Sehr geehrte Frau Gödecke, sehr geehrte Frau

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Sehr geehrte Frau Gödecke, sehr geehrte Frau
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Sprecherteam des
Kinder- und Jugendrats NRW:
Sibel Haxhnikaj
Jean-Pierre Hecht
Chantal Schalla
Lucas Thieme
Marcel Winkel
STELLUNGNAHME
16/2562
A04, A01
Münster, 29.01.2015
Stellungnahme des Kinder- und Jugendrats NRW zum Antrag der Fraktion der
SPD und der Fraktion Bündnis90/DIE GRÜNEN, Drucksache 16/7146:
„Kinderschutz geht alle an – Prävention stärken, Zusammenarbeit von Jugendund Gesundheitshilfe ausbauen“
Sehr geehrte Frau Gödecke, sehr geehrte Frau Voßeler, sehr geehrte Abgeordnete,
als Kinder- und Jugendrat NRW bedanken wir uns für die Möglichkeit zur Stellungnahme zum o.g. Antrag „Kinderschutz geht alle an“. Als Zusammenschluss von Kinder- und Jugendgremien in Nordrhein-Westfalen ist es uns wichtig, dass Kinder und
Jugendliche vor Missbrauch und Vernachlässigung geschützt sind. Denn alle Rechte,
die Kindern gegeben werden, verpflichten Dritte, sie zu verwirklichen.
Niemand steht dem eigenen Kind näher als die Eltern. Die überwiegende Mehrheit
der Eltern handelt im Wohlergehen und zum Schutz ihrer Kinder. Doch wenn Eltern
dieser Aufgabe nicht ausreichend nachkommen, führt dies zu nachhaltigen Beeinträchtigungen im Leben des betroffenen Kindes oder Jugendlichen. Deshalb müssen
auch Eltern in ihrer Erziehungskompetenz unterstützt werden, um Kindesmissbrauch
und Kindeswohlgefährdung durch Überforderung zu verhindern. Gleichzeitig gilt es,
Kinder und Jugendliche nicht nur im familiären Bereich, sondern auch in Kinder- und
Kinder- und Jugendrat NRW
c/o Landesjugendamt Westfalen
Servicestelle für Kinder- und Jugendbeteiligung in NRW
Warendorfer Str. 25 • 48133 Münster
Telefon: 0251 591-5378 • Telefax: 0251 591-6822
E-Mail: [email protected]
www.kijurat-nrw.de
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Jugendeinrichtungen vor Übergriffen zu schützen.
Dieser Schutzauftrag beinhaltet für die Kinder- und Jugendhilfe eine doppelte Aufgabenstellung:
Erstens Unterstützung und Stärkung der Erziehungsverantwortung etwa durch Beratung und Hilfen zur Erziehung und der Intervention (ggf. Inobhutnahme) im Krisenfall. Auf der Ebene von Land und Kommunen gibt es zahlreiche Helfer, die Familien
unter die Arme greifen, wenn Probleme auftauchen, doch sind Fehlentscheidungen
und Schwachstellen in Organisationsstrukturen im Bereich des Kinderschutzes besonders tragisch und müssen durch weitere Reformen auf ein Minimum reduziert
werden.
Und zweitens die Sicherung von Kinderrechten durch Beteiligungsstrukturen in Kinder- und Jugendeinrichtungen und die Schaffung von Beschwerdemöglichkeiten.
Daraus ergeben sich die Notwendigkeit und die Wichtigkeit eines effektiven Kinderschutzes.
Wir unterstützen als Kinder- und Jugendrat NRW den geplanten weiteren Ausbau
und die Weiterentwicklung der schon bestehenden Maßnahmen in NRW. Ein
Schwerpunkt des Antrags ist die Zusammenarbeit zwischen Jugend- und Gesundheitshilfe. Beim Regelungsbereich ist uns wichtig zu betonen, dass alle Kinder und
Jugendlichen - auch die, die ohne oder mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus in
Deutschland leben – vor Missbrauch und Vernachlässigung geschützt sind und dass
sie und ihre Familien Zugang zu den Hilfesystemen haben.
Bei der geplanten Weiterentwicklung der gesetzlichen Grundlagen in NRW sollten
unseres Erachtens folgende Punkte explizit beachtet werden:
1.)
Neben der Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern müssen
auch die Zugänge für Kinder und Jugendliche zum Hilfesystem verbessert und weiterentwickelt werden.
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2.)
Kinderärzte sind wichtige Partner beim Kinderschutz.
Zu 1.) Zugang zu Hilfeleistungen für Kinder und Jugendliche verbessern - Imageprobleme beheben
Wir finden es richtig, dass der Kinderschutz mittlerweile einen so großen Stellenwert
hat und es so vielfältige Angebote gibt, die von den Familien angenommen werden.
