2. Quartalsbericht von Till Eichler
Transcrição
2. Quartalsbericht von Till Eichler
Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April Mein Bericht – der Zweite von Dreien Ja, ihr habt Recht, beim letzten Mal waren es noch vier Berichte, aber unsere Organisation hat entschieden, dass drei insgesamt ausreichen, so dass jetzt Bericht Nr. 2 nach sechseinhalb Monaten kommt. Es bleiben für mich noch bis zum 18. August viereinhalb Monate, also weniger als die Hälfte in der Dominikanischen Republik. Für den Bericht habe ich mir folgende Inhalte überlegt: einen relativ kurzen Teil über meine Aufgaben, eine Zusammenfassung, was seit dem letzten Bericht so passiert ist und schließlich einen kleinen Exkurs in die dominikanische Gesellschaft. Meine Arbeit… Grundsätzlich hat sich meine Arbeit etwas verändert seit dem letzten Bericht. Ich bin zwar immer noch an der Website, die leider immer noch nicht fertig ist. Das liegt daran, dass ich die Website komplett umgestellt habe von wordpress auf joomla und joomla jedoch nicht ganz so intuitiv läuft wie gedacht. Das heißt, ich muss mich erst einmal wieder in die Bedienung einarbeiten. Momentan liegt der Fokus meiner Arbeit jedoch auf einem anderen Projekt: Office 365. Schon bei dem Einführungsseminar wurde von den Organisationen und von Ecoselva der Wunsch geäußert, eine gemeinsame Austauschplattform aufzubauen, in der die dominikanischen NGOs ihre Kenntnisse teilen können. Bei dem ZwischenseminarAnfang Februar wurde dieser Wunsch kann in die Tat umgesetzt, in dem Heiner, Vorsitzender von Ecoselva, die Umgebung Microsoft Office 365 vorgestellt hat. Dabei handelt es sich um eine cloudbasierte Office-, Kommunikations- und Austauschplattform. Man kann es sich vorstellen wie Facebook nur intern, also nicht öffentlich, und mit einigen weiteren Funktionen, wie Wikis, Dokumentenablage,… die große Herausforderung ist nur, diese Umgebung und ihre vielseitigen Funktionen zu verstehen und einzusetzen, um schließlich die Freiwilligen und dominikanischen Organisationen heranzuführen. Wenn die Plattform mal etabliert ist, hat sie großes Potential, die Herausforderung ist nur, dahin zu kommen. Via Office 365 kann man den Wissensaustausch verschiedener Partner auf mehreren Ebenen umfassend managen. Meine Aufgabe ist es nun, mich federführend seitens der Freiwilligen um diese Plattform zu kümmern, das heißt Themenwebseiten erstellen und mit Funktionen ausstatten, Lernvideos erstellen, Konfigurationen von Gruppen, Einrichten von Mitgliederkonten,… dafür muss ich mich natürlich selbst erst einmal einarbeiten. José, mein Tutor hat für unsere Organisation Centro Naturaleza die Verantwortung seitens der Organisationen für das nächste halbe Jahr übernommen. Ich denke, wenn wir Ende Juli soweit sind, vier oder fünf Organisationen einzubinden, die sich regelmäßig am Wissensaustausch beteiligen, wäre das ein stabiler Erfolg. Neben dieser Aufgabe beginne ich einen Computer-Crash-Intensiv-Kurs für zwei Kollegen, die großes Interesse aber keine Erfahrungen mit dem Umgang mit PCs haben. Diese Arbeit beginnt nach der Semana Santa (Osterwoche) und ich freue mich sehr darauf. En el campo, draußen auf dem Land war ich leider seit Januar nicht mehr, will aber zukünftig versuchen, wieder öfters mitzukommen, weil es immer wieder eine tolle Erfahrung ist, sich mit dem Bauern zu treffen und ihre Arbeit zu dokumentieren. Das soll es zu meiner Arbeit gewesen sein. Wenn jemand mehr Erfahrungen mit Office 365 oder Joomla hat, kann er oder sie sich gerne bei mir melden. Mir macht meine Arbeit immer noch Spaß und halte sie auch für nachhaltig, was mich besonders freut, da das bei Freiwilligendiensten nicht immer der Fall ist. Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April Was so passiert ist… Seit dem letzten Bericht in Dezember ist viel passiert und gleichzeitig hat sich nicht viel geändert. Ich habe das erste Mal Geburtstag und Weihnachten weg von der Familie gefeiert, was eine … interessante Erfahrung war. Für meinen Geburtstag hatte ich zuerst gar nicht groß was geplant sondern wollte einfach im kleinen Kreis meiner Gastfamilie nachmittags Torte essen. Zwei, drei Tage vor meinem Geburtstag habe ich dann doch meine Meinung geändert und meine Bekannten und Kollegen eingeladen. Der Hauptgrund, weshalb ich dann doch meine Pläne geändert habe waren eigentlich die Kids (meinen Gastnichten und -neffe), denen ich eine Torte und Pizza ermöglichen wollte. Also habe ich eine Torte bestellt, einige Flaschen Bier und Pizza besorgt und mündlich alle eingeladen. Eine typische dominikanische Geburtstagstorte. Es wird meist eine Torte in einer Repostería bestellt. Den Brauch, dass mehrere Kuchen gemacht werden, gibt es hier nicht. Was aber zu einer dominikanischen Feier gehört ist…TANZ! Hier mit Linda, einer Mitfreiwilligen . Am Tag selbst war ich sehr nervös, weil ich überhaupt nicht einschätzen konnte, wer wann kommen wird, ob das Bier und die Pizza reichen werden und so weiter. Letztlich kamen die meisten später als angekündigt, aber es waren trotzdem viele da und es war ein gelungenes kleines Fest. Heilig Abend haben Alexej und ich bei einem Kollegen ein wahres Weihnachtsessen bekommen. Carmela, unsere Gastmutter war leider nicht in Mao, weil sie Bekannte in einem anderen Ort besuchte. Nach dem leckeren und festlichen Weihnachtsessen ging es nochmal in die Tanzbar. Das ist hier in der dominikanischen Kultur so üblich. Ich persönlich finde es aber schöner, den Heiligabend daheim besinnlich zu verbringen und nicht in der Disko abzugehen. Silvester schließlich haben wir Freiwilligen gemeinsam auf der Halbinsel Samaná im Örtchen Las Terrenas verbracht. Das war ein toller Urlaub – Silverster haben wir gegrillt und um Mitternacht ging es ins Meer. Das werde ich so schnell auch nicht mehr haben! Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April Unser Silvesteressen war auch ohne Raclette, Fondue und Co. delicioso! Das rechte Foto zeigt den Salto de Limón, den höchsten Wasserfall des Landes, in dessen Becken wir auch gebadet haben. Der Januar verlief recht ruhig, wieder im Büro ankommen, jedoch nicht soo lange, denn zusammen mit einigen Freiwilligen haben wir die Jule in Paraíso besucht. Das ist im Südwesten des Landes. Die Landschaft und die Strände dort sind total verschieden von denen hier im Norden. Beispielsweise gibt es dort hauptsächlich Kiesstrände und man hat ein traumhaftes Panorama aus dem Wasser direkt auf die bewachsenen Berge. Der Süden ist touristisch nicht erschlossen und daher eine wahres pures dominikanisches Gebiet, fernab von Ressorts und Privatstränden. J a, Ja, es gibt sogar Krokodile in der Dominikanischen Republik und zwar am Lago Enriquillo im Südwesten des Landes. Rechts ein Foto vom Strand San Rafael mit Kiesstrand und wunderschönen Panorama durch die Lage direkt an bewachsenen Hügeln. Zwei Wochen später war ich noch mit einer Gruppe in Montecristi, einem kleinen Örtchen am nordwestlichsten Zipfel der República Dominicana. Auch hier gibt es eine besondere Natur: es ragt ein riesiger Felsen „El Moro“ ins Wasser, ein beeindruckender Anblick. Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April Der Strand in Montecristi ist von diversen steilen Felsen umgeben und ist damit zum Landesinneren hin abgeschirmt. Aber auch historisch hat Montecristi viel zu bieten. Hier wurde von dem Dominikaner Máximo Gómez und dem Exilkubaner Jose Martín das Manifest von Montecristi verfasst, in dem die Notwendigkeit eines unabhängigen Kubas begründet wurde. Durch Gómez war ein Dominikaner der oberste Befehlshaber der Kubanischen Revolutionsarmee, die die spanische Besatzungsmacht bezwang. Das Land hat so viele verschiedene wunderschöne Ecken, so schöne Flecken. Es ist wirklich schade, dass den meisten bei dem Land nur „Pauschalurlaub, Strand und Palmen“ einfallen. – Wenn jemand von euch vorhat demnächst oder auch später einen Urlaub in der Dom zu machen, bitte vorher Empfehlungen einholen! ;) Mitte Februar fand das Zwischenseminar unserer Freiwilligengruppe statt. Dafür haben wir uns vier Tage in einem Tagungszentrum in der Nähe von Santo Domingo getroffen und über unsere Erfahrungen im ersten halben Jahr berichtet. Es war schön, die Geschichten der anderen Freiwilligen zu hören, denn einerseits haben fast alle gewisse Erfahrungen gemacht, andere Erfahrungen waren wiederrum sehr individuell. Im ersten Teil des Seminares waren auch unsere Tutoren anwesend und es wurde die Austauschplattform Office 365 vorgestellt. Außerdem haben wir über Wünsche und Erwartungen an das nächste halbe Jahr gesprochen. Hier mache ich gerade die Einführung in den Themenkomplex Austauschplattform Office 365 auf dem Zwischenseminar. Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April Ende Januar Anfang Februar begann dann die Karnevalsaison. Obwohl die Dominikanische Republik ein katholisches Land ist, gibt es hier keine eindeutige Fastenzeit und man feiert noch bis Mitte März (teilweise noch länger) Karneval. Das läuft so ab, dass in vielen Städten zwei bis vier Wochenenden in Folge Karneval gefeiert wird, wobei die Zeiten sich von Stadt zu Stadt teils überschneiden, teils versetzt liegen. Theoretisch könnte man also eineinhalb Monate rumreisen und jedes Wochenende Karneval feiern. Ich habe den Karneval in Santiago, La Vega (der bekannteste des Landes) und natürlich in Mao gesehen und einige Sachen fielen mir auf. Viele erwarten ja, dass der karibische Karneval dem brasilianischen Karneval ähnlich ist. Meine Erfahrung war, dass es hier wenig Tanzgruppen und noch weniger Musikgruppen gab (was ich sehr schade fand) Stattdessen gibt es einige verkleidete Gruppen (je nach Ort gibt es typische Verkleidungen, beispielsweise in Santiago Masken mit riesigen stacheligen Hörnern, in La Vega riesen große Fratzen) In La Vega kommt hinzu, dass die verkleideten Teilnehmer versuchen, den Besuchern mit aufgeblasenen Luftkissen (aus Rinderdarm oder so?!?) auf den Hintern zu schlagen. Je nachdem, wie fest und wie gut man getroffen wird, tut das ziemlich weh! Das heißt, der Karnevalgang wird zu einem unentspannten, aber äußerst witzigen Spießrutenlauf. Die Kunst ist es, Fotos mit den Fratzen zu bekommen, ohne gleichzeitig oder danach einen Schlag abzubekommen. Die verkleideten Zugteilnehmer: