Marine - Strategie und Technik
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Marine - Strategie und Technik
Marine Marine U-Boot Klasse 212A (Foto: PIZ Marine) Erfahrungen aus der Nutzung, Ausblick in die Zukunft Joachim Bruhne D ie ersten zwei der vier U-Boote des 1. Loses Klasse 212A befinden sich seit nunmehr über fünf Jahren in der Nutzung. Bis auf wenige Anlagen und Geräte wurde auf diesen Booten seinerzeit ein vollständiger Technologiewechsel vollzogen. Gegenüber den bewährten UBooten der Klasse 206A ergaben sich enorme grundsätzliche Veränderungen in allen Hauptbauabschnitten und ein erheblicher Leistungsgewinn in sämtlichen Fähigkeitskategorien. Dies hatte entsprechende Auswirkungen auf die Ausbildung, die neben der notwendigen Technischen Dokumentation und einem hinreichenden Vorrat an Ersatzteilen die wesentliche Komponente der Versorgungsreife des Waffensystems darstellt. Am Ausbildungszentrum U-Boote (AZU) in Eckernförde wurde neben der Basis- und Einsatzausbildung für U206A ein gleichwertiger eigenständiger Ausbildungsstrang für U212A aufgebaut. Im Bereich Operation kann auf einen gut ausgestatteten Simulator zurückgegriffen werden. Im Bereich der schiffstechnischen Ausbildung U212A müssen jedoch bis heute Defizite bei den Ausbildungsmitteln kompensiert werden, die bis dato anders als für U206A nicht 1:1 zu den Bordanlagen am AZU vorhanden sind. Die seinerzeit für die Erstbesatzungen Autor Fregattenkapitän Joachim Bruhne ist im Marineamt MRL 13, Dezernat Rüstung u.a. für Nutzung/Weiterentwicklung von U-Booten verantwortlich. 60 August 2011 · Strategie & Technik und Ausbilder des AZU durchgeführte Industrieausbildung, die Ausbildung direkt an Bord eines Hafenliegers im Typstützpunkt Eckernförde sowie die Nutzung von Computerunterstützter Ausbildung (CUA) haben bisher die Besatzungen hinreichend auf ihre Aufgaben vorbereiten können. Die Fähigkeitslücke in diesem Bereich ist jedoch weiterhin vorhanden. Ausbildungsanlagen Mit der Entscheidung für die Außerdienststellung der Boote U206A war der Auftrag zum Aufbau eines Mehrbesatzungsmodells für U212A verknüpft. In Verbindung mit einer Umstellung des Zyklus von Betriebsund Instandsetzungsperioden und der Einführung von Sicherheitsinspektionen soll die Verfügbarkeit operativ disponierbarer U-Boote deutlich erhöht werden. Dieses Konzept wird – in Abgrenzung zur Intensivnutzung der Fregatte Klasse 125 (F125) – als „Intensivierte Nutzung“ bezeichnet. Da sich die Verfügbarkeit von Hafenliegern schon in der Vergangenheit als schwer planbar erwiesen hat, erscheint der Aufwuchs der landgebundenen Ausbildungseinrichtungen, insbesondere der Schiffstechnischen Landanlage (STLA), jetzt nur folgerichtig. CUA und Industrieausbildung, die vor mehr als fünf Jahren mit zum großen Teil inzwischen versetzten U-Bootfahrern durchgeführt wurden, können künftig kein hinreichender Ersatz mehr für eine praktische Ausbildung an hochkomplexen schiffstechnischen Schlüsselanlagen und -geräten sein. Auch eine Ausbildung bei der Italienischen Marine, die für ihre nahezu baugleichen zwei U-Boote ein Mehr an landgebundenen Ausbildungsmitteln zur Verfügung hat, ist keine tragfähige Alternative. Neben den ggf. zu klärenden administrativen Fragen der planbaren Verfügbarkeit italienischer Anlagen und den sich summierenden