Islamischer Fundamentalismus: Was hat das mit uns zu tun?

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Islamischer Fundamentalismus: Was hat das mit uns zu tun?
Kostenloses Unterrichtsmaterial für die Sekundarstufe II
www.zeit.de/schulangebote
Diese Arbeitsblätter sind ein kostenloser Service für
die Oberstufe und erscheinen jeden ersten Donnerstag
im Monat. Sie beleuchten ein aktuelles Thema aus der
ZEIT, ergänzt durch passende Arbeitsanregungen zur
praktischen Umsetzung im Unterricht.
In Zusammenarbeit mit:
www.scook.de
Thema im Monat Dezember 2014:
Islamischer Fundamentalismus: Was hat das mit uns zu tun?
Der militante Dschihad ist längst bei uns angekommen: Hunderte Muslime aus Deutschland lassen sich als
IS-Kämpfer anwerben, die Salafistenszene gewinnt immer mehr Anhänger. Warum schließen sich insbesondere junge Männer dieser Bewegung an? Welche Präventionsmaßnahmen gegen Extremismus könnten
greifen? Und warum tun sich auch gemäßigte Muslime schwer, sich vom Islamismus zu distanzieren?
In dieser Unterrichtseinheit untersuchen Ihre Schüler Ursachen für den wachsenden Zulauf zu radikalislamischen Ideologien. Sie erörtern die Verantwortung der Schule als Institution einer demokratischen
Erziehung, analysieren einen salafistischen Internetauftritt, der gezielt Jugendliche anwirbt, und vergleichen die Auseinandersetzung der Muslime mit dem Islamismus mit der NS-Vergangenheitsbewältigung
der Deutschen.
Inhalt:
2Einleitung: Thema und Lernziele
3 Arbeitsblatt 1: »Die Inhalte des IS sind im Mainstream-Islam angelegt«
7 Arbeitsblatt 2: Ist das unser Islam?
11 Internetseiten zum Thema
»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblätter | Islamischer Fundamentalismus: Was hat das mit uns zu tun? 2
Einleitung: Thema und Lernziele
Die radikalislamische Salafistenszene verzeichnet nach Verfassungsschutzberichten seit Monaten einen
massiven Zustrom, Hunderte Dschihadisten aus Deutschland haben sich den IS-Milizen in Syrien und im
Irak angeschlossen. Warum folgen diese meist jungen Männer einer extrem gewalttätigen Terrororganisation in einen Krieg, der Tausende Kilometer von Deutschland, der EU und ihren demokratischen Werten
entfernt tobt? Und was ist bei uns falsch gelaufen, dass wir den Botschaften eines religiösen Fanatismus
offenbar immer weniger entgegensetzen können? Die ZEIT-Redakteurin Özlem Topçu beschreibt die jungen Extremisten sarkastisch als »psychopathische Loser mit Fusselbart«. Tatsächlich scheint es sich um
eine Gruppe von »angry young men« zu handeln, die sich als Verlierer der Gesellschaft sieht. Der Islamismus-Experte Ahmad Mansour charakterisiert sie als Jugendliche auf der Suche nach Halt, Gemeinschaft
und einer Mission, die eine eigene Opferrolle pflegen, keine Kritik vertragen und klare Feindbilder definieren, um sich selbst aufzuwerten. Nach Analysen einer Verfassungsschutzstudie im Auftrag der Innenministerkonferenz haben deutsche IS-Kämpfer ähnliche Merkmale und Lebensläufe: 75 Prozent von ihnen
haben keinen Schulabschluss, nur sechs Prozent eine Ausbildung, 20 Prozent waren arbeitslos gemeldet,
als sie in den Krieg zogen, und nur 12 Prozent gingen einer regelmäßigen Beschäftigung nach. Ihre Radikalisierung hat fast ausschließlich in der deutschen Salafistenszene begonnen, und eine Affinität zur Gewalt
bzw. zu Straftaten zeigten viele bereits, bevor sie sich militarisierten.