links aus La Vega, wo der bekannteste Karneval des Landes stattfindet. Die rechten beiden Bilder sind aus Santiago, man erkennt deutlich die typischen Merkmale des Santiagoischen Karneval: Peitsche und Hörner. Und ja, auch Kinder laufen schon mit! In Santiago, dem anderen Karneval außerhalb von Mao, den ich besucht habe, tragen die Teilnehmer riesige Peitschen, die sie knallen lassen. Das ist schon etwas unheimlicher. Zwar treffen sie keine Menschen aber man weiß ja nie…eigentlich ein Wunder, dass die anderen Teilnehmer vom Zug nicht getroffen werden. Mitte März war dann der Karneval hier in Mao und das war meiner Meinung nach mit Abstand der beste! Ich kannte mich aus, überall war was los und es war eine super Stimmung. Nach dem Karneval kehrte Ruhe ein. Von März bis Mitte April waren keine größeren Events und jetzt, letzte Woche war Ostern! Die Woche vor Ostern heißt in den lateinamerikanischen Ländern „Semana Santa“ und ist die religiös wichtigste Zeit des Jahres. Und oft, wenn große Festtage gefeiert werden, heißt das hier vor allem eines: Party, Musik, Tanz und Feiern. Daher ist die Semana Santa ab Freitagnacht um 12 in diversen Orten eine einzige Feierei. Es wird sogar am Freitag, an dem Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April Ausschankverbot und Tanzverbot herrscht, nachts um kurz vor 12 ein Countdown gestartet wie an Silvester. Ich habe leider nicht viel mitbekommen von der Party, da ich mit Magen-Darm Problemen im Bett lag. Ich habe mich jedoch schnell erholt, um eine Woche später den Pico Duarte, den höchsten Berg der Karibik zu besteigen. Mit knapp 3100 Metern ist er sogar höher als der höchste Berg Deutschlands. Ein Bericht und viele weitere findet in den nächsten Tagen per Blog auf www.tillinderdom.wordpress.com Der Sonnenaufgang auf der Spitze des Pico Duarte. Mehr Infos über diesen beeindruckenden Trip gibt’s online. Wie es mir geht … Wenn ich ehrlich bin freue ich mich mittlerweile sehr auf das Heimkommen nach Deutschland. Es ist wirklich nicht mehr viel Zeit, die ich hier habe, und ich bin auch nicht unglücklich aber ich denke sehr oft an Deutschland, wie das wird mit Studium und so weiter…sodass ich das Leben hier etwas aus den Augen verliere. Das hat verschiedene Gründe: Einerseits ist mein soziales Umfeld hier aktuell und vor allem die letzten Wochen viel von dem Kontakt mit anderen Freiwilligen geprägt. Wenn wir Freiwilligen unter uns sind, ist es eigentlich wie eine Gruppe „versierter Touristen“ Wir kennen das Land, die Sprache und die Eigenheiten, aber wir haben nicht wirklich was mit den Leuten zu tun. Wir besuchen touristische Regionen, und werden dort aufgrund unseres Aussehens als Touristen wahrgenommen, aber der Kontakt mit Dominikanern bleibt in diesen Zeiten meist beschränkt. Weiterhin finde ich es schwierig Dominikaner als „Freunde“ zu gewinnen. Bei uns in Mao sind wir Freiwilligen mit einer Familie (drei Brüder) sehr gut befreundet aber das war es dann auch schon. Ich kenne auch einige aus der Banda, mit denen ich ab und zu was unternehme, aber als Freundeskreis würde ich das nicht bezeichnen. Ich vermisse bei vielen Gesprächen tiefsinnigere Themen und es ist schwierig in soziale Kreise zu gelangen, in denen man vielleicht Gesprächspartner kennenlernt. Ich habe die Vermutung, dass das auch mit dem Umstand zusammen hängt, dass wir in einer Kleinstadt Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April