DANTONS TOD Begleitmaterial
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DANTONS TOD Begleitmaterial
DANTONS TOD Spielzeit 2014/2015 > Daheim zu Gast Begleitmaterial 1 Eine Welt muss umgestürzt werden, aber jede Träne, die geflossen ist, obwohl sie abgewischt werden könnte, ist eine Anklage, und ein zu wichtigem Tun eilender Mensch, der aus roher Unachtsamkeit einen Wurm zertritt, begeht ein Verbrechen. Rosa Luxemburg 2 > Inhaltsverzeichnis Besetzung 4 Vorwort/ Zum Stück/ Inszenierungskonzept 5 Über den Autor 7 Der „Hessische Landbote“ 8 Zur Entstehung von „Dantons Tod“ 9 Stichworte zum historischen Hintergrund 10 Historische Figuren in „Dantons Tod“ 11 Zur Gegensätzlichkeit von Danton und Robespierre 12 Politische Gruppierungen in Dantons Tod 14 Büchner in seinen Briefen 15 Die Marseillaise 16 Was ist der Mensch? 18 Parallelen zwischen Syrischer und Französischer Revolution 19 Theaterpädagogisches Angebot 20 Impressum 21 3 DANTONS TOD von Georg Büchner Georges Danton Marc-Philipp Kochendörfer Robespierre Bruno Lehan Camille Desmoulins Daniel Kozian St. Just Arwid Klaws Julie (Gattin Dantons) Kristine Walther Lucile (Gattin Camilles) Ramona Suresh Marion (Prostituierte) Alice Katharina Schmidt Textfassung & Regie Tonio Kleinknecht Regiemitarbeit Marko Timlin Komposition Marko Timlin & Matthias Anton Bühne Tonio Kleinknecht, Marko Timlin, David Besenfelder Kostüme Katharina Schlipf Dramaturgie & Theaterpädagogik Anne Klöcker Regieassistenz: Jonathan Giele Musik Marko Timlin & Matthias Anton Bühne, Licht, Ton Fred Wahl (Ltg.), Kevin Sierra Eifert, Holger Fried, Martin Obele, Heinz Rieger Andrea Schnarre Schneiderei Aufführungsdauer ca. 100 Minuten, keine Pause Premiere 17. Januar 2014, 20 Uhr, im Wi.Z Dank an die Erich-Hauser-Gewerbeschule, den Innovationsfond Kunst des MWK BadenWürttemberg und Bucher Stahl 4 Vorwort Dantons Tod ist Georg Büchners erstes Stück. 1835 schreibt er es nieder. Er selbst ist zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 21 Jahre alt. Was in Dantons Tod verhandelt wird, spielt sich während der Französischen Revolution in der kurzen Phase der Jakobinerdiktatur (1793 - Juli 1794) ab. Diese Zeit nennt man aufgrund der vielen Hinrichtungen auch die Zeit des Terreur (frz. Schrecken). Die Jakobiner sind in verschiedene Fraktionen verfallen. Machtkämpfe und politische Glaubenskämpfe finden statt. Robespierre will ein Prinzip zu Ende führen, Danton will leben. Danton, einstmals einer der Bluthunde der Revolution und Weggefährte von Robespierre, hat jedweden Glauben an einen den Verlauf der Geschichte tragenden Sinn verloren. Geradezu fasziniert vom unvermeindlichen Scheitern der Revolution hat er sich auf eine Position der Unentschiedenheit zurückgezogen. Danton schwankt zwischen Melancholie und ausschweifender Sinneslust. Todeslustig verliert er sich in zynischem Dandytum. Er verachtet die Vernunft- und Todesbesessenheit Robespierres. Im Bestreben ein getreues Geschichtsbild zu zeichnen, schloss sich Büchner eng den zeitgenössischen Quellen an. Er entnahm vor allem die Reden der Politiker wörtlich (ein für das Drama dieser Zeit absolut ungewöhnlicher Vorgang). Im Gegensatz zu vielen Historiendramen, nimmt Büchner einen Stoff aus der jüngsten Vergangenheit – die Ereignisse der Französischen Revolution liegen kaum 40 Jahre zurück. Die politischen Folgen sind 1835 noch überall zu spüren. Und man spürt sie bis heute. Zum Stück 1794: Fünf Jahre sind vergangen seit dem Sturm auf die Bastille. George Danton und Maximilien de Robespierre, einst Brüder im Geiste und Väter der Französischen Revolution, sind zu Erzfeinden geworden. Robespierre gibt dem revolutionären Sieg ohne blutigen Terror keine Chance. Danton fordert Menschlichkeit statt Strafe, Wohlergehen statt Tugend. Er ist der Gewalt überdrüssig. Sein Verhältnis zur Revolution, zur Welt hat sich verändert. Nicht länger will er, wie Robespierre, die eigenen Interessen dem Kampf opfern. Er will genießen. Er, der das Leben bejaht, setzt es damit aufs Spiel. Die Widersacher werden über die Gegensätzlichkeit ihrer Haltungen definiert: Robespierre, der Fundamentalist (Idealist?), Danton, der Humanist /materialist (Gegenüberstellung der beiden Charaktere auf Seite 43) Die Sympathie gilt meist dem Letzteren. Und doch ist es Danton, der aus einem tiefen fatalistischen Empfinden des Überdrusses seine Ideale preisgibt, der aus Frustration über die menschliche Natur aufhört zu kämpfen. Zum Inszenierungskonzept Dantons Tod ist, obwohl in der französischen Revolution angesiedelt, ein zeitloses Stück und deswegen auch wieder Abiturthema. Wie kann Demokratie – wie kann Bürgerbeteiligung funktionieren – diese Fragen sind nicht zuletzt durch die Ereignisse in Syrien und den in vielen Ländern missglückten arabischen Frühling wieder sehr stark in den Focus unserer globalisierten Welt gerückt. Der Wunsch nach einer gerechten, transparenten Gesellschaft ist noch genauso stark, wie zur Zeit der französischen Revolution oder im „Vormärz“ des 19. Jahrhunderts als Büchner sein Stück schrieb. 