namensbedeutung christoph

Transcrição

namensbedeutung christoph
Staatliche Festkultur in Europa zwischen den Weltkriegen
Eine vergleichende Perspektive1
Christoph Kühberger
Kulturhistorische Festforschung
Die kulturhistorische Festforschung hat in den letzen Jahrzehnten ihren vorläufigen
Höhepunkt erreicht. Im Zuge des postmodernen Aufblühens der Neuen Kulturgeschichte und
ihres Drangs, symbolische Repräsentation sowie subjektive Erlebnisse von ganz normalen
Menschen in den Mittelpunkt der geschichtswissenschaftlichen Forschung zu stellen, entstand
eine Vielzahl an neu angelegten Forschungsarbeiten zu unterschiedlichen Epochen und
Räumen.2 Einen gewichtigen Beitrag zur Beforschung von politischen Festen lieferten
unbestritten Maria Ozouf und Lynn Hunt mit ihren Untersuchungen zur Französischen
Revolution. Die Französische Revolution wird dabei als Beginn der einsetzenden
Säkularisierung von öffentlichen Festen identifiziert: Die Zurückdrängung des KultischSakralen, das bis dahin die Domäne der Kirche gewesen war, führte zur Herausbildung neuer
Formen von politischen Festen. Ozouf fokussiert in ihrer Arbeit die traditions- und
zukunftsbildenden Funktionen der französischen Revolutionsfeste, in denen sich ein
kollektives Bedürfnis der revolutionären Gemeinschaft zeige: ein utopisches Ideal, das
zwangsläufig nur ein Traum bleiben konnte. Die Unterdrückung von Hierarchien und die
modellhafte Egalisierung der Feiernden – die Beteiligten waren durch Blumenkränze und
gleiche Tracht vereinheitlicht – sollte die sozialen Unterschiede überbrücken und neue, eigene
Strukturen schaffen. Diese neuen Strukturen waren aber nicht dazu im Stande Ungleichheiten
einzuebnen, sondern produzierten selbst wieder (neue) Abgrenzungsmechanismen in der
Gesellschaft.3
Politische Feste als Orte und Inszenierungsräume zu lesen, die politische Visionen und
utopische Gesellschaftsmodelle idealtypisch kommunizieren, findet man aber nicht nur im
Frankreich des ausgehenden 18. Jahrhunderts, sondern auch in Monarchien, demokratischen
und diktatorischen Systemen bis in unsere Gegenwart. Beschäftigt man sich in einer
vergleichenden Perspektive mit den politischen Festkulturen im Europa der
Zwischenkriegszeit, so kann man nach bestimmenden Strukturmerkmalen von
demokratischen und diktatorischen Kulturen und ihrem wechselseitigen, transnationalen
Verhältnis fragen. Exemplarisch sollen dazu hier die Staatsfeste der Länder Russland,
Deutschland, Italien und Österreich in der Mitte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
beleuchtet werden.
(Sowjet)Russland
Ab dem 1. Mai 1918, an dem der Arbeiterfeiertag verstaatlicht wurde, stabilisierte die neue
russische Regierung der Bolschewiki sukzessive einen „roten Feiertagskalender“4, der den
monarchistischen Selbstinszenierungen in nichts nachstand. Innerhalb von kürzester Zeit
1
Der vorliegende Vortrag beruht auf den Ausführungen des Aufsatzes: Kühberger, Christoph: Aspekte
staatlicher Festkultur zwischen Demokratie und Diktatur. Eine europäische Perspektive. In: Reichskunstwart.
Kulturpolitik und Staatsinszenierung in der Weimarer Republik 1918-1933. Hg. v. Ch. Welzbacher. Weimar
2010. S. 253-268.
2
Vgl. Maurer, Michael: Feste und Feiern als historischer Forschungsgegenstand. In: Historische Zeitschrift. 253
(1991). S. 101-130.
3
Vgl. Kühberger, Christoph: Metaphern der Macht. Ein kultureller Vergleich der politischen Feste im
faschistischen Italien und im nationalsozialistischen Deutschland. Münster - Wien 2006. S. 38. – Vgl. Ozouf,
Maria: Festivals of the French Revolution. London 1988. – Hunt, Lynn: Symbole der Macht. Macht der
Symbole. Die Franz ösische Revolution und der Entwurf einer politischen Festkultur. Frankfurt/ Main 1989.
4
Vgl. Rolf, Malte: Feste des „roten Kalenders“. Der Große Umbruch und die sowjetische Ordnung der Zeit. In:
ZfG 2/2001. S. 101-118. – Plaggenborg, Stefan: Revolutionskultur. Menschenbilder und kulturelle Praxis in
Sowjetrussland zwischen Oktoberrevolution und Stalinismus. Köln 1996. S. 263.
1
entstand ein neuer Fest- und Symbolkanon mit „Hammer und Sichel“, „Rotem Stern“, der
„Internationalen“ und der „roten Fahne“. Der Jahrestag der Oktoberrevolution wurde zum
zentralen Staatsfeiertag erhoben.5 „Doch waren die Bolschewiki auf die tatkräftige
Unterstützung von Sympathisanten und Mitgängern aus den Kreisen der avantgardistischen
Künstler und Theaterregisseure angewiesen, wollten sie eine festliche Demonstration
veranstalten, die mehr war als die Manifestation bewaffneter Macht. Willige Vollstrecker gab
es in diesem Milieu der Futuristen und Symbolisten genug, die sich offensichtlich ebenso
wenig am Staatsstreich wie an dem Festraub der Bolschewiki störten.“6 Mit der stringenten
Entwicklung von politischer Agitation und Propaganda überbrückte das neue Regime einen
ungeheuren Traditionsbruch: das Vakuum der eigenen – durch die politische Neuordnung –
wurzellosen Gegenwart und der noch unsichereren, vom „roten“ Überlebenskampf geprägten
Zukunft sollten durch Staatsinszenierungen gefüllt werden.7 Bereits aus der Analyse der
politischen Konstitutionsphase bis 1922, wie der Osteuropaexperte Malte Rolf genau
beschrieb, lassen sich sechs Mechanismen bolschewistischer bzw. sowjetischer Festkultur
ableiten.
