2. Quartalsbericht von Till Eichler

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2. Quartalsbericht von Till Eichler
Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April
Mein Bericht – der Zweite von Dreien
Ja, ihr habt Recht, beim letzten Mal waren es noch vier Berichte, aber unsere Organisation hat
entschieden, dass drei insgesamt ausreichen, so dass jetzt Bericht Nr. 2 nach sechseinhalb Monaten
kommt. Es bleiben für mich noch bis zum 18. August viereinhalb Monate, also weniger als die Hälfte
in der Dominikanischen Republik. Für den Bericht habe ich mir folgende Inhalte überlegt: einen
relativ kurzen Teil über meine Aufgaben, eine Zusammenfassung, was seit dem letzten Bericht so
passiert ist und schließlich einen kleinen Exkurs in die dominikanische Gesellschaft.
Meine Arbeit…
Grundsätzlich hat sich meine Arbeit etwas verändert seit dem letzten Bericht. Ich bin zwar immer
noch an der Website, die leider immer noch nicht fertig ist. Das liegt daran, dass ich die Website
komplett umgestellt habe von wordpress auf joomla und joomla jedoch nicht ganz so intuitiv läuft
wie gedacht. Das heißt, ich muss mich erst einmal wieder in die Bedienung einarbeiten. Momentan
liegt der Fokus meiner Arbeit jedoch auf einem anderen Projekt: Office 365.
Schon bei dem Einführungsseminar wurde von den Organisationen und von Ecoselva der Wunsch
geäußert, eine gemeinsame Austauschplattform aufzubauen, in der die dominikanischen NGOs ihre
Kenntnisse teilen können. Bei dem ZwischenseminarAnfang Februar wurde dieser Wunsch kann in
die Tat umgesetzt, in dem Heiner, Vorsitzender von Ecoselva, die Umgebung Microsoft Office 365
vorgestellt hat. Dabei handelt es sich um eine cloudbasierte Office-, Kommunikations- und
Austauschplattform. Man kann es sich vorstellen wie Facebook nur intern, also nicht öffentlich, und
mit einigen weiteren Funktionen, wie Wikis, Dokumentenablage,… die große Herausforderung ist
nur, diese Umgebung und ihre vielseitigen Funktionen zu verstehen und einzusetzen, um schließlich
die Freiwilligen und dominikanischen Organisationen heranzuführen. Wenn die Plattform mal
etabliert ist, hat sie großes Potential, die Herausforderung ist nur, dahin zu kommen.
Via Office 365 kann man den Wissensaustausch verschiedener Partner auf mehreren Ebenen
umfassend managen.
Meine Aufgabe ist es nun, mich federführend seitens der Freiwilligen um diese Plattform zu
kümmern, das heißt Themenwebseiten erstellen und mit Funktionen ausstatten, Lernvideos
erstellen, Konfigurationen von Gruppen, Einrichten von Mitgliederkonten,… dafür muss ich mich
natürlich selbst erst einmal einarbeiten.
José, mein Tutor hat für unsere Organisation Centro Naturaleza die Verantwortung seitens der
Organisationen für das nächste halbe Jahr übernommen.
Ich denke, wenn wir Ende Juli soweit sind, vier oder fünf Organisationen einzubinden, die sich
regelmäßig am Wissensaustausch beteiligen, wäre das ein stabiler Erfolg. Neben dieser Aufgabe
beginne ich einen Computer-Crash-Intensiv-Kurs für zwei Kollegen, die großes Interesse aber keine
Erfahrungen mit dem Umgang mit PCs haben. Diese Arbeit beginnt nach der Semana Santa
(Osterwoche) und ich freue mich sehr darauf. En el campo, draußen auf dem Land war ich leider seit
Januar nicht mehr, will aber zukünftig versuchen, wieder öfters mitzukommen, weil es immer wieder
eine tolle Erfahrung ist, sich mit dem Bauern zu treffen und ihre Arbeit zu dokumentieren. Das soll es
zu meiner Arbeit gewesen sein. Wenn jemand mehr Erfahrungen mit Office 365 oder Joomla hat,
kann er oder sie sich gerne bei mir melden. Mir macht meine Arbeit immer noch Spaß und halte sie
auch für nachhaltig, was mich besonders freut, da das bei Freiwilligendiensten nicht immer der Fall
ist.
Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April
Was so passiert ist…
Seit dem letzten Bericht in Dezember ist viel passiert und gleichzeitig hat sich nicht viel geändert. Ich
habe das erste Mal Geburtstag und Weihnachten weg von der Familie gefeiert, was eine …
interessante Erfahrung war. Für meinen Geburtstag hatte ich zuerst gar nicht groß was geplant
sondern wollte einfach im kleinen Kreis meiner Gastfamilie nachmittags Torte essen. Zwei, drei Tage
vor meinem Geburtstag habe ich dann doch meine Meinung geändert und meine Bekannten und
Kollegen eingeladen. Der Hauptgrund, weshalb ich dann doch meine Pläne geändert habe waren
eigentlich die Kids (meinen Gastnichten und -neffe), denen ich eine Torte und Pizza ermöglichen
wollte. Also habe ich eine Torte bestellt, einige Flaschen Bier und Pizza besorgt und mündlich alle
eingeladen.
Eine typische dominikanische Geburtstagstorte. Es wird meist eine Torte in einer Repostería bestellt. Den Brauch, dass
mehrere Kuchen gemacht werden, gibt es hier nicht. Was aber zu einer dominikanischen Feier gehört ist…TANZ! Hier mit
Linda, einer Mitfreiwilligen .
Am Tag selbst war ich sehr nervös, weil ich überhaupt nicht einschätzen konnte, wer wann kommen
wird, ob das Bier und die Pizza reichen werden und so weiter. Letztlich kamen die meisten später als
angekündigt, aber es waren trotzdem viele da und es war ein gelungenes kleines Fest. Heilig Abend
haben Alexej und ich bei einem Kollegen ein wahres Weihnachtsessen bekommen. Carmela, unsere
Gastmutter war leider nicht in Mao, weil sie Bekannte in einem anderen Ort besuchte. Nach dem
leckeren und festlichen Weihnachtsessen ging es nochmal in die Tanzbar. Das ist hier in der
dominikanischen Kultur so üblich. Ich persönlich finde es aber schöner, den Heiligabend daheim
besinnlich zu verbringen und nicht in der Disko abzugehen.
Silvester schließlich haben wir Freiwilligen gemeinsam auf der Halbinsel Samaná im Örtchen Las
Terrenas verbracht. Das war ein toller Urlaub – Silverster haben wir gegrillt und um Mitternacht ging
es ins Meer. Das werde ich so schnell auch nicht mehr haben!
Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April
Unser Silvesteressen war auch ohne Raclette, Fondue und Co. delicioso! Das rechte Foto zeigt den Salto de Limón, den
höchsten Wasserfall des Landes, in dessen Becken wir auch gebadet haben.
Der Januar verlief recht ruhig, wieder im Büro ankommen, jedoch nicht soo lange, denn zusammen
mit einigen Freiwilligen haben wir die Jule in Paraíso besucht. Das ist im Südwesten des Landes. Die
Landschaft und die Strände dort sind total verschieden von denen hier im Norden. Beispielsweise
gibt es dort hauptsächlich Kiesstrände und man hat ein traumhaftes Panorama aus dem Wasser
direkt auf die bewachsenen Berge. Der Süden ist touristisch nicht erschlossen und daher eine wahres
pures dominikanisches Gebiet, fernab von Ressorts und Privatstränden.
J a,
Ja, es gibt sogar Krokodile in der Dominikanischen Republik und zwar am Lago Enriquillo im Südwesten des Landes.
Rechts ein Foto vom Strand San Rafael mit Kiesstrand und wunderschönen Panorama durch die Lage direkt an
bewachsenen Hügeln.