5 Die Inszenierung ist deswegen keine Aufarbeitung der französischen Revolution. Heute nur noch schwer zu verstehende Originaltexte und viele Nebenfiguren sind gestrichen. Auch die Hauptfiguren weichen von ihren historischen Vorbildern ab. Es geht uns darum, wie Ideale, wenn sie sich der Gewalt bedienen, korrumpiert werden und ein System des Mordens entsteht, das sich verselbstständigt und dem der Mensch nicht entgegen zu setzen hat. Dabei haben wir die Psychologie der Figuren und die unterschiedlichen Machtkonstellationen mit Schauspielern erarbeitet, wobei Übergänge von dem Jazzmusiker, Matthias Anton, unterstützt werden. Jazz steht hier für Sehnsucht, Trauer, Wut, Ausdruck von Lebenswillen und Gefühl. Das Volk ist für die Zuschauer unmittelbar akustisch durch Sounds erlebbar, die die Halle von Anfang mit einem Brodeln füllen. Die Bühne ist kein Guckkasten, die Zuschauer also mittendrin im Geschehen. Auch die Musik und die Sounds kommen von überallher. So soll klar werden, dass der Alltag während der französischen Revolution Ausnahmezustand bedeutete, der die Menschen sensibler und brutaler machte. Marko Timlin, Klangkünstler und Komponist, hat zusammen mit Studenten der Musikhochschule Trossingen eine Klangwelt geschaffen, die mit der Schauspielkunst zusammengeführt, eine Einheit bilden soll. Es geht nicht um die Untermalung der einzelnen Szenen, der Klang ist Kollege. Marko Timlin stellt im Stück selbst den Klangmeister der Revolution dar. Das Bühnenbild wird dominiert von einer fünf Meter hohen Stahlwand. Die Stahlwand zeigt zum einen das Gefängnis und bildet mit den drei Klangskulpturen gleichzeitig das Tribunal. Gegenüber liegt eine kleine Bühne – das Reich von Danton und Julie. Dazwischen liegt ein Laufsteg – bildlich für die Gassen von Paris – anderseits gibt er dem Stück eine Gewisse Dynamik und Unruhe, die die Stimmung der Zeit der Revolution widerspiegelt. 6 > Über den Autor Georg Büchner wird am 17. Oktober 1813 in Goddelau (Hessen) geboren. Er ist das erste von insgesamt acht Kindern des Chirurgen Ernst Büchner, der einer traditionsreichen hessischen Wundarztfamilie entstammt, und seiner Frau Caroline Büchner, der Tochter eines angesehenen hessischen Beamten. 1816 zieht die Familie nach Darmstadt, der Residenzstadt des Großherzogtums HessenDarmstadt. Büchner wächst in der Enge eines der typischen Kleinstaaten des Deutschen Bundes auf – die Residenzstadt hat nicht mehr als 20.000 Einwohner, die Staatsfläche des Herzogtums wird durch etliche Nachbarstaaten zerschnitten. Der Familientradition und dem Wunsch seines Vaters folgend beginnt Büchner nach Abschluss seiner Schulausbildung 1831 ein Medizinstudium in Straßburg. Er findet Unterkunft bei der Familie des Pfarrers und Dichters Johann Jakob Jaeglé, der für sozialen und demokratischen Fortschritt eintritt, und verliebt sich in dessen Tochter Wilhelmine, mit der einem er sich 1832 heimlich verlobt. In Straßburg lernt Büchner das politische und intellektuelle Leben in einem der Zentren Europas kennen, in dem die Pariser Juli-Revolution von 1830 und ihre sozialen und politischen Auswirkungen das öffentliche Leben und die Diskussionen der Bürger bestimmen. Eine große Zahl von Flüchtlingen aus dem europäischen Ausland, insbesondere den deutschen Kleinstaaten, die in ihrer Heimat aus politischen Gründen verfolgt werden, die für Freiheit und Demokratie kämpfen und mit Publikationsverbot belegt werden oder wegen Hochverrats zur Fahndung ausgeschrieben sind, findet in Straßburg Asyl, was zu einer engen Zusammenarbeit von deutschen und französischen Oppositionellen führt. Die Situation in Straßburg lässt Büchner nicht unberührt, in Diskussionen mit Studienfreunden äußert er sich kritisch zur bestehenden Staatsform und entwickelt ein ausgesprochen freiheitlichrepublikanisches Bewusstsein, das sich bereits in seiner Jugendzeit angedeutet hatte. Zum Wintersemester 1833 schreibt sich Büchner an der hessischen Landesuniversität Gießen ein. Der Wechsel erfolgt nicht freiwillig – als Untertan des hessischen Großherzogs ist Büchner verpflichtet, sein Studium in Hessen zu beenden. In Gießen erkrankt er an einer Hirnhautentzündung, die ihn zu einer mehrwöchigen Unterbrechung seines Studiums zwingt und eine kurzfristige Rückkehr ins Elternhaus erfordert. Zurück in Gießen leidet er immer wieder an Depressionen. Die kleinbürgerliche Enge der herzoglichen Universitätsstadt, die soziale Not der hessischen Bauern und die Starre und Ungerechtigkeit der feudalistischen Gesellschaftsstrukturen erbittern ihn, lassen ihn aber auch zum politischen Revolutionär werden, der für Freiheit und Gleichheit aller und gegen die materielle und politische Unterdrückung der niederen Stände kämpft. 1834 gründet Büchner die revolutionäre Geheimorganisation „Gesellschaft der Menschenrechte“, um die reaktionären Verhältnisse in Hessen zu ändern, und beginnt mit der Arbeit am Drama „Dantons Tod“. Im selben Jahr lernt er den Theologen und Lehrer Friedrich Ludwig Weidig kennen, mit dem er den „Hessischen Landboten“, eine politische Flugschrift zur revolutionären Agitation der hessischen Bauern und Handwerker, verfasst. Als Freunde Büchners bei dem Versuch, den Landboten in Umlauf zu bringen, verhaftet werden, gerät auch Büchner unter Verdacht, er wird als Hauptverfasser der Schrift denunziert, eine Hausdurchsuchung erbringt aber keine Beweise. Da jedoch ein Versuch, die verhafteten Freunde aus dem Gefängnis zu befreien, fehlschlägt, Büchner zudem der Vorladung zum Verhör vor den hessischen Untersuchungsbehörden nicht Folge leistet und schließlich steckbrieflich gesucht wird, flieht er 1835 vor der drohenden Verhaftung nach Straßburg. In Straßburg ist Büchner relativ sicher, er nimmt mit anderen hessischen Flüchtlingen Kontakt auf und bleibt so auch nach seiner Flucht über die Zustände in Hessen informiert. Um zukünftig seinen Lebensunterhalt sichern zu können, beginnt er ein naturwissenschaftliches Studium und übersetzt zwei Dramen von Victor Hugo ins Deutsche. Daneben nimmt er seine 7 schriftstellerische Tätigkeit wieder auf und verfasst die Erzählung „Lenz“.1836 wird seine Dissertation angenommen, er hat Aussicht auf eine dreijährige Dozentur an der neu gegründeten Universität Zürich und arbeitet an seiner Probevorlesung. Im Sommer 1836 nimmt Büchner an einem Wettbewerb des Stuttgarter Cotta-Verlages teil, der einen Preis für das beste deutsche Lustspiel ausgeschrieben hat. Er verfasst „Leonce und Lena“, reicht das Manuskript jedoch zwei Tage zu spät ein, sodass es von Cotta nicht mehr angenommen wird. Gleichzeitig beginnt er mit der Arbeit am Drama „Woyzeck“, das er jedoch zu Lebzeiten nicht mehr abschließen kann. Im Oktober 1836 zieht Büchner nach Zürich und wird nach einer Probevorlesung in die philosophische Fakultät aufgenommen. Während der Vorbereitungen auf seine Lehrtätigkeit erkrankt er im Januar 1837 an Typhus, am 19. Februar 1837 stirbt er im Alter von nur 23 Jahren an der schweren Krankheit. 