Die BILD-Zeitung zieht um nach Berlin und 500 Angestellte müssen

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Die BILD-Zeitung zieht um nach Berlin und 500 Angestellte müssen
Die BILD-Zeitung zieht um nach Berlin und 500 Angestellte müssen mit: „Eine Stadt, äußerst
emotional und kontrovers. Genau wie BILD.“
Eine Frage des Standorts
Eine „Human-Touch“-Geschichte, die nicht in BILD steht. Es geht um Familien, um
Existenzen. Aber auch um den Medienstandort Hamburg, um wirtschaftliche
Interessen und um das Vermächtnis des Verlegers Axel Springer.
Von Marcus Schuster
Hamburg, im Sommer 2007 – Wenn Nico Sönksen (Name geändert) in den nächsten
Wochen einen neuen Arbeitsvertrag aushandelt, wird er seinen Anwalt mitnehmen.
„Die haben es sonst drauf, dich zu beeinflussen“, sagt er und meint damit seinen
langjährigen Arbeitgeber, die Axel Springer AG, Deutschlands größten
Zeitungsverlag. Sönksen ist junger Redakteur bei der BILD-Zeitung, bei der
Bundesausgabe, die den Mantelteil für die Regionalausgaben herstellt, und doch
schon so lange dabei, dass er den „Laden“ kennt. Jetzt sind er und knapp 500
Kollegen betroffen vom geplanten Umzug der Bundes-BILD, BILD am
SONNTAG und BILD-Online in die Springer-Zentrale nach Berlin. Redaktion und
Anzeigenabteilung, nicht aber Vertrieb und Logistik sollen zwangsversetzt werden.
Nein, Nico Sönksen wird nicht mitgehen, unter keinen Umständen.
Auch das Finanz- und Rechnungswesen will der Konzern nach Berlin
verlagern. Manche, und da wird es spekulativ, äußern sich sogar dahingehend, dass
Axel Springer eines Tages Hamburg ganz verlassen könnte und neben dem
Hamburger Abendblatt nur noch eine BILD-Regionalredaktion zurückbleiben wird.
Der Fall ist komplex. Kaum einer will etwas sagen, weder die Führungsetage von
Springer, noch die Betroffenen. Im Foyer senkt man die Stimme, wenn es ums
Thema geht.
Nico Sönksen will sich im Straßencafé treffen, „auf neutralem Boden“. Am
Telefon fällt auf, dass er gleich duzt, eine entspannte Atmosphäre. Weil er „Rückgrat
hat“ will er erzählen, was in der Springer-Kantine nur verhalten kommentiert, in
seiner Zeitung nur dürr berichtet, vom Rest der deutschen Medien umso
genüsslicher aufgesaugt und berichtet wurde: BILD und BILD am SONNTAG, von
jeher vermeintliche Anwälte des kleinen Mannes und nie um steile Urteile im
Arbeitskampf von Krankenhaus bis Metall verlegen, befinden sich selbst mitten in
einem betrieblichen Gewitter. Was Stoff für eine herrlich mundgerechte BILD-Story
gäbe, voller „human touch“, Gut und Böse und hoch kochender Emotionen, muss
aus verständlichen Gründen tief gehalten werden.
Gelebter Informationsvorsprung
Anfang Mai, erzählt Nico Sönksen, und das brachte die ganze Geschichte erst
ins Rollen, äußerte sich BILD-Chefredakteur Kai Diekmann in der nicht gerade
durch BILD-Nähe bekannten FAZ zu den Umzugsgerüchten. Der Umzug werde
kommen, sagte Diekmann. Es sei „der Wunsch der Redaktion“, sich dem „Politik-,
Kultur- und Lifestyle-Zentrum Berlin“ zuzuwenden. Berlin sei, so Diekmann,
„gelebter Informationsvorsprung, emotional und kontrovers wie BILD“. Das
Problem war nur: Zu diesem Zeitpunkt wusste die Redaktion noch nichts von ihrem
Wunsch. „Ich kenne bis auf eine Kollegin bis heute niemanden, der nach Berlin
will“, sagt Sönksen zwei Monate nach Diekmanns Vorstoß, „und die hat ihren
Freund dort“.
