effekt mit dem Daumen der rechten Hand tionen mag Ziegler überhaupt nicht: «Bevor ich beginne, zu aktivieren oder zu deaktivieren. Solche Mechanismen Geigenhits umzuschreiben, suche ich lieber nach gänzlich hat Ziegler auch in sein Alt- und Bassflöte eingebaut. neuen Klangwelten». Im Moment ist er von der Open-Hole Altoflute der Im Jazz interessiert den Flötisten weniger das Im- holländischen Flötenbauerin Eva Kingma fasziniert – diese provisieren über Standard-Changes. Dieses, so Ziegler, sei Flöte wird immer mehr zu seinem Hauptinstrument. Sie heute an Jazzschulen wie Berklee erlernbar. Der traditio- erlaubt – zusätzlich zu den herkömmlichen Spielmöglich- nellere Jazz sei erfasst und zu ähnlichen Lernprogrammen keiten – das Erzeugen Multiphonics, vollständiger Glissan- zusammengefasst worden, wie es sie in der klassischen di und Vierteltoneffekte. Musik schon lange gäbe. Im traditionelleren Jazz sieht Begeistert ist Ziegler aber auch von der Brannen Ziegler nicht mehr Freiheiten als in der Konzertmusik. Im- Kingma Flute. Ein Instrument, das aus der engen Zu- provisation bedeute dort lediglich das Abrufen von Bau- sammenarbeit von Bickford Brannen und Eva Kingma steinen, das Zusammenfügen von Floskeln, die in Jazz- entstanden ist. Zusätzliche Klappen sind in die herkömm- kreise als «Licks» bezeichnet werden. M AT T H I A S FLUTE WWW.MATTHIAS-ZIEGLER.CH 3 ZIEGLER Ein Portrait des Zürcher Flötisten Matthias Ziegler Der Ausbrecher Nur das Gefühl, sich im Neuland zu bewegen, kann zwischen den Stilen müssen stets respektiert werden, die Zieglers kreativer Motor sein, den er so dringend benötigt. Breite soll stets reflektiert sein. Dennoch: manchmal ist die Die Improvisation und damit die Personalunion von Versuchung da, sich auf etwas ganz zu spezialisieren, sich Schöpfer und Ausführendem bietet ihm die Möglichkeit, voll auf eine der Welten einzulassen. Aber Ziegler möchte seine Klangideen zu verwirklichen – da es ja vorläufig noch weiterhin den Spagat bis zum Zerreissen spannen, so lan- kaum spezifisches Material für sein klingendes Universum ge, bis er (ungern) etwas weglassen muss. gibt. Den Akt des spontanen Improvisierens, das für ihn Dass die Wertschätzung der Klassik (auch finanziell) durchaus auch ein kontemplatives Element enthält, ver- höher ist als diejenige des Jazz liegt für Ziegler nicht nur am gleicht Ziegler mit Bungee Jumping: sich fallen lassen und System, sondern auch an den Musikern hüben und drüben. dennoch ständig unter Kontrolle behalten. Ueberheblichkeit der Szenen musste er, der Grenzgänger, immer wieder erfahren. Veranstalter und Lehrer Ziegler bezeichnet sich selbst als polyglotten Künst- Ziegler ist der Meinung, dass der Konzertbetrieb sich ler. Die eine Sprache spricht er mit etwas mehr, die andere immer noch in ähnlichen Bahnen abspielt wie vor hundert mit etwas weniger Akzent. Dass er – beispielsweise als Jahren, dass das Publikum bei dieser Art der Standardisie- Jazzmusiker – einen leichten Akzent hat, stört ihn nicht rung passiv wird. weiter. Es gäbe, so Ziegler, nämlich genügend Leute, die Er möchte einen Kontext schaffen, in dem die Musik zwar keinen Akzent hätten, aber nichts zu sagen haben. ein anderes Gesicht bekommt. Störende Automatismen sollen eliminiert und das Publikum aus der Reserve geholt Pläne werden.Da kommt Ziegler sein Architekturstudium und Es erstaunt nicht: Ziegler hat einen überfüllten Ter- seine Liebe zur Architektur zugute. Für ihn besteht eine minkalender und den Kopf voller Pläne. Zunächst geht es klare Wechselwirkung zwischen Raum und Musik. Mit sei- nach Nordamerika, wo im Rahmen einer Universitätstour- nem Projekt «Palladio Musik & Raum» spürt er diesen Zu- née das Werk «Banquet» von Mark Dresser aufgeführt wer- sammenhängen nach. Es geht ihm nicht einfach darum, ei- den soll. Ausserdem wird Ziegler Workshops und Semina- nen Konzertraum für eine Musik zu finden. Ihn interessiert re geben. Auf dem Programm steht auch die Mitwirkung vielmehr, dass ein architektonisch interessanter Raum an zwei weiteren Zyklen des auf zeitgenössische Musik Ausgangspunkt für ein ganzes Musikprogramm sein kann. spezialisierten Ensembles «Collegium Novum». Das En- Seine offene Attitüde möchte er auch weitergeben. semble wird in der Zürcher Tonhalle Musik jüngerer nord- Am Konservatorium in Winterthur gibt er – unter dem amerikanischer Komponisten sowie Werke von Elliott Car- Motto «Improvisierend musizieren» – einen Improvi- ter zur Aufführung bringen. sationskurs. Ziegler gibt sein Wissen (auch, was den In- Eine weitere Tournée führt Ziegler nach Israel, wo strumentenbau und das Erzeugen von Klängen anbelangt) er mit dem Israel Chamber Orchestra das ihm gewidmete gerne weiter. So, meint er, gibt es bei ihm Platz für Neues. Werk von Benjamin Yusupov aufführen und aufnehmen wird. Plattenaufnahmen mit dem Collegium Novum, Eine Breite statt Tiefe? zweite Solo-CD, Projekte mit Musik von Mozart und Früh- Besteht bei so vielen Instrumenten, Ideen und Tätig- klassik und ein weiteres Raum-Klang-Projekt mit dem Pal- keitsfeldern nicht die Gefahr der Oberflächlichkeit, der Be- ladio-Ensemble (dieses Mal in der Industrie-Architektur liebigkeit? Ziegler sucht die «Breite» nicht im Sinne von des Zürcher Oberlandes) finden sich auch bereits in der «Bach verjazzen». Die verschiedenen Stile, die er alle Agenda von Ziegler. Woher Matthias Ziegler die Zeit gleichermassen liebt, befruchten sich gegenseitig. Je brei- nimmt, daneben regelmässig mit dem Zürcher Kammeror- ter die Basis, so der Flötist, desto höher kann man seinen chester zu musizieren und als künstlerischer Co-Leiter die Sandhaufen darauf aufbauen. Wichtig ist ihm der bewusste Programme des Musikcollegiums Zürcher Oberland zu fun- Umgang mit Grenzüberschreitungen. Die Unterschiede gieren, ist uns zumindest ein Rätsel.