1834 gründet Büchner die revolutionäre Geheimorganisation „Gesellschaft der Menschenrechte“, um die reaktionären Verhältnisse in Hessen zu ändern, und beginnt mit der Arbeit am Drama „Dantons Tod“ > Der Hessische Landbote „Dieses Blatt soll dem hessischen Lande die Wahrheit melden, aber wer die Wahrheit sagt, wird gehenkt, ja sogar der, welcher die Wahrheit liest, wird durch meineidige Richter vielleicht gestraft. Darum haben die, welchen dies Blatt zukommt, folgendes zu beobachten: 1. Sie müssen das Blatt sorgfältig außerhalb ihres Hauses vor der Polizei verwahren; 2. sie dürfen es nur an treue Freunde mitteilen; 3. denen, welche sie nicht trauen, wie sich selbst, dürfen sie es nur heimlich hinterlegen; 4. würde das Blatt dennoch bei Einem gefunden, der es gelesen hat, so muß er gestehen, daß er es eben dem Kreisrat habe bringen wollen; 5. wer das Blatt nicht gelesen hat, wenn man es bei ihm findet, der ist natürlich ohne Schuld. Friede den Hütten! Krieg den Palästen! (…)“ Der „Hessische Landbote“ ist eine Flugschrift, verfasst von Georg Büchner und Ludwig Weidig, zusammen hatten sie zuvor die Gesellschaft für Menschenrechte gegründet, die der politischen und militärischen Schulung der beteiligten Studenten und Handwerker diente. Die Schrift sollte weite Teile des hessischen Bevölkerung erreichen, daher auch ihr Name. Ziel war es dem Volk die Missstände und das herrschende Unrecht in der Gesellschaft bewusst zu machen und es für die Revolution gewinnen. Das Volk müsse sich zu erst des herrschenden Unrechtes bewusst sein, bevor es eine Veränderung hervorrufen könnte – so der Gedanke. Vor allem jedoch richtete sich die Flugschrift an den sozial schwächeren Bevölkerungsteil – beispielsweise die Bauern. Es war ein Aufruf zur bewaffneten Revolte gegen die bestehende Gesellschaftsordnung mit dem Ziel, das Volk von Monarchie und dem Obrigkeitsstaat zu befreien. Die große Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Ausgebeuteten und „Pressern“, wurde mittels der Analyse des Gesamtetat und dem Aufzeigen einer herrschenden Diskrepanz zwischen Steuern und staatlicher Leistung vermittelt, somit der Vorwurf, dass der Staat nur die Obrigkeit bedienen würde; Justiz und Beamtentum wurden scharf kritisiert, sowie des Königs Unantastbarkeit durch des „Gottesgnadentum“, welches als „Große Lüge am Volk“ beschuldigt wurde, die Missstände in Hessen werden mit den Missständen vor der französischen Revolution von 1789 verglichen, mit 8 dem Verweis, das die Französische Revolution für kurze Zeit zur Schaffung eines Freistaates mit demokratischer Verfassung geführt habe. Gleichzeitig wird betont, dass eine erfolgreiche Revolution vom Volk selbst getragen sein muss und nicht allein nur von Volksvertretern – und Gott würde ihnen beistehen, was mit Hilfe des biblischen Duktus – Bibelzitate, die die Aussagen des Flugblattes unterstreichen, deutlich gemacht werden soll. Das Flugblatt schließt mit dem Ruf nach Freiheit und Gerechtigkeit. > Zur Entstehung von „DANTONS TOD“ Hans Mayer: „Dantons Tod“, in: Georg Büchner und seine Zeit. Frankfurt am Main 1972. Innerhalb weniger Wochen ist der „Danton“ hingeworfen worden. „Über das Werk selbst kann ich Ihnen nichts weiter sagen, als dass unglückliche Verhältnisse mich zwangen, es in höchstens fünf Wochen zu schreiben“, schreibt der Dichter selbst bei Übersendung des Dramas an Gutzkow. Was aber gestaltete sich alles für ihn und um ihn her in den Wochen vom Beginn des Jahres 1835 bis zu jenem 21. Februar, da er den Danton durch den Verleger Sauerländer an Gutzkow übersenden ließ, oder bis zu jenem 9. März, da er bei Weißenburg die französische Grenze als deutscher Flüchtling überschritt? Dass sich das Netz der gerichtlichen Untersuchung auch über ihm zusammenzog, war wohl schon im Herbst 1834, nach den Verhaftungen im Kreise der Gießener Gesellschaft der Menschenrechte, klargeworden. Im Januar 1835 hatte man ihn vor das Kriminalgericht in Offenbach vorgeladen. Noch als Zeugen, aber als Zeugen – insgeheim als Angeklagten – in einer Untersuchung gegen den flüchtigen Schütz von den Gießener Menschenrechtlern. Eine zweite ähnliche Vorladung nach Friedberg war gefolgt. Die Unvermeidbarkeit der Flucht war wohl seit Beginn des Jahres klargeworden. Diese Erkenntnis wird nun äußerer und stärkster Antrieb zur Niederschrift des „Danton“. Das Drama soll das Geld zur Flucht herbeischaffen. Mit den Vater ist nicht zu rechnen. Er würde nie die Hand zu solcher „illegalen“ Handlungsweise reichen. Er misstraut dem Sohn bereits, trotz aller Briefe, in denen dieser seine vollkommene Harmlosigkeit beteuert, die „Missverständnisse“ der verschiedenen Haussuchungen und Vorladungen zu erklären gesucht hatte. Jetzt hält der Vater den Sohn im Hause. Der Student soll sich zum Examen vorbereiten, unter der Obhut des Vaters ganz seinen anatomischen Präparaten leben. Der Bruder Wilhelm muss Wache halten in jenen Wochen des Schaffens, damit die Niederschrift am Seziertisch nicht durch einen plötzlichen Überfall des Vaters gestört wird. Kommt Ernst Büchner wirklich einmal, so werden die anatomischen Tafeln schnell über die Blätter des Manuskriptes