(a) Zentralisierung: Ausgestattet mit einer repressiven Macht zentralisierten die Bolschewiki
nach den ersten Feierlichkeiten, denen noch ein „privilegiertes Zentrum“ fehlte, die
Veranstaltungskultur zusehends. Bereits am ersten Jahrestag der Oktoberrevolution (7.
November 1918) kann man eine neue „Zentrumsfixiertheit“ ausmachen: „Die festliche
Choreographie war an die Person Lenin gebunden, auf ihn hin und an ihm vorbei strömten die
Massen der Demonstranten. Lenin stellte den Fixpunkt des Festes dar.“8 Moskau wurde damit
zum geografischen Zentrum der (bolschewistischen) Welt, der Rote Platz zu ihrem Herz.9
(b) Parallelisierung: Um einen einheitlichen Festcharakter im gesamten Staatsgebiet zu
erreichen, wurden bestimmte Strukturen – etwa die festliche Sitzung der Stadtsowjets in
Anwesenheit der ranghöchsten Parteiführer – in der Provinz durch gleichförmige
Veranstaltungen reproduziert. Für eine Parallelisierung – nicht zuletzt auch hinsichtlich von
Inszenierungsmustern der politischen Feierlichkeiten – spielten auch die Medien eine
besondere Rolle.
(c) Medialisierung: Unabhängig von den konkreten Geschehnissen versuchte man die
politischen Feste medial zu multiplizieren und zu prolongieren. „Zum sowjetischen Fest als
Gesamtereignis gehörte schließlich auch die Berichterstattung nach dem Fest […]. Die
Zeitungen berichteten noch tagelang von den Demonstrationszügen und Festkundgebungen
und transportierten damit auch ein Bild der Moskauer Veranstaltungen als Musterfolie in die
Provinz.“10
(d) Didaktisierung: Politische Feierlichkeiten wurden genutzt, um – am Zeitpunkt einer
erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber dem inszenierten Außeralltäglichen – zentrale
Botschaften zu kommunizieren. So diente etwa das Errichten und Einweihen von
Denkmälern, mit denen die Vorvergangenheit der bolschewistischen Machtergreifung breiten
Schichten zugänglich gemacht werden sollte, nicht nur als Versatzstück der Festlichkeit,
sondern war dazu angelegt, den öffentlichen Raum auch über das Fest hinaus zu erobern.
5
Rolf, Malte: Feiern im Zeitalter der Kulturrevolution. Das Massenfest in der Sowejtunion (1917-1932). In:
Historische Anthropologie 2/2005, 152. [149-176]
6
Rolf, Feiern im Zeitalter, 152.
7
Binns, Christopher A.P.: The Changing Face of Power. Revolution ans Accommodation in the Development of
Soviet Ceremonial System. (Part I). In: MAN. The Journal of the Royal Anthropological Institute 14/1979. S.
592. [585-606]
8
Rolf, Feiern im Zeitalter, 153. – vgl. auch Stites, Richard: The Origins of Soviet Ritual Style. Symbol and
Festival in the Russian Revolution. In: Symbols of Power. Hg. V. C. Arvidson/ L. E. Blomquist. Stockholm
1987. S. 33ff. [23-42]
9
Plaggenborg, Revolutionskultur, S. 264.
10
Rolf, Feiern im Zeitalter, 155.
2
„Der Kanon der denkmalswürdigen Figuren umfasste eine Reihe von russischen, aber vor
allem auch antiken und westeuropäischen Helden, Vordenker und Märtyrer der Revolution.“11
Die kommunizierten Botschaften beschränkten sich jedoch nicht alleine auf die an die
Denkmäler gebundenen Subtexte, sondern wurden auch am Fest positioniert. Die inszenierte
Masse, die Aufbauten und die Platzierung der Macht wurden ebenfalls genutzt, um etwa
Hierarchien fühl- und erlebbar zu machen. Um den politischen Festen durch das
Überstrapazieren bestimmter Muster nicht die propagandistische Schlagkraft zu nehmen, die
im Besonderen, Außeralltäglichen lag – was sich ab 1921 abzeichnete – schränkte man
zunehmend Großversammlungen im Freien ein.12
(e) Popularisierung: Die Frage nach der Integration des Volkes war für die bolschewistischen
Eliten bereits früh von Bedeutung. Eine Lösung sollte, neben Volksbelustigungen am Rande
der politischen Feiern13 – die Mobilisierung der Massen bringen, die „alle Zweifel an der
Repräsentativität des revolutionären Regimes auslöschen und deutlich machen [musste], dass
zum Staat der Bolschewiki keine Alternative bestand.“14 Die Truppen der Roten Armee und
die Arbeiter und Arbeiterinnen wurden daher in die offiziellen Aufmärsche bei Staatsfesten
eingebunden, so dass die Organisation und „Eroberung“ der Massen schließlich eine zentrale
Rolle einnahm.15 Dennoch sollte man nicht verkennen, dass Massenfeste ein urbanes
Phänomen darstellen und außerhalb der (klein-)städtischen Zentren auf Missachtung,
Unverständnis und Ablehnung stießen.16 Diese Vermittlungsschwierigkeiten waren auch der
Grund für die allmähliche Zurückdrängung des avantgardistischen Einflusses bei der
Staatsinszenierung.17
Weimarer Spuren
Die Strukturmerkmale der frühen sowjetischen Festkultur können nicht einfach auf andere
politische Kulturen dieser Zeit übertragen werden – auch wenn die Vorgänge in der
Sowjetunion in den anderen europäischen Ländern genau beobachtet und teilweise im eigenen
Land adaptiert wurden. Im Deutschland der Weimarer Republik waren dabei jedoch die
politischen Voraussetzungen deutlich andere. Die junge Demokratie hatte beträchtliche
Probleme, ihre vom Volk legitimierte Macht auszuüben, ideologische Grabenkämpfe und
föderale Strukturen blockierten nicht selten jene Einheitlichkeit in der Selbstdarstellung, die
in Russland durch das seit 1918 bestehende Staatsmonopol realisiert werden konnte. Während
in der Sowjetunion die Bolschewiki Symbole kreierten, Feste veranstalteten und die
Deutungshoheit im öffentlichen Raum inne hatten18, musste die Staatsführung der
demokratisch verfassten Weimarer Republik zwischen verschiedenen Weltsichten ausgleichen
und auf fragile Machtstrukturen achten. Aus kleinsten Verfahrensfehlern des
Parlamentarismus versuchten die politischen Gegner Kapital zu schlagen, nicht selten auf
Kosten der gesamten Staatsordnung.