leben. Ich weiß dass beispielsweise die Freiwilligen in der Großstadt Santiago mehr Kontakt zu Dominikanern haben, aber man muss auch sagen, dass sie an einer Universität arbeiten, und damit einem Umfeld arbeiten, in dem viele gleichaltrige Dominikaner leben. Trotzdem, ich versuche Möglichkeiten zu nutzen, mit Dominikanern in näheren Kontakt zu kommen, beispielsweise durch Unternehmungen mit der banda. Ja, für sechs Seiten braucht man schon zwei Notenständer…ein Foto aus der Orchesterprobe. Rechts ein Foto mit Daniselle einer dominikanischen Freundin und El Prodigio, dem bekanntesten Merengue típico Musiker des Landes. Wir haben ein Konzert in Mao besucht. Das wars - fast…. Ich möchte meinen Bericht beenden mit einigen Erfahrungen und teils besorgten Beobachtungen, die ich hier in der Dominikanischen Republik gemacht habe und die mich beschäftigen. Ich und auch die anderen Freiwilligen bekommen eine Diskriminierung der haitianischen bzw, dominikanischen Bevölkerungsgruppe mit haitianischen Wurzeln mit. Diese Diskriminierung hat verschiedene Motive und Ursachen und gehört leider zu den alltäglichen Erfahrungen. Mir ist bewusst, dass es ein heikles Thema ist und ich möchte keine pauschalen Anschuldigungen erheben. Ich möchte euch nur von meinen Erfahrungen mit diesem Phänomen berichten und meine Ideen dazu erklären. Wie ihr vielleicht wisst, befindet sich die Dominkanische Republik im östlichen Teil der Insel Hispaniola und teilt sich die Insel mit Haiti, dem ärmsten Land der westlichen Hemisphäre. Auch wenn die Dominikanische Republik ein armes Entwicklungsland ist, der Unterschied zu den Verhältnissen in Haiti ist enorm. Als Orientierung ein kleine Übersicht mit Kennzahlen. Kennzahl Bevölkerungdichte (Pers/km²) BIP (in Mrd. US$) Lebenserwartung (Frauen bei Geburt) Säuglingssterblichkeit (pro 1000 Lebendgeborenen) Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland 230 3.636 83,3 Jahre 3 Dominikanische Rep. 213 60,8 76,5 Jahre 23 Haiti 369 8,5 64,6 Jahre 56 Ich könnte jetzt noch zehn weitere Kennzahlen anführen, aber das Bild würde sich nicht ändern. Mir wurde mal gesagt, für Dominikaner seien die USA das Paradies, für die Haitianer die Dominikanische Republik. Das ist natürlich zu pauschal gesehen, aber es beschreibt ein durchaus zutreffendes Phänomen, nämlich dass viele Haitianer die Dominikanische Republik als Ausweg aus Arbeitslosigkeit, Hunger und Perspektivlosigkeit sehen. In den letzten Jahrzehnten wurden sogar, ähnlich wie in Westdeutschland damals Gastarbeiter aus dem Nachbarland angeworben. Mit ähnlichen Motiven Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April wie ausländische Gastarbeiter nach Deutschland kamen, kommen täglich Haitianer über die Grenze, die meisten von ihnen illegal. Die Dominikanische Republik hat eine Landgrenze und nicht die Möglichkeiten einen kilometerlangen Zaun aufzubauen, wie es beispielsweise an der amerikanischmexikanischen Grenze passiert. Hinzu kommt weit verbreitete Korruption, vor der auch Grenzsoldaten nicht gefeit sind. Die Folge ist eine unkontrollierte illegale Immigration von Haitianern in die Dominikanische Republik. Soweit die Ausgangssituation. Es gibt viele Dominikaner die sich mehr oder weniger differenziert über diesen Immigrationsstrom und generell über los haitianos beschweren. Diese werden verantwortlich gemacht für volle Krankenhäuser, volle Schulen und natürlich fehlende Arbeitsplätze. Wie