Diagnose: Testeritis

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Diagnose: Testeritis
QUALITÄTSVERGLEICH
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Punktuelle Leistungsfeststellung auf Knopfdruck
macht keinen Sinn
Diagnose: Testeritis
EIN KOMMENTAR VON ULRICH HERRMANN
oll Schule betrieben werden, um bessere
PISA-Rangplätze zu erreichen? Und nur
in Kernfächern wie Deutsch und Mathematik? Wo bleiben die Lernfelder der reflexiven
Selbsterfahrung und der kreativen Selbstdarstellung?
Wozu Schule? „Keiner fragt und Lehrer antworten?“ Beim Nobelpreisträger-Treffen in Berlin sagte der taiwanesische Chemie-Preisträger
von 1986, Akademie-Präsident Yuan Tseh Lee,
die Kinder sollten zu Hause nicht nach ihren
Schulnoten gefragt werden, sondern danach, ob sie eine gute Frage gestellt
hätten. Richtig, hätte Albert
Einstein ihm zugestimmt: Eine
besondere Begabung habe er,
Einstein, nicht gehabt, aber er habe sich seine
Neugier nicht unterdrücken und seine einfachen Fragen nicht verleiden lassen.
Wozu Schule? Sie soll durch Unterricht junge Menschen in vieler Hinsicht fördern
und qualifizieren, erziehen und
bilden. Das Kerngeschäft von
Schule hat gleich mehrere
gleichrangige Dimensionen: Kopf, Herz und
Hand. Aus deren Geflecht ergeben sich
für Kinder und junge
Leute mit den unterschiedlichsten biographischen und kulturellen Hintergründen ganz unterschiedliche Anforderungen und
Ansprüche, die man nicht über einen Leisten
schlagen kann, nicht schlagen darf – es sei
denn, Entmutigung, Auslese und Benachteiligung gelten mittlerweile als „normale“ Ziele unserer öffentlichen Schulen.
Man sollte „den einen Leisten“ auch deshalb
vergessen, weil die Schule keine Maschine ist:
Gewollte Wirkungen und ungewollte Nebenwir-
S
kungen, steuerbare Leistungen und unwägbare
Langzeitfolgen vermengen sich; durch das Auswechseln des einen oder anderen „Werkzeugs“
oder Steuerungsprogramms kann man nicht
einfach beliebig ganz andere „Produkte“ erzeugen.
Diese Einsicht droht hinter technizistischen
Input-Output-Floskeln unterzugehen. Alle zwei
Jahre sollen PISA-Befunde erhoben werden; re-
gelmäßig soll zentral und bundesweit getestet
werden. Hinter der „Qualitätsentwicklung“, wie
sie die KMK nennt (mit einem eigenen Institut in
Berlin), steckt in Wahrheit die einfache Diagnose: Testeritis.
Was ist passiert? Haben die Lehrpläne und
(zentrale) Prüfungen nicht immer schon schulische Mindeststandards formuliert und auch
überprüft? Eben nicht: Von etwa einem Fünftel
eines jeden Schüler-Jahrgangs werden sie in
Unsere Jubilare im Oktober
Die GEW gratuliert
70 Jahre
Marianne Boehrs (Hannover)
26.10.1935
Heinrich Diekmann (Bramsche)
23.10.1935
Ernst-Jürgen Gladtfeld
(Nordhorn)
1. Oktober 1935
Wilhelm Hellriegel (Harpstedt)
6. Oktober 1935
Karlheinz Kampa (Ebstorf)
31. Oktober 1935
Elisabeth Magiera (Großefehn)
11. Oktober 1935
Brigitte Mahler (Bülkau)
26. Oktober 1935
9-10/2005
Winfried Matzke (Rastede)
29. Oktober 1935
Helga Ohland (Bad Harzburg)
28. Oktober 1935
Siegfied Pawelzik
(Bad Bentheim)
14. Oktober 1935
Jörn Siebert (Wolfsburg)
1. Oktober 1935
Hanshorst Wilharm (Rinteln)
1. Oktober 1935
75 Jahre
Hans Bendrath (Nienburg)
8. Oktober 1930
Ilse Hashagen (Jever)
19. Oktober 1930
NIEDERSACHSEN
der schulischen Elementar- und Grundbildung
nicht erreicht.