gedeckt. Und so entsteht, während der Sohn dem väterlichen Gebot tatsächlich folgt, gleichzeitig die Verbindung zu den Darmstädter Freunden aufrecht erhält, wenn er auch keine neue Versammlung der Menschenrechtsgesellschaft einberuft, während immer noch das Problem der Befreiung Minnigerodes besteht und diskutiert wird, während das Büchnersche Haus bereits bewacht, des Sohnes Schritte von Spitzeln verfolgt werden –, so entsteht, inmitten von politischer Konspiration und legalem Medizinstudium, von öffentlich-legaler Existenz und geheimer Fluchtvorbereitung, von Depression über den politischen Misserfolg und quälender Furcht vor der Verhaftung, jenes Drama des Thermidor, „Dantons Tod“, das in Wahrheit den Tod oder das Sterben der gesamten Revolution schildern soll. 9 > Dantons Tod – Stichworte zum historischen Hintergrund Historischer Hintergrund des Dramas sind die Ereignisse der Französischen Revolution, die 1789 mit dem Sturm auf die Bastille, der Erklärung der Menschenrechte und der Abschaffung der Vorrechte des Adels als soziale Revolution begonnen, sich aber innerhalb weniger Jahre zu einer Herrschaft des Schreckens und der Willkür gewandelt hatte. Die dramatische Handlung spielt sich in einem Zeitraum von nur zwei Wochen ab (24. März bis 5. April 1794); sie basiert auf dem historischen Konflikt zwischen den beiden Revolutionsführern Maximilien de Robespierre und Georges Jacques Danton und zeigt die von Robespierre veranlasste Verhaftung, Verurteilung und Vollstreckung des Todesurteils an Danton und seinen Anhängern. Französische Revolution (1789-1799) Soziale und politische Revolution in Frankreich, die den absolutistische Ständestaat abschaffen und einen Nationalstaat auf Basis der Menschenrechte bilden wollte. Ziele waren die Verwirklichung wesentlicher Ideen der Aufklärung und die Durchsetzung bürgerlicher Freiheitsrechte. Ab 1792 führten gegenrevolutionäre Bewegungen aus dem In- und Ausland zur Bildung einer Republik unter einer jakobinischen Revolutionsregierung, die ihren Machtanspruch blutig durchsetzte und Gegner der Revolution terrorisierte und hinrichten ließ. In der Endphase der Revolution von 1795-1799, der sog. Direktorialzeit, herrschte schließlich eine von besitzbürgerlichen Interessen geleitete neue politische Elite, die ihren Machtanspruch sowohl gegen die Anhänger einer monarchistischen Restauration als auch die Anhänger einer liberalen, demokratischen und auf sozialer Gleichheit beruhenden Volksbewegung mit blutiger Gewalt durchsetzte. Konvent (Nationalkonvent) Der Nationalkonvent wurde 1792 als legislative Versammlung einberufen, die die Aufgabe hatte, nach Abschaffung der Monarchie und vorläufiger Absetzung des Königs eine Verfassung zu entwerfen und Gesetze zu erlassen. Er tagte von 1792 bis 1795 und übergab legislative und administrative Aufgaben oft an Ausschüsse wie z.B. den Wohlfahrtsausschuss. Zunehmend übernahm der Konvent auch die Aufsicht über die Exekutive und delegierte exekutive Aufgaben an die eigenen Mitglieder. Diese Vermischung der drei Gewalten begünstigte auch die Machtposition der Regierung und führte zur jakobinischen Schreckensherrschaft, weil die Unabhängigkeit und gegenseitige Kontrolle von Legislative, Exekutive und Judikative nicht mehr gegeben waren. Wohlfahrtsausschuss Der Ausschuss der öffentlichen Wohlfahrt und der allgemeinen Verteidigung wurde 1793 zur Kontrolle des Nationalkonvents und der Regierung eingesetzt. Er bestand aus zunächst neun, später zwölf Mitgliedern, unter ihnen Saint-Just und Robespierre, zeitweilig auch Danton. Unter Führung der Jakobiner entwickelte er sich zu einer zentralen Machtinstanz mit uneingeschränkten Vollmachten und damit zum wichtigsten Instrument des jakobinischen Terrors gegen Revolutionsgegner, dem Tausende zum Opfer fielen. Nach der Hinrichtung Robespierres wurde die Machtfülle des Wohlfahrtsausschusses durch den Konvent wieder begrenzt, 1795 wurde der Ausschuss aufgelöst. Revolutionstribunal Das Revolutionstribunal war ein 1793 auf Vorschlag Dantons vom Nationalkonvent gegründetes außerordentliches Strafgericht, vor dem politische Straftaten verhandelt wurden. Es wurde zu einem der mächtigsten Instrumente der jakobinischen Schreckensherrschaft unter Robespierre, weil es den politischen Häftlingen untersagte, sich von einem Anwalt verteidigen zu lassen, die Anhörung von Zeugen nicht zuließ und als einzige mögliche Strafe die Todesstrafe vorsah. Septembermorde (auch: Septembermassaker; 2. bis 6. September 1792) Im September 1792 rückten preußisch-österreichische Truppen auf französisches Gebiet vor, 10 bei Verdun kapitulierten französische Soldaten vor ihnen. Schnell verbreitete sich das Gerücht, an den Revolutionären würde blutige Rache verübt werden, sollte Frankreich zur Gänze erobert werden. Zusätzlich angestachelt durch Aufrufe von Marat und Danton, der zu dieser Zeit Justizminister war, stürmten aufgebrachte Menschenmengen daraufhin die Gefängnisse in Paris und anderen französischen Städten und ermordeten blindwütig die dort inhaftierten Revolutionsgegner und andere Gefangene. Den Massakern fielen mehr als 1200 Menschen zum Opfer. Marsfeld Großer Exerzierplatz in Paris, auf dem am 14. Juli 1790 das sog. Versöhnungsfest stattfand, in dessen Rahmen König Ludwig XVI. einen Eid auf die Verfassung leistete. Ein Jahr später, am 17. Juli 1791, wurde das Marsfeld Schauplatz eines Massakers, dem hunderte Pariser Bürger zum Opfer fielen. Als republikanische Revolutionäre während der an diesem Tag stattfindenden Feiern zum Jahrestag der Bastille-Erstürmung auf dem Marsfeld eine antimonarchistische Petition zur Absetzung des Königs zur Unterzeichnung auslegen wollten, kam es zu Massenunruhen, die von der Nationalgarde blutig niedergeschlagen wurden. Marseillaise Die Marseillaise wurde 1792 während des Krieges mit Österreich als Kriegslied zur Unterstützung der revolutionären Rheinarmee verfasst. Es erhielt seinen Namen, als Soldaten aus Marseille das Lied während ihres Einzuges in Paris sangen. 