Reisekosten und -zeiten fehlen auch in Italien einige Schlüsselanlagen wie der Dieselmotor und deren Vernetzung mit anderen wichtigen Komponenten wie dem Leitstand. Nur mit Beschaffung der notwendigen STLA – die Schätzkosten belaufen sich auf ca. sieben Millionen Euro – wird das AZU auf Dauer in der Lage sein, die bisherigen hohen Ausbildungsstandards, mit dem Ziel der Bereitstellung einsatzfähiger Besatzungen, weiterhin zu gewährleisten. Aufgrund der weitgehenden Baugleichheit mit U212A 2. Los im Hinblick auf die betroffenen Anlagen und Geräte im Bereich Schiffstechnik kommen diese Ausbildungsmittel künftig allen sechs Booten zugute. Zusätzlich werden die Fähigkeiten des AZU im Hinblick auf ein dann umfassendes Ausbildungsangebot in Schiffstechnik und Schiffsoperation für internationale Partner, die gleiche oder ähnliche U-Boote (z.B.: U214) betreiben, signifikant erhöht. Dies stärkt die Relevanz der Deutschen Marine. Mehrbesatzungsmodell Die personellen Voraussetzungen für die bereits angesprochene intensivierte Nutzung U212A wurden durch das zum 1. April 2011 durch den Inspekteur der Erfolgreich im Einsatz Klasse 212A: Die ersten U-Boote der Welt mit Brennstoffzellenantrieb. Howaldtswerke-Deutsche Werft Howaldtswerke-Deutsche Werft GmbH Werftstr. 112 - 114 24143 Kiel · Germany Tel.: +49 - 431 - 700 - 0 Fax: +49 - 431 - 700 - 2312 www.hdw.de · email: [email protected] Die bewährten U-Boote der Klasse 206A wurden 2010 außer Dienst gestellt; hier: U25 der Klasse 206A Ausbildung am Ausbildungszentrum U-Boote (AZU); hier Tiefensteuerausbildung die Betreuung der Boote während der Werftliegezeiten durch eine Werftgruppe übernommen. Die Besatzung, die ihr Boot an die Werftgruppe übergibt, steht dann, unter Beibehaltung ihrer zertifizierten Einsatzfähigkeit, für Seefahrten auf anderen Booten, Einsatzvor- oder -nachbereitung sowie zur Aus- und Weiterbildung oder Regeneration bereit. Hiermit wird die Ver62 August 2011 · Strategie & Technik U31 der Klasse 212A fügbarkeit zusätzlich erhöht und gleichzeitig die Planbarkeit der Dienst- und Freizeit verbessert. Die Einsatzreife U212A 1. Los ist bis auf wenige geringfügige Einschränkungen hergestellt. Nach dem Zulauf der seriengefertigten neuen Torpedos DM2A4 und deren Integration in das Gesamtsystem U-Boot steht nunmehr die modernste Waffe ihrer Art zur Verfügung. Die Leistungsparameter des DM2A4 übersteigen die des bewährten Vorgängermodells DM2A3 um nahezu 100 Prozent. Instandsetzung Für die Boote wird eine sich aus dem Verhältnis notwendiger Instandsetzungen zu reiner Betriebszeit ergebende Verfügbarkeit für die Flotte von über 80 Prozent angestrebt. Diesem Ziel liegen bereits einige Anpassungen, die basierend auf den bisherigen Erfahrungen vorgenommen wurden, zugrunde. So wurde beispielsweise der Kalibrieraufwand deutlich verringert. Die entsprechende Betriebs-Erhaltungs-Periodennorm (BEPN) lässt sich aber in absehbarer Zeit aufgrund chronisch knapper Haushaltsmittel und wegen der stetig abnehmenden Instandsetzungskapazitäten bei der Industrie nur durch Beschreiten innovativer Wege bei der Instandsetzungskooperation zwischen Marine, Marinearsenal, Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) und Industrie einhalten. Die bestehende Kooperation mit der italienischen Marine bei der Ersatzteilbevorratung