Verkehrspolitik im Spannungsfeld widerstreitender

Transcrição

Verkehrspolitik im Spannungsfeld widerstreitender
Verkehrspolitik im Spannungsfeld widerstreitender
ökonomischer, sozialer und ökologischer Ansprüche
Finanz- und Euro-Krise
nicht überwunden
Wachstumsschwäche
Schon vor der Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr
2009 hatte Europa und speziell der Euro-Raum
mit Wachstumsproblemen im Vergleich zu anderen dynamischen Wirtschaftsregionen der Welt zu
kämpfen. In der politischen Einschätzung überzogene und ehrgeizige Wachstumsziele für die EU
endeten mit der Wirtschafts- und Finanz­krise in
einem jähen Absturz. Ökonomisch gesehen gehen
die EU-Länder seit jeher mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten voran, wobei diese Unterschiede
zwischen den Ländern mit dem Euro als Gemeinschaftswährung und den übrigen Mitgliedsstaaten
mittlerweile herausstechen.
Die Entwicklung des realen BIP-Wachstums in
den Euro-Ländern zeigt, dass sich vornehmlich
der Euro-Raum fünf Jahre nach der Wirtschaftsund Finanzkrise nur langsam und äußerst
mühsam dem einstmals erreichten Wohlstandsniveau annähert. Deutschland, das im EuroRaum die stärkste Volkswirtschaft stellt, konnte
den Wachstumstrend der Euro-Länder deutlich
übertreffen. Frankreich kämpft immer noch mit
den Folgen der Wirtschaftskrise und stagniert,
während sich in Südeuropa nur bedingt ein
Erholungstrend abzeichnet. So verweilt das BIP
in den südeuropäischen Ländern bei 92 bis
95 Prozent des Vorkrisenniveaus. Das von der
Finanzkrise besonders gebeutelte Irland hat
zwar den Turnaround, aber noch nicht den
Wiederanschluss an das frühere Wohlstands­
niveau gefunden.
Reales BIP ausgewählter Länder 2008 bis 2014 (Index 2008 = 100)
Quellen: Eurostat, Luxemburg und Berechnungen des BGL
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Positiver stellt sich die Lage in EU-Ländern dar,
die nicht dem Euro-Raum angehören. An der
Spitze des Wachstums liegt Polen mit einem
realen Wirtschaftswachstum von gut 18 Prozent.
Die Wirtschafts- und Finanzkrise konnte dort die
Wachstumsdynamik nur im Krisenjahr 2009 ein
wenig dämpfen. Spitzenreiter in der wirtschaft­
lichen Entwicklung „Nachkrisenzeit“ sind Schweden und die Slowakei (Euro seit 01.01.2009),
die in ihren Wachstumszahlen die Bundesrepublik
Deutschland übertreffen.
Wohlstandsgefälle wächst
Völlig abgekoppelt von der europäischen
Entwicklung hat sich Griechenland, das seit der
Wirtschaftskrise im freien Fall befindlich ist. Mit
gut drei Viertel der ehemals erreichten Wirtschaftsleistung stehen dort die Menschen und die
sie seit Jahrzehnten schlecht regierenden Politiker mit dem Rücken zur Wand. Den in anderen
Euro-Ländern zu verzeichnenden Turnaround hat
Griechenland allenfalls ansatzweise geschafft.
Als Mitglied der Europäischen Union ist das
Land wirtschaftlich betrachtet in die Gruppe der
Schwellenländer abgestiegen. Die wirtschaft­
lichen Probleme und die drückende Schuldenlast
können ohne massive Hilfe der EU aus eigener
Kraft nicht gemeistert werden. Nicht nur griechi­
sche Politiker, die sich seit jeher kaum zu durchgreifenden Reformen durchringen konnten,
sondern auch führende Ökonomen haben Zweifel
daran, dass mit einem strikten Sparprogramm
ein Turnaround in Griechenland zu schaffen
wäre. Selbst bei moderatem Wachstum müsste
die griechische Bevölkerung bis 2035 oder gar
2040 darauf warten, das Wohlstandsniveau vor
der Wirtschafts- und Finanzkrise zu erreichen. In
dieser Situation sind die politischen Turbulenzen
um den Verbleib Griechenlands im Euro-Raum
und die Diskussion zur Kohäsion der EU als Ganzes notwendig, wenn nicht gar überfällig. Insoweit dürfte in der EU-Politik weit mehr angesagt
sein als ein Reformprogramm und der Verbleib
Griechenlands in der Euro-Zone. Der englische
Regierungschef, der dringende Reformen in der
EU anmahnt und von dessen Erfolg der Verbleib
Großbritanniens in der Europäischen Union
abhängig sein wird, setzte ein unüberhörbares
Warnsignal.
Zwischen 2008 bis 2013 war das Wachstum
der Wirtschaftsleistung in den EU-Ländern extrem
„schief“ verteilt. Die Bundesrepublik Deutschland konnte knapp die Hälfte des absoluten
Wirtschaftswachstums (BIP in jeweiligen Preisen)
auf sich vereinen. Auf die Nicht Euro-Länder
entfielen gut 43 Prozent des Gesamtwachstums.
Den verbleibenden Rest mussten sich alle EuroLänder (ohne Deutschland) teilen. Dieses Bild
hat sich in 2014, vor allem durch die weitere
Erholung nordeuropäischer Länder, gewandelt.
Deutschland konnte an seinen Wachstumserfolgen zwar anknüpfen, jedoch entwickelten sich
die Nicht-Euro-Länder noch schneller. Über den
Zeitraum 2008 bis 2014 entfallen nunmehr auf
diese Länder über 48 Prozent des absoluten EUWirtschaftswachstums. Trotz des in Deutschland
erzielten Wachstums fiel der deutsche Anteil am
Gesamtwachstum der EU gegenüber 2013 von
gut 47 auf unter 37 Prozent. Absolut wuchs das
deutsche BIP immerhin um gut 101 Mrd. Euro.
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Wachstum „schief“ verteilt
Bis auf Polen waren zunächst alle EU-Länder
durch die Finanz- und Wirtschaftskrise mit einem
drastischen Einbruch ihrer Wirtschaftsleistung
konfrontiert. Die Entwicklung seit 2009 ist
jedoch ein objektiver Indikator dafür, dass der
Euro-Raum innerhalb der EU mit besonderen
Wachstumshemmnissen zu kämpfen hat.
Aus dieser Entwicklung wird erkennbar, dass
derzeit die dynamischeren Wachstumsprozesse
im Nicht-Euro-Raum stattfinden. Südeuropäischen
Ländern mit Euro-Währung fehlen dagegen
kräftige Wachstumsimpulse und Perspektiven.
Der Meinungsstreit, ob die größere Dynamik in
Nicht-Euro-Ländern im Vergleich zu den EuroLändern tatsächlich mit der Gemeinschaftswährung zusammenhängt, ist noch nicht beendet.
Zumindest im Falle Griechenlands sind viele
Wirtschaftsexperten der Meinung, dass der Austritt des Landes aus der Gemeinschaftswährung
die Wachstumsperspektiven und die Gesundung
der Wirtschaft beflügeln könnte. Ob dies auch
Wirtschaftswachstum der EU-Länder in jeweiligen Preisen
in Mrd. EUR
Quellen: Europäische Kommission, Brüssel und Berechnungen des BGL
Veränderung der Wirtschaftsleistung in der EU 2008 – 2014
in Mrd. EUR
Quellen: Europäische Kommission, Brüssel und Berechnungen des BGL
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für die anderen Euro-Mitgliedsländer aus Südeuropa zutreffen könnte, ist zumindest seit der
politischen Entscheidung zum Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone derzeit kein Thema. Fest
steht, dass der nominale BIP-Anstieg in den EuroLändern (ohne Deutschland) nicht ausreichte, die
Kaufkraftverluste auszugleichen.
So zeigt der Gesamtvergleich, dass die Wirt­schaftsleistung in der EU nominal um 942,8 Mrd.
Euro seit 2008 gewachsen ist. Nach Korrektur
um die Preisentwicklung verbleibt ein reales
Wachstum von äußerst bescheidenen 23,7 Mrd.
Euro (ca. zweieinhalb Prozent des Nominalwachstums). Für den Euro-Raum (ohne Deutschland) ist die Bilanz ernüchternd. Für diese Länder
gibt es reale Wohlstandsverluste in Höhe von
136,3 Mrd. Euro zu verzeichnen. Deutschland
konnte immerhin bei einem nominalen Wachstum
von 345,8 Mrd. Euro noch 101,7 Mrd. Euro an
realen Zuwächsen verbuchen. Auch die Bilanz
der Nicht-Euro-Länder ist relativ zufriedenstellend.
Von dem nominalen Zuwachs über 456,4 Mrd.
Euro verblieben real 160,0 Mrd. Euro.
Diese Zahlen bewegen Euro-Skeptiker, die vor
allem in der Entwicklung der letzten beiden Jahre
und auch des laufenden Jahres ein Indiz dafür erkennen, dass der Euro die Entwicklungschancen
strukturschwacher Volkswirtschaften dämpft, während starke Volkswirtschaften, wie die Bundesrepublik Deutschland, von einer Art „Weichwährungseffekt“ auf den Weltmärkten profitieren.
Die vielfach kritisierten Exportüberschüsse der
Bundesrepublik Deutschland scheinen diese
These zu bestätigen, beantworten aber nicht die
Frage, wie die finanzielle Stabilität des EU-Wirtschaftsraums gegenüber anderen Wirtschaftszonen ohne deutsche Exporterfolge zu gewährleisten wäre.
Was Ursache und was Wirkung im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Entwicklung der
Euro-Länder ist, bleibt umstritten. Während EuroOptimisten im bescheidenen Turnaround der südeuropäischen Länder schon eine Stärkung dieser
Volkswirtschaften erkennen, sehen Euro-Skeptiker
im zunehmenden Wohlstandsgefälle starke Argumente gegen die Gemeinschaftswährung. Nicht
zuletzt galt vor der Einführung des Euro die
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Erkenntnis, dass eine Gemeinschaftswährung nur
dann zu wirtschaftlichen Wohlstandsgewinnen
für alle führt, wenn sich die nationalen Volkswirtschaften zumindest im „Gleichschritt“ bewegen
und nicht auseinander driften. Die einstmals für
den Euro-Beitritt entwickelten Konvergenzkriterien bleiben so gesehen nicht nur für den (politisch
motivierten) Start der Gemeinschaftswährung,
sondern für den Fortbestand des Währungsraums entscheidend. Die Politik trägt deshalb
die Verantwortung dafür, dass die dauerhafte
Nichteinhaltung der Konvergenzkriterien und die
für einzelne Länder überhastete Euro-Einführung
(z. B. Griechenland) eine drastische Schadens­
bilanz hinterlässt. So beansprucht die Politik das
Primat über die Wirtschaft, kann aber dennoch
die Eigengesetzlichkeit wirtschaftlicher Abläufe
allenfalls verzögern, aber nicht langfristig aufhalten. Der Zusammenbruch des osteuropäischen
Wirtschaftsblocks, der mit Staatsdirigismus geführt wurde, müsste allen Politikverantwortlichen
noch im Gedächtnis und eine Lehre sein.
Arbeitslosenstatistik ernüchternd
Zur politischen Schadensbilanz, nicht nur im Euro-Raum sondern des gesamten EU-Wirtschaftsraumes, gibt die Arbeitslosenstatistik drastisches
Anschauungsmaterial. Viele Ökonomen sehen
darin ein weiteres Symptom der Wirkungszusammenhänge zwischen der Gemeinschaftswährung
bei auseinanderstrebenden Wirtschaftskräften.
So sind vornehmlich südeuropäische Länder
und die von der Finanz- und Wirtschaftskrise
besonders geschwächten Länder an der Spitze
der Arbeitslosenstatistik zu finden. Griechenland
führt mit gut 26 Prozent diese teils trostlose Statistik an. Besonders dramatisch ist der Anteil der
Jugendarbeitslosigkeit, der in Griechenland nahe
60 Prozent liegt. Aber auch Länder wie Spanien
und Italien haben eine auf Dauer nicht tragbare
Arbeitslosenquote, die vor allem die Jugend trifft.
Deutschland ist mit einer Arbeitslosenquote von
fünf Prozent in einer relativ komfortablen
Situation. Die Höhe der Jugendarbeitslosigkeit
mit 7,8 Prozent stellt dennoch alles andere als
eine befriedigende Größenordnung dar. Dahinter
verbirgt sich die hunderttausendfache Arbeits-
Allgemeine Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit in Europa
Quelle: Eurostat; Luxemburg
losigkeit meist schlecht qualifizierter junger
Menschen, die ohne Perspektive ein Potenzial
für gesellschaftlichen und sozialen Sprengstoff
schaffen. Europa braucht deshalb als Ganzes
eine Innovations- und Wachstumsstrategie,
wenn es sich nicht gänzlich von der weltwirtschaftlichen Entwicklung in anderen Regionen
abkoppeln will. Besonders dynamisch entwickelt
sich seit Jahren der asiatisch-pazifische Raum.
Auch der nordamerikanische Kontinent scheint
sich schneller von den Folgen der Wirtschafts­
krise zu erholen als dies Europa, allen voran die
Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, zu
schaffen vermag. Besonders besorgniserregend
sind in diesem Zusammenhang Krisenherde, die
über Ländergrenzen hinweg die politisch-geografischen Verhältnisse verändern. Der nicht eingedämmte Konflikt der Russischen Föderation mit
den Nato-Staaten bietet nicht nur aus wirtschaft­
lichen Überlegungen heraus Anlass zur Sorge.
Industriestandort Europa auf
dem Rückzug
Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Europa
kann zu einem erheblichen Teil dem Einbruch
der Industrieproduktion in wichtigen europä­
ischen Kernländern zugeschrieben werden. So
hat die Industrieproduktion im EU-Raum in Folge
der Wirtschafts- und Finanzkrise einen bedeutenden Einbruch hinnehmen müssen. Von diesem
Einbruch konnte sich ein Großteil der EU-Wirtschaft – Deutschland ausgenommen – bislang
nicht erholen.
Immer noch fehlen ca. 13 Prozentpunkte am früheren Anteil der Industrieproduktion, was erheblichen Einfluss nicht nur auf die schwindenden
Arbeitsplätze im industriellen Sektor hat, sondern
auch Arbeitsplätze in den davon abhängigen
Dienstleistungs- und Handelsbereichen kostet.
Insgesamt hat die europäische Wirtschaft einen
Großteil ihrer Industrieproduktion im Wettbewerb
mit anderen Weltregionen aufgeben müssen. Nur
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Industrieproduktion im Euroraum von Januar 2004 bis April 2015
(Index 2010 = 100)
115
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Quelle: Eurostat, Luxemburg
Deutschland belegt noch einen ausgesprochen
guten Platz, wie der Industrieanteil am BIP 2014
belegt.
Die EU-Staaten als Ganzes liegen mit einem
15,3-prozentigen Industrieanteil am BIP deutlich
unterhalb des in Deutschland gehaltenen Stands
der Industrieproduktion. Einstmals wichtige
Industrienationen wie Frankreich und Großbritannien „dümpeln“ dagegen um die ZehnProzent-Marke. Da sich der Finanzsektor in
Großbritannien erholt hat, dämpft der schwache
Industrieanteil die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Großbritannien im Augenblick nicht
nachhaltig. Allerdings könnte Großbritannien
bei einer Neuauflage der Finanzkrise in Bedrängnis kommen. Ähnlich fragil ist die Situation
in Deutschland. Die ungewöhnlich hohe Exportorientierung macht den Industriestandort von der
globalen wirtschaftlichen Entwicklung und damit
unmittelbar auch von der Lage auf den Finanzmärkten abhängig. Ein eindrucksvoller Beleg
dieser These ist die Entwicklung der deutschen
Warenexportüberschüsse, die im Jahr 2014 den
bisher absoluten Höchststand erreichte.