woanders auch werden Haitianer also als Sündenböcke für (eigene) Probleme gemacht. Aber auch wenn ich nie einer solch pauschalen Aussage „die machen unsere Krankenhäuser voll“ zustimmen würde, ist es natürlich wahr, dass mit einer unkontrollierten illegalen Immigration auch die vorhandenen Ressourcen knapper werden und Überlastungen im Zielland auftreten. Was aber das Argument der Arbeitsplätze betrifft, ist es genauso wie in Europa: die Arbeiten, die von Haitianern gemacht werden, würde kaum ein Dominikaner übernehmen. Konkrete Arbeitsfelder sind Plantagen (Zucker, Bananen, Kaffee,…), Straßenverkäufer oder das Baugewerbe. Die Dominikaner, die auf Haitianer schimpfen, ignorieren komplett den Stellenwert der billigen Arbeitskraft für die dominikanische Wirtschaft. Wenn man ihren Forderungen nach sofortiger Ausweisung aller (illegalen) Haitianer folgen würde, kollabierten meiner Meinung nach große Teile der dominikanischen Wirtschaft. Zum momentanen Zeitpunkt würde ich behaupten die Dominikanische Republik braucht die (illegalen) Haitianer, genauso wie die USA die billigen Arbeitskräfte aus Mexiko braucht und genauso wie beispielsweise in Südspanien illegal eingereiste Nordafrikaner auf Orangenplantagen ausgebeutet werden, wovon Europa und auch wir Deutsche profitieren. Auch wenn einige beschränkte Dominikaner das nicht einsehen möchten und stets nur die vollen Krankenhäuser bemängeln, der politischen Elite ist dieser Umstand bewusst, und deswegen gibt es keine effektiven Maßnahmen gegen die illegale Immigration, die meiner Meinung nach nötig wären. Einerseits, um einen Mindestschutz der im Land lebenden Haitianer vor Ausbeutung im Sinne der Menschenrechte zu gewährleisten und um auf die Folgen (volle Krankenhäuser, Ghettoisierung, fehlende Integration, Polizeiwillkür) reagieren zu können. Stattdessen wird dieses Problem ignoriert und durch Scheinlösungen verschleiert. Ich hoffe, ihr könnt mir folgen, denn ich möchte gerne noch etwas tiefer in die Thematik einsteigen. Bis jetzt ist die Problematik, welche der Ursprung vieler diskriminierender Auswüchse ist, noch recht oberflächlich und generell, also auch anderswo zu finden. Jetzt kommt aber eine Komponente zur Diskriminierung hinzu, die auf die Geschichte der Schwesterländer zurückgeht. Dazu ein ganz kleiner Exkurs in die Geschichte. Nach der Entdeckung der Insel Hispaniola (1492) durch Kolumbus wurde sie zur spanischen Kolonie Santo Domingo. Im Jahre 1697 wurde der westliche Teil, das heutige Haiti, offiziell französische Kolonie und wurde Saint Domingue genannt. Die beiden Kolonien entwickelten sich sehr unterschiedlich. Weil im spanischen Teil die Goldsuche keine großen Gewinne brachte verließen viele Europäer die Kolonie oder verarmten. Viele Sklaven wurden freigelassen. Die französische Kolonie, die hauptsächlich Zuckerrohr produzierte, boomte und war phasenweise die reichste französische Kolonie auf der Welt. 1795 wurde letztlich sogar der spanische Teil den Franzosen überlassen. Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April Der spanische Teil war nie so bedeutend wie die französische Nachbarkolonie. Als Folge der hohen Produktivität in Saint Domingue wurden Millionen afrikanische Sklaven als Arbeitskraft eingeschleppt, sodass viel mehr Afrikaner im französischen Teil lebten als je im spanischen Teil. Schätzungen besagen, dass zeitweise ca. 90 % der Bevölkerung Saint Domingues Sklaven waren. 