Psyche und Mammakarzinom

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Psyche und Mammakarzinom
Psyche und Mammakarzinom
Chur 25.08.2011
Prof. C. Buddeberg, ZH
Subjektive Überzeugungen zur Karzinogenese u.
Krebsprognose
Persönlichkeitsmerkmale und Lebensstil
Krankheitsverarbeitung (Coping) und somatischer
Krankheitsverlauf
Effekte psychotherapeutischer Interventionen
Lebensqualität von Brustkrebspatientinnen; reaktive
psychische Störungen (Anpassungsstörungen)
Fazit und Empfehlungen für die Praxis
„Meine Brustkrebserkrankung
ist die logische Konsequenz
der Schicksalsschläge, die mich
in den letzten Jahren getroffen
haben“
Patientenkompetenz (PK) und Krebsprognose
Nagel et al 2004
Definition : PK ist die Fähigkeit des Patienten, sich den
Herausforderungen einer Erkrankung zu stellen, sich auf die
eigenen und fremden Ressourcen zur Krankheitsbewältigung zu
besinnen, diese Ressourcen zu nutzen, dabei auch persönliche
Befürfnisse zu berücksichtigen, eigene Zielvorstellungen zu
verfolgen und Autonomie zu wahren.
Schriftliche Befragung von 2661 Personen (Krebspatienten,
deren Angehörige, Allgemeinärzte, Onkologen, medizinisches
Personal, Apotheker)
Fragestellung: Wovon hängt nach Ihrer Überzeugung das
Ergebnis der Krebsbehandlung ab? a) Nur somatische
Tumortherapie; b) Tumortherapie und Kräfte der Selbstheilung
des Patienten
Patientenkompetenz und Krebsprognose
Ergebnisse
Nagel et al 2004
Krebspatienten und ihre Angehörigen (N=860) sind in
nahezu 100% der Fälle von der prognostischen
Relevanz der Patientenkompetenz überzeugt
Ärzte für Allgemeinmedizin 92%; Apotheker 96%
Onkologen: Frauen < 40 J 63%; > 40 J 56%
Männer < 40J 55%; > 40 J 45%
An Krebs erkrankte Ärzte ( Onkologen u.a.): 98%
Entwicklung der Psychosomatischen
Medizin im 20. Jahrhundert
Phase 1
ca. 1930 -1960
Phase 2
ca. 1960 -1990
Phase 3
seit 1990
•
Psychogenese somatischer Erkrankungen
•
Ganzheitlicher Zugang zu Patient und Krankheit
•
Psychoanalyse (PA) als theoretischer Bezugsrahmen
•
Biopsychosoziale Medizin: Psychophysiologie, Psychoimmunologie,
Psychoonkologie, Life Event, psychosozialer Stress, etc.
•
Spezifischer Zugang zu Patient und Krankheit
•
Systemtheorie (ST) als theoretischer Bezugsrahmen
•
Psychobiologie in der Medizin: Emotionen und biologischer Korrelate,
Risikofaktoren, präventive Faktoren, geschlechtstypische Unterschiede, etc.
•
Multimodaler Zugang zu Patient und Krankheit
•
Kognitive Verhaltenstherapie, PA und ST als theoretische Konzepte
Buddeberg C 2004 nach Lipowski 1986 und Heim 1993
Gibt es eine „Krebspersönlichkeit“?
Merkmale von Frauen mit Brustkrebsrisiko
(z.B.Temoshok 1987): Überangepasstheit, Neigung
unangenehme Gefühle nicht auszudrücken, Neigung
zu Hilflosigkeit/Hoffnungslosigkeit u. Depression
Zumeist retrospektive Studien an schon erkrankten
Frauen mit erheblichen methodischen Mängeln
In prospektiv angelegten Studien fanden sich keine
empirischen Belege für die Annahme einer
„Krebspersönlichkeit (Schwarz et al 2007)
Lebensstil und indirekte psychische
Einflussfaktoren (Söllner 2010)
Lebensstil ist abhängig von sozioökonomischen, soziokulturellen
und individuellen Faktoren
Chronischer Stress, belastende Lebensereignisse und Depression
können Verhaltensweisen begünstigen, die ein Krebsrisiko
darstellen;
Wissenschaftlich belegte karzinogene (Umwelt-) Faktoren:
Ernährungsfaktoren, Mangel an Bewegung, Übergewicht,
Rauchen, übermässiger Alkoholgenuss, übermässige Exposition
gegenüber UV-Strahlung
Risikoreicher Lebensstil erhöht das Risiko, an Krebs und anderen
Krankheiten zu erkranken
Krankheitsverarbeitung (KV) und Krankheitsverlauf bei Brustkrebs; prospektive Studien
Greer et al (1979,1990): N=62, Nx nicht erfasst!! Zielvariablen
Rezidivfreiheit und Überlebenszeit; Beobachtungszeitraum 15 J:
Patientinnen mit „fighting spirit“ und „denial“ hatten signifikant
längere Überlebenszeiten
Cassileth et al (1985,1988): N= 88 Mamma-Ca-Pat. mit N+;
zielvariablen Rezidivfreiheit und Überlebenszeit; Beobachtungszeitraum 3-8 J; kein Zusammenhang zwischen KV und Verlauf
der Brustkrebserkrankung
Dean et Surtees (1989): N=122; Zielvariablen Überlebenszeit
und Rezidivfreiheit; Beobachtungszeitraum 6-8 J; Patientinnen
mit präoperativer KV „stoic acceptance“ und „hopeless/helpless“
blieben häufiger rezidivfrei
Fazit: Zusammenhänge Krankheitsverarbeitung
und Krankheitsverlauf bei Brustkrebs
Ergebnisse bisheriger Studien sind
widersprüchlich
Je bescheidener die Forschungsmethodik,
desto eindrücklicher die Ergebnisse
Häufigste methodische Mängel: KV nur
einmal erfasst; Tumorbiologie nur partiell
bestimmt; psychobiologische Faktoren
werden nicht gemessen; Dosis-WirkungsBeziehung ist nicht nachgewiesen
Wirksamkeit psychotherapeutischer
Interventionen
Einfluss auf Lebensqualität und
Krankheitsverarbeitung von Mammakarzinom-Patientinnen?