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Seit dem Jahr 2000 ist der Anteil der deutschen
Exporte am Bruttoinlandsprodukt von 28 Prozent
auf nahezu 40 Prozent angestiegen. Werden
die Warenimporte, von denen die deutsche Wirtschaft ebenfalls stark abhängig ist, hinzugezogen, summiert sich der gesamte Außenhandel
der Bundesrepublik Deutschland auf eine
Größenordnung, die über 70 Prozent des BIP
entspricht. Der Überschuss, der sich aus den
Export- und Importaktivitäten saldiert ergibt
(217 Mrd. Euro in 2014), spiegelt so gesehen
die extrem hohe Abhängigkeit der deutschen
Volkswirtschaft von Außenhandelsaktivitäten nur
bedingt wider. Dahinter stehen gewaltige und
schnell wachsende Warenströme, die ohne eine
starke Logistikwirtschaft und Verkehrsinfrastruktur
nicht aufrecht zu erhalten sind.
Nachhaltige Wachstumsstrategie
gesucht
Die für den Standort Europa durch die EUKommission und die EU-Gremien geforderten
Wachstumspakte sind unverzichtbar für die
Industrie-Anteil am BIP 2014
Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden
Deutsche Waren-Exportüberschüsse 2000 – 2014 in Mrd. Euro
Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden
7
Bruttoschuldenstand des Staates in % des BIP
Quelle: Eurostat, Luxemburg
Entwicklung Ausgaben Kapitaldienst Bundesschuld 2009 – 2019
Quelle: BMF, Berlin
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Überwindung der Krise. Sie setzen jedoch die
Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit des
gesamten Wirtschaftsraums gegenüber anderen dynamischen Wirtschaftsregionen voraus.
Zentra­ler Punkt der Wachstumsstrategie auf
EU-Ebene ist die Energiepolitik, die speziell in
Deutschland im Fokus steht. Ziel ist es, die hohe
Abhängigkeit von Energieimporten zu senken
und Europa auf eine breitere energiewirtschaftliche Basis zu stellen. Der Ausstieg aus der
Kohlenstoffwirtschaft in der Energieerzeugung
soll dafür nach den Vorgaben des G7-Gipfels
bis 2050 geschafft sein. Die Bundesrepublik
Deutschland hat sich ein noch ehrgeizigeres
Zwischenziel gesetzt und will mit kapitalintensiven Investitionen bis 2020 40 Prozent der
CO²-Emission gegenüber dem Basisjahr 1990
einsparen. Die Kosten der Energiewende und
die Belastung der Wirtschaft fallen jetzt schon
entsprechend hoch aus. Dies gilt ganz besonders für die hohen Energiepreise, die Europa im
Vergleich zu den USA und anderen Wirtschaftsräumen zu zahlen hat. Europa und die Bundesrepublik Deutschland können bei Fortsetzung der
derzeitigen Energiepolitik den Wettbewerb um
industrielle Standorte nur dann gewinnen, wenn
es gelingt, die Kluft zwischen den Energiepreisen
mit anderen Weltregionen zu verringern und
nicht weiter auseinanderdriften zu lassen. Verliert
Europa weitere Teile seiner Kernindustrien, ist
das zum Abbau der Arbeitslosigkeit notwendige
Wachstum nicht zu schaffen.
Da die Energiewende den Standort Deutschland in Europa auf besondere Weise zusätzlich
belastet, müssen echte Wachstumsstrategien
den Spagat zwischen sauberer und bezahlbarer
Energie erst schaffen. (Vgl. Abschnitt, „Klimaschutz und Energiewende“, S. 37 ff) Ein „Perpetuum mobile“ kann es nicht geben, und ein
isolierter Alleingang Europas oder der EU dürfte
fatale Folgen haben.
Staatsdefizite steigen weiter
quoten der entwickelten Industriestaaten machen
deshalb besorgt. Nahezu alle Staaten haben ihre
Bruttoschulden in Prozent des Inlandsprodukts
trotz weltweit niedriger Zinsen weiter erhöht.
Spitzenreiter in der Staatsverschuldung ist Japan.
Die USA übertreffen mit ihrer Verschuldungsquote nach wie vor die Euro-Zone. Nur wenige
aktuelle Mitglieder der Euro-Zone erfüllen das
Konvergenzkriterium für eine Euro-Mitgliedschaft
(60 Prozent Staatsverschuldung in Bezug auf
das BIP). Trotz „Schwarzer Null“ im Bundeshaushalt ist auch Deutschland noch weit von diesem
Konvergenzkriterium des Euro entfernt, weil kein
echter Schuldenabbau in Sicht ist.
Wie sehr dabei die Bundesrepublik Deutschland
in der Finanzpolitik von der Zinsentwicklung abhängt, zeigt die Entwicklung und Ausgabenplanung des Bundes für den Kapitaldienst (überwiegend Zinsen). Allein durch die Interventionspolitik
der Europäischen Zentralbank spart der Bund
aktuell gut 15 Mrd. Euro jährlich an Zinsen, so
dass sich die „Schwarze Null“ im Bundeshaushalt praktisch automatisch und ohne viel Zutun
der Politik zu Lasten der Sparer ergeben hat. Für
die Zukunft plant der Finanzminister allerdings
wieder höhere Ausgaben für den Kapitaldienst.
Dabei kann in den nächsten Jahren keineswegs
von einem Sparhaushalt der Bundesrepublik
Deutschland gesprochen werden. Immerhin hat
der Bund in seiner Ausgabenplanung bis 2018
eine Erhöhung der Bundesausgaben von derzeit
rund 302 Mrd. auf 333 Mrd. Euro geplant. Vorgesehen sind ebenfalls kräftige Zusatzeinnahmen
durch Steuern in Höhe von etwa 45 Mrd. Euro.
Dennoch bleibt eine Deckungslücke von 9 Mrd.
Euro zwischen geplanten Ausgaben und Steuereinnahmen, die der Bund aus anderen Quellen
schließen muss. Durch die Nutzerfinanzierung im
Verkehr und auf anderen Feldern zeichnen sich
für den Bürger neue Belastungen ab. (Vgl. Abschnitt, „Fehlender Finanzkreislauf Straße führt
Nutzerfinanzierung ad absurdum“, S. 16 ff)
Die nicht zu leugnenden wirtschaftlichen Probleme und hohe Arbeitslosigkeit stellen nicht nur die
EU-Länder, sondern fast alle entwickelten Staaten
der Welt vor schwer lösbare Finanzprobleme.
Die ständig weiter steigenden Verschuldungs-
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Europäische Marktentwicklung
zwischen Nachhaltigkeit und Sozial­
dumping
Deutsche Transportlogistik­
unternehmen im Verdrängungswettbewerb
Die immer noch nicht überwundenen Folgen
der Finanz- und Wirtschaftskrise hinterlassen
speziell auf den Transportmärkten, vor allem
im Straßengüterverkehr, tiefe Spuren. Da die
Bundesrepublik Deutschland bei der Wirtschaftsleistung die Lokomotivfunktion im europäischen
Konjunkturzug übernommen hat, finden spiegelbildliche Prozesse auf den Verkehrsmärkten statt.
So folgen die Verkehrsströme stets den Güterströmen, und Deutschland nimmt durch seine
Außenhandelsstärke eine dominierende Position
in der Nachfrage nach Transportdienstleistungen
ein. Fuhrpark- und Transportkapazitäten aus aller
Herren Länder werden dadurch angezogen.
Der Anteil ausländischer Lastkraftwagen an den
Verkehrsleistungen in Deutschland hat demzufolge in den zurückliegenden Jahren stark zugenommen. Deutsche Unternehmen mussten sich aufgrund der Wettbewerbsverhältnisse immer stärker
aus den internationalen Verkehrsmärkten zurückziehen. (Vgl. Abschnitt, „Unfaire Geschäftsmodelle fördern Sozialdumping“, S. 14 ff) Gemessen an
den tonnenkilometrischen Leistungen auf deutschen Streckenabschnitten nähert sich der Anteil
deutscher Unternehmen im grenzüberschreitenden Verkehr der Zehn-Prozent-Marke. Schon bald
werden bei Fortschreibung des Trends neun von
zehn internationalen Transporten durch gebietsfremde Transporteure abgewickelt.
Dies hat nachhaltige Konsequenzen auch für
den nationalen Verkehrsmarkt, da im Zuge der
Dienstleistungsfreiheit gebietsfremde Transpor­
teure neben internationalen Transporten in verstärktem Maße Kabotage und genehmigungsfreie Verkehre in Deutschland als lukrative
„Zusatzbeschäftigung“ betrachten.
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Ein äußerst aufschlussreiches Bild zur Verkehrsentwicklung in Deutschland liefert die amtliche Mautstatistik des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG).
Daraus ist abzulesen, dass sich die Mautkilometer gegenüber dem Krisenjahr 2009 wieder um
gut 3 Mrd. Kilometer erhöht haben. Das erreichte
Niveau von rund 28 Mrd. Kilometern liegt dennoch nur 1,3 Prozent über dem Höchstwert des
Vorkrisenjahres 2008. Unter Berücksichtigung
der zwischenzeitlich erweiterten Bundesstraßenmaut ist daraus abzuleiten, dass im Jahr 2014
die bisherigen mautpflichtigen Fahrleistungen auf
Bundesautobahnen, vor allem im Fernverkehr,
jetzt erst wieder erreicht werden.
In diesen Zahlen spiegelt sich nicht zuletzt der
relativ schwach entwickelte Warenaustausch mit
Südeuropa wider. Dieser war krisenbedingt stark
rückläufig, und er hält sich derzeit auf niedrigem
Niveau. Echte Verkehrszuwächse gibt es nur mit
einzelnen europäischen Ländern zu verzeichnen,
wobei die gute Binnenkonjunktur maßgeblich zum
Wachstum der Mautkilometer beigetragen hat.
Marktumverteilung
Die Mautstatistik ist nicht nur in Bezug auf die allgemeine Entwicklung der Transportleistungen im
konjunkturellen Umfeld aufschlussreich, sondern
sagt auch sehr viel über den inneren Zustand der
Verkehrsmärkte. Besonders auffallend sind die
ungebrochenen Marktanteilsgewinne der EU-Beitrittsländer sowie die hohen Marktanteilsverluste
der EU-15 auf den deutschen Verkehrsmärkten.
So stieg der Anteil von Transportunternehmen aus
den EU-Beitrittsländern in relativ kurzer Frist von
18,4 Prozent auf 30,4 Prozent aller Mautkilometer. Gleichzeitig fiel der Marktanteil westeuro­
päischer Transporteure an den Mautkilometern
von 12,9 auf 8,3 Prozent.
Einen ähnlich drastischen Verlauf nahm der Verfall der Marktanteile deutscher Unternehmen.
Deren Anteil an den Mautkilometern fiel seit der
Maut­einführung um ca. zehn Prozentpunkte
und ist jetzt bei 59 Prozent an allen Mautkilometern in Deutschland angekommen. Die auch im
1. Halbjahr 2015 zu verfolgende Marktumverteilung ist so gesehen typisch für den Verlauf der
vergangenen Jahre.
Anteile ausländischer und deutscher Lkw
am grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr
Quellen: Kraftfahrt-Bundesamt, Flensburg; BVU, Freiburg; ITP + Ralf Ratzenberger, München und Berechnungen des BGL
Mautkilometer in Deutschland 2005 – 2014 in Mrd.
Quelle: Bundesamt für Güterverkehr, Köln
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Mautkilometeranteile in Deutschland nach Herkunft des Lkw
Quellen: Bundesamt für Güterverkehr, Köln und Berechnungen des BGL
Veränderung der Mautkilometer* in Deutschland 2015 zu 2014 (1. Hj)
nach dem Herkunftsland der Lkw
Quellen: Bundesamt für Güterverkehr, Köln und Berechnungen des BGL
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Veränderung der Mautkilometer* in Deutschland 2015 zu 2014 (1. Hj)
nach Lkw-Herkunft (Angaben in 1.000 km)
Quellen: Bundesamt für Güterverkehr, Köln und Berechnungen des BGL
Anteile an den Mautkilometern* in Deutschland im 1. Halbjahr 2015
nach dem Herkunftsland der Lkw
Quellen: Bundesamt für Güterverkehr, Köln und Berechnungen des BGL
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So stiegen konjunkturbedingt in Deutschland
die mautpflichtigen Kilometer auf dem Autobahnen- und Bundesstraßennetz um 2,6 Prozent.
Deutsche Unternehmen konnten davon lediglich
mit einem Plus von 0,3 Prozent profitieren.
Westeuropäische Transportunternehmen verzeichneten wiederum ein Minus von 2,8 Prozent,
während Transportunternehmen aus den EU-Beitrittsländern satte 9,7 Prozent zulegen konnten.
In absoluten Zahlen stellt sich diese Entwicklung
noch eindrucksvoller dar.
So erhöhten deutsche Unternehmen ihre mautpflichtigen Fahrleistungen um 22 Mio. Kilometer,
während westeuropäische Unternehmen 34
Mio. Mautkilometer weniger in Deutschland
erbrachten. Geradezu „raketenhaft“ nahm die
Fahrleistung von Transportunternehmen aus den
EU-Beitrittsländern mit fast 400 Mio. Kilometern
zu. Allein dieser Zuwachs entspricht auf das Jahr
hochgerechnet fast drei Prozent der insgesamt
erbrachten Mautkilometer. In Fahrzeugeinheiten
umgerechnet sind dies arbeitstäglich 10 000
zusätzliche schwere Nutzfahrzeuge, die binnen
Jahresfrist auf deutschen Straßen mit Kennzeichen aus den EU-Beitrittsländern unterwegs sind.
Die Mautstatistik belegt weiterhin, aus welchen
Herkunftsländern mautpflichtige Fahrzeuge
stammen. Unangefochten führen diese Statistik
polnische Unternehmen mit 13,6 Prozent aller
Mautkilometer in Deutschland an. Sie sind damit
mittlerweile fast viermal so stark vertreten wie
Fahrzeuge niederländischer Unternehmen, die vor
dem Beitritt der osteuropäischen EU-Länder die
„Fuhrleute Europas“ waren. Selbst tschechische
Unternehmen überrunden mittlerweile niederländische Transportunternehmen in der Mautstatistik.
Hervorstechend entwickelt haben sich in den
zurückliegenden Jahren die Standorte Rumänien,
Ungarn, die Slowakei, Litauen und Bulgarien. Erst
dann kommen Fahrzeuge mit österreichischem
Zulassungsort, die gerade noch 1,2 Prozent der
deutschen mautpflichtigen Fahrleistungen erbringen. Einen etwa gleichhohen Anteil haben bulgarische Fahrzeuge bereits in kurzer Zeit erreicht.
Unfaire Geschäftsmodelle fördern
Sozialdumping
Die außerordentlichen Markterfolge von Transportunternehmen mit Herkunftsstandorten aus den EUBeitrittsländern sind keineswegs der rasanten Entwicklung des Güteraustauschs mit diesen Ländern
geschuldet. Sofern der Anstieg der Verkehrsleistung
mit den mittel- und osteuropäischen EU-Beitrittsländern (MOE-Ländern) ausschlaggebend wäre, ergäbe sich eine deutlich andere Marktanteilsentwicklung. Für diese außerordentliche Entwicklung sind
vor allem unfaire Geschäftsmodelle der Grund, die
in „Sozialdumping“ ihre ökonomischen Fundamente haben. Das zugrundeliegende Geschäftsmodell ist ebenso simpel wie lukrativ. Ganze
Fuhrparkflotten mit westeuropäischen Standorten
wurden nicht einmal mehr ausgeflaggt, sondern
lediglich umgeflaggt. Westeuropäische Flotten
gehören jetzt zu Fuhrparks, die MOE-Länder als
Herkunftsstandort haben. Tatsächlich bleiben diese
Fahrzeuge jedoch in deutschen Hafenstandorten,
Kombibahnhöfen, Binnenschiffsterminals und auch
Logistikknoten stationiert. Das Fahrpersonal aus
den neuen „Heimatstandorten“ wohnt für Wochen
und Monate im Fahrzeug und kehrt nur noch sporadisch nach einer gewissen Aufenthaltsdauer für
kurze Zeit in die entsendenden Länder zurück.
Der ökonomische Vorteil dieses Geschäftsmodells
liegt darin, dass die Fahrer zu den Lohn- und
Sozialbedingungen der Entsendeländer beschäftigt werden. Die monatlichen Bruttolöhne liegen
je nach Herkunftsland bei einigen hundert Euro.
