Last oder Lust? - frauenaerztinnen-friedrich
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Prof. Kurt Starke und Prof. Hans-Joachim Ahrendt Last oder Lust? Sexualität in der Postmenopause 216 mm FG0514/2009.05 (verwendbar bis 05/2011) 256 mm Mit freundlicher Unterstützung von 10 Last oder Lust? Sexualität in der Postmenopause Der exklusive Ratgeber von Prof. Kurt Starke und Prof. Hans-Joachim Ahrendt 216 mm 256 mm 216 mm 10 216 mm Vorsatzblatt & Schmutztitel Last oder Lust? Sexualität in der Postmenopause TEIL 1:Postmenopause und Sexualität Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Prof. Kurt Starke TEIL 2: Sexualstörungen in der Peri- und Postmenopause Wissen und Unterstützung für die tägliche Praxis von Prof. Hans-Joachim Ahrendt Zum Geleit Die beiden Teile dieser Handreichung sind nur äußerlich geschieden. Innerlich gehören sie zusammen und ergänzen sich, eben wie zwei Hände oder Hand in Hand. Das trifft auch auf uns Autoren zu. Wir kennen uns schon sehr lange. Der eine, der sexuologisch ambitionierte Mediziner, hat seine Habilarbeit über Jugendsexualität geschrieben, und der andere, der sexualmedizinisch interessierte Jugendforscher, hat dieses empirisch angelegte Vorhaben an seinem Forschungsinstitut unterstützt. Wir gehörten beide der interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft Sexualität an, die von der Leipziger Medizinprofessorin Lykke Aresin, Gründerin der ersten Ehe- und Sexualberatungsstelle, geleitet wurde. Aus dieser Arbeitsgemeinschaft entstand die Gesellschaft für Sexualwissenschaft, in deren Vorstand wir lange Jahre zusammengearbeitet haben. Wir waren gemeinsam auf Konferenzen und Weiterbildungsveranstaltungen aktiv und gestalteten auch diese oder jene Fernseh- oder Funksendung und manches andere gemeinsam. Die fachliche Kompe tenz des anderen achtend, gingen wir stets davon aus, dass es sich lohnt, furchtlos über den Rand der eigenen Disziplin hinauszuschauen und die Erkenntnisse des anderen zu nutzen und zu stützen. Wir freuen uns darüber, dass wir dem Wunsch von Kollegen nachkommen können, wesentliche Ergebnisse der Studie aus sexualwissenschaftlicher Sicht zu dokumentieren und damit verbundene Erkenntnisse aus sexualmedizintheoretischer und Erfahrungen aus medizinpraktischer Sicht mitzuteilen. Anerkennung verdient Jenapharm, das das ungewöhnliche Projekt in Gang gebracht hat. Dankbar sind wir allen Mitwirkenden: Der eine den befragten Frauen, die offen und ehrlich über sich Auskunft gegeben haben. Der andere bedankt sich vor allem bei den Patientinnen, von denen immer zu lernen ist und denen letztlich die Konsequenzen zugutekommen sollen. Bei aller Ernsthaftigkeit des Anliegens wäre es schön, wenn das Lesen wenigstens ab und an vergnüglich wäre. Das würde dann auch unserer Auffassung von Sexualität entsprechen. Kurt Starke Hans-Joachim Ahrendt Prof. Dr. habil. Kurt Starke Prof. Dr. med. Hans-Joachim Ahrendt Prof. Dr. habil. Kurt Starke, Jg. 1938, studierte in Leipzig und promovierte über öffentliche Meinung. 1967 wechselte er zum eben gegründeten Zentralinstitut für Jugendforschung Leipzig. Er leitete die Abteilung Studentenforschung und die Abteilung Partner- und Sexualforschung und war Forschungsdirektor. Nach Schließung des Instituts 1990 gründete er die Forschungsstelle Partner- und Sexualforschung Leipzig. Er war Gründungsvorsitzender der Gesellschaft für Sexualwissenschaft Leipzig und der Gesellschaft für Jugend- und Sozialforschung Leipzig. 1981 war er von der Humboldt-Universität zu Berlin, an der er sich 1977 habilitiert hatte, zum Professor für Soziologie berufen worden. Seit 1987 ist er Full member der International Academy of Sex Research und der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung. Leiter Praxis für Frauenheilkunde, Klinische Forschung und Weiterbildung Seit 1972 hat Kurt Starke empirische Untersuchungen zu Liebe, Partnerschaft und Sexualität unter mehr als 80.000 Personen beiderlei Geschlechts und verschiedener Generationen in Ost und West durchgeführt, meist in nationaler oder internationaler Kooperation, insbesondere mit dem Institut für Sexualforschung der Universität Hamburg. Aus seiner Feder stammen zahlreiche wissenschaftliche und populäre Publikationen, zuletzt die Bücher „Mehr Lust an der Lust. Ein Ratgeber nicht nur fürs Bett“, „Nichts als die reine Liebe. Beziehungsbiographien und Sexualität im sozialen und psychologischen Wandel: Ost-West-Unterschiede“ und (gemeinsam mit Gunter Schmidt, Silja Matthiesen und Arne Dekker) „Spätmoderne Beziehungswelten. Report über Partnerschaft und Sexualität in drei Generationen.“ Das „Lexikon der Erotik“ (mit Lykke Aresin) erschien in mehreren Auflagen und auch im Ausland. Der Soziologe und Sexualwissenschaftler ist in den Medien präsent, als Kolumnist, Interviewpartner und Experte. Bei MDR 1 Radio Sachsen ist er seit 1994 14-täglich in seiner Sendung „Liebe, Liebe …“ zu hören. Kurt Starke ist seit 51 Jahren verheiratet, seine Frau, PD Dr. habil. Uta Starke, lehrt am Institut für Soziologie der Universität Leipzig. Sie haben drei Kinder und drei Enkel und wohnen in Zeuckritz bei Leipzig. Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit Praxis und Tagesklinik Lehrauftrag an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-GuerickeUniversität Magdeburg Prof. Ahrendt arbeitet als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in eigener Praxis mit Tagesklinik. Seine Schwerpunkte sind die gynäkologische Endokrinologie und Sexualmedizin. Neben dem unmittelbar klinischen Arbeitsbereich gehört zur Praxis auch eine Abteilung für Klinische Forschung und Weiterbildung. Das Medizinstudium absolvierte er an der Medizinischen Akademie (jetzt Otto-vonGuericke-Universität) in Magdeburg. Danach arbeitete er 20 Jahre an der UniversitätsFrauenklinik in Magdeburg. Dort machte er seine Facharztausbildung, Promotion und Habilitation. Sein fachliches und wissenschaftliches Interesse galt seit jeher der hormonalen Kontrazeption, der Endokrinologie und Sexualmedizin. Seine Habilita tionsschrift beschäftigte sich mit dem Sexualverhalten und der Kontrazeption von Teenagern. Er war Mitbegründer der Teenager-Sprechstunden in der Gynäkologie und hat dazu auch sehr viel populärwissenschaftliche Arbeit in Schulen und Medien geleistet. In dieser Zeit etablierte er auch sexualmedizinische Aus- und Weiterbildungen in der Frauenheilkunde und hat dazu einen Lehrauftrag an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg. In seiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt er sich einerseits mit soziologischen Studien zum sozialen, sexuellen und kontrazeptiven Verhalten und andererseits mit klinischen Studien insbesondere zur Entwicklung von hormonalen Kontrazeptiva, zur Hormonersatztherapie, zur nichthormonellen Behandlung des klimakterischen Syndroms, zu Störungen der sexuellen Lust u. Ä. Zu diesen Themen hat er mehr als 100 wissenschaftliche und allgemeine Publikationen verfasst und weit über 400 wissenschaftliche Vorträge auf Fachtagungen und Kongressen gehalten. Prof. Ahrendt ist stellvertretender Landesvorsitzender Sachsen-Anhalt des Berufsverbandes der Frauenärzte e. V. Prof. Dr. habil. Kurt Starke Prof. Dr. med. Hans-Joachim Ahrendt Prof. Dr. habil. Kurt Starke, Jg. 1938, studierte in Leipzig und promovierte über öffentliche Meinung. 1967 wechselte er zum eben gegründeten Zentralinstitut für Jugendforschung Leipzig. Er leitete die Abteilung Studentenforschung und die Abteilung Partner- und Sexualforschung und war Forschungsdirektor. Nach Schließung des Instituts 1990 gründete er die Forschungsstelle Partner- und Sexualforschung Leipzig. Er war Gründungsvorsitzender der Gesellschaft für Sexualwissenschaft Leipzig und der Gesellschaft für Jugend- und Sozialforschung Leipzig. 1981 war er von der Humboldt-Universität zu Berlin, an der er sich 1977 habilitiert hatte, zum Professor für Soziologie berufen worden. Seit 1987 ist er Full member der International Academy of Sex Research und der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung. Leiter Praxis für Frauenheilkunde, Klinische Forschung und Weiterbildung Seit 1972 hat Kurt Starke empirische Untersuchungen zu Liebe, Partnerschaft und Sexualität unter mehr als 80.000 Personen beiderlei Geschlechts und verschiedener Generationen in Ost und West durchgeführt, meist in nationaler oder internationaler Kooperation, insbesondere mit dem Institut für Sexualforschung der Universität Hamburg. Aus seiner Feder stammen zahlreiche wissenschaftliche und populäre Publikationen, zuletzt die Bücher „Mehr Lust an der Lust. Ein Ratgeber nicht nur fürs Bett“, „Nichts als die reine Liebe. Beziehungsbiographien und Sexualität im sozialen und psychologischen Wandel: Ost-West-Unterschiede“ und (gemeinsam mit Gunter Schmidt, Silja Matthiesen und Arne Dekker) „Spätmoderne Beziehungswelten. Report über Partnerschaft und Sexualität in drei Generationen.“ Das „Lexikon der Erotik“ (mit Lykke Aresin) erschien in mehreren Auflagen und auch im Ausland. Der Soziologe und Sexualwissenschaftler ist in den Medien präsent, als Kolumnist, Interviewpartner und Experte. Bei MDR 1 Radio Sachsen ist er seit 1994 14-täglich in seiner Sendung „Liebe, Liebe …“ zu hören. Kurt Starke ist seit 51 Jahren verheiratet, seine Frau, PD Dr. habil. Uta Starke, lehrt am Institut für Soziologie der Universität Leipzig. Sie haben drei Kinder und drei Enkel und wohnen in Zeuckritz bei Leipzig. Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit Praxis und Tagesklinik Lehrauftrag an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-GuerickeUniversität Magdeburg Prof. Ahrendt arbeitet als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in eigener Praxis mit Tagesklinik. Seine Schwerpunkte sind die gynäkologische Endokrinologie und Sexualmedizin. Neben dem unmittelbar klinischen Arbeitsbereich gehört zur Praxis auch eine Abteilung für Klinische Forschung und Weiterbildung. Das Medizinstudium absolvierte er an der Medizinischen Akademie (jetzt Otto-vonGuericke-Universität) in Magdeburg. Danach arbeitete er 20 Jahre an der UniversitätsFrauenklinik in Magdeburg. Dort machte er seine Facharztausbildung, Promotion und Habilitation. Sein fachliches und wissenschaftliches Interesse galt seit jeher der hormonalen Kontrazeption, der Endokrinologie und Sexualmedizin. Seine Habilita tionsschrift beschäftigte sich mit dem Sexualverhalten und der Kontrazeption von Teenagern. Er war Mitbegründer der Teenager-Sprechstunden in der Gynäkologie und hat dazu auch sehr viel populärwissenschaftliche Arbeit in Schulen und Medien geleistet. In dieser Zeit etablierte er auch sexualmedizinische Aus- und Weiterbildungen in der Frauenheilkunde und hat dazu einen Lehrauftrag an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg. In seiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt er sich einerseits mit soziologischen Studien zum sozialen, sexuellen und kontrazeptiven Verhalten und andererseits mit klinischen Studien insbesondere zur Entwicklung von hormonalen Kontrazeptiva, zur Hormonersatztherapie, zur nichthormonellen Behandlung des klimakterischen Syndroms, zu Störungen der sexuellen Lust u. Ä. Zu diesen Themen hat er mehr als 100 wissenschaftliche und allgemeine Publikationen verfasst und weit über 400 wissenschaftliche Vorträge auf Fachtagungen und Kongressen gehalten. Prof. Ahrendt ist stellvertretender Landesvorsitzender Sachsen-Anhalt des Berufsverbandes der Frauenärzte e. V. TEIL 1: Postmenopause und Sexualität Ergebnisse einer repräsentativen Befragung v o n P r o f . Ku r t S t a r k e Postmenopause und Sexualität Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Prof. Kurt Starke Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von 1040 Frauen im Alter von 50 bis 60 Jahren Stichwortverzeichnis Familienstand Figur Fremdgehen Funktionen der Sexualität Gefühl, begehrt zu werden Geschlechtsverkehr Gesundheitszustand Häufigkeit von Geschlechtsverkehr Hormone Humor Keine Lust auf Sex Koituspartner Körpergewicht Kuss Langzeitbeziehungen Lebenszufriedenheit Liebe Orgasmusraten Seite 21 Seite 20 Seite 23 Seite 11 Seite 20 Seite 10 Seite 14 Seite 12 Seite 10 Seite 19 Seite 15 Seite 26 Seite 20 Seite 10 Seite 22 Seite 19 Seite 23 Seite 13 Partnermobilität Partnerstand: feste Beziehung Partnerstand: keine feste Beziehung Potenzschwierigkeiten Selbstbewusste Generation Selbstbildtest Selbstwertgefühl Sexuelles Verlangen Sinnlich Stellenwert des Sexuellen Wohlbefinden und sexuelle Aktivität Wohlfühlen in der Beziehung Wünsche und Hoffnungen Zärtlichkeit Seite 25 Seite 21 Seite 24 Seite 15 Seite 17 Seite 17 Seite 19 Seite 18 Seite 18 Seite 10 Seite 14 Seite 22 Seite 26 Seite 15 Rund 5 Millionen 50- bis 60-jährige Frauen leben in Deutschland. Sie stellen eine bedeutende Altersgruppe der Bevölkerung dar. Das wird sich in den nächsten Jahrzehnten zunächst noch verstärken. Diese Frauenkohorte ist nicht nur quantitativ von Bedeutung, sondern sie hat qualitative Besonderheiten, zum einen als Altersgruppe auf Grund des höheren Alters und der Postmenopause, zum anderen als Generation. Sie ist unter ganz anderen gesellschaftlichen und familiären Bedingungen sozialisiert worden als ihre Eltern und wurde mit den Werten und Normen der Nachkriegszeit und der beiden deutschen Staaten konfrontiert, auch in Bezug auf Partnerschaft und Sexualität. Für diese Generation waren die sexuelle Liberalisierung in den 70er Jahren und die emanzipatorischen Prozesse selbstverständliche Zeiterscheinungen, die zu ihrem jetzigen Selbstbild beigetragen haben. von den Medien nicht geliebt wird, scheint sie liebesunfähig. Weil sie in die Wechseljahre gekommen ist, scheint ihr Alltag von unverwechselbaren Leiden beherrscht zu sein. Weil Anmut, Glanz und Schönheit mit 50+ nicht dieselben sind wie mit 15+, erscheint dieser Lebensabschnitt traditionell als defizitär. Dem folgenden Text liegen Ergebnisse der empirischen Studie „Postmenopause und Sexualität“ unter 1040 Frauen zu Grunde. Die anonyme schriftliche postalische Befragung wurde im TPI Panel von TNS Infratest per standardisiertem Fragebogen vom 20. Mai bis zum 21. Juni 2007 vom TestPanel-Institut Wetzlar/TNS Healthcare GmbH, München, durchgeführt. Die Rücklaufquote betrug 70,3 %. Fragebogen und Forschungsbericht: Kurt Starke. Die Untersuchung ist repräsentativ für Frauen in Deutschland im Alter von 50 bis 60 Jahren (nur deutsche Staatsbürgerschaft). Die Forschung hat sich bisher kaum für diese Frauen und für dieses Alter interessiert. Komplexe sexualwissenschaftliche Studien sind kaum zu finden, gleich gar nicht solche mit inhaltlichen Aspekten wie Postmenopause, Selbstbild, Körperlichkeit, Gesundheit und Hormontherapie. Stattdessen bestehen Vorurteile über das Sexualleben der Frauen dieses Alters. Sie reichen von sexueller Hyperaktivität bis zu sexueller Verödung, von der lustigen Witwe bis zum lustlosen Neutrum. Weil sie ihre Fertilität verloren hat, scheint sie als Frau verloren. Weil sie ihre Jugend hinter sich hat, scheint sie ihr Leben hinter sich zu haben. Weil sie 8 Frauen jenseits der letzten Regelblutung wird gern nachgesagt, sie verlören schnell die Lust am Sexuellen. „Der Augen Feuer weichet, die Brunst wird Eis.“ So heißt es in einem Gedicht von Martin Opitz vor 380 Jahren. Diese Frauen, so wird angenommen, sähen sich selbst nicht mehr als Sexualwesen. Sie wären keine sinnlichen, liebesfähigen Frauen mehr und, von Leiden aller Art geplagt, untauglich fürs Küssen und Kosen. 