DANTONS TOD Begleitmaterial

Transcrição

DANTONS TOD Begleitmaterial
DANTONS TOD
Spielzeit 2014/2015 > Daheim zu Gast
Begleitmaterial
1
Eine Welt muss umgestürzt werden,
aber jede Träne, die geflossen ist, obwohl sie abgewischt werden könnte,
ist eine Anklage, und ein zu wichtigem Tun eilender Mensch,
der aus roher Unachtsamkeit einen Wurm zertritt,
begeht ein Verbrechen.
Rosa Luxemburg
2
> Inhaltsverzeichnis
Besetzung
4
Vorwort/ Zum Stück/ Inszenierungskonzept
5
Über den Autor
7
Der „Hessische Landbote“
8
Zur Entstehung von „Dantons Tod“
9
Stichworte zum historischen Hintergrund
10
Historische Figuren in „Dantons Tod“
11
Zur Gegensätzlichkeit von Danton und Robespierre
12
Politische Gruppierungen in Dantons Tod
14
Büchner in seinen Briefen
15
Die Marseillaise
16
Was ist der Mensch?
18
Parallelen zwischen Syrischer und Französischer Revolution
19
Theaterpädagogisches Angebot
20
Impressum
21
3
DANTONS TOD
von Georg Büchner
Georges Danton
Marc-Philipp Kochendörfer
Robespierre
Bruno Lehan
Camille Desmoulins
Daniel Kozian
St. Just
Arwid Klaws
Julie (Gattin Dantons)
Kristine Walther
Lucile (Gattin Camilles)
Ramona Suresh
Marion (Prostituierte)
Alice Katharina Schmidt
Textfassung & Regie
Tonio Kleinknecht
Regiemitarbeit
Marko Timlin
Komposition
Marko Timlin & Matthias Anton
Bühne
Tonio Kleinknecht, Marko Timlin, David Besenfelder
Kostüme
Katharina Schlipf
Dramaturgie &
Theaterpädagogik
Anne Klöcker
Regieassistenz:
Jonathan Giele
Musik
Marko Timlin & Matthias Anton
Bühne, Licht, Ton
Fred Wahl (Ltg.), Kevin Sierra Eifert, Holger Fried, Martin Obele,
Heinz Rieger
Andrea Schnarre
Schneiderei
Aufführungsdauer ca. 100 Minuten, keine Pause
Premiere 17. Januar 2014, 20 Uhr, im Wi.Z
Dank an die Erich-Hauser-Gewerbeschule, den Innovationsfond Kunst des MWK BadenWürttemberg und Bucher Stahl
4
Vorwort
Dantons Tod ist Georg Büchners erstes Stück. 1835 schreibt er es nieder. Er selbst ist zu diesem
Zeitpunkt gerade einmal 21 Jahre alt. Was in Dantons Tod verhandelt wird, spielt sich während der
Französischen Revolution in der kurzen Phase der Jakobinerdiktatur (1793 - Juli 1794) ab. Diese
Zeit nennt man aufgrund der vielen Hinrichtungen auch die Zeit des Terreur (frz. Schrecken). Die
Jakobiner sind in verschiedene Fraktionen verfallen. Machtkämpfe und politische Glaubenskämpfe
finden statt. Robespierre will ein Prinzip zu Ende führen, Danton will leben. Danton, einstmals einer
der Bluthunde der Revolution und Weggefährte von Robespierre, hat jedweden Glauben an einen
den Verlauf der Geschichte tragenden Sinn verloren. Geradezu fasziniert vom unvermeindlichen
Scheitern der Revolution hat er sich auf eine Position der Unentschiedenheit zurückgezogen.
Danton schwankt zwischen Melancholie und ausschweifender Sinneslust. Todeslustig verliert er
sich in zynischem Dandytum. Er verachtet die Vernunft- und Todesbesessenheit Robespierres.
Im Bestreben ein getreues Geschichtsbild zu zeichnen, schloss sich Büchner eng den zeitgenössischen Quellen an. Er entnahm vor allem die Reden der Politiker wörtlich (ein für das Drama
dieser Zeit absolut ungewöhnlicher Vorgang). Im Gegensatz zu vielen Historiendramen, nimmt
Büchner einen Stoff aus der jüngsten Vergangenheit – die Ereignisse der Französischen
Revolution liegen kaum 40 Jahre zurück. Die politischen Folgen sind 1835 noch überall zu spüren.
Und man spürt sie bis heute.
Zum Stück
1794: Fünf Jahre sind vergangen seit dem Sturm auf die Bastille. George Danton und Maximilien
de Robespierre, einst Brüder im Geiste und Väter der Französischen Revolution, sind zu
Erzfeinden geworden. Robespierre gibt dem revolutionären Sieg ohne blutigen Terror keine
Chance. Danton fordert Menschlichkeit statt Strafe, Wohlergehen statt Tugend. Er ist der Gewalt
überdrüssig. Sein Verhältnis zur Revolution, zur Welt hat sich verändert. Nicht länger will er, wie
Robespierre, die eigenen Interessen dem Kampf opfern. Er will genießen. Er, der das Leben
bejaht, setzt es damit aufs Spiel. Die Widersacher werden über die Gegensätzlichkeit ihrer
Haltungen definiert: Robespierre, der Fundamentalist (Idealist?), Danton, der Humanist
/materialist (Gegenüberstellung der beiden Charaktere auf Seite 43) Die Sympathie gilt meist
dem Letzteren. Und doch ist es Danton, der aus einem tiefen fatalistischen Empfinden des
Überdrusses seine Ideale preisgibt, der aus Frustration über die menschliche Natur aufhört zu
kämpfen.
Zum Inszenierungskonzept
Dantons Tod ist, obwohl in der französischen Revolution angesiedelt, ein zeitloses Stück und
deswegen auch wieder Abiturthema.
Wie kann Demokratie – wie kann Bürgerbeteiligung funktionieren – diese Fragen sind nicht zuletzt
durch die Ereignisse in Syrien und den in vielen Ländern missglückten arabischen Frühling wieder
sehr stark in den Focus unserer globalisierten Welt gerückt. Der Wunsch nach einer gerechten,
transparenten Gesellschaft ist noch genauso stark, wie zur Zeit der französischen Revolution oder
im „Vormärz“ des 19. Jahrhunderts als Büchner sein Stück schrieb.
5
Die Inszenierung ist deswegen keine Aufarbeitung der französischen Revolution. Heute nur noch
schwer zu verstehende Originaltexte und viele Nebenfiguren sind gestrichen. Auch die
Hauptfiguren weichen von ihren historischen Vorbildern ab. Es geht uns darum, wie Ideale, wenn
sie sich der Gewalt bedienen, korrumpiert werden und ein System des Mordens entsteht, das sich
verselbstständigt und dem der Mensch nicht entgegen zu setzen hat.