In Verbindung mit Spesenzahlungen kann das
Fahrpersonal damit seine Familie im Entsendeland
unterhalten und findet eine Beschäftigung. Die
„hässliche“ Rückseite der gleichen Medaille zeigt
jedoch noch ein anderes Bild. Da die Fahrer auf
ihren Fahrzeugen buchstäblich wohnen, verbringen sie ihre Frei- und auch Ruhezeiten auf öffentlichen Rasthöfen, in Häfen und an Logistikstandorten oder der „freien Natur“ unter teils primitivsten
Bedingungen. Nicht selten fehlt es an sanitären
Einrichtungen, und auch die einfachsten menschlichsten Bedürfnisse bleiben oftmals unerfüllt.
Alles in allem ist zu konstatieren, dass diese
Lebensumstände nicht dem Selbstverständnis
eines sozialverantwortlichen Unternehmertums
in Europa entsprechen. Die Arbeitsbedingungen
14
des Fahrpersonals erfüllen nicht die einfachsten
Anforderungen an eine humane Arbeitswelt in
einem geregelten sozialen Umfeld, das Freunde
und Familie einschließt. Billige Beförderungsleistungen für die deutsche Industrie, Handel und
Verbraucher werden auf diese Weise durch die
katastrophalen Lebensumstände ganzer Fahrerheerscharen erkauft, die in einer Art modernem
Nomadentum ihr Leben fristen müssen. Es ist
deshalb naheliegend, dass die EU-Kommission
wie Gesetzgeber in einzelnen EU-Staaten dieses
Phänomen aufgegriffen haben und unterschiedlich zu lösen versuchen. (Vgl. hierzu auch
Abschnitte, BGL-Vorschläge zu Neuregelung der
Niederlassungsfreiheit, S. 36 ff)
Nutzerfinanzierung und Weiterentwicklung der Lkw-Maut in Deutschland
Konsequente und faire Nutzer­
finanzierung bleibt das Ziel
Als zu Beginn des Jahrtausends die Pläne zur Einführung einer Lkw-Maut in Deutschland politisch
publik wurden und deren Umsetzung anstand,
hat sich der BGL frühzeitig zum Grundsatz der
Nutzerfinanzierung bekannt. Wie richtig dieses
damalige Bekenntnis war und bleibt, zeigt die
im vorhergehenden Abschnitt skizzierte Verkehrsentwicklung. Heute werden als Folge der
Liberalisierung des Straßengüterverkehrs mehr
als 40 Prozent aller mautpflichtigen Kilometer
durch Gebietsfremde zurückgelegt. Ohne eine
konsequente Nutzerfinanzierung würden die
Infrastrukturkosten ausschließlich am heimischen
Transport- und Logistikgewerbe bzw. dem Steuerzahler hängenbleiben. Wettbewerbsverzerrungen
zu Lasten deutscher Unternehmen wären dann in
den nationalen grenzüberschreitenden Verkehrsmärkten noch intensiver.
Der BGL wurde seinerzeit durch Wirtschaftsverbände und auch gewerbeintern für seine
Haltung zur Nutzerfinanzierung kritisiert. Dabei
musste schon damals auch den Kritikern klar
sein, dass die Nutzerfinanzierung nicht nur vor
dem Hintergrund der erwarteten Verkehrsentwicklung Sinn macht. Vielmehr bestand und
besteht der politische Wille über Parteigrenzen
hinweg, die Maut als Finanzierungsinstrument
zu entwickeln und teils für verkehrslenkende
Maßnahmen zu nutzen. Der BGL konnte damals
mit der Politik vereinbaren, dass die Einführung
der Nutzerfinanzierung mit einem größtmöglichen
Harmonisierungsschritt einhergehen muss. Dies
ist 2003 mit einer entsprechenden Senkung der
Kfz-Steuer auf europäisches Mindestniveau und
dem so genannten Mautharmonisierungsprogramm gelungen. Es ist angesichts der aktuellen
Diskussion immer wieder notwendig, auf diese
Zusammenhänge zu verweisen, wenn es um eine
zielgerichtete und auch faire Nutzerfinanzierung
der Infrastruktur in Deutschland geht.
Mautharmonisierungsprogramm
gerät ins Stocken
EU-Gruppenfreistellungsverordnung erzwingt Anpassung
Obwohl dem BGL ein größtmöglicher Harmo­
nisierungsschritt zur Einführung der Lkw-Maut politisch zugesagt wurde, entwickelte sich zunächst
die Umsetzung von Harmonisierungsmaßnahmen
nur schleppend. Erst unter Verkehrminister
Dr. Ramsauer wurde das einstige Versprechen
mit Leben erfüllt. Ein Programm zur Förderung
der Aus- und Weiterbildung, ein Effizienzsteigerungsprogramm und ein Innovationsprogramm
sorgten dafür, dass das Gewerbe einen Ausgleich für mautbedingte Wettbewerbsverzerrungen bekam. Allerdings geben das Haushaltsrecht
und das schleppende bürokratische Antragsverfahren immer wieder Anlass zur Kritik. Mautharmonisierungsmittel konnten deshalb nicht abgerufen werden und gingen nach den Regeln der
Haushaltsführung dem Gewerbe verloren.
Mit der Änderung der EU-Gruppenfreistellungsverordnung im vergangenen Jahr ergab sich
eine weitere Zäsur im Mautharmonisierungsprogramm. Einige Fördermaßnahmen mussten aufgrund der europäischen Rechtsetzung gestrichen
werden und höhlten so das Weiterbildungsprogramm in seiner Substanz aus. Außerdem konnte
das Weiterbildungsprogramm erst im August des
Jahres starten, weil die Inkraftsetzung der nationalen Förderrichtlinie aufgrund des geänderten
europäischen Rechts auf sich warten ließ.
15
Aushöhlungstendenz
Der BGL beobachtet mit Sorge, dass über die
Haushaltspolitik das Mautharmonisierungsprogramm in seiner Substanz infrage steht. Dafür
verantwortlich zu machen sind unter anderem
Haushaltsregeln und auch die vom Bundesrechnungshof zusätzlich geforderten „höheren
Anreizwirkungen“ für einzelne Maßnahmen.
Der BGL hat einer überzogenen und bürokratischen Betrachtungsweise widersprochen und
pocht auf die Einlösung der politischen Harmonisierungszusage.
Gleichwohl ist die Überarbeitung der Förderrichtlinien für das kommende Jahr mit vielen Unwägbarkeiten versehen. Zahlreiche Fördermaßnahmen stehen nicht nur bei der Weiterbildung,
sondern auch im De-minimis-Programm auf der
Kippe. Der BGL hat aus diesem Grund von den
Verkehrspolitikern ein starkes politisches Signal
und ein eindeutiges Bekenntnis zum Mautharmonisierungsprogramm erbeten. Schließlich dienen
die Förderprogramme auch der Glaubwürdigkeit
der Politik bei der Umfinanzierung der Infrastruktur von Steuern auf Nutzerentgelte. Um
Doppelbelastungen über Steuern und Straßenbenutzungsgebühren zu vermeiden, stehen dem
Gewerbe politisch zugesagte Harmonisierungsmaßnahmen zu. Ein politischer Glaubwürdigkeitsbeweis wäre nicht zuletzt deshalb schon notwendig, weil die Einführung der zwischenzeitlich
angehaltenen Pkw-Maut ebenfalls von dem viel
weitergehenderen Versprechen begleitet ist,
deutsche Autofahrer würden durch Nutzergebühren nicht zusätzlich belastet. Die Mautharmonisierung für Nutzfahrzeuge wird zeigen,
wie langlebig derartige Zusagen angelegt sind.
Falsche Signale an die Adresse der Autofahrer
am Beispiel der Nutzfahrzeuge können durch
die Bundesregierung nicht gewünscht sein.
16
Fehlender Finanzkreislauf
Straße führt Nutzerfinanzierung
ad absurdum
Mauteinführung – ein Fehlschlag
für die Infrastrukturfinanzierung
Der entscheidende „Geburtsfehler“ der Lkw-Maut in
Deutschland lag und liegt in der fehlenden strengen Mittel-Zweck-Bindung der von Nutzern aufgebrachten Infrastrukturentgelte. So war von Anfang
an zwar durch den Gesetzgeber bestimmt worden,
dass die Lkw-Maut „überwiegend“ für die Straßeninfrastruktur zusätzlich zu den im Haushalt bereitgestellten Mitteln Verwendung finden soll. Aber
schon bald offenbarte sich der „Pferdefuß“ dieser
Bestimmung. Unter zusätzlich und überwiegend
verstand der Haushaltsgesetzgeber eine Quote von
knapp über 50 Prozent der Mautmittel für Straßeninfrastrukturausgaben, während der Rest der
Einnahmen zum größten Teil in Schienenprojekte
floss und ein kleiner Anteil für Binnenwasserstraßen
„abgezweigt“ wurde. Der versprochene Finanzkreislauf Straße war von Anfang an durchbrochen.
Noch mehr politische Glaubwürdigkeit ging
dadurch verloren, als mit dem Zufluss der Nutzerentgelte die bereitgestellten Haushaltsmittel
für den Verkehrsetat in gleich hohem Ausmaß
gekürzt wurden. Für die versprochene zusätzliche Infrastrukturfinanzierung blieb nur ein NullSummen-Spiel.
Trotz Milliarden Einnahmen durch die Lkw-Maut
standen schon im ersten Jahr der Mauteinführung
mit 5,26 Mrd. Euro nur geringfügig mehr Bundesmittel für Straßeninvestitionen zur Verfügung als
vor der Lkw-Mauteinführung (4,93 Mrd. Euro).
Bereits im dritten Jahr nach der Mauteinführung
waren die Straßenverkehrsinvestitionen wieder auf
das völlig unzureichende Maß des Jahres 2004
zurückgefallen. Ohne krisenbedingte Konjunkturprogramme wären die Haushaltsmittel auf konstant
niedrigem Niveau von ca. 5 Mrd. Euro verharrt,
obgleich der Bund im Durchschnitt 4,5 Mrd. Euro
jährlich aus der Lkw-Maut zusätzlich einnimmt. Die
Infrastruktur blieb trotz Lkw-Maut im Zuge der verminderten Ausstattung des Verkehrshaushalts mit
Steuermitteln hoffnungslos unterfinanziert. Der stille
Sub­stanzverzehr der letzten Jahrzehnte setzte sich
in dramatischem Umfang fort. Brückensperrungen
Straßen-Verkehrsinvestitionen des Bundes 2004 – 2019
(Ist-Ausgaben und mittelfristige Finanzplanung)
Quellen: BMF, Berlin; BMVI, Berlin; Pro Mobilität, Berlin und Berechnungen des BGL
für den Schwerverkehr, z. B. bei der Rheinquerung in Leverkusen oder der Rader Hochbrücke,
machen allerdings in jüngster Zeit für jedermann
deutlich, wohin der schleichende Substanzverzehr
der Infrastruktur führt und welch hoher Schaden
dem Wirtschafts- und Logistikstandort Deutschland
dadurch zugefügt wird.
Ohne energisches Gegensteuern mit einer
nachhaltigen Erhöhung der Verkehrsinvestitionen
zum Ausgleich der unterlassenen Instandhaltungsmaßnahmen sowie des dringlichen Ausbaubedarfs dürfte Deutschland seinen guten Ruf
als Wirtschafts- und Logistikstandort schon bald
verlieren. Bereits heute müssen Schwerverkehrsund Großraumtransporte, z. B. süddeutscher oder
südwestdeutscher Maschinen- und Anlagenbauer,
hunderte Kilometer Umwege zu den deutschen
Seehäfen in Kauf nehmen. Die deutschen Seehäfen sind aufgrund dieser Infrastruktur­defizite
in ihrer Wettbewerbsfähigkeit bedroht. Für viele
Großraum- und Schwertransporte bleibt nur noch
der Rhein als Binnenschiffsweg zu den Rheinmündungshäfen, um Ex- und Importe per Seeschiff
abzuwickeln. Der Aktionsplan Güterverkehr und
Logistik, der eine Stärkung der Hafenstandorte
vorsieht, hatte deshalb einen besonderen Schwerpunkt auf die Stärkung der deutschen Seehäfen
gelegt. (Vgl. Abschnitt, „Aktionsplan Güterverkehr
und Logistik wird fortgeschrieben“, S. 48 ff) Ohne
solide Finanzierungsgrundlagen bleiben diese
gutgemeinten Ziele jedoch unerreichbar.
Lkw-Mautweiterentwicklung ein
Pokerspiel um Milliarden
Angesichts der chronischen Unterfinanzierung der
Verkehrsinfrastruktur wurden in der Koalitionsvereinbarung nach der Bundestagswahl 2013 die
Ausweitung der Lkw-Maut und die Einführung einer Pkw-Maut als Zielsetzung bis 2018 aufgenommen. Hintergrund waren die Empfehlungen der
Bodewig- und Daehre-Kommissionen, auf deren
Grundlage Milliardenbeträge für die Finanzierung
der Infrastruktur mobilisiert werden sollten. Insgesamt errechneten die Experten dieser Kommissionen nur für den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur
17
eine Unterdeckung von 7,2 Mrd. Euro jährlich.
Gegenstand der Vorschläge aus den Bodewigund Daehre-Kommissionen war deshalb zunächst
eine Erhöhung der Nutzerfinanzierung im LkwBereich, der bereits bis zum Ende der Legislaturperiode jährlich ca. drei Mrd. Euro zusätzlich in
die Kassen spülen sollte. Darüber hinaus sollte die
Pkw-Maut zum Beginn der nächsten Legislaturperiode eingeführt werden und für einen nachhaltigen
Defizitausgleich bei der Infrastrukturfinanzierung
aller Verkehrsträger bis hin zur Finanzierung des
öffentlichen Nah­verkehrs sorgen.
Zur Umsetzung dieser Vorschläge aus den Expertenkommissionen ist mittlerweile das Gesetzgebungsverfahren zur Lkw-Maut abgeschlossen. So
wird die Lkw-Maut bereits im laufenden Jahr auf
rund 1 100 Kilometer zusätzliche Bundesstraßen
ausgeweitet, Fahrzeuge ab 7,5 t zGG werden
zusätzlich in die Mautpflicht einbezogen. Im Jahr
2018 soll die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen
ausgedehnt werden, wofür bisher weder die kostenrechnerischen Grundlagen geschaffen noch
das Gesetzgebungsverfahren begonnen wurden.
Die Erhebung einer Pkw-Maut wurde entgegen den
Empfehlungen der Expertenkommissionen in dieser
Legislaturperiode zunächst darauf beschränkt,
dass inländische Kfz-Halter nicht zusätzlich
belastet werden dürfen. Nachdem der Bundesverkehrsminister einen diesbezüglichen Gesetzentwurf
durch den Bundestag und Bundesrat gebracht
hatte, leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Diese sieht in der angeblich
einseitigen Belastung von Gebietsfremden eine
vertragswidrige Diskriminierung. Daraufhin stoppte
der Bundesverkehrsminister zunächst die Umsetzung der Pkw-Maut. Geplante Mehreinnahmen
von rund 500 Mio. Euro liegen seitdem auf Eis.
Finanzierungskreislauf Straße
bleibt Worthülse
Bedingt durch die Aussetzung der Pkw-Maut
gehen dem Bund in der Nutzerfinanzierung nicht
nur Einnahmen verloren. Das gewählte „Entlastungsverfahren“ für deutsche Pkw-Halter bei der
Kfz-Steuer beweist, dass der politisch versprochene Finanzkreislauf Straße eine Worthülse bleibt.
