1964-Von den Zauberpflanzen

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1964-Von den Zauberpflanzen
Untervazer Burgenverein Untervaz
Texte zur Dorfgeschichte
von Untervaz
1964
Von den Zauberpflanzen
Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter
http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter
http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
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1964
Von den Zauberpflanzen
Heinrich Marzell
Marzell Heinrich: Zauberpflanzen - Hexentränke. Brauchtum und Aberglaube.
Kosmos Gesellschaft der Naturfreunde. Stuttgart 1964. Seite 07-44.
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ZAUBERPFLANZEN IN DER ANTIKE
S. 07:
Die berühmteste Zauberpflanze des klassischen Altertums ist das Kraut Moly.
HOMER (Odyssee X, 280ff.) erzählt, wie der göttliche Dulder Odysseus
auszieht, um seine Gefährten zu retten, die von der Zauberin Circe in Schweine
verwandelt wurden. Auf dem Wege zum Palast der Circe begegnet ihm der
Gott Hermes, nimmt ihn freundlich an der Hand, warnt ihn vor den
Zauberkünsten der Circe und gibt ihm ein Mittel, diese unwirksam zu machen:
"All' auch will ich dir nennen die furchtbaren Ränke der Circe.
Weinmus menget sie dir und mischt in die Speise den Zauber.
Gleichwohl nicht vermag sie dich einzunehmen, die Tugend
Dieses heilsamen Krautes verwehrt's …..
Also sprach und reichte das heilsame Kraut Hermeias,
Das er dem Boden entriss und zeigte mir seine Natur an:
Schwarz war die Wurzel zu schaun, und milchweiss blühte die Blume.
Moly wird's von den Göttern genannt. Schwer aber zu graben
Ist es sterblichen Menschen, doch alles ja können die Götter."
Was war das für ein Kraut, dieses zauberkräftige Moly? Mit der mehr als
kargen Beschreibung "Wurzel schwarz, Blüten weiss" kann auch der
kenntnisreichste Botaniker nichts anfangen. Schon im Altertum war man sich
darüber nicht klar. So schreibt THEOPHRAST (372-287 v. Chr.) , ein Schüler
des ARISTOTELES, in seiner berühmten "Naturgeschichte der Gewächse"
(IX, 15,7): "Das Moly wächst in der Gegend von Pheneus und im KylleneGebirg [beides in Arkadien gelegen]. Es soll dem gleich sein, von dem Homer
spricht. Die Wurzel ist rund und zwiebelartig, die Blätter sind denen der
Meerzwiebel ähnlich. Man benutzt es zu giftwidrigen Mitteln und zu
Zaubereien. Indessen ist es schwer auszugraben, wie schon Homer sagt." Auch
der römische Schriftsteller und Vielschreiber PLINIUS (gest. 79 n. Chr.)
beschäftigt sich in seiner "Naturgeschichte" (Nat. hist. XXV, 26) mit dem
geheimnisvollen Kraut. Zunächst wiederholt er, was schon bei THEOPHRAST
steht. Dann aber fährt er fort: " Von kräuterkundigen Ärzten erfuhr im, dass das
Kraut Moly auch in Italien wachse, es wurde mir aus
S. 08:
Kampanien gebracht, wo man es mit vieler Mühe aus felsigem Gestein
ausgegraben hatte, die Wurzel war 30 Fuss lang und nicht einmal ganz,
sondern abgerissen." Die von PLINIUS angegebene Länge von 30 Fuss (etwa
10 Meter) ist natürlich eine masslose Übertreibung. In den Kräuterbüchern des
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17. und 18. Jahrhunderts, die sich ja sehr viel auf die antiken Ärzte und
Botaniker stützen, taucht das Moly ebenfalls auf, ja, es wird sogar abgebildet,
obwohl es kein menschliches Auge je gesehen hat. Man nahm an, es handle
sich um eine Lauch-Art. Der "Fürst der Botaniker", der Schwede CAROLUS
LINNAEUS, benennt im Jahre 1753 eine Lauch-Art Allium moly. Aber diese
bei uns manchmal in Gärten gezogene Art hat goldgelbe Blüten, kann also
nicht das homerische Moly sein, das ja milchweiss blühend geschildert wird.
Eine andere Art hat LINNE als Allium magicum, d. h. Zauber-Lauch
bezeichnet. Diese in Südeuropa und im Orient vor. kommende Art hat weisse
Blüten, käme also schon eher als das Moly in Betracht. Aber auch ganz andere
Pflanzen wollten in neuester Zeit Botaniker in dem geheimnisvollen Moly
sehen, so die Schwarze Nieswurz oder Christwurz (Helleborus niger) oder das
im Mittelmeergebiet bis nach Ostindien vorkommende Nachtschattengewächs
Withania somnifera, das ein narkotisch wirkendes Alkaloid enthält. Aber sehr
wahrscheinlich sind alle diese Deutungen hinfällig und der Orientalist
ANGELO DE GUBERNATIS hat recht, wenn er das Moly eine mythologische
Erfindung ("fiction mythologique") nennt. Darauf weist ja schon die
Bemerkung bei HOMER hin, dass der Name Moly aus der Sprache der Götter
stamme.
Noch ein anderes pflanzliches Zaubermittel begegnet uns bei HOMER. Es ist
das (pharmakon) nepenthes (Odyssee IV, 219 H.). Der Name bedeutet "ohne
Leid". Helena gab es dem Telemachos und dessen Gefährten in Wein, damit
sie alles Leid vergessen sollten:
"Aber ein andres ersann nun Helena, Tochter Kronions.
Schnell in den Wein warf jene, wovon sie tranken, ein Mittel,
Kummer zu tilgen und Groll und jeglicher Leiden Gedächtnis.
Kostet einer davon, nachdem in dem Krug es gemischt war,
Nicht an dem ganzen Tag benetzt ihm die Träne das Antlitz,
Nicht ob selbst gestorben ihm wäre auch Mutter und Vater."
Helena hatte dieses Vergessen machende Mittel von der Ägypterin Polydama
erhalten. Vielleicht handelt es sich hier um ein Rauschgift wie
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Haschisch oder um ein Mohnpräparat. Natürlich kann die von LINNE (1737)
Nepenthes genannte Pflanzengattung nichts mit dem antiken nepenthes zu tun
haben, denn jene ist die sog. Kannenpflanze, deren Blattspreiten zu Schläuchen
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für den Fang von Insekten umgebildet sind. Es ist eine Tropenpflanze, die den
Griechen zur Zeit HOMERS sicher unbekannt war.
Die "klassische" Giftmischerin und Zauberin der griechischen Sage ist Medea,
die kolchische Königstochter und Gemahlin Jasons, von dem sie später
verstossen wurde. Aus ihrem Vaterlande Kolchis (am Schwarzen Meer) hatte
sie die Kenntnis der zauberkräftigen Kräuter mitgebracht. Sie zerstückelte
Aison, den alten Vater Jasons, kochte die Glieder zusammen mit
Zauberkräutern in einem Kessel und verjüngte ihn so. Mit Zauberkräutern
schläferte Medea den Drachen ein, der das Goldene Vlies bewachte. Eines der
Zauberkräuter der Medea soll das Ephemeron ("Eintagsblume") gewesen sein,
das schon in der Antike Kolchikon (das kolchische Kraut) genannt wurde.
LINNE übernahm diese Bezeichnung und übertrug sie auf die Gattung der
Herbstzeitlose (Colchicum).
In einem seiner "Hirtenlieder" (Ecloga) spricht auch der römische Dichter
VERGIL von einem am Pontus, also in der Nachbarschaft des Landes Kolchis,
wachsenden Kraut. Mit ihm konnte sich der zauberkundige Hirte Moeris in
einen Wolf verwandeln und die Seelen aus den Gräbern locken:
"Dieses Kraut hier, dies Gift, vormals in Kolchis gesammelt
Moeris mir selbst übergab, es wächst am Pontus in Menge.
Mit ihm - oft ich es sah - zum Wolf sich wandelte Moeris
Und verbarg sich im Wald, mit ihm er lockte die Seelen
Aus dem Grab, mit ihm er Saaten gar konnte versetzen."
S. 10:
DREI BERÜHMTE ZAUBERPFLANZEN
Alraun (Mandragora)
Es gibt wohl kein Zauberkraut, zum mindesten nicht im europäischorientalischen Kulturkreis, das sich im Aberglauben früherer Zeiten eines
solchen Ansehens erfreute wie die Alraunpflanze, die Mandragora. Eine ganze
Flut von grösseren und kleineren Schriften ist der Mandragora gewidmet,
Artikel in populären Zeitschriften und in Fachblättern sind darüber erschienen
und erscheinen immer noch. Meist sind sie recht wenig originell und bringen
längst Bekanntes. Nur selten machen sich die Autoren die Mühe, auf die
Quellen zurückzugehen, sofern sie ihnen überhaupt bekannt sind. Wir wollen
daher den Ursprüngen des Alraunglaubens nachgehen.
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Was sagt der Botaniker? Die Gattung Mandragora gehört zu den
Nachtschattengewächsen. Sie ist im Mittelmeergebiet beheimatet. Wie viele
andere Nachtschattengewächse (z. B. Tollkirsche, Bilsenkraut, Stechapfel)
enthält sie Alkaloide (Hyoscin, Atropin, Skopolamin) die Aufregungszustände,
Unruhe, Tobsucht usw. verursachen. Die Mandragora officinarum besitzt
weisslichgelbe Blüten, kugelige Beeren und eine fleischige Wurzel, die oft
gespalten ist und so eine gewisse Ähnlichkeit mit zwei menschlichen Beinen
hat.
