Lösungsvorschlag 1 - Lehrstuhl für Öffentliches Recht

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Lösungsvorschlag 1 - Lehrstuhl für Öffentliches Recht
Wintersemester 2014/15
AG Allgemeines Verwaltungsrecht
Emma Harms
LÖSUNGSVORSCHLAG 4. FALL - WIE GEWONNEN SO ZERRONNEN
A. Zulässigkeit ............................................................................................................................................. 3
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges ........................................................................................ 3
1. Aufdrängende Sonderzuweisung................................................................................................ 3
2. Generalklausel § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ................................................................................... 3
a) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit ........................................................................................... 3
b) nicht verfassungsrechtlicher Art (+) ..................................................................................... 4
c) abdrängende Sonderzuweisung (-) ........................................................................................ 4
II. Statthafte Klageart ............................................................................................................................. 4
III. Klagebefugnis ................................................................................................................................... 4
IV. Ordnungsgemäßes Vorverfahren .................................................................................................. 4
V. Klagefrist ............................................................................................................................................ 5
VI. Richtiger Klagegegner .................................................................................................................... 5
VII. Beteiligten- und Prozessfähigkeit ............................................................................................... 5
VIII. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis ......................................................................................... 5
IX. Ergebnis der Zulässigkeit ............................................................................................................... 5
B. Begründetheit .......................................................................................................................................... 5
I. Ermächtigungsgrundlage ................................................................................................................... 5
1. Anwendbarkeit des LVwG .......................................................................................................... 5
2. Vorliegen eines Verwaltungsakts ............................................................................................... 6
II. Formelle Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung .......................................................... 6
III. Materielle Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung ...................................................... 6
1. Tatbestandsvoraussetzungen ....................................................................................................... 6
a) Rechtswidrigkeit des Subventionsbescheides nach innerstaatlichem Recht ................ 6
b) Rechtswidrigkeit des Subventionsbescheides nach Gemeinschaftsrecht ...................... 7
aa) Formell ................................................................................................................................. 7
bb) Materiell ............................................................................................................................... 7
2. Rechtsfolge ..................................................................................................................................... 7
a) Begünstigender Verwaltungsakt nach § 116 Abs. 1 S. 2 LVwG .................................... 7
b) Vertrauensschutz des U nach § 116 Abs. 2 LVwG ........................................................... 8
aa) Einmalige oder laufende Geldleistung ........................................................................... 8
bb) Tatsächliches Vertrauen des U ........................................................................................ 8
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Fall 4
Wintersemester 2014/15
AG Allgemeines Verwaltungsrecht
Emma Harms
cc) Schutzwürdigkeit des Vertrauens des U ........................................................................ 8
(1) Ausschluss der Schutzwürdigkeit gem. § 116 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 LVwG ............ 8
(2) Ausschluss der Schutzwürdigkeit gem. § 116 Abs. 2 S. 1 a.E. LVwG .............. 9
dd) Zwischenergebnis .............................................................................................................. 9
c) Einhaltung der Rücknahmefrist nach § 116 Abs. 4 S. 1 LVwG ..................................... 9
d) Ausübung des Rücknahmeermessens im Übrigen ........................................................... 10
3. Zwischenergebnis ........................................................................................................................ 10
IV. Ergebnis der Begründetheit ......................................................................................................... 10
C. Gesamtergebnis .................................................................................................................................... 10
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Fall 4
Wintersemester 2014/15
AG Allgemeines Verwaltungsrecht
Emma Harms
Fall 4
Gutachten:
Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges
1. Aufdrängende Sonderzuweisung
-
besondere gesetzliche Vorschrift, die Streitigkeit den Verwaltungsgerichten zuweist (-)
2. Generalklausel § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO
a) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
Was ist Streitgegenstand?
hier: Streit um Rechtmäßigkeit der Subventionsaufhebung
Welches ist die streitentscheidende Norm?
-
§§ 116, 117 LVwG
Gehört die streitentscheidende Norm dem öffentlichen Recht an?