1795 wurde die Marseillaise zur Nationalhymne Frankreichs erklärt. Guillotine („Köpfmaschine“) Die Guillotine ist ein nach dem französischen Arzt Guillotin, einem Anhänger der Revolution, der sich für eine schnelle und humane Vollstreckung von Todesurteilen einsetzte, benanntes mechanisches Gerät zur Enthauptung. Code civil Der Code civil ist das französische Gesetzbuch zum Zivilrecht, das durch Napoleon Bonaparte 1804 eingeführt wurde. Die ersten Entwürfe entstanden bereits in den Revolutionsjahren 1793 bis 1797. Der Code civil ist in Frankreich in wesentlichen Teilen noch heute gültig. > Die Bluthunde: Historische Figuren in „Dantons Tod“ Maximilien de Robespierre (1758-1794) war Advokat und Mitglied der Jakobiner, Mitglied des Nationalkonvents und des Wohlfahrtsausschusses, der unter seinem Vorsitz zunehmend zum Terrorinstrument wurde und zahllose Todesurteile fällte. Robespierre pflegte einen asketischen Lebenswandel, war Anhänger einer rigiden Tugendhaftigkeit und galt als Verfechter aufklärerischer Ideale – insbesondere der Vorstellungen Rousseaus, mit denen er seine Terrorherrschaft legitimierte. Für ihn standen Gegner der Revolution und der Republik außerhalb der aufgeklärten, dem Gemeinwohl verpflichteten Gesellschaft – änderten diese ihre Überzeugung nicht, so gab es für sie in seinen Augen nur den Tod. Eine Regierung, die Gegnern gegenüber grausam und rigoros auftrat, galt ihm als wohltätig gegenüber den tugendhaften und der Wahrheit verpflichteten Bürgern. Robespierres zunehmend maßloser und diktatorischer werdende Schreckensherrschaft bedeutete jedoch seinen eigenen Untergang; 1794 wurde er gestürzt und hingerichtet. Georges Danton (1759-1794) war Advokat, Mitbegründer der Cordeliers und Mitglied des Nationalkonvents. Auch aufgrund seiner rhetorischen Fähigkeiten wurde er zu einem der maßgeblichen Anführer der Französischen Revolution. 1792 wurde er zunächst erster Leiter des Wohlfahrtsausschusses, den er initiiert hatte, kurz darauf wurde er zum Justizminister berufen. Danton war mitverantwortlich für die Septembermorde und die Einsetzung des Revolutionstribunals, lehnte aber in der Folge die zunehmende Terrorherrschaft Robespierres ab und plädierte für einen etwas liberaleren und 11 gemäßigteren Umgang mit Revolutionsgegnern. 1794 veranlasste Robespierre seine Verhaftung und ließ ihn durch das Revolutionstribunal anklagen und hinrichten. Camille Desmoulins (1760-1794) Anwalt und Publizist, unter Danton Generalsekretär im Justizministerium, Mitbegründer der Cordeliers, 1794 zusammen mit Danton hingerichtet. Antoine de Saint-Just (1767-1794) Mitglied des Nationalkonvents, Anhänger Robespierres, maßgeblich beteiligt am Sturz der Girondisten, der Hébertisten und der Dantonisten, 1794 zusammen mit Robespierre hingerichtet. > Zur Gegensätzlichkeit von Danton und Robbespierre DANTON ↔ ROBESPIERRE ohne offizielles Amt despotischer Regierungschef Rückzug ins Private in der Öffentlichkeit stehend verfolgt als Staatsfeind verehrt als Staatsführer Opfer: wird hingerichtet Täter: lässt hinrichten Politik der Mäßigung Politik der Terreur nachsichtig erbarmungslos geliebt, von Freunden bewundert einsam, vom Volk angebetet Epikureismus Rousseau'sche Tugendideologie individuelles Glück Gemeinwille geistreich dogmatisch, verbohrt, verblendet witzig, amüsant, spottlustig humorlos, sachlich atheistisch religiös skeptisch messianisches Sendungsbewusstsein materialistisch idealistisch desillusioniert siegessicher egoistisch aufopferungsvoll genusssüchtig, lüstern, dekadent genügsam, sittenstreng korrumpierbar unbestechlich passiv, träge, bequem aktiv, engagiert, fanatisch gelangweilt überlastet, angestrengt Sehnsucht nach Ruhe Rastlosigkeit im politischen Kampf entwickelt sich im Verlauf des Stückes verändert sich nicht (Darstellung in: Andrea Rinnert, Interpretationen Deutsch, Georg Büchner, Dantons Tod) 12 13 Schema der revolutionären/politischen Gruppierungen in „Dantons Tod“ Jakobiner Gruppe radikaler Revolutionäre aus dem gebildeten Bürgertum; vertreten die Interessen des einfachen Volkes und fordern soziale und gesellschaftliche Gerechtigkeit und Gleichheit aller Menschen; werden zunehmend radikaler und sehen Terror als gerechtfertigtes Mittel zur Durchsetzung ihrer machtpolitischen Ziele an. Girondisten Cordeliers gemäßigte Fraktion der Jakobiner, die aus radikale Fraktion der Jakobiner gebildeten und aufgeklärten Bürgern besteht; um Danton, Marat und setzt sich für die Interessen des Besitz andere, die maßgeblich zum Sturz Bürgertums ein, lehnt den Sturz des Königs der Girondisten beiträgt. ebenso ab wie die jakobinische Schreckensherrschaft unter Robespierre. Hébertisten Dantonisten extreme, ultrarevolutionäre Gruppierung zunehmend gemäßigtere Fraktion der Jakobiner, plädiert für die Abschaffung der Jakobiner, zunehmend von Religion und Kirche, vertritt kompromissbereit, lehnt den frühsozialistische Positionen und versucht Terror unter Robespierres ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen. Herrschaft ab. 14 Herr Büchner, warum schreiben Sie nichts Nettes? > BÜCHNER IN SEINEN BRIEFEN GEORG BÜCHNER AN DIE FAMILIE, Straßburg, 28. Juli 1835 Georg Büchner. Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente, Bd. 2. Frankfurt am Main 1999 Der Dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts als ein Geschichtsschreiber, steht aber über Letzterem dadurch, dass er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockene Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt, uns statt Charakteristiken Charaktere, und statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufgabe ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe wie möglich zu kommen. Sein Buch darf weder sittlicher noch unsittlicher sein, als die Geschichte selbst; aber die Geschichte ist vom lieben Herrgott nicht zu einer Lektüre für junge Frauenzimmer geschaffen worden, und da ist es mir auch nicht übel zu nehmen, wenn mein Drama ebensowenig dazu geeignet ist. Ich kann doch aus meinem Danton und den Banditen der Revolution nicht Tugendhelden machen! Wenn ich ihre Liederlichkeit schildern wollte, so musste ich sie eben liederlich sein lassen, wenn ich ihre Gottlosigkeit zeigen wollte, so musste ich sie eben wie Atheisten sprechen lassen. Wenn einige unanständige Ausdrücke vorkommen, so denke man an die weltbekannte, obszöne Sprache der damaligen Zeit, wozu das, was ich meine Leute sagen lasse, nur ein schwacher Abriss ist. Man könnte mir nur noch vorwerfen, dass ich einen solchen Stoff gewählt hätte. Aber der Entwurf ist längst widerlegt. Wollte man ihn gelten lassen, so müssten die größten Meisterwerke der Poesie verworfen werden. Der Dichter ist kein Lehrer der Moral, er erfindet und schafft Gestalten, er macht vergangene Zeiten wieder aufleben, und die Leute mögen dann daraus lernen, so gut, wie aus dem Studium der Geschichte und der Beobachtung dessen, was im menschlichen Leben um sie herum vorgeht. Wenn man so wollte, dürfte man keine Geschichte studieren, weil sehr viele unmoralische Dinge darin erzählt werden, müsste mit verbundenen Augen über die Gasse gehen, weil man sonst Unanständigkeiten sehen könnte, und müsste über einen Gott Zeter schreien, der eine Welt erschaffen, worauf so viele Liederlichkeiten vorfallen. Wenn man mir übrigens noch sagen wollte, der Dichter müsse die Welt nicht zeigen wie sie ist, sondern wie sie sein solle, so antworte ich, dass ich es nicht besser machen will, als der liebe Gott, der die Welt gewiss gemacht hat, wie sie sein soll. Was noch die sogenannten Idealdichter anbetrifft, so finde ich, dass sie fast nichts als Marionetten mit himmelblauen Nasen und affektiertem Pathos, aber nicht Menschen von Fleisch und Blut gegeben haben, deren Leid und Freude mich mitempfinden macht, und deren Tun und Handeln mir Abscheu oder Bewunderung einflößt. Georg Büchner: Werke und Briefe, München 1988 Straßburg, (um den 6.) April 1833 Heute erhielt ich Euren Brief mit den Erzählungen aus Frankfurt. Meine Meinung ist die: WENN IN UNSERER ZEIT ETWAS HELFEN SOLL, SO IST ES GEWALT. Wir wissen, was wir von unseren Fürsten zu erwarten haben. Alles, was sie bewilligten, wurde ihnen durch die Notwendigkeit abgezwungen. Und selbst das Bewilligte wurde uns hingeworfen, wie eine erbettelte Gnade und ein elendes Kinderspielzeug um dem ewigen Maulaffen Volk seine zu eng geschnürte Wickelschnur vergessen zu machen. Man wirft den jungen Leuten den Gebrauch der Gewalt vor. Sind wir denn aber nicht in einem ewigen Gewaltzustand? Weil wir im Kerker geboren und großgezogen sind, merken wir nicht mehr, dass wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel im Munde. Was nennt Ihr denn gesetzlichen Zustand? 15 Ein Gesetz, das die große Masse der Staatsbürger zum fronenden Vieh macht, um die unnatürlichen Bedürfnisse einer unbedeutenden und verdorbenen Minderzahl zu befriedigen? Und dies Gesetz, unterstützt durch eine rohe Militärgewalt und durch die dumme Pfiffigkeit seiner Agenten, dies Gesetz ist eine ewige, rohe Gewalt, angetan dem Recht und der gesunden Vernunft, und ich werde mit Mund und Hand dagegen kämpfen, wo ich kann. Wenn ich an dem, was geschehen, keinen Teil genommen und an dem, was vielleicht geschieht, keinen Teil nehmen werde, so geschieht es weder aus Missbilligung, noch aus Furcht, sondern nur weil ich im gegenwärtigen Zeitpunkt jede revolutionäre Bewegung als eine vergebliche Unternehmung betrachte und nicht die Verblendung derer teile, welche in den Deutschen ein zum Kampf für sein Recht bereites Volk sehen. Die deutsche Indifferenz ist wirklich von der Art, dass sie alle Berechnung zu Schanden macht. Büchner an seine Braut Georg Büchner. Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente, Bd. 2. Frankfurt am Main 1999 Gießen, um den 9.-12. März 1834 Ich studierte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie vernichtet unter dem grässlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich. Es fällt mir nicht mehr ein, vor den Paradegäulen und Eckstehern der Geschichte mich zu bücken. Ich gewöhnte mein Auge ans Blut. Aber ich bin kein Guillotinenmesser. Das muss ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft worden. Der Ausspruch: es muss ja Ärgernis kommen, aber wehe dem, durch den es kommt, - ist schauderhaft. WAS IST DAS, WAS IN UNS LÜGT, MORDET, STIEHLT? Straßburg Die ganze Revolution hat sich schon in Liberale und Absolutisten geteilt und muss von der ungebildeten und armen Klasse aufgefressen werden; DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN ARMEN UND REICHEN IST DAS EINZIGE REVOLUTIONÄRE ELEMENT DER WELT, der Hunger allein kann die Freiheitsgöttin und nur ein Moses, der uns die sieben ägyptischen Plagen auf den Hals schickte, könnte ein Messias werden. Mästen Sie die Bauern, und die Revolution bekommt die Apoplexie. Ein Huhn im Topf jedes Bauern macht den gallischen Hahn verenden... > Die Marseillaise (frz. Nationalhymne von 1792) Französischer Originaltext Deutsche Übersetzung Allons enfants de la Patrie, Le jour de gloire est arrivé! Contre nous de la tyrannie, L'étendard sanglant est levé, (bis) Entendez-vous dans les campagnes Mugir ces féroces soldats? Ils viennent jusque dans vos bras Égorger vos fils et vos compagnes Auf, Kinder des Vaterlands! Der Tag des Ruhms ist da. Gegen uns wurde der Tyrannei Blutiges Banner erhoben. (2 x) Hört Ihr auf den Feldern Das Brüllen der grausamen Krieger? Sie kommen bis in eure Arme, Eure Söhne, eure Frauen zu köpfen! Refrain: Aux armes, citoyens, Formez vos bataillons, Marchons, marchons! Qu'un sang impur Abreuve nos sillons! Refrain: An die Waffen, Bürger! Schließt die Reihen, Vorwärts, marschieren wir! Damit ein unreines Blut unsere Äcker tränkt! 