Mit dem demokratischen System kamen die Muster der rituellen Inszenierung abhanden, die
die Monarchie für sich genutzt hatte. Dabei vermochte die Weimarer Republik nicht, „dem
Staat jene repräsentative Würde zu geben, die den noch stark dynastisch geprägten Deutschen
soviel bedeutete. Es gab nach Niederlage und Revolution keinen Ersatz für Pomp und
11
Rolf, Malte: Das sowjetische Massenfest. Hamburg 2006. S. 66.
Binns, Christopher A. P.: Sowjetische Feste und Rituale. Teil I. Die Entwicklung der offiziellen Haltung zu
Brauchtum und Feiergestaltung. In: Osteuropa. Zeitschrift für Gegenwartsfragen des Ostens 29/1 (1979). S. 14.
[12-21] – Ähnliches ist im faschistischen Italien zu beobachten vgl. Kühberger, Metaphern der Macht, S. 55ff.
13
Rolf, Feiern im Zeitalter, 155.
14
Rolf, Feiern im Zeitalter, 155.
15
Vgl. Gentile, Emilio: Le religioni della politica. Fra democrazia e totalitarismi. Rom 2001. S. 79ff.
16
Rolf, Feiern im Zeitalter, 156.
17
Rolf, Feiern im Zeitalter, 156.
18
Rolf, Feiern im Zeitalter, 153.
12
3
Gepränge des Kaiserreiches, für die schimmernde Wehr oder die Flottenparade.“19 Die
staatstragenden Kräfte der Republik – vor allem die Sozialdemokraten – bauten auf
vernunftmäßige Entscheidungsformen. Historisch-mythische Rechtfertigungen der Gegenwart
und eine gefühlsbetonte Symbolik wurden abgelehnt20, die Weimarer Koalition (SPD, DDP
und Zentrum) setze auf das „Pathos der Nüchternheit“ (Lehnert/Megerle).21 Ein derartig
starker kulturpolitischer Bruch, der traditionelle Sinnbildungsmuster und Identitätsangebote
nahezu ersatzlos strich, war zwar aus rationalem Politikverständnis erklärbar, hinterließ
jedoch eine rituelle und sozialpsychologische Leerstelle. Man kann dem jungen Staat jedoch
nicht den Vorwurf machen, dies nicht erkannt zu haben. Der frühe Beginn einer politischen
Debatte um die symbolische Repräsentation des Staates (unter anderem die Themen Flagge,
Hymne, Feiertage)22, und die Einrichtung des „Reichskunstwarts“ verweisen auf die
diesbezügliche Sensibilität. Betrachtet man jedoch den Arbeitskontext von Edwin Redlobs
Tätigkeit als beamteter Organisator dieses Bereiches, so zeigt sich ein bescheidenes Bild
seiner Wirkungsmöglichkeiten, zumal die Grundlagen der Staatssymbolik fehlten. Bereits in
den politischen Debatten von 1919 offenbarte sich Orientierungslosigkeit bezüglich der
Benennung eines Nationalfeiertages – nicht zuletzt, weil die Reichsverfassung von 1871 die
Feiertagsregelung den Ländern überlassen hatte und die föderale Zuständigkeit auch nach
1918 weiter gültig blieb.23 Immerhin gelang es für 1919, den 1. Mai als gesetzlichen Feiertag
einzuführen, wenngleich dies bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten das einzige
Mal blieb, dass er auch offiziell als Feiertag begangen wurde. Der 1920 unternommene
Versuch, den 1. Mai als Nationalfeiertag festzuschreiben, scheiterte am Widerstand
konservativer Kräfte, denen der Tag als revolutionäre und linke Veranstaltung verdächtig
erschien.24
Weimarer Trauertage und italienische Wege
Die gesamte Weimarer Republik hindurch waren die Debatten um die Feiertage von hitzigen
politischen Diskussionen begleitet, in denen sich die Befindlichkeiten der Parteien spiegelten,
zumal die unterschiedlichen Lager immer wieder versuchten, durch Terminvorschläge für
Nationale Feiertage ihre eigenen Vorstellungen innerhalb der Staatssymbolik zu verankern.