-
Aufhebung auf der Grundlage der §§ 116, 117 LVwG

actus-contrarius-Gedanke
(auch
Kehrseiten-Theorie):
öffentlich-rechtliche
Streitigkeit, wenn Grundverwaltungsakt (hier: Subventionsbescheid) öffentlich-rechtlich
war
(P) Subvention als solche im Rahmen eines zivilrechtlichen Darlehensvertrages ausgezahlt,
daher Streitigkeit nach § 13 GVG (ordentlicher Rechtsweg)?
 Zweistufentheorie
-
1. Stufe = „Ob“, d.h. Entscheidung über Vergabe der Subvention, stets öffentlichrechtlich, i.d.R. durch Verwaltungsakt
-
2. Stufe = „Wie“, d.h. Abwicklung der Subvention, in der Regel über zivilrechtlichen
Vertrag wie Bürgschaft oder Darlehen
Hinweis: Ähnliche Bedeutung hat die Zweistufentheorie, wenn es um den Zugang zu bzw. die
Benutzung von öffentlichen Einrichtungen geht. In einem solchen Fall hat die eigentliche
Zulassungsentscheidung immer öffentlich-rechtlichen Charakter und muss daher ggf. vor den
Verwaltungsgerichten angegriffen werden. Die Ausgestaltung der Benutzung kann auf der
zweiten Stufe in öffentlich-rechtlicher Weise (Regelung des Benutzungsverhältnisses durch
Satzung) oder zivilrechtlich (Regelung des Benutzungsverhältnisses durch AGB) erfolgen.
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Emma Harms
Fall 4
hier: Frage nach Aufhebung des Bescheides betrifft Entscheidung über das „Ob“ der Zahlung
daher: öffentlich-rechtliche Streitigkeit (+)
b) nicht verfassungsrechtlicher Art (+)
c) abdrängende Sonderzuweisung (-)
II. Statthafte Klageart
-
Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO statthaft, wenn Aufhebung der
Subventionsbewilligung belastender Verwaltungsakt i.S.d. § 106 Abs. 1 LVwG
-
VA = hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem
Gebiete des öffentlichen Rechts trifft, und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen
gerichtet ist.
hier:
-
auch hier ist der actus contrarius-Gedanke anwendbar: wenn die Subventionsbewilligung
ein VA ist, dann ist ihre Aufhebung gleicher Natur  VA (+)
-
belastend (+) konkreter Entzug der zunächst gewährten Begünstigung mit unmittelbarer
Wirkung
daher: Anfechtungsklage (+)
III. Klagebefugnis
-
Möglichkeit der Rechtsverletzung gem. § 42 Abs. 2 VwGO
-
Möglichkeitstheorie = aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich zumindest die Möglichkeit
einer Verletzung subjektiver Rechte
hier: Adressatengedanke
-
als Adressat des Aufhebungsbescheids zumindest Verletzung der allgemeinen
Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG möglich, daneben mögliche Rechtsverletzung
durch Entziehung eines sog. öffentlich-rechtlichen Besitzstandes (= subjektives
öffentliches Recht), welcher zuvor durch Bewilligungsbescheid eingeräumt worden war
daher: Klagebefugnis (+)
IV. Ordnungsgemäßes Vorverfahren
-
bei
Anfechtungsklage
grundsätzlich
Vorverfahren
gem.
§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO
erforderlich
-
Entbehrlichkeit gem. § 68 I S. 2 VwGO
hier: Entbehrlichkeit wegen Erlass des streitigen VAs durch Landesregierung
 Landesregierung = oberste Landesbehörde gem. §§ 4, 5 I 1. Alt. LVwG
 § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO (+)
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Fall 4
V. Klagefrist
-
Einmonatige Klagefrist gem. § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO durch sofortige Klageerhebung
gewahrt
VI. Richtiger Klagegegner
-
§ 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 6 S. 2 AG VwGO SH: Behördenprinzip
-
Landesregierung als erlassende oberste Landesbehörde (§ 5 I LVwG)
richtiger
Klagegegner
VII. Beteiligten- und Prozessfähigkeit
-
U als natürliche Person gem. § 61 Nr. 1, 1. Alt. VwGO beteiligten- und gem.