Vielmehr ist es keineswegs ein Zufall oder Verse-
18
hen, dass der Gesetzgeber zur Einführung der
Pkw-Maut an keiner Stelle den Mautbegriff verwendet, sondern die Einführung einer „Infrastrukturabgabe“ beschlossen hat. Insoweit ist es den
Verkehrspolitikern lediglich gelungen, gegenüber
den Finanzpolitikern einen „Punktsieg“ einzufahren. Zur Herstellung der Belastungsneutralität der
Pkw-Maut sollten deutsche Pkw-Halter in der Größenordnung der bisher gezahlten Kraftfahrzeugsteuern eine Infrastrukturabgabe zahlen. (Damit
sollte – allerdings ohne Erfolg – gegenüber der
EU-Kommission die gleichmäßige Belastung von
In- und Ausländern bei der Zahlung der Abgabe
dokumentiert werden.) Haushalterisch verzichtet
das Finanzministerium auf drei Mrd. Euro zweckgebundene Steuereinnahmen, die zur Finanzierung des allgemeinen Bundeshaushalts nicht
mehr zur Verfügung stehen. Dieser „Verzicht“ auf
Steuereinnahmen erfolgte jedoch nicht „bedingungslos“. Nach dem Willen des Gesetzgebers
war es ohnehin nicht vorgesehen, die von PkwNutzern aufgebrachte Infrastrukturabgabe in
einen Finanzkreislauf für Straßeninvestition einzubringen. Drei Mrd. Euro Pkw-Nutzerabgaben
sollten nur für die Infrastruktur aller Verkehrsträger zur Verfügung stehen. Dies dokumentiert sich
zuallererst in den Ausgabenplänen des Bundes.
Darin steigen die Ausgaben für Straßeninvestitionen im kommenden Jahr um ca. eine Mrd. Euro
und in 2017 um weitere 380 Mio. Euro. Im Jahr
2019 steht bereits wieder eine Kürzung um eine
Mrd. Euro an. Aus dieser Ausgabenplanung
wird deutlich, dass der Verkehrshaushalt nach
wie vor ein „Verschiebebahnhof“ der Finanzpolitik bleibt, und Nutzerentgelte nach Kassenlage
mit Steuermitteln kombiniert werden.
Durch die Mautausweitung für Lkw sollten dem
Bund im nächsten Jahr gut fünf Mrd. Euro aus
der Lkw-Maut und aus der Infrastrukturabgabe für
Pkw drei Mrd. Euro zur Verfügung stehen. Trotz
der zwischenzeitlich gestoppten Pkw-Maut für
Gebietsfremde stehen Gebühren und Abgaben
der Straßennutzer von gut 8 bis 8,5 Mrd. Euro
zur Verfügung. In der Spitze sieht die Ausgabenplanung jedoch nur den Rückfluss von 6,63 Mrd.
Euro im Jahr 2018 in das System Straße vor. Aus
dieser Einnahmen- und Ausgabengegenüberstellung lässt sich somit ableiten, dass ca. 1,5 bis
2 Mrd. Euro an geplanten Nutzergebühren nicht
in den Nutzerkreislauf Straße zurückfließen.
Anlastung externer Kosten
Eine weitere Belastungsprobe für das deutsche
Transportlogistikgewerbe stellt die Anlastung externer Kosten dar, die ab 01.01.2015 mit einem
ersten Aufschlag erfolgt ist. Allen Nutzfahrzeugen wird, unabhängig von der Schadstoffklasse
(ausgenommen bleiben zunächst Euro VI-Fahrzeuge), ein Luftverschmutzungsaufschlag in Höhe
von 2,1 Cent pro Mautkilometer angelastet.
Die externen Luftverschmutzungskosten werden
zusätzlich zu den eigentlichen Infrastrukturkosten
erhoben und machen jährlich etwa 500 Mio.
Euro, ab 2017 ca. 600 Mio. Euro, aus. Dieses
Geld steht in keiner direkten Beziehung zur
Infrastrukturnutzung, und es gibt auch keinerlei
Hinweise darauf, dass es in Projekte investiert
werden soll, die zur Senkung der Luftverschmutzungskosten des schweren Nutzfahrzeugs beitragen. Die Anlastung externer Kosten dient somit
ausschließlich der Erzielung zusätzlicher Einnahmen, ohne damit höhere Ziele gemäß dem
wissenschaftlichen Anspruch aus der Anlastung
externer Kosten zu verfolgen.
Dem Deutschen Bundestag geht die Anlastung
externer Kosten im Lkw-Einsatz allerdings immer
noch nicht weit genug. Ein Entschließungsantrag
der Koalitionsfraktionen zur Verabschiedung des
„Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes“ fordert die Bundesregierung u. a. auf
„… sich auf europäischer Ebene dafür
einzusetzen, dass die nach der Richtlinie
1999/62/EG mögliche Anlastung externer Kosten sowie die Methodik für die
Wegekostenrechnung so weit entwickelt
werden, dass ein noch höherer Kostendeckungsgrad sowie mehr Stabilität im
Hinblick auf die anlastbaren Wegekosten
erreicht werden…“
Im Klartext bedeutet dieser Antrag, das Instrument der externen Kosten nur zu Lasten des LkwVerkehrs weiter zu verschärfen. So hatte die vom
BGL in Frage gestellte neue Wegekostenrechnung
zur Berechnung der Maut ab dem 01.01.2015
ergeben, dass bei einer entsprechenden Öffnung der Europäischen Wegekostenrichtlinie die
Luftverschmutzungskosten etwa dreimal höher an-
gelastet werden könnten. Dafür wurde tief in die
„Trickkiste“ der Kostenrechnung gegriffen. Bis zu
siebenmal höhere Kosten für Partikelemissionen
soll der Lkw gegenüber anderen Emissionsquellen
(z. B. Kraftwerken) tragen, etc. Darüber hinaus
plant der Bund die Anlastung von Lärmkosten.
Im Umfang des von der EU herausgegebenen
Handbuchs zur Abschätzung der externen Kosten bestehen weitere Externalitäten des Straßenverkehrs, die gemäß der gültigen Wegekostenrichtlinie noch nicht angelastet werden dürfen.
Ein entsprechender Antrag der Bundesregierung
wird deshalb bei der Kommission Gehör finden,
die Ähnliches im „Road-Package 2016“ plant.
(Vgl. Abschnitt, „Erste Eckpunkte des Road
Package 2016“, S. 34 ff)
Dabei ist die Berechnung der externen Kosten
keineswegs eine wissenschaftlich gesicherte Methode. Je nach Berechnungsverfahren
unterscheiden sich wissenschaftliche Schätzungen zur Höhe der externen Kosten um
ein Vielfaches. Legt man das Handbuch der
EU-Kommission zugrunde, liegt zwischen dem
niedrigsten und höchsten Schätzwert einzelner
externer Faktoren eine Zehnerpotenz. Einzelne
Kostenschätzungen zu den sozialen Kosten des
Straßenverkehrs zeigen eine Bandbreite für die
Höhe zwischen 130 Mrd. Euro und 38 Mrd.
Euro jährlich. Diese Kostenunterschiede ergeben sich nicht nur wissenschaftlich methodisch,
sondern auch in Abhängigkeit der Auftraggeber dazu vorliegender Studien, zu denen auch
die Schienenverkehrslobby zählt.
Wenn sich nunmehr die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gemeinsam mit der SPD-Bundestagsfraktion dafür einsetzt, auf europäischer Ebene die
einschlägige Richtlinie in Bezug auf die Anlastung externer Kosten auszuweiten, dokumentiert
sich hierin ein Politikwechsel. Die Unionsfraktionen haben offenkundig ihre ablehnende
Haltung in dieser Frage aufgegeben und öffnen
den Weg, der den Lkw zum Zahlmeister der
Verkehrspolitik macht. Je nach Philosophie zur
Anlastung externer Kosten könnten mühelos die
von den Bodewig- und Daehre-Kommissionen
errechneten 7,2 Mrd. Euro Finanzierungsdefizit
allein über externe Kosten des Lkw vereinnahmt
werden. Nicht zu vergessen ist, dass in den
19
Die sozialen Kosten des Straßenverkehrs:
Schätzungen klaffen weit auseinander
Quelle: IW, Köln
Berechnungen der Kommissionen der Finanzbedarf aller Verkehrträger bis hin zum Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und Schienenpersonennahverkehr (SPNV) enthalten ist.
Die derzeit amtierende Bundesregierung würde
bei Umsetzung des Entschließungsantrags der
Regierungskoalition für zukünftige Regierungen
einen Anlastungsrahmen in Europa anregen, der
das Nutzer- und Kostenentgeltprinzip völlig auf
den Kopf stellt. Dies gilt speziell vor dem Hintergrund, dass der Deutsche Bundestag weiterhin
beschlossen hat, den Schienenverkehr durch
großzügige Steuersubventionen bei der ureigenen Aufgabe der Verkehrslärmminderung zu
unterstützen. Mehrere hundert Mio. Euro stehen
hierfür bis 2019 zur Verfügung. Es wird sogar
geprüft, nicht nur die Investitionen in leisere
Bremssohlen der Waggons staatlich zu fördern,
sondern auch die höheren Verschleißkosten, die
diese Bremsen verursachen. Von einer Anlastung
externer Lärmkosten im Schienenverkehr ist nicht
die Rede. Im Gegensatz zur Straße wird dafür
der Steuerzahler herangezogen.
20
Das politisch in den Vordergrund gestellte
Prinzip der Kostenwahrheit für einen fairen Verkehrsträgerwettbewerb wird durch eine derart
„schizophren“ angelegte Verkehrspolitik konterkariert. Wenn es zur Kostenwahrheit gehört,
dass den Nutzern alle Kosten angelastet werden
müssen, dann darf dieses Prinzip nicht ausschließlich auf den Straßengüterverkehr bezogen
werden, sondern muss alle Nutzer gleichermaßen erfassen. In jedem Fall ist das Gleichheitsgebot verletzt, wenn Transportunternehmen
für Dinge zur Kasse gebeten werden, die von
keinem sonst verlangt werden. Der BGL steht
deshalb dem Bestreben der Regierungskoalition,
den Rahmen für die Anlastung externer Kosten
über eine Änderung der EU-Wegekostenrichtlinie
allein für Straßengüterverkehre durchzusetzen,
mit Kritik und Ablehnung gegenüber.
„Fratzscher-Kommission“ legt
Bundeswirtschaftsminister
Vorschläge zur Infrastruktur­
finanzierung vor
Keine neuen Aspekte
Parallel zu den verkehrspolitischen Anstrengungen, die Nutzerabgaben der Straße vor allem
im Güterverkehr anzuheben, beschäftigt sich
das Wirtschaftsministerium unter besonderer
Anforderung des Ministers mit Vorschlägen zur
Finanzierung der Infrastruktur. Dafür wurde die
sogenannte „Fratzscher-Kommission“ ins Leben
gerufen, die dem Bundesminister für Wirtschaft
ihre Vorschläge für eine zukunftsorientierte Finanzierung der Infrastruktur vorlegte. Dabei kam
nichts grundsätzlich Neues zu Tage, sondern die
zuvor von den Bodewig- und Daehre-Kommissionen ermittelten Finanzierungsdefizite wurden
zusätzlich untermauert. Auch die Vorschläge
der Pällmann-Kommission, die seit 1999 die
Diskussionen beflügeln und die Einführung einer
Infrastrukturfinanzierungsgesellschaft einschließen, „feierten fröhliche Urstände“.
So kann es den langjährigen Beobachter
unterschiedlicher, von der Regierung berufener Kommissionen nicht verwundern, dass die
Fratzscher-Kommission eine Unterscheidung
zwischen kommunaler Infrastruktur und Infrastruktur auf Bundesebene vorsieht. Bisher ist
die Finanzierung der kommunalen Infrastruktur
in den Mautkonzepten der Bundesregierung
nicht enthalten. Lediglich bei der Fortschreibung
der sogenannten Regionalisierungsmittel ist
ein entsprechender Milliardenbedarf politisch
angemeldet worden. Die Fratzscher-Kommission
bezifferte den Investitionsrückstand allein für die
kommunale Infrastruktur mit 118 Mrd. Euro.
Straße über Nutzerentgelte finanzieren
Zur Finanzierung der gewaltigen Aufgabe, Infrastruktur von der kommunalen bis zur Bundesebene
durchzufinanzieren, hat die Fratzscher-Kommission bekannte Vorschläge mit einem neuen Anstrich
versehen. So ist es kaum überraschend, dass die
Straßenfinanzierung überwiegend aus Nutzer­
entgelten erfolgen soll. Um dies haushaltsunab-
hängig einzuplanen, soll eine kapitalmarktfähige
Straßeninfrastrukturgesellschaft gegründet werden. Was dabei so einsichtig auf Papier gebracht
wurde, erweist sich jedoch als äußerst komplex
in der Gesetzespraxis. Schließlich wäre dafür
das Grundgesetz zu ändern und die Zeit, die der
Regierungskoalition für ein derartiges Vorhaben
verbleibt, ist denkbar kurz bemessen.
„Pokerspiel“ mit den Ländern zur
Verfassungsänderung
Auch ist davon auszugehen, dass die Länder,
die dieser Grundgesetzänderung zustimmen
müssten, ihre Wünsche in Bezug auf die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur mit Nachdruck
verfolgen werden. Verbindliche Finanzierungsregelungen zugunsten von Ländern und Kommunen und zu Lasten der Gebührenzahler dürften
in das Gesetzespaket eingebracht werden. Das
gewohnt heiße Feilschen zwischen Bund und
Ländern steht erst noch bevor, weil die Länder
den Schlüssel einer diesbezüglichen Verfassungsänderung in den Händen halten und die Zeit
knapp bemessen ist.
Privates Kapital und Kleinsparer anziehen
Ebenfalls nicht neu an den Vorschlägen der
Fratzscher-Kommission ist die Mobilisierung
privaten Kapitals, um Infrastrukturprojekte
kreditfinanziert voranzubringen. Hierzu soll ein
öffentlicher Infrastrukturfonds gegründet werden,
in den institutionelle Anleger (z. B. Lebensversicherungen) Kapitalanlagen mit einer guten Renditeerwartung tätigen können. In die jeweiligen
Infrastrukturfondspakete soll allerdings ein Mix
von verschiedenen Infrastrukturprojekten eingehen. Nicht explizit erwähnt, aber mit größter
Wahrscheinlichkeit vorgesehen, ist die vermutete
Absicht, dass durch den Projekt-Mix ein kalkulatorischer Ausgleich zwischen unterschiedlich
lukrativen Investitionsprojekten der Verkehrsträger vorgenommen werden könnte. Letztendlich
werden Erinnerungen an notleidende Immobilien­
fonds der US-Banken geweckt, die durch ihre
undurchsichtige Risikostruktur die Finanzkrise im
Jahr 2008 auslösten.
21
Neben öffentlichen Infrastrukturfonds soll ein
Bürgerfonds eingerichtet werden, der es Kleinanlegern erlaubt, ebenfalls Ersparnisse in höher
verzinsliche Infrastrukturprojekte einzubringen.
Da ausdrücklich durch die Fratzscher-Kommission eine risikoorientierte Rendite „angesprochen“
wird, würde damit Kleinsparern und Bürgern
das Investitionsrisiko von Infrastrukturpaketen in
einer für diese nicht durchschaubaren Mischung
angedient.
Wie auch bei vorhergehenden Gutachten zur
In­frastrukturfinanzierung ist davon auszugehen,
dass zahlreiche Vorschläge der FratzscherKom­mission die Diskussion beflügeln, aber den
Grad der reinen Umsetzung nicht erreichen.
Ob der erneut angeregte Versuch zur Gründung
einer kapitalmarktfähigen Straßeninfrastruktur­
finanzierungsgesellschaft die parlamentarischen
Hürden und auch die Verfassungshürde nimmt,
ist völlig offen.
BGL-gestützte Lkw-Mautklage
bremst Lkw-Abzocke
Imaginäre Aufwandsposten begründen irreale Begehrlichkeiten
Die politische Diskussion um die Anlastung
externer Kosten und zur Ausweitung der bisherigen Berechnungsgrundlagen durch die Änderung der europäischen Rechtsetzung belegen,
wie wichtig die vom BGL unterstützten Klagen
gegen die Mautberechnung in Deutschland sind.