Weniger die Sache an sich – zunächst ja nur ein Umzug und kein
Stellenabbau –, als vielmehr die Art der Vermittlung zog sofort den Zorn der BILDMitarbeiter auf sich, so dass sich in der brancheninternen Berichterstattung, wo das
Entsetzen am größten war, sogar die PR-Chefin von Springer mit den Worten
zitieren ließ: „Die Kommunikation lief keinesfalls optimal.“ Nun kann man
vermuten, dass bei Springer keine Dilettanten am Ruder sitzen, sondern gewiefte
Wirtschaftsbosse. Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer
AG, begründete den Umzug in der Süddeutschen Zeitung mit „publizistischen und
unternehmenspolitisch
motivierten
Überlegungen“,
bei
denen
die
„Wettbewerbsvorteile der Zukunft wichtiger sind als die Bedenken von heute“. Er
und Friede Springer, die mächtige Verlegerwitwe, wollen BILD in Berlin unter
Kontrolle haben, vermutet Sönksen. Man kommentiert es im Konzern hinter mehr
oder weniger vorgehaltener Hand und Sönksen erzählt, wie Döpfner bei einer
Versammlung in der mondänen Axel-Springer-Passage von Hamburg der
aufgescheuchten BILD-Belegschaft zurief: „Ich verstehe Ihre Probleme“. „Das halbe
Haus hat gelacht.“
Die von Döpfner scheinbar verstandenen Probleme seiner Mitarbeiter sind
meist familiärer Art. Nico Sönksen hat Kinder und eine Frau, die ebenfalls arbeitet.
Die Familie muss ein Haus abzahlen und sich um die Schwiegermutter kümmern.
Damit sind eigentlich schon fast alle Schwierigkeiten erfüllt, die einem Redakteur bei
einem solchen Ortswechsel, 291 Kilometer sind es von Springer-Haus zu SpringerHaus, begegnen können.
Peter Jebsen ist Betriebsrat bei Axel Springer, außerdem stellvertretender
Vorsitzender im Hamburger DJV-Landesverband. Er versucht, sich „in Betroffene
hineinzuversetzen“. „Soll man denn jetzt zu seinen Kindern sagen: Seid mal nicht so
dick mit euren Freunden, ab Herbst habt ihr neue Freunde?“ Für ihn wäre es „ein
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dicker Hund“, wenn er wüsste, er müsse in einem halben Jahr nach Berlin gehen.
Diese Frage stellt sich für Redakteur Sönksen nicht. Wenn im Laufe des Sommers
Einzelgespräche mit jedem betroffenen Mitarbeiter geführt werden, steht er wohl
ganz gut da. Nicht nur weil sein Anwalt dabei ist. „Die stecken dich in Schubladen:
wer will? – ja/nein – und ganz hinten liegt natürlich der Alleinstehende, der ohne
Angabe von Gründen an Hamburg festhält. In einem solchen Ranking wäre ich
jedenfalls weit oben.“ Er hofft auf einen Platz im Rotationsverfahren für „einzelne
Härtefälle“, wie es die Springer AG nennt. Diejenigen können unter Umständen in
Hamburg bleiben. „Sie setzen einem die Pistole nicht auf die Brust, aber natürlich
kann es letztlich auch eine Änderungskündigung geben, für die, die nicht mitziehen.“
Dann stecke Springer die Unwilligen eben in eine so genannte
„Entwicklungsredaktion“ und lasse sie dort versauern. In Berlin gibt es sie schon,
besetzt mit rund 60 Redakteuren von DIE WELT und WELT am SONNTAG,
intern „Elefantenfriedhof“ genannt. Döpfner sieht in ihr ein „höchst lebendiges
Biotop“, wie er in einem Interview mitteilte. Was genau dort gemacht wird, weiß
keiner.
Doch auch wer seinen Willen bekommt im Umzugsstreit, wird es nicht leicht
haben: „Die Leute, die gegen das Belieben des Konzerns hier bleiben, müssen damit
rechnen, nicht mehr gewollt zu werden und bekommen das dann auch zu spüren“,
sagt Sönksen. In jedem Fall empfehlen die Gewerkschaften DJV und ver.di den
Betroffenen dringend, sich nicht vorschnell zu äußern, ob sie mitziehen oder nicht,
um die anstehenden Verhandlungen nicht zu beeinflussen.
Springer hat Erfahrung mit Umzügen: 2001 ist die WELT am SONNTAG
von Hamburg nach Berlin umgesiedelt worden, bereits 1975 DIE WELT von
Hamburg nach Bonn und 1993 dann nach Berlin, immer der Hauptstadt hinterher.
In der aktuellen Ausgabe der Betriebszeitung Springer Aktuell kommen Mitarbeiter zu
Wort, die bereits einen Umzug von Hamburg nach Berlin hinter sich haben: „Wir
fühlen uns hier richtig wohl.“ Torsten Thie etwa hat in Berlin seine Frau kennen
gelernt. Christian Köster, Leitung Konzernfinanzen, lässt sich jovial zitieren: „Ich bin
in meinem Leben bereits 16-mal umgezogen und habe mich in Städten wie London,
Tokio oder New York zurechtfinden müssen. So unkompliziert wie in Berlin ging
das nirgendwo.“ Daneben steht seine Telefonnummer, man kann ihn anrufen und
genauer nachfragen.