Hat die deutsche Gesellschaft, Muslime wie Nichtmuslime, versagt in ihrem Anspruch, jungen Menschen demokratische Grundwerte wie Toleranz und Antidiskriminierung oder Gleichberechtigung
zu vermitteln? Es gibt Anzeichnen dafür. Ahmad Mansour stellt fest, dass die Inhalte eines religiösen Fundamentalismus längst im Mainstream-Islam der praktizierenden Muslime in Deutschland
angekommen seien. Die Islam-Verbände distanzieren sich nach Auffassung Mansours kaum glaubwürdig von radikalen Strömungen in ihrer Mitte. Auch die Schule als Ort einer kritischen, differenzierten Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen verharre noch in einer Ihr-wir-Debattenkultur, die muslimischen Jugendlichen nicht das Gefühl vermitteln könne, Teil dieses Landes zu sein.
Dabei ist die Mehrheit der Muslime in Deutschland nach der Beobachtung von Özlem Topçu auch nicht
bereit, sich mit den Opfern des islamistischen Terrors öffentlich zu solidarisieren oder sich mit den ideengeschichtlichen Wurzeln der Gewalt im Namen Allahs auseinanderzusetzen. Die ZEIT-Redakteurin zieht
hierbei einen Vergleich zur Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer NS-Vergangenheit, die ebenfalls
lange Zeit von einer Abwehrhaltung geprägt war und es zum Teil immer noch ist.
Arbeitsblatt 1 enthält ein Interview mit dem Islamismus-Experten Ahmad Mansour, der Ursachen für die islamistische Radikalisierung benennt. Die Schüler recherchieren Initiativen gegen religiösen Fundamentalismus,
erörtern die Rolle der Schule bei der Extremismusprävention, entwickeln Projektideen hierzu und analysieren
einen salafistischen Internetauftritt.
In Arbeitsblatt 2 beschäftigen sich die Schüler mit einem Artikel der ZEIT-Redakteurin Özlem Topçu, der
die Reaktion von Muslimen auf islamistische Gewalttaten kritisch beleuchtet. Die Schüler gleichen die Beobachtungen mit ihrer eigenen Wahrnehmung ab und arbeiten Parallelen zur deutschen NS-Vergangenheitsbewältigung heraus.
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Arbeitsblatt 1
»Die Inhalte des IS sind im Mainstream-Islam angelegt«
Junge Muslime aus Deutschland ziehen für den IS in den Krieg. Was bringt sie dazu? Was
weiß man über die Rückkehrer? Und wie kann Prävention aussehen?
ZEIT ONLINE: Herr Mansour, etwa 400 junge Männer, die in Deutschland aufgewachsen sind, sehen sich
als islamistische Krieger und sind nach Syrien oder in den Irak gegangen. Inzwischen kehren einige zurück.
Was machen diese Rückkehrer hier?
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Ahmad Mansour: Die meisten haben mit dieser Gesellschaft abgeschlossen, sie wollen gar nicht zurück.
Aber die, die zurückkommen, sind sehr unterschiedlich. Die eine Gruppe, die ich kenne, ist so traumatisiert, dass sie in der Psychiatrie ist oder zumindest in Psychotherapie. Die Jungs haben Dinge gesehen,
die sie lange nicht verarbeiten werden können. Sie haben auch nicht damit gerechnet, dort nur Fußvolk
und Kanonenfutter zu sein. Die zweite Gruppe sind junge Männer, die sich wichtigmachen wollen. Sie sind
für ein paar Wochen nach Syrien oder in den Irak gereist, um sich mit einer Kalaschnikow fotografieren zu
lassen und die Bilder auf Facebook zu posten. Die dritte Gruppe kommt zurück, um hier zu rekrutieren und
vielleicht auch Gewalt in Europa auszuüben: Das sind die Ideologen und die Gefährlichsten. Sie sind nicht
bereit, mit mir oder mit Sicherheitsleuten zu sprechen.
ZEIT ONLINE: Können manche von denen, die zurückkehren, eventuell
den anderen klarmachen, dass es kein attraktiver Weg ist, sich Terroristen anzuschließen?
Mansour: Es gibt kaum Aussteiger, weil diese Ideologie mit Angst,
Schuldgefühlen und sozialem Druck arbeitet. Wenn sie aussteigen wollten, müssten sie nicht nur alle sozialen Kontakte hinter sich lassen. Es
wird ihnen damit gedroht, dass sie nach dem Tod in der Hölle landen.
Sie würden sich außerdem als Verräter an der Religion, an allen anderen
Muslimen und möglicherweise sogar an der Familie fühlen. Die wenigen,
die aussteigen, sind in Gefahr, deshalb bleiben sie still. Im Privaten distanzieren sie sich vielleicht, wollen aber nicht zu Vorbildern werden.