1804 schließlich kam es zu einem Novum in der Geschichte. Nach der Französischen Revolution gelang es den Sklaven in Saint Domingue unter dem Sklavenanführer Toussaint L’Ouverture aufgrund verschiedener politischer Entwicklungen die französische Besatzungsmacht und die von Napoleon entsandte Armee zu besiegen. Haiti ist damit die erste schwarze unabhängige Republik der Welt. Aus Angst vor einer Rückeroberung durch die Franzosen wurden massive Verteidigungsanlangen im westlichen Teil der Insel errichtet. Auch heute noch kann man die Citadelle Laferrière besichtigen und ihre enorme Dimensionen bewundern. Frankreich kämpfte jedoch nicht auf konventionellem Wege gegen ihre ehemalige Kolonie sondern was folgte war ein Handelsembargo, welches auch von den Vereinigten Staaten eingesetzt wurde. Dieses und immens hohe Entschädigungszahlen an Frankreich führten zum Einbruch der haitianischen Wirtschaft und bildeten den Anfang des Haitis, welches nun seit zwei Jahrhunderten das ärmste Land der westlichen Hemisphäre ist. Nun springen wir aber in das Jahr 1822, denn in diesem Jahr überfiel das nun unabhängige Haiti die spanische Nachbarkolonie Santo Domingo und brachte sie für zwei Jahrzehnte unter ihre Kontrolle. Im Jahre 1844 dann folgte La Guerra de la Independencia aus dem letztlich die unabhängige Dominikanische Republik und deren Nationalheld Juan Pablo Duarte hervorgingen, der ideell als Befreier des Landes gesehen wird. Soweit zum groben geschichtlichen Verlauf des vorletzten Jahrhunderts. Viele Dominikaner nutzen heutzutage den damaligen (1822!!) Überfall auf die spanische Kolonie (die Dominikanische Republik gab es noch gar nicht!) als Rechtfertigung für ein Schreckensszenario einer zweiten haitianischen Invasion des dominikanischen Teils der Insel. Mir halbwegs aufgeklärten Ausländer aber auch vielen Dominikanern erscheint diese Sorge völliger Quatsch, Haiti hat nicht mal eine Armee. Aber trotzdem, bei einigen patriotischen Dominikanern fallen diese Schreckgespenster auf fruchtbaren Boden und auch wird Duartes Rolle als Befreier von Haiti, als Antihaitianer stark hervorgehoben. Neben diesem abstrusen Argument kommt noch eine rassistische Komponente. Wie schon erwähnt lebten im französischen Teil viel mehr afrikanisch stämmige Menschen als im spanischen Teil. Hinzu kommt, dass sich die beiden auf der Insel lebenden ethischen Gruppen (europäische weiße Plantagenbesitzer und afrikanische schwarze Sklaven) unterschiedlich stark gemischt haben. Es ist bewiesen, dass es im spanischen Teil der Insel zur Kolonialzeit zu einer signifikant höheren Zahl an Vergewaltigungen der Sklaven gekommen ist, als im französischen Teil. Die Folge nach zwei Jahrhunderten ist ein durchschnittlich hellerer Teint der Dominikaner (aufgrund einer stärkeren Vermischung) im Vergleich zu den Haitianern. Die antihaitianischen Dominikaner sehen sich selbst entweder als Nachfahren der ethischen Minderheit der spanischen Besatzer oder der (damals so gut wie komplett ausgerotteten) taínos, den Ureinwohnern. Dass der Großteil der Dominikaner, nämlich 90! Prozent auch afrikanische Vorfahren hat, genauso wie die Haitianer, wird verneint und vehement abgestritten. Es ist schon stark ironisch, dass sich eine ehemalige besetze Kolonie stolz zu dem Besatzer gesellt, der ihre Vorfahren und ihr Land ausgebeutet und versklavt hat. Diese drei Komponenten: 1) die konkreten negativen Folgen der illegalen