9 Wann haben Sie das letzte Mal „richtig“ geküsst? Abbildung 1 80 % 60 % 80 % in fester Beziehung 70 % 70 % Singles 60 % 50 % 50 % 40 % 40 % 30 % 30 % 10 % 22 % 0% 6% in der letzten Woche 6% in den letzten vier Wochen 16 % 9% vor über einem Jahr in fester Beziehung Singles 51 % 26 % 20 % 13 % 10 % 1% 2% im letzten Jahr 76 % 70 % 55 % 20 % Wann hatten Sie den letzten Geschlechtsverkehr? Abbildung 2 0% noch nie Dem ist keineswegs so. Für die meisten Frauen liegt der letzte „richtige“ Kuss nicht länger als eine Woche zurück. Das ist freilich nur für Frauen in fester Beziehung so. Für 70 % der Singles liegt der letzte „richtige“ Kuss über ein Jahr zurück. Bei den Partnergebundenen sind es 13 % (Abbildung 1). Die Frauen dieser Altersgruppe sind eine Kussgeneration und haben das Küssen weder in der Ehe oder in einer anderen Beziehung noch mit zunehmendem Alter ganz aufgegeben oder verlernt. Genauso ist es mit dem Geschlechtsverkehr. 51 % der Partnergebundenen (6 % der Singles) hatten in der letzten Woche Geschlechtsverkehr und weitere 26 % in den letzten vier Wochen (Abbildung 2). 6% 6% in der letzten Woche in den letzten vier Wochen 10 % 12 % 13 % im letzten Jahr vor über einem Jahr noch nie Die Beziehung wird zwar als idealer und geschützter Raum auch für Sexualität geschätzt. Aber Sexualität gilt nicht oder nur augenblickhaft als die Hauptsache einer Beziehung. Sie ist eingebettet in das Insgesamt der Lebensaktivitäten des Paares. Das schließt nicht aus, dass das Sexuelle die schönsten Gefühle auslösen und zu den größten Glücksmomenten im Leben führen kann, nicht nur im Stadium des Verliebtseins, das temporär alles überflutet, oder in einer spontanen Begegnung, sondern auch in der Vertrautheit der langen Liebe. die noch nie Hormone genommen haben, und häufiger als Abbrecherinnen die Sexualität als „sehr wichtig“ für ihre Beziehung. Das deutet darauf hin, dass bei einer HRT-Überlegung der Stellenwert des Sexuellen nicht ohne Bedeutung ist. Generell messen HRT-Verwenderinnen dem Sexuellen einen größeren Stellenwert zu als Nichtverwenderinnen. Sie haben häufiger sexuelles Verlangen. Sie sind sexuell aktiver und haben mehr davon. Sie finden Sexualität etwas häufiger belebend als Frauen, die keine Hormone nehmen (Abbildung 4). Der Unterschied ist zwar nicht übergroß, aber doch deutlich, und zwar bei allen Parametern zur Sexualität. Abbildung 4 Sexualität als „eher belebend“ 60 % 55 % 50 % 43 % 39 % 40 % 30 % 20 % 10 % 0% HRT-Patientinnen HRT-Aussteigerinnen HRT-Neutrale in den Vordergrund gerückt. Mittels des Sexuellen wird eine Intimität hergestellt und eine Vertrautheit gewünscht, werden Nähe, Wärme und Geborgenheit gesucht, die anders so nicht zu finden sind und die die Isoliertheit zweier Individuen aufheben. Das ist schon in jungen Jahren wichtig und gewinnt mit zunehmendem Alter eher noch an Bedeutung. Freilich finden sich auch Frauen zwischen 50 und 60, die körperlich genug von ihrem Mann oder von Männern haben, die körperliche Berührungen scheuen, die Erotisches in ihrem Alter als unpassend betrachten, die den Sex der Not gehorchend ad acta legen und dem eigenen Triebe entsagen. Aber sie sind die Ausnahme, und selten die glückliche. Funktionen der Sexualität. Sexuelles bedeutet für nur wenige Frauen Pflicht und Stress, für die allermeisten aber Lebensfreude, Lust, körperliches Vergnügen und vor allem Zärtlichkeit und Nähe (Abbildung 5). In dem sexuellen Miteinander sehen sie ihre Weiblichkeit bestätigt und fühlen sich begehrt. Das Sexualverhalten auf Triebbefriedigung und Orgasmus zu reduzieren, widerspricht den vielfältigen Funktionen der menschlichen Sexualität. Sie wird mit Liebe und Zärtlichkeit assoziiert. Die Intimfunktion oder Nähefunktion ist Frauen, die im Zusammenhang mit den Wechseljahren Hormone nehmen, bezeichnen häufiger als Frauen, Stellenwert des Sexuellen. Wie wichtig ist Sexualität für die Frauen zwischen 50 und 60? Nur ganz wenige Frauen meinen, die Sexualität sei für die Liebesbeziehung unwichtig (Abbildung 3). Sie wird aber auch nicht als das Absolute betrachtet, nicht als das Einzige, was zählt. Diese Relativierung findet sich nicht nur in dieser Altersgruppe, sondern auch bei Jüngeren (Schmidt, 2000; Starke, 2005). Partnerschaftliche Sexualität gehört für Frauen und Männer sehr wohl zu den invarianten Elementen der Liebesbeziehung. Sie ist aber nicht allein das, was die Beziehung zusammenhält. Abbildung 5 Abbildung 3 Wie wichtig ist die Sexualität gegenwärtig für Ihre Beziehung? 60 % 41 % 40 % 0% 10 10 % 46 % 45 % sehr wichtig wichtig weniger wichtig überhaupt nicht wichtig 40 % 50 % 60 % 48 % 32 % 57 % 64 % 28 % 58 % 24 % Lebensfreude 54 % 23 % Pflicht 4% Stress 3% 7% 70 % 48 % 23 % Bestätigung meiner Weiblichkeit 9% 30 % Zärtlichkeit Lust 11 % 20 % der geliebten Person nah sein körperliches Vergnügen 39 % 30 % 10 % 0% begehrt werden 50 % 20 % Sexualität bedeutet für mich … 52 % 7% Pos. 1: trifft voll und ganz zu 11 Pos. 2: trifft zu 80 % 90 % 100 % Geschlechtsverkehr in der letzten Woche Abbildung 6 80 % 8 70 % 7 61 % 60 % 28 % 3 20 % 20 % 3 4 5 0 6 nicht Glückliche Das Verlangen nach sexuellem Austausch und die Häufigkeit von Geschlechtsverkehr sind je nach Temperament und Laune und den aktuellen Befindlichkeiten von vielen Bedingungen abhängig. Frauen mit hohem Selbstwertgefühl haben häufiger Geschlechtsverkehr als Frauen mit niedrigem Selbstwertgefühl, Mütter etwas häufiger als Nichtmütter. Glückliche sind sexuell erheblich reger als nicht Glückliche (und umgekehrt) (Abbildung 6). Frauen, die ihren Partner sehr lieben – und das sind die meisten (Abbildung 31), haben im Durchschnitt 6,2-mal Geschlechtsverkehr im Monat, diejenigen, die ihn nur etwas lieben, aber Abbildung 8 1,5-mal 1 5% 2 2,5-mal 2 10 % 1 sehr Glückliche 4,4-mal 4 30 % 7 6,2-mal 5 38 % 40 % 8 Partner wird geliebt … 6 52 % 50 % 0% Monatliche Koitushäufigkeit nach Liebe Abbildung 7 über alle Maßen sehr etwas überhaupt nicht nur 2,5-mal (Abbildung 7). Eine gute Beziehung zu haben und sich in ihr wohl zu fühlen, ist die wichtigste Bedingung für sexuelle Aktivität und bleibt es auch in den meist langen Beziehungen in diesem Alter. Freilich lassen mit zunehmendem Alter Koitusfrequenz und sexuelles Verlangen etwas nach. Beides ist zu Beginn der Beziehung am größten, vor allem in den ersten beiden Jahren, und sinkt nach fünf bis zehn Jahren, um sich dann auf einem bestimmten und individuell sehr unterschiedlichen Niveau zu stabilisieren (Abbildung 8, 9). Ganz geht die Lust auch nach 20 oder 40 Ehejahren nicht verloren, in gewisser Hinsicht Koitusfrequenz nach Beziehungsdauer (Gesamtgruppe) Sexuelles Verlangen nach Beziehungsdauer Abbildung 9 50 % 6,5-mal im Monat sogar im Gegenteil: Ältere Frauen in Langzeitbeziehungen kommen häufiger zum Orgasmus als jüngere in kürzeren Beziehungen. Sie haben zwar nach und nach etwas seltener Verkehr (aber immer noch weit häufiger als Singlefrauen, auch als die ganz jungen). Aber ihre sexuelle Reaktionsfähigkeit schwindet keineswegs dahin. Genau drei Viertel der befragten Frauen (75 %) sagen, dass sie beim jüngsten Mal zum Orgasmus gelangt sind, 59 % einmal und 16 % mehrmals (Abbildung 10). Frauen mit hohem Selbstwertgefühl kommen häufiger zum Orgasmus als andere, Frauen, die gern und oft küssen, häufiger als Frauen, die weniger gern küssen. Ein allgemeiner Zusammenhang findet sich in unserem Material zwischen der Orgasmusrate und dem Sichrundum-glücklich-Fühlen. Von den glücklichen Frauen hatten 87 % beim letzten Mal (mindestens) einen Orgasmus, von den weniger oder nicht glücklichen nur 58 %. Die Orgasmusraten liegen bei den Frauen 50+ über dem Durchschnitt. Der Orgasmus wird mit der Dauer der Beziehung (und dem Alter) eher stabiler. Dafür spricht auch der hohe Anteil an Mehrfachorgasmen. Von herausragender Bedeutung ist das emotionale Verhältnis zum Partner. Bei sehr großer Liebe steigt die Orgasmusrate auf 86 % (und die der Mehrfachorgasmen auf 23 %). Singles haben eine etwas niedrigere Orgasmusrate, vor allem dann, wenn der Partner nicht gerade die große Liebe oder nicht gut bekannt ist. Neben der Qualität der Beziehung der beiden Geschlechtspartner spielen selbstverständlich die Einstellung zur Sexualität und die orgastische Potenz der jeweiligen Frau eine Rolle. Sinnliche und genussfähige Die meisten Frauen zwischen 50 und 60 identifizieren sich mit der Häufigkeit koitaler Kontakte. Für 70 % war die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs im letzten Monat „gerade richtig“, nur für 6 % war es „eher zu oft“ (Abbildung 11). Ein „eher zu oft“ in Partnerbeziehungen ist selten, auch weil diese Frauen nicht dazu neigen, dem Verlangen des Mannes nachzugeben, wenn sie selber nicht wollen. Dagegen bewertet ein Viertel der befragten Frauen (24 %) die reale Koitusfrequenz als „eher zu selten“. Dass Frauen von 50 bis 60 sexuell mehr wollen, als sie haben, auch in Form von Geschlechtsverkehr, gehört zu den beeindruckenden Ergebnissen unserer Studie. Das wird durch einen weiteren, etwas differenzierteren Befund bestätigt. Nur Abbildung 10 Sind Sie während des letzten sexuellen Zusammenseins zum Orgasmus gekommen? 32 % 5 30 % 4,6 4 4,5 3,6 3 4,2 25 % 31 % 20 % 2 22 % ja, einmal 59 % nein 25 % eher zu oft 6 % ja, mehrmals 16 % 10 % 1–10 Jahre 11–20 Jahre 21–30 Jahre 31–35 Jahre 0% mehr als 35 Jahre 12 1–10 Jahre 11–20 Jahre 21–30 Jahre 31–35 Jahre eher zu selten 24 % gerade richtig 70 % 1 0 War die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs für Sie … 45 % 40 % 6 Abbildung 11 mehr als 35 Jahre 13 Abbildung 12 Zufriedenheit mit der Häufigkeit von Geschlechtsverkehr 70 % 58 % 57 % 60 % 7 in fester Beziehung 6 Singles 50 % 5 40 % 4 23 % 30 % 20 % 10 % 0% 16 % sehr zufrieden 3 16 % zufrieden Gesundheitszustand … in fester Beziehung 5,7 Singles 4,5 4,2 2,7 2,2 selten mindert das dann auch die Beschwerden. Ein Beispiel dafür ist in unserer Studie die Schlaflosigkeit – nach Gelenk- und Muskelbeschwerden und noch vor Hitzewallungen und Schwitzen das zweithäufigste Gesundheitsproblem in den Wechseljahren: Sexuell aktive Frauen leiden deutlich weniger oder überhaupt nicht unter Schlafstörungen. Abbildung 15 weniger zufrieden 8% 1 0 überhaupt nicht zufrieden 0,6 0,6 0,0 sehr gut gut weniger gut überhaupt nicht gut sondern beschreibt auch im Selbstverständnis der befragten Frauen eine Balance zwischen physischen, psychischen und sozialen Faktoren, zu denen signifikant Liebe und Sexualität gehören. 14 % sind mit der Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs in ihrer Beziehung sehr zufrieden, weitere 51% zufrieden und 35 % weniger oder überhaupt nicht zufrieden – darunter auch einige von den Frauen, die in den letzten vier Wochen mehr als achtmal Geschlechtsverkehr hatten (Abbildung 12). Noch weit größer ist freilich das Defiziterleben bei den Frauen ohne feste Beziehung. Beim statistischen Zusammenhang zwischen Wohlbefinden und sexueller Aktivität ist daher eine intervenierende Variable von besonderer Bedeutung: der Partnerstand. In guten Partnerbeziehungen kommt auch bei nicht so gutem Gesundheitszustand die sexuelle Aktivität nicht zum Erliegen, die gesundheitlichen Probleme werden in der Partnerschaft aufgefangen. Nicht so in einer schlechten oder bei gar keiner Beziehung (Abbildung 13). Generell bestätigt sich die alte Erkenntnis: Wer sich gesund fühlt, ist sexuell aktiver, und wer sexuell aktiv ist, fühlt sich gesünder (und ist es auch), gerade mit zunehmendem Alter (Abbildung 14). Allerdings finden sich auch Ausnahmen: Manche Frauen sind zwar kerngesund und haben Lust – aber sie haben keinen Partner oder nicht den richtigen. Oder: Manche Frauen haben zwar allerlei Lust, aber nicht auf Sex und fühlen sich trotzdem gesund und zufrieden. Oder: Manche Frauen haben zwar Beschwerden, aber trotzdem sexuelles Verlangen und einen lieben Partner –, und so schlafen sie miteinander. Nicht Zu den Faktoren, die das Sexualleben beeinflussen, gehört selbstverständlich der Gesundheitszustand. Rund die Hälfte der Frauen fühlte sich in diesem Jahr mehr oder weniger häufig durch Krankheiten und Beschwerden in ihrem Sexualleben beeinflusst: 8 % sehr häufig, 10 % häufig und 30 % manchmal, die a ndere Hälfte (52 %) überhaupt nicht. Zwischen Krankheiten bzw. Beschwerden und sexueller Aktivität besteht ein spannungsreiches Verhältnis, das grundlegend – aber nicht nur – von Art, Schwere und Häufigkeit der Krankheiten/Beschwerden bestimmt ist. Manche Frauen, die objektiv gesundheitliche Probleme haben, lassen sich davon nicht allzu sehr in ihrer sexuellen Aktivität beeinträchtigen, andere reagieren mit sexueller Regression oder Abstinenz. Gesundheit ist nicht allein durch Abwesenheit von Krankheit zu erklären, eher belastend 3 % mal so, mal so 40 % 14 Ein erfülltes Sexualleben strahlt auf die Gesundheit, das allgemeine Wohlbefinden, die Lebenszugewandtheit, das Selbstwertgefühl und viele andere Bereiche des Lebens positiv aus. Für die meisten Frauen ist Sexualität ein belebendes, lebensfreudiges, lustvolles, vitalisierendes Element ihres Lebens. Nur 3 % sagen, dass Sexualität für sie eher belastend ist (Abbildung 15). Sexualität belebt nicht nur die Beziehung, sondern das ganze Selbst. Sexualität ist für Frauen dieses Alters nichts, was sie tendenziell belastet. Für die meisten ist sie ein Lebenselixier und kein Lebensproblem. eher belebend 43 % über Potenzschwierigkeiten ihres Partners – ein erheblicher Prozentsatz (Abbildung 16). Bei großen Unterschieden zwischen Frauen mit und Frauen ohne Partner haben 26 % im Moment keine Lust auf Sex. 14 % verspüren Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Mindestens 20 % leiden unter dem für dieses Alter typischen Problem der trockenen Scheide. 22 % fühlen sich zu wenig begehrt. 33 % sagen, sie hätten zu wenig Sex – und 38 % klagen über zu wenig Zärtlichkeit, 29 % der Frauen mit und 78 % der Frauen ohne feste Beziehung (Abbildung 17). Vor allem die Frauen, die sich selbst als zärtlich betrachten, leiden darunter, wenn die Fähigkeit zur Zärtlichkeit nicht abgerufen wird. Zärtlichkeit ist ein überlebensnotwendiges Verhalten, eine Sehnsucht, eine Reaktion auf die Rauheit der Welt. Zärtlichkeit hat einen selbständigen Wert für die Persönlichkeit und bei den meisten zugleich eine partnerschaftliche Dimension. Geht diese Dimension verloren, dann verkümmert auch die Zärtlichkeit. Realistischerweise idealisieren sie Sexualität nicht. Sie wissen auf Grund ihrer Lebens- und Liebeserfahrung, dass Sexuelles nicht immer gleich ist und Höhen und Tiefen in sich birgt. 17 % sagen, ihr Partner verstehe sie sexuell nicht. Bei 8 % will der Partner sexuell nichts mehr von seiner Frau wissen. 