In der Bibel (Genesis 30, 14 H.) kommt eine Pflanze "dudaim" vor (Luther
übersetzt das hebräische Wort mit "Liebesäpfel"). Ruben fand sie auf dem Feld
und brachte sie seiner Mutter Lea. Es sollte ein Fruchtbarkeitsmittel
(Aphrodisiakum) sein. Ob dieses biblische dudaim wirklich die Mandragora
ist, wie manchmal behauptet wird, ist völlig ungewiss. Den alten Ägyptern
muss die Mandragora bekannt gewesen sein. Auf dem Fragment einer
Grabwand der XVIII. Dynastie (1550 -1350 v. Chr.) fand man eine bildliche
Darstellung der Mandragorapflanze. Ob sie irgendwie in Zauberriten eine Rolle
spielte, wissen wir nicht.
In der griechischen Antike begegnen wir der Mandragora als Zauberpflanze
zuerst in der "Naturgeschichte der Gewächse" (IX, 8, 8) des THEOPHRAST
(gest. 287 v. Chr.). Er berichtet: "Den Mandragoras soll man dreimal
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mit einem Schwert umschreiben und ihn graben, indem man das Antlitz gegen
Abend (Westen) wendet. Ein anderer aber soll [dabei] im Kreise umhertanzen
und viel vom Liebeswerk ["peri aphrodisìön" heisst es im griechischen Text]
sprechen." Die letzte Bemerkung weist darauf hin, dass die Pflanze als
Aphrodisiakum dienen sollte, was eine gewisse Parallele mit dem dudaim der
Bibel gibt. THEOPHRAST ist aber immerhin so aufgeklärt, dass er den ganzen
Hokuspokus beim Ausgraben der Pflanze für einen Schwindel der Rhizotomen
(Wurzelgräber) hält.
Etwa 300 Jahre vergehen, bis der Alraunzauber wieder im Schrifttum
auftaucht, aber nicht unter dem Namen der Mandragora. Vielmehr ist jetzt von
einer Pflanze "Baara" die Rede. Der Geschichtsschreiber FLAVIUS
JOSEPHUS (37-93 n. Chr.) berichtet in seiner "Geschichte des jüdischen
Krieges" (VII, 6, 3): "Das Tal, welches die Stadt Machärus (in Palästina,
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S. 12:
östl. des Toten Meeres) auf der Nordseite einschliesst, heisst Baara und erzeugt
eine wunderbare Wurzel gleichen Namens. Sie ist flammend rot und wirft des
Abends rote Strahlen aus, sie auszureissen ist sehr schwer, denn dem Nahenden
entzieht sie sich und hält nur dann still, wenn man Harn und Blutfluss darauf
giesst. Auch dann ist bei jeder Berührung der Tod gewiss, es trage denn einer
die ganze Wurzel in der Hand davon. Doch bekommt man sie auf andere
Weise, und zwar so. Man umgräbt sie rings so, dass nur noch ein kleiner Rest
der Wurzel unsichtbar ist. Dann bindet man einen Hund daran und wenn dieser
dem Anbinder schnell folgen will, so reisst er die Wurzel aus, stirbt aber auf
der Stelle als ein stellvertretendes Opfer dessen, der die Pflanze nehmen will.
Hat man sie einmal, so ist keine Gefahr mehr. Man gibt sich aber so viel Mühe
um sie wegen folgender Eigenschaften: Die Dämonen, d.h. böse Geister
schlechter Menschen, welche in die Lebenden hineinfahren und sie töten, wenn
nicht schnell Hilfe gebracht wird, werden von dieser Pflanze ausgetrieben,
sobald man sie dem Kranken auch nur nahebringt. "
Einige Jahrzehnte später erscheint die gleiche Fabel, aber in etwas veränderter
Form und ausführlicher in der griechisch geschriebenen "Tiergeschichte"
(XIV,27) des CLAUDIUS AELIANUS. Aber jetzt heisst das Zauberkraut
kynospastos ("die vom Hund Herausgezogene") oder aglaophotis ("die
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glänzend Leuchtende"): "Es gibt eine Pflanze kynospastos. Sie wird auch
aglaophotis genannt. Am Tage verbirgt sie sich unter den anderen (Pflanzen)
und fällt durchaus nicht in die Augen. Zur Nachtzeit aber zeichnet sie sich aus
und strahlt wie ein Stern, denn sie ist leuchtend gleich dem Feuer. Die Leute
stecken deshalb ein Zeichen an der Wurzel ein und entfernen sich, denn wenn
sie dies zu tun versäumen, können sie sich am Tage weder der Farbe erinnern
noch der Gestalt. Wenn aber die Nacht vorüber ist und sie das zurückgelassene
Zeichen sehen und erkennen, so können sie daraus abnehmen, dass es eben das
ist, dessen sie bedürfen, da es ausserdem den daneben stehenden Pflanzen
gleich ist und sich nicht im geringsten von ihnen unterscheidet. Doch werden
sie dieses Gewächs nicht selbst ausziehen, denn das würde ihnen durchaus
nicht wohl bekommen. Daher umgräbt es niemand und zieht es heraus, denn
wie man sagt, ist der, welcher es aus Unkenntnis seiner Natur berührt hat, nicht
lange darauf gestorben. Man führt also einen jungen und kräftigen Hund, der
einige Tage kein Futter bekommen und heftigen Hunger hat, hinzu, bindet
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ihn an einen starken Strick in so weiter Entfernung als möglich und legt im
unteren Stamm der aglaophotis eine schwer zu lösende Schlinge, setzt dann
dem Hunde eine reichliche Mahlzeit gebratenen Fleisches vor, dampfend vor
Wohlgeruch. Der Hund vom Hunger gequält und von dem guten Geruch zu
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dem vorliegenden Fleisch gewaltsam fortgezogen, zieht die Pflanze samt der
Wurzel aus. Wenn aber die Sonne die Wurzel erblickt, so stirbt der Hund
augenblicklich. Man begräbt ihn an derselben Stelle und erst nach Verrichtung
einiger geheimnisvoller Gebräuche, indem sie den Leichnam des Hundes
ehren, weil er für sie gestorben ist, wagen sie das Gewächs zu berühren und
tragen es nach Hause. Sie brauchen es, sagt man, zu vielen und nützlichen
Dingen, und unter diesen soll es die an der Fallsucht Leidenden heilen sowie
auch die Krankheit der Augen, wenn diesen durch Ergiessung der Feuchtigkeit
die Sehkraft entzogen wird."
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Von jetzt an begegnet uns die Geschichte vom Alraungraben mit Hilfe des
Hundes immer wieder. In mittelalterlichen medizinischen Handschriften finden
sich nicht selten bildliche Darstellungen dieses Vorganges. Sogar in
GOBTHES "Faust" (2. Teil V. 4977ff.) hat diese Art des Alraungrabens ihren
Niederschlag gefunden. Da spricht Mephisto, der einen Vorschlag macht, um
den Finanzen des kaiserlichen Hofes aufzuhelfen und dabei auf die
Verständnislosigkeit der Menge stösst:
"Da stehen sie umher und staunen,
Vertrauen nicht dem hohen Fund,
Der eine faselt von Alraunen,
Der andre von dem schwarzen Hund."
Im deutschen Volksglauben taucht dann später die Sage auf, der Alraun wachse
unter dem Galgen aus dem Harn eines gehängten Diebes, daher hiess man ihn
das "Galgenmännlein". Beim Ausgraben schreit der Alraun so entsetzlich, dass
der Ausgräber, an dessen Ohr dieser Schrei dringt, sterben muss. Um den
Alraun zu bekommen, muss man an einem Freitag vor Sonnenaufgang,
nachdem man die Ohren mit Baumwolle, Pech oder Wachs verstopft hat, mit
einem schwarzen Hund hinausgehen, drei Kreuze über den Alraun machen und
den Hund mit dem Schwanz an die Wurzel des Alrauns binden. Dann hält man
dem Hund ein Stück Fleisch vor und läuft eiligst davon. Der Hund, gierig nach
dem Bissen, schnappt danach und zieht so die Wurzel heraus, fällt aber auf den
Schrei des Alrauns hin tot zu Boden. Der Alchimist und Astrologe
LEONHARD THURNEYSSER reimt in seinen "Archidoxa" (1575):
"Der grabt Alrauna undrem Gricht,
Loufft weck, das ers hört schreien nicht."
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Mit dem "Gricht" ist das Hochgericht (Richtstätte), der Galgen, gemeint. Noch
im Jahre 1820 erzählte man sich, ein Mann habe mit Hilfe eines schwarzen
Hundes unter dem Hochgericht auf dem Leineberg bei Göttingen ein
"Alruneken" gegraben. Der Alraun sollte seinem Besitzer Glück und Reichtum
verschaffen. Eine Wiener volkstümliche Redensart sagt von einem, der immer
Glück im Spiel hat: "Der muss ein Oraunel im Sack (d. h. in der Tasche)
haben." Dann galt der Alraun auch als ein unfehl. bares Mittel, um die Liebe
des anderen Geschlechtes zu gewinnen, und
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selbst heute noch dient in Kleinasien die Mandragorawurzel als ein sicheres
Aphrodisiakum, wie schon vor mehr als 2000 Jahren im Bericht des
THEOPHRAST.
