Fingerabdruck für Verpackungen - Fraunhofer

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Fingerabdruck für Verpackungen - Fraunhofer
Fingerabdruck für
Verpackungen
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Oberflächenstruktur
entlarvt gefälschte
Produktverpackungen
Sicherheitsrelevante Produkte wie z. B. Medikamente sollten
Verbraucher direkt beim Kauf auf Echtheit prüfen können. Im
Rahmen des Projekts O-PUR (Originäres Produktsicherungsund Rückverfolgungskonzept) wurde eine Lösung konzipiert,
die mit einer speziellen Software eine solche Echtheitsprüfung
per Kamera-Handy erlaubt.
Für viele Hersteller ist der Schutz vor Produktpiraten und
Plagiaten ein notwendiges Übel, denn er kostet Geld.
Fraunhofer IPM und Partner haben ein Konzept entwickelt, mit dem Verpackungen, Originalteile und sogar
Massenartikel anhand ihrer individuellen Oberflächeneigenschaften identifiziert werden – und zwar praktisch
ohne zusätzliche Kosten. Alles was man dazu benötigt,
sind eine Kamera und eine ausgeklügelte Software.
Die Fälschung von Produkten hat sich zu einem riesigen Markt
entwickelt. Längst werden nicht mehr nur Armbanduhren
oder edle Damenhandtaschen kopiert. Auf den Listen der Fäl­
scher stehen heute Kosmetika, Medikamente, Unterhaltungs­
elektronik, ganze Werkzeugmaschinen und sogar Reisebusse.
Wie viele Euro genau die Raubkopierer umsetzen, dazu gibt
es nur Schätzungen. Sicher ist, dass sie jährlich Milliarden ver­
dienen. Die Strategien, mit denen Hersteller sich gegen Plagi­
ate schützen, sind mitunter kostspielig. Das gilt insbesondere
für Massenartikel. Die Industrie verlangt deshalb nach einem
zuverlässigen Fälschungsschutz, der möglichst wenig kostet.
Gemeinsam mit der Fachhochschule Mannheim und Industrie­
partnern entwickelt Fraunhofer IPM ein Verfahren, mit dem
O-PUR |
Oberflächenstruktur entlarvt gefälschte Produktverpackungen
Produktverpackungen in limitierter Auflage gekennzeichnet
und so eindeutig von gefälschten unterscheidbar gemacht
werden. Das im Projekt O-Pur (Originäres Produktsicherungsund Rückverfolgungskonzept) mit Unterstützung des Bundes­
forschungsministeriums entstandene Konzept ist kostengüns­
tig und funktioniert auch bei Massenprodukten. Die wenigen
Arbeitsschritte lassen sich problemlos in übliche Offset-Druck­
verfahren integrieren, bei denen Packungsmotive auf Karton
aufgedruckt, die Verpackungen aus diesem herausgestanzt
und hinterher in einer Maschine gefaltet und befüllt werden.
Die Forscher machen sich zu Nutze, dass Druckfarbe beim Off­
set-Druck je nach Papierstruktur der einzelnen Schachtel indi­
viduell verläuft. Die Idee: Zur individuellen Produktkennzeich­
nung wird ein nur wenige Millimeter kleiner Code – ähnlich
dem bekannten Data Matrix Code, den man heute als Brief­
markenersatz nutzt – aber im Gegensatz zu diesem mit mikro­­
meterfeinen Strukturen auf die Packungen gedruckt. Der Code
hat einen Doppelnutzen: Die Rasterstruktur dient zur Speiche­
rung von Daten wie Produktionsdatum oder Charge; darüber
hinaus lässt sich der Code zur Individualisierung nutzen, in­dem
der charakteristische Druckfarbenverlauf der Rasterstruktur er­­
fasst wird. Als erstes und einziges Produktsicherungsverfahren
nutzt O-Pur das Zusammenspiel von Druck- oder auch Präge­vor­­­
gang mit der individuellen Oberflächenstrukur der Verpackung.
Produktverpackung in limitierter Auflage
Zwar ist die Information im Code auf allen Packungen einer
Charge gleich, doch verläuft die Druckfarbe auf den Papier­
fasern jeder Pappschachtel anders. So entsteht für jede Ein­
zelverpackung ein charakteristischer Fingerabdruck. Erst
beim Füllen der Faltschachtel scannt eine Kamera den aufge­
druckten Code jeder einzelnen Schachtel mit sehr hoher Auf­
lösung ein. Diese Daten werden in einer Datenbank abge­
speichert. So entsteht – auch bei Massenprodukten – eine
limitierte Packungsauflage, bei der die Anzahl der erfassten
Packungen exakt der Produktanzahl entspricht. Überzählige,
nicht weiter verarbeitete Druckbögen können nicht länger
als gefälschte Packung dienen, da für sie kein Code in der
Datenbank hinterlegt ist. Jeder Warenkontrolleur eines Han­
delshauses oder Zollbeamte kann den Code zukünftig mit
einem Handscanner einlesen und innerhalb von Sekunden
die Echtheit prüfen. Per Internet wird der eingescannte Code
mit dem in der Datenbank hinterlegten Fingerabdruck vergli­
chen. Grundsätzlich lässt sich der Sicherheitsdruck statt auf
die Verpackung auch auf Originalteile aufbringen. Individu­
elle Codemerkmale auf Oberflächenstrukturen, etwa eines
Laptops, lassen sich ebenfalls einscannen, die entsprechen­
den Fingerabdrücke in einer Datenbank ablegen. So kann
beispielsweise der Hersteller im Garantiefall überprüfen, ob
das Gerät tatsächlich ein Originalteil ist.