ZEIT ONLINE: Und die anderen, die zur Gefahr werden könnten?
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Der Psychologe Ahmad Mansour
ist ein gebürtiger palästinensischer Israeli und lebt seit zehn
Jahren in Deutschland. Er arbeitet
für die Gesellschaft Demokratische Kultur in Berlin. Dort betreut
er in der Beratungsstelle HAYAT
unter anderem Angehörige von
Jugendlichen, die sich radikalen
Salafisten angeschlossen haben.
Mansour ist ein Partner vor Ort
des Bundesamts für Migration
und Flüchtlinge. Er ist außerdem
Berater der European Foundation
for Democarcy. Mansour war bis
2013 Mitglied der Deutschen Islamkonferenz.
Mansour: Hier stößt die Demokratie an Grenzen, man kann versuchen, sie zu überwachen, aber meistens
ist ihnen nicht nachzuweisen, dass sie straffällig geworden sind. In England will man ihnen das Aufenthaltsrecht nehmen. Aber ich lehne es auch ab, sich immer nur mit dieser kleinen Gruppe zu beschäftigen.
ZEIT ONLINE: Warum?
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Mansour: Weil die Gefahr viel eher von denen ausgeht, die in Deutschland bleiben und ihren »Dschihad«
gegen die Ungläubigen hierzulande ausüben wollen. Wir sollten uns um die kümmern, die noch nicht
verloren sind. Prävention ist sinnvoller. Unglaublich viele Leute in Deutschland sympathisieren mit den
Terroristen – und sobald die Terrorgruppe »Islamischer Staat« Erfolge erzielt, werden es wieder mehr. Es
gibt eine Gruppe, die diesen radikalen Gruppierungen nahesteht und sich »Wahre Religion« nennt. Sie hat
auf Facebook 50.000 Fans. Natürlich sind das nicht alle Terroristen, aber sie denken ähnlich.
ZEIT ONLINE: Wieso ist der Islamismus für so viele junge Männer verlockend?
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Mansour: Die Jugendlichen sind auf der Suche nach Sinn und nach Halt. Und bei diesen Gruppierungen
finden sie Sicherheit, Zufriedenheit und eine Mission. Das wertet ihr Leben auf, aber das anderer Menschen ab. Seine Inhalte hat der IS nicht neu erfunden: Sie sind im Mainstream-Islam, den viele Muslime in
Deutschland praktizieren, angelegt. Es nutzt nichts, sich offiziell vom Terror des IS zu distanzieren, aber
weiter an diesen Inhalten festzuhalten und einen liberalen Islam auszugrenzen.
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ZEIT ONLINE: Von welchen Inhalten sprechen Sie?
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Mansour: Kindern wird zum Beispiel die Angst vor der Hölle eingeredet. Wenn dann Leute kommen und
sagen: »Wenn ihr uns nicht folgt, werdet ihr bestraft«, dann folgen manche. Auch die rigide Geschlechtertrennung und die Verteufelung der Sexualität schaffen Gewalt. Wenn Eltern oder Mullahs sagen: »Ihr
müsst den Koran wörtlich nehmen, und nur wir haben die wahre Religion, alle anderen sind ungläubig«,
bereiten sie den Boden für die Terroristen. Auch die Pflege der eigenen Opferrolle und die klaren Feindbilder sind die Basis für eine weitere Radikalisierung. Hier müssen wir ansetzen, in der Community selbst.
Wir müssen die Jugendlichen verunsichern, ihnen zumuten, sich mit einer kritischen Haltung auseinanderzusetzen. Manche Muslime halten nämlich Kritik nicht aus, sie werden aggressiv oder verleugnen, dass es
ein Problem gibt.
ZEIT ONLINE: Aber die meisten Muslime sind keine Anhänger von Terrorismus?
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Mansour: Nein, aber sie wollen die Verantwortung nicht dafür übernehmen, dass er aus ihren Reihen
entsteht. Viele Jugendliche, ihre Väter und Mütter glauben fest, den IS gäbe es gar nicht. Das sei eine Verschwörung aus dem Westen, um den Islam zu diskreditieren.
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ZEIT ONLINE: Mischen sich die muslimischen Verbände mehr ein? Die können kein Interesse haben, mit
dem Terror identifiziert zu werden.