Im Mittelalter genoss der etwa im 4. nachchristlichen Jahrhundert entstandene
Herbarius (Kräuterbuch) des PSEUDO-APULEJUS wegen seiner
Heilkräuterrezepte hohes Ansehen bei den Ärzten. Dieser Herbarius wurde
immer wieder abgeschrieben und viele dieser mittelalterlichen Abschriften
haben sich erhalten. In keiner Handschrift fehlt die Mandragora, dargestellt als
ein Zwischending zwischen Mensch und Pflanze. Immer ist dabei der Hund
abgebildet, der ja in der Fabel vom Alraungraben eine so grosse Rolle spielt.
Auch die verschiedenen Ausgaben des "Gart der Gesundheit" (Hortus
Sanitatis), wie sie als erste gedruckte Kräuterbücher im letzten Viertel des 15.
Jahrhunderts erschienen, bringen Alraunbilder, jedoch fehlt hier der Hund der
Pseudo-Apulejus-Handschriften. Diese alten Druckwerke, deren Holzschnitte
oft noch recht roh und unbeholfen sind, unterscheiden einen Alraun-Mann und
eine Alraun-Frau, bemerken aber, dass die beiden in ihrer medizinischen
Wirkung gleich sind.
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Die echten orientalischen Alraunfiguren waren aus der Wurzel der Mandragora
geschnitzt, sie kamen durch Reisende nach Deutschland. Man kann sich
denken, dass solche echten Alraune bei ihrer Kostbarkeit oft gefälscht wurden.
Besonders dienten für diese Fälschungen die Wurzel der bei uns
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heimischen Zaunrüben (Bryonia dioica und B. alba). Bereits vor mehr als 400
Jahren entrüstet sich der Arzt und Botaniker HIERONYMUS BOCK in seinem
"Kreuterbuch" (Strassburg 1551) über diese Betrügereien: "Was die
Landstreicher und Thiriak. und Wurmkremer von Alraun und Mandragora /
wie die schwerlich zu bekommen / und under dem Galgen mit sorglicher Mühe
müss ausgegraben werden / schwetzen und liegen [lügen] / hat man zwar vor
langest auff den Märckten und Dorffkirchweihen von solchen Leuten gehört.
Darneben auch gesehen wie sie geschnitzte Menlin [Männlein] und Weiblin
feil hatten / welche Bildtnussen aus der Wurtzel Brionia geschnitten werden /
und so dieselbigen Bildtnuss in einem heissen Sandt ein zeitlang verwart
werden / verwelcken sie / überkommen also durch Kunst ein ander Gestalt /
gleichsam sie also von Natur gewachsen
Der Asphodelus (Affodill) in der Wiedergabe eines fast zwei Jahrtausende
alten Kräuterbuches (Dioskurides, 1. Jh. n. Chr.) , aus dem um 512 in
Konstantinopel geschriebenen Juliana-Anicia-Codex
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Aus der gleichen alten Handschrift: die Achillea (Garbe)
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weren / darmit werden die einfeltigen Menschen überredet / kaufen also
gedörrte Brionia für Mandragora / und wiewohl gleicher Betriegerei die Welt
voll / ist doch niemands, der solchs zu wenden gedenckt / sonder vielmehr /
wer solche Kunst betriegen und übereilen kann / in der Welt berümpt / den
schreibt man als ein weltklugen dapfferen Menschen oben an usw. Doch so
sollen die armen einfeltigen Menschen wissen das vorgemeldte Biltnuss oder
Alraun der Wurmkremer / nit Mandragora sonder eittel betriegerei ist."
Die "Wurmkremer", von denen hier die Rede ist, sind herumreisende
Quacksalber, die auf den Märkten besonders Wurmmittel verkauften. Auch der
grosse Arzt PARACELSUS (1493 -1541), ein Zeitgenosse des
HIERONYMUS BOCK, spottet in seinem "Liber de imaginibus" (Buch der
Trugbilder) über die Leichtgläubigen: "Es möcht auch ein einfeltiger fragen,
warumb die wurzel alraun eines menschen gestalt, angesicht, hent und füss
hette, sie were on zweifel auch nicht one sonderliche grosse ursachen also von
got erschaffen? dem geb ich zur antwort und sag, es sei nicht war, das alraun
die wurzel menschen gestalt hab, sonder es ist ein betrogne arbeit und
bescheisserei von den landfarern, die dan die leut mer denn mit disem alein
bescheissen, dan es ist gar kein wurzel die menschen gestalt hat, sie werden
dan also geschnizlet und geformirt …...".
Die Behörden hatten schon damals ein scharfes Auge auf die Alraunfälscher.
So wurden im Dezember 1570 in Schaffhausen drei Landstreicher gehängt,
weil sie falsche Schriften bei sich führten und Gelbe Rüben als Alraune
verkauften. 1584 wurde in Steiermark ein gewisser Christoph Soll dem
"Landprofossen" angezeigt, weil er die Bauern betrog "mit gemachten Ruben,
so er für Alraun verkauffet" und dabei viel Geld verdiente. Noch in
allerjüngster Zeit blühte der Alraunschwindel. Da verkaufte (laut "Erlanger
Nachrichten" vom 21.5.1955) im Jahre 1955(!) in der Gegend von Holzkirchen
(Oberbayern) eine Zigeunersfrau an Bäuerinnen zum Preis zwischen 30 und 50
DM "echte Alraunwurzeln". Diese sollten zum Schutz gegen "böse Geister" in
Blumentöpfe eingepflanzt werden. Nach kurzer Zeit stellte sich aber heraus,
dass sich aus diesen angeblichen Alraunwurzeln nichts anderes als Kopfsalatpflänzchen entwickelten.
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Geschnitzte Alraune, wie sie um 1890 in den Basaren Kleinasiens verkauft
wurden. Nam v. Lusman, 1891
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S. 21:
Auch in der deutschen Literatur erscheint häufig das Alraunmotiv.
FRIEDRICH DE LA MOTTE FOUQUE, der Verfasser der "Undine", schrieb
die abenteuerliche Erzählung "Das Galgenmännlein" (1810) und die Novelle
"Mandragora" (1827). HANS HEINZ EWERS verfasste den literarisch
allerdings nicht gerade hochstehenden Roman "Alraune. Die Geschichte eines
lebenden Wesens" (1913). Das Thema scheint damals bei einem
sensationslüsternen Publikum viel Beifall gefunden zu haben, denn die
"Alraune" wurde nicht weniger als dreimal (1927, 1930, 1952) verfilmt.
Manche Ähnlichkeit mit dem Alraunglauben, dessen Quellen ja, wie oben
dargelegt wurde, im Orient zu suchen sind, zeigt die Volksmeinung vom
Allermannsharnisch (Allium victorialis). Hier handelt es sich aber um eine
Pflanze, die bei uns in den Alpen, da und dort auch in den deutschen
Mittelgebirgen (Hochvogesen, Schwarzwald, Sudeten) vorkommt. Sie ist eine
Lauch-Art mit grünlich-gelben, in einer kugeligen Scheindolde angeordneten
Blüten. Auffällig ist die Zwiebel des Krautes, die von einem dichten Netz
abgestorbener Wurzelfasern umhüllt ist. Bei einiger Phantasie kann man darin
ein Panzerhemd sehen, wie es die mittelalterlichen Ritter trugen. So ist wohl
auch der Glaube entstanden, dass diese Zwiebel ihren Träger hieb- und
stichfest, ja unbesiegbar mache. Daher hiess man die Pflanze Siegwurz (herba
victorialis). Der Name galt aber auch für den Schwertel (Gladiolus communis),
der eine ähnliche Knolle hat. Im Gegensatz zur "Langen Siegwurz", wie der
Allermannsharnisch hiess, lieferte der Schwertel die "Runde Siegwurz".
Marktschreier nähten diese Zwiebel in Seide ein und verkauften sie um teures
Geld als Amulett besonders gegen "podagrische Schmerzen". Es half wenig,
dass schon im 17. Jahrhundert eine hochlöbliche Medizinische Fakultät der
Universität Leipzig ein Gutamten abgab: "Wir sind der gewissen Meinung,
dass weder mit dem Allraun noch der Victorial Wurtzel sich jemand
festmachen oder sonst den Leuten Schaden zufügen könne, es wäre denn dass
des bösen Feindes Betrug und List, dadurch er die armen Leute auch mit
natürlichen Mitteln bisweilen zu sich locken pfleget, dazwischen käme" Der
Allermannsharnisch war also gewissermassen der "Alraun der kleinen Leute",
denn
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die echte orientalische Mandragora-Wurzel war noch viel teurer. Wie zäh sich
dieser Siegwurz-Alraun-Glaube gehalten hat, sehen wir aus einem Bericht des
Schriftstellers und Publizisten JOHANNES TROJAN. (1910). Er erwarb zu
Anfang dieses Jahrhunderts im damaligen Kaufhaus Wertheim zu Berlin einen
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"Glücksalraun" in einem kleinen Medaillon. Das Stück kostete 2,25 Mark, war
also gewiss nicht teuer. Unter Glas enthielt ein solches Medaillon zwei
verschiedene Fasern eines braunen Pflanzengewebes. Die botanische
Untersuchung durch den Berliner Botaniker PAUL ASCHERSON ergab, dass
die eine Faser von der "Langen Siegwurz", dem Allermannsharnisch, die
andere von der "Runden Siegwurz", dem Schwertel (Gladiolus communis),
stammte.
