Ivana Novak, Jela Krecic, Mladen Dolar (Hg.): Lubitsch Can`t Wait: A
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Ivana Novak, Jela Krecic, Mladen Dolar (Hg.): Lubitsch Can`t Wait: A
Fotografie und Film 401 Ivana Novak, Jela Krecic, Mladen Dolar (Hg.): Lubitsch Can’t Wait: A Theoretical Examination Ljubljana: Kinoteka 2014, 212 S., ISBN 978-961-6417-84-6, EUR 27,77 Wie die Herausgeber_innen in ihrer Einführung betonen, ist Lubitsch Can’t Wait kein filmhistorisches Werk und auch keine Veröffentlichung von Film theoretiker_innen beziehungsweise Filmhistoriker_innen, sondern eine von Philosoph_innen, Philolog_innen und Sozialwissenschaftler_innen verfasste Meditation, welche einzelne Tonfilme Lubitschs zum Anlass nimmt, um 402 MEDIENwissenschaft 03/2015 Fragen zur Kunst, zur Politik und zur Liebe zu erörtern. Diese zum Teil aus dem ehemaligen Jugoslawien stam menden Wissenschaftler_innen (u.a. Slavoj Žižek) trafen sich zu einem Symposium im Oktober 2012 in der Slowenischen Kinemathek zum Thema „First as Comedy, Then as Farce“. Die daraus resultierenden Beiträge wurden für diesen Band teilweise überarbeitet und erweitert. Die Autor_innen gehen von der Grundthese aus, dass Ernst Lubitsch – im Gegensatz zu Hitchcock, Cha plin und Ford – zu den von der Öffent lichkeit vergessenen Meistern des Kinos gehört, obwohl sein Werk heute genauso modern sei wie in den 1930er und 1940er Jahren. Diese These wird durch die Analyse von vier Schlüsselfil men belegt: Trouble in Paradise (1932), Ninotchka (1939), To Be or Not To Be (1942) und Cluny Brown (1946). Was Lubitsch modern macht, ist, dass er ein Regisseur der Oberfläche und des Scheins ist, das heißt, was nicht gezeigt wird, ist genauso wichtig wie das, was gezeigt wird. So deutet eine geschlossene Tür vor allem auf das, was hinter der Tür passiert. Aaron Schuster zeigt beispielsweise auf, wie die vielen Objekte, welchen Lubitsch seine Auf merksamkeit schenkt, als Metaphern fungieren, um auf das Ungezeigte (hin ter den Türen) hinzuweisen (vgl. S.20). Wie Lubitsch dies handhabt, wird am Beispiel der mit Geld gestopfte Tasche von Mariette in Trouble in Paradise gezeigt, welche sowohl als Diebesgut als auch als Metapher für das weibliche Geschlechtsteil lesbar ist. Die Schau spieler_innen spielen währenddessen ihre Rollen im vollen Bewusstsein, dass es sich lediglich um Schauspiel handelt und sie Rollen verkörpern, und so kommt es zu einer Dopplung, welche jegliche Form von Melodra matik zunichtemacht und gleichzeitig eine politische Deutung der Komö dien ermöglicht. Diese Erzählstrategie wird am deutlichsten in To Be or Not to Be eingesetzt, wo die Hauptdarstel ler_innen tatsächlich Schauspieler ver körpern, die gegen die Nazis um ihr Leben spielen. Russell Grigg behauptet in seinem Essay zu Trouble in Paradise sogar, dass die Schauspielführung Lubitschs die romantische Komödie ins Parodistische umkippt, weil die Liebeserklärungen völlig ohne Emotionen vorgetragen wer den und dadurch ein Bruch zwischen Schauspieler_innen und Rolle entsteht, welche den Naturalismus des Kinos unterwandert. Als Regisseur der Ober fläche interessiert sich Lubitsch wenig für die Psychologie seiner Charaktere. Grigg schreibt: „the technique keeps the actor at a cynical distance, superior in a sense to the passions of love and desire, not entirely moved by them but almost mocking them as foibles of the pathetic human heart that is either una ble to appreciate the absurdity of it all or apt to appreciate the absurdity and play along“ (S.46). In diesem Sinne zeigt auch Robert Pfaller auf, wie Lubitsch in Trouble in Paradise und Design for Living (1933) die Polygamie feiert, diese sogar als ideale Geschlechtsbeziehung stili siert, da sie eine völlige Befreiung aus der bürgerlichen Moral bedeute (vgl. S.66). Diese Einstellung zeigt sich auch in den fröhlichen Seitensprüngen der Fotografie und Film Maria Tura in To Be or Not to Be, welche Mladen Dolar und Elisabeth Bronfen in zwei Essays in den Blick nehmen. Dolar behauptet, der Film gehöre zu den größten Meisterwerken des Kinos überhaupt, weil er gegen Verzweiflung und Tod mit den Waffen der Komö die kämpfe, eine Strategie, die die pol nischen Opfer des Krieges begrüßten, wie es in einer zeitgenössischen Rezen sion hieß, aber zu kommerziellem Miss erfolg führte (vgl. S.116). Lubitschs Komödie kennt Dolar zufolge keine expliziten Ziele – alle sind Ziel der Komödie, Opfer und Täter, Nazis und Juden, Polen und Amerikaner, ergo dürfen die Nazis weder dümmer noch intelligenter als die polnischen Wider standskämpfer sein (vgl. S.119). Eine Schwäche der hier angewendeten werk immanenten Analyse ist, dass Dolar seine Lesart durch den Hinweis auf die Tradition der jüdischen HolocaustKomödie (vgl. Hilsensrath, Edgar: Der Nazi & der Friseur. München: DTV, 2006) hätte verfestigen können. Slavoj Žižek geht es anhand von To Be or Not To Be um Lubitschs Strategie 403 des „Decentering“, wobei der echte und der falsche Nazi zum Opfer der gleichen Witze werden. Wirklichkeit und Schein waren schon Themen Lubitschs als er in Deutschland Die Puppe (1919) drehte, welche Žižek als eine comedy of remarriage deutet, um dann die Einstellung des Regisseurs zur Ehe als konservativ zu charakterisieren: „Law and Order are a semblance, but we should pretend to respect them and meanwhile enjoy our small pleasures and other transgressi ons“ (S.198). Žižek kommt letztend lich zu dem Schluss, dass The Crying Game (1992) und M.Butterfly (1993) als moderne Verkörperungen der LubitschKomödie gelten können. Dieser kurze Band ist eine durchaus lesenswerte Anthologie, bei der auch Lubitsch-Kenner auf neue Ideen stoßen werden. Es ist aber auch ein Werk, welches die umfangreiche Literatur zu Lubitsch im Allgemeinen und den genannten Filmen im Speziellen außer Acht lässt. Jan-Christopher Horak (Pasadena)