Bildaufnahme im Nanosekunden-Bereich
Für die Fraunhofer-Forscher besteht die Herausforderung vor
allem in der Kameratechnik, die den mikrometerfeinen Code
während der rasend schnellen Fließbandproduktion einscan­
nen muss. Der Code wird mit einer Auflösung von 1.200 dpi
gedruckt, was einer Punktgröße von zirka 20 µm entspricht.
Um keine Informationen zu verlieren, muss die Kamera Struk­
turen von 10 µm auflösen können. Die hohe Geschwindig­
keit, mit der die Schachteln in der Verpackungsanlage trans­
portiert werden, erfordert ein sehr genaues und extrem
schnelles Kamerasystem. Wird der Code mit einer Geschwin­
digkeit von 10 m/s an der Kamera vorbeigeführt, so muss
diese in der Lage sein, das Bild innerhalb von 500 ns aufzu­
nehmen. Nur so lassen sich Verwisch-Effekte vermeiden. Die
Aufnahme- bzw. die Belichtungszeit wird über einen auf dem
Kamerachip integrierten Verschluss gesteuert. Typischerweise
liegt die minimale Öffnungszeit solcher Shutter bei einigen
Mikrosekunden – deutlich zu lang für das Einscannen des
Codes im Packprozess. Um die Belichtungszeit zu begrenzen,
setzen die Fraunhofer-Entwickler auf eine Kombination aus
reduziertem Umgebungslicht und geblitzter Beleuchtung: Der
Kamera-Shutter ist dabei zwar für mehrere Mikrosekunden
geöffnet; durch das geringe Umgebungslicht ist er jedoch
nahezu unempfindlich. Erst der Lichtblitz macht den Chip
empfindlich, begrenzt so gewissermaßen künstlich die Auf­
nahmedauer und erzeugt annähernd ein Standbild. Um mög­
lichst intensive Lichtblitze zu erhalten, wird eine LED-Ring­
leuchte verwendet, die über eine speziell entwickelte
Elektronik für sehr kurze Impulse mit einem mehrere Ampere
hohen Strom beschaltet werden kann.
Hohe Positioniergenauigkeit ist gefragt, um den nur wenige
Millimeter großen Code im Prozess auch wirklich sicher zu er­
fassen. Detektiert das System die vorbei fliegenden Schachteln
nicht präzise, so wird der Code möglicherweise unvollständig
ausgelesen. Die Synchronisation des Kamerasystems mit der
Verarbeitungsmaschine wird über einen Sensor realisiert, der
bei jeder neuen Verpackung ein Triggersignal an die Elektro­
nik sendet. Bei Toleranzen im unteren Millimeterbereich sind
die Anforderungen an die Sensoren hoch, lassen sich aller­
dings durch ein ausreichend großes Bildfenster entschärfen.
Kamera, Optik und Software müssen optimal aufeinander ab­
gestimmt sein, um den Code fehlerfrei einzulesen. Für einen
schnellen Datentransfer zwischen Kamera und Datenspeicher
wird die Information bereits in der Kamera vorverarbeitet.
Oberflächenstruktur entlarvt gefälschte Produktverpackungen
| O-PUR
On-the-box: Die Packung identifiziert sich selbst
Die Frage, die die Wissenschaftler inzwischen bewegt, ist:
Wie kann das Konzept so angepasst werden, dass nicht nur
Zoll oder Handel mit entsprechender technischer Ausstattung,
sondern jedermann mit alltäglichen Geräten wie Mobiltelefon
oder Webcam die Echtheit von Produkten immer und überall
prüfen können? Nur ein solches Plagiatschutzverfahren wäre
auch für preiswerte Konsumartikel wie Zigaretten, Marken­
kleidung oder rezeptfreie Medikamente geeignet. Möchte ein
Tourist auf dem Markt in São Paulo wissen, ob das angebo­
tene Aspirin tatsächlich echt ist, muss er das Produkt unmit­
telbar vor Ort identifizieren können. Eine Verbindung zu einer
Produktdatenbank herzustellen, erweist sich hier als Hürde.