§ 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO prozessfähig
-
Landesregierung als oberste Landesbehörde beteiligtenfähig gem. § 61 Nr. 3 VwGO
i.V.m. § 6 S. 1 AG VwGO SH und prozessfähig durch Vertreter gem. § 62 Abs. 3 VwGO
(Ministerpräsident gem. § 2 GO Landesreg. SH)
VIII. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
-
(+)
IX. Ergebnis der Zulässigkeit
-
Anfechtungsklage des U zulässig
B. Begründetheit
Die Anfechtungsklage des U ist begründet, soweit der Aufhebungsbescheid rechtswidrig ist
und der U in seinen subjektiven Rechten verletzt ist.
I. Ermächtigungsgrundlage
-
Aufhebung der Bewilligung könnte nach Maßgabe der §§ 116 f. LVwG erfolgt sein
-
Voraussetzungen: Anwendbarkeit des LVwG statt VwVfG und Charakter der
Bewilligungsentscheidung als Verwaltungsakt
1. Anwendbarkeit des LVwG
-
gem. § 1 Abs. 1 LVwG Anwendbarkeit bei öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit der
schleswig-holsteinischen Behörden
hier: Verwaltungstätigkeit der schleswig-holsteinischen Landesregierung
(P) unmittelbarer Zusammenhang der Aufhebung mit Gemeinschaftsrecht, insb. Forderungen
der Kommission, daher Anwendbarkeit vorrangigen Gemeinschaftsrechts?
Lösung: in Art. 108 Abs. 2 AEUV nur Regelung, dass ggf. Aufhebung/Umgestaltung zu
erfolgen hat, aber keine Aussage zu maßgeblichem Verfahrensrecht, (noch) kein
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Fall 4
Vorhandensein eines gemeinschaftsrechtlichen Verwaltungsverfahrensrechts, daher Rückgriff
auf nationales Verfahrensrecht für die Umsetzung der Kommissionsentscheidung erforderlich
Beachte:
u.U.
gemeinschaftsrechtskonforme
Auslegung
der
Verfahrensregelungen
erforderlich!
daher: Anwendbarkeit des LVwG (+)
2. Vorliegen eines Verwaltungsakts
-
Bewilligungsentscheidung als hoheitliche Einräumung eines unmittelbaren rechtlichen
Vorteils im Einzelfall
daher: Verwaltungsakt i.S.d. § 106 Abs. 1 LVwG (+)
II. Formelle Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung
-
Zuständigkeit: Landesregierung (+)
-
Verfahren: Anhörung des U gem. § 87 Abs. 1 LVwG (+)
-
Formvorschriften: allgemeine Vorschriften (+), Begründung (+), Bekanntgabe (+)
III. Materielle Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung
1. Tatbestandsvoraussetzungen
Hinweis: In der Falllösung ist es sehr wichtig, sauber zwischen der behördlichen Aufhebung
nach § 116 und § 117 LVwG zu unterscheiden: Während § 116 LVwG einen rechtswidrigen
Verwaltungsakt
voraussetzt,
kommt
bei
einem
rechtmäßigen
Verwaltungsakt
nur
§ 117 LVwG für seine Aufhebung in Betracht. Je nach Anhaltspunkten im Sachverhalt bietet
es sich an, mit § 116 LVwG zu beginnen und den Ausgangsverwaltungsakt (ggf. in gebotener
Kürze) auf seine Rechtswidrigkeit hin zu untersuchen. Wird diese verneint, prüft man im
Anschluss, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 117 LVwG vorliegen.