Dabei haben wir die Psychologie der Figuren und die unterschiedlichen Machtkonstellationen mit
Schauspielern erarbeitet, wobei Übergänge von dem Jazzmusiker, Matthias Anton, unterstützt
werden. Jazz steht hier für Sehnsucht, Trauer, Wut, Ausdruck von Lebenswillen und Gefühl. Das
Volk ist für die Zuschauer unmittelbar akustisch durch Sounds erlebbar, die die Halle von Anfang
mit einem Brodeln füllen. Die Bühne ist kein Guckkasten, die Zuschauer also mittendrin im
Geschehen. Auch die Musik und die Sounds kommen von überallher. So soll klar werden, dass der
Alltag während der französischen Revolution Ausnahmezustand bedeutete, der die Menschen
sensibler und brutaler machte.
Marko Timlin, Klangkünstler und Komponist, hat zusammen mit Studenten der Musikhochschule
Trossingen eine Klangwelt geschaffen, die mit der Schauspielkunst zusammengeführt, eine
Einheit bilden soll. Es geht nicht um die Untermalung der einzelnen Szenen, der Klang ist Kollege.
Marko Timlin stellt im Stück selbst den Klangmeister der Revolution dar.
Das Bühnenbild wird dominiert von einer fünf Meter hohen Stahlwand. Die Stahlwand zeigt zum
einen das Gefängnis und bildet mit den drei Klangskulpturen gleichzeitig das Tribunal.
Gegenüber liegt eine kleine Bühne – das Reich von Danton und Julie. Dazwischen liegt ein
Laufsteg – bildlich für die Gassen von Paris – anderseits gibt er dem Stück eine Gewisse Dynamik
und Unruhe, die die Stimmung der Zeit der Revolution widerspiegelt.
6
> Über den Autor
Georg Büchner wird am 17. Oktober 1813 in Goddelau (Hessen)
geboren. Er ist das erste von insgesamt acht Kindern des Chirurgen
Ernst Büchner, der einer traditionsreichen hessischen Wundarztfamilie entstammt, und seiner Frau Caroline Büchner, der Tochter
eines angesehenen hessischen Beamten. 1816 zieht die Familie
nach Darmstadt, der Residenzstadt des Großherzogtums HessenDarmstadt. Büchner wächst in der Enge eines der typischen
Kleinstaaten des Deutschen Bundes auf – die Residenzstadt hat
nicht mehr als 20.000 Einwohner, die Staatsfläche des Herzogtums
wird durch etliche Nachbarstaaten zerschnitten.
Der Familientradition und dem Wunsch seines Vaters folgend beginnt
Büchner nach Abschluss seiner Schulausbildung 1831 ein Medizinstudium in Straßburg. Er findet
Unterkunft bei der Familie des Pfarrers und Dichters Johann Jakob Jaeglé, der für sozialen und
demokratischen Fortschritt eintritt, und verliebt sich in dessen Tochter Wilhelmine, mit der einem er
sich 1832 heimlich verlobt. In Straßburg lernt Büchner das politische und intellektuelle Leben in
einem der Zentren Europas kennen, in dem die Pariser Juli-Revolution von 1830 und ihre sozialen
und politischen Auswirkungen das öffentliche Leben und die Diskussionen der Bürger bestimmen.
Eine große Zahl von Flüchtlingen aus dem europäischen Ausland, insbesondere den deutschen
Kleinstaaten, die in ihrer Heimat aus politischen Gründen verfolgt werden, die für Freiheit und
Demokratie kämpfen und mit Publikationsverbot belegt werden oder wegen Hochverrats zur
Fahndung ausgeschrieben sind, findet in Straßburg Asyl, was zu einer engen Zusammenarbeit von
deutschen und französischen Oppositionellen führt.
Die Situation in Straßburg lässt Büchner nicht unberührt, in Diskussionen mit Studienfreunden
äußert er sich kritisch zur bestehenden Staatsform und entwickelt ein ausgesprochen freiheitlichrepublikanisches Bewusstsein, das sich bereits in seiner Jugendzeit angedeutet hatte. Zum
Wintersemester 1833 schreibt sich Büchner an der hessischen Landesuniversität Gießen ein. Der
Wechsel erfolgt nicht freiwillig – als Untertan des hessischen Großherzogs ist Büchner verpflichtet,
sein Studium in Hessen zu beenden. In Gießen erkrankt er an einer Hirnhautentzündung, die ihn
zu einer mehrwöchigen Unterbrechung seines Studiums zwingt und eine kurzfristige Rückkehr ins
Elternhaus erfordert. Zurück in Gießen leidet er immer wieder an Depressionen.
Die kleinbürgerliche Enge der herzoglichen Universitätsstadt, die soziale Not der hessischen
Bauern und die Starre und Ungerechtigkeit der feudalistischen Gesellschaftsstrukturen erbittern
ihn, lassen ihn aber auch zum politischen Revolutionär werden, der für Freiheit und Gleichheit aller
und gegen die materielle und politische Unterdrückung der niederen Stände kämpft. 1834 gründet
Büchner die revolutionäre Geheimorganisation „Gesellschaft der Menschenrechte“, um die
reaktionären Verhältnisse in Hessen zu ändern, und beginnt mit der Arbeit am Drama „Dantons
Tod“. Im selben Jahr lernt er den Theologen und Lehrer Friedrich Ludwig Weidig kennen, mit dem
er den „Hessischen Landboten“, eine politische Flugschrift zur revolutionären Agitation der
hessischen Bauern und Handwerker, verfasst.
Als Freunde Büchners bei dem Versuch, den Landboten in Umlauf zu bringen, verhaftet werden,
gerät auch Büchner unter Verdacht, er wird als Hauptverfasser der Schrift denunziert, eine
Hausdurchsuchung erbringt aber keine Beweise. Da jedoch ein Versuch, die verhafteten Freunde
aus dem Gefängnis zu befreien, fehlschlägt, Büchner zudem der Vorladung zum Verhör vor den
hessischen Untersuchungsbehörden nicht Folge leistet und schließlich steckbrieflich gesucht wird,
flieht er 1835 vor der drohenden Verhaftung nach Straßburg. In Straßburg ist Büchner relativ
sicher, er nimmt mit anderen hessischen Flüchtlingen Kontakt auf und bleibt so auch nach seiner
Flucht über die Zustände in Hessen informiert.
Um zukünftig seinen Lebensunterhalt sichern zu können, beginnt er ein naturwissenschaftliches
Studium und übersetzt zwei Dramen von Victor Hugo ins Deutsche. Daneben nimmt er seine
7
schriftstellerische Tätigkeit wieder auf und verfasst die Erzählung „Lenz“.1836 wird seine
Dissertation angenommen, er hat Aussicht auf eine dreijährige Dozentur an der neu gegründeten
Universität Zürich und arbeitet an seiner Probevorlesung. Im Sommer 1836 nimmt Büchner an
einem Wettbewerb des Stuttgarter Cotta-Verlages teil, der einen Preis für das beste deutsche
Lustspiel ausgeschrieben hat. Er verfasst „Leonce und Lena“, reicht das Manuskript jedoch zwei
Tage zu spät ein, sodass es von Cotta nicht mehr angenommen wird. Gleichzeitig beginnt er mit
der Arbeit am Drama „Woyzeck“, das er jedoch zu Lebzeiten nicht mehr abschließen kann.