16 Que veut cette horde d'esclaves, De traîtres, de rois conjurés? Pour qui ces ignobles entraves, Ces fers dès longtemps préparés? (bis) Français, pour nous, ah! quel outrage Quels transports il doit exciter! C'est nous qu'on ose méditer De rendre à l'antique esclavage! Was will diese Horde von Sklaven, Von Verrätern, von verschwörerischen Königen? Für wen diese gemeinen Fesseln, Diese seit langem vorbereiteten Eisen? (2 x) Franzosen, für uns, ach! welche Schmach, Welchen Zorn muß dies hervorrufen! Man wagt es, daran zu denken, Uns in die alte Knechtschaft zu führen! Refrain Refrain Quoi! des cohortes étrangères Feraient la loi dans nos foyers! Quoi! ces phalanges mercenaires Terrasseraient nos fiers guerriers. (bis) Grand Dieu! par des mains enchaînées Nos fronts sous le joug se ploieraient. De vils despotes deviendraient Les maîtres de nos destinées! Was! Ausländisches Gesindel Würde über unsere Heime gebieten! Was! Diese Söldnerscharen würden Unsere stolzen Krieger niedermachen! (2 x) Großer Gott! Mit Ketten an den Händen Würden sich unsere Häupter dem Joch beugen. Niederträchtige Despoten würden Über unser Schicksal bestimmen! Refrain Refrain Tremblez, tyrans, et vous perfides L'opprobre de tous les partis, Tremblez! vos projets parricides Vont enfin recevoir leurs prix! (bis) Tout est soldat pour vous combattre, S'ils tombent, nos jeunes héros, La terre en produit de nouveaux, Contre vous tout prêts à se battre! Zittert, Tyrannen und Ihr Niederträchtigen Schande aller Parteien, Zittert! Eure verruchten Pläne Werden Euch endlich heimgezahlt! (2 x) Jeder ist Soldat, um Euch zu bekämpfen, Wenn Sie fallen, unsere jungen Helden, Zeugt die Erde neue, Die bereit sind, gegen Euch zu kämpfen Refrain Refrain Français, en guerriers magnanimes, Portez ou retenez vos coups! Épargnez ces tristes victimes, A regret s'armant contre nous. (bis) Mais ces despotes sanguinaires, Mais ces complices de Bouillé Tous ces tigres qui, sans pitié, Déchirent le sein de leur mère! Franzosen, Ihr edlen Krieger, Versetzt Eure Schläge oder haltet sie zurück! Verschont diese traurigen Opfer, Die sich widerwillig gegen uns bewaffnen. (2 x) Aber diese blutrünstigen Despoten, Aber diese Komplizen von Bouillé, Alle diese Tiger, die erbarmungslos Die Brust ihrer Mutter zerfleischen! Refrain Refrain Amour sacré de la Patrie, Conduis, soutiens nos bras vengeurs. Liberté, Liberté chérie, Combats avec tes défenseurs! (bis) Sous nos drapeaux que la victoire Accoure à tes mâles accents, Que tes ennemis expirants Voient ton triomphe et notre gloire! Heilige Liebe zum Vaterland, Führe, stütze unsere rächenden Arme. Freiheit, geliebte Freiheit, Kämpfe mit Deinen Verteidigern! (2 x) Damit der Sieg unter unseren Flaggen Den Klängen der kräftigen Männer zu Hilfe eilt, Damit Deine sterbenden Feinde Deinen Sieg und unseren Ruhm sehen! Refrain Refrain Nous entrerons dans la carrière Quand nos aînés n'y seront plus, Nous y trouverons leur poussière Et la trace de leurs vertus! (bis) Bien moins jaloux de leur survivre Que de partager leur cercueil, Nous aurons le sublime orgueil De les venger ou de les suivre. Wir werden des Lebens Weg weiter beschreiten, Wenn die Älteren nicht mehr da sein werden, Wir werden dort ihren Staub Und ihrer Tugenden Spur finden. (2 x) Eher ihren Sarg teilen Als sie überleben wollend, Werden wir mit erhabenem Stolz Sie rächen oder ihnen folgen. 17 > WAS IST DER MENSCH? Was ist der Mensch? Was ist sein wahres Wesen? Wie kann der Mensch dem Menschen ein Mensch sein? Die Frage, wie der Mensch zu einem wahren oder wirklichen Menschen werden kann, ist unausweichlich. Wie können sich die Menschen selbst bilden zu dem, was sie sein können und sein werden, wenn am Ende doch der Mensch selbst das Problem ist. Es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür - aber wir werden es einander nicht aus den Eingeweiden heraus wühlen, was sollen wir uns drum die Leiber aufbrechen? Wir sind elende Alchymisten! Peter Sloterdijk - Regeln für den Menschenpark Was ist ein Mensch in der Revolte? Ein Mensch, der nein sagt. Ein Sklave, der sein Leben lang Befehle erhielt, findet plötzlich einen neuen Befehl unerträglich. Was ist der Inhalt dieses 'Nein'? Es bedeutet zum Beispiel: 'das dauert schon zu lange', 'bis hierher und nicht weiter', 'sie gehen zu weit' und auch 'es gibt eine Grenze, die sie nicht überschreiten werden'. Im Ganzen erhärtet dieses 'Nein' das Bestehen einer Grenze. Die Bewusstwerdung, sei sie noch so unbestimmt, wächst aus der Bewegung der Revolte. Was zuerst ein unbeugsamer Widerstand des Menschen war, wird nun der ganze Mensch, der sich mit ihm identifiziert und sich darin erfüllt. Die Revolte ist die erste Selbstverständlichkeit des Menschen: Ich empöre mich, also bin ich. Albert Camus – Die Revolte des Prometheus Der Mensch ist im Grunde ein wildes Tier. Wir kennen es bloß im Zustand der Bändigung und Zähmung. Arthur Schopenhauer Bald werden nur noch wenige Menschen der alten Rasse existieren, insbesondere in den Regionen, die lange dem Einfluss traditioneller religiöser Doktrinen ausgesetzt waren. Ihre Fortpflanzungsquote wird sich jedoch von Jahr zu Jahr verringern, und