Die Springwurz
Fast ebenso verbreitet wie die Fabel vom Alraun und seiner Gewinnung ist die
von der Springwurz. Sie scheint indischen Ursprungs zu sein. In den Weden,
den ältesten Sprachdenkmälern der indischen Literatur, wird eine Pflanze
"pata" genannt (das Wort könnte zu patana = das Spalten gehören), die
möglicherweise die Springwurz ist. In den antiken Zauberbüchern ist sehr oft
von der Springwurz die Rede. PLINIUS (Nat. hist. X, 40, XXV,14) berichtet,
dass die Hirten in die Nisthöhlen des Spechtes einen Nagel oder Holzkeil
trieben. Dann komme der Specht und hole ein gewisses Kraut (dessen Namen
PLINIUS nicht nennt), halte es vor den Keil und dieser falle dann heraus.
Ähnliches schreibt etwas später CLAUDIUS ABLIANUS in seiner
"Tiergeschichte" (I,45). Aber bei ihm ist es der Wiedehopf (epops), der das
Kraut hole, wenn man sein in einem Mauerspalt befindliches Nest mit Lehm
verschmiere. Deutliche Beziehungen dazu zeigt eine talmudische Legende,
obwohl es sich hier nicht um eine Pflanze handelt: Benaja deckt das Nest des
Auerhahnes mit einem weissen Glas zu. Der Vogel sieht die, und holt den
Schamir, ein Würmchen. Benaja schreit laut auf und der Auerhahn lässt den
Schamir fallen. Mit diesem Schamir sprengt Salomon die Steine beim
Tempelbau.
Die Geschichte vom Specht (bzw. Wiedehopf) und der Springwurz (so nennt
man gewöhnlich das geheimnisvolle Kraut) findet sich mit allerlei
Ausschmückungen allenthalben in deutschen Volkssagen. Eine davon, die
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um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in der Gegend von Tübingen
aufgezeichnet wurde, lautet: "Kein Mensch weiss, wo die Springwurz wächst,
man kann sie sich aber verschaffen durch einen Wiedehopf und zwar so: Findet
man das Nest dieses Vogels in einem hohlen Baum, so muss man den Eingang
mit einem Brett vernageln. Dann holt der Wiedehopf die Springwurz und hält
sie vor das vernagelte Nest, worauf sofort das Brett abspringt. Alsdann bringt
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der Vogel diese Wurzel, um sie zu vernichten, in ein Wasser oder lässt sie,
wenn er unterwegs Feuer findet, da hineinfallen. Deshalb muss man in der
Nähe des Nestes eine Gelte (Kübel) mit Wasser aufstellen oder ein Feuer
anmachen und die Springwurz auffangen, wenn er sie fallen lässt. Statt des
Feuers darf man aber auch nur ein rotes Kleid oder ein Tuch hinbreiten, so hält
der Wiedehopf dasselbe für Feuer und lässt die Wurzel fahren. Vor einer
solchen Springwurz springen alle Türen und Schlösser auf. Auch macht sie
sicher gegen Stich und Kugeln, wenn man sie in der rechten Tasche bei sich
trägt. Wenn man einen kühnen Dieb nicht ertappen kann, so sagt man wohl
auch: der muss eine Springwurzel haben. Die Eier des Spechtes sollen so
hartschalig sein, dass sie, wenn sie brutreif sind, nicht von selbst zerspringen.
Der Specht sucht zu diesem Zweck die Springwurzel."
Der Dichter CLEMENS BRENTANO verwertet das Motiv vom Specht und
der Springwurz in seinem dramatischen Gedicht "Die Gründung Prags" (1814)
:
"Der Specht umflog sein Nest mit bangen Schwingen,
Das Zaratka, meine kluge Frau, verstopft.
Er sollte ihr die starke Springwurz bringen
Vor der die Schlösser all, an die sie klopft
Und alle Siegel, alle Felsen springen.
Schnell flog gen Morgen er und kehrte wieder,
Erschloss sein Nest, und ätzte seine Brut,
Und warf zum Feuer dann die Springwurz nieder."
Einem steirischen Hirtenbuben, der auch die Nisthöhle eines "Baumhackels"
(Spechtes) verkeilt hatte und so die Springwurz erlangte, ist diese schlecht
bekommen. Er benutzte nämlich das alle Schlösser öffnende Zauberkraut zu
Diebereien, wurde dabei ertappt und endete am Galgen. In einer
niederdeutschen Sage erscheint die Springwurz unter dem Namen
S. 24:
"Treibwurzel". Sie soll auf dem "Faulen Anger" bei Rosdorf (unweit
Göttingen) wachsen. Da blüht sie in der Christnacht zwischen 11 und 12. Wer
sie gebrauchen will, muss sie ohne Werkzeug ausgraben. Dabei darf er kein
Wort sprechen und muss nackt sein. Mit dieser Treibwurzel kann er jedes
Schloss aufspringen lassen. Dies berührt sich eng mit dem Volksglauben von
dem in der Christnacht zu gewinnenden "Farnsamen", von dem noch später die
Rede sein wird. Ferner kann man mit der Springwurz Schätze entdecken, was
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wiederum auf eine Verwandtschaft mit dem Glauben an die schatzweisende
Mistel hindeutet. Welche Pflanze man unter der geheimnisvollen Springwurz
zu verstehen hat, wird nirgends gesagt. Sie ist ja wohl auch ein
Phantasiegebilde. Zwar führt in botanischen Büchern des 17. Jahrhunderts der
zitronenduftende Diptam (Dictamnus albus) den Namen Spechtwurzel, aber
das ist sicher ein künstlich gebildeter, kein volkstümlicher Name. Dann heisst
es wieder der Salomonssiegel (Weisswurz, Polygonatum officinale) könnte die
Springwurz sein. Aber auch das ist nur eine Vermutung.
Die Mistel
Ebenso berühmt als Zauberkraut wie Alraun und Springwurz ist die Mistel.
Aber während bei den erstgenannten unzweifelhaft orientalische Einflüsse
festzustellen sind, bewegt sich der Mistelglaube vor allem im germanischen
und keltischen Kulturkreis, wenn auch nach den Forschungen des Germanisten
H. NECKEL immerhin die Möglichkeit besteht, dass manche Züge des
Mistelglaubens auf vorderasiatische Vegetationskulte zurückgehen. Bekannt ist
die Baldersage, wie sie von der jüngeren Edda dargestellt wird. Der
germanische Gott Balder wird durch einen Mistelzweig (mistiltein) getötet. Der
tückische Loki, der Dämon im Reich der Asen, veranlasst den blinden Höd
(Hödur), den Mistelzweig auf Balder zu schleudern, wodurch dieser den Tod
findet. Eine besondere Verehrung genoss die Mistel bei den Galliern. PLINIUS
(Nat. hist. XVI, 249) berichtet ausführlich darüber: "Die Priester der Gallier,
die Druiden, kennen nichts Heiligeres als die Mistel und den Baum, worauf sie
wächst, besonders wenn dieser eine Wintereiche (robur) ist. Sie verehren den
Baum aufs höchste und betrachten alles, was darauf wächst,
S. 25:
als Himmelsgabe ("a caelo missum"). Man findet aber die Mistel nur sehr
selten auf der Eiche. Wenn man sie aber findet, wird sie mit grosser
Feierlichkeit geholt, vor allem am 6. Tag nach dem Neumond ... Die Druiden
heissen die Mistel in ihrer Sprache die "alles heilende" (omnia sanantem)
Nachdem sie unter dem Baume die gehörigen Opfer und Mahlzeiten
veranstaltet haben, führen sie zwei weisse Stiere herbei, deren Hörner bekränzt
werden. Der Priester, mit weissem Kleide angetan, besteigt den Baum und
schneidet mit goldener Sichel die Mistel ab. In einem weissen Mantel wird sie
aufgefangen. Dann schlachten sie die Opfertiere mit dem Gebet, die Gottheit
möge ihre Gabe denen günstig werden lassen, welche sie damit beschenkt
- 20 -
S. 26:
haben. In den Trank getan, solle die Mistel alle unfruchtbaren Tiere fruchtbar
machen und ein Heilmittel gegen alle Gifte sein."
An einer späteren Stelle (Nat. hist. XXIV, 12) schreibt PLINIUS (von den
Galliern ist hier nicht die Rede), dass manche glauben, die Mistel sei
wirksamer, wenn man sie unter Beobachtung frommer Bräuche und beim
Neumond ohne eisernes Werkzeug sammle. Auch dürfe sie die Erde nicht
berühren. Das sind alles uralte kultische Vorschriften über das Sammeln von
Zauberkräutern. Dazu ist zunächst zu bemerken, dass die Mistel zwar auf
vielen Bäumen (z.B. auf Kiefer, Tanne, Pappeln, Obstbäumen) schmarotzt,
aber nur äusserst selten auf unseren einheimischen Eichen vorkommt. Aber
gerade diese Seltenheit der Eichenmistel mag ihr Ansehen in der Zauberei und
in der Heilkunde besonders erhöht haben, zudem ja auch die Eiche selbst bei
den Germanen und Kelten ein "heiliger" Baum war. Die Eichenmistel (Viscum
quercinum) des Zauberglaubens und der alten Apotheken war wohl fast immer
ein "Reklamename", um das Ansehen der Mistel noch besonders zu erhöhen.