Axel Cäsar Springer wird viel bemüht in diesen Tagen. Sicher ist überliefert,
dass der Verleger von einem wiedervereinigten Deutschland träumte, mit Berlin als
Hauptstadt. Dort ließ er Ende der fünfziger Jahre sein Verlagshaus errichten und
eröffnete es unbeirrt, als direkt an seinem Fuße bereits die Mauer verlief. Im
wiedervereinigten Berlin, das Springer, der 1985 starb, nicht mehr erleben konnte,
steht das Gebäude heute an einer symbolträchtigen Naht zwischen Ost und West.
Der Geist des Gründers wird im Umzugskampf von beiden Seiten beschworen.
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Döpfner, so sagt man ihm nach, möchte sich nach dem gescheiterten Einstieg ins
deutsche Fernsehgeschäft an einem weiteren Traum des Verlegers abarbeiten und die
rote BILD-Gruppe endlich zur blauen WELT-Gruppe nach Berlin holen. Beide
Lager des Springer-Imperiums können sich nicht ausstehen. „Berlin war immer
seins“, sagt eine ältere Mitarbeiterin, die man in der Kantine in Hamburg trifft und
die Springer „noch persönlich kannte“. Sie stellt eine gewagte These auf: „Ohne die
deutsche Teilung wäre Hamburg als Springer-Standort überhaupt fraglich gewesen.“
Ein Stich ins Herz der Medienstadt Hamburg, des Springer-Quells, aus dem
der Altonaer Verlegersohn und Druckereilehrling Axel Springer stets schöpfte und in
dem er 1956 mit Eröffnung seines Verlagsgebäudes einen Meilenstein seines 1946
gegründeten Unternehmens legte. „Die Erfolgsgeschichte der BILD-Zeitung ist
untrennbar mit der Hansestadt verbunden.“ Auch das wird in diesen Tagen immer
wieder gesagt und geschrieben. „Axel Springer war immer Hamburg und ein Umzug
von BILD sicher nicht in seinem Sinn“, ist sich Monika M. Kabay, SpringerBetriebsrätin und DJV-Vorstandsmitglied, sicher. Überhaupt: Wenn Axel Springer,
der stets sozialpartnerschaftliche Chef, sehen könnte, wie die Konzernspitze heute
mit seinen Mitarbeitern umgeht, er würde sich – und diesen Satz sagt Kabay gerne
auch mehrmals – „im Grabe umdrehen“.
Ich bin kein Berliner
Man würde ihn so gerne fragen, mitten auf dem Axel-Springer-Platz, vor dem
Axel-Springer-Gebäude, als sich rund 400 BILD-Mitarbeiter auf einer großen
Verkehrsinsel zusammendrängen und eine „kämpferische Mittagspause“ abhalten, zu
denen der DJV und ver.di aufgerufen haben. Zu diesem Zeitpunkt ist die spätere
Vorstandsentscheidung für den Umzug noch nicht gefallen, wir befinden uns
zwischen Diekmann-Interview und den abgeklärten Zukunftsplänen eines Nico
Sönksen. Monika M. Kabay steht am Mikro und sagt: „Er würde sich im Grabe
umdrehen.“ Dann fragt sie noch: „Warum schiebt Dr. Döpfner andere vor für seine
Ideen?“ Als außenstehender Betrachter dieser Veranstaltung ist vor allem ein
Phänomen interessant, dessen man sich unbedingt gewahr werden muss: Es handelt
sich um die BILD-Zeitung, die sich ringsherum versammelt. Fast alle beisammen:
altgediente Redakteurinnen und Redakteure, Buchhalter, Anzeigenverkäufer,
Döpfner-Anzugträger und Praktikanten. Viele von ihnen mit Transparent und
Trillerpfeife. Einige tragen T-Shirts mit dem Schriftzug „Ich bin kein Berliner“.