kann selbst bei Beteiligung weiterer Partner mittelfristig nur als punktuelle Abmilderung wirken. Auch der Zulauf U212A 2. Los wird lediglich eine gewisse Entlastung durch einen (Foto: AZU) Marine erlassene Mehrbesatzungsmodell geschaffen. Hiermit werden künftig für sechs U-Boote Klasse 212A 1. und 2. Los insgesamt acht Besatzungen zur Verfügung stehen. Die Bindung einer Besatzung an ihr Boot entfällt damit. Das mag für viele nach einem Paradigmenwechsel klingen, ist aber aufgrund des seit Jahren akuten Personalfehls bzw. wegen der inzwischen Routine gewordenen Besatzungswechsel insbesondere bei lang andauernden Einsätzen aus meiner Sicht nur noch ein kleiner, aber dringend notwendiger Schritt nach vorn. Zur weiteren Entlastung der seefahrenden Besatzungen wird (Foto: HDW) (Foto: M. Engelhardt) Marine größeren Gesamtvorrat von Ersatzteilen im Bereich der Schiffstechnik ermöglichen, gleichzeitig aber auch zusätzliche Mittel für Ersatzteile, Softwarepflege und Systemänderungen für ein ganz neues Führungsund Waffeneinsatzsystem (FüWES) binden. Lange Lieferzeiten für Hochwertteile wie Brennstoffzellenmodule, abnehmende Lagerhaltung auch bei der Industrie, die Systemkomplexität und der hohe Grad der Vernetzung von Einzelkomponenten, die voneinander abhängig sind, erleichtern den Erhalt der materiellen Einsatzfähigkeit nicht. Man könnte auch sagen: Das „Gute“, nämlich das modernste konventionelle U-Boot – dies wurde erst kürzlich wieder eindrucksvoll bei Übungen auch mit anderen U-Booten der gleichen Generation nachgewiesen –, kommt mit dem „Bösen“, nämlich einem deutlich erhöhten Aufwand in der Materialerhaltung. Lösungsansätze, diesen Aufwand trotz knapper Ressourcen zu bewältigen, werden derzeit diskutiert. Entscheidungen, die langfristig auch den Erhalt bestimmter nationaler wehrtechnischer Kernfähigkeiten berühren können, werden noch in diesem Jahr erwartet. U212A 2. Los Das Projekt U212A 2. Los verläuft – wie es sich für ein U-Boot gehört – „geräuschlos“. Trotzdem die zwei U-Boote (U35 und U36) sich von ihrem Vorgängermodell deutlich unterscheiden werden, da insbesondere im Bereich Schiffsoperation kaum eine Anlage dem Äquivalent des 1. Loses mehr entspricht, sind die gegenüber den ursprünglichen Planungen aufgetretenen zusätzlichen Bedarfe an Geld und Zeit überschaubar geblieben. Zusätzliche Finanzmittel in einer Größenordnung von etwa fünf Prozent des Gesamtvorhabens wurden fast ausschließlich Mit dem hochmodernen Torpedo DM2A4 werden die U-Boote der Klasse 212A ausgerüstet (Foto: HDW) für zusätzliche Ausbildungsmittel mit einer Zwischenentscheidung beantragt und auch bewilligt. So erhält das AZU aufgrund der komplett neuen Operationszentrale des 2. Loses hierfür auch einen zusätzlichen Ausbildungssimulator, dessen Notwendigkeit in der nun vorgesehenen Form bei Abschluss des Bauvertrages im Jahr 2006 aufgrund damals noch nicht abschließend getroffener Anlagenauswahl nicht absehbar war. Hinzu kommt, dass in der Realisierungsgenehmigung für U212A 2. Los ganz bewusst auf noch zu sammelnde Erfahrungen des 1. Loses verwiesen wurde, die für die weitere, detaillierte Ausstattung des 2. Loses insbesondere im Bereich der Herstellung der Versorgungsreife herangezogen werden sollten. Diese Erfahrungen mit einem völlig neuen, in seiner Komplexität in andere