Im Oktober 1836 zieht Büchner nach Zürich und wird nach einer Probevorlesung in die
philosophische Fakultät aufgenommen. Während der Vorbereitungen auf seine Lehrtätigkeit
erkrankt er im Januar 1837 an Typhus, am 19. Februar 1837 stirbt er im Alter von nur 23 Jahren an
der schweren Krankheit.
1834 gründet Büchner die revolutionäre Geheimorganisation „Gesellschaft der
Menschenrechte“, um die reaktionären Verhältnisse in Hessen zu ändern, und beginnt mit
der Arbeit am Drama „Dantons Tod“
> Der
Hessische Landbote
„Dieses Blatt soll dem hessischen Lande die Wahrheit melden,
aber wer die Wahrheit sagt, wird gehenkt, ja sogar der,
welcher die Wahrheit liest, wird durch meineidige Richter
vielleicht gestraft. Darum haben die, welchen dies Blatt
zukommt, folgendes zu beobachten:
1. Sie müssen das Blatt sorgfältig außerhalb ihres Hauses
vor der Polizei verwahren;
2. sie dürfen es nur an treue Freunde mitteilen;
3. denen, welche sie nicht trauen, wie sich selbst,
dürfen sie es nur heimlich hinterlegen;
4. würde das Blatt dennoch bei Einem gefunden, der es
gelesen hat, so muß er gestehen, daß er es eben dem
Kreisrat habe bringen wollen;
5. wer das Blatt nicht gelesen hat, wenn man es bei ihm
findet, der ist natürlich ohne Schuld.
Friede den Hütten! Krieg den Palästen! (…)“
Der „Hessische Landbote“ ist eine Flugschrift, verfasst von Georg Büchner und Ludwig Weidig,
zusammen hatten sie zuvor die Gesellschaft für Menschenrechte gegründet, die der politischen
und militärischen Schulung der beteiligten Studenten und Handwerker diente.
Die Schrift sollte weite Teile des hessischen Bevölkerung erreichen, daher auch ihr Name. Ziel war
es dem Volk die Missstände und das herrschende Unrecht in der Gesellschaft bewusst zu machen
und es für die Revolution gewinnen. Das Volk müsse sich zu erst des herrschenden Unrechtes
bewusst sein, bevor es eine Veränderung hervorrufen könnte – so der Gedanke. Vor allem jedoch
richtete sich die Flugschrift an den sozial schwächeren Bevölkerungsteil – beispielsweise die
Bauern. Es war ein Aufruf zur bewaffneten Revolte gegen die bestehende Gesellschaftsordnung
mit dem Ziel, das Volk von Monarchie und dem Obrigkeitsstaat zu befreien.
Die große Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Ausgebeuteten und „Pressern“, wurde mittels
der Analyse des Gesamtetat und dem Aufzeigen einer herrschenden Diskrepanz zwischen Steuern
und staatlicher Leistung vermittelt, somit der Vorwurf, dass der Staat nur die Obrigkeit bedienen
würde; Justiz und Beamtentum wurden scharf kritisiert, sowie des Königs Unantastbarkeit durch
des „Gottesgnadentum“, welches als „Große Lüge am Volk“ beschuldigt wurde, die Missstände in
Hessen werden mit den Missständen vor der französischen Revolution von 1789 verglichen, mit
8
dem Verweis, das die Französische Revolution für kurze Zeit zur Schaffung eines Freistaates mit
demokratischer Verfassung geführt habe.
Gleichzeitig wird betont, dass eine erfolgreiche Revolution vom Volk selbst getragen sein muss
und nicht allein nur von Volksvertretern – und Gott würde ihnen beistehen, was mit Hilfe des
biblischen Duktus – Bibelzitate, die die Aussagen des Flugblattes unterstreichen, deutlich gemacht
werden soll.
Das Flugblatt schließt mit dem Ruf nach Freiheit und Gerechtigkeit.
> Zur Entstehung von „DANTONS TOD“
Hans Mayer: „Dantons Tod“, in: Georg Büchner und seine Zeit. Frankfurt am Main 1972.
Innerhalb weniger Wochen ist der „Danton“ hingeworfen worden. „Über das Werk selbst kann ich
Ihnen nichts weiter sagen, als dass unglückliche Verhältnisse mich zwangen, es in höchstens fünf
Wochen zu schreiben“, schreibt der Dichter selbst bei Übersendung des Dramas an Gutzkow. Was
aber gestaltete sich alles für ihn und um ihn her in den Wochen vom Beginn des Jahres 1835 bis
zu jenem 21. Februar, da er den Danton durch den Verleger Sauerländer an Gutzkow übersenden
ließ, oder bis zu jenem 9. März, da er bei Weißenburg die französische Grenze als deutscher
Flüchtling überschritt? Dass sich das Netz der gerichtlichen Untersuchung auch über ihm
zusammenzog, war wohl schon im Herbst 1834, nach den Verhaftungen im Kreise der Gießener
Gesellschaft der Menschenrechte, klargeworden.
Im Januar 1835 hatte man ihn vor das Kriminalgericht in Offenbach vorgeladen. Noch als Zeugen,
aber als Zeugen – insgeheim als Angeklagten – in einer Untersuchung gegen den flüchtigen
Schütz von den Gießener Menschenrechtlern. Eine zweite ähnliche Vorladung nach Friedberg war
gefolgt. Die Unvermeidbarkeit der Flucht war wohl seit Beginn des Jahres klargeworden. Diese
Erkenntnis wird nun äußerer und stärkster Antrieb zur Niederschrift des „Danton“. Das Drama soll
das Geld zur Flucht herbeischaffen. Mit den Vater ist nicht zu rechnen. Er würde nie die Hand zu
solcher „illegalen“ Handlungsweise reichen. Er misstraut dem Sohn bereits, trotz aller Briefe, in
denen dieser seine vollkommene Harmlosigkeit beteuert, die „Missverständnisse“ der
verschiedenen Haussuchungen und Vorladungen zu erklären gesucht hatte.
Jetzt hält der Vater den Sohn im Hause. Der Student soll sich zum Examen vorbereiten, unter
der Obhut des Vaters ganz seinen anatomischen Präparaten leben. Der Bruder Wilhelm muss
Wache halten in jenen Wochen des Schaffens, damit die Niederschrift am Seziertisch nicht durch
einen plötzlichen Überfall des Vaters gestört wird. Kommt Ernst Büchner wirklich einmal, so
werden die anatomischen Tafeln schnell über die Blätter des Manuskriptes gedeckt.
