Interview aus der Oktober-Ausgabe als downloaden.

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Interview aus der Oktober-Ausgabe als downloaden.
WortfürWort
Düsteres
Kapitel
Im Film Der Baader Meinhof
Komplex spielt Moritz Bleibtreu
eine der Hauptfiguren in der
blutigsten Ära der deutschen
Nachkriegsgeschichte
Radikal: Bleibtreu als
Andreas Baader,
RAF-Terrorist der
ersten Stunde
VON PAUL BARZ
E
ndlich mal wieder ein Film
mit dem Mut, deutsche Nachkriegsgeschichte zu thematisieren“, freut sich Moritz Bleibtreu,
Jahrgang 1971. In Der Baader Meinhof
Komplex nach dem gleichnamigen
Buch von Ex-Spiegel-Chefredakteur
Stefan Aust spielt er Andreas Baader
– neben Ulrike Meinhof (im Film dargestellt von Martina Gedeck) der TopTerrorist der ersten RAF-Stunde.
Nachdem der Versuch misslungen
war, ihn und seine RAF-Mithäftlinge
durch die Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer
sowie der Lufthansa-Maschine „Landshut“ freizupressen, beging Baader –
FOTOS: (LINKS) © PICTURE-ALLIANCE / DPA;
wie auch Gudrun Ensslin und Jan-Carl
Raspe – im Herbst 1977 im Gefängnis
Stuttgart-Stammheim Selbstmord.
Dort war bis zum Frühjahr desselben
Jahres auch Brigitte Mohnhaupt inhaftiert, die später an der Ermordung
von Generalbundesanwalt Siegfried
Buback und Bankier Jürgen Ponto sowie an der Entführung und Ermordung Schleyers beteiligt war.
Wie nähert sich ein Schauspieler,
der zur Zeit des „Deutschen Herbstes“ gerade mal im Grundschulalter
war, diesem düsteren Kapitel der
deutschen Nachkriegsgeschichte? Wir
trafen Moritz Bleibtreu zu einem
Gespräch in Hamburg.
( R E C H T S ) © C O N S TA N T I N F I L M V E R R L E I H G M B H
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schichte und Ihre Rolle erarbeitet?
Bleibtreu: Dafür hat schon die Pro-
RD: Hatten Sie denn jemals persönlichen Kontakt zu einstigen Terroristen und ihren Sympathisanten, etwa
zu Ihrem Kollegen Christof Wackernagel, der inzwischen eine Schauspieler-Karriere gemacht hat?
Bleibtreu: Mit dem habe ich sogar
mal gespielt. Aber ihn zu diesem Teil
seiner Vergangenheit zu befragen?
Intelligent: Ulrike Meinhof
(links) war die Denkerin
der RAF. Im Film wird sie
von Martina Gedeck
gespielt (rechts)
Duo infernale:
Andreas Baader
(Bleibtreu) mit Gudrun
Ensslin (Johanna
Wokalek), mit der er
zeitgleich Selbstmord
begehen wird
F O T O S : ( M I T T E U N D O B E N ) © C O N S TA N T I N F I L M V E R R L E I H G M B H
RD: Wie haben Sie sich die RAF-Ge-
duktion gesorgt, sodass am Ende jeder von uns ein wandelndes RAF-Archiv war. Irgendwann kam allerdings
auch der Punkt, wo man sich sagte:
Stopp! Ich bin schließlich keine Baader-Computeranimation, sondern ein
Schauspieler, der seine persönliche
Sicht einer Rolle abliefern soll.
F O T O : ( L I N K S ) © A S S O C I AT E D P R E S S
Reader’s Digest: Was fällt Ihnen
spontan zu den 70er-Jahren ein?
Moritz Bleibtreu: Zwangsläufig
die Schlaghosen. Weil man als Knirps
den meisten Leuten nur bis zum Po
reichte und als Erstes deren Hosen
sah. Insgesamt scheint mir das eine
sehr gesellige Zeit gewesen zu sein.
Man hatte immerzu Besuch, traf tausend Leute. Beim Thema RAF denke
ich zunächst an die überall, in jeder
Bank und Post, aushängenden Fahndungsplakate mit dem Aufdruck „Machen von der Schusswaffe Gebrauch“.
Etwa: „Wie war es denn, einem Polizisten eine Knarre an den Schädel zu
halten?“ Das bringt doch nichts. Außerdem: Wann immer man mit einem
gesprochen hat, der Andreas Baader
noch gekannt haben will, gab es einen
anderen Baader. Mal trug er immer
Samthosen, mal nie ...