Zwei Wochen später war ich noch mit einer Gruppe in Montecristi, einem kleinen Örtchen am
nordwestlichsten Zipfel der República Dominicana. Auch hier gibt es eine besondere Natur: es ragt
ein riesiger Felsen „El Moro“ ins Wasser, ein beeindruckender Anblick.
Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April
Der Strand in Montecristi ist von diversen steilen Felsen umgeben und ist damit zum Landesinneren hin abgeschirmt.
Aber auch historisch hat Montecristi viel zu bieten. Hier wurde von dem Dominikaner Máximo
Gómez und dem Exilkubaner Jose Martín das Manifest von Montecristi verfasst, in dem die
Notwendigkeit eines unabhängigen Kubas begründet wurde. Durch Gómez war ein Dominikaner der
oberste Befehlshaber der Kubanischen Revolutionsarmee, die die spanische Besatzungsmacht
bezwang.
Das Land hat so viele verschiedene wunderschöne Ecken, so schöne Flecken. Es ist wirklich schade,
dass den meisten bei dem Land nur „Pauschalurlaub, Strand und Palmen“ einfallen. – Wenn jemand
von euch vorhat demnächst oder auch später einen Urlaub in der Dom zu machen, bitte vorher
Empfehlungen einholen! ;)
Mitte Februar fand das Zwischenseminar unserer Freiwilligengruppe statt. Dafür haben wir uns vier
Tage in einem Tagungszentrum in der Nähe von Santo Domingo getroffen und über unsere
Erfahrungen im ersten halben Jahr berichtet. Es war schön, die Geschichten der anderen Freiwilligen
zu hören, denn einerseits haben fast alle gewisse Erfahrungen gemacht, andere Erfahrungen waren
wiederrum sehr individuell. Im ersten Teil des Seminares waren auch unsere Tutoren anwesend und
es wurde die Austauschplattform Office 365 vorgestellt. Außerdem haben wir über Wünsche und
Erwartungen an das nächste halbe Jahr gesprochen.
Hier mache ich gerade die Einführung in den Themenkomplex Austauschplattform Office 365 auf dem Zwischenseminar.
Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April
Ende Januar Anfang Februar begann dann die Karnevalsaison. Obwohl die Dominikanische Republik
ein katholisches Land ist, gibt es hier keine eindeutige Fastenzeit und man feiert noch bis Mitte März
(teilweise noch länger) Karneval. Das läuft so ab, dass in vielen Städten zwei bis vier Wochenenden in
Folge Karneval gefeiert wird, wobei die Zeiten sich von Stadt zu Stadt teils überschneiden, teils
versetzt liegen. Theoretisch könnte man also eineinhalb Monate rumreisen und jedes Wochenende
Karneval feiern. Ich habe den Karneval in Santiago, La Vega (der bekannteste des Landes) und
natürlich in Mao gesehen und einige Sachen fielen mir auf. Viele erwarten ja, dass der karibische
Karneval dem brasilianischen Karneval ähnlich ist. Meine Erfahrung war, dass es hier wenig
Tanzgruppen und noch weniger Musikgruppen gab (was ich sehr schade fand) Stattdessen gibt es
einige verkleidete Gruppen (je nach Ort gibt es typische Verkleidungen, beispielsweise in Santiago
Masken mit riesigen stacheligen Hörnern, in La Vega riesen große Fratzen)
In La Vega kommt hinzu, dass die verkleideten Teilnehmer versuchen, den Besuchern mit
aufgeblasenen Luftkissen (aus Rinderdarm oder so?!?) auf den Hintern zu schlagen. Je nachdem, wie
fest und wie gut man getroffen wird, tut das ziemlich weh! Das heißt, der Karnevalgang wird zu
einem unentspannten, aber äußerst witzigen Spießrutenlauf. Die Kunst ist es, Fotos mit den Fratzen
zu bekommen, ohne gleichzeitig oder danach einen Schlag abzubekommen.