Und so entsteht, während der Sohn dem väterlichen Gebot tatsächlich folgt, gleichzeitig die
Verbindung zu den Darmstädter Freunden aufrecht erhält, wenn er auch keine neue
Versammlung der Menschenrechtsgesellschaft einberuft, während immer noch das Problem
der Befreiung Minnigerodes besteht und diskutiert wird, während das Büchnersche Haus
bereits bewacht, des Sohnes Schritte von Spitzeln verfolgt werden –, so entsteht, inmitten
von politischer Konspiration und legalem Medizinstudium, von öffentlich-legaler Existenz
und geheimer Fluchtvorbereitung, von Depression über den politischen Misserfolg und
quälender Furcht vor der Verhaftung, jenes Drama des Thermidor, „Dantons Tod“, das in
Wahrheit den Tod oder das Sterben der gesamten Revolution schildern soll.
9
> Dantons Tod – Stichworte zum historischen Hintergrund
Historischer Hintergrund des Dramas sind die Ereignisse der Französischen Revolution, die
1789 mit dem Sturm auf die Bastille, der Erklärung der Menschenrechte und der Abschaffung
der Vorrechte des Adels als soziale Revolution begonnen, sich aber innerhalb weniger Jahre
zu einer Herrschaft des Schreckens und der Willkür gewandelt hatte.
Die dramatische Handlung spielt sich in einem Zeitraum von nur zwei Wochen ab (24. März
bis 5. April 1794); sie basiert auf dem historischen Konflikt zwischen den beiden
Revolutionsführern Maximilien de Robespierre und Georges Jacques Danton und zeigt die
von Robespierre veranlasste Verhaftung, Verurteilung und Vollstreckung des Todesurteils an
Danton und seinen Anhängern.
Französische Revolution (1789-1799)
Soziale und politische Revolution in Frankreich, die den absolutistische Ständestaat
abschaffen und einen Nationalstaat auf Basis der Menschenrechte bilden wollte. Ziele waren
die Verwirklichung wesentlicher Ideen der Aufklärung und die Durchsetzung bürgerlicher
Freiheitsrechte. Ab 1792 führten gegenrevolutionäre Bewegungen aus dem In- und Ausland
zur Bildung einer Republik unter einer jakobinischen Revolutionsregierung, die ihren
Machtanspruch blutig durchsetzte und Gegner der Revolution terrorisierte und hinrichten ließ.
In der Endphase der Revolution von 1795-1799, der sog. Direktorialzeit, herrschte schließlich
eine von besitzbürgerlichen Interessen geleitete neue politische Elite, die ihren Machtanspruch
sowohl gegen die Anhänger einer monarchistischen Restauration als auch die Anhänger einer
liberalen, demokratischen und auf sozialer Gleichheit beruhenden Volksbewegung mit blutiger
Gewalt durchsetzte.
Konvent (Nationalkonvent)
Der Nationalkonvent wurde 1792 als legislative Versammlung einberufen, die die Aufgabe
hatte, nach Abschaffung der Monarchie und vorläufiger Absetzung des Königs eine
Verfassung zu entwerfen und Gesetze zu erlassen. Er tagte von 1792 bis 1795 und übergab
legislative und administrative Aufgaben oft an Ausschüsse wie z.B. den Wohlfahrtsausschuss.
Zunehmend übernahm der Konvent auch die Aufsicht über die Exekutive und delegierte
exekutive Aufgaben an die eigenen Mitglieder. Diese Vermischung der drei Gewalten
begünstigte auch die Machtposition der Regierung und führte zur jakobinischen
Schreckensherrschaft, weil die Unabhängigkeit und gegenseitige Kontrolle von Legislative,
Exekutive und Judikative nicht mehr gegeben waren.
Wohlfahrtsausschuss
Der Ausschuss der öffentlichen Wohlfahrt und der allgemeinen Verteidigung wurde 1793 zur
Kontrolle des Nationalkonvents und der Regierung eingesetzt. Er bestand aus zunächst neun,
später zwölf Mitgliedern, unter ihnen Saint-Just und Robespierre, zeitweilig auch Danton.
Unter Führung der Jakobiner entwickelte er sich zu einer zentralen Machtinstanz mit
uneingeschränkten Vollmachten und damit zum wichtigsten Instrument des jakobinischen
Terrors gegen Revolutionsgegner, dem Tausende zum Opfer fielen. Nach der Hinrichtung
Robespierres wurde die Machtfülle des Wohlfahrtsausschusses durch den Konvent wieder
begrenzt, 1795 wurde der Ausschuss aufgelöst.
Revolutionstribunal
Das Revolutionstribunal war ein 1793 auf Vorschlag Dantons vom Nationalkonvent
gegründetes außerordentliches Strafgericht, vor dem politische Straftaten verhandelt wurden.
Es wurde zu einem der mächtigsten Instrumente der jakobinischen Schreckensherrschaft unter
Robespierre, weil es den politischen Häftlingen untersagte, sich von einem Anwalt
verteidigen zu lassen, die Anhörung von Zeugen nicht zuließ und als einzige mögliche Strafe
die Todesstrafe vorsah.
Septembermorde (auch: Septembermassaker; 2. bis 6. September 1792)
Im September 1792 rückten preußisch-österreichische Truppen auf französisches Gebiet vor,
10
bei Verdun kapitulierten französische Soldaten vor ihnen. Schnell verbreitete sich das
Gerücht, an den Revolutionären würde blutige Rache verübt werden, sollte Frankreich zur
Gänze erobert werden. Zusätzlich angestachelt durch Aufrufe von Marat und Danton, der zu
dieser Zeit Justizminister war, stürmten aufgebrachte Menschenmengen daraufhin die
Gefängnisse in Paris und anderen französischen Städten und ermordeten blindwütig die dort
inhaftierten Revolutionsgegner und andere Gefangene. Den Massakern fielen mehr als 1200
Menschen zum Opfer.
Marsfeld
Großer Exerzierplatz in Paris, auf dem am 14. Juli 1790 das sog. Versöhnungsfest stattfand,
in dessen Rahmen König Ludwig XVI. einen Eid auf die Verfassung leistete. Ein Jahr später,
am 17. Juli 1791, wurde das Marsfeld Schauplatz eines Massakers, dem hunderte Pariser
Bürger zum Opfer fielen. Als republikanische Revolutionäre während der an diesem Tag
stattfindenden Feiern zum Jahrestag der Bastille-Erstürmung auf dem Marsfeld eine
antimonarchistische Petition zur Absetzung des Königs zur Unterzeichnung auslegen wollten,
kam es zu Massenunruhen, die von der Nationalgarde blutig niedergeschlagen wurden.