a) Rechtswidrigkeit des Subventionsbescheides nach innerstaatlichem Recht
-
mögliche Rechtswidrigkeit wegen fehlender gesetzlicher Grundlage für die Vergabe der
Subvention (= Verstoß gegen Vorbehalt des Gesetzes)
(P) Weite des Gesetzesvorbehalts in Subventionsfällen umstritten
1. Ansicht: Erforderlichkeit einer konkreten gesetzlichen Grundlage (Gesetzesvorbehalt) für
jegliches Handeln aller Staatsorgane, auch bei Begünstigungen
- Pro: Gefahr der Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten nicht begünstigter Konkurrenten,
vergleichbare Qualität einer Nichtgewährung mit einem klassischen Grundrechtseingriff
hier: in SH kein Investitionshilfegesetz
 Verstoß gegen strengen Gesetzesvorbehalt (+)
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Fall 4
2. Ansicht: im Falle von begünstigendem Handeln, insb. Subventionsvergabe, keine konkrete
gesetzliche Grundlage erforderlich, sofern ausreichende parlamentarische Willensäußerung
gegeben (Parlamentsvorbehalt)
-
Pro:
Gesetzesvorbehalt
kein
Selbstzweck,
Schutz
vor
ungerechtfertigter
Ungleichbehandlung/staatlicher Willkür bereits durch allgemeinen Gleichheitssatz
hier: Festschreibung der Mittel für Subventionierung im Haushaltsplan (= hinreichende
parlamentarische
Willensäußerung)
und
Sicherstellung
gerechter
Verteilung
durch
Subventionsrichtlinien
Verstoß gegen Gesetzesvorbehalt in Form des Parlamentsvorbehalts (-)
-
Stellungnahme erforderlich, beide Ansichten vertretbar
Hinweis: Wer sich für die strengere Ansicht entscheidet und damit bereits Rechtswidrigkeit
nach nationalem Recht bejaht, muss dennoch wegen des umfassenden Charakters des
Rechtsgutachtens auch die Vereinbarkeit der Subvention mit Gemeinschaftsrecht prüfen.
b) Rechtswidrigkeit des Subventionsbescheides nach Gemeinschaftsrecht
-
auch Gemeinschaftsrechtswidrigkeit erfüllt Voraussetzung für § 116 LVwG
-
Hintergrund: Vorrang des Gemeinschaftsrechts
aa) Formell
-
fehlende Anzeige des Darlehens durch die Regierung bei der Kommission = Verstoß
gegen Notifizierungspflicht aus Art. 108 Abs. 3 AEUV
bb) Materiell
-
Unvereinbarkeit mit Art. 107 AEUV
 festgestellt durch verbindliche Entscheidung der Kommission (Art. 288 Abs. 4 AEUV)
-
weder die BRD noch U haben irgendwelche Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung
ergriffen, daher ist sie bestandskräftig bzw. unanfechtbar gem. Art. 263 Abs. 6 AEUV
geworden
2. Rechtsfolge
-
Ermessen über Rücknahmeentscheidung, besondere Determinierung (= Lenkung) des
Ermessens im Rahmen begünstigender Verwaltungsakte
a) Begünstigender Verwaltungsakt nach § 116 Abs. 1 S. 2 LVwG
= Begründung eines Rechts oder eines rechtlich erheblichen Vorteils
hier: Bewilligung eines zinsvergünstigten Darlehens, Anspruch auf Abschluss des
Darlehensvertrages bzw. Auszahlung der Darlehenssumme
daher: Beschränkungen des Ermessens gem. § 116 Abs. 2 und 4 LVwG
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b) Vertrauensschutz des U nach § 116 Abs. 2 LVwG
aa) Einmalige oder laufende Geldleistung
-
(+) 2,5 Mio. € Darlehen (langfristig rückzahlbar)
bb) Tatsächliches Vertrauen des U
-
äußert sich insbesondere durch Dispositionen in Anbetracht des maßgeblichen
Verwaltungsaktes
hier: Verwendung des gewährten Darlehens zur Sanierung des Unternehmens
cc) Schutzwürdigkeit des Vertrauens des U
-
§ 116 Abs. 2 S. 2 LVwG – Vertrauen i.d.R. schutzwürdig, wenn Leistungen verbraucht
oder schwer rückgängig zu machende Dispositionen getroffen wurden
hier: (+), s.o.