26 % klagen Abbildung 14 Ist Sexualität für Sie … keines von beiden 14 % 2 19 % 3% Koitusfrequenz (ø pro Monat) nach Gesundheitszustand Abbildung 13 Fühlen Sie sich häufig krank? „Trifft zu“ in % 60 % 50 % 40 % 36 % Efeu und ein zärtlich Gemüt 30 % Heftet sich an und grünt und blüht. Kann es weder Stamm noch Mauer finden, Es muss verdorren, es muss verschwinden. Johann Wolfgang von Goethe 20 % 10 % 0% 6% sexuell sehr Aktive sexuell weniger Aktive 15 Abbildung 16 Sexuelle Probleme in der Partnerschaft 0% 10 % 20 % Mein Partner versteht mich sexuell nicht 30 % 50 % 17 % Mein Partner will mehr Sex als ich 36 % Mein Partner zwingt mich zum Sex 1% Ich will mehr Sex als mein Partner 13 % Mein Partner hat Potenzschwierigkeiten 26 % Mein Partner will sexuell nichts mehr von mir wissen Abbildung 17 40 % 8% Sexuelle Probleme: 50- bis 60-jährige Frauen 0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 15 % Ich habe Schmerzen beim Geschlechtsverkehr 90 % 100 % in fester Beziehung 8% Singles 25 % Ich habe keine Lust auf Sex 29 % Gerade das Berührtwerden, der intime Körperkontakt, ist zusammen mit dem zärtlichen Wort und der zärtlichen Geste für sie von besonderer Beutung: Sie sind sinnlich. Die befragte Generation, zwischen 1946 und 1956 geboren und emanzipatorisch sozialisiert, ist eine selbstbewusste Generation und empfindet sich auch so. Sie ist und betrachtet sich als kontaktfreudig, attraktiv, genussfähig, fraulich, humorvoll, zärtlich, schön und begehrenswert. Sie hat keine Scheu, dies zum Ausdruck zu bringen. Die befragten Frauen haben in den meisten Fällen zwar kein euphorisches, aber doch ein positives Bild von sich selbst. Sie geben sich zwar meist nicht die Note 1, aber doch überwiegend die Note 2 oder 3. Kaum 10 % benoten sich mit 5 und 6, was zu recht guten Durchschnittsnoten führt (Abbildung 19). Unsere Studie enthält einen Selbstbildtest, der diesbezüglich überraschende Ergebnisse erbringt. Wer annimmt, dass sich Frauen jenseits der 50 krank, traurig, angstvoll, überflüssig, einsam, minderwertig fühlen, der irrt. Dass es solche Gefühle gibt, temporär oder auch chronisch, ist unbestritten. Aktuell benennen sie etwa 15 bis 25 % der Frauen (Abbildung 18). Manchmal sind diese Merkmale miteinander gekoppelt, so dass ein bestimmtes Gefühlssyndrom entsteht. Der Korrelationskoeffizient ist am höchsten bei „einsam – traurig“ und „einsam – überflüssig“ sowie „traurig – angstvoll“. Nur 2 % meinen, alle sechs der genannten leidvollen Gefühle träfen auf sie zu. Dagegen leiden 63 % unter keinem dieser Gefühlszustände. 16 % Ich werde zu wenig begehrt 51 % 25 % Ich habe zu wenig Sex 73 % 29 % Ich erfahre zu wenig Zärtlichkeit 78 % Abbildung 19 Abbildung 18 Selbstbild: ø-Note Ich fühle mich häufig … 0% 10 % 20 % 30 % 0 40 % 50 % 1 2 3 zärtlich 2,2 kontaktfreudig 2,2 humorvoll 2,3 2,3 traurig 27 % genussfähig krank 27 % fraulich 2,4 selbstbewusst 2,4 angstvoll einsam minderwertig überflüssig 18 % sinnlich 16 % 3,0 attraktiv 16 % 3,1 begehrenswert 13 % 3,2 schön 16 4 3,3 17 5 6 Abbildung 20 Sie finden sich nicht uneingeschränkt schön (Abbildung 20). Aber ganz gewiss zärtlich (Abbildung 21). Fast alle der befragten Frauen (98 %) bezeichnen sich als mehr oder weniger sinnlich (Abbildung 22). Das ist im Zeitalter beschworener Entsinnlichung und Unlust eine Sensation. Selbst die Frauen, die im Moment keine Lust auf Sex haben, bezeichnen sich kaum als völlig unsinnlich (nur 7 % von ihnen). Die genannten Eigenschaften stehen miteinander in Verbindung. Besonders eng ist der korrelative Zusammenhang zwischen attraktiv und begehrenswert, sinnlich und begehrenswert, sinnlich und schön, sinnlich und zärtlich, humorvoll und fraulich, humorvoll und zärtlich, selbstbewusst und kontaktfreudig. Ich bin schön 50 % 42 % 40 % 30 % 27 % 20 % 17 % 9% 10 % 3% 2% 0% Note 1 sehr schön Note 2 Abbildung 21 Note 3 Note 4 Note 5 Note 6 nicht schön Ich bin zärtlich 50 % Bildet man aus dieser Selbstbenotung einen Gesamtpunktwert, dann ergibt sich ein hervorragendes Korrelat für fast alle Parameter unserer Untersuchung, das zeigt, wie wichtig das Selbstbild ist, auch in Bezug auf Sexualität. Ein Beispiel ist das sexuelle Verlangen. Frauen, die sich schön, begehrenswert, genussfähig finden und mit ihrem Körper im Einklang stehen, äußern weit häufiger sexuelles Verlangen als die Frauen, die sich die genannten Eigenschaften nicht so sehr 46 % 40 % 30 % 24 % 22 % 20 % 10 % 6% 2% 0% Note 1 sehr zärtlich Note 2 Abbildung 22 Note 3 Note 4 0% Note 5 Note 6 überhaupt nicht zärtlich Ich bin sinnlich 50 % 40 % 60 % 70 % 52 % 50 % 36 % 40 % 30 % 24 % 27 % Note 1 Note 2 sehr begehrenswert Note 3 Note 4 7% 7% 2% Note 2 Note 3 19 % 20 % 9% 10 % 0% 27 % 30 % 18 % 20 % 23 % 17 % 11 % 10 % 0% Note 5 Note 6 nicht begehrenswert zuschreiben (Abbildung 23). Das sexuelle Verlangen ist eben keine rein physiologische Größe. Ein anderes Beispiel ist der Humor. Zwar haben viele der Frauen, die sexuell nicht aktiv sind, Humor, manchmal sogar sehr viel, wohl auch als Kompensation für sexuelle Defizite. Aber bei denjenigen, die sexuell besonders aktiv sind, ist Humor mit Abstand am stärksten ausgeprägt (Abbildung 24). Glückliche sind humorvoller als Unglückliche, Zärtliche haben mehr Humor als nicht Zärtliche. Humor, Fröhlichkeit, Freude, Frohsinn, Lachen und Lächeln sind sexuologisch überaus wesentliche Einflussgrößen, auch wenn sie in der sexuologischen Literatur fehlen. Sie drücken eine bestimmte Lebenshaltung und eine bestimmte Souveränität aus und finden gemeinsam mit den anderen genannten und weiteren Eigenschaften ihr Zentrum in dem großen Selbstwertgefühl und dem hohen Selbstbewusstsein dieser Frauengeneration. Note 1 Note 2 sexuell sehr aktiv Note 3 Note 4 Note 5 Note 6 sexuell nicht aktiv gibt es im Grad der Zufriedenheit Unterschiede, teilweise auch größere. So sind die sexuell aktiven Frauen in weit höherem Maße mit ihrem Leben „sehr“ zufrieden als die sexuell inaktiven (41 % zu 13 %), ebenso verständlicherweise auch die Frauen, die ihren Partner sehr lieben, versus diejenigen, die ihren Partner weniger lieben (42 % zu 5 %). Frauen mit sehr starken klimakterischen Beschwerden sind selten „sehr“ zufrieden mit ihrem Leben insgesamt (7 %) gegenüber den beschwerdelosen Frauen (24 %). Zufriedenheit mit meinem Leben insgesamt Abbildung 25 80 % 70 % Lebenszufriedenheit. Die meisten Frauen von 50 bis 60 sind ihres Lebens ziemlich froh. 19% sind sehr zufrieden, 66 % zufrieden, nur 13 % weniger zufrieden und 2 % überhaupt nicht zufrieden (Abbildung 25). Die postmenopausale Lebensphase ist für die meisten Frauen keine Zeit einer besonderen Unzufriedenheit. Freilich 19 % Note 1 sehr sinnlich 63 % 60 % 50 % 40 % Humor (Note 1) nach sexueller Aktivität Abbildung 24 66 % 60 % 30 % 20 % 0% Sexuelles Verlangen nach Selbstbild: Ich bin begehrenswert 35 % 30 % 10 % Abbildung 23 Note 4 Note 5 Note 6 nicht sinnlich 18 50 % 40 % 30 % 20 % 19 % 13 % 10 % 0% 19 2% sehr zufrieden zufrieden weniger zufrieden überhaupt nicht zufrieden Kritische Größen für das Lebensgefühl der Frauen in diesem Alter sind vor allem drei: Erstens das Körpergewicht. Nur 22 % akzeptieren ihr Körpergewicht und möchten so sein, wie sie sind. 1 % will mehr wiegen. Aber 77 % möchten gern weniger wiegen. Erklärlicherweise sind das vor allem die Übergewichtigen (97 %). Aber auch 6 % der Untergewichtigen möchten weniger wiegen (Abbildung 26). Der dringende Wunsch der meisten Frauen, weniger zu wiegen oder doch wenigstens nicht weiter zuzunehmen, ist ein Phänomen nicht nur somatischer, sondern auch und vor allem psychischer und psychosozialer Dimension. Wohl keine Frau steht ganz abseits vom Terror der herrschenden Schlankheitsideale und der Abnahmeagitation. Für diese Altersgruppe kommt der Druck hinzu, die biologisch meist unvermeidbare Gewichtszunahme nicht akzeptieren zu können. Abbildung 27 60 % 50 % 43 % 100 % 30 % 20 % 10 % 0% Normalgewichtige 80 % Übergewichtige 76 % 75 % 70 % 60 % 50 % 40 % 30 % 19 % 20 % 10 % 0% 6% mehr wiegen 23 % 3% 0% 0% weniger wiegen 5% sehr zufrieden zufrieden weniger zufrieden überhaupt nicht zufrieden Drittens das Gefühl, begehrt zu werden. Geben sich ganz junge Frauen eher cool und die Frauen in mittlerem Alter eher souverän, so erwartet man von älteren Frauen eher Neutralität. Doch zeigt unsere Studie, dass Frauen von 50 bis 60 keineswegs die Dimensionen Attraktivität und Ausstrahlung aus den Augen verloren haben oder sie in den Augen der anderen nicht finden wollen. Begehrt zu werden und sich körperlich angenommen zu sehen – darin drücken sich nicht nur ein Ich-Bezug und ein Selbstwertanspruch aus, sondern auch eine kommunikative, interaktive Haltung, eine Außengerichtetheit. Begehrt zu werden bedeutet ja immer, dass man von anderen Menschen oder einem bestimmten Menschen begehrt wird. Dieses emotionale Spannungsverhältnis wird als wichtig, wohltuend und selbststärkend empfunden und auch in der Sexualität als funktionell herausragend betrachtet. Frauen dieses Alters stellen sich nicht auf ein Weniger ein, sondern wollen mehr, nicht zuletzt in der Sexualität. 97 % Untergewichtige sein, wie Sie sind 20 Der beste Prädiktor für das Sexualleben ist nicht das Alter an sich, es sind auch nicht demografische Merkmale wie territoriale Herkunft, Bildung, Beruf oder aktuelle Befindlichkeiten wie körperliche Beschwerden, sondern – wie wieder und wieder betont werden soll – die Existenz einer Partnerbeziehung und deren Qualität. haben und in deren Leben die Familie eine primäre Bedeutung hat. Auf ihr Ehefrauendasein kann man sie freilich nicht reduzieren. Sie sind oder waren überwiegend berufstätig, sie sind reich an Lebenserfahrung und schauen keineswegs resignierend in die Zukunft. Zweifellos gehören sie wesentlich zu den stabilisierenden Bevölkerungsgruppen unserer Gesellschaft. In welchem familiären Kontext leben die Frauen zwischen 50 und 60? Hinsichtlich ihres Familienstands sind 70 % der befragten Frauen zwischen 50 und 60 verheiratet, 19 % geschieden, 6 % verwitwet und 5 % ledig. Damit haben fast alle Frauen dieser Generation Eheerfahrung. 91 % haben eigene Kinder und 38 % Enkel. Der Anteil der Großmütter ist in den neuen Bundesländern erheblich größer, insbesondere bei höher gebildeten Frauen: Im Osten haben 55 % der Frauen mit Abitur bereits Enkel, im Westen nur 12 %. Zugleich sind in den alten Bundesländern 30 % der Frauen dieses Alters die überwiegende Zeit ihres Lebens Hausfrau gewesen, in den neuen nur 5 %. Aktuell sind 79 % noch berufstätig, überwiegend in Teilzeit, vor allem in den alten Bundesländern. Im den neuen Bundesländern arbeiten 47 % in Vollzeit, in den alten 28 % – bei gleichzeitig höherer Arbeitslosigkeit im Osten (19 % im Vergleich zu 6 % im Westen). 17 % dieser Frauen haben einen Hoch-, Fachhochschul- oder Fachschulabschluss, 9 % keinen beruflichen Abschluss. 19 % der 50- bis 60-Jährigen leben allein im Haushalt, 32 % zu zweit und die restlichen 49 % zu mehreren (zumeist mit Kindern). Sortiert man nach Frauen mit und Frauen ohne derzeit feste Zweierbeziehung, so zeigt sich: Partnerstand: feste Beziehung. 81 % der von uns befragten Frauen haben gegenwärtig eine feste Partnerbeziehung (Abbildung 28). Die meisten von ihnen (86 %) sind verheiratet und wohnen zu 99 % mit ihrem Mann zusammen. 9 % sind geschieden oder getrennt lebend, 3 % verwitwet und 2 % ledig. Damit ist klar, dass Partnerbeziehung in dieser Altersgruppe fast ausschließlich Ehe bedeutet oder bedeutet hat. Die Vielfalt von Familienformen, wie sie sich bei jüngeren Generationen und vor allem in Großstädten herausbildet, ist für die Generation der 50- bis 60-jährigen Frauen nicht charakteristisch, genauso wenig wie eine Sequenz von Beziehungen im Lebenslauf. Nur 9 % der Verheirateten hatten mehr als drei Beziehungen. 14 % eniger zufrieden und 14 % überhaupt nicht zufrieden w (Abbildung 27). Die Unterschiede nach Körpergewicht sind erwartungsgemäß extrem. Bei einem BMI über 32 geht die Zufriedenheit mit der Figur gen null. Möchten Sie gern … 90 % 38 % 40 % Zweitens die Figur als problematische Größe. Eng verbunden mit Gewichtsproblemen sehen viele Frauen ihre Schönheit, ihr Aussehen, ihre Attraktivität und ihre erotische Ausstrahlung durch ihre Figur gefährdet. Nur 5 % der Frauen dieses Alters sind mit ihrer Figur sehr zufrieden (weitere 38 % zufrieden), aber 43 % Abbildung 26 Zufriedenheit mit meiner Figur Abbildung 28 Haben Sie gegenwärtig eine feste Partnerbeziehung? nein 19 % ja 81 % Die deutschen Frauen in einem Alter von 50 bis 60 Jahren kann man sich also vornehmlich und in typischer Weise als verheiratete (oder verheiratet gewesene) Mütter und teilweise schon Großmütter vorstellen, die mit ihrem Mann immer zusammengewohnt 21 Für genau 50 % der Ehefrauen in dieser Altersgruppe ist die bestehende Ehe die erste und bislang einzige feste Beziehung. Sie sind im Durchschnitt bereits seit 34,8 Jahren verheiratet (32,7 Jahre bei den unter 55-Jährigen und 37,4 Jahre bei den über 55-Jährigen). Die meisten der bestehenden Beziehungen sind Langzeitbeziehungen. Kurzzeitbeziehungen sind in diesem Alter selten. Nur bei 11 % beträgt die Beziehung ein bis zehn Jahre. Insgesamt haben 89 % der Verheirateten die Silberhochzeit hinter sich. Abbildung 30 60 % 50 % 0% 9% 1% weniger wohl 11–20 Jahre 21–30 Jahre 31–35 Jahre mehr als 35 Jahre Das Wohlfühlen in der Paargruppe geht mit deren emotionaler Qualität einher. Zwar ist theoretisch klar, dass Liebe und Partnerschaft nicht dasselbe sind. Praktisch kommt es auch vor, dass jemand leidenschaftlich liebt, aber beziehungsuntauglich ist und mit der geliebten Person nicht zusammenleben kann. Aber beziehungstauglich zu sein und nicht zu lieben, ist kaum vorstellbar für eine dauerhafte Beziehung. Der Regelfall im Denken und Fühlen der meisten Frauen ist, dass Beziehung und Liebe zusammengehören, dass eine Liebesbeziehung gelebt wird. Das hängt damit zusammen, 20 % wohl 1–10 Jahre Das Wohlfühlen in der Langzeitbeziehung schwächt sich nach 20 Jahren etwas ab, um dann wieder auf das Ausgangsniveau zu steigen (Abbildung 30). Es ist einfach eine Fehlannahme, dass Ehen im Laufe der Zeit ungemütlich und unerträglich werden. Das kommt vor, aber dieser Alptraum ist die Ausnahmewirklichkeit. 30 % sehr wohl 38 % Dem griechischen Mythos folgend, nennt er dies das „Philemon-und-Baucis-Syndrom“ (Otten, 2008, S. 121 f.). Wahrscheinlich würden es die Frauen nicht aushalten und sich trennen, wenn es ihnen nicht gelänge, sich in der Beziehung wohl zu fühlen, und die Beziehung ist ja dazu da, um sich in ihr wohl zu fühlen. 40 % 0% 40 % 10 % 46 % 10 % 51 % Fremdgehen. 11 % der Frauen in fester Beziehung sagen, dass sie mit einem anderen Mann und 5 %, dass sie mit mehr als einem anderen Mann geschlafen haben, seit sie mit ihrem jetzigen Partner zusammen sind. Damit ergibt sich ein Anteil von Frauen mit sexuellen Außenkontakten von 16 %. Die Beziehungsdauer spielt dabei keine Rolle. Langzeitbeziehungen sind keineswegs seitensprunggefährdeter als Kurzzeitbeziehungen. In den meisten Langzeitbeziehungen sind die Frauen nie fremdgegangen, und es spricht auch nichts dafür, dass das noch kommt – die sexuelle Treue ist habitualisiert, die Tür zum sexuellen Außen ist nicht nur verschlossen, sondern gar nicht vorhanden. Zwischen der Qualität der derzeitigen Beziehung und dem Fremdgehen bestehen komplizierte Zusammenhänge. Eine lineare Kausalität kann nicht angenommen werden. Nicht zu unterschlagen ist, dass auch Frauen aus völlig intakten, harmonischen und glücklichen Beziehungen sexuelle Außenkontakte haben. Das ist sogar der häufigere Fall. Die meisten begründen das damit, dass es einfach so passiert ist, und meistens war eine Verliebtheit dabei, die anders als die Liebe zum festen Partner erlebt wurde und diese nicht tangiert. dass eine Beziehung nur dann eingegangen wurde und aufrechterhalten wird, wenn sie auf Liebe gegründet ist, wenn ihr das Prädikat Liebe verliehen werden kann. Entweder es ist eine Liebesbeziehung – oder es ist keine Beziehung. Fast niemand hält eine lieblose Partnerschaft aufrecht, und gerade Frauen sind darin konsequent. 20 % Wie wohl fühlen Sie sich zurzeit in Ihrer Beziehung? 