Einfluss auf den somatischen Krankheitsverlauf?
Untersuchte Interventionen: Kognitivverhaltenstherapeutische GT;
psychoedukative Interventionen
Wirkung auf Lebensqualität und
Krankheitsverarbeitung (Faller et al. 2001;Söllner 2010)
Ergebnis von Metaanalysen
verschiedener Studien:
Therapieprogramme, welche die Selbstwirksamkeit
fördern, d.h. das Erleben, selbst etwas tun zu
können, um das Wohlbefinden und den
Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen, waren
erfolgreich: Weniger Depressionen, bessere LQ,
besseres Köperbild, weniger intrusive Gedanken,
weniger Tabuisierung der Krebserkrankung,
geringere negative Auswirkungen auf Partnerschaft
Psychoonkologische Interventionen und
Überlebenszeit ( Spiegel et al. 1989,2007)
1989 im LANCET publizierte Studie:
Frauen mit einem metastasierenden Mamma-Ca, die
eine einjährige supportiv-expressive Gruppentherapie
erhalten hatten, überlebten signifikant häufiger als
eine psychotherapeutisch unbehandelte
Kontrollgruppe!
Fünf methodisch bessere ReplikationsStudien konnten die Ergebnisse nicht
bestätigen (Selektionsbias der KGr von Spiegel?)
Patientenkompetenz und prognostische Relevanz für
Verlauf eines Mamma-Ca (Andersen et al. 2008, 2010)
Prospektive Verlaufsstudie an 227 MammaCa-Patientinnen Stadium II und III:
Überlebensvorteil für Patientinnen, die an einer GrTh. mit verschiedenen Elementen (PMR nach
Jacobson, Psychoedukation zur Förderung des
Selfempowerment)
Methodische Schwächen der Studie: Biologische
Transformatoren des Neuro-Immun-Systems wurden
erfasst aber nicht ausgewertet. Wirkung durch
Verbesserung der Therapie-Adherence?
Patientenkompetenz („Trendbegriff)
Definition von Patientenkompetenz:
-
-
-
-
Fähigkeit, sich den Herausforderungen einer
Krankheit zu stellen u. Information zu suchen
Fähigkeit, den eigenen Lebensstil zu reflektieren
Fähigkeit, medizinische und psychosoziale
Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen
Kritische Inanspruchnahme von Leistungen des
Gesundheitswesens
Kenntnis von Patientenrechten
Fazit für die Praxis (1)
In den subjektiven Krankheitsvorstellungen
von Brustkrebspatientinnen spielen
psychogene Theorien bzgl. Entstehung und
Verlauf der Krankheit eine zentrale Rolle.
Diese Vorstellungen sollten angesprochen
und ernst genommen werden!
Fazit für die Praxis (2)
Psychogene Krebstheorien konnten bisher
nicht eindeutig bestätigt werden!
Die Reaktion von Krebspatienten auf ihre
Krankheit und deren Verlauf ist individuell
sehr verschieden und ist zu respektieren!
Fazit für die Praxis (3)
Die psychosoziale Versorgung
Krebskranker sollte sich an den
Bedürfnissen der Betroffenen
orientieren! Niederschwellige psychoedukative Angebote sind wichtig!!
Literaturhinweise Reviews
Faller H, Herschbach P: Psychoonkologische
Interventionen – Wie erfolgreich sind sie?
Nervenheilkunde 2001;30: 133-137
Söllner W: Psyche und Krebs-Können
psychosoziale Faktoren Krebs verursachen
oder den Verlauf von Krebserkrankungen
beeinflussen?
Psychotherapie im Dialog 2010;11:145-150