Die verkleideten Zugteilnehmer: links aus La Vega, wo der bekannteste Karneval des Landes stattfindet. Die rechten
beiden Bilder sind aus Santiago, man erkennt deutlich die typischen Merkmale des Santiagoischen Karneval: Peitsche
und Hörner. Und ja, auch Kinder laufen schon mit!
In Santiago, dem anderen Karneval außerhalb von Mao, den ich besucht habe, tragen die Teilnehmer
riesige Peitschen, die sie knallen lassen. Das ist schon etwas unheimlicher. Zwar treffen sie keine
Menschen aber man weiß ja nie…eigentlich ein Wunder, dass die anderen Teilnehmer vom Zug nicht
getroffen werden.
Mitte März war dann der Karneval hier in Mao und das war meiner Meinung nach mit Abstand der
beste! Ich kannte mich aus, überall war was los und es war eine super Stimmung.
Nach dem Karneval kehrte Ruhe ein. Von März bis Mitte April waren keine größeren Events und jetzt,
letzte Woche war Ostern! Die Woche vor Ostern heißt in den lateinamerikanischen Ländern „Semana
Santa“ und ist die religiös wichtigste Zeit des Jahres. Und oft, wenn große Festtage gefeiert werden,
heißt das hier vor allem eines: Party, Musik, Tanz und Feiern. Daher ist die Semana Santa ab
Freitagnacht um 12 in diversen Orten eine einzige Feierei. Es wird sogar am Freitag, an dem
Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April
Ausschankverbot und Tanzverbot herrscht, nachts um kurz vor 12 ein Countdown gestartet wie an
Silvester. Ich habe leider nicht viel mitbekommen von der Party, da ich mit Magen-Darm Problemen
im Bett lag. Ich habe mich jedoch schnell erholt, um eine Woche später den Pico Duarte, den
höchsten Berg der Karibik zu besteigen. Mit knapp 3100 Metern ist er sogar höher als der höchste
Berg Deutschlands. Ein Bericht und viele weitere findet in den nächsten Tagen per Blog auf
www.tillinderdom.wordpress.com
Der Sonnenaufgang auf der Spitze des Pico Duarte. Mehr Infos über diesen beeindruckenden Trip gibt’s online.
Wie es mir geht …
Wenn ich ehrlich bin freue ich mich mittlerweile sehr auf das Heimkommen nach Deutschland. Es ist
wirklich nicht mehr viel Zeit, die ich hier habe, und ich bin auch nicht unglücklich aber ich denke sehr
oft an Deutschland, wie das wird mit Studium und so weiter…sodass ich das Leben hier etwas aus
den Augen verliere. Das hat verschiedene Gründe: Einerseits ist mein soziales Umfeld hier aktuell und
vor allem die letzten Wochen viel von dem Kontakt mit anderen Freiwilligen geprägt. Wenn wir
Freiwilligen unter uns sind, ist es eigentlich wie eine Gruppe „versierter Touristen“ Wir kennen das
Land, die Sprache und die Eigenheiten, aber wir haben nicht wirklich was mit den Leuten zu tun. Wir
besuchen touristische Regionen, und werden dort aufgrund unseres Aussehens als Touristen
wahrgenommen, aber der Kontakt mit Dominikanern bleibt in diesen Zeiten meist beschränkt.
Weiterhin finde ich es schwierig Dominikaner als „Freunde“ zu gewinnen. Bei uns in Mao sind wir
Freiwilligen mit einer Familie (drei Brüder) sehr gut befreundet aber das war es dann auch schon. Ich
kenne auch einige aus der Banda, mit denen ich ab und zu was unternehme, aber als Freundeskreis
würde ich das nicht bezeichnen. Ich vermisse bei vielen Gesprächen tiefsinnigere Themen und es ist
schwierig in soziale Kreise zu gelangen, in denen man vielleicht Gesprächspartner kennenlernt. Ich
habe die Vermutung, dass das auch mit dem Umstand zusammen hängt, dass wir in einer Kleinstadt
Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April
leben. Ich weiß dass beispielsweise die Freiwilligen in der Großstadt Santiago mehr Kontakt zu
Dominikanern haben, aber man muss auch sagen, dass sie an einer Universität arbeiten, und damit
einem Umfeld arbeiten, in dem viele gleichaltrige Dominikaner leben.