Immigration für die Gesellschaft, 2) die historischen Ereignisse (haitianische Besatzung) und letztlich 3) die vermeintlich rassistischen Unterschiede zwischen den beiden Nationen habe ich als die Grundsteine aller antihaitianischer Diskriminierung hier erlebt. Till Eichler – Bericht Nr. 2 Dezember – Anfang April Worauf ich jetzt nicht eingegangen bin, ist die wichtige negative Rolle der dominikanischen Regierung, welche die Diskriminierung ausnutzt um von Problemen abzulenken. Konkret geht es um ein im letzten Jahr von der dominikanischen Regierung anerkanntes Gesetz, demnach Dominkanern haitianischer Abstammung, die hier geboren wurden und denen per Gesetz eine dominikanische Staatsbürgerschaft zusteht, diese Staatsbürgerschaft wieder aberkannt werden soll. Dieses Gesetz hat national aber vor allem auch international große Proteste und Kritik hervorgerufen. Die mögliche Folge einer Durchsetzung dieses Gesetzes könnte hunderttausende Menschen staatenlos machen, für die es fatale Folgen hätte (Ausgrenzung aus Bildungssystem, Gesundheitssystem, Arbeitsmarkt,…) Hier eine Zusammenfassung des Gesetzes und deren Folgen von Amnesty International. http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-289-2013/drohende-staatenlosigkeit Ein kurzer bewegender Bericht einer betroffenen Dominikanerin haitianischer Abstammung über die Bedeutung dieses Gesetzes. http://www.project-syndicate.org/commentary/ethnic-cleansing-in-the-caribbean/german Eine sehr kurzweilige und interessante Reportage (50 min, englisch) über das dominikanischhaitianische Verhältnis generell. http://video.pbs.org/video/1877436791/ Bevor ihr jetzt denkt, das Land ist voller Rassisten – so leicht ist es dann (glücklicherweise) nicht! Ich kenne viele vernünftige Dominikaner, die diese Argumente leicht durchschauen und keine antihaitianischen Parolen schwingen. Außerdem erlebe ich, dass die dominikanische Gastfreundschaft im konkreten Fall (Nachbarschaft) Haitianer nicht auslässt. Auch bei uns sehe ich oft abends einen haitianischen Plantagenarbeiter, der die Reste vom Mittagessen angeboten bekommt. Ich sehe das Hauptproblem darin, dass es nicht viel Kontakt zwischen den beiden Gruppen gibt. Es herrschen quasi zwei Parallelgesellschaften und es findet keine Integration der haitianischen Bevölkerung statt. Auch wenn viele Dominikaner im Einzelfall gute Erfahrungen mit Haitianern machen, werden diese als Ausnahme gesehen und die Vorurteile bleiben bestehen. Es herrscht große Unkenntnis, Berührungsängste und in gewisser Weise fehlendes Interesse auf beiden Seiten. Die Thematik ist sehr komplex und ich habe lange überlegt, ob und wie ich davon berichten kann, denn ich möchte keine oberflächliche oder eindimensionale Sicht auf die Dinge abgeben. Letztlich finde ich es aber einen wichtigen Punkt, der ein Teil meiner Erfahrungen hier ist. Ich hoffe, ihr konntet meinen Ausführungen folgen und habt vielleicht auch etwas aus meinem Bericht gelernt, denn das kann nie schaden ;) Ich melde mich in circa vier Monaten mit meinem Abschlussbericht wieder auf diesem Wege. Dazwischen werde ich definitiv noch einige Blogeinträge (und Fotos) auf http://www.tillinderdom.wordpress.com hochladen. Wenn ihr Fragen habt zu was auch immer, schreibt mir einfach bei Facebook oder ein Mail oder skyped mich an (tillinderdom) Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Euer Till! P.S. Ich komme am 19. August zurück!