Ohne diesbezügliche Musterklagen würden
sich die Politik und auch die Administration
wesentlich freier bei der Anlastung imaginärer
Kostenkomponenten fühlen. So war es jedoch
der BGL, der mit den Klagen von drei betroffenen Unternehmen deutlich gemacht hat, mit
welchen Methoden in Deutschland Pseudoinfra­
strukturkosten angelastet werden. Unter dem
Stichwort sogenannter Tagesgebrauchtwerte hat
sich der Gesetzgeber ein drittes Mal „erlaubt“,
Abschreibungen und Zinsen auf der Grundlage
einer künstlich aufgeblähten Kapitalbasis zu
errechnen. Vereinfacht dargestellt wird zu diesem Zweck die Verkehrsinfrastruktur mit Preisen
bewertet, die bei Neubau der Infrastruktur nach
22
modernsten Standards heute gezahlt werden
müssten. Um der Altersstruktur der Infrastruktur
gerecht zu werden, werden diese aktuellen Neubaupreise lediglich bei der Abschreibung und
Verzinsung um einen Betrag gekürzt, der auf der
Basis der Restlaufdauer der Infrastrukturinvesti­
tionen berechnet wird. Dies bedeutet, Nutzer
haben Zinsen und Abschreibungsraten auf niemals investiertes Kapital aufzubringen.
Da trotz des offenkundigen Instandhaltungsdefizits zusätzlich die vollen rechnerischen, aber
nicht tatsächlich aufgewandten Instandhaltungskosten den Nutzern angelastet werden, sind
in den Mautsätzen Kosten abgebildet, die für
Straßen neuesten Baustandards entstehen und
uneingeschränkt gebrauchsfähig sind. Die Realität zeigt allerdings ein ganz anderes Bild. Nicht
nur prominente Brückensperrungen über den
Rhein oder die Rader Hochbrücke sagen etwas
über den maroden Zustand der Infrastruktur in
Deutschland aus. Hunderte von Brücken sind für
schwere Nutzfahrzeuge gesperrt oder nur noch
beschränkt befahrbar. Zu allem Überfluss errechnet sich der Bund auf das vielfach nicht real
eingezahlte Kapital und nicht getätigte Instandhaltungsaufwendungen eine üppige Rendite,
die die Nutzer zusätzlich als Finanzierungskosten zu tragen haben.
Besonders „findig“ wurden die Kosten des
Landerwerbs in die Wegekostenrechnung einkalkuliert. Angenommen wurden in der ersten
Wegekostenrechnung Rohbaulandpreise, die
ein Vielfaches über den Beträgen liegen, die
der Bund tatsächlich für den Landerwerb aufgewendet hatte. Für zahlreiche Bundesstraßen und
auch Autobahnen liegt der Landerwerb lange
Zeit zurück und dürfte für wenige Pfennige pro
m² erfolgt sein. Zahlreiche Trassen verlaufen auf
alten Römerstraßen und napoleonischen Alleen,
so dass die Zugrundelegung von Rohbaulandpreisen für den Landerwerb dieser Straßen und
eine hohe Verzinsung kaum noch mit realen
Kosten oder Ausgaben in Verbindung gebracht
werden können. Auch wenn spätere Wegekostenrechnungen angeblich andere Bewertungsmaßstäbe anwenden, fällt dennoch ins Auge,
dass die verrechneten Kosten des Landerwerbs
weiter stark angestiegen sind.
Prinzipien der EU-Wegekostenrichtlinie umstritten
Jahre 1999, 2005 und 2010 beziehen, weisen
jeweils drastische Kostensteigerungen in Fünfjahreszeiträumen von bis zu 50 Prozent aus. Da der
größte Teil dieser Kosten fiktiver Natur ist, würde
mit der Zulassung beliebiger Rechnungsmethoden
ein großer Ermessensspielraum geöffnet, der den
Lkw neben der Anlastung externer Kosten zum
Zahlmeister für alles und jeden macht. Der BGL
sieht sich dazu verpflichtet, diese grundlegende
und auch existenzbedrohliche Frage nicht den
Einnahmenwünschen der Verkehrs- und Finanzpolitiker unterzuordnen, sondern über die Gerichte
eine faire Wegekostenanlastung einzufordern.
Die EU-Wegekostenrichtlinie lässt die Anrechnung von Bau-, Unterhaltungs- und Ausbaukosten
zu, schreibt jedoch keine explizite Berechnungsmethode vor. Daraus hat das Verwaltungsgericht
in Köln in erster Instanz das Fazit gezogen,
dass der Gesetzgeber in der Berechnungsmethode frei ist, solange diesen wissenschaftlichen
Ansprüchen genügt. In Bezug auf das von der
Bundesregierung angewandte Rechenmodell mit
fiktiven Kosten, die niemals zu Ausgaben führen,
hatte das Verwaltungsgericht keine Bedenken.
Ein Verstoß gegen die europäische Wegekostenrichtlinie wurde von den Richtern nicht gesehen.
Neue Mautsätze 2015
Berufung gegen Kostenwillkür
Achszahl als Bemautungsgrundlage nicht nutzungsgerecht
Der BGL hat Berufung gegen dieses erstinstanzliche Urteil eingelegt, weil bei Akzeptanz
dieser Interpretation der Wegekostenrichtlinie
durch das Verwaltungsgericht in Köln eine bis
an die Willkürgrenze reichende Kostenanlastung
legitimiert werden könnte. In diesem Falle würde
jedoch die europäische Wegekostenrichtlinie
komplett ihres Inhalts und Zwecks beraubt.
Schließlich ist es der Sinn dieser Richtlinie, den
EU-Mitgliedsstaaten einen Rahmen vorzugeben,
innerhalb dessen sie die jeweilige Höhe der Wegekosten berechnen dürfen, aber nicht darüber
hinaus. Wenn dieser Rahmen durch das Verwaltungsgericht in Köln derart weit interpretiert
wird, dass nur die verfassungsgemäß gebotene
Willkürgrenze eine Bedeutung hat, machte dies
die gesamte EU-Wegekostenrichtlinie überflüssig.
Der BGL ist der Auffassung, dass durch die
zweite Instanz, vor dem Oberverwaltungsgericht
in Münster, grundlegende Fragen der Wegekostenrichtlinie und deren Anwendungspraxis im
deutschen Recht dem Europäischen Gerichtshof
(EuGH) zur Entscheidung vorgelegt werden
sollten. Falls der EuGH im Sinne des Verwaltungsgerichts in Köln entscheiden würde, dürften die
Wegekosten in Deutschland jeweils innerhalb
von fünf Jahren geradezu explodieren. Die drei
Wegekostenrechnungen, die der Mauterhebung
in Deutschland zugrunde liegen und sich auf die
2015 wurden oder werden noch das Verkehrsgewerbe und seine Kunden mit drei Mautänderungen konfrontiert, die tiefgreifend in die
Kalkulationsstruktur der Unternehmen – je nach
Unternehmensstandorten – eingreifen. Fundamental ist in diesem Zusammenhang die Umstellung
der Lkw-Maut auf eine achszahlbezogene Bemautung. Danach muss unabhängig von der Straßenverschleißkomponente die Lkw-Maut nach Zahl
der Achsen entrichtet werden. Hierzu hat der Gesetzgeber zwei neue Achskategorien eingeführt,
die falsche Investitionsanreize setzen und auch zu
einer inkonsistenten Mauterhebung führen.
Besondere Betroffenheit besteht für Fahrzeuge
mit 7,5 t bis 11,99 t zGM, die zum 01.10.2015
erstmals in die Bemautung einbezogen wurden.
Irrational ist in diesem Zusammenhang die
untere Gewichtsbegrenzung, die die Mautpflicht
ab 7,5 t begründet. Aufgrund des Führerscheinrechts verfügen viele Fahrzeuge über ein zulässiges Gesamtgewicht von 7,49 t und fallen durch
die willkürlich gezogene Gewichtsgrenze nicht
unter die Mautpflicht.
Ebenfalls willkürlich erscheint die Bemautung nicht
mautpflichtiger Fahrzeuge nach Achszahl, wenn
diese z. B. im Anhängerbetrieb die 7,5 t-Grenze
überschreiten. Wird beispielsweise hinter einem
zweiachsigen 4,5 t-Fahrzeug ein Anhänger ge-
23
Lkw-Maut ab 01.10.2015 (>
− 7,5 t zGM) in Cent/km
Mehrbelastung
gegenüber 01.01.2015
pro Maut-km
Euro V
Anzahl der
Achsen
Maut
externe
Kosten
2
8,1
3
Fahrzeuge
Maut
externe
Kosten
ab 7,5t bis
11,99t zGM
ab 12t zGM
2,1
+ 10,2
– 4,4
 8,1
11,3
2,1
+ 13,4
– 1,2
4
11,7
2,1
+ 13,8
5 und mehr
13,5
2,1
+ 15,6
führt und dabei die Gesamtmasse von 7,5 t überschritten, fällt die Höchstmaut für vier Achsen an.
Die zu entrichtende Mauthöhe ist identisch mit der
Maut, die ein Fahrzeug mit 38 t Gesamtgewicht
und ebenfalls vier Achsen zu entrichten hat.
Nicht nutzergerecht ist außerdem die Differenzierung zwischen vier- und fünfachsigen Fahrzeugen, die bei der Lkw-Maut rund 1,8 Cent
pro Kilometer ausmacht. Obwohl fünfachsige
Fahrzeuge straßenschonender eingesetzt
werden können als Vierachsfahrzeuge, die ein
zulässiges Gesamtgewicht von 38 t erreichen
können, werden vierachsige Kombinationen in
der Mautbelastung begünstigt. Nicht konsistent
und kostengerecht ist die noch größere Mautdifferenzierung zwischen drei- und vierachsigen Kombinationen.
Der BGL ist deshalb der Auffassung, dass die
achszahlbezogene Erhebung der Maut willkürlich
und praxisfremd ist und grundsätzlich die Beanspruchung der Straßeninfrastruktur nicht nutzergerecht abbildet.
Diese Feststellung gilt auch für Fahrzeuge,
die mit Liftachse unterwegs sind. Es dürfte nur
schwer den Nutzern zu vermitteln und den
Gerichten als nicht willkürlich dargestellt werden
können, dass im neuen Bemautungssystem eine
Achse, die nicht die Fahrbahn berührt, dennoch
für die Mautpflicht herangezogen werden kann.
Schließlich ist ein Fünfachsfahrzeug mit einer
gelifteten Achse bei gleichem Gesamtgewicht
24
Mehrbelastung
gegenüber 01.01.2015
pro Maut-km
Euro VI
Fahrzeuge
ab 7,5t bis
11,99t zGM
ab 12t zGM
0,0
  + 8,1
– 4,4
11,3
0,0
+ 11,3
– 1,2
– 1,4
11,7
0,0
+ 11,7
– 1,4
+ 0,4
13,5
0,0
+ 13,5
+ 0,4
genauso straßenschonend oder straßenverschleißend wie ein Vierachsfahrzeug. Das gleiche
gilt für einen Zweiachsauflieger, wenn dieser im
Verhältnis zu einem Einachsauflieger mit gelifteter Achse unterwegs ist. Letztendlich müsste noch
beachtet werden, dass vierachsige Fahrzeuge
bei voller Auslastung einen deutlich höheren
Straßenverschleiß verursachen können als durchschnittlich ausgelastete fünfachsige Fahrzeuge,
die die jeweils bewegten Massen auf eine weitere Trägerachse verteilen.
Willkürgrenzen überschritten?
Alles in allem sieht der BGL unter Berücksich­
tigung des Lkw-Maut-Urteils des Verwaltungsgerichts in Köln Anlass zur Vermutung, dass die
Willkürgrenzen bei der neuen Mautkategorisierung überschritten wurden. Auch der Deutsche
Bundestag hat in seinem Entschließungsantrag
die Bundesregierung aufgefordert, die jetzt
gewählte Bemautung nach Achszahl zukünftig
auf eine Bemautung umzustellen, die Achslastgewichte gebührend berücksichtigt. Offensichtlich
hat auch der Gesetzgeber Bedenken gehabt,
dem vorgelegten Gesetzentwurf uneingeschränkt
zuzustimmen. Letztendlich findet sich in der
Beschlussempfehlung des Deutschen Bundestags
zur Lkw-Maut jedoch auch der „Wink mit dem
Zaunpfahl“ an die Lkw-Nutzer. Diese sollen offensichtlich davon abgehalten werden, zum Zweck
der Mautersparnis auf Vierachs- oder Dreiachsfahrzeugkombinationen umzurüsten.
Grundsätzlich bietet sich der Einsatz von vierachsigen Kombinationen an, wenn 40 t-Gesamtgewichte nicht benötigt werden, und allein durch
die Mautdifferenz die Neuanschaffung eines
Aufliegers gegenfinanziert werden kann. Im Verbund mit der neuen EU-Gesetzgebung über Maße
und Gewichte (vgl. Kapitel „Technik“) ist ohnehin
durch Fuhrparkbetreiber eine Neustrukturierung
der Fuhrparktechnik zu erwägen. Vor allem bei
Teilentladungen kann es zu Achslastüberschreitungen der Antriebsachse kommen, obwohl die zulässige Gesamtmasse bei weitem nicht erreicht ist.
Da automatische Melde- und Wiegesysteme nach
der neuen EU-Richtlinie vor der Einführung stehen,
müssen Fuhrparkbetreiber nach geänderten Fahrzeugkombinationen Ausschau halten. So gesehen
könnte schon bald der Zweiachsauflieger zum
Fuhrparkstandard in Verbindung mit einer Dreiachssattelzugmaschine oder einer Sattelzugmaschine mit Schleppachse werden. Zukunftsplanungen von Fuhrparkkapazitäten könnten deshalb,
trotz der Ankündigung des Gesetzgebers, die
Achslasttarifierung bei der Maut wieder in Frage
zu stellen, auf Zweiachsauflieger setzen.
Sozialpolitik und europäische Rechtsetzung
Mindestlohngesetz: Chance gegen
Dumpingwettbewerb oder neues
Bürokratiemonster?
Umstrittene Rolle des Gesetzgebers
Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns
wird auf einer Skala der kontroversen Meinungsäußerungen zwischen den beiden Polen „soziale
Errungenschaft“ und „Bürokratiemonster“ eingestuft. Tatsächlich ist die Historie rund um die
Einführung des Mindestlohns in Deutschland kein
Ruhmesblatt für den Gesetzgeber und die daran
beteiligten Ministerien. Vieles wurde mit heißer
Nadel gestrickt. Bei sorgfältiger Planung und Anhörung aller Betroffenen hätten zahlreiche Rechtsunsicherheiten, die sowohl die am Mindestlohn
interessierten Arbeitnehmer als auch deren Arbeitgeber betreffen, im Vorfeld geregelt werden
können. Wichtige Bestimmungen zur Auftraggeberhaftung und Ahndung von Ordnungswidrig-
keiten bleiben nebulös und verwirrend für die
Anwendungspraxis. Entscheidende Detailfragen
blieben ungeklärt und offenbar ganz bewusst der
Auslegung durch die Arbeitsgerichte überlassen.
Kernpunkt der Kritik ist, dass die dem Gesetz unterworfenen Bürger nicht die Chance haben, im
Gesetz nachzulesen, was wirklich gilt, und was
sie tun können, um nicht mit den neuen gesetzlichen Bestimmungen in Konflikt zu geraten.
Der eigentliche Ärger rund um den Mindestlohn
bezieht sich deshalb nicht auf seine Höhe, sondern gilt den ausufernden Kontroll- und Haftungsrisiken, die Auftraggeber in einer mehrgliedrigen
Auftragskette zu tragen haben. Es wurde klar
versäumt, mit den betroffenen Branchen eine
praxisgerechte Lösung zu entwickeln, die die Einwirkungsmöglichkeiten der Betroffenen in ihrer
Eigenschaft als Auftraggeber adäquat abbildet.
So hat das Transportlogistikgewerbe in der Praxis unterschiedliche Sendungsgrößen über mehrere Beförderungsstufen und darin erfolgende
Umgruppierungs- und Konsolidierungsschritte zu
organisieren. Die Abwicklung dazugehörender
Haupt-, Vor- und Nachläufe sowie Umschlagsvorgänge erfolgt sowohl mit eigenen Fahrzeugen
als auch mit Subunternehmern in komplexen
Auftragsketten. Im Tagesgeschäft ist dafür größte
Flexibilität in der Disposition der verfügbaren
Transportkapazitäten und den Beförderungsaufträgen unabdingbar. Je nach Auftragsgröße, die
vom Paket bis hin zur Ganzladung reicht, ergibt
sich tagtäglich ein millionenfaches Massengeschäft, das in das Gefüge des Mindestlohns
„eingepasst“ werden muss. Die Anforderungen
des Gesetzgebers in Bezug auf eine ausufernde
Bürgenhaftung in Verbund mit dem angedrohten
Bußgeldrahmen werden der Komplexität dieser
Leistungsbeziehungen nicht gerecht und schaffen
unangemessene bürokratische Hürden.