Marseillaise
Die Marseillaise wurde 1792 während des Krieges mit Österreich als Kriegslied zur
Unterstützung der revolutionären Rheinarmee verfasst. Es erhielt seinen Namen, als Soldaten
aus Marseille das Lied während ihres Einzuges in Paris sangen. 1795 wurde die Marseillaise
zur Nationalhymne Frankreichs erklärt.
Guillotine („Köpfmaschine“)
Die Guillotine ist ein nach dem französischen Arzt Guillotin, einem Anhänger der Revolution,
der sich für eine schnelle und humane Vollstreckung von Todesurteilen einsetzte, benanntes
mechanisches Gerät zur Enthauptung.
Code civil
Der Code civil ist das französische Gesetzbuch zum Zivilrecht, das durch Napoleon Bonaparte
1804 eingeführt wurde. Die ersten Entwürfe entstanden bereits in den Revolutionsjahren 1793 bis
1797. Der Code civil ist in Frankreich in wesentlichen Teilen noch heute gültig.
> Die Bluthunde: Historische Figuren in „Dantons Tod“
Maximilien de Robespierre (1758-1794)
war Advokat und Mitglied der Jakobiner, Mitglied des Nationalkonvents und des Wohlfahrtsausschusses, der unter seinem Vorsitz zunehmend zum Terrorinstrument wurde und zahllose
Todesurteile fällte.
Robespierre pflegte einen asketischen Lebenswandel, war Anhänger einer rigiden Tugendhaftigkeit und galt als Verfechter aufklärerischer Ideale – insbesondere der Vorstellungen
Rousseaus, mit denen er seine Terrorherrschaft legitimierte. Für ihn standen Gegner der
Revolution und der Republik außerhalb der aufgeklärten, dem Gemeinwohl verpflichteten
Gesellschaft – änderten diese ihre Überzeugung nicht, so gab es für sie in seinen Augen nur den
Tod. Eine Regierung, die Gegnern gegenüber grausam und rigoros auftrat, galt ihm als wohltätig
gegenüber den tugendhaften und der Wahrheit verpflichteten Bürgern.
Robespierres zunehmend maßloser und diktatorischer werdende Schreckensherrschaft bedeutete
jedoch seinen eigenen Untergang; 1794 wurde er gestürzt und hingerichtet.
Georges Danton (1759-1794)
war Advokat, Mitbegründer der Cordeliers und Mitglied des Nationalkonvents. Auch aufgrund
seiner rhetorischen Fähigkeiten wurde er zu einem der maßgeblichen Anführer der Französischen
Revolution. 1792 wurde er zunächst erster Leiter des Wohlfahrtsausschusses, den er initiiert hatte,
kurz darauf wurde er zum Justizminister berufen. Danton war mitverantwortlich für die
Septembermorde und die Einsetzung des Revolutionstribunals, lehnte aber in der Folge die
zunehmende Terrorherrschaft Robespierres ab und plädierte für einen etwas liberaleren und
11
gemäßigteren Umgang mit Revolutionsgegnern. 1794 veranlasste Robespierre seine Verhaftung
und ließ ihn durch das Revolutionstribunal anklagen und hinrichten.
Camille Desmoulins (1760-1794)
Anwalt und Publizist, unter Danton Generalsekretär im Justizministerium, Mitbegründer der
Cordeliers, 1794 zusammen mit Danton hingerichtet.
Antoine de Saint-Just (1767-1794)
Mitglied des Nationalkonvents, Anhänger Robespierres, maßgeblich beteiligt am Sturz der
Girondisten, der Hébertisten und der Dantonisten, 1794 zusammen mit Robespierre hingerichtet.
> Zur
Gegensätzlichkeit von Danton und Robbespierre
DANTON
↔
ROBESPIERRE
ohne offizielles Amt
despotischer Regierungschef
Rückzug ins Private
in der Öffentlichkeit stehend
verfolgt als Staatsfeind
verehrt als Staatsführer
Opfer: wird hingerichtet
Täter: lässt hinrichten
Politik der Mäßigung
Politik der Terreur
nachsichtig
erbarmungslos
geliebt, von Freunden bewundert
einsam, vom Volk angebetet
Epikureismus
Rousseau'sche Tugendideologie
individuelles Glück
Gemeinwille
geistreich
dogmatisch, verbohrt, verblendet
witzig, amüsant, spottlustig
humorlos, sachlich
atheistisch
religiös
skeptisch
messianisches Sendungsbewusstsein
materialistisch
idealistisch
desillusioniert
siegessicher
egoistisch
aufopferungsvoll
genusssüchtig, lüstern, dekadent
genügsam, sittenstreng
korrumpierbar
unbestechlich
passiv, träge, bequem
aktiv, engagiert, fanatisch
gelangweilt
überlastet, angestrengt
Sehnsucht nach Ruhe
Rastlosigkeit im politischen Kampf
entwickelt sich im Verlauf des Stückes
verändert sich nicht
(Darstellung in: Andrea Rinnert, Interpretationen Deutsch, Georg Büchner, Dantons Tod)
12
13
Schema der revolutionären/politischen Gruppierungen in „Dantons Tod“
Jakobiner
Gruppe radikaler Revolutionäre aus dem gebildeten Bürgertum; vertreten die Interessen des
einfachen Volkes und fordern soziale und gesellschaftliche Gerechtigkeit und Gleichheit aller
Menschen; werden zunehmend radikaler und sehen Terror als gerechtfertigtes Mittel zur
Durchsetzung ihrer machtpolitischen Ziele an.
Girondisten
Cordeliers
gemäßigte Fraktion der Jakobiner, die aus
radikale Fraktion der Jakobiner
gebildeten und aufgeklärten Bürgern besteht;
um Danton, Marat und
setzt sich für die Interessen des Besitz
andere, die maßgeblich zum Sturz
Bürgertums ein, lehnt den Sturz des Königs
der Girondisten beiträgt.
ebenso ab wie die jakobinische Schreckensherrschaft unter Robespierre.
Hébertisten
Dantonisten
extreme, ultrarevolutionäre Gruppierung
zunehmend gemäßigtere Fraktion
der Jakobiner, plädiert für die Abschaffung
der Jakobiner, zunehmend
von Religion und Kirche, vertritt
kompromissbereit, lehnt den
frühsozialistische Positionen und versucht
Terror unter Robespierres
ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen.
Herrschaft ab.
14
Herr Büchner, warum schreiben Sie nichts Nettes?
> BÜCHNER IN SEINEN BRIEFEN
GEORG BÜCHNER AN DIE FAMILIE, Straßburg, 28. Juli 1835
Georg Büchner. Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente, Bd. 2. Frankfurt am Main 1999
Der Dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts als ein Geschichtsschreiber, steht aber über
Letzterem dadurch, dass er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich
unmittelbar, statt eine trockene Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt, uns
statt Charakteristiken Charaktere, und statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufgabe
ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe wie möglich zu kommen.