RD: Ihr Kollege Sebastian Koch, der
im TV-Film Todesspiel den Baader gespielt hat, meinte, er sei ein verhinderter Mick Jagger gewesen ...
Bleibtreu: Genau. Ein totaler Selbstdarsteller. Den politischen Baader gab
es wahrscheinlich überhaupt erst in
der Gefängniszelle, weil er da sein Tun
irgendwie rechtfertigen und als politisch motiviert ausgeben musste. Der
READER’S DIGEST
Oktober 2008
politische Kopf war zweifellos nicht
er, sondern Ulrike Meinhof ...
RD ... die auch Opfer war. Martina Gedeck zeigt das im Film eindrucksvoll.
Bleibtreu: Das stimmt. Ich glaube,
die anderen brauchten und missbrauchten sie. Ihren Verstand, ihre
Gabe, sich zu artikulieren, auch ihren
Ruf als prominente Journalistin. Zu
Recht spricht man von der BaaderMeinhof-Gruppe, nicht der BaaderEnsslin-Gruppe. Darüber ärgert sich
Gudrun Ensslin wahrscheinlich noch
im Jenseits.
RD: Baader hat sich geschminkt, falsche Wimpern angeklebt, verkehrte
in Schwulenbars …
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FOTO: © PICTURE-ALLIANCE/SVEN SIMON
Brutal: Nach dem RAFMordanschlag auf
Siegfried Buback
Bleibtreu: Wohl mehr aus Koketterie und um zu provozieren. Er war,
was man einen Dandy nennt.
RD: Sie haben bei Ihrer Rollengestaltung auf dieses Moment verzichtet.
Bewusst?
Bleibtreu: Nach längerer Diskussion, ja. Weil man damals noch mit
Dandytum provozieren konnte, so wie
sich Mädels noch mit politischen Aktionen und Parolen aufreißen ließen.
Das eine wie das andere ist heute völlig uncool. Kommen Sie mal heute einem Mädchen mit einem VoltaireZitat …
RD: Sie sind nach eigenem Bekunden
Schauspieler geworden, weil Sie nichts
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Die RAF und
1967 Bei Demonstrationen gegen den
Besuch des Schahs von Persien wird der
Student Benno Ohnesorg am 2. Juni in
Berlin von einem Polizisten erschossen.
1968 Am 2. April legen Andreas Baader
und Gudrun Ensslin aus Protest gegen den
„Völkermord in Vietnam“ Brandbomben in
Frankfurter Kaufhäusern. Sie werden am
31. Oktober zu drei Jahren Haft verurteilt.
Baader kommt durch einen Revisionsantrag bereits am 13. Juni 1969 wieder frei.
Während des Prozesses lernt Ensslin die
Journalistin Ulrike Meinhof vom linksgerichteten Magazin konkret kennen.
1970 Am 4. April wird der inzwischen
flüchtige Baader verhaftet. Er tritt seine
Haft wegen der Kaufhausbrände an. Am 14.
Mai befreien Meinhof, Ensslin und andere
Baader: Die Rote Armee Fraktion (RAF) ist
anderes können. Wäre Ihnen der Weg
in diesen Beruf verwehrt geblieben –
hätten Sie sich am Ende, wie Baader,
Ihre eigene Szene für Selbstdarstellung gesucht?
Bleibtreu: Nein. Weil mich kein
Selbstdarstellungstrieb in meinen Beruf gedrängt hat. Das war bei uns in
der Familie einfach nicht Tradition,
im Gegenteil: Ruhm war nahezu verdächtig. Meine Mutter ...
RD: ... Monica Bleibtreu ...
Bleibtreu: ... sollte 1972 die Goldene
Kamera bekommen und hätte sie fast
abgelehnt. Sie erschien dann zur Preisverleihung im Norwegerpullover. Also:
Glamour, Ruhm – das zählte nicht, nur
der Inhalt, die Arbeit, und wenn ich
nicht Schauspieler hätte werden können, dann vielleicht Koch oder etwas
anderes Handwerkliches. Was die
Möglichkeit angeht, selbst Terrorist
zu werden: Ich verstehe bis zu einem
gewissen Grad den Impuls, der die
Leute in ihren Radikalismus getrieben
hat. Die Methoden lehne ich absolut ab.
RD: In Ihrer letzten Szene als Baader
distanzieren Sie sich von den Methoden der zweiten RAF-Generation und
erklären, die erste Generation wäre
nie so weit gegangen wie Mohnhaupt
und Co. Ein geläuterter Baader?