Trotzdem, ich versuche Möglichkeiten zu nutzen, mit Dominikanern in näheren Kontakt zu kommen,
beispielsweise durch Unternehmungen mit der banda.
Ja, für sechs Seiten braucht man schon zwei Notenständer…ein Foto aus der Orchesterprobe.
Rechts ein Foto mit Daniselle einer dominikanischen Freundin und El Prodigio, dem bekanntesten Merengue típico
Musiker des Landes. Wir haben ein Konzert in Mao besucht.
Das wars - fast….
Ich möchte meinen Bericht beenden mit einigen Erfahrungen und teils besorgten Beobachtungen,
die ich hier in der Dominikanischen Republik gemacht habe und die mich beschäftigen. Ich und auch
die anderen Freiwilligen bekommen eine Diskriminierung der haitianischen bzw, dominikanischen
Bevölkerungsgruppe mit haitianischen Wurzeln mit. Diese Diskriminierung hat verschiedene Motive
und Ursachen und gehört leider zu den alltäglichen Erfahrungen. Mir ist bewusst, dass es ein heikles
Thema ist und ich möchte keine pauschalen Anschuldigungen erheben. Ich möchte euch nur von
meinen Erfahrungen mit diesem Phänomen berichten und meine Ideen dazu erklären.
Wie ihr vielleicht wisst, befindet sich die Dominkanische Republik im östlichen Teil der Insel
Hispaniola und teilt sich die Insel mit Haiti, dem ärmsten Land der westlichen Hemisphäre. Auch
wenn die Dominikanische Republik ein armes Entwicklungsland ist, der Unterschied zu den
Verhältnissen in Haiti ist enorm. Als Orientierung ein kleine Übersicht mit Kennzahlen.
Kennzahl
Bevölkerungdichte (Pers/km²)
BIP (in Mrd. US$)
Lebenserwartung (Frauen bei Geburt)
Säuglingssterblichkeit
(pro 1000 Lebendgeborenen)
Quelle: Statistisches Bundesamt
Deutschland
230
3.636
83,3 Jahre
3
Dominikanische Rep.
213
60,8
76,5 Jahre
23
Haiti
369
8,5
64,6 Jahre
56
Ich könnte jetzt noch zehn weitere Kennzahlen anführen, aber das Bild würde sich nicht ändern. Mir
wurde mal gesagt, für Dominikaner seien die USA das Paradies, für die Haitianer die Dominikanische
Republik. Das ist natürlich zu pauschal gesehen, aber es beschreibt ein durchaus zutreffendes
Phänomen, nämlich dass viele Haitianer die Dominikanische Republik als Ausweg aus Arbeitslosigkeit,
Hunger und Perspektivlosigkeit sehen. In den letzten Jahrzehnten wurden sogar, ähnlich wie in
Westdeutschland damals Gastarbeiter aus dem Nachbarland angeworben. Mit ähnlichen Motiven
Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April
wie ausländische Gastarbeiter nach Deutschland kamen, kommen täglich Haitianer über die Grenze,
die meisten von ihnen illegal. Die Dominikanische Republik hat eine Landgrenze und nicht die
Möglichkeiten einen kilometerlangen Zaun aufzubauen, wie es beispielsweise an der amerikanischmexikanischen Grenze passiert. Hinzu kommt weit verbreitete Korruption, vor der auch
Grenzsoldaten nicht gefeit sind. Die Folge ist eine unkontrollierte illegale Immigration von Haitianern
in die Dominikanische Republik. Soweit die Ausgangssituation.
Es gibt viele Dominikaner die sich mehr oder weniger differenziert über diesen Immigrationsstrom
und generell über los haitianos beschweren. Diese werden verantwortlich gemacht für volle
Krankenhäuser, volle Schulen und natürlich fehlende Arbeitsplätze. Wie woanders auch werden
Haitianer also als Sündenböcke für (eigene) Probleme gemacht.