Sein Buch darf weder sittlicher noch unsittlicher sein, als die Geschichte selbst; aber die
Geschichte ist vom lieben Herrgott nicht zu einer Lektüre für junge Frauenzimmer geschaffen
worden, und da ist es mir auch nicht übel zu nehmen, wenn mein Drama ebensowenig dazu
geeignet ist.
Ich kann doch aus meinem Danton und den Banditen der Revolution nicht Tugendhelden machen!
Wenn ich ihre Liederlichkeit schildern wollte, so musste ich sie eben liederlich sein lassen, wenn
ich ihre Gottlosigkeit zeigen wollte, so musste ich sie eben wie Atheisten sprechen lassen. Wenn
einige unanständige Ausdrücke vorkommen, so denke man an die weltbekannte, obszöne Sprache
der damaligen Zeit, wozu das, was ich meine Leute sagen lasse, nur ein schwacher Abriss ist.
Man könnte mir nur noch vorwerfen, dass ich einen solchen Stoff gewählt hätte. Aber der Entwurf
ist längst widerlegt. Wollte man ihn gelten lassen, so müssten die größten Meisterwerke der
Poesie verworfen werden. Der Dichter ist kein Lehrer der Moral, er erfindet und schafft Gestalten,
er macht vergangene Zeiten wieder aufleben, und die Leute mögen dann daraus lernen, so gut,
wie aus dem Studium der Geschichte und der Beobachtung dessen, was im menschlichen Leben
um sie herum vorgeht. Wenn man so wollte, dürfte man keine Geschichte studieren, weil sehr viele
unmoralische Dinge darin erzählt werden, müsste mit verbundenen Augen über die Gasse gehen,
weil man sonst Unanständigkeiten sehen könnte, und müsste über einen Gott Zeter schreien, der
eine Welt erschaffen, worauf so viele Liederlichkeiten vorfallen.
Wenn man mir übrigens noch sagen wollte, der Dichter müsse die Welt nicht zeigen wie sie ist,
sondern wie sie sein solle, so antworte ich, dass ich es nicht besser machen will, als der liebe Gott,
der die Welt gewiss gemacht hat, wie sie sein soll. Was noch die sogenannten Idealdichter
anbetrifft, so finde ich, dass sie fast nichts als Marionetten mit himmelblauen Nasen und
affektiertem Pathos, aber nicht Menschen von Fleisch und Blut gegeben haben, deren Leid und
Freude mich mitempfinden macht, und deren Tun und Handeln mir Abscheu oder Bewunderung
einflößt.
Georg Büchner: Werke und Briefe, München 1988
Straßburg, (um den 6.) April 1833
Heute erhielt ich Euren Brief mit den Erzählungen aus Frankfurt. Meine Meinung ist die: WENN IN
UNSERER ZEIT ETWAS HELFEN SOLL, SO IST ES GEWALT. Wir wissen, was wir von unseren
Fürsten zu erwarten haben. Alles, was sie bewilligten, wurde ihnen durch die Notwendigkeit
abgezwungen.
Und selbst das Bewilligte wurde uns hingeworfen, wie eine erbettelte Gnade und ein elendes
Kinderspielzeug um dem ewigen Maulaffen Volk seine zu eng geschnürte Wickelschnur vergessen
zu machen. Man wirft den jungen Leuten den Gebrauch der Gewalt vor. Sind wir denn aber nicht in
einem ewigen Gewaltzustand? Weil wir im Kerker geboren und großgezogen sind, merken wir
nicht mehr, dass wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel
im Munde. Was nennt Ihr denn gesetzlichen Zustand?
15
Ein Gesetz, das die große Masse der Staatsbürger zum fronenden Vieh macht, um die
unnatürlichen Bedürfnisse einer unbedeutenden und verdorbenen Minderzahl zu befriedigen? Und
dies Gesetz, unterstützt durch eine rohe Militärgewalt und durch die dumme Pfiffigkeit seiner
Agenten, dies Gesetz ist eine ewige, rohe Gewalt, angetan dem Recht und der gesunden Vernunft,
und ich werde mit Mund und Hand dagegen kämpfen, wo ich kann. Wenn ich an dem, was
geschehen, keinen Teil genommen und an dem, was vielleicht geschieht, keinen Teil nehmen
werde, so geschieht es weder aus Missbilligung, noch aus Furcht, sondern nur weil ich im
gegenwärtigen Zeitpunkt jede revolutionäre Bewegung als eine vergebliche Unternehmung
betrachte und nicht die Verblendung derer teile, welche in den Deutschen ein zum Kampf für sein
Recht bereites Volk sehen. Die deutsche Indifferenz ist wirklich von der Art, dass sie alle
Berechnung zu Schanden macht.
Büchner an seine Braut
Georg Büchner. Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente, Bd. 2. Frankfurt am Main 1999
Gießen, um den 9.-12. März 1834
Ich studierte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie vernichtet unter dem grässlichen
Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den
menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne
nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel,
ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu
beherrschen unmöglich. Es fällt mir nicht mehr ein, vor den Paradegäulen und Eckstehern der
Geschichte mich zu bücken. Ich gewöhnte mein Auge ans Blut. Aber ich bin kein
Guillotinenmesser. Das muss ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft
worden. Der Ausspruch: es muss ja Ärgernis kommen, aber wehe dem, durch den es kommt, - ist
schauderhaft. WAS IST DAS, WAS IN UNS LÜGT, MORDET, STIEHLT?
Straßburg
Die ganze Revolution hat sich schon in Liberale und Absolutisten geteilt und muss von der
ungebildeten und armen Klasse aufgefressen werden; DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN ARMEN
UND REICHEN IST DAS EINZIGE REVOLUTIONÄRE ELEMENT DER WELT, der Hunger allein
kann die Freiheitsgöttin und nur ein Moses, der uns die sieben ägyptischen Plagen auf den Hals
schickte, könnte ein Messias werden. Mästen Sie die Bauern, und die Revolution bekommt die
Apoplexie. Ein Huhn im Topf jedes Bauern macht den gallischen Hahn verenden...
> Die Marseillaise (frz. Nationalhymne von 1792)
Französischer Originaltext
Deutsche Übersetzung
Allons enfants de la Patrie,
Le jour de gloire est arrivé!
Contre nous de la tyrannie,
L'étendard sanglant est levé, (bis)
Entendez-vous dans les campagnes
Mugir ces féroces soldats?
Ils viennent jusque dans vos bras
Égorger vos fils et vos compagnes
Auf, Kinder des Vaterlands!
Der Tag des Ruhms ist da.
Gegen uns wurde der Tyrannei
Blutiges Banner erhoben. (2 x)
Hört Ihr auf den Feldern
Das Brüllen der grausamen Krieger?
Sie kommen bis in eure Arme,
Eure Söhne, eure Frauen zu köpfen!
Refrain:
Aux armes, citoyens,
Formez vos bataillons,
Marchons, marchons!