Manclimal mag es sich auch um die mit der Mistel nah verwandte
Riemenblume (Loranthus europaeus) handeln, die tatsächlich auf Eichen
- 21 -
wächst, aber in Deutschland sehr selten ist, sie kommt hier nur in der Gegend
von Pirna vor. Auch der "Goldene Zweig" (virga aurea), den Aeneas als
Amulett in die Unterwelt mitnimmt, wird als Mistel gedeutet.
Im deutschen Volksglauben gilt die Mistel zuweilen als hexenabwehrende
Pflanze. Ins Haus und in die Ställe gehängt, schützt sie Mensch und Vieh vor
den Hexen (Pommern). Wer von dem Mahr (Alp, Nachtgespenst) geplagt wird,
der soll sich mit einer Mistel, die auf einer alten Eiche gewachsen sein muss,
schützen (Schleswig-Holstein), daher heisst sie auch Marentacken (Tack =
Zweig) oder Alpranke. Richtiger werden diese Namen wohl so erklärt, dass
nach einem alten Volksglauben die Mistel ebenso wie die "Hexenbesen" auf
einem Baum entstehen, auf dem der Mar oder der Alp gerastet hat. In
Österreich wurde gegen die "Druden" ein Mistelzweig an der Türe befestigt.
HIERONYMUS BOCK schreibt in seinem "Kreuterbuch" (1551), nachdem er
die Mistelverehrung der alten Gallier (nach PLINIUS) geschildert hat: "Solcher
fantasei und aberglauben seind vil bei uns eingerissen. Dann vil meinen noch /
es haben die Eichen Misteln etwas krafft und gewalt für böse gespenst /
henckens auch zum theil den jungen kindern an die hälss / der meinung / es soll
denselben kindern
S. 27:
kein zauberei oder gespenst schaden." Vor allem sollte die Mistel gegen die
"fallende Sucht" (Epilepsie) ein unfehlbares Mittel sein. In einer Münchner
Handschrift des 15. Jahrhunderts ist zu lesen: "welcher mensch aichin [eichen]
mistel an der rechten hand an einem fingerlin [Fingerring] hett, also dass die
Mistel rüret an die hand [d.h. dass die Mistel die blosse Hand berührt], den
käm der siechtag [= Epilepsie] nymer mer an." BOCK spricht weiter davon,
dass etliche Empirici [landfahrende Ärzte] und Künstler aus der Mistel
"Paternoster machen, lassen sie in Silber fassen und henckens vnder anderm
geschmeid den jungen kindern an die hälse." Der Handel mit diesen
"Paternostern" (Rosenkränze, Gebetsschnüre) aus der Mistel wurde im grossen
betrieben und scheint recht einträglich gewesen zu sein. Das geht aus einem
Handelsbuch aus der Mitte des 15. Jahrhunderts hervor, wo ein Strassburger
Händler genannt wird, der einem Ulmer Kaufmann noch 450 rheinische
Gulden für gelieferte "mischtlin pater noster" schuldete. Bemerkenswert ist
übrigens, dass auch heute noch aus der Mistel Präparate hergestellt werden, die
blutdrucksenkend wirken. Der berühmte Arzt HUFELAND (1762-1836), der
Verfasser der "Makrobiotik", empfahl die Mistel gegen Epilepsie, und die
Homöopathie schreibt der Misteltinktur auch jetzt noch diese Wirkung zu. Das
- 22 -
Erstaunliche an der Sache ist, dass PLINIUS (Nat. hist. XXIV, 12) vor 2000
Jahren die Mistel als Heilmittel für Epileptiker ("comitiales") nennt, was
gewöhnlich als "Aberglaube" registriert wird. Sollte doch etwas Wahres daran
sein?
Die Schatzgräber wollten aus dem Vorkommen der Mistel auf gewissen
Sträuchern, z.B. auf dem Weissdorn oder der Hasel, einen Fingerzeig sehen,
dass hier im Boden ein Schatz zu finden sei. Dieser Glaube findet seinen
Niederschlag in einem rheinischen Volksspruch: "Mistelstruk, Hexestruk, we
et hollt, fengk et Gold" (wer es holt, findet Gold). Ähnlich heisst es in der
Gegend von Detmold: "Wo de Mistel wässt [wächst], dor blojjet [blüht] dat
Gold", und zwar steckt der verborgene Schatz so tief in der Erde, wie sich die
Mistel über den Boden erhebt.
S. 28:
DIE WUNDERBLUME
Es gibt eine wundersame Blume, die man vorher noch nie gesehen hat und die
auch kein Botaniker kennt. Das erfuhr einmal eine Frau aus Wildemann (bei
Clausthal), die nach Zellerfeld ging, um für ihr krankes Kind eine Arznei zu
holen. Wie sie an die "Bettelmannswiese" kam, sah sie da eine grosse schöne
Blume stehen. Die Frau wollte sie abpflücken. Wie sie aber zugriff, sprang die
Blume vom Fleck weg, wohl zwanzig Meter weit. Die Frau läuft ihr nach. Aber
die Blume springt wieder weg. Und das geschieht dreimal. Der Frau scheint
das nicht geheuer. Sie lässt die Blume sein und geht nach Zellerfeld. Wie sie
wieder zurückkommt, steht die Blume wieder am Weg. "Will's doch einmal
versuchen, ob ich sie pflücken kann," denkt die Frau. Diesmal ist die Blume
nicht weg gesprungen. Die Frau hat davon ihrem Kinde einen Tee gekocht. Da
ist es gesund geworden. Danach haben viele Leute auf der "Bettelmannswiese"
nach der Blume gesucht, aber niemand hat sie gefunden.
Diese Sage aus dem Harz erinnert etwas an eine neugriechische von der
Pflanze lampedonia (d.i. die Leuchtende). Sie leuchtet nachts, aber sie lässt
sich nicht pflücken, denn wenn man sich dem Lichtschein nähert, erlischt er.
Die Hirten sagen, man müsse zu zweit sein, wenn man das Kraut gewinnen
wolle. Der eine müsse in der Ferne stehen bleiben, der andere mit einem
Mantel versehen auf die lampedonia zugehen. Wenn er in deren Nähe
gekommen sei, was ihm sein Gefährte durch Zuruf kund gibt, dann müsse jener
- 23 -
den Mantel auf die leuchtende Pflanze werfen. Alles, was man mit der
lampedonia berührt, wird zu Gold, daher heisst sie auch Goldkraut.
In deutschen Volkssagen begegnen wir öfters der Wunderblume. Eine Frau aus
Gönningen im Schwarzwaldkreis fand einmal am Stöffelesberg eine schöne
Blume, die brach sie ab und steckte sie sich an die Brust. Als sie hierauf im
Walde etwas weiter hinaufgestiegen war, tat sich eine Türe auf und da sassen
in einer Erdhöhle drei Fräulein und ein schwarzer Pudel lag am Eingang. Sie
hätte die drei Fräulein erlösen können, aber in ihrer Angst wagte sie kein Wort
zu reden.
Auch ein Schäfer aus Sittendorf fand am Kyffhäuser eine wunderschöne
Blume, wie er sie noch nie gesehen hatte. Er pflückte sie und steckte sie
S. 29:
auf seinen Hut. Oben auf der Burg fand er ein Gewölbe. Er ging hinein, sah
viele kleine glänzende Steine auf der Erde liegen und steckte so viele ein als
seine Taschen fassen konnten. Als er wieder ins Freie wollte, hörte er eine
Stimme rufen: "Vergiss das Beste nicht!" Der Schäfer fasste nach seinem Hut,
jedoch die wunderschöne Blume hatte er verloren. Aber die Steine, die er in
dem Gewölbe aufgelesen hatte, waren zu Goldstücken geworden. Die
Wunderblume ist seitdem verschwunden, obwohl schon viele Leute nach ihr
gesucht haben.
Ähnlich erging es einem Schäfer von Kolbenkamm in Baden. Er wurde von
einer Jungfrau auf einen Platz mit Schlüsselblumen geführt. Mit einer dieser
Blumen schloss er eine Türe auf zu einem Raum, in dem drei Kisten mit
Schafzähnen standen. Einige Hände davon steckte er ein, ohne sich weiter um
die Schlüsselblumen zu kümmern. Die Schafzähne wurden über Nacht zu
Gold, aber das Beste hatte er vergessen.