Dimensionen vorstoßenden Waffensystem liegen erst seit kurzer Zeit in hinreichend belastbarem Umfang vor. Insofern darf es im übrigen nicht überraschen, dass auch erst jetzt die Beschaffung einer genau auf den tatsächlichen Bedarf zugeschnittenen STLA eingeleitet wird. Zum zeitlichen Ablauf des Projektes U212A 2. Los ist anzumerken, dass die Ablieferung von U35 an die Deutsche Marine Mitte Juni Heckteil von U35 Klasse 212A 2. Los 2013 erfolgen soll. U36 wird nach derzeitiger Planung im Dezember 2013 folgen. Auf dem Weg zur Indienststellung wird schon Ende diesen Jahres die Taufe von U35 erfolgen, bevor die Erstbesatzung mit dem Boot nach sich anschließendem Funktionsnachweis Hafen ab dem Spätsommer 2012 in den Leistungsnachweis See und die Einsatzprüfungen geht. U36 absolviert diese Meilensteine jeweils ca. sechs Monate nach U35. Neue Entwicklungen/ Technologien Zum Schluss noch ein Blick auf einige derjenigen Entwicklungen und Technologien, von denen zeitnah spürbare Verbesserungen hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit im Betrieb und/oder beim Fähigkeitsportfolio U212A zu erwarten sind. Wir untersuchen derzeit einen Wechsel von den herkömmlichen Zink-Silber-Blei-Batterien auf eine leistungsfähigere und auch gewichtsmäßig deutlich leichtere, wartungsfreie Alternative wie Lithium-Ionen-Batterien. Von mit dem U-Boot zu verbringenden Drohnen ist langfristig eine deutliche Erweiterung des Wirkradius der Boote sowie ihrer Fähigkeit zur taktischen Unterstützung von Operationen von Spezialkräften oder gemischten Verbänden sowie eine zusätzliche Verbesserung des Eigenschutzes und der Überlebensfähigkeit im Einsatz zu erwarten. Konzepte für modulare Ausfahrgeräte und die weitergehende Vernetzung von Funknachrichtenanlage und Führungswaffenund -einsatzsystemen versprechen weiteres Verbesserungspotenzial im Hinblick auf automatisierte und standardisierte Bedienabläufe. (Foto: Diehl BGT Defence) (Grafik: Atlas Elektronik) Marine Lenkflugkörper IDAS bei Testschuss unter Wasser Schließlich erscheinen mir bei der materiellen Weiterentwicklung der U-Boote zwei Aspekte als besonders wichtig. Erstens muss schon jetzt mit Überlegungen begonnen werden, den Rüststand des 1. Loses im Bereich Operationstechnik dem des 2. Loses im realisierbaren Umfang anzugleichen. Dies ist im Hinblick auf die Vereinheitlichung der Ausbildung und die angestrebte Austauschbarkeit der Besatzungen sowie mit Blick auf die Reduzierung des Aufwandes bei Ausbildung und Materialerhaltung unbedingt geboten. Und zweitens erscheint mir die Entwicklung und Beschaffung des Lenkflugkörpers IDAS im Hinblick auf die im Vorläufigen Einsatzkonzept U212A definierten und durch die Einsatzwirklichkeit bestätigten Forderungen nach Fähigkeiten zur präzisen, abgestuften Wirkung, zur Verteidigung des U-Bootes gegen Bedrohungen aus der Luft und zur zumindest eingeschränkten Waffenwirkung von See an Land von besonderer Bedeutung. 2013 plant die Industrie erstmalig einen Schuss mit IDAS auf ein fliegendes Ziel. Die beiden letztgenannten Aspekte sind bei einer konsequenten Ausrichtung am möglichen Einsatzspektrum sowie bei geplanten mindestens 40 Jahren Nutzungsdauer entscheidend für einen möglichst wirtschaftlichen Betrieb eines durchsetzungsfähigen Waffensystems. 쐽 Strategie & Technik · August 2011 63