Aber auch wenn ich nie einer solch pauschalen Aussage „die machen unsere Krankenhäuser voll“
zustimmen würde, ist es natürlich wahr, dass mit einer unkontrollierten illegalen Immigration auch
die vorhandenen Ressourcen knapper werden und Überlastungen im Zielland auftreten.
Was aber das Argument der Arbeitsplätze betrifft, ist es genauso wie in Europa: die Arbeiten, die von
Haitianern gemacht werden, würde kaum ein Dominikaner übernehmen. Konkrete Arbeitsfelder sind
Plantagen (Zucker, Bananen, Kaffee,…), Straßenverkäufer oder das Baugewerbe. Die Dominikaner,
die auf Haitianer schimpfen, ignorieren komplett den Stellenwert der billigen Arbeitskraft für die
dominikanische Wirtschaft. Wenn man ihren Forderungen nach sofortiger Ausweisung aller
(illegalen) Haitianer folgen würde, kollabierten meiner Meinung nach große Teile der
dominikanischen Wirtschaft. Zum momentanen Zeitpunkt würde ich behaupten die Dominikanische
Republik braucht die (illegalen) Haitianer, genauso wie die USA die billigen Arbeitskräfte aus Mexiko
braucht und genauso wie beispielsweise in Südspanien illegal eingereiste Nordafrikaner auf
Orangenplantagen ausgebeutet werden, wovon Europa und auch wir Deutsche profitieren.
Auch wenn einige beschränkte Dominikaner das nicht einsehen möchten und stets nur die vollen
Krankenhäuser bemängeln, der politischen Elite ist dieser Umstand bewusst, und deswegen gibt es
keine effektiven Maßnahmen gegen die illegale Immigration, die meiner Meinung nach nötig wären.
Einerseits, um einen Mindestschutz der im Land lebenden Haitianer vor Ausbeutung im Sinne der
Menschenrechte zu gewährleisten und um auf die Folgen (volle Krankenhäuser, Ghettoisierung,
fehlende Integration, Polizeiwillkür) reagieren zu können. Stattdessen wird dieses Problem ignoriert
und durch Scheinlösungen verschleiert.
Ich hoffe, ihr könnt mir folgen, denn ich möchte gerne noch etwas tiefer in die Thematik einsteigen.
Bis jetzt ist die Problematik, welche der Ursprung vieler diskriminierender Auswüchse ist, noch recht
oberflächlich und generell, also auch anderswo zu finden.
Jetzt kommt aber eine Komponente zur Diskriminierung hinzu, die auf die Geschichte der
Schwesterländer zurückgeht. Dazu ein ganz kleiner Exkurs in die Geschichte.
Nach der Entdeckung der Insel Hispaniola (1492) durch Kolumbus wurde sie zur spanischen Kolonie
Santo Domingo. Im Jahre 1697 wurde der westliche Teil, das heutige Haiti, offiziell französische
Kolonie und wurde Saint Domingue genannt.
Die beiden Kolonien entwickelten sich sehr unterschiedlich. Weil im spanischen Teil die Goldsuche
keine großen Gewinne brachte verließen viele Europäer die Kolonie oder verarmten. Viele Sklaven
wurden freigelassen.
Die französische Kolonie, die hauptsächlich Zuckerrohr produzierte, boomte und war phasenweise
die reichste französische Kolonie auf der Welt. 1795 wurde letztlich sogar der spanische Teil den
Franzosen überlassen.
Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April
Der spanische Teil war nie so bedeutend wie die französische Nachbarkolonie. Als Folge der hohen
Produktivität in Saint Domingue wurden Millionen afrikanische Sklaven als Arbeitskraft
eingeschleppt, sodass viel mehr Afrikaner im französischen Teil lebten als je im spanischen Teil.