Stellenweise fragt man sich, ob er von oben herunterschauen kann, Axel Cäsar, und
seine Mitarbeiter hört: „Sie zerstören Familien“, „Sie beschädigen die BILDZeitung“, „Kein publizistischer Traum ist es wert, dass mit uns so umgegangen
wird“. Oder zumindest Döpfner hinter der großen Glasfassade, aber der ist an
diesem Tag in Berlin, Vorstandssitzung. Vorbeidonnernde Betonmischer verlärmen
die Rede, in der Gruner & Jahr-Betriebsrat Thomas Thielemann „solidarische
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Grüße“ überbringt. Hamburg hält zusammen gegen das „trendige“ Berlin, das zu
einer Geschmacksfrage erklärt wird und vielleicht scheinen sich einige der
Anwesenden in diesem Moment zum Konkurrenzverlag Gruner & Jahr zu
wünschen, weg aus den einst schützenden Armen ihres Verlags. „Man kann nicht zur
Arbeit gehen und sich konzentrieren“, sagt eine Frau aus der Anzeigenabteilung des
Abendblatts, obwohl sie nicht betroffen ist. Am Ende zittert ihre Stimme ein wenig,
vor Solidarität. „Man hat das Gefühl, auf dem Schachbrett eines anderen zu sein.“
Pest und Cholera
„Die Menschen sind Schachfiguren in einem Spiel“, sagt auch Günter
Wallraff, einer, der nicht fehlen darf, wenn es um arbeitsrechtliche Fragen bei BILD
geht. Er gibt sich bescheiden „inkompetent in dieser Angelegenheit“, sieht aber einen
„grenzenlosen Trend bei Konzernen, Menschenmaterial zu bewegen“. Die Springer
AG von heute sei ein weiteres Beispiel der „schönen neuen Arbeitswelt“, die wir nun
in diesem Land hätten, in Anlehnung an den Roman von Aldous Huxley und Titel
seiner neuen Reportagereihe über Arbeitsbedingungen in Deutschland. Betriebsrätin
Kabay weiß schon lange um die Diskrepanz zwischen Unternehmenserfolg und
Rationalisierung in ihrem Haus. „Fast jede Woche kauft Springer Unternehmen ein
wie andere Butter und Brot. Es geht uns nicht schlecht.“ Und die betroffenen
Mitarbeiter hätten, quasi als Dank, nun die Entscheidung „zwischen Pest und
Cholera“, denn, egal wie sie sich entscheiden, ein Partner sei auf jeden Fall den Job
los.
Wütend sind sie auf der eilig einberufenen Betriebsversammlung im Congress
Centrum erschienen. Während im Erdgeschoss die Parkinson-Hilfe ihr 25-jähriges
Jubiläum begeht und sich ältere Herrschaften Ketten aus Bonbons um den Hals
hängen, verharrt ein kleiner Pulk Journalisten vor Saal 1 mit 3000 Plätzen. „Wird
Zeit, dass sich von Beust engagiert“, sagt ein Wachmann, „Ist der eigentlich schon
zurück aus China?“ Später erfährt man, dass Döpfner und Diekmann von den
anwesenden Mitarbeitern auf ihr einstiges Bekenntnis zu Hamburg angesprochen
wurden und Verlagsgeschäftsführer Christian Nienhaus die allgemeine Aufregung
angeblich mit den Worten beruhigt haben soll: Meine Damen und Herren, in Berlin
können Sie sich immerhin Knut anschauen. Eine korrigierte Zahl gibt es dann auch
noch: Nicht 700, wie ursprünglich vermeldet, sondern nur noch 500 BILDAngehörige seien von den Umzugsplänen betroffen. Eine bereinigte Zahl, wie sich
herausstellt, denn in der ersten Berechnung waren die Mitarbeiter von BILDHamburg enthalten – und die bleiben an Ort und Stelle, wo sonst. Auch Vertrieb
und Logistik sowie Teile der Herstellung sollen am Standort Hamburg bleiben.
Außerdem wird der Umzug von Oktober 2007 auf März 2008 verschoben.
Er kostet den Verlag nach einem Bericht des Spiegel einen zweistelligen
Millionenbetrag – ein Betrag, der sich rechnen muss und sich offensichtlich jetzt
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schon rechnet, laut Verlagsgeschäftsführer Nienhaus. Hinzu kommt, dass Döpfner
zusammenlegt, was zusammengelegt werden kann. Auf diese Weise hat er ein
Rekordergebnis in der Unternehmensgeschichte erzielt. Zu seinen langfristigen
Maßnahmen gehören Redaktionspools in Berlin. Seit Ende 2006 betreiben DIE
WELT, WELT am SONNTAG, WELT KOMPAKT, WELT Online sowie
BERLINER MORGENPOST bereits einen gemeinsamen „Newsroom“. Nach
ihrem Umzug soll es mit BILD ähnlich geschehen. In Berlin stehen Etagen des
Hauses leer, in der Hansestadt hingegen muss der Medienkonzern Räume anmieten,
um all seine Blätter unterzubringen. Durch die frei werdenden BILD-Räume sollen
die ausgelagerten Redaktionen ins Verlagshaus geholt werden. Damit nicht wieder
ein Springer-Gebäude leer steht. „Dieses große Haus wird immer mehr ausgehöhlt“,
widerspricht Nico Sönksen, „Wie es weitergeht, weiß ich nicht“. Einen Augenblick
denkt er nach. „Am Ende stampfen sie es kaputt.“ Tatsächlich wirkt das immer noch
beeindruckende Verlagshaus wie aus einer anderen Zeit, mit seinen
Schieferplättchen, seinen vergoldeten Türgriffen. In der Caffamacherreihe, einer
Seitenstraße, stehen Bagger auf einer Baustelle. Dahinter werden auf großen weißen
Schildern „Effiziente City-Büros“ angepriesen. Man mag sich nicht vorstellen, dass
ähnliches einst am Springer-Gebäude zu lesen ist.