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Mansour: Sie distanzieren sich natürlich von der Gewalt. Aber bisher haben die Verbände immer beleidigt
reagiert, wenn man sie aufgefordert hat, mitzuarbeiten. Das ist geschehen, als die Kampagne »Vermisst«
gestartet werden sollte, und vor wenigen Monaten gab es eine ähnliche Reaktion zum Projekt »Wegweiser«, einem Präventionsprogramm für gewaltbereite Salafisten. Denn mit der Präventionsarbeit müssten
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sie eigene Inhalte infrage stellen und sich den eigenen Problemen stellen. Aber das wollen sie nicht.
Während der Islamkonferenz zum Beispiel haben mir mehrere Vertreter der Verbände gesagt, es gäbe
keinen Antisemitismus unter Muslimen.
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ZEIT ONLINE: Was hilft dann?
Mansour: Vor allem die Arbeit mit den Eltern und in der Schule. Bildung und Bindung sind wichtiger als
alles andere. Wir beobachten, dass der Reiz an der Radikalisierung vor allem im Kontakt mit der Gruppe
liegt. Er macht die Jugendlichen glücklich. Sie haben eine Mission, Freude und Freunde. Sie fühlen sich
anerkannt und bekommen eine Identität angeboten. Sie bekommen Struktur und Orientierung. Wenn wir
es schaffen, dass das Kind gerne mit den Eltern in Kontakt ist, können sie auch Einfluss nehmen – nicht
jedoch durch Strafen und Verleugnen. Aber dazu müssen Eltern oft erst lernen, was der Unterschied zwischen Radikalität und Glauben ist. Konservative muslimische Eltern sind sogar oft sehr stolz, weil der Sohn
plötzlich keinen Alkohol mehr trinkt und regelmäßig betet. Wenn sie merken, dass er gewalttätig ist, ist es
zu spät. Sie müssen die Signale früher erkennen.
ZEIT ONLINE: Gibt es andere Leute, die Einfluss nehmen können?
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Mansour: Die Jugendlichen bräuchten verlässliche muslimische Vorbilder, die ihre Religion anderes ausleben und mit den Radikalen nichts gemeinsam haben. Es gibt einzelne Imame, die punktuell helfen. Sie verhindern eine Ausreise und stoppen weitere Radikalisierungstendenzen, aber sie sind nicht immer geeignet
für eine langfristige Präventionsarbeit.
ZEIT ONLINE: In den deutschen Schulen wird gelehrt, sich kritisch mit Themen auseinanderzusetzen, miteinander zu diskutieren. Warum hilft das nicht? Was fehlt?
Mansour: Wir leben noch immer in einer Gesellschaft mit einer Ihr-wir-Debatte. Viele muslimische Jugendliche bekommen auch in der Schule immer wieder das Gefühl vermittelt, mit ihrem religiösen und kulturellen Hintergrund nicht Teil dieses Landes zu sein. Das ist auch ein Grund, warum sie nach einer anderen
Identität suchen, und die finden sie bei den Extremisten. Die Schulen brauchen neue Konzepte dafür: Die
Jugendlichen wollen ja zum Beispiel über Syrien und den Islam reden. Diese Themen finden sie aber nur
auf YouTube und bei radikalen Islamisten. Die Lehrer müssen auch lernen, die Signale zu erkennen, wenn
ein Junge beginnt, sich zu radikalisieren. Die meisten dieser Jugendlichen wollen Aufmerksamkeit erregen
und äußern sich sehr klar. Aber viele Lehrer nehmen das nicht ernst.
Interview: Parvin Sadigh, ZEIT ONLINE, 5.9.2014, http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-09/
islamisten-mansour-rueckkehrer/komplettansicht
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Aufgaben
1. Das Textverständnis klären und Kernthesen visualisieren
a. Lesen Sie das Interview, und markieren Sie, welche Ursachen Ahmad Mansour für die Hinwendung zum Fundamentalismus bzw. zum religiösen Extremismus benennt. Entwickeln Sie hieraus
ein Tafelbild.
b. Markieren Sie im Text nun die Lösungsansätze, die gegen die islamische Radikalisierung vorgeschlagen werden. Erstellen Sie auch hieraus ein Schaubild, und ergänzen Sie die vorgeschlagenen Maßnahmen durch eigene Überlegungen.