Neben der Schlüsselblume hält man zuweilen auch die blaue Wegwarte
(Cichorium intybus), die auch sonst im Zauberglauben oft genannt wird, für die
Wunderblume. Wahrhaft Phantastisches verzeichnet darüber eine "Kraft. und
Tugendbeschreibung der edlen Blume Wegewart", die sich in einem
handgeschriebenen "Zauberbüchlein" aus dem Egerland findet. Sie lautet (nach
A. JOHN 1905): "Wie dieses gewächs in ihrer Kraft und Wirkung gegraben
wird, so kann sich darmit verwahret werden wider alle seine Feinde, es seye im
Sturm oder sonsten in einer Action, du kannst alle Kugeln abweisen, und wann
dich einer gleich mit dem Degen wollte hauen oder stechen, so wird ihm sein
Schwert oder Degen in Stücken zerspringen, und nirgends schaden können,
- 24 -
auch kann man dich nicht mit Stricken binden, da sie entzwei gehen wie ein
Faden. Dieses Gewächs in aller Kraft zu bekommen, so gehe am Tage Peter
und Pauli [29. Juni] den Abend zuvor hinaus auf das Feld und siehe dich um
nach der Blume Hundlauff [ein alter Name für die Wegwarte], wo sie steht und
zeichne sie recht mit einem gewissen Zeichen, dass du sie des Nachts wieder
findest. Dann gehe nach Hause und dieselbe Nacht nach Mitternacht also frühe
um 1 Uhr gehe hinaus nach dem bezeichneten Ort zu der gemelden Wurzel,
und trette ganz dicht hinan wie es 3/4 auf 2 Uhr ist, so mache dich gleich und
behänd darüber, und grabe die Wurzel aus mit einem Stück Holz, in welches
das Donnerwetter hinein geschlagen hat, und wann sie ledig ist, so ziehe sie
heraus, sie muss aber ganz rein seyn und nicht
S. 30:
entzwei geschnitten, wickle sie in ein sauber Schnupftuch. Wann du nun das
Kraut mit der Blume abgemachet hast, so wickle die Wurzel in ein reines
sauberes Tüchlein, und umwinde es mit einem roten Seidenfaden, dann stecke
dies in ein Beutelchen, und trage solches bey dir, so bist du vor allen deinen
Feinden gesichert, denn diese Wurzel weist alle Kugeln ab, wie schon oben
erwehnet ist, und wann dir ein kaltes Eisen zu nahe kommt, so gehet es
entzwei, wie Ruben [Rüben] und Butter, es haftet gar nicht an dir und keiner
kan eines unrechten Todes sterben, der diese Blume Hundsleucht bei sich
trägt."
Sehr oft wird in diesen Zauberschriften betont, dass es nicht die gewöhnliche
blau blühende Wegwarte sein dürfe, es müsse eine solche mit weissen Blüten
sein, wie man sie tatsächlich hin und wieder antreffen kann. Im
Mansfeldischen beim Dorfe Hornburg wuchs an einem Wegrain alle Jahre eine
Wunderblume. Es war eine weiss blühende Wegwarte. Wer diese Blume
pflückt, dem ist geholfen, doch nur ein Sonntagskind kann sich der Blume
nähern und sie abpflücken. Manche Sonntagskinder haben es schon versucht,
aber in dem Augenblick, da sie die Hand ausgestreckt haben um die Blume zu
ergreifen, ist allemal drohend ein grosser Hund mit gewaltigen feurigen Augen
erschienen. Da machten die Sonntagskinder erschrocken kehrt. Wer sich dabei
umgesehen, hat bei der Blume eine weinende weisse Frau erblickt. Nur wer die
Furcht überwindet und den Hund beherzt bei Seite schiebt, kann die Blume
gewinnen und mit ihr alle seine Wünsche in Erfüllung gehen lassen.
Mit der weissen Wegwarte kann man auch einen Dieb entdecken. Man muss
sie zu diesem Zweck im August, und zwar im Sternbild der Jungfrau graben,
- 25 -
am Abend legt man sie dann vor dem Einschlafen unter das Kopfkissen. Im
Traum wird einem nun der Dieb erscheinen. Ähnlich machen es die
slowakischen Mädchen mit der Wegwarte, aber sie wollen nicht einen Dieb,
sondern ihren "Zukünftigen" im Traum sehen. Sie tragen eine Wegwarte unter
der rechten Fusssohle im Stiefel. Vor dem Schlafengehen stecken sie diese
Wegwarte in ein männliches Beinkleid und legen das Ganze unter das
Kopfkissen. Auch sonst geniesst die Wegwarte im Liebeszauber grosses
Ansehen. Nach einem alten Aberglauben muss man sie am Peterstag mit einem
Stück Hirschgeweih ausgraben, die blosse Hand darf dazu nicht gebraucht
werden. Man sichert sich mit einer solchen Wegwarte die Liebe jeder Person,
die man damit berührt.
S. 31:
JOHANNISKRÄUTER
Einen Höhepunkt des Jahres stellt die Sommersonnenwende, der Mittsommer
(22. Juni), dar. Es ist der längste Tag und die kürzeste Nacht. Die Sonnwende
fällt ungefähr zusammen mit dem Tag Johannes des Täufers, dem Johannistag
(24. Juni). An ihn knüpfen sich alte kultische Bräuche (z.B. das Johannisfeuer),
aber auch viel Aberglauben spielt dabei mit, und zwar nicht nur bei den
germanischen Völkern, sondern auch bei den Romanen und Slawen.
- 26 -
Verschiedene Pflanzen treten dabei hervor, die sog. "Johanniskräuter". Meist
sind es solche, die um Johanni in voller Blüte stehen und die seit alters wegen
ihrer Heilkraft oder sonstiger
S. 32:
hervorragenden Eigenschaften beim Volke grosses Ansehen geniessen. Das
bekannteste von ihnen ist das Hartheu (Hypericum perforatum), das bereits im
14. Jahrhundert als "sant johannskrut" bezeichnet wird und auch heute noch
vor allem im südlichen und mittleren Deutschland als Johanniskraut bekannt
ist. Auch im Englischen heisst es St. John's wort, in Frankreich herbe de Saint
Jean, in Italien erba S. Giovanni. Mit seinen goldgelben Blüten und den etwa
strahlenförmig angeordneten Staubgefässen, die fast ein winziges Abbild der
Sonne sind, passt es so recht zum Sonnwendtag. Allgemein traute man diesem
hell strahlenden Kraute zu, die Mächte der Finsternis, die "bösen Geister", die
Hexen, ja sogar den Teufel in die Flucht zu schlagen, daher der alte, schon im
16. Jahrhundert vorkommende Name Teufelsflucht (lat. fuga daemonum) für
das Johanniskraut. " Von etlichen Fuga demonum genennt darumb das man
meynet, wo solichs kraut behalten würt, da kommt der teüflel nicht hyn, mög
auch kein gespenst bleiben", schreibt OTTO BRUNFELS in seinem
"Contrafayt Kreuterbuch" (Strassburg 1532). Sehr ausführlich handelt der
berühmte PARACELSUS in seinem "Buch von den natürlichen Dingen" (um
1525 niedergeschrieben) vom "sanct Johanskraut". Vor allem preist er die
Kräfte des Johanniskrautes zur Heilung von Wunden, aber auch als Mittel
gegen die "tollen Geister". "Dises kraut", so meint er, "wie es an im selbs ist,
sol für und für getragen werden under dem paretli [Barettlein] , im busen, in
kranzweis [als Kranz] oder sonst in henden, oft daran schmecken [riechen], zu
nacht unter das küssi [Kissen] tun, das haus damit umbstecken oder umb die
wend henken. und das sol ein ietlicher arzt wissen, das got ein gross arcanum
[Geheimnis] in das kraut gelegt hat, alein von wegen der geisten und dollen
fantaseien, die den menschen in verzweiflung bringen und nicht durch den
teufel, sonder von natur."
Wie das Johanniskraut einst ein Mädchen vor dem bösen Feind rettete, erzählt
eine saarländische Volkssage:
Ein Mädchen hatte mit dem Teufel einen Bund geschlossen. Eines Tages
verfolgte er das Mädchen, um es ganz in seine Gewalt zu bringen. In ihrer
Herzensangst erblickte die arme Sünderin am Wegrand ein "Hartna" [Hartenau
ist besonders im Rheinischen ein Volksname für das Johanniskraut].
- 27 -
Sie setzte sich schnell auf die gelbe Blume und jetzt war der Teufel machtlos
und rief zornig aus: "Hartna, du verfluchtes Kraut, du hast mir entführt meine
Braut." Man kann sich denken, dass der Teufel auf ein
S. 33:
solches Kraut, das ihn um seine bereits sicher geglaubte Beute bringt, recht
schlecht zu sprechen ist. Aber er hat sich an dem Kraut gerächt: "Sanct
Johanniskraut ist von so grosser Krafft / den Teufel und die Hexen zu
vertreiben / dahero auch der Teufel aus Bossheit / dieses Krautes Blätter mit
Nadeln durchsticht", steht in der sog. Rockenphilosophie, einer Sammlung von
abergläubischen Meinungen, die vom 16. bis zum 18. Jahrhundert immer
wieder aufgelegt wurde. Mit den Nadelstichen sind natürlich die
durchscheinenden Punkte (Öldrüsen) auf den Blättern des Johanniskrautes
gemeint. Darauf nimmt auch der lateinische Artname "perforatum" (das
Durchlöcherte) Bezug.