Qu'un sang impur
Abreuve nos sillons!
Refrain:
An die Waffen, Bürger!
Schließt die Reihen,
Vorwärts, marschieren wir!
Damit ein unreines Blut
unsere Äcker tränkt!
16
Que veut cette horde d'esclaves,
De traîtres, de rois conjurés?
Pour qui ces ignobles entraves,
Ces fers dès longtemps préparés? (bis)
Français, pour nous, ah! quel outrage
Quels transports il doit exciter!
C'est nous qu'on ose méditer
De rendre à l'antique esclavage!
Was will diese Horde von Sklaven,
Von Verrätern, von verschwörerischen Königen?
Für wen diese gemeinen Fesseln,
Diese seit langem vorbereiteten Eisen? (2 x)
Franzosen, für uns, ach! welche Schmach,
Welchen Zorn muß dies hervorrufen!
Man wagt es, daran zu denken,
Uns in die alte Knechtschaft zu führen!
Refrain
Refrain
Quoi! des cohortes étrangères
Feraient la loi dans nos foyers!
Quoi! ces phalanges mercenaires
Terrasseraient nos fiers guerriers. (bis)
Grand Dieu! par des mains enchaînées
Nos fronts sous le joug se ploieraient.
De vils despotes deviendraient
Les maîtres de nos destinées!
Was! Ausländisches Gesindel
Würde über unsere Heime gebieten!
Was! Diese Söldnerscharen würden
Unsere stolzen Krieger niedermachen! (2 x)
Großer Gott! Mit Ketten an den Händen
Würden sich unsere Häupter dem Joch beugen.
Niederträchtige Despoten würden
Über unser Schicksal bestimmen!
Refrain
Refrain
Tremblez, tyrans, et vous perfides
L'opprobre de tous les partis,
Tremblez! vos projets parricides
Vont enfin recevoir leurs prix! (bis)
Tout est soldat pour vous combattre,
S'ils tombent, nos jeunes héros,
La terre en produit de nouveaux,
Contre vous tout prêts à se battre!
Zittert, Tyrannen und Ihr Niederträchtigen
Schande aller Parteien,
Zittert! Eure verruchten Pläne
Werden Euch endlich heimgezahlt! (2 x)
Jeder ist Soldat, um Euch zu bekämpfen,
Wenn Sie fallen, unsere jungen Helden,
Zeugt die Erde neue,
Die bereit sind, gegen Euch zu kämpfen
Refrain
Refrain
Français, en guerriers magnanimes,
Portez ou retenez vos coups!
Épargnez ces tristes victimes,
A regret s'armant contre nous. (bis)
Mais ces despotes sanguinaires,
Mais ces complices de Bouillé
Tous ces tigres qui, sans pitié,
Déchirent le sein de leur mère!
Franzosen, Ihr edlen Krieger,
Versetzt Eure Schläge oder haltet sie zurück!
Verschont diese traurigen Opfer,
Die sich widerwillig gegen uns bewaffnen. (2 x)
Aber diese blutrünstigen Despoten,
Aber diese Komplizen von Bouillé,
Alle diese Tiger, die erbarmungslos
Die Brust ihrer Mutter zerfleischen!
Refrain
Refrain
Amour sacré de la Patrie,
Conduis, soutiens nos bras vengeurs.
Liberté, Liberté chérie,
Combats avec tes défenseurs! (bis)
Sous nos drapeaux que la victoire
Accoure à tes mâles accents,
Que tes ennemis expirants
Voient ton triomphe et notre gloire!
Heilige Liebe zum Vaterland,
Führe, stütze unsere rächenden Arme.
Freiheit, geliebte Freiheit,
Kämpfe mit Deinen Verteidigern! (2 x)
Damit der Sieg unter unseren Flaggen
Den Klängen der kräftigen Männer zu Hilfe eilt,
Damit Deine sterbenden Feinde
Deinen Sieg und unseren Ruhm sehen!
Refrain
Refrain
Nous entrerons dans la carrière
Quand nos aînés n'y seront plus,
Nous y trouverons leur poussière
Et la trace de leurs vertus! (bis)
Bien moins jaloux de leur survivre
Que de partager leur cercueil,
Nous aurons le sublime orgueil
De les venger ou de les suivre.
Wir werden des Lebens Weg weiter beschreiten,
Wenn die Älteren nicht mehr da sein werden,
Wir werden dort ihren Staub
Und ihrer Tugenden Spur finden. (2 x)
Eher ihren Sarg teilen
Als sie überleben wollend,
Werden wir mit erhabenem Stolz
Sie rächen oder ihnen folgen.
17
> WAS IST DER MENSCH?
Was ist der Mensch? Was ist sein wahres Wesen? Wie kann der Mensch dem Menschen ein
Mensch sein? Die Frage, wie der Mensch zu einem wahren oder wirklichen Menschen werden
kann, ist unausweichlich. Wie können sich die Menschen selbst bilden zu dem, was sie sein
können und sein werden, wenn am Ende doch der Mensch selbst das Problem ist.
Es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür - aber wir werden es einander nicht aus den
Eingeweiden heraus wühlen, was sollen wir uns drum die Leiber aufbrechen? Wir sind elende
Alchymisten!
Peter Sloterdijk - Regeln für den Menschenpark
Was ist ein Mensch in der Revolte? Ein Mensch, der nein sagt.
Ein Sklave, der sein Leben lang Befehle erhielt, findet plötzlich einen neuen Befehl unerträglich.
Was ist der Inhalt dieses 'Nein'? Es bedeutet zum Beispiel: 'das dauert schon zu lange', 'bis hierher
und nicht weiter', 'sie gehen zu weit' und auch 'es gibt eine Grenze, die sie nicht überschreiten
werden'. Im Ganzen erhärtet dieses 'Nein' das Bestehen einer Grenze.
Die Bewusstwerdung, sei sie noch so unbestimmt, wächst aus der Bewegung der Revolte. Was
zuerst ein unbeugsamer Widerstand des Menschen war, wird nun der ganze Mensch, der sich mit
ihm identifiziert und sich darin erfüllt. Die Revolte ist die erste Selbstverständlichkeit des
Menschen: Ich empöre mich, also bin ich.
Albert Camus – Die Revolte des Prometheus
Der Mensch ist im Grunde ein wildes Tier.
Wir kennen es bloß im Zustand der Bändigung und Zähmung.
Arthur Schopenhauer
Bald werden nur noch wenige Menschen der alten Rasse existieren, insbesondere in den
Regionen, die lange dem Einfluss traditioneller religiöser Doktrinen ausgesetzt waren. Ihre
Fortpflanzungsquote wird sich jedoch von Jahr zu Jahr verringern, und ihr Aussterben
scheint unabwendbar zu sein. Entgegen allen pessimistischen Voraussagen vollzieht sich
dieses Aussterben sehr friedlich. Es ist durchaus überraschend mitanzusehen, mit welcher
Ruhe, welcher Resignation und vielleicht sogar insgeheimer Erleichterung die Menschen
ihrem eigenen Verschwinden zustimmen.