Was ist zu tun? Kleinere Klassen, bessere
Lehrer, modernerer Unterricht, also: Investitionen! Stattdessen: Leistungsstandards, im
Falschwörterbuch der KMK auch als „Bildungsstandards“ bezeichnet. Ursprünglich sollten
Bildungsstandards förderlichen Zielvereinbarungen für den einzelnen Schüler dienen, jetzt
werden Schülerkompetenz und Schulerfolg mit
Leistungsstandards willkürlich auf Termine und
Inhalte von wenigen Schulfächern festgeschrieben! Yuan Tseh Lee nennt dies „mentales Klonen“, oder: die organisierte Verhinderung von
Neuem in jungen Köpfen.
Dagegen wenden sich vehement profilierte
Vertreter der Entwicklungs- und Bildungspädagogik, nicht aus selbstgefälliger oder hinterwäldlerischer Bildungsbürgerlichkeit oder
aus Abneigung gegen Leistungsanforderungen.
Sie warnen vielmehr vor der Zerstörung moderner erfolgreicher Unterrichtskulturen. Sie warnen vor dem Irrtum, punktuelle Leistungsfeststellung auf Knopfdruck mache einen Sinn. Sie
warnen vor der Beschränkung
auf fachbezogene Lernleistungen und vor der Vernachlässigung des eigentlichen Sinnes nachhaltiger schulischer Lernund Bildungsarbeit: der Förderung von selbstverantwortlichen Arbeits- und Bildungsprozessen. In Bayern und Baden-Württemberg klagen Lehrer, Eltern und Schüler, dass
die Testeritis die Lust und die Luft
zum Lernen und Leisten abdreht.
Schule soll neben der
Vermittlung von fachlichen Kenntnissen und
Fertigkeiten zum Eintritt
in eine Berufsausbildung oder ein
Studium an Hochschulen befähigen, zu selbstverantwortlicher Lebensführung anleiten, zu
Respekt und Toleranz, zu sozialem und politischem Engagement in unserem Gemeinwesen
ermutigen. Genau dies aber entzieht sich einer
Erfolgskontrolle durch Leistungstests! Die Testeritis-Diagnose könnte sich deshalb rasch als
eine System-Krankheit entpuppen.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung
der Frankfurter Rundschau
Hansjürgen Huke (Otterndorf)
19. Oktober 1930
Helga Schwartz (Hildesheim)
19. Oktober 1930
80 Jahre
Karl Heinz Bollmann (Hameln)
7. Oktober 1925
Udo Göken (Bassum)
31. Oktober 1925
Helmut Katzer (Dransfeld)
19. Oktober 1925
Gottfried Kraemer (Langenhagen)
27. Oktober 1925
Otto Petersen (Scharnhorst)
27. Oktober 1925
Ingeborg Peters (Nienhagen)
18. Oktober 1920
Ilse Prilop (Hannover)
13. Oktober 1920
Adolf Thoelke (Sehnde)
23. Oktober 1920
90 Jahre
Heinz Dumke (Verden)
14. Oktober 1915
Lieselotte Veith (Celle)
10. Oktober 1915
92 Jahre
Alfred Blum (Rotenburg)
17. Oktober 1913
93 Jahre
85 Jahre
Karl Goltdammer (Niviges)
16. Oktober 1912
Luise Fabig (Rethem)
1. Oktober 1920
Günter Lube (Salzgitter)
17. Oktober 1920
Oscar Conrad (Hannover)
30. Oktober 1911
94 Jahre