2. Kampagnen gegen Islamismus recherchieren und vorstellen
a. Suchen Sie nach Kampagnen gegen islamistischen Extremismus, und legen Sie eine gemeinsame, kommentierte Linkliste an.
b. Wählen Sie ein Projekt aus der Liste aus, und stellen Sie es vor (Zielgruppe und Zielsetzung, Träger der Initiative, Arbeitsweise und Maßnahmen, ggf. eine eigene Bewertung).
3. Die Rolle der Schule bei der Fundamentalismus-Prävention erörtern
a. Fassen Sie zusammen, welchen Einfluss Ahmad Mansour den Schulen zuspricht und welche Kritik
er übt. Erörtern Sie, ob seine Analyse in Ihrem eigenen schulischen Umfeld zutreffend ist. Tauschen Sie sich auch darüber aus, wie hoch Sie das islamistisch-fundamentalistische Potenzial bei
Jugendlichen an Ihrer Schule einschätzen.
b. Fassen Sie zusammen, welche Veranstaltungen oder Unterrichtsinhalte Sie an Ihrer Schule kennen, die präventiv gegen Islamismus vorgehen. Holen Sie in Gruppenarbeit bei den Projektleitern
nähere Informationen hierzu ein. Bewerten Sie, ob das Angebot ausreichend ist, und diskutieren
Sie, wie bekannt die Projekte sind und wie diese von den Schülern aufgenommen werden.
c. Ahmad Mansour fordert neue Konzepte gegen Extremismus. Entwerfen Sie in Gruppenarbeit
ein entsprechendes Projekt, und stellen Sie dieses im Plenum vor. Wählen Sie ein Projekt Ihrer
Lerngruppe aus, das Sie anschließend gemeinsam umsetzen. Evaluieren Sie Ihre Veranstaltung,
indem Sie ein Feedback der Teilnehmer einholen, und ziehen Sie ein Fazit.
4. Fundamentalismus im Netz analysieren
a. Untersuchen Sie den Internet- oder Facebook-Auftritt von »Die wahre Religion«. Analysieren Sie
hierbei Inhalte, Ansprache, Kommentare, Medieneinsatz und Methoden, für fundamentalistische
Überzeugungen zu werben. Arbeiten Sie heraus, welche Kritik am Westen geübt wird und welche Werte und Standpunkte dagegengesetzt werden. Suchen Sie insbesondere nach Anzeichen
für Extremismus und Hasspropaganda bzw. den Aufruf zu Gewalt.
b. Tauschen Sie sich anschließend über Ihre Eindrücke aus: Was hat Sie an der Website besonders
fasziniert oder abgestoßen? Wie hoch schätzen Sie die Überzeugungskraft des Auftrittes ein?
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Arbeitsblatt 2
Ist das unser Islam?
Warum so viele Muslime schweigen, wenn ihre Religion missbraucht wird.
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Vor einigen Tagen habe ich mein Profilbild auf Facebook geändert. Wo vorher mein Gesicht zu sehen
war, steht jetzt der arabische Buchstabe »nŪn«. Er steht für das Wort »nasara«, wie arabische Muslime
Christen nennen. Die Terroristen des IS schmierten ihn beispielsweise im irakischen Mossul an die Türen
von Häusern, in denen Christen wohnten (auch die Häuser von Schiiten wurden markiert). Es heißt, dass
diese Häuser nun dem »Islamischen Staat« (IS) gehören. Ihre Bewohner wurden teilweise vertrieben, oder
ihnen geschah Schlimmeres. Nutzer auf Facebook und Twitter benutzten den Buchstaben nŪn fortan als
ein Symbol der Solidarität mit den verfolgten und bedrohten Christen.
Auf mein neues Profilbild erhielt ich Reaktionen von Muslimen, die ich so nicht erwartet hätte. Was haben
die IS-Terroristen mit uns zu tun? Warum wirfst du uns mit diesen Freaks in einen Topf? Muss man sich
jetzt als Muslim von jedem Scheiß distanzieren? Generalverdacht! Islamfeindlichkeit! Israel beschießt UNSchulen in Gaza! Der Westen hat den IS doch überhaupt erst geschaffen! Und was ist mit dem von Christen
begangenen Unrecht auf der Welt? Kreuzritter! Islam ist Frieden! Ja, klar, du als Türkin bei einer deutschen
Zeitung musst natürlich so etwas machen, damit du bei den Deutschen mitspielen darfst!
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Warum löst eine eher faule Geste der Solidarität mit einer verfolgten Gruppe, ein so kleines Zeichen wie
ein Profilbild so viel Wut aus? Warum bleibt dagegen der Ausdruck eines tief empfundenen Mitleids aus?