44 % 51 % 30 % 60 % 50 % 50 % 40 % Wohlfühlen in der Beziehung. Fühlen sich die Frauen von 50 bis 60 in ihrer derzeitigen Beziehung, die ja meist eine schon eine sehr lange ist, wohl? Das ist eindeutig der Fall. 90 % der Frauen fühlen sich sehr wohl bzw. wohl. Nur 9 % fühlen sich weniger wohl und 1 % fühlt sich überhaupt nicht wohl (Abbildung 29). Das ist immer wieder ein erstaunliches Ergebnis, obwohl so oder so ähnlich aus anderen eigenen Untersuchungen bekannt (Starke 2005). Jüngst hat Dieter Otten in der Oldenburger „50+ Studie“ Ähnliches herausgefunden. Er spricht von einem „Trend zu älteren, sich liebenden Ehepaaren“, die sich gut verstehen und ihre Zeit gern zusammen verbringen. Abbildung 29 Sich-sehr-wohl-Fühlen in der Beziehung nach Dauer überhaupt nicht wohl 22 Nimmt man eine weitere Größe hinzu – die Sexualität –, dann zeigt sich auch hier ein Zusammendenken und Zusammenfühlen von Liebe, Partnerschaft, Beziehung und Sexualität. In unserer Untersuchung fühlen sich eindeutig diejenigen Frauen in ihrer Beziehung besonders wohl, die ein reges Sexualleben haben. Den Frauen jenseits der 50 und in meistens langen Beziehungen ist die starke Liebe zu ihrem Partner nicht verloren gegangen. Nur 1 % sagt, dass sie ihren Partner überhaupt nicht lieben (Abbildung 31). Diese Liebe wird im Regelfall erwidert und als invariantes Merkmal der Beziehung betrachtet. Sie ist in ihrem Ausmaß wesentlich vom Selbstwertgefühl der Frau bestimmt. Dabei finden sich lebhafter Sex und gelebte Liebe bei den meisten glücklich zueinander. Abbildung 31 Lieben Sie Ihren Partner? 80 % 70 % 65 % 60 % 50 % 40 % 30 % 22 % 20 % 12 % 10 % 0% 1% über alle Maßen sehr etwas überhaupt nicht 23 Abbildung 32 Wie stehen Sie zu dem Partner des letzten Zusammenseins? Er ist … mein fester Partner 96 % Abbildung 33 ein anderer fester Partner 2% jemand, der mir vorher schon bekannt war 2 % Würden Sie gern wieder eine feste Partnerbeziehung eingehen? kommt drauf an 60 % ja 24 % nein 16 % jemand, der mir vorher nicht bekannt war 0,2 % 20 Jahre, ein Viertel (25 %) aber noch keine fünf Jahre. Insbesondere die Witwen haben ihre Ehe in guter Erinnerung, auch in Bezug auf das Sexualleben. Sie haben sich in ihrer Beziehung wohl gefühlt und ihren Mann sehr geliebt, jedenfalls soweit sie sich jetzt erinnern. Der jetzt partnerlose Zustand wird von den allermeisten nicht als ideal betrachtet. Nur 16 % denken im Moment nicht an eine neue Beziehung. Das sind vor allem Frauen, die ihren Mann gerade erst durch Tod verloren haben, und diejenigen, die sich keine Chancen mehr ausrechnen oder sich mit dem Alleinsein abgefunden haben. Auch die schwer Enttäuschten gehören dazu. Die meisten wollen unbedingt wieder eine feste Partnerbeziehung oder schließen sie nicht aus (Abbildung 33). Dass sexuelle Außenbeziehungen ein höchst seltenes Ereignis sind, zeigt sich auch darin, dass beim letzten sexuellen Zusammensein bei 96 % der Frauen in fester Partnerschaft ihr fester Partner es war, mit dem sie sexuell zusammen waren. 2 % geben einen anderen festen Partner an (haben also eine Parallelbeziehung oder ein festes Verhältnis), bei 2 % war es kein fester, aber ein vorher bekannter Partner. Nur 0,2 % Frauen sagen, sie hätten den Mann vorher nicht gekannt. Nur höchst selten gehen Frauen auch dieses Alters mit einem Mann ins Bett, den sie vorher nicht kannten. Das ist auch bei derzeit Partnerlosen so. Die allermeisten nehmen den Mann aus ihrer festen Beziehung (sofern sie eine haben) oder sie machen aus dieser Begegnung temporär eine feste (Sexual-)Partnerschaft (Abbildung 32). Die fröhliche Singlefrau, die immer oder fast immer allein war und weiter allein bleiben möchte – sie gibt es. Aber sie ist selten. Für diese Generation ist sie jedenfalls in keiner Weise charakteristisch. Was gelegentliche sexuelle Abenteuer betrifft, so überwiegen die Frauen, die es für nicht allzu schwierig halten, „einen Mann fürs Bett“ zu kriegen (Abbildung 34). Aber nicht alle haben Gelegenheit dazu und nicht alle wollen und suchen das. Nur 7 % der Frauen, die gegenwärtig keine Partnerstand: keine feste Beziehung. Beziehungserfahrung haben so gut wie alle befragten Frauen in diesem Alter, auch diejenigen, die derzeit keinen festen Partner haben. Die letzte Beziehung war zumeist eine Ehe und liegt im Durchschnitt 8,7 Jahre zurück. Bei den Geschiedenen sind es 8,9 Jahre und bei den Verwitweten 9,7 Jahre. Die Streuung ist erheblich. Ein Teil dieser Frauen lebt schon lange allein, 15 % länger als 24 feste Partnerbeziehung haben, können sich entschließen, diese Frage, ob sie gern einen Partner für ein sexuelles Erlebnis finden würden, mit ja zu beantworten. 49 % möchten das nicht. 44 % schließen ein sexuelles Erlebnis nicht von vornherein aus, machen es aber von den konkreten Umständen abhängig. Die partnerlosen Frauen von 50 bis 60 sehnen sich mehr nach einer festen Beziehung (plus Sexualität) als nach losem Sex. ist häufiger Partnerwechsel für die Frauen dieser Altersgruppe nicht charakteristisch und wird es auch nicht mehr werden. Sind nun diejenigen mit bisher nur einer Beziehung glücklicher oder unglücklicher als die mit mehreren Beziehungen? In der Tendenz betrachten sich Frauen mit bisher nur einer Beziehung als ein wenig glücklicher. Doch sind die Unterschiede sehr klein. Der Korrelationskoeffizient beträgt 0,14! Das bedeutet einen fast völlig fehlenden Zusammenhang. Das heißt: Die Zahl der Beziehungen allein macht nicht glücklich oder unglücklich. Es gibt glückliche Frauen, die bisher nur eine Beziehung hatten, und unglückliche auch nach der fünften oder zehnten Beziehung. Partnerwechsel bringt nicht automatisch das größere Glück. Nimmt man Frauen mit gegenwärtig fester Beziehung, dann bezeichnen sich von denen, für die diese die bisher einzige ist, 58 % als sehr glücklich (Note 1 und 2), diejenigen, für die diese Beziehung mindestens die vierte ist, zu 47 % (Abbildung 35). Partnermobilität. Wie viele Partnerbeziehungen hatten die 50- bis 60-jährigen Frauen in ihrem Leben? Astronomische Zahlen werden da nicht erreicht. In unserer Studie sind eine (39 %), zwei (29 %) und drei (17 %) Beziehungen am relativ häufigsten vertreten (zusammen 85 %). Sechs und mehr Beziehungen hatten nur 3 % der befragten Frauen. Eine Frau gibt 13(!) bisherige Beziehungen an, und drei Frauen sagen, sie hätten bisher noch keine feste Beziehung gehabt. Insgesamt ergibt das einen Durchschnitt von 2,2 Beziehungen. Partnermobilität ist vor allem in einem westlich großstädtisch-intellektuellen Milieu (mit mehr kinderlosen Frauen) anzutreffen. Das hat auch die Studie „Beziehungsgraphien“ gezeigt (Schmidt et al., 2006; Starke, 2005; Matthiesen, 2007). Im Allgemeinen Abbildung 34 50 % Wäre es für Sie schwierig, einen Partner für ein sexuelles Erlebnis zu finden? 70 % partnerlose Frauen 60 % 40 % 30 % 20 % 58 % 49 % 50 % 33 % 52 % 47 % 40 % 25 % 21 % Sehr Glückliche nach Beziehungszahl Abbildung 35 21 % 30 % 20 % 10 % 0% 10 % ja teils, teils nein 0% weiß nicht 25 1 Beziehung 2 3 4 und mehr Koituspartner. Knapp ein Viertel der Frauen dieses Alters, nämlich 23 %, hatte bisher nur mit einem einzigen Mann Geschlechtsverkehr. Das sind vor allem Frauen, für die die bisherige Beziehung die einzige ist. Am zweithäufigsten werden mit 17 % zwei Sexualpartner erwähnt, am dritthäufigsten drei mit 13 %. Diese ersten drei Gruppen erfassen bereits die Hälfte der Population (53 %). Weitere 20 % nennen vier bis sechs Partner, 15 % sieben bis zehn Partner, 5 % 11 bis 15 Partner, 3 % 16 bis 20 Partner und die restlichen 4 % 21 und mehr Partner. Insgesamt ergibt sich eine durchschnittliche Koituspartnerzahl von 5,2 (Abbildung 36). es bei einem oder einigen wenigen Sexualpartnern. Koituspartnermobilität hat meist keinen polygamen Hintergrund, sondern ergibt sich durch die Abfolge von Partnerschaften im Lebenslauf. Diese Frauen genießen Sex, sie sehen sich nicht als Objekte, sondern als Subjekte der sexuellen Interaktion. Sie sind selbstbestimmt. Aber ihre sexuelle Aktivität ist nicht primär auf sich selbst bezogen, sondern partnerschaftlich orientiert. Es ist eine stark verhäuslichte Sexualität, was aber nicht Biederkeit, Einfallslosigkeit, bloße Routine, Langeweile und Bravheit bedeuten muss. Die Koituspartnerzahlen variieren je nach Lebenslauf und individuellen Bedingungen erheblich. Für keineswegs alle Frauen dieser Generation ist eine hohe Sexualpartnermobilität charakteristisch, obwohl sie in jungen Jahren die sexuelle Liberalisierung erlebt haben. Größere sexuelle Freiheiten und ein größerer Spielraum für individuelle Entscheidungen bedeuten nicht automatisch Promiskuität – bei allen Wechselfällen des Lebens und aller Spontanität –, nicht Verpflichtung zu sexuellen Abenteuern aller Art, zum Sammeln von Partnern. Im Gegenteil, die meisten Frauen belassen Abbildung 36 Wünsche und Hoffnungen. „Sie haben drei Wünsche in Liebe, Sexualität und Partnerschaft frei: Was wünschen Sie sich?“ Der eine große Wunsch der befragten Frauen zwischen 50 und 60 ist, „dass alles so bleibt, wie es ist“, nicht selten mit Aspekten des Altwerdens verbunden, meist in der Form „mit meinem Partner gemeinsam alt werden“. Ein anderer großer Wunsch ist die Gesundheit, sehr oft auf die Partnerschaft bezogen: „dass ich mit meinem Partner noch lange gesund zusammen sein kann!“ Was ist es nun, was ewig währen soll und was für diese Frauen im Vordergrund steht? „Dass die Liebe immer gegenwärtig ist.“ Liebe ist der am häufigsten genannte Inhalt, gefolgt von Zärtlichkeit, sodann von Verständnis, Treue, Vertrauen, Ehrlichkeit und Verlässlichkeit. Bei Frauen, die ihren Partner durch Trennung/Scheidung oder Tod verloren haben und nun allein sind, ist der überragende Wunsch der nach einer dauerhaften Beziehung: „einen festen Partner finden für den Rest des Lebens.“ Anzahl bisheriger Koituspartner 50 % 40 % 30 % 23 % 20 % 19 % 17 % 13 % 9% 10 % 0% 1 2 3 4 8% 7% 5 4% 6 bis 10 11 bis 20 Das Wünschen und Zukunftsdenken der Frauen im Alter von 50 bis 60 Jahren in Bezug auf Liebe, Sexualität und Partnerschaft ist nicht exotisch oder alternativ. Es spiegelt im Wesentlichen auch nicht geheime, unerfüllte Sehnsüchte wider. Und es ist – wie alle Ergebnisse unserer Untersuchung zeigen – weder männerfeindlich noch beziehungsfeindlich noch sexualfeindlich. Es ist vielmehr auf Stabilität und Qualität der Partnerbeziehung gerichtet: eine feste, sichere, liebevolle, erfüllte, glückliche Partnerschaft bei möglichst guter Gesundheit. Das ist es, was das seelische und lebenspraktische Zentrum dieser meist selbstbewussten Frauen in allen Lebenslagen ausmacht. 21 und mehr 26 27 Schmidt, Gunter (Hg.): Die sexuelle Revolution und ihre Kinder. Kontinuität und Wandel im studentischen Sexualverhalten 1966–1996. Gießen: Psychosozial, 2000 Schmidt, Gunter, Silja Matthiesen, Arne Dekker, Kurt Starke: Spätmoderne Beziehungswelten. Report über Partnerschaft und Sexualität in drei Generationen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2006 Literatur Alter und Sexualität. Köln: BZgA, 2003 Berberich, Hermann, und Elmar Brähler: Sexualität und Partnerschaft in der zweiten Lebenshälfte. Gießen: Psychosozial, 2001 Brähler, Elmar, und Hermann Berberich: Sexualität und Partnerschaft im Alter. Gießen: Psychosozial, 2008 Ebberfeld, Ingelore: Sexualität von Frauen im Alter. Münster: Lit, 2005 Kolle, Oswalt: Die Liebe altert nicht. Erfüllte Sexualität ein Leben lang. Tübingen: Econ, 1997 Matthiesen, Silja: Wandel von Liebesbeziehungen und Sexualität. Empirische und theoretische Analysen. Gießen: Psychosozial, 2007 Otten, Dieter: Die 50+ Studie. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2008 Schrader, Christiane, Helmut Luft, Meinolf Peters (Hg.): Liebe, Lust und andere Leidenschaften – vergänglich, wandelbar, zeitlos? Psychotherapie im Alter. Gießen: Psychosozial, 2005 Starke, Kurt: Nichts als die reine Liebe. Beziehungsbiographien und Sexualität im sozialen und psychologischen Wandel. Lengerich: Pabst Science Publishers, 2005 Starke, Kurt: Sexualität im Erwachsenenalter. In: Renate-Berenike Schmidt und Uwe Sielert: Handbuch Sexualpädagogik und sexuelle Bildung. München: Juventa, 2008. S. 399–414 Sydow, Kirsten von: Die Lust auf Liebe bei älteren Menschen. München: von Reinhardt, 1994 TEIL 2: Sexualstörungen in der Periund Postmenopause Wissen und Unterstützung für die tägliche Praxis von Prof. Hans-Joachim Ahrendt u n t e r M i t a r b e i t v o n C o r n e l i a F r i e d r i c h Kö t h e n * *Fachärztin für Gynäkologie und Gebur tshilfe , Sexualmedizin Sexualstörungen in der Periund Postmenopause Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 2Ursachen und Erscheinungsformen der häufigsten Sexualstörungen der Frau in der Periund Postmenopause 2.1Störungen der sexuellen Appetenz 2.2Störungen der sexuellen Erregung 2.3Störungen des Orgasmus 2.4Schmerzen beim Sex: Dyspareunie und Vaginismus 3Diagnostik sexueller Störungen der Frau in der gynäkologischen Sprechstunde 3.1Sexualmedizinische Aktualanamnese 3.2Sexuelle Eigenanamnese 3.3Soziokulturelle Anamnese 3.4Allgemeine medizinische Anamnese und Untersuchung 3.5Fragebögen zur Erfassung der Sexualstörung Seite 33 Seite 34 Seite 34 Seite 36 Seite 36 Seite 38 Seite 40 Seite 40 Seite 40 Seite 40 Seite 41 Seite 41 4Therapie sexueller Funktionsstörungen 4.1Sexualberatung 4.2Gesprächsführung 4.3Sexualtherapie Wissen und Unterstützung für die tägliche Praxis von Prof. Hans-Joachim Ahrendt Seite 41 Seite 42 Seite 43 Seite 45 5Hormonelle Therapie von Sexualstörungen Seite 46 5.1Lokale Östrogentherapie Seite 47 5.2Systemische Östrogentherapie Seite 48 5.3 Therapie mit Gestagenen Seite 49 5.4Therapie mit Testosteron, transdermal Seite 49 5.5Therapie mit DHEA Seite 50 5.6Bedeutung von Oxytocin, Prolaktin und Dopamin Seite 51 5.7Therapie mit Östrogen-GestagenKombinationen Seite 51 6Typisierung sexueller Störungen bei Frauen in der Peri- und Postmenopause nach Kriterien der gynäkologischen Praxis Seite 54 Anhang Patienten-Kurzfragebogen „B-PFSF“ Seite 58 Fragebogen für das vertiefende Gespräch bei Sexualproblemen im Klimakterium Seite 59 Literatur Seite 60 u n t e r M i t a r b e i t v o n C o r n e l i a F r i e d r i c h Kö t h e n 1 Einleitung Die Menopause stellt einen deutlichen Einschnitt im Leben einer jeden Frau dar, bedeutet sie doch das Ende der fertilen Phase. Klimakterium und Menopause werden mit negativen Werten assoziiert: mit dem Altwerden im Allgemeinen, mit der Abnahme der körperlichen Attraktivität und Leistungsfähigkeit, mit der Abnahme der sexuellen Attraktivität und dem Verlust der sexuellen Appetenz, mit dem Auftreten von Krankheiten u. Ä. Schweißausbrüche, die oft und besonders nachts auftreten können. Sie bedingen Schlaflosigkeit, Übermüdung und mangelnde Leistungsfähigkeit. Nicht selten führt dies sekundär zu Angstzuständen und einem Burnout. Begleitend kommen oft vegetative Verstimmungen oder gar Depressionen hinzu. Auch Schmerzen insbesondere der Fingergelenke, aber auch der Knie werden häufig von den Frauen in dieser akuten Umstellungsphase beklagt. Sekundär, oft erst nach Monaten oder Jahren, treten kardiovaskuläre Erkrankungen oder Osteoporose auf. Die Ursachen für das Eintreten der Menopause liegen in dem Nachlassen der endokrinen Funktionen. Vor allem ist sie bedingt durch das Nichtvorhandensein von Follikeln und den abrupten Rückgang der Bildung von Östrogenen in den Ovarien um das 50. Lebensjahr herum. Eingeleitet wird sie aber schon viel früher, nämlich dann, wenn sich ab etwa dem 40. Lebensjahr die Bildung des Progesterons verringert. Sehr besorgt äußern sich Patientinnen in den gynäkologischen Sprechstunden auch immer wieder über körperliche Veränderungen, die oftmals als „Lifestyle“ negativ abgetan werden: über die nachteiligen Veränderungen von Haut und Haaren, über die Zunahme an Köpergewicht und die Veränderungen ihrer Körperproportionen. Auch wenn es sich hierbei um physiologische Vorgänge handelt, haben sie bei vielen Frauen pathologische Folgen. Einerseits führen sie zu akuten Hormonmangel symptomen, den Symptomen des sogenannten klimakterischen Syndroms, und andererseits sind dadurch sekundär oft chronische Erkrankungen zu erwarten. Zu den akuten Symptomen des klimakterischen Syndroms zählen vor allem die Hitzewallungen und Ebenso klagen Frauen häufig über sexuelle Probleme. Etwa 30 % der Frauen nach der Menopause klagen über einen Mangel an und Verlust von sexueller Appetenz und etwa 20 % über eine mangelnde Feuchtigkeit und Lubrikation der Scheide, die oft eine Dyspareunie bedingt. 