Sogar gegen "angezauberte Liebe" ist das Johanniskraut wirksam. Da erzählt
der Arzt EBERHARD GOCKELIUS in seinem "Traetatus Magico-Medicus
oder ein kurtzer mit vielen wunderlichen Historien untermengter Bericht von
dem Beschreyen und Verzaubern" (Frankfurt und Leipzig 1717) eine
ergötzliche Geschichte, die ihm sein Freund MICHEL WIRTZLER, Rector bei
der Martinsschule in Halberstadt, berichtet hat. Es war in Halberstadt ein
Schreinersgeselle, dem ein Mädchen etwas beigebracht hatte, dass er von ihm
nicht lassen konnte. Seine Mutter kaufte ihm ein Paar neue Schuhe und stopfte
Johanniskraut hinein. In diesen Schuhen musste der Schreinersgeselle "fast in
einem Trab" von Halberstadt nach Wernigerode laufen, dass ihm der Schweiss
"über den Kopf und die Wangen herabtröpfelte". Wie er dorthin kam und sich
ein wenig abgekühlt hatte, liess er sich eine Kanne Brühan (Brühan oder
Breihahn ist eine Art Weissbier, die besonders in Halberstadt gebraut wurde)
geben, goss den Inhalt der Kanne nach und nach in den rechten Schuh und
trank "stehend und geschwind" das Bier aus dem Schuh aus. Darauf wurde er
der Dirne spinnefeind, so dass er "nicht einmal ihren Namen ohne Ungeduld
mehr anhören mochte".
Ein anderes altes Johanniskraut, das ebenfalls bereits um 1500 als Sant
Johanskrut bekannt war, ist der Beifuss (Artemisia vulgaris), jener staudige
Korbblütler, der überall an Schuttstellen, an Wegrändern usw. häufig ist.
- 28 -
Auch sein alter Name Sonnwendgürtel deutet seine Beziehung zur Sonnwende,
zum Johannistag, an. Man gürtete sich an diesem Tage mit den Stengeln des
Krautes, warf es dann ins Johannisfeuer und glaubte sich dann sicher vor
Krankheit im ganzen kommenden Jahr. BOCK prangert
S. 34:
den Aberglauben, der mit diesem Johanniskraut getrieben wurde in seinem
"Kreuterbuch" (1551) an: "Dill erwürdig kraut, Beifuss oder Bucken, S.
Johanneskraut und -gurtel ist auch in die superstition [Aberglauben] und
zauberey kommen also dass etlich diss kraut auff gewissen tag und stunden
graben wie Verbenam [Eisenkraut], suchen kolen und narrensteyn darunder für
febres [Fieber], andre hencken es umb sich, machen krentz darauss, folgens
werffen si dz kraut mit jrem unfal [Unglück, Krankheit] in S. Johansfeur mit
jren sprüchen und reymen. Diss affenspiI und ceremonien treiben nit die
geringsten zu Pareiss [Paris] in Franckreich." Die
- 29 -
S. 35:
Ein Engel zeigt Karl dem Grossen die Eberwurz als Mittel gegen die Pest. Aus
dem kurz nach 1500 in Oberitalien entstandenen Codex icon. 26 der
Bayerischen Staatsbibliothek.
- 30 -
S. 36:
Hexen kochen einen Zaubertrank. Nach Hans Baldung,
genannt Grien (1485-bis 1545).
S. 37:
Kohlen und Narrensteine, die man am Johannistag unter einer Beifussstaude
finden sollte, waren im Aberglauben hochgeschätzt. In Mecklenburg hiess es,
wenn man am Johannistag mittags Schlag 12 Uhr unter einer Beifussstaude
- 31 -
nachgräbt, findet man unter der Wurzel eine brennende Kohle. Sobald aber die
Glocke ausgeschlagen hat, ist die Kohle verschwunden. Daher muss man sich
sehr eilen, die Kohle wegzunehmen. Nach dem Volksglauben der Litauer
findet man diese Kohle in der Johannisnacht zwischen 11 und 12 Uhr. Sie wird
von einem schwarzen Hunde bewacht und ist sehr schwer zu bekommen. Aber
wem es gelingt, der kann mit diesen Kohlen das Fieber heilen. BRUNFELS,
der Zeitgenosse des HIERONYMUS BOCK will sogar diese Kohlen selbst
gesehen haben: "Die magi [Zauberer] graben diese Wurtzel [vom Beifuss] uff
S. Johanns abent, so die sonn undergadt, so finden sye darbei schwartz körnlin
an der wurtzel hangen. Und das dem also, hab ich selb gesehen, ist ein
sonderlich geheymnuss, was damit gehandlet würt." LINNE vermutet, dass
diese angeblichen Kohlen nichts anderes seien als abgestorbene Wurzelreste
der Pflanze. Der Königsberger Botanikprofessor K. G. HAGEN meint in
seinem Werk "Preussens Pflanzen" (1818), dass die Kohlen wohl daher rühren,
dass der Beifuss vorzüglich an Stellen (Schutt) wachse, wo zufällig Asche
nebst Kohlenresten ausgeschüttet worden seien. Beide "Erklärungen" sind wohl
gleich unzureichend. Wie berühmt der Beifuss im Mittelalter als Heilpflanze
war, zeigt seine Anrufung in dem angelsächsischen Kräutersegen (s. S. 74), wo
er als das "älteste der Kräuter" an erster Stelle steht.
In Oberfranken, im Egerland und im Erzgebirge ist die Arnika (Arnica
montana), die allbekannte Heilpflanze (Arnikatinktur!), die Johannisblume, in
der Mundart G'hannesblume geheissen. Auch der Volksname
Sonnwendblümel, den sie im Bayerischen Walde führt, deutet auf ihre
Blütezeit hin. Im Fichtelgebirge pflückte man sie früher am Johannisabend,
hing sie in der Stube auf, legte sie auch unter das Dach, dann war das Haus vor
dem Einschlagen des Blitzes und vor allem vor dem bösen Treiben der Hexen
sicher. Ferner steckte man die Johannisblumen an die Ecken der Felder, um
den "Bilwis" am Betreten der Saaten zu hindern. Der "Bilwis" oder
"Bilmesschnitter" ist nach altem Volksglauben ein
S. 38:
Korndämon, der besonders um Johanni umgeht. An den Zehen hat er kleine
Sicheln und wenn er nächtlicherweile durchs Kornfeld geht, dann schneidet er
damit Gassen, die man noch am nächsten Morgen sehen kann. Aufgeklärte
Leute wollen allerdings wissen, dass dieser Bilwisschnitt nichts anderes ist,
- 32 -
als Gassen, die sich die Hasen durchs Saatfeld beissen. In der Gegend von
Regen (Niederbayern) flocht man früher aus der Arnika und einigen anderen
zur Sonnwendzeit blühenden Pflanzen Kränze und warf sie ins Johannisfeuer.
Auch eine recht unscheinbare Pflanze hiess früher im Niederdeutschen (z. B. in
Brandenburg und Mecklenburg) Johanniskrut. Es ist dies der Knäuel
(Scleranthus perennis), ein höchstens spannenhohes Kräutlein mit schmalen
Blättern und kleinen weisslichgrünen Blüten. Es wächst vorzüglich auf
sandigen Böden. An seinen Wurzeln lebt die Polnische Schildlaus
(Porphyrophora polonica), die wie die echte Cochenille-Laus einen roten
Farbstoff liefert. Weil diese Polnische Schildlaus - das Volk hält sie für "rote
Körner" an der Wurzel - besonders um Johannis zu finden ist, nennt man sie
Johannisblut. Noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts konnte man in der
"Hexenkuhle" bei Elmshorn (Schleswig) alte Frauen sehen, die am Johannistag
zwischen 12 und 1 Uhr den Knäuel sammelten, an dessen Wurzeln die roten
"Körner" hingen. Dieses "Johannisblut" wurde in Blechbüchsen aufbewahrt
und galt als wunderkräftig. Es sollte vor Krankheit und Unglück schützen, aber
es musste in der ersten Nachmittagsstunde gesammelt sein, Schlag 1 Uhr ist
seine Zauberkraft vorbei. Sogar im Jahre 1902 konnte man noch auf dem
grossen Exerzierplatz von Schwerin Leute beobachten, die am Johannistag
unter strengstem Stillschweigen das Johannisblut suchten.
Zu den Johanniskräutern gehört auch in vieler Hinsicht das Farnkraut, worunter
hier besonders ansehnliche Arten wie der Wurmfarn (Dryopteris filix-mas), der
Frauenfarn (Athyrium filix-femina) und der Adlerfarn (Pteridium aquilinum)
zu verstehen sind. Den Kern des Aberglaubens bildet die Meinung, dass der
Farn nur in der Johannisnacht "blühe" und dass nur zu dieser Zeit der
zauberkräftige "Farnsame" zu gewinnen sei. Jeder, der in der Pflanzenkunde
einigermassen bewandert ist, weiss, dass der Farn keine Blütenpflanze ist und
daher auch keinen Samen haben kann. Unter "Farnsamen" sind zweifellos die
Sporenhäufchen auf der Unterseite der Farnwedel zu verstehen.
S. 39:
Um 1500 herum muss der Glaube an die Zauberkraft des "Farnsamens" noch
weit verbreitet gewesen sein. Die alten Kräuterbücher berichten ausführlich
darüber. BRUNFELS (1532) schreibt eingehend vom Missbrauch des "Foren
Samens": "Kein kraut ist da meer hexenwerck / und teuffels gespenst mit
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getriben würt. Ich muss hye mit gewalt mich lassen bereden / wie diesses kraut
[der Farn] ein samen trage / welchen es auf Sankt Johannsnacht würfft... Und
diesser samen würt auch nit yedermann zu theyl / sondern muss man zuvor dz
kraut beschwören / und den teuffel darüber anruffen / und alsdann so schwitzet
es wie ein gummi tröpflin [das sind die Sporangienhäufchen ], welche gleich
uff stund hart werden / und zu einem schwartzen samen / welcher mir auch von
etlichen ist gezeygt worden. Mag war sein, mag auch wol teufels gespenst sein.