Und warum gibt es Fatwas, die die Fahrt zum Mars verbieten, aber keine, die den IS verdammen?
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Woher kommt diese Abwehr?
Einen Hinweis auf die Antwort gab mir mein eigenes Verhalten. Ich sitze in der Redaktionskonferenz der
ZEIT und hoffe, dass die Diskussion über den Terror des IS, über den wir seit Monaten regelmäßig berichten, an den Muslimen in Europa und Deutschland vorbeizieht. Obwohl mich das Thema geradezu anspringt. Ich schreibe einen Text von Kollegen zusammen, die aus dem Irak berichten, und denke: diese
IS-Barbaren. Wir drucken eine Grafik, die zeigt, wie viele Dschihadisten aus Europa nach Syrien und in den
Irak ziehen, um an der Seite des IS mordend ein Kalifat aufzubauen, und denke: Nichts davon hat mit mir
zu tun. Ich will kein Kalifat, ich finde die Trennung von Religion und Staat eine ziemlich gute Sache. Außerdem habe ich mich noch gar nicht entschieden, ob ich Muslimin bin, bis zu welchem Grad und auf welche
Weise. Vielleicht will ich nur glauben und gar keiner Religion folgen. Ich habe Fragen. Ich schwanke, wenn
ich über meine Religion nachdenke, manchmal täglich. Doch im Gegensatz zu den meisten dieser psychopathischen Loser mit Fusselbart, so tröste ich mich, habe ich die Hadsch nach Mekka gemacht. Ich habe
gespürt, was Spiritualität im Islam sein kann. Wie sie einen berührt.
Wenn ich diese ganze IS-Geschichte nicht an mich heranlasse, dann bleibt sie weit weg. Auch die Jungs,
die aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich und anderen europäischen Ländern nach Syrien und in
den Irak gehen, um im »Dschihad« zu kämpfen, schienen sehr fern. Genau wie die Gruppe, die kürzlich
als »Scharia-Polizei« durch Wuppertal zog und anderen Muslimen erklären wollte, wie sie zu leben hätten.
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Und bitte: Nicht schon wieder etwas, wofür »wir« verantwortlich sein sollen. Für etwas, das sich Tausende
Kilometer weit weg abspielt. Nicht die nächste Debatte, an deren Ende es wieder nur um Kopftücher und
Schwimmunterricht für muslimische Mädchen geht. Gerade war etwas Ruhe eingekehrt in die Diskussionen darüber, ob der Islam nun hierhergehört oder nicht. Ob »wir« hierhergehören oder nicht. Ich hatte
nicht begriffen, dass der Schrecken, für den der IS steht, längst hier ist. Die deutschen Muslime hatten ihn
unterspielt. Außer ein paar pflichtschuldigen und halbherzigen Pressemitteilungen islamischer Verbände
hörte man nichts.
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Aber ich ließ nicht locker und rief einen aramäischen Bekannten an. Die Mitglieder dieser christlichen Gemeinschaft wohnen vorwiegend in Syrien, im Irak, im Libanon und in der Türkei. Ich frage ihn: Was sagen
die Muslime? Rufen sie an, sprechen sie mit euch? Gibt es Solidarität? Nichts. Nicht ein einziger Anruf, nur
vereinzelt sieht man sie auf den Demos gegen den IS.
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Nein, die Diskussion geht nicht an den europäischen und deutschen Muslimen vorbei. Eine Zeit lang konnten wir sie wegdrücken. Jetzt geht es nicht mehr. In Wahrheit lautet die Antwort auf die Frage, was das
Ganze mit »uns« zu tun hat: nichts – und alles. Es gibt viele Gründe für diese Abwehr. Vielleicht auch
nachvollziehbare. Warum soll ich mich von etwas distanzieren, mit dem ich mich nicht identifiziere? Die
Verbrechen passieren nicht in meinem Namen. Diese Terroristen, die demütigen, morden und rauben, die
den Namen Allahs, des Barmherzigen, missbrauchen, sind keine Muslime.