Aus diesem Grund hatte auch der 1. Mai, der traditionell ein Tag der Arbeiterbewegung war,
keine Aussicht darauf, zum Nationalfeiertag erhoben zu werden. Auch die Einführung des
„Trauertages“ für die Opfer des Ersten Weltkrieges gestaltete sich schwierig, ein offizieller
„Volkstrauertag“ des Reiches – den der Reichskunstwart Redslob inszeniert hätte – kam nicht
zustande, so dass sich die Reichsregierung damit begnügte, dass der „Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge“ die Ausgestaltung in den Ländern und Städten übernahm.25 „Die
ersten Feiern des Volkstrauertages durch den ‚Volksbund‘ boten den Nährboden für die
Entwicklung eines Gefallenenkultes, in dem die Toten des Weltkrieges als Helden in einem
großen Kampf stilisiert wurden. […] Während der Reichskunstwart einen geistigen
Neuaufbruch forderte, ging es dem ‚Volksbund‘ um das Wachhalten des Geistes der
19
Kettenacker, Lothar: Sozialpsychologische Aspekte der Führer-Herrschaft. In: Der „Führerstaat“. Mythos und
Realität. Studien zur Struktur und Politik des Dritten Reiches. Hg. v. G. Hirschfeld/ L. Kettenacker. Stuttgart
1981, 115. [98-130]
20
Behrenbeck, Sabine: Gefallenengedenken in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“. In: Politische
Inszenierung im 20. Jahrhundert. Zur Sinnlichkeit der Macht. Hg. v. S. R. Arnold/ Ch. Fuhrmeister/ D. Schiller.
Wien 1998, 55. [34-55]
21
Lehnert, Detlef/ Megerle, Klaus: Politische Identität und nationale Gedenktage. In: Politische Identität und
nationale Gedenktage. Hg. v. D. Lehnert/ K. Megerle. Opladen 1989, 13. [9-30]
22
Vgl. Ueberhorst, Horst: Feste, Fahnen, Feiern. Die Bedeutung politischer Symbole und Rituale im
Nationalsozialismus. In: Symbole der Politik – Politik der Symbole. Hg. v. R. Voigt. Opladen 1989. S. 157-178.
23
Schellack, Nationalfeiertage in Deutschland von 1871-1945. Frankfurt/ Main 1990. S. 133.
24
Schellack, 141ff.
25
Schellack, 231f.
4
Gefallenen […].“26 Statt den Tag als Ankerpunkt für die Erfindung einer eigenständigen
staatlichen Festkultur zu nutzen, die sich von den Festformen in den Ländern der Entente
deutlich unterschieden hätte, gab der Staat seine Kompetenzen an einen Verband ab.27 In
diesem Zusammenhang verwarf der Reichskunstwart auch die Möglichkeit, die im Ausland
übliche Beisetzung eines unbekannten Soldaten auch in Deutschland einzuführen28 und
favorisierte stattdessen den Aufbau einer „innerlichen Verbindung mit den Gefallenen“ über
die Kunst (Musik, Dichtung, Malerei, Plastik). Mit seiner Konzeptionen der staatlichen Feiern
wollte Redslob zwar erklärtermaßen die Nüchternheit der republikanischen Atmosphäre durch
repräsentative Äußerungen fühlbar zu machen.29 Doch in der Praxis – etwa bei der
Gefallenengedenkfeier vom 3. August 1924 – zeigte sich, „daß die von ihm entworfenen
Zeremonien die Feiergewohnheiten des Publikums zu sehr vernachlässigten und bei der
Masse der Teilnehmer mehr ästhetische Bildung und Aufklärung voraussetzen, als vorhanden
war.“30 Die Unklarheit der Entscheidungen und die die Abhängigkeit von unterschiedlichen
Akteuren (Volksbund, Länder, Konfessionen etc.) führte schließlich dazu, dass der Trauertag
von republikfeindlichen Verbänden diskreditiert und für antirepublikanische Kundgebungen
genutzt wurde.31 Während sich daher der Staat aus verschiedensten Gründen dem Zeitgeist
einer erhebenden und emotionsbetonten Feierpolitik immer stärker entzog, avancierten die
Gruppierungen der politischen Ränder allmählich zu „Leithammeln“ der symbolischen Politik
in Deutschland.
Anders war die Situation im liberalen Italien.32 Nach der einstimmigen
parlamentarischen Annahme des Gesetzes zur „Beisetzung des Leichnams des
Unbekannten Soldaten“ im August 1921 und der feierlicher Umsetzung noch im
November, weitete sich die Idee der Schaffung von Ehrendenkmälern für die
Gefallenen und die Beisetzung des „unbekannten Soldaten“ auf ganz Italien aus. Der
zentrale Ort wurde jedoch der Vaterlandsaltar (Vittoriano) (Abb.2) im Herzen Roms,
in dessen Mitte der unbekannte Soldat auch heute noch ruht.
Abb.1: Vittoriano in Rom33
26
Schellack, 192.
Schellack, 189.
28
Behrenbeck, Gefallenengedenken, 42.
29
Behrenbeck, Gefallenengedenken, 40.
30
Behrenbeck, Gefallenengedenken, 53.
31
Schellack, 240f.
32
Zur Vorgeschichte im 19. Jahrhundert vgl. Porciani, Ilara: La festa della nazione. Rappresentatzione dello
stato e spazio sociale nell’Italia unita. Bologna 1997.
33
http://www.italylogue.com/files/2009/03/vittoriano1.jpg (10.5.2010)
27
5
Die Inszenierung war nicht unumstritten, vor allem Kommunisten und Sozialisten
übten Kritik. Doch die mehrwöchigen Feiern spielten der liberalen Regierung
schließlich auch Sympathien des nationalen Lagers zu. „Eine Militärkommission
hatte seit Anfang Oktober unter Ausschluß der Öffentlichkeit auf den weitverstreuten
Militärfriedhöfen in den Alpen nach unkenntlichen Überresten gefallener Soldaten
gesucht. Am 27. Oktober trafen elf Särge von den verschiedenen Schachtfeldern in
der Basilika von Aquilea ein, wo die feierliche Auswahl stattfinden sollte. Sie wurde
am 28. November durch eine Frau aus dem Volk […], Mutter eines im Krieg
vermißten Soldaten, vorgenommen. Die Gebeine des ausgewählten Unbekannten
wurden nach Rom überführt.“34 Diese Eisenbahnfahrt des Leichnams galt als
„Heimkehr“ des Soldaten (vgl. Abb.2), die anschließende Einweihungsfeier des
Grabes als erste echte patriotische Veranstaltungen seit langem (vgl. Abb.3 und 4).