33 es uns danken. Und dies ist unter dem Gesichtspunkt der steten Zunahme der Bevölkerung dieser Altersgruppe für uns Ärzte von besonderer Bedeutung. Zunehmend äußern die Patientinnen von selbst diese Beschwerden. Andere aber haben auch heute immer noch eine Scheu, bei ihrem Frauenarzt oder ihrer Frauenärztin diese Probleme von sich aus anzusprechen. Hier liegt es also an uns, die Initiative zu ergreifen, das Eis zu brechen, das Gespräch zu eröffnen. Aber auch wir haben natürlich unsere Ängste und Hemmungen und viele Fragen: 1. Die Kompetenzfrage Habe ich die notwendige Kompetenz, mich der Sexualproblematik anzunehmen? Wie erhebe ich eine Sexualanamnese? Wie artikuliere ich mich? Welches Beratungsziel strebe ich an? Welche therapeutischen Optionen gibt es? 2.Die Zeitfrage Welches Zeitmanagement brauche ich? Habe ich die nötige Zeit und Ruhe dazu in der frauenärztlichen Sprechstunde? Habe ich nicht schon sowieso eine volle Sprechstunde – muss ich mir das auch noch antun? 3.Die Frage nach der Honorierung Wie und in welchem Umfang werden diese zeitintensiven ärztlichen Leistungen honoriert? 2 Ursachen und Erscheinungsformen der häufigsten Sexualstörungen der Frau in der Peri- und Postmenopause 2.1 Störungen der sexuellen Appetenz Eine Störung der sexuellen Appetenz ist definiert als Mangel an oder Verlust von sexuellem Verlangen, der zu einer seltenen Initiierung von sexuellen Kontakten führt. Sie beinhaltet eine verminderte Suche nach sexuellen Reizen, ein Nachlassen des Denkens an Sexualität mit Verlangen oder Lust und die Verminderung von sexuellen Fantasien. Die Folge davon ist meist ein Mangel an sexueller Erregung und Befriedigung. Davon abzugrenzen ist eine sexuelle Aversion, bei der die Vorstellung von sexuellen Kontakten mit negativen Gefühlen verbunden ist und Angst erzeugt. Dies führt zu einer Vermeidung sexueller Kontakte und im Extremfall zu einer Sexualphobie (Hartmann, 2008). Dies sind alles wichtige Fragen und Probleme, die unser unmittelbares Tun in der gynäkologischen Sprechstunde berühren, die immer einen Spagat zwischen interessanten fachlichen Herausforderungen und dem wirtschaftlichen Führen einer Arztpraxis bedeuten. Eine sexuelle Appetenzstörung kann primär (lebenslang) oder sekundär (erworben) vorliegen. Sie kann generalisiert oder situativ auftreten und auf einen bestimmten Partner oder eine bestimmte Situation begrenzt sein (Beier, 2005). Mehr denn je aber ist es für uns Gynäkologen und Gynäkologinnen wichtig, sich den wichtigen sexualmedizinischen Fragen und Problemen unserer Patientinnen insbesondere nach der Menopause zuzuwenden. Es bedeutet, ein neues, notwendiges Kompetenzfeld zu erschließen und die Patientin umfassend durch das Klimakterium zu begleiten. Unsere Patientinnen werden Bei der leichten Form der sexuellen Appetenzstörung besteht bei der Frau kein aktives Interesse an Sexualität. Sexuelle Kontakte werden aber durchaus als angenehm und lustvoll erlebt. Es besteht eine ge- 34 wisse „Neutralität“ gegenüber der Sexualität. Die betroffenen Frauen beschreiben Sexualität oft als etwas Fremdes, Überflüssiges, „der Motor springe nicht an“ und sie könnten auch gut ohne Sex auskommen. Leidensdruck entsteht bei diesen Frauen mit Appetenzstörung im Wesentlichen aus zwei Gründen: 1.Die Libido war primär gut ausgeprägt, ist aber verloren gegangen durch verschiedene Lebensumstände oder auch durch gynäkologische Operationen (beidseitige Oophorektomie). 2.Die Appetenzstörung wirkt sich nachhaltig negativ auf das eigene Selbstwertgefühl oder die Partnerschaft aus. Oftmals fühlen sich diese Frauen unter Druck gesetzt. Sie haben Angst, verlassen zu werden. Der Partner seinerseits ist frustriert, weil er seiner Partnerin keine erfüllende Sexualität geben kann, und fühlt sich möglicherweise als Mann entwertet (Hartmann, 2008). Die Ursachen für ein Nachlassen der Libido sind vielfältig. 1.Probleme in der Partnerschaft: offene oder latente Beziehungskonflikte hinsichtlich Nähe und Distanz, Dominanz und Unterwerfung, Autonomiestreben und Unabhängigkeit, Vertrautsein und Fremdheit oder Diskrepanz des sexuellen Interesses beider Partner (Beier, 2005) 2.Schwere allgemeine und chronische Erkrankungen: chronische Schmerzen, Diabetes mellitus, Hypothyreose, gynäkologische Operationen (Ovarektomie, Hysterektomie), gynäkologische und andere Karzinome, andere Krebserkrankungen, Depressionen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, Stressund Erschöpfungszustände, Alkoholabhängigkeit u. Ä. (Beier, 2005; Bitzer, 2008) 3.Hormonelle Störungen: Verringerung der Serumspiegel von Östrogen und Testosteron, physiologisch-altersbedingt (Menopause), chirurgisch bedingt (beidseitige Oophorektomie), bedingt durch Karzinom-Therapie: Chemotherapie, Radiatio, Hyperprolaktinämie, Behandlung mit Antiöstrogenen und Antiandrogenen Das Paar befindet sich in einem Teufelskreis aus nicht erfüllten Grundbedürfnissen und fehlender Bestätigung durch den Partner. Die Lebensqualität kann durch sexuelle Funktionsstörungen eine starke Einschränkung erfahren. Personen, die nicht sexuell aktiv sind, haben eine deutlich geringere Lebensqualität. Die Häufigkeit sexueller Appetenzstörungen ist nur schwer erfassbar. Verschiedene Autoren geben unterschiedliche Häufungen an. Sie reichen von 10 % (PRESIDiE-Studie, Frauenarzt 49/2008) bis 51 % (Buddeberg et al., 2006; Hartmann, 2008). Sie korreliert mit dem Lebensalter. Der relative Anstieg ist jedoch geringer, da mit zunehmendem Alter der Leidensdruck sinkt (Hartmann, 2008). Bei Frauen äußert sich das in verminderter Leistungsfähigkeit, verminderter Befriedigung im interpersonalen, beruflichen und emotionalen Bereich. Die Reduktion der sexuellen Störungen führte in klinischen Studien zu einer signifikanten Verbesserung der Lebenszufriedenheit und psychischen Gesundheit, zur Verminderung von Ängsten und Depressionen sowie zu interpersonaler Sensibilität und Selbstachtung (Hartmann, 2008). 35 2.2 Störungen der sexuellen Erregung Lubrikation mit bedingt. Die Frauen klagen dann typischerweise über eine „trockene Scheide“. Kommt es dennoch zum Koitus, führt das zu Schmerzen, die sich wiederum negativ auf die sexuelle Appetenz und Erregung auswirken. Wiederholen sich diese Schmerzen beim Koitus, kommt es nach und nach zu einem Vermeidungsverhalten, und jegliche sexuellen Kontakte werden schließlich aus Angst vor weiteren Schmerzen abgelehnt. Es beginnt ein Teufelskreis, der schließlich auch zu Störungen der sexuellen Appetenz und Erregung führen und die Partnerschaft stark beeinträchtigen kann. Eine sexuelle Erregungsstörung bei der Frau ist im Gegensatz zu der beim Mann nur schwer nachweisbar. Sie ist gekennzeichnet durch das Fehlen von subjektivem Erregungsempfinden und körperlichen Reaktionen wie dem Anschwellen der Klitoris, der Labien und der Scheide, der vaginalen Lubrikation und vermehrten Durchblutung des paravaginalen Gewebes. Eine isolierte sexuelle Erregungsstörung ist bei Frauen eher selten. Meist tritt sie im Zusammenhang mit oder infolge einer Störung der sexuellen Appetenz auf. Ursächlich können sowohl psychische als auch somatische Faktoren beteiligt sein. Sie gleichen den Ursachen der sexuellen Appetenzstörungen und Orgasmusstörungen. 2.3 Störungen des Orgasmus Eine reine Orgasmusstörung wird in der gynäkologischen Sprechstunde von Frauen in der Peri- und Postmenopause eher selten beklagt. Die vorliegende Studie über Frauen zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr zeigt, dass eine Anorgasmie in der jüngeren Altersgruppe häufiger auftritt. Häufig finden sich psychische Faktoren, da das Lustempfinden und der Erregungsaufbau bei Frauen sehr stark von Gefühlen und Fantasien abhängig sind. Diese können durch psychischen Stress empfindlich gestört werden. Meist sind Störungen des Orgasmus Teil einer komplexeren Störung, die auch die Beeinträchtigung der sexuellen Appetenz und Erregung beinhaltet. Störungen des Orgasmus können primär auftreten oder sekundär, infolge einer Appetenz- und Erregungsstörung. Eine große Rolle spielt dabei der Partner, der unabhängig von äußeren Faktoren die Symptomatik in eine positive oder negative Richtung beeinflussen kann. Deshalb ist es wichtig, bei der Anamnese die Paarbeziehung zu erfragen und möglichst den Partner mit einzubeziehen. Zu unterscheiden ist die generalisierte Anorgasmie, bei der zu keinem Zeitpunkt ein Orgasmus auftritt – trotz vorhandener Erregung und Stimulation –, von einer situativ bedingten Anorgasmie. 22 bis 28 % der Frauen erleben selten oder nie einen Orgasmus (Bitzer, 2008). Dies muss nicht zwangsläufig zu einem Desinteresse an Sexualität führen, da oft die sexuelle Erregung und damit auch die sexuelle Erlebnisfähigkeit und Zufriedenheit uneingeschränkt vorhanden sind. Auch hierbei ist es hilfreich zu erfragen, seit wann diese Störung besteht, ob sie ständig auftritt, partneroder situationsabhängig ist. Die Frau sollte ermutigt werden, eine typische intime Situation mit ihrem Partner zu schildern. Peri- und postmenopausal sind Erregungsstörungen häufig durch fehlende vaginale 36 Können Sie durch sexuelle Selbstbefriedigung einen Jüngere Frauen berichten häufiger über Orgasmusstörungen als ältere. Das kann daran liegen, dass Frauen im Laufe ihres Lebens ihren Körper besser kennenlernen und um die Möglichkeiten befriedigender sexueller Stimulationen wissen. Allerdings sind Orgasmusstörungen nicht selten auch das Symptom für schwerwiegendere Sexualkonflikte. Höhepunkt erleben? In welchen Situationen können Sie einen Orgasmus erreichen und durch welche wird er verhindert? Wie war es bei früheren Partnern? Können fassbare Ursachen nicht erkannt werden, ist eine gezielte Sexualtherapie notwendig. Ursachen für Orgasmusstörungen können durch körperliche und psychische Faktoren bedingt sein. In der Anamnese sollte u. a. nach Krankheiten gefragt werden, die Ursache für Durchblutungsstörungen sein können, wie etwa Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie, Arteriosklerose. Schädigungen der Nerven durch Traumata, Tumoren, entzündliche oder neurologische Krankheiten führen gegebenenfalls zu einer mangelnden Erregungsweiterleitung, was sich im Ausbleiben eines Orgasmus äußert. An der neuronalen Entstehung eines Orgasmus sind bestimmte Hirnareale wie etwa das limbische System, der Hypothalamus und der Mandelkern beteiligt sowie die Neurotransmitter Dopamin, Serotonin, Noradrenalin, endogene Opiode und die Hormone der Schilddrüse, der Nebenniere, der Hypophyse, das Testosteron und indirekt auch die Östrogene. Medikamente, insbesondere Psychopharmaka, Drogen-, Nikotin- und Alkoholabusus können das Orgasmuserleben beeinträchtigen. Um eine entsprechende Therapie einzuleiten, ist eine genaue Anamnese wichtig. Dabei können folgende Fragen hilfreich sein: 37 2.4 Schmerzen beim Sex: Dyspareunie und Vaginismus Beim Vaginismus arrangieren sich die Paare meist mit dem Problem. Sie suchen und finden oft alternative sexuelle Handlungen oder sie haben längere asexuelle Phasen. Ein echter Leidensdruck entsteht oft bei Kinderwunsch oder größeren Partnerschaftskonflikten mit Trennungsabsichten. Störungen mit sexuell bedingten Schmerzen finden sich in jeder Altersgruppe. Dazu gehören die Dyspareunie und der Vaginismus. Vaginismus kann allerdings auch eine sekundäre Reaktion auf Schmerzen beim Geschlechtsverkehr sein. Der Fokus bei der gynäkologischen Untersuchung sollte auf dem lokalen genitalen Status, dem Beckenboden, dem allgemeinen Schmerzerleben, dem sexuellen Verhalten der Paarbeziehung liegen. Die emotionale Situation muss hinterfragt werden und die Anamnese muss auf eventuelle traumatische sexuelle Erfahrungen ausgerichtet sein (Hartmann, 2008). Schmerzen stellen eine einschneidende Belastung für das Sexualleben dar. Sie verhindern oder schränken Lust und Erregung ein. Das kann sich sekundär in weiteren Störungen wie Libidomangel äußern und kann durch Vermeidungsverhalten zu Partnerschafts konflikten führen. Die Dyspareunie ist definiert als wiederholt auftretende oder ständige genitale Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, die persönliches Leid verursachen (Bitzer, 2008). Für den Frauenarzt ist die Dyspareunie praxisrelevanter. Sie wird in der gynäkologischen Praxis von den Patientinnen meist täglich angesprochen. Die Prävalenz wird mit 3 bis 43 % angegeben (Basson et al., 2004). Man unterscheidet zwischen psychisch bedingter und organpathologisch bedingter Dyspareunie. Beim Vaginismus ist das Eindringen des Penis in die Scheide nicht möglich. Bedingt durch eine starke Anspannung oder Verkrampfung der Scheidenmuskulatur wird die Immissio penis unmöglich, manchmal sogar trotz des ausdrücklichen Wunsches der Frau, dies zu tun. Auch die gynäkologische Untersuchung oder das Einführen eines Tampons gelingen häufig nicht (Hartmann, 2008). Psychisch bedingte Dyspareunie Hierbei spielen Sexualängste, phobische und sexuelle aversive Reaktionen, Schuldgefühle, Partnerschaftskonflikte, negative Erfahrungen, sexualfeindliche Erziehung und sexuelle Traumata eine Rolle. Gleiches trifft auch für den Vaginismus zu. Eine klare Unterscheidung zwischen Dyspareunie und Vaginismus ist in praxi manchmal nicht eindeutig möglich. Beiden gemeinsam sind: 1. Probleme mit der Muskelanspannung 2.Angst vor Schmerzen beim Sex 3.Neigung zu Annäherungs- versus Vermeidungsverhalten (Hartmann, 2008). Organpathologisch bedingte Dyspareunie Aus praktischen Gesichtspunkten unterscheiden wir in der gynäkologischen Sprechstunde die äußere von der inneren Dyspareunie. 38 1.Äußere Dyspareunie: Schmerzen im Bereich der Vulva, des Introitus vaginae und der Scheide Die Patientin gibt dabei besonders Schmerzen beim Eindringen des Penis in die Scheide an (als Brennen, Stechen, Ziehen, Druckgefühl) oder während des Sexualverkehrs in der Scheide. Dies kann meist leicht durch gynäkologische Diagnostik, einschließlich Mikrobiologie u. Ä., geklärt werden. die Schmerzen aber permanent auf, können sie durch akute oder chronische Krankheiten bedingt sein und müssen durch übliche Organdiagnostik (u. a. Palpation, Sonographie, Pelviskopie) abgeklärt werden: Adhäsionen Endometriose Ovarialtumoren Uterus myomatosus Adnexitis Appendizitis Retroflexio uteri fixata Gynäkologische Karzinome Colon irritabile Folgende Erkrankungen können eine äußere Dyspareunie bedingen: Trockenheit der Scheide Vulvovestibulitissyndrom, Vulvitis, Vulvovaginitis Interstitielle Zystitis, Urethritis Dermatologische Erkrankungen, Kondylome, Ekzeme Epitheliale Defekte, Episiotomie-Narbe Veränderungen nach gynäkologischer OP oder Radiatio: verkürzte Scheide, Stenose der Scheide Anatomische Variationen: enge Scheide, Vaginalseptum, Hymenalreste, Probleme mit der Penisgröße Gesprächsalgorithmus Äußert die Patientin Schmerzen beim Sex, sollte unsere erste Frage sein: „Wo tut es weh – im Bauch oder im Bereich von Vulva und Scheide?