Die Kritik des Gewerbes am fehlenden Praxisbezug richtet sich dabei keineswegs nur gegen die
Fachministerien, die für die Formulierung praktisch
nicht durchführbarer Anwendungs- und hoher
Bußgeldvorschriften in großer Verantwortung
stehen. Auch der Gesetzgeber selbst muss sich
Kritik gefallen lassen. So wird den Volksvertretern
vorgehalten, sie lebten weit weg von der Wirklichkeit. Tatsache ist, dass dem Parlament nur wenige
Tage zur Prüfung nach der Anhörung eines hand-
25
verlesenen Kreises „bestellter Experten“ blieb,
um das Gesetz mit minimalen Veränderungen zu
verabschieden. Ungewöhnlich erscheint auch die
Rolle der Bundesländer bei der „Durchwinkaktion“
des Gesetzes. Sie verzichteten auf die ihnen zustehenden Beratungsfristen und gaben das Gesetz
innerhalb einer Woche zur Anwendung frei.
BGL sieht „Reparaturbedarf“
und Chancen
Angesichts der mit der Mautentwicklung zu beobachtenden Dumpingpraktiken in den Verkehrsmärkten hat der BGL trotz aller handwerklichen Mängel
im Gesetzgebungsverfahren die Chancen der Mindestlohnregelung in Deutschland von Anfang an
unterstrichen. (Vgl. Abschnitt, „Unfaire Geschäftsmodelle fördern Sozialdumping“, S. 14 ff) Fundamentalkritik an der Einführung eines Mindestlohns,
den viele europäische Länder längst kennen, war
deshalb nicht angebracht. Vielmehr geht es in der
gewerbepolitischen Bewertung darum, die Chancen, die das Mindestlohngesetz bietet, gegen den
funktionslosen Wettbewerb mit Dumpingpersonal
auf deutschen Straßen zu nutzen. Gut 40 Prozent des mautpflichtigen Straßengüterverkehrs in
Deutschland werden von Gebietsfremden erbracht,
und es ist die feste Überzeugung der BGL-Gremien, dass die Umflaggung von Fuhrparks, die von
deutschen Standorten aus operieren und disponiert
werden, zu beenden ist. Eine nähere Betrachtung
der Einsatzmuster dürfte in vielen Fällen bereits zu
der Erkenntnis führen, dass das dort eingesetzte
Fahrpersonal die 183-Tage-Regelung des Sozialund Steuerrechts nicht erfüllt. Vielfach ist das auf
umgeflaggten Fahrzeugen eingesetzte Personal
in Deutschland steuer- und sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Diese bisher nicht kontrollierte
Einsatzpraxis kann durch die Dokumentationspflichten im Rahmen der Mindestlohnvorschriften
aufgedeckt werden. Bei entsprechender Ausgestaltung der Kontroll- und Aufzeichnungspflichten
hätte dies Auswirkungen auf bestimmte Geschäftsmodelle, die gebietsfremdes Personal und Fuhrparks in Deutschland zu niedrigeren Lohn- und
Arbeitskosten der Heimatländer stationieren. Der
Mindestlohn könnte so gesehen ein Stück Chancengleichheit für Transportlogistikunternehmen mit
Standort Deutschland gegenüber gebietsfremden
Transporteuren schaffen.
26
Konstruktiver Dialog angestoßen
Da die Anwendung des Mindestlohngesetzes
wegen der fehlenden Ausrichtung auf branchenspezifische Besonderheiten viele Fragen offen
ließ, hat sich der BGL in einem konstruktiven Dialog zunächst mit einem Katalog offener Probleme
an das Arbeitsministerium und das Parlament
gewandt. Unbestreitbar gelingt die Einführung
des Mindestlohns im Transportlogistiksektor nur
dann wirkungsvoll, wenn dieser auf den grenzüberschreitenden Verkehr sowie Kabotagetransporte und freigestellte innerdeutsche Verkehre
Anwendung findet. Hierzu bedarf es eines
unbürokratischen Kontroll- und Meldeverfahrens
für alle gebietsfremden Transporteure.
Von Beginn der Diskussion an hat der BGL in
Schreiben an die Bundesregierung und Stellungnahmen gegenüber dem Parlament seine
Haltung unterstrichen, dass der Mindestlohn
für alle gebietsfremden Arbeitnehmer auch im
grenzüberschreitenden Verkehr Geltung haben
muss, wenn es nicht zu weitaus gravierenderen
Wettbewerbsverzerrungen kommen soll als
bisher. Die Einbeziehung von Transitverkehren
wurde durch den BGL allerdings hinterfragt, weil
bei diesen Verkehren sowohl der Auftraggeber
als auch der Empfänger nicht in Deutschland
ansässig ist. Eine Klage von betroffenen Fahrern
auf Zahlung des deutschen Mindestlohns müsste
mangels eines deutschen Anspruchgegners mit
großer Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben.
Schließlich ist nicht zu erwarten, dass deutsche Arbeitsgerichte mit erfolgversprechendem
Vollstreckungstitel im Ausland ansässige Auftraggeber und Warenempfänger zur Zahlung des
Mindestlohns veranlassen könnten.
Melde- und Kontrollverfahren
verbessern
Das Bekenntnis des BGL zur Anwendung des
Mindestlohns im grenzüberschreitenden Verkehr
erfolgte jedoch nicht vorbehaltlos, sondern
setzt auf die Erledigung offen gebliebenen Regelungsbedarfs. Hierzu zählen vor allem Meldeund Kontrollverfahren zur Durchsetzung des Mindestlohns gegenüber gebietsfremden Transportunternehmen. Derzeit haben gebietsfremde Trans-
porteure nur halbjährlich einen Einsatzplan per
Telefax dem deutschen Zoll zu übermitteln. Da eine
Korrektur des Einsatzplans während der Laufzeit
nicht vorgeschrieben ist, reicht es aus, ein einziges
Fahrzeug und einen Fahrer für grenzüberschreitende Transporte in Deutschland anzumelden, um der
gesetzlichen Meldepflicht Genüge zu tun.
Der BGL hat diese unzureichende Praxis kritisiert
und angeregt, ein zeitgemäßes Online-Meldeverfahren einzurichten, über das alle gebietsfremden Transportunternehmen ihre jeweiligen
Transporte mit Kfz-Kennzeichen und dem eingesetzten Personal anmelden. Der bürokratische
Aufwand hierfür ist den Betroffenen zuzumuten
und ermöglicht es der Finanzkontrolle, durchgängig festzustellen, welche Fahrer überwiegend in
Verkehren von und nach Deutschland sowie im
innerdeutschen Verkehr eingesetzt werden und
nicht nur dem Mindestlohn, sondern gegebenenfalls der Lohnsteuer- und auch der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Durch wirksame
Unterwegskontrollen, die beispielsweise auch
vom BAG unterstützt werden könnten, ist der
Meldepflicht Nachdruck zu verleihen. Der dafür
vorgesehene Bußgeldrahmen ist hinreichend und
könnte bei groben Verstößen um die Androhung
von Fahrzeugstilllegungen verschärft werden.
Allerdings droht eine „Durchlöcherung“ der
geregelten Meldepflicht durch die Absenkung
der Monatsverdienstschwelle, die den Dokumentations- und Meldepflichten zugrunde liegt. (Vgl.
Abschnitt, „Schwellenwert für Aufzeichnungspflichten“, S. 29) Der BGL hat die damit verbundenen Kontrolllücken gegenüber gebietsfremden
Transporteuren dargestellt und eine Regelung verlangt, die Kontrollen nicht ins Leere laufen lässt.
Bürgenhaftung rechtssicher und
praxisgerecht gestalten
Ein weiterer Schwerpunkt der BGL-Forderungen
gegenüber den zuständigen Ministerien und dem
Gesetzgeber ist die Klarstellung zur Bürgenhaftung. Bisher ist nicht ersichtlich, wie ein Auftraggeber seiner Kontrollpflicht bei Nachunternehmern
(Subunternehmen) rechtssicher nachkommen könnte, um Haftungs- und Bußgeld­regelungen auszuschließen. Der Gesetzgeber mutet hingegen dem
Auftraggeber Kontrollpflichten zu, ohne diesem
Kontrollinstrumente an die Hand geben zu können,
die eine adäquate praktische Handhabung ermöglichen. Auftraggeber und Subunternehmen unterliegen aus gutem Grund Datenschutzbestimmungen
auch bei Mindestlohnvorschriften. Grundsätzlich
ist einem Subunternehmen aus Kundenschutzgründen nicht zuzumuten, gegenüber Auftraggebern
die gesamten Einsatzdaten und damit verbundene Kundenbeziehungen offenzulegen. Die von
zahlreichen größeren Konzernspeditionen von
Subunternehmen eingeforderten Nachweise zur
Zahlung des Mindestlohns gehen nach Ansicht des
BGL in diesem Zusammenhang zu weit. Sie sind
mit Datenschutzbestimmungen nicht vereinbar.
Klärungsbedarf besteht weiterhin, ob der Urverlader (z. B. Produzent, Versender) der Bürgenhaftung
des Mindestlohngesetzes unterliegt. Widersprüchlichkeiten im Gesetzgebungsverfahren selbst und
daraus abzuleitende Konsequenzen höchstrichterlicher Entscheidungen schaffen derzeit einen
rechtsfreien Raum, der vorzugsweise durch den
Gesetzgeber geschlossen werden sollte. Werden
daran anknüpfende Rechtsfragen allein den Gerichten überlassen, dürfte jahrelange Rechtsunsicherheit sowohl bei den Auftragnehmern als auch
bei den vom Gesetz begünstigten Arbeitnehmern
fortbestehen.
Wesentliche Einwände des BGL bezogen sich
letztendlich auf die Aufzeichnungspflichten,
die für alle Arbeitnehmer gelten, die weniger
als 2 958 Euro im Monat verdienen. Angesichts
der Höhe des Mindestlohns und der maximal
nach EU-Sozialvorschriften möglichen Arbeitszeiten kann der Mindestlohn eine Schwelle von
2 210 Euro nicht überschreiten. Dieser Einsicht
hat der Verordnungsgeber nicht zuletzt durch
das zwischenzeitlich von der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren Rechnung
getragen und den Schwellenwert auf 2 000 Euro
herabgesetzt (s. S. 30).
27
Bußgeldregelung transparenter
machen
Kritisch sieht der BGL in seiner Stellungnahme
außerdem die Überwälzung von Bußgeldern
durch zivilrechtliche Vereinbarungen von Auftraggebern auf Subunternehmer und Vertragspartner. Diesbezügliche Regelungen dürften
sittenwidrig und damit nichtig sein. In diesem
Punkt wurden der Gesetzgeber und auch das
Ministerium gebeten, für Klarheit zu sorgen.
Familienangehörige von Mindestlohnaufzeichnungen auszunehmen
Weiteren Korrekturbedarf hatte der BGL gegenüber der Arbeits- und Sozialministerin angemahnt, wenn Familienangehörige ersten Grades
im Unternehmen beschäftigt werden. Diese
sollten nach Ansicht des BGL von den Dokumentationspflichten des Mindestlohngesetzes ausgenommen werden. Auch diesem Vorschlag ist der
Verordnungsgeber gefolgt (s. S. 31).
Positiv im Sinne des deutschen Transportlogistikgewerbes ist bislang die Detailfrage geklärt, ob
Tachografenaufzeichnungen zur Dokumentation
der Arbeitszeiten ausreichen. Dies wurde klar
bejaht, wobei die Problematik der Bereitschaftszeiten einen besonderen Schwerpunkt bildet.
EU-Kommission leitet Vertragsverletzungs­verfahren ein
Handlungsbedarf
Das von der EU eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren und die heftige Resonanz der
Wirtschaft auf das Mindestlohngesetz lösten
Dialogbereitschaft und Problemlösungsbewusstsein in den betroffenen Bundesministerien aus.
Branchenbezogene Hearings im Arbeitsministerium unter Leitung des beamteten Staatssekretärs
sorgten dafür, dass die Probleme der Praxis
Gehör fanden. So hat auch das EU-Vertragsverletzungsverfahren zum Teil Fragen aufgeworfen,
die vom BGL bereits kritisch gestellt wurden.
28
Anwendung des Entsendegesetzes bestätigt
Das von der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wurde anfangs in der
Praxis missdeutet, die EU-Kommission könnte
die Anwendung des Mindestlohns im grenzüberschreitenden Verkehr untersagen. Tatsache
ist, dass die EU-Kommission die Einführung des
Mindestlohns in Deutschland unterstützt, aber
seine Anwendung auf „bestimmte grenzüberschreitende Beförderungsleistungen“ für nicht
angemessen hält. Im Kern geht es bei dem
Anliegen der EU-Kommission darum, bei der
Behandlung grenzüberschreitender Beförderungsleistungen unverhältnismäßige Verwaltungsbürokratie erst gar nicht entstehen zu lassen.
Dazu ist eine Abwägung der unterschiedlichen
Interessen und Rechtsgüter vorzunehmen. Nach
den Darlegungen der EU-Kommission stehen
Arbeitnehmerrechte gleichrangig neben der
Freiheit des Warenverkehrs und der Dienstleistungsfreiheit. Zur Abwägung der Rechtsgüter
ist die EU-Kommission der Auffassung, dass die
Anwendung des Mindestlohns auf „bestimmte
grenzüberschreitende Beförderungsleistungen“
den vertraglichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland entgegensteht.
Transitverkehre
Zu diesen Verkehren gehören ohne Einschränkung
Transitverkehre, weil die Kriterien der Entsenderichtlinie nicht erfüllt sind und keine Dienstleistungen auf deutschem Hoheitsgebiet erbracht
werden. Die EU-Kommission bestätigt damit einen
vom BGL von Anfang an eingebrachten Vorbehalt.
„Bestimmte grenzüberschreitende
Beförderungsleistungen“
Darüber hinaus grenzt die EU-Kommission
„bestimmte grenzüberschreitende Beförderungsleistungen“ von der Anwendung des Mindestlohns aus, sofern weniger als zehn Prozent der
Leistungen eines Fahrzeugumlaufs im grenzüberschreitenden Verkehr in Deutschland erbracht
werden. Offenbar erkennt die EU-Kommission in
diesem Schwellenwert eine angemessene Abwä-
gung der Arbeitnehmerinteressen auf Zahlung
des Mindestlohns einerseits und der Sicherstellung der Freiheit des Warenverkehrs sowie der
Dienstleistungsfreiheit andererseits.
Die EU-Kommission stellte allerdings in Pressekommentaren klar, dass diese Grenze als „Versuchsballon“ einzuschätzen sei. Letztendlich ist
nicht absehbar, ob der Europäische Gerichtshof
(EuGH) dieser Abwägung folgt. Er allein hat über
die Auslegung der Verträge und die dazu niedergelegte Rechtsetzung zu befinden. So ist keineswegs sicher, ob die Zehn-Prozent-Grenze durch
den EuGH in ihrer absoluten Höhe bestätigt würde.
Denkbar ist, dass bei einer Klage vor dem EuGH
höhere oder niedrigere Schwellenwerte bis hin zu
ganz anderen Kriterien einer Abwägungsentscheidung des Gerichts zugrunde gelegt werden.
Schwellenwert für Aufzeichnungspflichten
Einen weiteren Vertragsverstoß sah die EUKommission in dem vom deutschen Gesetzgeber
zunächst festgesetzten Schwellenwert in Höhe
von 2 958 Euro Monatsverdienst, der von Meldeund Dokumentationspflichten befreit. Wie der
BGL von Anfang an unter Berücksichtigung der
Schicht- und Arbeitszeiten im Straßentransport
argumentiert hatte, sind derartige Spitzenwerte
nicht erreichbar und so gesehen einer „Überbürokratisierung“ geschuldet. Die jetzt umgesetzte
Absenkung der Schwellenwerte bedarf in Bezug
auf gebietsfremde Transportunternehmen einer
Ergänzung, um Kontrollen nicht ins Leere laufen
zu lassen und Missbrauch zu verhindern.