(1) Ausschluss der Schutzwürdigkeit gem. § 116 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 LVwG
-
aber möglicherweise Ausschluss der Schutzwürdigkeit: § 116 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 LVwG
 wegen Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des
Subventionsbescheides
-
bzgl. der Kenntnis ist auf den Zeitpunkt des Leistungsverbrauchs abzustellen
hier: positive Kenntnis von Gemeinschaftsrechtswidrigkeit erst ab Zustellung der
Entscheidung der Europäischen Kommission vom 5.5.2003, z.Z. des Verbrauchs (-)
-
grobe Fahrlässigkeit = Außerachtlassung der im Verkehr gebotenen Sorgfalt in besonders
eklatanter Weise
-
EuGH: sorgfältige Wirtschaftsunternehmen müssen sich davon überzeugen, dass
Notifizierungsverfahren von staatlicher Stelle ordnungsgemäß durchgeführt wurde
 Contra: letztlich Verkehrung des Vertrauensschutzgrundsatzes ins Gegenteil, Bürger
als „Wächter“ der Verwaltung
 Pro: in einschlägigen Wirtschaftskreisen hinreichende Bekanntheit der
Notifizierungspflicht bei Beihilfen, umfangreiche und umfänglich bekannte
Rechtsprechung des EuGH zu diesem Themenkreis
hier: U führt Unternehmen mit 500 Angestellten, d.h. es kann davon ausgegangen werden,
dass er jedenfalls laienhaft mit den einschlägigen Anforderungen für Beihilfen vertraut ist
daher: Ausschluss der Schutzwürdigkeit des H (+)
Hinweis: An dieser Stelle ist ein anderes Ergebnis gut vertretbar, insbesondere, wenn man
einen größeren Schwerpunkt der Argumentation auf die Abgrenzung „einfacher“ von
„grober“ Fahrlässigkeit legt und zumindest letztere verneint.
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Fall 4
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Fall 4
(2) Ausschluss der Schutzwürdigkeit gem. § 116 Abs. 2 S. 1 a.E. LVwG
-
darüber hinaus denkbar: Entfallen der Schutzwürdigkeit des Vertrauens in Abwägung mit
dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme gem. § 116 Abs. 2 S. 1 a.E. LVwG
= sog. atypischer Fall, wenn besonders qualifiziertes öffentliches Interesse an der Rücknahme
besteht
hier:
besonderes
Interesse
an
der
praktischen
Wirksamkeit
des
europäischen
Gemeinschaftsrechts (= effet utile), Art. 4 Abs. 3 AEUV = nationales Recht darf die
Durchsetzung des materiellen Gemeinschaftsrechts nicht beeinträchtigen bzw. gar unmöglich
machen
-
europarechtskonforme Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes „öffentliches
Interesse“ geboten
hier: mit Nichtdurchführung der Notifikation wird entscheidendes Instrument zur
Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt, daher kann Vertrauen in eine auf
diesem Wege gewährte auch materiell rechtswidrige Beihilfengewährung das öffentliche
Interesse nicht überwiegen und muss somit zurückstehen
dd) Zwischenergebnis
daher: Vertrauensschutz des U nach § 116 Abs. 2 LVwG insgesamt (-)
c) Einhaltung der Rücknahmefrist nach § 116 Abs. 4 S. 1 LVwG
-
§ 116 Abs. 4 S. 1 LVwG besonderer zeitlicher Schutz gegen Rücknahmeentscheidung =
1 Jahr seit Zeitpunkt der Kenntnisnahme von Tatsachen, die Rücknahme rechtfertigen
(P) Welcher Zeitpunkt für Kenntnis maßgeblich
1. Ansicht: Kenntnis erster relevanter Tatsachen für evtl. Rechtswidrigkeit
 Bearbeitungsfrist
hier: Kommissionsentscheidung vom 5.5.2003
2. Ansicht: Kenntnis aller für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen
 Entscheidungsfrist
hier: spätestens mit Bestandskraft der Kommissionsentscheidung nach 2 Monaten, d.h.