Doch, das sind sie. Entweder weil sie als Muslime geboren wurden oder weil sie als Konvertiten das Glaubensbekenntnis abgelegt haben. Wir können ihnen das Muslimsein nicht absprechen, nur damit wir »richtigen« Muslime uns besser fühlen und uns von dem Bösen abgrenzen können. Abgrenzen ist einfacher und
weniger schmerzhaft als die Frage: Wie legitimieren die das vor unserem gemeinsamen Gott? Weniger
schmerzhaft als die selbstkritische Auseinandersetzung darüber, was der IS mit dem Islam zu tun hat und
ob der Islam ein Gewaltproblem hat. Denn in diesem Moment der echten Auseinandersetzung werden
auch die Opfer von Muslimen gegenwärtig. Das tut weh, und es beschämt einen. Dieser Moment erfordert
auch eine gewisse Klarheit über den eigenen Glauben – schlecht, wenn man sich immer nur damit zufriedengibt, was einem die Eltern, die Freunde, (vermeintliche) Gelehrte oder die deutsche Mehrheitsgesellschaft darüber erzählen, was der Islam sei und was nicht.
Das bringt uns zum nächsten Grund für die Abwehrreflexe: Opfer von Muslimen? Nein, wir sind hier die
Opfer! Es ist richtig, dass hierzulande viele undifferenzierte Debatten auf dem Rücken von Muslimen geführt werden, dass sie als die Deppen dargestellt werden, die Probleme machen, dass sie, oft zu Recht,
oft genug zu Unrecht, als bildungsfern, misogyn und rückständig abgestempelt werden. Es ist wahr, dass
Deutschland Verlierer hervorbringt, die sich erst als Dschihadisten wertvoll fühlen. Es ist richtig, dass die
Anschläge auf Moscheen der jüngsten Vergangenheit öffentlich kaum wahrgenommen werden. Aber es ist
auch richtig, dass sich viele Muslime in dieser Opferrolle gefallen und sich aus Trotz und dem Wunsch nach
Abgrenzung nicht mit dem Problem des IS und seiner Anziehungskraft beschäftigen wollen.
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Diesen Trotz kennt man in Deutschland nur zu gut. Auch die Deutschen haben sich erst dank der 68erBewegung wirklich mit der NS-Vergangenheit auseinandergesetzt, weil es plötzlich ihre Kinder waren, die
ihnen am Abendbrottisch Fragen stellten. Auch viele Deutsche fühlten sich von außen zur Distanzierung
und Demokratisierung genötigt. Den eigenen Kindern konnten sie nicht mehr ausweichen. Heute sagt niemand: Die Nazis, das waren keine richtigen Deutschen.
Weder die Gesellschaft noch der Staat allein können Muslime davon abhalten, fanatisch zu werden und in
den Krieg zu ziehen. Diesen Kampf können nur Muslime selbst ausfechten, ganz autonom. Viele haben ihn
bereits begonnen. Kritische Imame, liberale und konservative Muslime, die um die richtige Auslegung des
Islams streiten. Das ist alles noch sehr leise, aber es ist da.
Islam bedeutet Frieden, ja. Aber er bedeutet auch Gewalt. Das auszusprechen macht einen nicht zu einem
schlechten Muslim. Man braucht dafür auch keinen Gelehrten, der es einem erlaubt. Es bringt einen vielleicht auf weitere Fragen. Warum fällt es so leicht, für ein totes Kind in Gaza zu Tausenden auf die Straße
zu gehen – und so schwer, dasselbe für ein jesidisches oder christliches Kind zu tun? Geht nicht beides?
Kann es so etwas wie die »reine« Lehre, wie der IS und seine Ideologen propagieren, überhaupt in einer
so heterogenen Gruppe von mehr als einer Milliarde Menschen geben – und wollen die Muslime das überhaupt? Warum sind wir nicht erschüttert?
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Nun, etwa zwei Monate nachdem Terroristen des IS in Mossul die Häuser irakischer Christen mit dem
»nŪn« beschmiert haben, rufen die vier größten deutschen Islam-Verbände für die kommende Woche zu
bundesweiten Demonstrationen auf. Das ist gut und wichtig. In der Ankündigung heißt es: »Muslime stehen auf gegen Hass und Unrecht.« Man erhoffe sich »eine positive Signalwirkung auch auf die Konfliktherde im Nahen Osten«. Nach Berührtsein klingt das noch nicht.