Aus unserem Umfeld wissen wir, dass vielen Kindern und Jugendlichen klar ist, dass
sie sich bei Problemen oder Notsituationen an das Jugendamt oder eine andere Beratungsstelle wenden können. Auch ihre Familien und Eltern wissen um die Möglichkeiten der Hilfeleistung durch das Jugendamt. Aber das Image der „Eingriffsbehörden“ ist in der Öffentlichkeit immer noch weit verbreitet: Kinder wie auch Eltern
fürchten oft um die Konsequenzen, wenn sie dem Jugendamt gegenüber einräumen,
dass sie Probleme haben. Deshalb ist es aus unserer Sicht wichtig, dass sich das
Image des Jugendamtes und des Kinderschutzes allgemein wandelt.
Zum Schutz der Kinder braucht es in erster Linie Menschen:
Damit gerade kleine Kinder im Fall von Missbrauch oder Vernachlässigung geschützt
werden, ist es aus unserer Sicht notwendig, dass die Einrichtungen der Kinder- und
Jugendhilfe genug Personal besitzen, um die Familien und Kinder in ihren Kommunen zu unterstützen. Damit Prävention und Beratung nicht zu kurz kommen, sollten
die Fallzahlen je Mitarbeiter im Jugendamt so gewählt sein, dass eine schnelle und
intensive Hilfe möglich ist.
Verschiedene Zugänge für Kinder und Jugendliche bereithalten:
Sinnvoll ist es aus unserer Sicht, verschiedene Formen anzubieten, damit die betroffenen Kinder und Jugendlichen sich in Notsituationen auch selbst Beratung oder
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Hilfe holen können. Viele vertrauen sich am ehesten den Menschen an, denen sie
selbst vertrauen und bei denen sie keine Angst haben, „verraten“ zu werden. Dazu
gehören zum Beispiel Familienmitglieder, Nachbarn, Lehrer, Schulpsychologen und
Pädagogen in Kinder- und Jugendeinrichtungen. Deshalb erscheint es unserer Meinung nach unerlässlich, dass diese Personengruppen in die Zusammenarbeit vor Ort
einbezogen werden und Berufsgeheimnisträger bei Verdachtsfällen gemäß § 4 KKG
Informationen austauschen können.
Vor Ort sollte es aus unserer Sicht eine Anlaufstelle geben, zu der Kinder und Jugendliche einfach hingehen können. Sinnvoll sind auch anonyme Zugänge über E-Mail,
Chat oder Telefon. Gut wäre es, wenn Angebote wie die Kinder- und Jugendnotdienste oder Websites wie zum Beispiel www.gewalt-ist-nie-ok.de in den Städten
und Gemeinden sichtbarer wären und dort beworben würden, wo Kinder und Jugendliche sich aufhalten.
2.) Kinderärzte sind wichtige Partner beim Kinderschutz
Kinderärzte können wichtige Hinweise zum Ausmaß einer möglichen Kinderwohlgefährdung geben, da sie manchmal die Einzigen sind, die solche Verdachtsmomente
erkennen. Sie sollten Rechtssicherheit haben, wenn sie Informationen weitergeben.
Der inter- und intrakollegiale Austausch trägt zur Aufklärung des Verdachtsfalles bei.
So können mehrere Ärzte, die denselben Patienten behandeln, sich über diesen Fall
austauschen, um Erfahrungen zu teilen und eventuell ihren Verdacht zu bestätigen.
Gleichzeitig ist die ärztliche Schweigepflicht aus unserem Blickwinkel eine wichtige
Grundlage für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und stellt oft sicher, dass die Kinder die medizinische Behandlung bekommen, die sie brauchen.
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Die Risiken, die eine Lockerung der Schweigepflicht für den Schutz der Kinder mit
sich bringt, sind für uns schwer abzuwägen.
Hilfreich wäre es aus unserer Sicht, die bisherigen Erfahrungen aus den Netzwerken
in diesen Fragen noch weiter auszuwerten, um nicht vorschnell eine Regelung zu
beschließen, die langfristig den Kindern auch schaden kann. Folgenden Fragen sind
uns dabei wichtig:
•
Ist der befürchtete Rückgang der Arzt-Besuche oder ein „Ärzte-Hopping“ erkennbar bzw.
•
Haben die Informationen und der Austausch über Verdachtsmomente wesentlich zur Klärung der Sachlage und zum Schutz des Kindes beigetragen?
Im Sinne eines effektiven Kinderschutzes setzen wir uns für ein gut vernetztes, multiprofessionelles Hilfesystem ein, das für Eltern und auch Kinder und Jugendliche
einfach zugänglich ist.
Mit freundlichen Grüßen
Chantal Schalla * Lucas Thieme * Marcel Winkel * Jean-Pierre Hecht * Sibel Haxhnikaj
für den Kinder- und Jugendrat NRW
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