Bleibtreu: Ich glaube, das war pure
Taktik, um irgendwann aus dem Knast
ihr Weg in die Katastrophe
geboren, die der westlichen kapitalistischen
Welt den Krieg erklärt. Baader und Mitstreiter werden unter anderem von Palästinensern in Jordanien militärisch geschult.
1972 Die RAF verübt fünf Bombenanschläge und mehrere Banküberfälle. Ende
Mai läuft eine der größten Fahndungen in
der Geschichte der Bundesrepublik an, im
Juni werden Baader, Ensslin, Meinhof und
weitere RAF-Terroristen festgenommen.
1973 Die ersten von zehn Hungerstreiks
inhaftierter RAF-Mitglieder beginnen.
1974 Holger Meins stirbt am 9. November
1974 an den Folgen eines solchen Streiks.
1975 Am 24. April besetzen RAF-Terroristen die deutsche Botschaft in Stockholm.
Am 21. Mai beginnt mit der Anklageerhebung in Stuttgart-Stammheim der Prozess
gegen Baader, Meinhof und Ensslin.
1976 Die bereits Ende 1974 zu acht Jahren Haft verurteilte Ulrike Meinhof erhängt
sich am 9. Mai in ihrer Zelle.
1977 Am 7. April ermordet das „Kommando Ulrike Meinhof“ Generalbundesanwalt Siegfried Buback, am 28. April werden
Baader und Ensslin zu lebenslanger Haft verurteilt. Am 30. Juli tötet die RAF den Bankier
Jürgen Ponto, am 5. September entführt sie
Arbeitgeberpräsident Hanns Martin
Schleyer. Nach dem erfolglosen Versuch, die
RAF-Häftlinge mithilfe der Geisel Schleyer
freizupressen, und der missglückten Entführung einer Lufthansa-Maschine begehen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl
Raspe am 18. Oktober Selbstmord. Als Reaktion auf die „Todesnacht von Stammheim“
erschießen die Terroristen ihre Geisel
Hanns Martin Schleyer.
PB/MKA
Hamburger Jung
Starallüren sind ihm
fremd – Moritz
Bleibtreu im Gespräch
zu kommen. Es gibt auch Aufzeichnungen der Gefängniswärter, nach denen Baader sich dahingehend geäußert hat, er würde alle hochgehen lassen, wenn er dafür nur aus dem Gefängnis herauskäme. Das bleibt
allerdings Spekulation.
RD: Erfüllt es Sie mit Stolz, gerade
in diesem Film mitgewirkt zu haben?
Bleibtreu: Ich finde es toll, dass im
deutschen Kino überhaupt so ein Film
entstehen konnte. Das wäre vermutlich vor zehn, fünfzehn Jahren noch
ziemlich ausgeschlossen gewesen.
Endlich werden Menschen für die jüngere Geschichte unseres Landes interessiert, und für mich ist es allein
schon ein Grund zur Freude, dass so
etwas überhaupt möglich ist.
W I E H U N D U N D K AT Z ?
Mein Hund war nicht zu bändigen, deshalb suchte ich professionelle Hilfe
für seine Erziehung. In einem Katalog einer Hundeschule fand ich den
perfekten Trainingskurs für meinen Welpen. In der Beschreibung stand:
„Hundegehorsam: Montag; Wochen: 8; Trainer: Katz.“
A n n M c K e n r i c k , USA
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READER’S DIGEST
Oktober 2008
FOTOGRAFIERT VON BARBARA DOMBROWSKI
Als begriffsstutziger Kleinganove Abdul
in der Komödie Knockin’ on Heaven’s
Door spielt sich Moritz Bleibtreu 1997 ins
Bewusstsein der deutschen Kinogänger.
Endgültig zum Star macht ihn ein Jahr
später Tom Tykwers Film Lola rennt, wo
er an der Seite von Franka Potente wiederum den Gauner gibt. Bleibtreu kommt
aus einer Schauspielerfamilie: Auch seine
Eltern Monica Bleibtreu und der bereits
verstorbene Hans Brenner sind bekannte
Darsteller. Nach seinen ersten – eher komödiantischen – Erfolgen in den 90erJahren, für die er unter anderem den
Bundesfilmpreis erhielt, glänzt Bleibtreu auch in ernsten Rollen, wie 2001 in
Das Experiment und jetzt als Andreas
Baader.
RD