Özlem Topçu, DIE ZEIT Nr. 38/2014, http://www.zeit.de/2014/38/muslime-islam-missbrauch
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Aufgaben
1. Eigene Wahrnehmungen mit den im Text geschilderten Erfahrungen abgleichen
Özlem Topçu beschreibt, wie sich Muslime in Deutschland schwertun, Solidaritätsbekundungen
gegenüber Opfern des islamistischen Extremismus zu äußern oder sich von gewaltbereiten Fundamentalisten glaubhaft zu distanzieren. Erörtern Sie, ob Sie die Wahrnehmung der Autorin in Ihrem
eigenen Umfeld oder in der von Ihnen beobachteten Medienberichterstattung nachvollziehen können oder nicht.
2. Das Textverständnis klären
a. Fassen Sie die im Text genannten Gründe zusammen, warum viele Muslime in Deutschland einer
Diskussion um den »Islamischen Staat« bisher ablehnend gegenüberstehen.
b. Erörtern Sie, inwiefern Sie die genannten Motive als gerechtfertigt empfinden.
c. Geben Sie wieder, warum Özlem Topçu zu dem Schluss kommt, dass man einer Debatte über
radikalislamische Ideologien nicht mehr aus dem Weg gehen kann.
3. Die eigene Erwartungshaltung reflektieren
a. Halten Sie schriftlich fest, auf welche Weise man sich zu den Gewalttaten von Islamisten positionieren sollte. Entscheiden Sie sich dabei für eine Perspektive: Ihre Erwartungshaltung als Muslim
oder als Nichtmuslim bezüglich der muslimischen oder nichtmuslimischen Bevölkerung bzw. die
Reaktion, die Sie von einzelnen Institutionen fordern (Staat, Religionsgemeinschaften, Bildungseinrichtungen, Verbände etc.). Tragen Sie anschließend Ihre Überlegungen zusammen.
b. Diskutieren Sie im Anschluss folgende Aspekte anhand der notierten Punkte:
• Werden Ihre Erwartungen im Großen und Ganzen erfüllt oder nicht?
• Gibt es Unterschiede zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in Ihrer Lerngruppe?
• Gibt es Unterschiede zwischen Religiösen und Nichtreligiösen in Ihrer Lerngruppe?
• Arbeiten Sie heraus, wo es gemeinsame Standpunkte gibt und auf welchem Gebiet Sie Konfliktpotenzial ausmachen. Finden Sie eine Kompromisshaltung.
4. Die NS-Vergangenheitsbewältigung mit der Islamismus-Aufarbeitung vergleichen
Die Autorin zieht einen Vergleich zwischen der Extremismus-Diskussion unter Muslimen und der
Auseinandersetzung der Deutschen mit der NS-Vergangenheit.
a. Führen Sie diesen Vergleich detaillierter aus, indem Sie Parallelen herausarbeiten, aber auch
Unterschiede festmachen.
b. Sie sind Austauschschüler in Tel Aviv. Mehrfach wird an Sie die Erwartung herangetragen, sich als
Deutscher zu den Verbrechen der Nationalsozialisten zu äußern oder sich deutlich vom Faschismus zu distanzieren. Schildern Sie, wie Sie sich in dieser Situation vermutlich fühlen und wie Sie
darauf reagieren würden. Erörtern Sie, ob Muslime in Deutschland ähnlich empfinden könnten
wie Sie.
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Internetseiten zum Thema:
Islamischer Fundamentalismus: Was hat das mit uns zu tun?
ZEIT ONLINE: »Einst war der Westen schick«
http://www.zeit.de/2014/36/sherko-fatah-irak
ZEIT ONLINE: Gewaltprävention: Guter Muslim mit eigener Meinung
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-09/praevention-islamismus-ufuq
ZEIT ONLINE: 10 Argumente für das Töten
http://www.zeit.de/2014/27/gewalt-islamisten-rechtfertigung
ZEIT ONLINE: Wer macht Angst vor dem Islam? Wir!
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-11/islam-medien-daemonisierung
tagesschau.de: Aus dem Klassenzimmer in den Dschihad
http://www.tagesschau.de/inland/interview-is-kaempfer-101.html
DIE WELT: Deutsche IS-Kämpfer – ungebildet, jung, vorbestraft
http://www.welt.de/politik/deutschland/article132141670/Deutsche-IS-Kaempfer-ungebildet-jungvorbestraft.html
Bundeszentrale für politische Bildung: Islamismus
http://www.bpb.de/politik/extremismus/islamismus
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Projektassistenz: Miriam Bernhard, Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG
Didaktisches Konzept und Arbeitsaufträge: Susanne Patzelt, Wissen beflügelt