Abb.2: Zeitungsillustration der Zugfahrt nach Rom (1921)35
34
Tobia, Bruno: Die Toten der Nation. Gedenkfeiern, Staatsbegräbnisse und Gefallenenkult im liberalen Italien
(1870-1921). In: Inszenierungen des Nationalstaates. Politische Feiern in Italien und Deutschland seit 1860/71.
Hg. v. S. Behrenbeck/ A. Nützenadel. Köln 2000, 80f. [67-87]
35
Illustrazione Italiana, 1921 – http://www.csc-cinematografia.it/UploadImgs/632_ignoto_colore.jpg
(10.5.2010)
6
Abb.3: G. Forti, "Assunzione Trionfale - Il trasporto del Milite Ignoto"36
Abb.4: Beisetzung des unbekannten Soldaten am Vittoriano (Istituto LUCE)37
„Die Verherrlichung des Unbekannten Soldaten ist die Rückkehr zur Religion des
Vaterlandes.“38, hob L'Illustrazione Italiana hervor und nahm damit die kommende
faschistische Realität vorweg, die ab der Machtergreifung im Oktober 1922
umgesetzt wurde.
Durch den faschistischen „Marsch auf Rom“ konnte die liberale Regierung die
Feierlichkeit für den „Unbekannten Soldaten“ kein zweites Mal auf nationaler Ebene
begehen. Das Fest wurde von den Faschisten übernommen, im Gedenken um die
36
http://www.caffeeuropa.it/images/135/risorg2.jpg (10.5.2010)
http://www.csc-cinematografia.it/UploadImgs/721_4_novembre.jpg (10.5.2010)
38
„L'apoteosi del Soldato ignoto è il ritorno alla religione della patria.“ – Nobiluomo Viterbo, Il Soldato Ignoto.
In: L'Illustrazione Italiana, 6.11.1921. – Zitiert nach: Gentile, Emilio: Il culto del littorio. Bari 19953. S. 36.
37
7
Gefallenen der eigenen Bewegung erweitert und in den faschistischen Festkalenders
aufgenommen. Von nun an verschwammen die Trennlinien zwischen Kriegs- und
Parteihelden – der Faschismus beanspruchte beide für sich.39 Insgesamt vereinnahmte
das faschistische Italien die staatlichen Feiertage stark, eine Vielzahl politischer
Feiern wurde in den gesetzlich geregelten Kalender aufgenommen.40 Wie in der
Sowjetunion hängt dies mit dem totalitären Charakter des Regimes zusammen, wobei
die italienischen Maßnahmen der Staats- und Parteiinszenierungen sogar doppelt so
umfassend waren41 wie im nationalsozialistischen Deutschland, das den Festkalender
vergleichsweise marginal modifizierte und dennoch das Gefühl eines „Volksfest in
Permanenz“ vermittelte (vgl. Abb.5).
Herrschaftsjahr Faschismus
alle
polit.*
2.
15
6
4.
17
7
6.
17
7
8.
19
8
10.
19
8
12.
19
8
14.
19
8
16.
20
10
18.
21
11
20.
21
11
NS
alle
13
13
13
14
14
14
-
polit.*
3
3
3
4
4
4
-
Abb.5: Quantitative Gegenüberstellung der politischen Feste im faschistischen Italien
und im nationalsozialistischen Deutschland (Kühberger 2006, S. 190)
Kehren wir aber zu den Feiertagen für den deutschen Staat zurück
Neben dem nationalen „Trauertag“ stellte sich für die europäischen Staaten immer
wieder die Frage nach einer positiv konnotierten Selbstdarstellung. Die Monarchien
nutzten dazu meist den Geburtstag oder das Thronjubiläum des Königs (dies galt auch
für die konstitutionelle Monarchie Italiens im Faschismus42) – die
postmonarchistischen Systeme mussten jedoch geeignete Tage erst identifizieren. In
der Weimarer Republik standen vor allem drei Daten zur Verfügung, die – je nach
politischer Richtung – als Identifikations- und Kristallisationspunkte der neuen
Staatlichkeit geeignet schienen. Der 9. November hätte in Erinnerung an den
„Revolutionstag“ des Jahres 1918 die Mobilisierung der Massenloyalität zugunsten
einer demokratisch-republikanischen Neuordnung repräsentiert. Allerdings stand der
Tag zeitlich eng mit der militärischen Niederlage vom 11. November 1918 in
Verbindung und war daher umstritten.43 Auch der Reichsgründungstag (18. Januar
1871) hätte identitätsstiftend wirken können, Mitte der 1920er Jahre und zum 60.
Jahrestag der Reichsgründung im Jahr 1931 wurde zwar im Reichstag über die
Einführung des Gedenktags debattiert, jedoch ohne Ergebnis.44
39
Guerri, Giordano Bruno: Fascisti. Gli italiani di Mussolini. Il regime degli italiani . Mailand 1997. S. 170f.
Kühberger, Metaphern der Macht, 60.
41
Kühberger, Metaphern der Macht, 190.
42
Vgl. u.a. Blöchel, Andrea: Die Kaisergedenktage. Die Feste und Feiern zu den Regierungsjubiläen und runden
Geburtstagen Kaiser Franz Josephs. In: Kampf um das Gedächtnis. Hg. v. E. Brix/ H. Steckl. Wien 1997. S. 117144. – Schellack, Fritz: Sedan- und Kaisergeburtstagsfeste. In: Öffentliche Festkultur. Politische Feste in
Deutschland von der Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg. Hg. v. D. Düding/ P. Friedemann/ P. Münch.
Hamburg 1988. S. 278-297. – zu den Königsgeburtstagen in Italien unter dem faschistischen Regime – vgl.
Kühberger; Metaphern der Macht, S. 162ff.
43
Lehnert/ Megerle, 13.
44
Schellack, 261ff.