Schätzungen besagen, dass zeitweise ca. 90 % der Bevölkerung Saint Domingues Sklaven waren.
1804 schließlich kam es zu einem Novum in der Geschichte. Nach der Französischen Revolution
gelang es den Sklaven in Saint Domingue unter dem Sklavenanführer Toussaint L’Ouverture aufgrund
verschiedener politischer Entwicklungen die französische Besatzungsmacht und die von Napoleon
entsandte Armee zu besiegen. Haiti ist damit die erste schwarze unabhängige Republik der Welt. Aus
Angst vor einer Rückeroberung durch die Franzosen wurden massive Verteidigungsanlangen im
westlichen Teil der Insel errichtet. Auch heute noch kann man die Citadelle Laferrière besichtigen und
ihre enorme Dimensionen bewundern. Frankreich kämpfte jedoch nicht auf konventionellem Wege
gegen ihre ehemalige Kolonie sondern was folgte war ein Handelsembargo, welches auch von den
Vereinigten Staaten eingesetzt wurde. Dieses und immens hohe Entschädigungszahlen an Frankreich
führten zum Einbruch der haitianischen Wirtschaft und bildeten den Anfang des Haitis, welches nun
seit zwei Jahrhunderten das ärmste Land der westlichen Hemisphäre ist.
Nun springen wir aber in das Jahr 1822, denn in diesem Jahr überfiel das nun unabhängige Haiti die
spanische Nachbarkolonie Santo Domingo und brachte sie für zwei Jahrzehnte unter ihre Kontrolle.
Im Jahre 1844 dann folgte La Guerra de la Independencia aus dem letztlich die unabhängige
Dominikanische Republik und deren Nationalheld Juan Pablo Duarte hervorgingen, der ideell als
Befreier des Landes gesehen wird. Soweit zum groben geschichtlichen Verlauf des vorletzten
Jahrhunderts.
Viele Dominikaner nutzen heutzutage den damaligen (1822!!) Überfall auf die spanische Kolonie (die
Dominikanische Republik gab es noch gar nicht!) als Rechtfertigung für ein Schreckensszenario einer
zweiten haitianischen Invasion des dominikanischen Teils der Insel. Mir halbwegs aufgeklärten
Ausländer aber auch vielen Dominikanern erscheint diese Sorge völliger Quatsch, Haiti hat nicht mal
eine Armee. Aber trotzdem, bei einigen patriotischen Dominikanern fallen diese Schreckgespenster
auf fruchtbaren Boden und auch wird Duartes Rolle als Befreier von Haiti, als Antihaitianer stark
hervorgehoben.
Neben diesem abstrusen Argument kommt noch eine rassistische Komponente. Wie schon erwähnt
lebten im französischen Teil viel mehr afrikanisch stämmige Menschen als im spanischen Teil. Hinzu
kommt, dass sich die beiden auf der Insel lebenden ethischen Gruppen (europäische weiße
Plantagenbesitzer und afrikanische schwarze Sklaven) unterschiedlich stark gemischt haben. Es ist
bewiesen, dass es im spanischen Teil der Insel zur Kolonialzeit zu einer signifikant höheren Zahl an
Vergewaltigungen der Sklaven gekommen ist, als im französischen Teil. Die Folge nach zwei
Jahrhunderten ist ein durchschnittlich hellerer Teint der Dominikaner (aufgrund einer stärkeren
Vermischung) im Vergleich zu den Haitianern. Die antihaitianischen Dominikaner sehen sich selbst
entweder als Nachfahren der ethischen Minderheit der spanischen Besatzer oder der (damals so gut
wie komplett ausgerotteten) taínos, den Ureinwohnern. Dass der Großteil der Dominikaner, nämlich
90! Prozent auch afrikanische Vorfahren hat, genauso wie die Haitianer, wird verneint und vehement
abgestritten. Es ist schon stark ironisch, dass sich eine ehemalige besetze Kolonie stolz zu dem
Besatzer gesellt, der ihre Vorfahren und ihr Land ausgebeutet und versklavt hat.