“ Die zweite Frage sollte dann lauten: „Zu welchem Zeitpunkt tut es weh beim Sex – beim Eindringen des Penis in die Scheide oder beim Geschlechtsverkehr selbst?“ Lokalisiert die Patientin die Beschwerden im Bauchraum, folgt die dritte Frage: „Treten die Schmerzen bei jeder sexuellen Stellung auf oder nur bei bestimmten Positionen?“ Die Dyspareunie bei Frauen in der Peri- und Postmenopause ist meist durch eine östrogenbedingte trockene Scheide verursacht. Gegebenenfalls sekundär begleitet von einer Vulvovaginitis. Ausmaß und Ursache der Dyspareunie sind entscheidend für das resultierende sexuelle Verhalten des Paares. Dies kann ein kurzzeitiges bewusstes Verzichten auf Sex bedingen oder ein permanentes Vermeiden von sexuellen Kontakten oder Beziehungen nach sich ziehen. 2.Innere Dyspareunie: Schmerzen im Bauchraum Schmerzen im Bauchraum sind durch das Aufstoßen des Penis auf die Portio vaginalis uteri und das „Hochschieben“ des Uterus bedingt. Diese Schmerzen sind durchaus als „physiologisch“ anzusehen, wenn sie nur in einigen wenigen sexuellen Stellungen auftreten bei sonstiger Beschwerdefreiheit. Treten 39 Wann tritt diese Störung auf, wie oft, in welchen Therapie der Dyspareunie Die Behandlung von organisch bedingten Schmerzen beim Sexualverkehr richtet sich nach dem Krankheitsbild. Je nach Untersuchungsbefund wird die entsprechende Behandlung eingeleitet. Dies kann eine lokale Gabe von Hormoncremes oder -salben sein, Gleitmittel, Schmerzmittel, Antibiotika oder gar operative Interventionen bei narbigen Veränderungen oder Stenosen. Die östrogenmangelbedingt trockene Scheide wird entsprechend mit Östradiol- oder Östriolsalben wirksam behandelt. Situationen, mit welchem Partner? Welche Auswirkungen hat das Problem auf die Partnerschaft? Gab es bereits Lösungsversuche? Welches Ziel, welche Vision hat die Patientin? Besteht bei der Patientin oder/und beim Partner ein Leidensdruck? Besteht bei der Patientin eine Therapiemotivation? 3.2 Sexuelle Eigenanamnese Sexualerziehung Sexuelle Entwicklung: Pubarche, Ejakularche, Psychisch bedingte Dyspareunie und Vaginismus müssen immer sexualtherapeutisch als Einzel- oder Paartherapie behandelt werden. Beim Vaginismus werden zusätzlich eine Desensibilisierung mit Dilatatoren, Entspannungstherapie und begleitende Behandlung von möglichen Phobien empfohlen (Bitzer, 2008). Masturbarche, erstes Petting, Kohabitarche Sexuelle Aktivitäten, geschlechtliches und sexuelles Erleben im Erwachsenenalter: Welche Sexualpraktiken, Frequenzen, Selbstbefriedigung, Fantasien, Vorlieben, Abneigungen (Paraphilien), sexuelle Appetenz, Erleben von Lust, Erregung und Orgasmus? Entwicklung der aktuellen Partnerschaft Kinderwunsch, Verhütung, Familiengründung, Besonderheiten 3 Diagnostik sexueller Störungen der Frau in der gynäkologischen Sprechstunde Zur Diagnostik der sexuellen Störung haben wir in der frauenärztlichen Sprechstunde folgende Instrumentarien zur Verfügung: Das diagnostische Gespräch Die gezielte Sexualanamnese Fragebögen zur Erfassung der sexuellen Störung 3.3 Soziokulturelle Anamnese Aktuelle Lebenssituation Partnerschaft, Familie, Kinder Konfession, religiöse Bindungen Beruf, eigene berufliche Situation Berufliche Situation des Partners Wirtschaftliche Situation Wohnverhältnisse Freizeitsituation 3.1 Sexualmedizinische Aktualanamnese Spontanangaben der Patientin: Schilderung der Symptomatik Warum gerade jetzt der Arztbesuch? Von wem wurde die Patientin geschickt? Seit wann besteht die Störung? 40 3.4 Allgemeine medizinische Anamnese und Untersuchung Je nach Art und Ausmaß der Störung kommen psychotherapeutische oder somatische Interventionen oder die Kombination beider in Betracht. Jeder von uns benannte Störungstyp bedarf in der gynäkologischen Sprechstunde einer anderen Herangehensweise. Deshalb wird die Art der Therapie auch immer unterschiedlich gewichtet sein. Eigenanamnese Familienanamnese Gynäkologische Anamnese Urologische Anamnese Gynäkologischer Untersuchungsbefund Allgemeinmedizinischer Untersuchungsbefund Medikamentenanamnese Psychologischer Befund Immer muss dabei aber das Paar im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Oft ist die Frau nur Trägerin des Symptoms. Immer aber hat die Störung Auswirkungen auf das Sexualleben beider Partner. 3.5 Fragebögen zur Erfassung der Sexualstörung Nicht immer führt eine Störung zu Leidensdruck, etwa wenn eine Abnahme sexueller Appetenz gleichzeitig bei beiden Partnern besteht und dies nicht als Mangel empfunden wird. In anderen Fällen ist eine Einbeziehung des Partners nicht möglich, da der Partner selbst keinen Leidensdruck empfindet oder sich scheut, sich in diesbezügliche Behandlung zu begeben. Oder aber die Patientin lebt als Single. In den meisten Fällen findet der erste Kontakt in der frauenärztlichen Sprechstunde statt. Patienten-Kurzfragebogen „B-PFSF“ (siehe Anhang) Fragebogen für das vertiefende Gespräch bei Sexualproblemen im Klimakterium (siehe Anhang) 4 Therapie sexueller Funktionsstörungen Die Behandlung von Sexualstörungen ist immer sehr individuell. Sie hängt ab von Art und Ausmaß der Störung, der Stärke des dadurch entstandenen Leidensdrucks, den Ursachen und Bedingungen dieser Störung und der Art der Partnerbeziehung der Patientin. Die Herangehensweise und Behandlung in der gynäkologischen Sprechstunde wird dabei sehr unterschiedlich sein. In einigen Fällen bedarf es nur weniger klärender Worte, öfter jedoch umfassender oder auch wiederholter Beratungen mit oder ohne Einbeziehung des Partners. Anderen kann nur mit einer Paartherapie oder einer längeren psychotherapeutischen Intervention geholfen werden. Nicht selten können wir gerade in der Gynäkologie neben der Beratung auch medikamentöse Behandlungen nutzbringend einsetzen. Jegliche sexualmedizinische Intervention beruht auf dem (Beier, 2005) biopsychosozialen Verständnis von Geschlechtlichkeit. Eine Sexualstörung ist immer im Kontext mit dem Partner und der Beziehung zu sehen. Daraus ergibt sich die Wichtigkeit der Einbeziehung des Partners in die Anamnese und die Therapie. Zielsetzung muss es sein, für beide Partner durch sexuelle Kommunikation die Sexualstörung zu beheben. 41 Wiederholte Einzel- oder Paarberatungen, die 30 bis 60 Minuten in Anspruch nehmen, sollten privatärztlich in Rechnung gestellt werden (IGEL-Leistung). Um Missverständnisse zu vermeiden, muss der zeitliche und finanzielle Rahmen mit der Patientin vorher genau besprochen werden. Entsprechend der Art und Ausprägung der Sexualstörung kommen im Wesentlichen dabei Hormone zur Anwendung: Östrogene, lokal oder systemisch; Östrogen-Gestagen-Kombinationen; Testosteron, transdermal – außerdem noch verschiedene Dermatika und Gleitmittel. 4.1 Sexualberatungen Dies stellt selbstverständlich für die Patientin oder das Paar eine große, manchmal auch unüberwindliche Hürde dar, ist aber gleichermaßen auch eine Nagelprobe für die Größe des Leidensdrucks, kompetente ärztliche Hilfe tatsächlich zu benötigen und zu wollen. Individuelle Beratungen sind permanenter Bestandteil unserer frauenärztlichen Arbeit, und dies nicht nur bei Krankheiten unserer Patientinnen. Frauenärzte und Frauenärztinnen sind Ansprechpartner der Frauen in vielen Lebenssituationen, auch bei Beziehungs- und Sexualproblemen. Frauenärzte sollten diese Beratungen dezidiert als gesonderte Sprechstunde „Sexualberatung“ ausweisen, um damit auch nach außen sichtbar ihre diesbezügliche Kompetenz zu unterstreichen. Vor jeglicher medikamentösen Therapie steht so auch bei sexuellen Funktionsstörungen immer eine eingehende Beratung. Für gewöhnlich findet diese erste Beratung mit der Patientin allein statt, da sie ihr Sexualproblem meist in der „normalen“ gynäkologischen Sprechstunde vorträgt. Handelt es sich dabei z. B. „nur“ um ein aufklärendes Gespräch wegen einer kolpitisbedingten Dyspareunie, sind die Beratung und Behandlung innerhalb einer Sprechstunde gut möglich. Eine Einbeziehung des Partners ist in diesen Fällen meist nicht nötig. Bei schwerwiegenderen Problemen sollte der Partner immer mit einbezogen werden. Dann auch ist das Problem mit einem einmaligen Besuch in der Sprechstunde nicht zu lösen. Wir „müssen“ die Patientin bzw. das Paar noch ein- oder mehrmals einbestellen und der Paarberatung einen zeitlich größeren Rahmen geben. Dies stößt oft auf zeitliche Grenzen und erfährt in der Honorierung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) keine adäquate Berücksichtigung. Nur in einer solchen „Sexualberatung“ ist es möglich, tiefer liegende Sexualstörungen zu erfassen, umfassend darüber zu beraten und sie adäquat zu behandeln. Das Einfühlen in die spezifische Situation der Patientin oder des Paares mit seinen individuellen Vorstellungen von Liebe, Zärtlichkeit, Intimität, Paarbeziehung und sexueller Leidenschaft wird so für den Gynäkologen besser möglich. Während der Sexualberatung geht es um Aufklärung über normale physiologische Abläufe, Information über das individuelle Erleben der Sexualität, Ausräumen von Sexualmythen, Häufigkeit von Problemen (z. B. Lubrikationsstörungen in der Peri- und Postmenopause) und deren häufige Ursachen, aber auch um Ähnlichkeiten und Unterschiede im sexuellen Erleben bei Mann und Frau. 42 konkrete Hilfe bei ihren Problemen. Vor allem möchten sie ernst genommen werden und sich vom Arzt mit ihrem Sexualproblem angenommen fühlen. Er soll sensibel mit ihren Ängsten und ihrer Schamgrenze umgehen. Die Patientin erwartet auch, dass sich der Arzt die entsprechende Zeit nimmt und sie kompetent berät. Das sexuelle Selbstbewusstsein der Patientin/des Paares wird gestärkt durch die Vermittlung von Wissen oder die Aufklärung über Besonderheiten der Sexualität bei jedem Einzelnen und in bestimmten Lebensabschnitten. Dazu gehören eventuell auch Tipps zur Lebensführung, wie etwa Umgang mit Alkohol, Nikotin, Übergewicht und körperlicher Aktivität. Manchmal geht es um die partnerschaftliche Situation allgemein, um Kommunikationsprobleme, Konfliktverhalten, um körperlichen oder psychischen Stress durch externe Faktoren. Ärztlicherseits stellen sich dem sowohl einige subjektive als auch objektive Bedingungen entgegen. Es bestehen nicht selten Bedenken bezüglich der eigenen sexualmedizinischen Kompetenz. Die meisten Gynäkologen verfügen jedoch über eine zertifizierte psychosomatische Ausbildung und umfangreiche praktische frauenärztliche Erfahrungen, die ihnen eine kompetente Sexualberatung ermöglichen. Eine Sexualberatung muss nicht zwangsläufig mehrere Sitzungen umfassen. Viele in der frauenärztlichen Sprechstunde vorgetragenen Probleme können durch den in der Beratung und Therapie erfahrenen Gynäkologen während einer einmaligen Konsultation geklärt werden. Die Gesprächseröffnung kann auf drei Wegen erfolgen: 1.Die Patientin trägt ihr Problem primär selbst vor. Dieses Problem ist der Hauptgrund für den Besuch in der frauenärztlichen Sprechstunde. 2.Die Patientin gibt Schmerzen bei der Untersuchung an, die einen Grund darstellen, nach sexuellen Problemen zu fragen. 3.Der Arzt eröffnet das Gespräch ohne konkreten Anlass, da das Fragen nach der Sexualität zu seinem „normalen“ Anamnese-Ritual gehört. Dabei haben sich sogenannte offene Fragen bewährt, etwa so: „Wie steht es mit Ihrem Sexualleben? Haben Sie diesbezüglich Fragen, Wünsche oder Probleme?“ 4.2 Gesprächsführung Nicht wenige Frauen haben sexuelle Probleme, sind aber gehemmt, diese beim Frauenarzt anzusprechen. Laut einer aktuellen Studie (Women’s International Sexuality and Health Survey) wünschen sich 87 % der befragten Frauen, dass sie der Frauenarzt direkt zu ihrem Sexualleben befragt. Es ist also die Aufgabe von uns Frauenärztinnen und Frauenärzten, das Gespräch auch auf die Sexualität zu lenken. Es wird nicht nur von uns erwartet, sondern ist essentieller Teil unserer ärztlichen Aufgabe. Natürlich kann man solche Fragen nicht als Standard vorgeben. Jeder Kollege, jede Kollegin wird dies modifizieren müssen. Hängt dies doch von verschiedenen ärztlichen Faktoren ab: Arzt oder Ärztin, Art der sexualmedizinischen Ausbildung und Kompetenz, eigene Einstellung zur Sexualität, eigene sexuelle und Lebens- Dabei haben unsere Patientinnen unterschiedliche Erwartungen an ein solches Gespräch. Manche möchten einfach nur einmal darüber sprechen und die Meinung des Arztes dazu hören, andere erwarten sich aber 43 Dies trifft besonders auch für die Selbstbefriedigung zu. Zur Beurteilung von Appetenz- und Erregungsstörungen ist es wichtig zu wissen, ob die Patientin sich selbst befriedigt und welche sexuellen Reaktionen dabei ablaufen. Oft sind Patientinnen verunsichert, ob es sich überhaupt „geziemt“, sich selbst zu befriedigen und erst recht, offen darüber zu reden. erfahrungen, eigene innere Unbefangenheit, offen über Sexualität reden zu können. Außerdem hängt es von der Patientin ab: Alter, Lebenssituation, Bildungsgrad, soziokultureller Hintergrund, religiöse Bindung, sexuelle Erfahrungen, Vermögen, über Sexualität sprechen zu können. Beim Thema Sexualität ist es sehr wichtig, die richtige Sprache zu finden. Die Skala reicht von der Benutzung wissenschaftlicher Termini bis hin zur Trivial- und Vulgärsprache. Leicht kann es dabei zu Irritationen kommen, einerseits wird man vielleicht nicht verstanden und andererseits könnte man kränkend wirken. Dabei hat sich folgende Frage bewährt: „Und wie ist es, wenn Sie sich selbst befriedigen?“ Diese Frage impliziert, dass es „normal“ ist, dies zu tun, und dass der Arzt davon ausgeht, dass die Patientin dies auch tatsächlich macht. Das erleichtert ihr die Antwort. Beim Zuhören ist es uns möglich, auf die Gestik und Mimik der Patientin zu achten und dabei unsere eigenen Emotionen zu hinterfragen. Um die Patientin besser verstehen zu können und klare Aussagen treffen zu können, ist es hin und wieder wichtig, ihre eigenen Aussagen zu wiederholen, zu spiegeln und hinterher zusammenzufassen, damit die Patientin diese eventuell noch korrigieren kann. Junge Patientinnen erwarten meist eine einfache, unkomplizierte Sprache: „Und wie steht’s mit dem Sex?“ Da bricht das Eis schnell und sie sind überrascht, wie natürlich auch in der ärztlichen Sprechstunde über Sexualität gesprochen werden kann. Geht die Patientin auf das Thema ein, sollten wir sie ermutigen, von ihren Wünschen und Problemen zu erzählen. Wir hören ihr offen zu, stellen gezielt Fragen und können Hilfestellung geben. Das Besondere bei sexuellen Funktionsstörungen ist, dass die Störung nicht nur die Patientin betrifft, sondern immer das Paar, also ihren Partner ebenfalls. Die Patientin ist dabei möglicherweise nur die Trägerin der Symptome eines größeren Paarkonfliktes, dessen Ursache beispielsweise in Kommunikationsproblemen oder unterschiedlichen Ansichten beider Partner zu suchen ist. Besonders dankbar sind die Patientinnen, die schon lange ein Problem mit sich herumtragen, aber nie den Mut gefunden haben, es anzusprechen. Sie sind froh, dass sie sich nun endlich vertrauensvoll öffnen können. Oft ist die Patientin dabei unsicher, die richtigen Worte für bestimmte sexuelle Handlungen zu finden oder Organe zu benennen. Besonders peinlich ist es den meisten natürlich, über ihre individuellen sexuellen Neigungen und Praktiken zu reden. Hierbei sollten wir ihnen auch immer wieder verbal Hilfestellungen anbieten. Idealerweise ist deshalb bei einer Sexualberatung auch der Partner mit einzubeziehen. Auch im Falle eines Einzelgespräches ist also nicht ein Individuum der Patient, sondern das Paar. 44 Im Einzelgespräch hören wir die Sichtweise eines Partners, haben Zugang zu seiner individuellen Körperlichkeit, seiner seelischen Verfassung und seiner sozialen Integration und können uns die Paarsituation nur anhand dieser Informationen vorzustellen versuchen. finden von sexuellen Störungen betroffene Frauen kompetente Gesprächspartner, wobei weder telefonische Diagnosen gestellt, noch Therapieempfehlungen gegeben werden. 