40
8
Der Verfassungstag (11. August 1919) schließlich wurde trotz mehrfacher
Beratungen im Parlament ebenfalls nicht als Nationalfeiertag festgelegt, seit 1921
aber dennoch begangen. „Mit der Feier des Verfassungstages verband man die
Hoffnung, einen Integrationsfaktor für die republikanischen Kräfte im Staat
geschaffen zu haben.“45 Allerdings fehlte dem ersten Gedenktag die Emphase. Die
Veranstaltungen in Berlin und anderen Städten des Reiches waren zurückhaltend, da
die Feinde der Republik nicht provoziert werden sollten46, die sich jedoch schon bei
der vorangegangen Debatte genau diesen Umstand früh genug zu eigen gemacht
hatte. „Mit zynischen Worten unterbreitete [Joseph Goebbels] den Vorschlag, das
jüdische Purimfest zum Nationalfeiertag zu erheben […]. Mit Schadensfreude
registrierte Goebbels, daß nicht einmal die Regierungskoalition einheitlich und
geschlossen für den Verfassungstag eintrete, alle hätten ihre Bedenken und niemand
sei mit der Weimarer Verfassung einverstanden.“47
Erst in den Folgejahren änderte sich die Einstellung der Regierung zur Bedeutung des
Festtages und spätestens ab 1926 war die Popularisierung des Verfassungstages ein
probates Mittel, um die Bevölkerung selbst mit einzubeziehen, etwa durch sportliche
Wettkämpfe und eine eigene Plakette für besondere Leistungen. Fritz Schellack
interpretiert diesen Schritt als Versuch, „auch konservative Kreise für den Gedanken
des Verfassungsfeier zu gewinnen, denn eine von Hindenburg verliehene Plakette war
sicherlich ein Anreiz, sich an den republikanischen Feiern zu beteiligen.“48
Abb.6: Reichspräsident Friedrich Ebert vor angetretenen Reichswehrsoldaten im
Verfassungstag – Berlin, 11. August 192249
Ähnlich wie in anderen Staaten – Demokratien und Diktaturen – sollten staatliche
Feierlichkeiten auch in Deutschland durch eine Mischung aus Politik, Volkstum und
Freizeit positiver besetzt werden. Hinzu kam „Parallelisierung“ und „Didaktisierung“:
45
Schellack, 159.
Schellack, 185.
47
Schellack, 203.
48
Schellack, 211.
49
http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/ph000584/index.jpg (10.5.2010)
46
9
Der Nationalfeiertag als gemeinsame Veranstaltungen der Regierungen von Reich,
Preußen und Stadt, vom Rundfunk in das gesamte Reich übertragen50, dabei
vorbereitet durch nüchterne Broschüren der „Reichszentrale für Heimatschutz,“ die
an Schulen, Verbände, Betriebe verteilt worden waren.
Österreich – Erste Republik
Vergleicht man die Konstellationen der Weimarer Republik mit der Ersten Republik in
Österreich, so zeigen sich aus kulturhistorischer Sicht einige Parallelen. Die
Festchoreographie hatte sich auch in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg verändert. „Auf
die Festzüge der Monarchie und der Kirche folgten die Arbeitermassen, die an den Festtagen
der Sozialdemokratie (1. Mai, 12. November) die Prachtstraßen durchfluteten und vor der
Parteiführung paradierten – die Massen als Hoffnungsträger, als Verkörperung des Traumes
vom ‚neuen Menschen‘. Für die Provinz, für das Besitz- und Bildungsbürgertum in Wien
hingegen zog der rote Moloch, ein riesiges Monster durch die Straßen der alten Herrschaft,
angstmachend und den drohenden Umsturz der bestehenden Gesellschaft ankündigend.“51
Abb.7: 1.Mai 1931 - Rote Falken vor Wiener Rathaus52
Auch in Österreich hatte die junge Republik wenig zu bieten. „Der ‚Transfer des Sakralen‘
von der Monarchie auf einen Verfassungspatriotismus mißlang gründlich.“53 Es war
kennzeichnend für die politische Haltung von 1919, dass die konstituierende
Nationalversammlung den 12. November nicht zum „National-“, sondern zum
„Staatsfeiertag“ im Gedenken an die Ausrufung des Freistaates Deutschösterreich erklärte.
Über alle Parteien hinweg fühlten sich große Teile der Bevölkerung noch nicht als eigene
Nation, sondern als Teil der deutschen.54 Rasch zeigte sich zudem, dass beide neu
50
Schellack, 214.
Hanisch, Ernst: Politische Symbole und Gedächtnisorte. In: Handbuch des politischen Systems Österreichs.
Erste Republik 1918-1933. Wien 1995. S. 423. [421-430]
52
ÖNB - H 264 B - http://www.bildarchivaustria.at/Pages/ImageDetail.aspx?p_iBildID=4564930 (10.5.2010)
53
Hanisch. Politische Symbole, S. 423.