Es mögen ye solcher samen nyemants gedeyen (wie sy sagen) dann allein uff
S. Johanns-nacht / und auch nicht / dann mit vorgegangener conjuration
[Beschwörung] / doch eine anders weder die andere. Dann hye hör ich / dz
auch einer nit braucht handtgebärd wie der andere. Halt es für ein lauter
Gauckelwerk. Dann ist es ein natürlich ding mit diessem samen / was bedarf es
solicher conjuration / und den teuffel darüber anzuruffen / oder auch darvon zu
treiben / so würt die natur ire wirckungen selber thun / on beschwören und
ungesägnet. Ist es kein natürlich ding / so ist es gewisslich ein gespenst und
betrügnuss ..." BRUNFELS schliesst mit den Worten: "Solichs hab ich hye
müssen anzeygen von den Faren / damit ich nit gar nichts davon sagte. Es
werden aber die Farenbeschwörer / vileicht über mich zürnen, da ligt nicht vil
an." BOCK (Kreuterbuch 1551) beschreibt als guter Naturbeobachter die
"gantz kleinen düpfflin" auf den Wedeln des Wurmfarnes recht anschaulich
und fügt hinzu, dass die alten Weiber diesen Staub der Farnblätter sammeln
und als Farnsamen ausgeben. Er hat auch wohl gehört, dass dieses
Farnsamenholen in der Johannisnacht eine gefährliche Sache sei, bei der man
vielleicht mit dem Teufel zu tun bekomme. Aber der gute HIERONYMUS
BOCK will sich selber überzeugen. Recht geheuer scheint ihm jedoch die
Sache nicht gewesen zu sein, denn er schreibt, dass er in der Johannisnacht
nicht allein zum Farnsamenholen
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S. 40:
"Waldfarn Mennle" (Wurmfarn) aus Fuchs, New Kreuterbuch, Basel 1543.
Der "Farnsame" (Sporen), in der Johannisnacht gesammelt, soll Zauberkraft
haben.
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S. 41:
S. 42:
gegangen sei, sondern dass er zwei Männer mitgenommen habe. Dann hätten
sie ein grosses Feuer angezündet, um die Nacht zu erhellen. Wie man den
Farnsamen gewinnen konnte, erfahren wir aus schwäbischen HexenprozessAkten vom Jahre 1650. Ein gewisser Michael Pusper aus Rottenburg am
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Neckar wird der Zauberei beschuldigt. Im hochnotpeinlichen Verhör beteuert
er, dass er den Farnsamen nie geholt habe, dass er aber wisse, wie man ihn am
St. Johannisabend holen könne. Man nehme eine Haselstockwurzel, ziehe mit
dieser auf einem Kreuzweg einen Ring, in diesen Ring bringe man einen weiss
blühenden Wegwartstock. Das müsse des Nachts zwischen 11 und 12 Uhr
geschehen, dabei dürfe man aber nichts reden. Jetzt würden sich allerlei
Erscheinungen zeigen: Vater, Mutter und andere Personen, Hunde und dgl. Um
12 Uhr müsse man an den Wegwartstock schlagen, nachdem man ein Tierfell
unter ihm ausgebreitet habe. Unterdessen sei ein Stengel daraus hervor
gewachsen und zugleich falle der Same zur Erde. Das sei der Farnsame, den
man dann in ein Federröhrlein einschliessen müsse. Mit ihm könne man grosse
Wunder verrichten. Man scheint aber dem unglücklichen Pusper nicht geglaubt
zu haben, dass er sich von diesen Hexenkünsten fern gehalten habe, denn er
wurde nach den Prozessakten Mitte September 1650 enthauptet. Schon einige
Jahrzehnte vorher (1611) hatte der Herzog Maximilian in Bayern ein
"Landtgebott wider Aberglauben, Zauberey, Hexerey und andere sträffliche
Teufelskünste" erlassen, in dem denjenigen mit schweren Strafen gedroht wird,
die "den fahrnsamen holen".
Unter den vielen wunderbaren Eigenschaften des Farnsamens ist vor allem die
zu nennen, dass er seinen Träger unsichtbar machen kann. Hier eine
westfälische Sage, die übrigens in ganz ähnlicher Form Rum in anderen
Gegenden wiederkehrt: Einem Mann in Bergkirchen ging es einmal wunderlich
mit dem Farnsamen. Er suchte in der Johannisnacht sein verlorenes Füllen und
wie er so durch den Wald streifte, fiel ihm der Farnsame in die Schuhe, ohne
dass er es merkte. Des Morgens kehrte der Mann nach Hause zurück, trat in die
Stube und setzte sich. Es kam ihm seltsam vor, dass Frau und Hausgenossen
ihn gar nicht beamteten. Da sprach er: "Das Fohlen habe ich nicht gefunden."
Alle, die in der Stube waren, erschraken. Sie hatten ganz gen au seine Stimme
gehört, sahen aber niemand. Da rief ihn die Frau beim Namen und meinte, er
müsse sich wohl versteckt haben. Da stand er auf, stellte sich mitten in die
Stube und sagte: "Was rufst du,
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ich stehe ja hier ganz nahe vor dir." Da wurde der Schreck noch grösser, denn
man hatte den Mann aufstehen und gehen hören und sah doch nichts. Der
Mann merkte nun, dass er unsichtbar war und er dachte sich, er möchte wohl
Farnsamen in den Schuhen haben, denn es drückte ihn, als ob er Sand darin
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hätte. Er zog die Schuhe ab und stäubte sie aus. Und wie er das tat, stand er
sichtbar da vor allen.
Mit Hilfe des Farnsamens kann man auch Schätze heben, er schafft Glück bei
allen Unternehmungen, daher die schwäbische Redensart von einem, dem alles
gelingt: "Der hat de Fahrsame g'holt." Die "Johannisblüte", die in der
Mitternachtsstunde der Johannisnacht erscheint, ist wohl dem Farnsamen
gleichzusetzen. Sie macht fest, d.h. unverwundbar. Im Jahre 1601 wurde in
Erfurt ein Bürger mit dem Schwert hingerichtet. Als er niederknien sollte,
sprach der Scharfrichter zu ihm: "Ich höre, du seiest fest, darum rat ich dir,
mach dir und mir keine weitere Mühe und Ungelegenheit." Der arme Sünder
antwortete: "Ja, es ist wahr, allhier steckt's unter meinem rechten Arm, nimm
es hin!" Da nahm er es und sagte nachher, es wäre gedorrt St. Johannisblüte.
Der Glaube von der wunderbaren "Farnblüte" lässt sich auch bei den Slawen
nachweisen. FELIX HAASE (Volksglaube und Brauchtum der Ostslawen,
Breslau 1939) berichtet darüber: "Am Vorabend des Johannistages kann man
die Blüte des paporotnik (russischer Name des Farnkrautes) erreichen. Man
muss dabei die Kerze anzünden, die in der Weihnachtszeit beim
Morgengottesdienst brannte und sprechen: Ja, Gott ist auferstanden. Die
unreine Kraft stört den Menschen dabei in jeder Weise. Um den paporotnik
liegen Schlangen und Ungeheuer. Sie warten gierig auf den Augenblick des
Erblühens des paporotnik. Kaum bemüht sich der Mensch, die Blüte
abzureissen, da öffnet sich die Erde, Donnerschläge ertönen, Blitze leuchten,
Stürme brausen, teuflisches Gelächter erschallt, Höllenflammen umgeben den
Menschen. Tritt er aus dem (mit einem Messer) gezeichneten Kreis heraus, so
zerreissen ihn die Teufel. Hat der Mensch die Blüte herausgerissen, so muss er,
ohne sich umzusehen, nach Hause laufen. Sieht er sich um, so ist alles
vergeblich gewesen."
Manchmal wird auch die geheimnisvolle "Irrwurz" als das Farnkraut gedeutet.
Wer auf sie unversehens tritt, verirrt sich im Walde und findet nicht mehr heim
oder geht stundenlang nur im Kreise herum. Man kann sich vor der Irrwurz
nicht hüten, denn man kennt sie nicht. Da hat einmal
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die Bachhuberbäuerin Schmalz nach Straubing (Niederbayern) auf den Markt
bringen wollen. Da sie schon recht frühzeitig in der Stadt sein wollte, machte
sie sich schon um Mitternacht auf den Weg. Sie ging durch einen Wald, der
unmittelbar neben dem Anwesen begann und zum Hof gehörte. Gleich beim
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Betreten des Waldes muss sie aber auf eine Irrwurz getreten sein. Sie irrte
nämlich die ganze Nacht im Wald herum, ohne einen Ausweg aus dem ihr
sonst wohlbekannten Wald zu finden, der nicht einmal gross war. Erst als der
Morgen zu dämmern begann, erkannte sie, dass sie unmittelbar vor ihrem
Bauernhof stand.
Der Farnaberglaube steht sicher in naher Beziehung zu den alten
Sonnwendkulten. Der "Farnsame" soll eine "Emanation" der Sonne sein. Da er
etwas goldähnlich glänzt, soll er zur Entdeckung von Schätzen verhelfen. Auch
als glühend und feurig wird er daher beschrieben (JAMES FRAZER). Wie weit
dies zutrifft oder ob es sich nur um mythologische Spekulationen handelt, sei
dahingestellt.
Internet-Bearbeitung: K. J.
Version 03/2011
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