ihr Aussterben scheint unabwendbar zu sein. Entgegen allen pessimistischen Voraussagen vollzieht sich dieses Aussterben sehr friedlich. Es ist durchaus überraschend mitanzusehen, mit welcher Ruhe, welcher Resignation und vielleicht sogar insgeheimer Erleichterung die Menschen ihrem eigenen Verschwinden zustimmen. Michel Houllebecq: Elementarteilchen. Köln 1999 18 > ALLES VERGANGENHEIT? Parallelen zwischen der Syrischen und der Französischen Revolution: Syrische Revolution Französische Revolution Bürger werden unterdrückt, kämpfen für mehr Bürger wollen Monarchie abschaffen Freiheit, Gerechtigkeit und bessere Lebensbedingungen à Entstand aus Unzufriedenheit des Volkes à Entstand aus Unzufriedenheit des Volkes Proteste werden von Armee brutal beendet, FSA (Freie syrische Armee, aus dem Volk heraus gegründet ) wendet sich gegen Landesarmee Sturm auf die Bastille ist Startschuss für Revolution à FSA erobert einige Teile Syriens à Volk vertreibt Adlige und reist Macht an sich FSA kann öffentliche Ordnung nicht aufrecht erhalten und Volk nicht versorgen Volk ist unentschlossen angesichts der neuen Republik à Chaos tritt ein à Chaos tritt ein Rebellische islamistische Gruppierungen wollen brutal ihre Vorstellung der religiösen Gesetzgebung durchsetzen Revolutionstribunal fällt täglich Todesurteile à blutiges Treiben à blutiges Treiben Europas Armeen stehen im Land Unterstützung beider Seiten von verschiedenen Organisationen à Druck/Hilfe von Außen à Druck/Hilfe von Außen Folgen: Folgen: - ca. 191396 Opfer - ca. 15000 Opfer - ca. 2,6 Mio. Flüchtlinge - ca. 129000 Flüchtlinge Was man über den Syrien-Konflikt wissen sollte: à http://www.alsharq.de/2013/mashreq/libanon/was-man-uber-den-syrien-konflikt-wissen-sollte/ 19 > THEATERPÄDAGOGISCHES MATERIAL Fragen zur Nachbereitung des Stückes (Kurzform) 1. Kennt Ihr jemanden aus der Geschichte der seine Macht ausgenutzt hat? 2. Wo wird heute in der Politik Mach ausgeübt? 3. Was glaubt Ihr wie man einen machtbesessenen Menschen dazu bringen kann sein Verhalten zu verbessern? 4. Klärt für Euch folgende Begriffe: Gerechtigkeit, Menschlichkeit? 5. Was ist tugendhaftes Verhalten? 6. Welche Stellungen haben die Männer in Büchners Stück? 7. Welche Stellungen haben die Frauen in Büchners Stück? 8. In Welchem Kontext stehen Musik & Schauspiel zueinander? 9. Welchen Einfluss hat die Musik auf die Inszenierung? 10. Wie hat auf Euch das Bühnenbild gewirkt? 11. Wie ist das Verhältnis zwischen Roberspierre und Danton in Büchners Stück? 12. Warum könnte er sich verändert haben? 13. Welche Szenen sind Euch von Eurem Theaterbesuch besonders in Erinnerung geblieben? 14. Wer sind die Machthaber unserer Zeit? Fragen und praktische Anregungen zur Nachbereitung des Stückes (Langform) > zum Bühnenbild, den Requisiten und den Kostümen → Welche Assoziationen weckt das Bühnenbild? → Spielt sich das Geschehen an einem Ort oder an verschiedenen Orten ab? Welche Rolle spielt dabei das Licht? → An welche Zeit erinnern die Kostüme? Welche Wirkung erzeugt das? > zum Klang → Welche Wirkung hat die musikalische Untermalung auf die Figuren? → Welche Wirkung hat die Musik auf die Wahrnehmung des Publikums? → Kontrastiert oder unterstreicht die Musik das Geschehen? > zu den Figuren und den Darstellerinnen und Darstellern → Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sind bei den Paaren Danton und Julie und Camille und Lucile zu bemerken? Welche Wirkung erzeugt das? → Welche Figuren sprechen zum Publikum? In welchen Szenen tun sie das? Warum gerade in diesen? > Reflexions- und Diskussionsangebote → Charakterisierung der Figuren und kritische Auseinandersetzung mit ihren Motiven und Verhaltensweisen, mit ihren vorgetragenen und ihren versteckten Beweggründen für ihr Handeln und Nicht-Handeln und mit ihrer emotionalen Verfasstheit 20 → Formulierung von Erwartungen an Handlung und Figurenzeichnung und an die Gestaltung von Bühnenraum und Lichttechnik in der Inszenierung nach Rezeption der Informationen zur Inszenierung und zu den historischen Hintergründen → Erprobung und Diskussion theatraler Möglichkeiten für die Gestaltung von Ähnlichkeiten und Unterschieden in Verhalten und Handlungsmotivation von Danton und Robespierre → Beschreibung der Aufführung und Austausch von Erinnerungen an visuelle und akustische Details (z.B. an Details des Bühnenraums, der Kostüme und der Requisiten; an die unterschiedlichen Stimmungen, die durch Licht und Musik während der Aufführung erzeugt wurden; an die eigenen Reaktionen und die der anderen Zuschauerinnen und Zuschauer) → Austausch über die Momente während der Aufführung, an denen man gerne zustimmend geklatscht oder Missfallen ausgedrückt hätte → Vergleich der Inszenierung mit bekannten Interpretationen des Dramentextes und mit den eigenen Vorerwartungen > Praktische Spielangebote → Rezeption und szenische Interpretation der Szene, in der Robespierre und Danton einander begegnen, durch Positionierung der Figuren im Raum und Bauen von Standbildern → Szenische Darstellung von Danton und Robespierre bei ihrem jeweils ersten und letzten Auftritt und bei ihren Begegnungen →Nachstellen von Bühnenkonfigurationen (z.B. in den Szenen, in denen Danton und Julie oder Robespierre und St. Just allein auf der Bühne sind) → Verfassen einer eigenen und Vergleich mit anderen Theaterkritiken IMPRESSUM Theater der Stadt Aalen Ulmer Str. 130 73431 Aalen Spielzeit 2014/2015 Künstlerische Leitung Tonio Kleinknecht, Tina Brüggemann, Winfried Tobias Redaktion/ Fotos/ Gestaltung Tonio Kleinknecht, Anne Klöcker, Winfried Tobias NICHT ZULETZT Ihre Meinung ist uns wichtig. Wir freuen uns über Lob und Kritik! KONTAKT Anne Klöcker und Winfried Tobias > 07361. 379313 > [email protected] 21