4.3 Sexualtherapie Im Gegensatz dazu haben wir beim Paargespräch die Möglichkeit, die Sichtweisen beider Partner zu erfahren, deren individuellen Leidensdruck kennenzulernen, und haben einen Einblick in die Interaktion des Paares. Gleichzeitig bietet sich uns die Möglichkeit, schon beim ersten Kontakt therapeutisch einzugreifen. Eine Sexualtherapie ist immer dann indiziert, wenn die Sexualstörung durch langanhaltende, tiefer greifende Probleme der Patientin oder des Paares bedingt ist. Sie wird durch speziell ausgebildete Sexualtherapeuten durchgeführt, die aus verschiedenen medizinischen Fachrichtungen wie etwa der Gynäkologie, Urologie oder inneren Medizin kommen oder spezialisierte Psychotherapeuten sind.Eine Sexualtherapie kann einzeln erfolgen, jedoch ist sie deutlich effektiver, wenn beide Partner einbezogen werden. Im Wesentlichen unterscheidet man die klassische Sexualtherapie nach Masters und Johnson und die syndyastische Paartherapie. Darüber hinaus gibt es noch einige andere Therapieansätze, die modifizierte Techniken anwenden. Die klassische Sexualtherapie nach Masters und Johnson hat als Schwerpunkt die Sexualität und die sexuellen Funktionen. Sie betrachtet die Sexualität als eigenen, abgespaltenen Erlebensbereich und fokussiert primär auf die Wiederherstellung der gestörten Sexualfunktion. Dabei werden etablierte psychotherapeutische und/oder medikamentöse Methoden beim Einzelnen oder beim Paar angewendet. Außerdem wird das Paar angeleitet, bestimmte körperliche „Übungen“ zur Wiedererlangung der sexuellen Erlebnisfähigkeit durchzuführen (Sensate Focus). Der Therapieerfolg stellt sich am Ende der einzelnen Übungsschritte ein. Schwierigkeiten bei dem Gespräch über Sexualität finden sich nicht nur seitens der Patientin. Es kann beiden Seiten unangenehm sein, darüber zu reden. Auch wir Ärzte haben Ängste und Schamgefühle. Diese sind individuell unterschiedlich, je nach eigener Partnersituation, Sozialisierung und Persönlichkeit. Oftmals verstecken Ärzte ihre eigene Unsicherheit und Angst hinter lateinischen Begriffen wie Masturbation, Onanie oder Koitus. Da die Patientin diese Begriffe oft nicht versteht, kann es sie davon abhalten, von ihrem sexuellen Problem zu erzählen. Es besteht auch für uns ein großer Unterschied zwischen einem Gespräch über alltägliche gynäkologische Erkrankungen, bei denen wir Routine haben, und einem Gespräch über Sexualität, das möglicherweise an unsere eigenen intimen Grenzen herangeht. Deshalb ist so ein Gespräch auch nicht exemplarisch erlernbar, sondern stets individuell. Eine Möglichkeit bei ausführlichem Gesprächsbedarf von Seiten der Patientin ist auch der Verweis an die Infoline (0180-5558484) des Informationszentrums für Sexualität und Gesundheit e.V. (ISG) in Freiburg. Dort 45 sogenannte nicht cholinerge, nicht adrenerge Neurotransmitter (NANC), z. B. vasoaktives intestinales Polypeptid (VIP) und Stickoxid (NO), von Bedeutung. Diese bewirken eine Relaxation der glatten Muskulatur und damit eine Steigerung der Durchblutung im Bereich des Genitales (Marthol, H, M.J. Hilz, 2004). Demgegenüber setzt die syndyastische Sexualtherapie die psychosozialen Grundbedürfnisse und ihre Bedeutung für den Einzelnen und das Paar als Schwerpunkt. Sexualität wird als Verkörperung der Grundbedürfnisse nach Nähe, Wärme, Intimität, Zuwendung und Akzeptanz betrachtet. Die Beziehung des Paares steht im Mittelpunkt. Somit wird primär auf die (Wieder-) Erfüllung dieser Grundbedürfnisse und die Verbesserung der Beziehung fokussiert. Dabei dient auch die sexuelle Kommunikation der Erfüllung der Grundbedürfnisse und nicht allein dem Lustgewinn. Um dies zu erreichen, lernt das Paar, wieder miteinander zu kommunizieren, auch auf körpersprachlicher Ebene, um insgesamt die Beziehungszufriedenheit zu verbessern. Nach jeder Stufe der „Einübungen“ ist ein Therapieerfolg spürbar (Beier et al., 2008). Östrogene und vor allem Androgene sind für die Sexualität der Frau von großer Bedeutung. Sie sind entscheidend insbesondere für die Libido und die sexuelle Erregung. Meist sinkt der Östrogen-Serumspiegel um das 50. Lebensjahr abrupt, der Testosteronspiegel nach und nach schleichend. Dies bewirkt sowohl direkte als auch indirekte Veränderungen der Sexualität. Direkte Veränderungen der Sexualität: Abnahme der sexuellen Appetenz und des sexuellen Interesses Verminderung der Durchblutung der Vulva und Scheide, dadurch Verminderung der Feuchtigkeit der Scheide Patientinnen, bei denen die Sexualstörung auf schwerwiegenderen Persönlichkeitsstörungen, tiefer liegenden (sexuellen) Traumata, Angststörungen oder Psychosen basiert, sollten vor einer möglichen Sexualtherapie eher psychotherapeutisch behandelt werden. Indirekte Veränderungen der Sexualität: Abnahme der körperlichen Attraktivität (Veränderung von Haut und Haaren, Gewichtszunahme,Veränderung der Körperproportionen) Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit Zunahme körperlicher Beschwerden (klimakterisches Syndrom: Hitzewellen, Schweißausbrüche, zusätzlich Gelenkschmerzen, depressive Verstimmung, Schlafprobleme, Harninkontinenz) Zunahme von Krankheiten und gesundheitlichen Risiken, insbesondere KHK Negative Auswirkungen auf die Paarbeziehung 5 Hormonelle Therapie von Sexualstörungen Die physiologischen sexuellen Reaktionsabläufe vollziehen sich nach einem strengen Funktionsplan. Im Neokortex erfolgt die kognitive Steuerung, im Hypothalamus und limbischen System die emotionale und Luststeuerung und im Stammhirn und in der Hypophyse die endokrine und vegetative sexuelle Steuerung. Erregung und Orgasmus werden peripher auf der spinalen Ebene reguliert. Man nimmt an, dass die sexuelle Erregung primär sympathisch vermittelt wird. Besonders sind aber 5.1 Lokale Östrogentherapie Es handelt sich hierbei um eine überwiegend lokale Wirkung am Scheidenepithel. Die systemische Wirkung ist sehr gering, so dass auf eine zusätzliche Anwendung von Gestagenen verzichtet werden kann. Das Hauptanwendungsgebiet für die lokale Östrogentherapie ist die trockene Scheide, die zu Schmerzen, zur Dyspareunie, führen kann. Der peri- und postmenopausale Östrogenmangel führt zu vaginaler Atrophie und bedingt dadurch die Beschwerden. Weit über die Hälfte aller Frauen im Klimakterium leidet unter dieser Symptomatik. Zur Anwendung kommt vor allem Östriol in verschiedenen Dosierungen als Salbe oder Scheidenovulum, aber auch Östradiol. Zur Linderung der Beschwerden der trockenen Scheide und der Dyspareunie reichen Dosierungen von 0,5 bis 1 mg Östriol aus. So führt die Anwendung von Xapro Creme® (1 mg Östriol/1 g Creme), zwei- bis dreimal pro Woche appliziert, zu ausreichender Feuchtigkeit und Lubrikation. Abbildung 1 Biosynthese der Steroidhormone Acetat Cholesterin Pregnenolon Progesteron 17α-HydroxyPregnenolon 17α-HydroxyProgesteron DehydroEpiandrosteron DHEA Androstendion Östron Androstendiol Testosteron Östradiol 5α-DehydroTestosteron 46 47 So wirken sie z. B. psychotrop stimmungsaufhellend auf das Gehirn und verbessern die Geruchsfunktion als sexuellen Stimulus. Östradiol ist das wichtigste Östrogen während der fertilen Phase der Frau, also in der Zeit zwischen Pubertät und Menopause. 95 % des Östradiols werden in den Ovarien und 5 % durch periphere Konversion aus Androstendion im Fettgewebe gebildet. Östradiol ist das potenteste Östrogen. Darüber hinaus befördern die Östrogene die Bildung der Transmitter Serotonin und Dopamin und nehmen damit Einfluss auf die Lustfunktion. Dopamin bewirkt eine Steigerung der sexuellen Appetenz und Erregbarkeit. Von großer Bedeutung für die Sexualität sind die direkten peripheren Wirkungen auf die Genitalorgane. So beeinflussen sie die Reifungsvorgänge des Vulvaepithels, die Zusammensetzung des Bindegewebes und des Fettgewebes der Vulva und fördern die Durchblutung durch Bildung von VIP und NO sowie eine Verbesserung der Elastizität und Lubrikation der Vaginalschleimhaut. Östron ist das Hauptöstrogen nach der Menopause. Es wird postmenopausal nur geringfügig weniger gebildet als prämenopausal. Östron wird durch periphere Konversion aus Androstendion hauptsächlich im Fettgewebe gebildet. Wegen seiner geringeren Affinität zum Östrogenrezeptor hat es eine erheblich geringere östrogene Wirkung. Die Konversionsrate korreliert direkt mit dem Körpergewicht. Adipöse Frauen produzieren fünfmal so viel Östron wie schlanke (Johnson, 2000). In einigen placebokontrollierten Studien mit 0,625 mg und 1,25 mg CEE (Sherwin, 1991) und 50 μg transdermal appliziertem Östradiol (Wiklund, 1993; NathorstBoos, 1993) sind positive Effekte auf die Sexualität Östrogene haben wohl keine direkten zentralen Wirkungen auf die sexuelle Lustfunktion, jedoch üben sie zahlreiche indirekte Wirkungen auf das sexuelle Erleben und Verhalten aus. Abbildung 2 antiestrogen androgen antiandrogen antimineralokortikoid (+) + + – – MPA – + (+) – – Dydrogesteron – + – – – Medrogeston – + – – – Drospirenon – + – + + Dienogest – – – + – Levonorgestrel – + + – – Gestagen NETA/NET 48 Die wichtigsten Androgene sind Testosteron, Androstendion und DHEA sowie DHEA-S. Die Androgene der Frau werden sowohl in den Ovarien und der Nebennierenrinde gebildet als auch durch periphere Konversion im Fett- und Muskelgewebe. Die Auffassung, dass Östrogene allein die Libido der Frau bewirken, ist überholt. Bereits 1987 beschrieben Sherwin et al., dass Östrogene nur in Kombination mit Testosteronenanthat eine deutliche Verbesserung der sexuellen Appetenz bewirken. 5.3 Therapie mit Gestagenen Das natürliche Progesteron wirkt auf den GABA-Rezeptor und damit auf Affektivität und Stimmung. Das natürliche Progesteron wirkt angstlösend und entspannend. In geringen Dosen steigert es die sexuelle Motivation, in höheren Dosen hemmt es sie jedoch. Progesteron scheint sich auch über Interaktionen mit Dopamin positiv auf die Sexualität auszuwirken. Sarrel et al. stellten 1998 in ihrer Arbeit dar, dass die Anwendung der Kombination von Östrogen und Methyltestosteron nicht nur zu einem Anstieg des sexuellen Verlangens und zur Steigerung der Häufigkeit sexueller Begegnungen führte, sondern auch das sexuelle Empfinden steigerte. Es hat sich gezeigt, dass synthetische Gestagene, wie z. B. Levonorgestrel (LNG), sich auf Grund der androgenen Partialwirkung positiv auf die sexuelle Appetenz auswirken können. Hier reichen schon Dosierungen von 0,040 mg LNG in Kombination mit Östrogenen aus, um eine Verbesserung der Libido postmenopausal zu erreichen. Abbildung 3 Gestagene werden zur Behandlung von Sexualstörungen nie allein, sondern stets in Kombination mit Östrogenen eingesetzt. Partialwirkungen der Gestagene estrogen nachgewiesen: Verbesserung von körperlicher Attraktivität, Verbesserung von Sexualtrieb und sexuellen Fantasien, Verbesserung von sexueller Erregung, sexuellem Erleben und sexueller Befriedigung, Beseitigung von vaginaler Trockenheit und damit Verbesserung der Lubrikation und Beseitigung von Dyspareunien. Testosteronpflaster 300 μg/Tag bei Frauen mit Hysterektomie und Ovaerektomie bds. Verbesserung aller wichtigen weiblichen Sexualfunktionen (PFSF) Intimitate SM1 30 Durchschnittliche Veränderung gegenüber dem Ausgangswert 5.2 Systemische Östrogentherapie 5.4 Therapie mit Testosteron, transdermal Testosteron ist nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen das Leithormon für die sexuelle Appetenz und Erregung. Indirekte zentrale Wirkung des Testosterons ist die Steigerung des Wohlbefindens und der Vitalität. 25 P < 0,0001 P = 0,0003 20 P = 0,0001 15 P < 0,0001 P = 0,0006 10 5 0 Erregbarkeit Orgasmus Befriedigung Besorgnis Ansprechbarkeit Placebo* Transdermales Testosteronpflaster* * Alle Frauen erhielten begleitend eine Östrogentherapie Nach Simon, J. A., et al: Journal of Clin Endo & Metab 2005: 90(9): 5226-33 49 P = 0,023 Selbsterleben Für Frauen mit natürlicher Menopause zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr wurden in einer Studie von Shifren et al., 2006, ähnliche Ergebnisse erzielt. Dies wird durch weitere Arbeiten und Metaanalysen belegt (Sonboonporn et al., 2005; Davis et al., 1995; Buster et al., 2005; Alexander, 2006). In diesen wird dargestellt, dass durch Östrogen-Androgen-Kombinationen nicht nur die unmittelbaren Parameter sexualphysiologischer Abläufe, sondern auch allgemeine psychologische Parameter verbessert werden, wie der PGBW (Psychological General Wellbeing Index) und der PFSF (Profile of Female Sexual Function): Verbesserung von Stimmung und allgemeinem Wohlbefinden, von Antrieb, Vitalität und Selbstbild. Gleichzeitig kommt es zur Reduzierung von Sorgen und Leid. Mit dem Testosteronpflaster konnte aber auch ohne begleitende Östrogentherapie eine Verbesserung der Libido postmenopausaler Frauen erreicht werden. Die Sicherheit der Testosterontherapie bezüglich gesundheitlicher Risiken ist gut. Langzeitergebnisse, besonders bezüglich des Mammakarzinom-Risikos, müssen abgewartet werden. 5.6 B edeutung von Oxytocin, Prolaktin und Dopamin 5.7 Therapie mit Östrogen-GestagenKombinationen Es gibt auch eine Vielzahl von Forschungen (meist noch im Tierversuch) zu weiteren Hormonen und Botenstoffen. In der frauenärztlichen Routine-Praxis beklagen Frauen sexuelle Probleme meist nicht isoliert, sondern als ein Symptom des klimakterischen Syndroms, also im Zusammenhang mit Hitzewellen, nächtlichen Schweißausbrüchen, Schlafstörungen, Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit, Gelenkschmerzen u. Ä. Oxytocin wird beim Orgasmus ausgeschüttet und bewirkte im Tierversuch Bindungs- und Paarverhalten. Beim Menschen wird die Höhe des Oxytocinspiegels mit Orgasmusstärke und vaginaler Lubrikation in Zusammenhang gebracht. Meist handelt es sich dabei um eine Abnahme oder einen Verlust der sexuellen Appetenz (Libido), häufig begleitet von Symptomen wie Scheidentrockenheit mit mangelnder Lubrikation und Dyspareunie. Solche Beschwerden werden von den Patientinnen nicht selten ab Mitte des vierten Lebensjahrzehnts geäußert, häufiger jedoch nach der Menopause. Nicht in jedem Fall wird der Libidomangel oder die Dyspareunie von weiteren klimakterischen Beschwerden begleitet. 