Fraunhofer IPM und Forschungspartner entwickeln und ver­
einfachen daher das datenbankbasierte O-Pur-Konzept wei­
ter. Denkbar ist es, den Datenabgleich direkt auf der Verpa­
ckung – also sozusagen „on-the-box“ – durchzuführen. Und
das funktioniert so: Das Kamerasystem erfasst während des
Verpackungsvorgangs stets die gleiche Stelle einer Papp­
schachtel. Als Identifikationsmerkmal dienen hier ein Teil des
Schriftzugs, das Firmenlogo oder einfach eine charakteristi­
sche Ecke der Schachtel. Auch in diesem Fall werden indivi­
duelle Verlaufsspuren der Druckfarbe, die sich aufgrund
unterschiedlicher Mikrostrukturen des Papiers ausbilden, beim
Einscannen erkannt. Der Fingerabdruck wird anschließend in
einen einfachen Zahlencode übersetzt und verschlüsselt.
Diese Information wird in Form eines 2-D-Barcodes unmittel­
bar neben den zugehörigen Fingerabdruck auf die Packung
gedruckt – zusammen mit dem Haltbarkeitsdatum etwa, das
üblicherweise ebenfalls erst nach dem Packungsdruck hin­
zugefügt wird. So lassen sich zusätzliche Arbeitsschritte
vermeiden.
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Mobiltelefon als Hilfssheriff
Das Bundesforschungsministerium unterstützt die Entwicklung
unterschiedlicher Sicherheitsmerkmale (www.conimit.de). Das im
Projekt O-PUR entstandene Konzept für ein Sicherheitsmerkmal
ist kostengünstig und funktioniert auch bei Massenprodukten.
Es basiert darauf, dass Druckfarbe beim Offset-Druck je nach
Papierstruktur der einzelnen Schachtel individuell verläuft.
Die Verifikation beim Kunden funktioniert so: Der Käufer liest
den sichtbaren 2-D-Barcode beispielsweise mit seiner Handy­
kamera ein. Automatisch werden dabei der Code und der
zugehörige Fingerabdruck gleichzeitig erfasst. Auf das Handy
hat der Nutzer zuvor einmalig eine frei zugängliche Verifikati­
onssoftware geladen, die den Code lesen und in den Finger­
abdruck rückübersetzen kann. Die Software kann damit in
wenigen Sekunden den direkten Abgleich zwischen der ein­
gescannten Verlaufsstruktur der Tinte auf der Packung und
dem im 2-D-Barcode auf derselben Packung gespeicherten
Abbild durchführen. Nur wenn beide übereinstimmen, ist die
Packung echt. So verifiziert die Packung ihre Echtheit quasi
selbst. Diese Art der Datenbank-unabhängigen Echtheits­
O-PUR |
Oberflächenstruktur entlarvt gefälschte Produktverpackungen
kontrolle verursacht keine zusätzlichen laufenden Kosten. Der
Hersteller investiert einmalig in die Kameratechnik.
Fälschen lohnt sich nicht
Im Team gegen die Produktpiraterie: Abteilungsleiter Dominik
Giel (1. v. l.), Projektleiter Norbert Saum, Daniel Steiger, And­
reas Hofmann (hinten v.l.n.r.), Simon Frey und Ulrich Ulmer
(vorne v.l.n.r.) sorgen dafür, dass gefälschte Produkte einfach
identifiziert werden können.
Kontakt:
Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM
Neue Technologien und Patente
Andreas Hofmann
Telefon +49 761 8857-136
[email protected]
www.ipm.fraunhofer.de
www.opur-secure.de
Fotos: © Fotolia © Christian Lampe (1); Fraunhofer IPM (2)
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Für potenzielle Fälscher stellt das Verfahren gleich zwei Hür­
den auf: Die Mikrostruktur des Papiers ist von Schachtel zu
Schachtel unterschiedlich und in keiner Weise vorhersehbar.
Eine gefälschte, nachgedruckte Packung könnte man jedoch
sofort identifizieren, da die Verlaufsstruktur der Druckfarbe
nicht der codierten Information entspricht. Fälscher müssten
über eine ausgefeilte Kameratechnik verfügen, die die Fein­
struktur des Papiers im Druckprozess auslesen kann, und
dazu die entsprechende proprietäre Encodiersoftware kna­
cken. Je mehr Produkte mit einem solchen „on-the-box“Code gekennzeichnet werden, desto höher ist natürlich die
statistische Wahrscheinlichkeit, dass zwei Produkte einmal
denselben Code aufweisen – vor allem deshalb, weil die
Merkmalsstrukturen nur anhand weniger Messpunkte erfasst
werden. Selbst wenn aufgrund der begrenzten Anzahl erfass­
ter Merkmalspunkte einige Zwillingscodes dabei sind, so
müsste ein Fälscher doch, um einen Zwilling gezielt herzustel­
len, unverhältnismäßig viel Ausschuss erzeugen. So bietet das
Verfahren zwar keine echte Identifizierung – wie etwa das
O-Pur-Konzept –, aber eine zuverlässige Authentifizierung
für den Endverbraucher. Damit ist es möglich, offene interna­
tionale Schutzstandards zu schaffen, die es dem Kunden –
unabhängig vom Hersteller – erlauben, Waren zu überprüfen.
Der Verbraucher kann somit den Produktpiraten eigenhändig
den Wind aus den Segeln nehmen.