Michel Houllebecq: Elementarteilchen. Köln 1999
18
> ALLES VERGANGENHEIT?
Parallelen zwischen der Syrischen und der Französischen Revolution:
Syrische Revolution
Französische Revolution
Bürger werden unterdrückt, kämpfen für mehr Bürger wollen Monarchie abschaffen
Freiheit, Gerechtigkeit und bessere
Lebensbedingungen
à Entstand aus Unzufriedenheit des Volkes
à Entstand aus Unzufriedenheit des Volkes
Proteste werden von Armee brutal beendet,
FSA (Freie syrische Armee, aus dem Volk
heraus gegründet ) wendet sich gegen
Landesarmee
Sturm auf die Bastille ist Startschuss für
Revolution
à FSA erobert einige Teile Syriens
à Volk vertreibt Adlige und reist Macht an sich
FSA kann öffentliche Ordnung nicht aufrecht
erhalten und Volk nicht versorgen
Volk ist unentschlossen angesichts der neuen
Republik
à Chaos tritt ein
à Chaos tritt ein
Rebellische islamistische Gruppierungen
wollen brutal ihre Vorstellung der religiösen
Gesetzgebung durchsetzen
Revolutionstribunal fällt täglich Todesurteile
à blutiges Treiben
à blutiges Treiben
Europas Armeen stehen im Land
Unterstützung beider Seiten von
verschiedenen Organisationen
à Druck/Hilfe von Außen
à Druck/Hilfe von Außen
Folgen:
Folgen:
- ca. 191396 Opfer
- ca. 15000 Opfer
- ca. 2,6 Mio. Flüchtlinge
- ca. 129000 Flüchtlinge
Was man über den Syrien-Konflikt wissen sollte:
à http://www.alsharq.de/2013/mashreq/libanon/was-man-uber-den-syrien-konflikt-wissen-sollte/
19
> THEATERPÄDAGOGISCHES MATERIAL
Fragen zur Nachbereitung des Stückes (Kurzform)
1.
Kennt Ihr jemanden aus der Geschichte der seine Macht ausgenutzt hat?
2.
Wo wird heute in der Politik Mach ausgeübt?
3.
Was glaubt Ihr wie man einen machtbesessenen Menschen dazu bringen kann sein
Verhalten zu verbessern?
4.
Klärt für Euch folgende Begriffe: Gerechtigkeit, Menschlichkeit?
5.
Was ist tugendhaftes Verhalten?
6.
Welche Stellungen haben die Männer in Büchners Stück?
7.
Welche Stellungen haben die Frauen in Büchners Stück?
8.
In Welchem Kontext stehen Musik & Schauspiel zueinander?
9.
Welchen Einfluss hat die Musik auf die Inszenierung?
10.
Wie hat auf Euch das Bühnenbild gewirkt?
11.
Wie ist das Verhältnis zwischen Roberspierre und Danton in Büchners Stück?
12.
Warum könnte er sich verändert haben?
13.
Welche Szenen sind Euch von Eurem Theaterbesuch besonders in Erinnerung geblieben?
14.
Wer sind die Machthaber unserer Zeit?
Fragen und praktische Anregungen zur Nachbereitung des Stückes (Langform)
> zum Bühnenbild, den Requisiten und den Kostümen
→ Welche Assoziationen weckt das Bühnenbild?
→ Spielt sich das Geschehen an einem Ort oder an verschiedenen Orten ab? Welche Rolle spielt
dabei das Licht?
→ An welche Zeit erinnern die Kostüme? Welche Wirkung erzeugt das?
> zum Klang
→ Welche Wirkung hat die musikalische Untermalung auf die Figuren?
→ Welche Wirkung hat die Musik auf die Wahrnehmung des Publikums?
→ Kontrastiert oder unterstreicht die Musik das Geschehen?
> zu den Figuren und den Darstellerinnen und Darstellern
→ Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sind bei den Paaren Danton und Julie und Camille
und Lucile zu bemerken? Welche Wirkung erzeugt das?
→ Welche Figuren sprechen zum Publikum? In welchen Szenen tun sie das? Warum
gerade in diesen?
> Reflexions- und Diskussionsangebote
→ Charakterisierung der Figuren und kritische Auseinandersetzung mit ihren Motiven und
Verhaltensweisen, mit ihren vorgetragenen und ihren versteckten Beweggründen für ihr
Handeln und Nicht-Handeln und mit ihrer emotionalen Verfasstheit
20
→ Formulierung von Erwartungen an Handlung und Figurenzeichnung und an die Gestaltung
von Bühnenraum und Lichttechnik in der Inszenierung nach Rezeption der Informationen zur
Inszenierung und zu den historischen Hintergründen
→ Erprobung und Diskussion theatraler Möglichkeiten für die Gestaltung von Ähnlichkeiten
und Unterschieden in Verhalten und Handlungsmotivation von Danton und Robespierre
→ Beschreibung der Aufführung und Austausch von Erinnerungen an visuelle und akustische
Details (z.B. an Details des Bühnenraums, der Kostüme und der Requisiten; an die
unterschiedlichen Stimmungen, die durch Licht und Musik während der Aufführung erzeugt
wurden; an die eigenen Reaktionen und die der anderen Zuschauerinnen und Zuschauer)
→ Austausch über die Momente während der Aufführung, an denen man gerne zustimmend
geklatscht oder Missfallen ausgedrückt hätte
→ Vergleich der Inszenierung mit bekannten Interpretationen des Dramentextes und mit den
eigenen Vorerwartungen
> Praktische Spielangebote
→ Rezeption und szenische Interpretation der Szene, in der Robespierre und
Danton einander begegnen, durch Positionierung der Figuren im Raum und Bauen von
Standbildern
→ Szenische Darstellung von Danton und Robespierre bei ihrem jeweils
ersten und letzten Auftritt und bei ihren Begegnungen
→Nachstellen von Bühnenkonfigurationen (z.B. in den Szenen, in denen Danton und Julie
oder Robespierre und St. Just allein auf der Bühne sind)
→ Verfassen einer eigenen und Vergleich mit anderen Theaterkritiken
IMPRESSUM
Theater der Stadt Aalen
Ulmer Str. 130
73431 Aalen
Spielzeit 2014/2015
Künstlerische Leitung
Tonio Kleinknecht, Tina Brüggemann, Winfried Tobias
Redaktion/ Fotos/ Gestaltung
Tonio Kleinknecht, Anne Klöcker, Winfried Tobias
NICHT ZULETZT
Ihre Meinung ist uns wichtig. Wir freuen uns über Lob und Kritik!
KONTAKT
Anne Klöcker und Winfried Tobias > 07361. 379313 > [email protected]
21