54
Spann, Gustav: Zur Geschichte des österreichischen Nationalfeiertages. In: Beiträge zur historischen
Sozialkunde 1/1996. S. 27. [27-34]
51
10
eingeführten Jubiläen als „rote Feiertage“ der Sozialdemokratie galten, denen das Bürgertum
teilweise die Teilnahme verweigerte.55 Aus diesem Grund entwickelten sich zwei Ebenen der
politischen Festkultur. Auf der offiziellen Ebene ein karges, republikanisches Fest mit Reden
und einem Empfang beim Bundespräsidenten. Aus der Monarchie überlebte dabei das
Pontifikalamt im Wiener Stephansdom. Zwischen 1921 und 1924 wurde auch eine
Militärparade abgehalten, die jedoch zunehmend von monarchistisch-konservativen Kräften
unterwandert wurde. Schon 1923 ließ man bereits die Generäle des Ersten Weltkrieges
offiziell an der Parade teilnehmen – was die Sozialdemokratie mit einer demonstrativen
Präsenz von Arbeitermassen am Straßenrand konterkarierte. 1924 erlaubte man den
Offizieren, die Weltkriegsorden zu tragen, die ihnen noch im Herbst 1918 mitsamt den
militärischen Rangabzeichen abgerissen worden waren. Die Provokation – so der Historiker
Ernst Hanisch – komplettierte sich jedoch durch die Teilnahme einer berittenen Schwadron,
die bei den Arbeitern Erinnerungen an die Straßendemonstrationen vor dem Weltkrieg
hervorriefen. Die dadurch ausgelösten Tumulte führten dazu, dass die Regierung auf weitere
Militärparaden verzichtete.56
Mit dem „Ständestaat“ und seiner imitationsfaschistischen Gebärde wurde der zuvor mögliche
politische Pluralismus christlich-sozial kanalisiert. Der lästige Hauptkonkurrent am
politischen Parkett und in der Öffentlichkeit – die Sozialdemokratie – war, mit samt seiner
antiklerikalen Propaganda, beseitigt, Fronleichnamsprozessionen wurden nicht mehr durch
„Frühlingsfeiern“ gestört.57
Abb.8: E. Dollfuß bei Rede im Herbst 1933 am Wiener Trabrennplatz58
55
Spann, Zur Geschichte, S. 27.
Hanisch, Ernst: Das Fest in einer fragmentierten politischen Kultur. Der österreichische Staatsfeiertag während
der Ersten Republik. In: Politische Identität und nationale Gedenktage. Hg. v. D. Lehnert/ K. Megerle. Opladen
1989, 49f. [43-60]
57
Pfoser, Alfred/ Renner, Gerhard: „Ein Toter führt uns an!“ Anmerkungen zur kulturellen Situation im
Austrofaschismus. In: Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur. 1933-1938. Hg. v. E. Tálos/ W.
Neigebauer. Wien 20055. S. 339. [338-357]
58
http://www.bildarchivaustria.at/Pages/ImageDetail.aspx?p_iBildID=9333368 (10.5.2010)
56
11
Obwohl die Christlich-Sozialen erhebliche Schwierigkeiten hatten, ihren programmatischen
Antikollektivismus durch die Masse legitimieren zu lassen und nicht über die positiven
Gefühlswelten der Sozialdemokratie (Jugend, Schönheit) verfügte, konnte man sich auf die
Kirche und das dort erzeugte Wir-Gefühl stützen. Der Erfolg des Katholikentages 1933 etwa
wurde dazu genutzt, um die kommenden politischen Veränderungen in Richtung
„Ständestaat“ anzukündigen. Dieses „austrofaschistische Regime“ vereinnahmte sofort den 1.
Mai als Verkündigungstag der neuen Verfassung und codiere ihn zu einem Bekenntnis zur
Volksgemeinschaft.59 Versatzstücke der Vergangenheit verdeutlichten die Kontinuität
zwischen Kreuzzügen, Türkenbelagerung, Andreas Hofer, Feldmarschall Radetzky, sodaß die
Staatsinszenierung immer stärkere anti-moderne, „historische“ und „volkstümliche“ Züge
trug, um das „neue Österreich“ als das „ewige Österreich [zu inszenieren], das insbesondere
in seiner Verankerung in einer überzeitlichen, christlichen Sendung seine Rechtfertigung
findet.“60 Allerdings gelang es dem Austrofaschismus nicht, Feiern zu gestalten, die gerne
besucht wurden.61 Erst Adolf Hitler und seine Propagandisten erweckten in Österreich nach
1938 die Massen in einem Maße, von dem der „Ständestaat“ nur hatte träumen können.62
Ähnliches ist ja auch für Deutschland zu konstatieren.
Abb.9: 1.Mai 1935 - Berlin63
59
Mattl, Siegfried: Der Tag des neuen Österreich – Der Ständestaat als Folkloreunternehmen. In: Österreich in
Ton und Bild. Die Filmwochenschauen des austrofaschistischen Ständestaates. Hg. v. M. Achenbach/ K. Moser.
Wien 2002. S. 185. [183-193]
60
Suppaz, Werner: „Österreich, lernt euere Geschichte!“ – Historische Legitimation und Identitätspolitik im
Ständestaat. In: Österreich in Bild und Ton. Die Filmwochenschau des austrofaschistischen Ständestaates. Hg. v.
M. Achenbach/ K. Moser. Wien 2002. S. 177. [163-182]
61
Pfoser/ Renner, Ein Toter, S. 349ff.
62
Vgl. u.a. Schrage, Dieter: Die totalitäre Inszenierung der Massen. Volksabstimmung vom 10. April 1938. In:
Wien 1938. (Ausstellungskatalog des Historischen Museums der Stadt Wien) Wien 1988. S. 98-113. –
Kühberger, Christoph: NS-Festkultur. Der Versuch der Etablierung eines „politischen Brauchtums“. In: Bräuche
im Salzburger Land, Zeitgeist - Lebenskonzepte - Rituale - Trends - Alternativen. CD-Rom 2: "Vom Frühling
bis zum Herbst". Hg. v. L. Luidold/ U. Kammerhofer-Aggermann. Salzburg 2003. o.S. – Kühberger, Christoph:
Grenzen der Inszenierung. Die Störanfälligkeit von NS-Veranstaltungen in Österreich. In: Jahrbuch des
Oberösterreichischen Musealvereins 2000. S. 189-216.