Bußgeldhöhe
In der Kritik des Vertragsverletzungsverfahrens
steht seitens der EU-Kommission als weiteres die
Bußgeldhöhe. Diese sei unverhältnismäßig im
Vergleich zu anderen, ebenfalls im Straßenverkehr mit Bußgeld bewehrten Tatbeständen. Zum
Vergleich zieht die EU-Kommission den Bußgeldrahmen für die Überschreitung der sechstägigen
und vierzehntägigen Höchstlenkzeit um 25 Prozent oder mehr heran. Von derartigen Verstößen
gingen unmittelbar erhebliche Gefährdungen
für die Gesundheit und Sicherheit der Fahrer
aus. Die Bußgeldhöhe beziffere sich jedoch in
Deutschland auf lediglich 15 000 Euro. Eine
Bußgeldhöhe von 30 000 Euro für die Nichteinhaltung der Meldepflicht und 500 000 Euro für
die Nichtzahlung des Mindestlohns erachtet die
EU-Kommission daher als unverhältnismäßig.
Keine unüberwindbaren Hürden
Die EU-Kommission hat mit ihrer Kritik am deutschen Mindestlohngesetz keine unüberwindlichen
Hürden für eine EU-konforme Regelung geschaffen. Der Bundesregierung wurde eine Frist von
zwei Monaten gesetzt, auf die vorgetragenen
Kritikpunkte zu erwidern und gegebenenfalls
Korrekturen des Gesetzes oder der Verordnungen
einzuleiten. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieses Jahresberichts war noch nicht bekannt,
welche konkreten Änderungsvorschläge umgesetzt werden können, um gegebenenfalls das
Mindestlohngesetz vertragskonform zu machen,
damit ein Gang vor den EuGH unterbleibt.
Arbeitsministerium nimmt
Kritikpunkte ernst
Bestandsaufnahme
Nicht zuletzt aufgrund des Vertragsverletzungsverfahrens und der zahlreichen Interventionen
der Wirtschaft legte das Arbeitsministerium im
Juli eine Bestandsaufnahme zu den Mindestlohnvorschriften vor. Darin werden Änderungen
der Verwaltungspraxis und gegebenenfalls der
einschlägigen Verordnungen angekündigt. Eine
Gesetzesänderung, die allein grundsätzlich
die Bürgenhaftungskette und Bußgeldvorschriften hätte ändern können, wird allerdings nicht
erwogen. Dennoch stellt das Arbeitsministerium
gewisse Erleichterungen bei der Anwendung der
Bußgeldvorschriften über einen „eingeschränkten
Unternehmerbegriff“ in Aussicht. Demnach soll
die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit des
Urverladers (Produzent/Händler/Verkäufer) für
ganz bestimmte, aus Sicht des BGL konstruierte
Fälle, „eingeschränkt“ werden. Die Transportkettenhaftung für Spediteure und Transportlogistikunternehmen dürfte davon nicht berührt sein.
29
BGL-Position
Aufzeichnungspflichten
Der BGL hat stets in diesem Zusammenhang die
Forderung gegenüber Politik und Administration
vertreten, dass bußgeldrechtliche Verantwortlichkeiten des Auftraggebers auf den jeweils unmittelbaren Vertragspartner beschränkt werden
sollten, weil nur auf diesen direkt eingewirkt
werden kann. Der Fahrlässigkeitsvorwurf für die
Verhängung von Bußgeldern ist nach Meinung
des BGL auf diejenigen Fälle zu beschränken,
in denen nicht ausgeschlossen wurde, dass
der beauftragte Subunternehmer nicht selbst
tätig wird und sich weiterer Subunternehmen
bedienen darf, ohne dass diese durch geeignete Maßnahmen zur Einhaltung der Mindestlohnbedingungen verpflichtet werden. Nach
Auffassung des BGL sind alle weitergehenden
Kontrollpflichten aufgrund der begrenzten
Kontrollbefugnisse zwischen Auftraggebern und
Auftragnehmern im Logistiksektor überzogen
und mit Daten- und Kundenschutzaspekten nicht
zu vereinbaren.
Der Bestandsaufnahme des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales (BMAS) war weiterhin
zu entnehmen, dass die Einkommensschwelle für
den Entfall der Dokumentationspflichten zur Arbeitszeit von 2 958 Euro auf 2 000 Euro gesenkt
werden sollte, sofern das hieraus errechnete Nettoentgelt für 12 Monate regelmäßig ausgezahlt
wurde. Damit kommt das BMAS einer Forderung
des BGL und der Wirtschaft nach. Motiviert dürfte diese geänderte Haltung des BMAS allerdings
durch das Vertragsverletzungsverfahren der EUKommission sein. In Bezug auf damit entfallende
Meldepflichten sieht der BGL Handlungsbedarf
des Verordnungsgebers. Ohne entsprechende
Meldepflichten sind Verstöße gegen das Steuerund Sozialversicherungsrecht kaum feststellbar.
Es besteht nach wie vor die Erwartung, dass
der Verordnungsgeber eine klare Handlungsanweisung gibt, was getan werden muss, um
nicht in die „Bußgeldfalle“ einer ausufernden
Ordnungswidrigkeitenkette in der Transport­
abwicklung zu laufen.
Versicherungslösung
Soweit es die zivilrechtliche Bürgenhaftung
betrifft, hat der BGL gemeinsam mit der
KRAVAG eine Versicherungslösung entwickelt,
die den betroffenen Unternehmen Rechtschutz
und Kalkulationssicherheit bei zivilrechtlichen
Mindestlohnansprüchen durch betriebsfremdes
Personal gewährt. Da Mindestlohnansprüche
erst nach drei Jahren verjähren, könnten trotz
der vom BGL empfohlenen Vereinbarung zur
Durchsetzung des Mindestlohns bei Auftragnehmern erhebliche Nettolohnansprüche von
Drittpersonal geltend gemacht werden. Mittelständische Unternehmen könnten bei hohen
Bürgenhaftungssummen ohne adäquaten
Versicherungsschutz in ihrer wirtschaftlichen
Existenz gefährdet sein.
30
Familienangehörige sollen von Aufzeichnungspflichten ausgenommen werden
Ebenfalls erfolgreich war der BGL mit seiner
Forderung, mitarbeitende Familienangehörige
von der Aufzeichnungspflicht auszunehmen.
Von der angekündigten Regelung betroffen sind
Ehegatten, Lebenspartner, Kinder und Eltern
des Arbeitgebers.
Kontrollkompetenzen
Ebenfalls neu ist die Haltung des BMAS, dass
Aufzeichnungen von Überstunden nach dem
Arbeitszeitgesetz nicht mehr durch den Zoll (Finanzkontrolle Schwarzarbeit) kontrolliert werden
sollen. Die bislang zuständigen Arbeitsschutzbehörden werden diese Aufgabe weiterhin erfüllen.
Grenzüberschreitende Verkehre bleiben
„Baustelle“
Soweit Fragen des grenzüberschreitenden
Verkehrs aus dem Vertragsverletzungsverfahren
der EU-Kommission betroffen sind, hielt sich das
Arbeitsministerium bis zum Redaktionsschluss
bedeckt. Lediglich Transitverkehre bleiben von
der Kontrolle und Ahndung der Mindestlohnvor-
schriften weiterhin ausgesetzt. Im Umkehrschluss
folgt allerdings daraus, dass grenzüberschreitende und innerdeutsche Transporte durch Gebietsfremde mindestlohnpflichtig sind und bleiben
und auch den entsprechenden Kontroll- und
Ahndungsmaßnahmen ausgesetzt sind. Einen
„Risikofaktor“ stellen abgesenkte Schwellenwerte
für Dokumentations- und Meldepflichten dar,
die geänderte spezifische Kontrollmöglichkeiten
voraussetzen, um Missbrauch auszuschließen.
Überzogene Aufzeichnungs­
pflichten zur Fahrpersonalverordnung erschaffen weiteres
Bürokratiemonster
Ländervorstoß
Während das Transportlogistikgewerbe noch
mit den Folgen und den Kontroll- und Aufzeichnungspflichten des Mindestlohngesetzes intensiv
beschäftigt war, holte die Verwaltung zu einem
weiteren „Schlag“ aus. Dafür genügte eine „einfache“ Änderung der Fahrpersonalverordnung,
zu der nur die Zustimmung der Länder und nicht
des Parlaments erforderlich war. Der Bundesrat
verabschiedete auf Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen eine verschärfte Fahrpersonalverordnung und ließ Bundesminister Dobrindt kaum
eine Wahl, seine Unterschrift unter das Bürokratiemonster zu verweigern.
Nach der neuen Bestimmung muss sich jeder
Auftraggeber vor Vertragsabschluss und während der Vertragslaufzeit vergewissern und
darauf hinwirken, dass das beauftragte Verkehrsunternehmen die EU-weit vorgegebenen
Lenk- und Ruhezeiten einhält. Diese Regelung,
die, ähnlich wie die Mindestlohnbestimmungen,
in der Praxis ohne Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen nicht einzuhalten ist, kann seriös
im Transportlogistikgewerbe nicht umgesetzt
werden. Dennoch drohen hohe Bußgelder für
Auftraggeber, wenn sie gegen diese veränderten
Verordnungsbestimmungen verstoßen. Nach der
monströsen Haftungskette im Mindestlohngesetz
wird das Verkehrsgewerbe ein weiteres Mal mit
einer neuen unlösbaren Aufgabe verpflichtend
konfrontiert.
Dilemma
Sofern der für die Verordnung zuständige
Bundesminister für Verkehr seine Unterschrift
verweigert hätte, wäre die Bußgeld-Grundlage
für Verstöße gegen Lenk- und Ruhezeiten außer
Kraft gesetzt worden. Dieses „Risiko“ wurde
jedoch im politischen Umfeld für nicht vertretbar
erachtet. So erhielt die neue Verordnung die
Unterschrift des Verkehrsministers, der jedoch
anordnete, mit den Ländern gemeinsam in einen
Erfahrungsaustausch zu treten. Hiermit ist der
Prüfungsauftrag verbunden, welche Änderungen
sich für die Kontrollpraxis ergeben. Danach soll
entschieden werden, ob erneuter Anpassungsbedarf für die Fahrpersonalverordnung besteht.
Unabhängig von diesem politischen Signal hält
der BGL an seiner Auffassung fest, dass die neu
gefasste Verordnung nicht von der Gesetzeslage
gedeckt sein könnte und die Gerichte möglicherweise ihre Nichtigkeit feststellen. Der BGL sieht
jedenfalls den vom Gesetzgeber eingeräumten
Regelungsrahmen deutlich durch den Verordnungsgeber überschritten. Kein Auftraggeber
verfügt nur annähernd über die Kompetenzen
einer Kontrollbehörde, um den neuen Verpflichtungen des Verordnungsgebers nachzukommen.
Der BGL erwartet, dass das neu erschaffene
Bürokratiemonster eine weitere Welle von
Freizeichnungserklärungen der Auftraggeber
auslösen wird. Diese können in ihrer rechtlichen
Substanz und Reichweite allerdings nur eine
fragwürdige Sicherheit gegen behördliche Sanktionen schaffen.
31
Europäische Verkehrspolitik
im Zugzwang
Politische Brennpunkte
Die europäische Verkehrspolitik ist nach der
Europawahl und der Neubesetzung der EU-Kommission „in die Gänge“ gekommen. Allerdings
ist das neue „Road Package“ seitens der EUKommission erst für das Jahr 2016 angekündigt
worden. Dabei steht die europäische Verkehrspolitik durch die Entwicklung auf den Verkehrsmärkten vor schwerwiegenden Problemen und
Handlungsbedarf. So ist das vielfach in Europa
kritisierte „Sozialdumping“ nicht nur in Deutschland auf dem Vormarsch. (Vgl. Abschnitt, „BGLVorschläge zur Neuregelung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit“, S. 36 ff) Stark
betroffen sind Länder wie Frankreich, Belgien
und die Niederlande, in denen „umgeflaggte“
Flotten aus den EU-Beitrittsländern mit niedrigen
Lohn- und Sozialstandards und sozial unverträglichen Arbeitsbedingungen für das eingesetzte
Fahrpersonal in den Märkten auftreten.
Als erstes Land reagierte Belgien durch eine
veränderte Kontrollpraxis und ahndet „inflagranti“
gestellte Fahrer, die ihre reguläre Wochenruhezeit
im Fahrerhaus verbracht haben. Nach Auffassung
der belgischen Kontrollbehörden ist das Verbringen der regulären wöchentlichen Ruhezeiten im
Fahrerhaus nicht gestattet und wird mit Bußgeldern in dreistelliger Größenordnung geahndet.
Auch Frankreich hat mittlerweile ein Gesetz erlassen, das die Verbringung von regulären Wochenruhezeiten im Fahrerhaus unter Strafe stellt. Fahrer
und Unternehmer werden mit hohen Geld- und
sogar Gefängnisstrafen bedroht. Unternehmer
können mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem
Jahr belegt werden, wenn sie ihren Fahrern das
Verbringen der regulären Wochenruhezeit im
Fahrerhaus gestatten.
Bedingt durch die belgische und französische
Kontrollpraxis stellen deutsche Ordnungsbehörden eine Überbelegung von Parkplätzen im
32
grenznahen Raum nach Belgien und Frankreich
an den Wochenenden fest. Dieser Umstand
veranlasste den Bundesverkehrsminister, von der
EU-Kommission eine Auslegung einschlägiger
Bestimmungen zur Wochenruhezeit zu erbitten.
Falls bis Mitte des Jahres keine entsprechende
Aktivität auf europäischer Ebene verzeichnet
werden könne, werde eine nationale Regelung
eingeführt, um die Überbelegung von grenznahen Parkplätzen in Deutschland durch unterschiedliche Rechtspraktiken auszuschließen.
Da die EU-Kommission zwischenzeitlich das
Thema Sozialdumping und die Lenk- und Ruhezeitenregelungen im Road-Package 2016 anzugehen gedenkt, dürfte ein nationaler Alleingang
in dieser Frage nach belgischem oder französischem Vorbild entbehrlich werden. Dennoch
bleibt das Thema Sozialdumping auf der Agenda dringlicher Problemfelder, die keinen allzu
langen Aufschub mehr zulassen. Die deutsche
Mindestlohngesetzgebung und ihre Anwendung
auf grenzüberschreitende Verkehre gebietsfremder Transportunternehmen gehört ebenfalls zu
den sozialpolitischen Themenfeldern, die die
EU-Kommission in ihrem Road-Package einer
europaweiten Lösung zuzuführen hat.
Weißbuch Zwischenbilanz
Bevor die EU-Kommission ihr Road-Package
vorlegt, steht eine Bestandsaufnahme zur Umsetzung des Weißbuchs Verkehr aus dem Jahr
2011 an. Sowohl das Europäische Parlament
als auch die betroffenen Wirtschaftkreise werden
hierzu von der EU-Kommission gehört. Zu den
Zielen des Weißbuchs 2011 gehören
• d
ie Reduktion von Treibhausgasen um 80 Prozent bis 2050 gegenüber dem Referenzjahr
1990. Der transportbezogene CO²-Ausstoß
soll um 60 Prozent sinken;
• e
ine drastische Reduzierung der Ölabhängigkeit über eine Dekarbonisierung des Verkehrs;
• eine Verringerung der Staubildung.
Dafür wurden die zehn folgenden Einzelziele
formuliert.
1.Halbierung der mit konventionellen Kraftstoffen angetriebenen Fahrzeuge im städtischen Verkehr bis 2030, um diese bis 2050
gänzlich aus den Städten zu verdrängen. Die
CO²-freie Citylogistik in Ballungszentren soll
bis 2030 erreicht werden.
2.Einführung kohlenstoffarmer Kraftstoffe für die
Luftfahrt bis 2050 und Reduktion der CO²Emission von Seeverkehren um 40 Prozent.
3.Verlagerung von 30 Prozent des Straßenverkehrs über 300 Kilometer auf die Schiene
und Wasserstraße bis 2030, von 50 Prozent
bis 2050.
4.Verdreifachung des Hochgeschwindigkeitsschienennetzes bis 2030.
5.Komplettierung der Transeuropäischen Kernnetze bis 2030.