Diese drei Komponenten: 1) die konkreten negativen Folgen der illegalen Immigration für die
Gesellschaft, 2) die historischen Ereignisse (haitianische Besatzung) und letztlich 3) die vermeintlich
rassistischen Unterschiede zwischen den beiden Nationen habe ich als die Grundsteine aller
antihaitianischer Diskriminierung hier erlebt.
Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April
Worauf ich jetzt nicht eingegangen bin, ist die wichtige negative Rolle der dominikanischen
Regierung, welche die Diskriminierung ausnutzt um von Problemen abzulenken. Konkret geht es um
ein im letzten Jahr von der dominikanischen Regierung anerkanntes Gesetz, demnach Dominkanern
haitianischer Abstammung, die hier geboren wurden und denen per Gesetz eine dominikanische
Staatsbürgerschaft zusteht, diese Staatsbürgerschaft wieder aberkannt werden soll. Dieses Gesetz
hat national aber vor allem auch international große Proteste und Kritik hervorgerufen. Die mögliche
Folge einer Durchsetzung dieses Gesetzes könnte hunderttausende Menschen staatenlos machen,
für die es fatale Folgen hätte (Ausgrenzung aus Bildungssystem, Gesundheitssystem, Arbeitsmarkt,…)
Hier eine Zusammenfassung des Gesetzes und deren Folgen von Amnesty International.
http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-289-2013/drohende-staatenlosigkeit
Ein kurzer bewegender Bericht einer betroffenen Dominikanerin haitianischer Abstammung über die
Bedeutung dieses Gesetzes.
http://www.project-syndicate.org/commentary/ethnic-cleansing-in-the-caribbean/german
Eine sehr kurzweilige und interessante Reportage (50 min, englisch) über das dominikanischhaitianische Verhältnis generell.
http://video.pbs.org/video/1877436791/
Bevor ihr jetzt denkt, das Land ist voller Rassisten – so leicht ist es dann (glücklicherweise) nicht! Ich
kenne viele vernünftige Dominikaner, die diese Argumente leicht durchschauen und keine
antihaitianischen Parolen schwingen. Außerdem erlebe ich, dass die dominikanische
Gastfreundschaft im konkreten Fall (Nachbarschaft) Haitianer nicht auslässt. Auch bei uns sehe ich
oft abends einen haitianischen Plantagenarbeiter, der die Reste vom Mittagessen angeboten
bekommt. Ich sehe das Hauptproblem darin, dass es nicht viel Kontakt zwischen den beiden Gruppen
gibt. Es herrschen quasi zwei Parallelgesellschaften und es findet keine Integration der haitianischen
Bevölkerung statt. Auch wenn viele Dominikaner im Einzelfall gute Erfahrungen mit Haitianern
machen, werden diese als Ausnahme gesehen und die Vorurteile bleiben bestehen. Es herrscht große
Unkenntnis, Berührungsängste und in gewisser Weise fehlendes Interesse auf beiden Seiten.
Die Thematik ist sehr komplex und ich habe lange überlegt, ob und wie ich davon berichten kann,
denn ich möchte keine oberflächliche oder eindimensionale Sicht auf die Dinge abgeben. Letztlich
finde ich es aber einen wichtigen Punkt, der ein Teil meiner Erfahrungen hier ist. Ich hoffe, ihr
konntet meinen Ausführungen folgen und habt vielleicht auch etwas aus meinem Bericht gelernt,
denn das kann nie schaden ;) Ich melde mich in circa vier Monaten mit meinem Abschlussbericht
wieder auf diesem Wege. Dazwischen werde ich definitiv noch einige Blogeinträge (und Fotos) auf
http://www.tillinderdom.wordpress.com hochladen. Wenn ihr Fragen habt zu was auch immer,
schreibt mir einfach bei Facebook oder ein Mail oder skyped mich an (tillinderdom)
Vielen Dank für eure
Aufmerksamkeit!
Euer Till!
P.S. Ich komme am 19. August zurück!