„Großzügige Extra-Abfindung“ als „Turboprämie“
Anfang Juli hat der Verlag betroffene BILD-Mitarbeiter zu einem BerlinWochenende eingeladen, um ihnen zu zeigen, was die Hauptstadt zu bieten hat
(„Mach dir ein BILD!“). Einen freien Tag dafür gab es obendrauf. Wer am Ende
tatsächlich nach Berlin umzieht, dem will der Konzern für ein halbes Jahr
Pendelkosten und doppelte Haushaltsführung bezahlen. Außerdem wird man auf
Wunsch behilflich sein, dem Partner in Berlin einen Job zu suchen. Springer gibt sich
großzügig.
Sönksen verdient nicht schlecht bei BILD. Das ist besonders in der
zunehmend gebeutelten Journalistenbranche bekannt und man wird einen Teufel
tun, dem Konzern auf der finanziellen Seite einen Strick zu drehen. Doch Geld ist
immer auch ein Druckmittel und wenn Sönksen von Kollegen aus dem
Rechnungswesen erzählt, denen eine „Abfindung plus eine großzügige ExtraAbfindung“ zugesagt wurde, wenn sie nicht mit nach Berlin, sondern einfach schnell
nach Hause gehen, dann verkehrt sich das Prinzip ins Gegenteil. Wer noch im April
per Unterschrift seinen Arbeitsvertrag aufheben ließ, kam in den Genuss dieser
„Turboprämie“, sagt Monika M. Kabay. Für die Betriebsrätin ein fadenscheiniges
Mittel, die Leute loszuwerden: „Abfindung bekommt man ohnehin nach unserem
Dauer-Sozialplan und Rationalisierungsschutzabkommen. Wenn ich auf das Angebot
eingehe, handele ich mir doch nur drei Monate Sperre vom Arbeitsamt ein. Was soll
das?“
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Aber ist Springer überhaupt interessiert daran, so viele BILD-Leute wie
möglich mitzuziehen? „Die sind nicht blöd, trotz der Riesenkosten weiß man, dass
jeder Umzug säubert“, sagt Sönksen. Springer rechne bewusst damit, unterwegs
Leute zu verlieren, vermutet Kabay. „Im Finanz- und Rechnungswesen sind neue
und günstigere Mitarbeiter in Berlin bereits engagiert.“ Und dann macht sie das Fass
auf, das diesen Umzug begleitet, wie fast jeden größeren Umbau in einem xbeliebigen Konzern: „Die Kollegen, die mitgehen, wissen, sie müssen bald viel mehr
arbeiten für weniger Geld.“
Auf der „kämpferischen Mittagspause“ war noch zwischen publizistischen
und unternehmerischen Gründen oszilliert worden. Und selbst Kai Diekmann hat in
der FAZ gesagt: „Mit Synergien hat das nichts zu tun – es ist eine
Standortentscheidung.“ Vielleicht wusste selbst er es nicht besser.
In diese Turbulenzen des beginnenden Sommerlochs trifft eine Meldung,
wonach Springer zum ersten Mal seit 1978 wieder betriebsbedingte Kündigungen
aussprechen will, für 34 Leute aus dem Finanz- und Rechnungswesen, die aus
familiären oder persönlichen Gründen nicht nach Berlin ziehen können. Die ersten
Kündigungen sind bereits Ende Juni ausgesprochen worden. Der Konzern erklärt,
dies habe nichts mit dem geplanten Umzug der BILD-Gruppe von Hamburg nach
Berlin zu tun.
Bald nur noch eine Erinnerung?
Das Verlagshaus Axel Springer in
Hamburg, 1953 bis 1956 „an
städtebaulich markanter Stelle
errichtet“.
Foto: Schuster
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