Anfang Juli 2003
 Stellungnahme entbehrlich, da Rücknahme jedenfalls am 15.12.2005 verfristet
-
aber: möglicher Widerspruch mit effet utile-Grundsatz (s.o.), wenn Mitgliedstaat durch
lange eigene Untätigkeit die Anforderungen des Gemeinschaftsrechts umgehen könnte;
weiterhin hätte U seit der Entscheidung der Kommission ohnehin jederzeit mit Aufhebung
rechnen müssen
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Fall 4
daher: keine Berufung auf Fristenregelung durch U möglich
Hinweis: Wegen seines klaren Wortlautes ist § 116 Abs. 4 S. 1 LVwG – anders als etwa
§ 116 Abs. 2 S. 1 LVwG – einer zunächst vorzunehmenden gemeinschaftskonformen
Auslegung nicht zugänglich. Letztlich wird daher § 116 Abs. 4 S. 1 LVwG nicht angewendet;
die Entscheidung der Kommission über die Aufhebungsverpflichtung Deutschlands geht dem
innerstaatlichen Verwaltungsverfahrensrecht vor.
d) Ausübung des Rücknahmeermessens im Übrigen
-
Ermessen der Behörde über Rücknahme durch bindende Kommissionsentscheidung auf
Null
reduziert,
d.h.
Durchführung
der
Rücknahme
als
einzig
rechtmäßige
Handlungsalternative
3. Zwischenergebnis
-
Rücknahme materiell rechtmäßig
IV. Ergebnis der Begründetheit
-
Klage des U unbegründet
C. Gesamtergebnis
-
Klage hat keine Aussicht auf Erfolg.
Hinweis: Der Fall war Gegenstand einer Übungsklausur von PD Dr. Martin Nolte. Er basiert
auf der Alcan-Entscheidung des EuGH, abgedruckt in NVwZ 1998, 45 ff. Er ist als
anspruchsvoll einzuordnen, hat jedoch als „Klassiker“ hohe Relevanz in Übungsklausuren
bzw. im Examen. Soweit der Fall europarechtliche Fragestellungen aufwirft, sind diese noch
als Pflicht-Prüfungsstoff gedeckt von den Anforderungen der JAVO in den Kernbereichen des
öffentlichen Rechts (vgl. § 3 Abs. 5 Nr. 6 JAVO).
Eine ausformulierte Falllösung findet sich bei Seidel/Reimer/Möstl, Allgemeines
Verwaltungsrecht, 2. Auflage, 2005, Fall 2, S. 19 ff. oder bei Schütz/Dibelius, Die
verkonsumierte Subvention, JURA 1998, 427 ff.
Ausführlich zu Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten Krausnick, Grundfälle zu
§§ 48, 49 VwVfG, JuS 2010, 594 ff., 681 ff. und 778 ff.
Zur Nacharbeit:
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Widerruf und Rücknahme  Folie 13 und Fall 4 dringend nacharbeiten!!!
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Zur Vorbereitung:
- (nochmal) Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff:
 Detterbeck: § 8 S. 98-124; Maurer: § 7
- Klagegegner: bei uns in SH bes. SUV (Zulässigkeitsvoraussetzung)
 Detterbeck: Rn. 1333-1343
 Hufen: § 12 Rn. 28 – 40
-
Wiederaufgreifen des Verfahrens:
 Detterbeck: Rn. 766-774
 Maurer: § 11 Rn. 54-66
-
Verpflichtungsklageschema ansehen
 Detterbeck: Rn. 1420 Übersicht 39
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Fall 4

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