63
http://www.dhm.de/sammlungen/zendok/lustgarten/Lust1mai.gif (10.5.2010)
12
Schlussbemerkungen
In der Entwicklung der europäischen Festkultur zwischen den Kriegen lassen sich deutliche
Trends und dominante Innovationsschübe erkennen. Die demokratischen Staaten versuchten
zunächst, in ihrer Feiertagskultur durch Zurückhaltung und rationales Politikverständnis den
freigewordenen monarchistischen Inszenierungsraum konsensual zu nutzen. Dabei zeigt sich
allmählich, dass die Demokratie nur durch Inszenierungsformen, die eine starke öffentliche
Begeisterung erzeugen, in breite Bevölkerungsschichten kommuniziert werden konnte. Die
auf Reichsebene in Deutschland durch den Reichskunstwart angestrebten
Popularisierungsversuche in der Weimarer Republik stehen dafür als Beispiel, wenngleich die
staatstragende Festkultur in Deutschland als unterentwickelt zu klassifizieren ist. Allerdings
stellt sich ein Aspekt als zentrale Innovation heraus: Die Partizipation am politischen Fest
veränderte sich. Man war nicht mehr nur teilnahmsloser Zuschauer, sondern aktiver
Zelebrant. Gerade dies war im Kaiserreich die Schwachstelle der Festkultur gewesen, wie
George L. Mosse feststellte: „Das Fehlen allgemeiner Beteiligung bestimmte nicht nur das
unglückliche Schicksal des Sedantages, sondern auch der Feier von Kaisers Geburtstag, der
sich in militärischen Pomp und Formalitäten erschöpfte, während das Volk am Straßenrand
zuschaute.“64
In der Weimarer Republik machten sich jedoch vor allem die politischen Parteien (besonders
KPD und NSDAP) die erhöhte Mobilisierungsbereitschaft der breiten Massen zu Nutze,
wenngleich die Anziehungskraft solcher Spektakel auch andere politische Richtungen bewog,
die neuen Elemente der politischen Kultur für sich zu aktivieren (vgl. Abb.10).65
Abb.10: Aufmarsch der KPD im Lustgarten am 1. Mai 192866
64
Mosse, George L.: Die Nationalisierung der Masse. Politische Symbolik und Massenbewegung von den
Bauernkriegen bis zum Dritten Reich. Frankfurt/ Main 1993. S. 114.
65
Penkert, Detlev J. K.: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne. Frankfurt/ Main 1987.
S. 164; Kühberger, Metaphern, S. 335f.
66
http://www.dhm.de/sammlungen/zendok/lustgarten/index.html 10.5.2010)
13
Ab 1933 monopolisierte und perfektionierte der Nationalsozialismus die Erfahrungen nur
noch in seinem Sinne, was in den politischen Teilkulturen der Zwischenkriegszeit bereits
angelegt und praktiziert worden war: aufpeitschende Rhetorik, Marschieren zu Gesang und
Marschmusik, Uniformierung, Symbole, nicht zuletzt die „Masse“ selbst. Die Ästhetisierung
parteipolitischer Feste orientierte sich frühzeitig meist am Geschmack der Mehrheit, wodurch
sie auch der Mehrheit der Menschen entgegen kam.67 (vgl. Abb.11)
Abb.11: NSDAP- und SA-Aufmarsch am RPT von Ernst Vollbehr (1933)68
Der Weimarer Demokratie gelang bei Staatsfeiern indes eine solch breite Popularisierung
nicht, da eine derartige Organisation und Umsetzung Partei- und föderale Interessen
entgegenstanden.
Für die europäische Festkultur insgesamt wichtig ist zudem die transkulturelle Verstrickung
als wichtiger Faktor zu benennen, der in der Forschung der letzten Jahre deutlich gemacht
wurde. Durch gegenseitiges Beobachten, vor allem auch der Blick auf die Modelle von
Faschismus und Sowjetunion, zirkulierten zwischen den europäischen Staaten neue
Inszenierungsmuster auch unabhängig von den ideologischen Entstehungszusammenhängen.
Mussolini ließ sich etwa in den 1930er Jahren Unterlagen über die Moskauer Veranstaltungen
zum 1. Mai und zum Jahrestage der Oktoberrevolution zukommen.69 Die auf diese Weise in
den europäischen „Inszenierungsdiktaturen“ (M. Rolf) entstehenden morphologischen
Ähnlichkeiten entsprangen „der strukturellen Homologie der sozialen Ordnung, in der sich ein
Kollektiv dem ‚Willen‘ oder ‚Entschluss‘ eines Führers unterordnet.“70 Unterschiede – wie
etwa die marginale Rolle des Toten- und Heldengedenkens in der Sowjetunion gegenüber
67
Eichberg, Henning/ Dultz, Michael et al.: Massenspiele. NS-Thingspiel, Arbeiterweihespiele und olympisches
Zeremoniell. Stuttgart 1977. S. 103ff.
68
http://www.dhm.de/sammlungen/gifs/sammlungen/grafik/gr93_55.jpg (10.5.2010)
69
Kühberger, Metaphern, S. 487.
70
Rolf, Sowjetisches Massenfest, S. 301.
14
dem Nationalsozialismus und Faschismus – sollten durch solche Perspektiven jedoch nicht
verwischt werden.71
Der Historiker Marc Bloch merkte wohl nicht zu Unrecht 1940 in einer Abhandlung zum
europäischen Zeitgeschehen an: „Es ist kein Zufall, daß es unserem ach so demokratischen
Regime nie gelungen ist, Feste zu veranstalten, in denen sich tatsächlich die gesamte Nation
hätte wiedererkennen können. Wir haben es Hitler überlassen, die alten Festhymnen zu neuem
Leben zu erwecken.“72 Wer das Werk des französischen Historikers kennt, muss über den in
diesem Satz ausgebreiteten Sarkasmus schmunzeln, denn ob Marc Bloch sein kritisches
Geschichtsbewusstsein zugunsten von mythischen Geschichtsbildern abgegeben hätte, ist
fraglich. Dennoch identifizierte er bereits damals die zentrale Rolle von politischen Festen,
denen es gelingt, das „Volk“ und die Massen anzusprechen.
71
Rolf, Sowjetische Massenfeste, S. 302.
Bloch, Marc: Die seltsame Niederlage Frankreichs 1940. Der Historiker als Zeitzeuge. Frankfurt/ Main 1992.
S. 222.
72
15

Documentos relacionados