5.5 Therapie mit DHEA Seit einigen Jahren steht ein Testosteronpflaster zur Behandlung sexueller Appetenzstörungen zur Verfügung. Es ist zugelassen für Frauen, die nach chirurgisch bedingter Menopause unter Hypoactive Sexual Desire Disorder (HSDD) leiden. Die Zulassung beschränkt sich also zurzeit auf Frauen, die nach bilateraler Oophorektomie mit Hysterektomie Libidostörungen haben und darunter erheblich leiden. Die Behandlung muss durch eine zusätzliche Östrogengabe begleitet werden. Dehydroepiandrosteron ist ein Prohormon, das in verschiedene aktive Steroide metabolisiert wird, u. a. in 5-Androstendiol, Testosteron, Östradiol. DHEA wird sowohl prä- als auch postmenopausal zu 60 % in der Nebennierenrinde gebildet, 30 % durch periphere Konversion im Unterhautfettgewebe und 10 % in den Ovarien. Die Tatsache, dass DHEA und sein Sulfat (DHEA-S) Androgene sind, lässt den Schluss zu, dass sie positive Wirkungen auf die weibliche Sexualität entfalten. In einigen Studien ist nachgewiesen, dass eine Steigerung der sexuellen Appetenz eintritt. Dieses Pflaster gibt 300 µg Testosteron pro Tag ab. Die Konzentration an freiem Testosteron im Serum entspricht genau der Konzentration, die durch beidseitige Ovarektomie nicht mehr gebildet werden kann. Es wird am Unterbauch appliziert und zweimal pro Woche gewechselt. Prolaktin hemmt in hoher Konzentration die sexuellen Funktionsabläufe. Es steigt nach dem Orgasmus an und übt wohl eine danach eintretende hemmende Wirkung aus. Dopamin löst nach eingetretener sexueller Erregung den Wunsch nach Fortdauer dieser Erregung aus. Aus der Behandlung von Parkinson-Patienten mit Dopamin-Agonisten ist bekannt, dass diese die sexuelle Erregung befördern. Abbildung 4 Beschwerden (sehr stark + stark + mittel) 0% 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % Gelenk- und Muskelbeschwerden Schlafstörungen Jedoch hat sich diese libidosteigernde Wirkung in der Praxis der ärztlichen Sprechstunde in der Breite nicht nachweisen lassen. Es hat sich deshalb bei der Behandlung von Störungen der sexuellen Appetenz nicht durchgesetzt. In zwei Studien wurde die Wirksamkeit dieser Therapie belegt (Simon et al., 2005; Buster et al., 2005). Unter dieser Behandlung ist es zu einer signifikanten Verbesserung der sexuellen Appetenz und Erregung gekommen und gleichermaßen haben sich die mit dem Libidomangel vorhandenen Probleme verringert. 46 % Hitzewallungen, Schwitzen 42 % Reizbarkeit 30 % Sexualprobleme 29 % Körperl. und geistige Erschöpfung 29 % Depressive Verstimmungen 28 % Herzbeschwerden 23 % Ängstlichkeit 21 % Trockenheit der Scheide Harnwegsbeschwerden 50 60 % 52 % 20 % 17 % 51 Mittlere Zahl moderater/schwerer Hitzewellen pro Woche Abbildung 5 Sexualprobleme in der klinischen Studie Abbildung 6 Zahl und Stärke der Hitzewellen (Veränderung des sexuellen Verlangens, der sexuellen Betätigung und Befriedigung) 80 70 ja 8% 60 50 ja 54 % 40 30 nein 92 % Placebo Estradiol, 0,25 mg 20 Estradiol, 1 mg Estradiol, 2 mg 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Zyklus 0 Wochen Nach Notelovitz et al., 2000 Zyklus 13 (Multizentrische klinische Studie: n = 105) Wie die in dem vorliegenden Buch dargestellte repräsentative Studie mit Frauen zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr zeigt, klagen 29 % dieser Frauen über Sexualprobleme (insbesondere eine Abnahme des sexuellen Verlangens) und 20 % über Scheidentrockenheit. Damit rangieren die Sexualprobleme bei den Symptomen des klimakterischen Syndroms, die als mittelstark bis sehr stark benannt werden, an fünfter Stelle: Gelenk- und Muskelschmerzen 52 % Schlafstörungen 46 % Hitzewallungen, Schwitzen 42 % Reizbarkeit 30 % Sexualprobleme 29 %. Bestehen neben dem Mangel an sexueller Appetenz weitere Symptome wie Hitzewellen, nächtliche Schweißausbrüche, Schlafstörungen usw., ist die Therapie mit Östrogen-Gestagen-Kombinationen sinnvoll. In Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparaten vereinen sich alle Vorteile der Östrogene und der Gestagene in einer Medikation. Einerseits ist hierbei die Dosierung des Östrogens von Bedeutung und andererseits Stärke der Sexualprobleme in der klinischen Studie Abbildung 7 100 % 90 % Diese und andere Daten der vorliegenden Studie unterstreichen, dass die klimakterischen Symptome Glück, Wohlbefinden sowie Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Frauen stark beeinträchtigen. Sie verdeutlichen, wie schwerwiegend sexuelle Probleme für Frauen nach der Menopause sind, und unterstreichen die Bedeutung einer adäquaten sexualmedizinisch orientierten frauenärztlichen Beratung. 80 % Anteil betroffener Frauen Nach 13 Einnahmezyklen waren fast alle Frauen beschwerdefrei. Lediglich 7 % wiesen noch leichte Sexualstörungen auf und nur bei 1 % der Frauen waren noch mittlere bis starke Probleme vorhanden. Diese Ergebnisse verdeutlichen im Prinzip das, was sich in der frauenärztlichen Praxis erwiesen hat. Klagt eine Patientin über klimakterische Beschwerden mit Hitzewallungen, Schlafstörungen, depressiver Verstimmung und sexuellen Problemen, ist nach gründlicher Erhebung der Anamnese, ausführlicher Beratung und Prüfung von Kontraindikationen eine Therapie mit Östrogen-Gestagen-Präparaten, wie z. B. mit der oben genannten Kombination, angezeigt. Die Östrogendosis sollte nach Möglichkeit 1 mg nicht übersteigen und als Gestagen sollte Levonorgestrel gewählt werden, weil dieses als Gestagen eine androgene Partialwirkung besitzt. Wie Untersuchungen belegen, beseitigt 1 mg Estradiol wirkungsvoll die bestehenden Hitzewallungen: Nach drei Wochen sind 60 % der mittelschweren und schweren Wallungen beseitigt und nach vier Wochen rund 80 %. Estradiol, 0,5 mg 10 0 nein 46 % kann die Wahl eines Gestagens mit einer androgenen Partialwirkung von Vorteil sein. Im Allgemeinen reicht 1 mg Estradiol als Östrogendosis zum Beseitigen der Symptome des klimakterischen Syndroms aus. Nur im Einzelfall wird es nötig sein, eine höhere Dosierung einzusetzen. 70 % 60 % Besteht also bei einer Patientin auf Grund des klimakterischen Syndroms die Indikation für eine Hormonersatztherapie, sollte bei vorhandenem Mangel an sexueller Appetenz ein Kombinationspräparat aus einem Östrogen mit einem entsprechenden Gestagen, wie z. B. Levonorgestrel, ausgewählt werden. Levonorgestrel besitzt eine androgene Partialwirkung und in Kombination mit einem Östrogen wirkt sich dies positiv auf die sexuelle Lust aus und gleichzeitig wird die Lubrikation der Scheide verbessert, wie eine klinische Studie zeigen konnte. Nachweislich trat eine spürbare subjektive Verbesserung der sexuellen Lust, der sexuellen Betätigung und Befriedigung ein. Zu Beginn der Studie klagten 54 % der postmenopausalen Frauen über Sexualprobleme. Nach 13-monatiger Behandlung mit einer Kombination aus 1 mg Östradiol und 0,04 mg Levonorgestrel waren es nur noch 8 %. 50 % 40 % Insbesondere verringerte sich Zahl der Probandinnen, die über starke sexuelle Probleme klagten. 30 % 20 % 10 % 0% 0 Sexualprobleme: 1 3 mittel bis stark 7 leicht (Multizentrische klinische Studie: n = 105) 52 10 keine 13 Zyklus Vor der Behandlung bestanden bei einem Drittel der Frauen leichte Sexualprobleme und bei 20 % waren sogar mittlere bis starke Probleme zu verzeichnen. 53 6 Typisierung sexueller Störungen bei Frauen in der Peri- und Postmenopause nach Kriterien der gynäkologischen Praxis (nach Ahrendt und Friedrich) In der gynäkologischen Praxis kann man entsprechend den Beschwerde- und Störungsbildern bei Frauen in der Peri- und Postmenopause folgende Typisierung vornehmen: Typ I Ausgeprägte Symptome des klimakterischen Syndroms (u. a. Hitzewellen, Schweißausbrüche) und Verlust der sexuellen Appetenz und trockene Scheide mit Dyspareunie, großer Leidensdruck (HSDD) Kasuistiken zu den einzelnen Typen sexueller Störung befürchtet sie, dass ihr Mann sie deshalb verlassen könnte. Typ I Ausgeprägte Symptome des klimakterischen Syndroms (u. a. Hitzewellen, Schweißausbrüche) und Verlust der sexuellen Appetenz und trockene Scheide mit Dyspareunie, großer Leidensdruck (HSDD) Sie hat zwei Kinder geboren, ist gesund und nimmt keinerlei Medikamente ein. Bei der gynäkologischen Untersuchung fiel eine beginnende atrophische Kolpitis auf bei sonst altersentsprechendem Befund. Kasuistik: H. P., 51 Jahre Die Patientin klagt über Hitzewellen, Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit, seit sie vor sieben Monaten die Pille abgesetzt hat. Therapie 1.H ormonersatztherapie mit Östrogen-GestagenKombinationspräparat, darin Gestagen mit androgener Partialwirkung: 1 mg Estradiolvalerat plus 0,04 mg Levonorgestrel 2.L okale Östrogentherapie der Scheide und Vulva: Vaginalcreme mit 10 µg Estradiol: erste Woche einmal täglich, danach jeden zweiten Tag, später zweimal pro Woche 3. Sexualberatung: Patientin mit dem Partner, Verbesserung der Kommunikation, Ermutigung zur Wiederaufnahme der sexuellen Beziehung Auf die Frage, wie es denn um ihre Sexualität stehe, bricht sie fast in Tränen aus. Vor ein paar Monaten habe es angefangen. Die Lust auf Sex habe total nachgelassen. Wenn sie sich trotzdem auf das Liebesspiel einlasse, habe sie starke Schmerzen, da sie sehr trocken sei. Sie halte das kaum aus. Der Sex müsse oftmals abgebrochen werden. Manchmal habe sie sogar leicht geblutet. Typ II Ausgeprägte Symptome des klimakterischen Syndroms (u. a. Hitzewellen, Schweißausbrüche), dazu Seborrhö, Akne und Haarausfall und Verlust der Libido – jedoch deshalb kein Leidensdruck (kein HSDD) Typ III Leichte Symptome des klimakterischen Syndroms und abrupter Verlust der sexuellen Appetenz nach gynäkologischer OP, dadurch großer Leidensdruck (HSDD) Nach und nach habe sie sich von ihrem Mann zurückgezogen. Sie vermeidet jetzt jegliche körperliche Annäherung aus Angst, dass es ihr wieder weh tun könne. Ihr Mann, mit dem sie seit 20 Jahren verheiratet ist, ist sehr irritiert darüber. In letzter Zeit würden sie sich auch häufiger wegen Kleinigkeiten streiten. Inzwischen ist ein gewisses Schweigen in der Beziehung eingetreten. Es wird darüber nicht geredet. Typ IV Keine klimakterischen Beschwerden und keine wesentliche Verminderung der Libido – jedoch trockene Scheide und Dyspareunie Vorher hatten sie regelmäßig und für beide befriedigenden Sex. Die Patientin leidet sehr unter diesem Zustand, insbesondere auch, weil ihr Sex stets viel Spaß gemacht habe und ihr viel bedeute. Außerdem 54 schränken ihre Lebensqualität stark ein und insbesondere auch bei ihrer Arbeit als Verkäuferin fühle sie sich deshalb nicht wohl. Sie ist seit 27 Jahren verheiratet und hat zwei Kinder geboren. Seit etwa vier Jahren nimmt sie Kalziumantagonisten wegen einer leichten arteriellen Hypertonie ein und ist ansonsten gesund. Die Beziehung zu ihrem Mann beschreibt sie als harmonisch. Es gebe viele Gemeinsamkeiten und Sexualität habe bei beiden von Anfang an keine große Rolle gespielt. Sie habe auch nie ein großes Verlangen nach Geschlechtsverkehr gehabt. Sie genießt es, mit ihrem Mann Zärtlichkeiten auszutauschen und zu kuscheln. Die körperliche Nähe sei ihr sehr wichtig. Dies gebe ihr Geborgenheit. Auch ihr Mann fühle sich so wohl. Im Gespräch mit der Patientin wird deutlich, dass sie sich lediglich eine Linderung ihrer klimakterischen Beschwerden wünscht sowie eine Verbesserung der Haut und des Haarausfalles. Pflanzliche Mittel habe sie bereits ausprobiert, aber ohne wesentliche Effekte. Die gynäkologische Untersuchung ergab einen altersentsprechenden, unauffälligen Befund. Typ II Ausgeprägte Symptome des klimakterischen Syndroms (u. a. Hitzewellen, Schweißausbrüche), dazu Seborrhö, Akne und Haarausfall und Verlust der Libido – jedoch deshalb kein Leidensdruck (kein HSDD) Therapie 1.H ormonersatztherapie mit Östrogen-GestagenKombinationspräparat, darin Gestagen mit antiandrogener Partialwirkung: 1 mg Estradiolvalerat plus 2 mg Dienogest 2.Gynäkologische Beratung Kasuistik: K. S., 52 Jahre Die Patientin kommt zur Krebsvorsorgeuntersuchung in die Praxis und klagt über häufige Hitzewallungen, depressive Episoden, starken Leistungsabfall, Müdigkeit und Schlafstörungen, die gleichzeitig mit dem Ausbleiben ihrer Regel vor fünf Monaten einsetzten. Seitdem habe sie auch auffallend unreine und fettige Haut und ihre Haare würden ausfallen. Diese Beschwerden 55 Therapie 1.Testosteronpflaster: Applikation zweimal pro Woche entsprechend Vorschrift 2.1 mg Estradiol, oral: täglich eine halbe 2-mg-Estradiol-Tablette 3.Sexualberatung: Patientin allein, gegebenenfalls mit Partner Typ III Leichte Symptome des klimakterischen Syndroms – großer Leidensdruck wegen abrupten Verlustes der sexuellen Appetenz nach gynäkologischer OP (HSDD) Kasuistik: S. B., 54 Jahre Die Patientin sucht gezielt die gynäkologische Sprechstunde auf wegen des abrupten Verlustes ihrer sexuellen Lust nach einer gynäkologischen Operation vor neun Monaten. Typ IV Keine klimakterischen Beschwerden und keine wesentliche Verminderung der Libido – jedoch trockene Scheide und Dyspareunie Wegen unklarer zystischer Ovarialtumoren, die sich histologisch dann als benigne erwiesen, wurde eine abdominale Hysterektomie mit beidseitiger Ovarektomie durchgeführt. Kasuistik: H. G., 58 Jahre Die attraktive, selbstbewusste Patientin kommt zur jährlichen Routineuntersuchung und erzählt von häufigen Schmerzen beim Sex mit ihrem Partner wegen der zu trockenen Scheide. Das führt dazu, dass sie sich beim Geschlechtsverkehr nicht mehr so fallen lassen kann, nicht mehr so heftig erregt wird und seltener zum Orgasmus kommt. Die Lust auf Sex sei unverändert gut und sie würde die körperliche Nähe ihres Partners sehr genießen und sich von ihm sehr angenommen fühlen. Die Patientin habe schon bald Veränderungen die Libido betreffend verspürt. Sexualität habe schon immer in ihrem Leben eine große Rolle gespielt und sie beklagt nun nachhaltig den Verlust der sexuellen Appetenz und des sexuellen Empfindens. Ihr fehlen jegliche sexuellen Fantasien und sie sei nur schwer erregbar. Außerdem ist die Scheide trocken und sehr empfindlich. Zusätzlich habe sie jetzt auch immer wieder Hitzewellen und nächtliche Schweißausbrüche. Sie ist in zweiter Ehe mit einem neun Jahre jüngeren Partner verheiratet, der jetzt ebenfalls sehr unter dieser Situation leidet. Sie habe schon verschiedene Gleitgele probiert, die aber die Beschwerden nicht vollends beseitigt hätten. Die Patientin hat drei Kinder geboren. Sie ist sehr sportlich und gesund. Die gynäkologische Untersuchung ergab bis auf einen leicht geröteten Introitus vaginae einen unauffälligen Befund. Therapie 1.Lokale Östrogentherapie der Scheide und Vulva: Vaginalcreme mit 1 mg Östriol: erste Woche einmal täglich, danach jeden zweiten Tag, später zweimal pro Woche 2.Lokale Zusatzbehandlung der Scheide und Vulva: bei Bedarf zusätzlich: hyaluronsäurehaltige Cremes oder Gels, zweimal pro Woche in Ergänzung zur lokalen Östrogentherapie 3.Gynäkologische und Sexualberatung der Patientin Sie lebt mit diesem Partner seit zehn Jahren zusammen. Ihre Beziehung sei sehr harmonisch und der Sex sehr erfüllend und aufbauend. Sie möchte keine diesbezüglichen Einschränkungen und leidet sehr darunter, dass wegen der trockenen Scheide der Sex nicht mehr so ungestört ist wie früher. Der postoperative gynäkologische Untersuchungsbefund ist unauffällig. 56 57 Anhang Patienten-Kurzfragebogen „B-PFSF“ Fragebogen für das vertiefende Gespräch bei Sexualproblemen im Klimakterium nie 1. Ich hatte Lust auf Sex 2. Ich war unglücklich über mein geringes sexuelles Interesse 3. E s dauerte ewig, bis ich erregt war 4. Ich habe beim Sex nichts empfunden selten manchmal häufig sehr häufig immer Name der Patientin: Datum: ja Ist Ihnen ein erfülltes Sexualleben wichtig? Hat sich Ihre Lust auf Sexualität verändert? Haben Sie verglichen mit früher seltener Geschlechtsverkehr? Kommt es beim Geschlechtsverkehr zu Schmerzen? 5. M ir fehlte es an sexuellem Verlangen Haben Sie mehr beruflichen oder persönlichen Stress als früher? 6. Ich war enttäuscht, über mein geringes sexuelles Interesse 7. Ich habe leicht einen Orgasmus bekommen Ist Ihr Sexualleben an stressfreien Tagen – z. B. im Urlaub – zufriedenstellender? Sind Sie mit Ihrer Partnerschaft zufrieden? nein Literatur Alexander, Dennerstein, Burger & Graziotti, Women’s Health 2006 Basson R, Leiblum S. Brotto L, Derogatis L, Fourcroy J. Fugl-Meyer K, Graziottin A. Heimann JR, Laan E., Meston C, van Schover LLJ, Schultz WW. Revised definitions of women’s sexual dysfunction. 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