6.Schaffung multimodaler Verbindungen zwischen allen europäischen Kernnetzwerken,
Schienenwegen, Flughäfen, Binnenwasserstraßen und Seehäfen.
7.Einführung von Traffic-Managementsystemen
für alle Verkehrsträger.
8.Entwicklung eines Rahmens für ein Transportinformations- und -managementsystem im
multimodalen Verkehr, einschließlich eines
Bezahlungssystems bis 2020.
9.Halbierung der Unfallopferzahlen bis 2020.
Die „Zero-Vision“ ist bis 2050 umzusetzen,
um Europa in der Welt führend in der Verkehrssicherheit zu machen.
10.Umsetzung des „Nutzerprinzips“ und „der
Verschmutzer zahlt“, um Einnahmen für die
Finanzierung der Infrastruktur und Umsetzung von Zukunftsinvestitionen zu schaffen.
Die Halbzeitbilanz zu den einzelnen Punkten, vor
allem hochgesteckte Verlagerungs- und Dekabonisierungsziele, ist eher ernüchternd. Eine Bestandsaufnahme des Europaparlaments bekräftigte
jedoch diese Zielsetzungen und fügte weitere
ehrgeizige Pläne hinzu. Dies gilt speziell für den
Straßenverkehr, der mit alternativen Kraftstoffen, einer Erhöhung der Zahl sicherer Stellplätze, mit verbesserter Arbeitsqualität sowie mehr Interoperabilität von Mautmanagementsystemen „fit gemacht“
werden soll. Darüber hinaus erwartet das Europaparlament einen Legislativvorschlag zur Festlegung
verbindlicher maximaler CO²-Emissionen neu
zugelassener schwerer Nutzfahrzeuge.
Die Brisanz des Sozialdumpings soll nach Auffassung des Europaparlaments in einem sozialen Kodex für Arbeitnehmer im positiven Sinne
verändert werden. Für den einheitlichen europäischen Verkehrsraum ergeht hierzu eine diesbezügliche Aufforderung an die EU-Kommission:
„Die Kommission sollte sich bei allen Verkehrsträgern mit dem Thema Arbeitsqualität befassen,
insbesondere bezüglich Ausbildung, Bescheinigungen, Arbeitsbedingungen, Aufstiegsmöglichkeiten, um so hochwertige Arbeitsplätze
zu schaffen, die notwendigen Fähigkeiten zu
schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit der Verkehrsunternehmen in der EU zu stärken.“
Zum Abbau der vom Europaparlament als „ungleichgewichtig“ eingestuften Verkehrsträgerentwicklung sollen „Versäumnisse“ bei der Nutzung
des vollen Potenzials des Schienenverkehrs, des
Kurzstreckenseeverkehrs und der Binnenwasserstraße beseitigt werden. Der ungebrochene
Erfolg des Straßen- und Luftverkehrs führe zu
immer größeren Verkehrsbelastungen.
Offensichtlich besteht die seit Jahrzehnten
gepflegte verkehrspolitische Lebenslüge fort,
ein Großteil des Straßengüterverkehrs könne
auf alternative Verkehrsträger verlagert werden.
Dabei ist unter Verkehrsexperten kein Zweifel
daran gelassen worden, dass der Schienenverkehr schon bei Wahrnehmung seiner natürlichen
Wachstumsfelder an Kapazitätsgrenzen stößt.
33
Ein nachhaltiges Verlagerungspotenzial des
Straßenverkehrs auf die Schiene ist keiner der
unabhängigen und seriösen Verkehrsprognosen
zu entnehmen. Im Übrigen setzen die Weißbuchziele zur Verlagerung des Verkehrs einen
massiven Schienenausbau voraus, der weder im
nationalen noch im europäischen Rahmen auch
nur annähernd eine Finanzierungsgrundlage hat.
Angesichts der Sparprogramme der EU-Staaten
und der Fortdauer der Wirtschaftskrise in vielen
EU-Ländern fehlt es vielfach am Nötigsten, um
die vorhandene Infrastruktur zu erhalten.
Erste Eckpunkte des
Road-Package 2016
Marktzugang, finanzielle und
soziale Aspekte im Fokus
Während das Weißbuch für Verkehr als Zielhorizont das Jahr 2050 hat, ist das Road-Package
2016 auf kurzfristige politische Zeithorizonte
ausgerichtet. Nach den ersten Entwürfen, die
aus der EU-Kommission bekannt geworden sind,
sollen im Wesentlichen finanzielle und soziale
Aspekte sowie neue Marktzugangsbedingungen
aufgegriffen werden.
Finanzielle Aspekte
Die EU-Kommission plant demzufolge beim
Lkw die Abschaffung zeitbezogener Vignetten
in Mautsystemen. Diese sollen zukünftig nur
noch auf kilometerabhängige Gebühren abgestellt werden. Erklärtes Ziel ist der Einschluss
aller Nutzfahrzeuge sowie eine umfassendere
Anlastung externer Kosten. Damit verfolgt die
EU-Kommission die gleiche Forderung, wie sie
im Beschlussantrag der Regierungskoalition im
Deutschen Bundestag aufgestellt wurde. (Vgl.
Abschnitt, „Anlastung externer Kosten“, S. 19 ff)
Zusätzlich soll das Verbot einer Diskriminierung
bei Pkw-Gebühren aufgenommen werden. Im
Sinne einer Zwei-Prozent-Regelung darf die günstigste Pkw-Vignette nicht mehr als zwei Prozent
einer Jahresvignette kosten. Additiv fordert die
EU-Kommission mehr Berechnungstransparenz
bei Mautsystemen ein und ebnet den Weg für
eine „Stau-Lenkungsabgabe“. Die EU-Kommission
34
hat dieses Mal die Stauabgabe als eigenständige Abgabenkategorie „entdeckt“ und von der
Anlastung externer Kosten abgegrenzt. Offenbar
ist nun auch der EU-Bürokratie deutlich geworden,
dass Stau-Lenkungsabgaben keine Anlastung von
externen Kosten darstellen, weil Staukosten durch
die Systemnutzer bereits internalisiert sind. Den
Gebührenpflichtigen trifft diese Unterscheidung in
der Geldbörse jedoch in gleichem Umfang.
Positiv an den finanziellen Zielvorgaben der
EU-Kommission ist die Zweckbindung erhobener
Mauten. Allerdings öffnet die EU-Kommission
ausdrücklich den Weg zur Quersubventionierung. Demnach können Nutzergebühren für die
Finanzierung der gesamten Infrastruktur verwendet werden. Finanzkreisläufe für die unterschiedlichen Verkehrsträger sind im Kommissions-Konzept nicht enthalten.
Soziale Aspekte
Die EU-Kommission stellt eine Verschlechterung
der Arbeitsbedingungen des Fahrpersonals fest.
Lange Unterwegsaufenthalte des Fahrpersonals
beeinträchtigten den Gesundheits- und Arbeitsschutz. Auch Fragen der Entlohnung sowie der
unterschiedlichen Mindestlöhne in den einzelnen
europäischen Ländern stehen auf der Agenda
des Road-Package. Ausdrücklich aufgenommen
hat die EU-Kommission Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Anbietern in den jeweiligen
Märkten, die durch „Sozialdumping“ und Scheinselbständigkeit entstehen. Die Verwendung des
Terminus „Social Dumping“ deutet darauf hin,
dass sich auch die EU-Kommission der Ernsthaftigkeit des Problems aus funktionslosem Wettbewerb durch umgeflaggte Fuhrparks im Klaren ist.
Marktzugang
Kabotageregelung
Obgleich die EU-Kommission die Verschlechterung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Fahrpersonals konstatiert, greift sie
bei ihren politischen Forderungen die weitere
Öffnung der Kabotagemärkte auf. Demnach
steht auf der Vorschlagsliste der EU-Kommission
eine Neuregelung der Kabotage im Sinne einer
„Sieben-Tage-Regelung“. Diese beinhaltet, dass
gebietsfremde Fahrzeuge innerhalb eines siebentägigen Zeitraums beliebig viele Inlandstransporte durchführen dürfen, bevor sie das Land
wieder verlassen müssen.
Werkverkehrs. Für Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis 6 t soll es hier keinerlei
differenzierenden Einschränkungen hin zum
gewerblichen Verkehr mehr geben.
Mietfahrzeuge und Werkverkehr
Keine Kabotagelockerung
Ebenfalls unter dem Begriff Marktzugang plant
die EU-Kommission die Freigabe des Einsatzes
gemieteter Nutzfahrzeuge aus jedem beliebigen EU-Mitgliedsland. Sollte dieser Vorschlag
die Zustimmung des Ministerrats und auch
des Parlaments finden, dürfte eine gewaltige
Umstrukturierung der nationalen Lkw-Bestände
erfolgen. Letztendlich hätten nicht nur klassische
Mietwagenfirmen die Möglichkeit, über Standorte mit niedrigen Steuer- und Versicherungslasten
Kostenoptimierung zu betreiben.
Der BGL hat die absehbare Position der EU-Kommission im Road-Package zur Kenntnis genommen
und begrüßt ausdrücklich Initiativen, die wirkungsvoll mit Sozialdumping-Praktiken und unfairem
Wettbewerb umgehen. Angesichts der Ungleichverteilung der Kabotagetransporte plädiert der
BGL jedoch gegen eine weitere Liberalisierung
der Kabotagemärkte.
Der letzte Punkt der geänderten Marktzugangsregelungen betrifft die Liberalisierung des
BGL-Position
Letztendlich spiegelt sich in ihnen das Markt­
ungleichgewicht durch Sozialdumping wieder.
So werden auf deutschem und französischem
Gebiet zwei Drittel aller Kabotagetransporte
durchgeführt. Es ist augenfällig, dass die höchs-
Kabotage in der EU im Jahr 2012
(links nach dem Herkunftsland des Lkw, rechts nach dem Staat,
in dem die Kabotage durchgeführt wurde)
Quelle: Europäische Kommission, Brüssel
35
ten Kabotageanteile auf Unternehmen aus EUBeitrittsländern entfallen, was letztendlich durch
das Umflaggen von Fuhrparkkapazitäten „von
West nach Ost“ begründet ist. Der BGL hat diesbezüglich einem Bericht der EU-Kommission zur
Entwicklung der Verkehrsmärkte widersprochen.
Nach diesem Bericht hat sich die Angleichung
der Löhne für Fahrpersonal zwischenzeitlich
soweit vollzogen, dass eine weitere Lockerung
der Kabotageregelung vertreten werden könnte.
Wörtlich heißt es in dem von der EU-Kommission
erstellten Bericht:
„Unter Berücksichtigung aller Vergütungselemente scheinen sich die Löhne rumänischer Lastwagenfahrer im grenzüberschreitenden Verkehr dem Lohnniveau spanischer
Verkehrsunternehmer anzugleichen (vier bis
fünf Euro pro Stunde).“
Angesichts der Mindestlohndiskussion und der
aktuellen Höhe der Mindestlöhne in Westeuropa
kann mit dieser Begründung von keiner Angleichung des Lohnniveaus gesprochen werden.
Vielmehr hat sich durch die Einführung von Mindestlöhnen in westeuropäischen EU-Ländern das
Lohngefälle dramatisch erhöht, so dass die EUKommission zunächst das Problem Sozialdumping zu lösen hat, bevor an den Abbau weiterer
Marktbeschränkungen gedacht werden kann.
BGL-Vorschläge zur Neuregelung
der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit
Marktverwerfungen
Zur Wiederherstellung fairer Wettbewerbsbedingungen im Verkehr der EU-Mitgliedsstaaten hat
der BGL ein Positionspapier im Europäischen
Parlament und auch bei der EU-Kommission
vorgelegt. Darin wird auf die Ausgangssituation hingewiesen, nach der die derzeitige
Marktordnung attraktive Anreize schafft, große
Fuhrparkflotten in EU-Beitrittsländer mit günstigen Lohn- und Fiskalbedingungen umzuflaggen.
Unter Ausnutzung der bisherigen Rahmenbedingungen zur Dienstleistungsfreiheit im Verkehr
bleiben diese Flotten jedoch in den Haupt-
36
märkten stationiert, ohne dass für deren Halter
eine Niederlassungspflicht begründet wird. Die
jeweiligen Sozial- und Fiskalbedingungen der
Umflaggungsstaaten werden auf diese Weise
unmittelbar in die Zielmärkte exportiert und
verursachen unfairen Verdrängungswettbewerb.
Während die umgeflaggten Fahrzeuge faktisch
überwiegend außerhalb des Zulassungsstaats
stationiert bleiben, kehrt das Fahrpersonal nur
noch sporadisch nach mehreren Wochen/Monaten zum jeweiligen Heimatstandort zurück. Der
Personalaustausch erfolgt per Bus und teilweise
Low-Cost-Airlines.
Durch den wochen- und monatelangen Einsatz
des Fahrpersonals fernab des Heimatstandorts
sind Ruhezeiten und die private Freizeit an den
„Aufenthaltsort“ Fahrerhaus gebunden. In den
Fahrerhäusern verbrachte Wochenruhezeiten
sind sozial- und gesellschaftspolitisch auf Dauer
eine nicht hinnehmbare Herausforderung. Ziel
muss es deshalb sein, unfaire Wettbewerbsbedingungen in den Transportmärkten, die auf dem
Rücken des Fahrpersonals ausgetragen werden,
einzudämmen.
Neujustierung der Dienstleistungs- und
Niederlassungsfreiheit
Der Lösungsvorschlag des BGL sieht in diesem
Zusammenhang vor, dass auf der Grundlage
des Artikels 91 Abs. 2 AEUV eine Neujustierung
der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit
vorgenommen wird. Die Dienstleistungsfreiheit ist
zu diesem Zweck auf eine „vorübergehende“ Betätigung in den jeweiligen Mitgliedsländern zu
beschränken. Alle anderen Fälle, in denen eine
regelmäßige Beschäftigung in einem Mitgliedsland erfolgt, sollten zukünftig nicht mehr von der
Dienstleistungsfreiheit gedeckt sein. Anhand der
digitalen Tachografenaufzeichnungen lassen sich
z. B. die jeweiligen regionalen Unternehmensschwerpunkte sowie die im ein- und ausgehenden grenzüberschreitenden Verkehr übernommenen Transporte feststellen. Dienstleistungsfreiheit
sollte zukünftig nicht mehr angenommen werden,
wenn Fahrzeuge dauerhaft in Ländern stationiert werden, in denen diese nicht registriert
sind, aber dennoch in überwiegendem Umfang
grenzüberschreitende Verkehre oder Kabotagetransporte durchführen. Wird ein Fahrzeug/Fuhrpark – gemessen an den Verkehrsleistungen –
nicht überwiegend mit Transporten von und zum
jeweiligen Zulassungsland beschäftigt, ist eine
Niederlassungsverpflichtung in demjenigen Mitgliedsland anzunehmen, auf das die höchsten
Verkehrsanteile entfallen. Unfairer Wettbewerb
zur Nutzung des Lohn- und Sozialkostengefälles
ist nach Meinung des BGL über diesen Weg
eindämmbar.
Verbringung der Wochenruhezeiten
Parallel dazu könnte eine Regelung für das
Verbringen der regulären Wochenruhezeiten
auf Fahrzeugen helfen, Sozialdumping zu
bekämpfen. Die einschlägige Verordnung (EG)
Nr. 561/2008 Art. 8, Abs. 8 des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Harmonisierung
bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr
müsste dafür angepasst werden. So könnte verbindlich geregelt werden, dass in unmittelbarer
zeitlicher Folge nur eine gewisse Anzahl verkürzter Wochenruhezeiten im Fahrerhaus verbracht
werden darf und der Fahrer Anspruch darauf
hat, seine regulären Wochenruhezeiten jeweils
am Heimatstandort in seinem sozialen Umfeld zu
verbringen. Das derzeitige „Nomaden-Dasein“
des eingesetzten Fahrpersonals würde dadurch
beendet. Durch wirksame Kontrollen könnte
sichergestellt werden, dass Fahrern keine soziale
Entfremdung mehr droht, weil monatelange Abwesenheitszeiten vom Heimatstandort nicht mehr
zulässig wären.
Der BGL wirbt mit diesem Lösungsvorschlag bei
den Mitgliedern des Europaparlaments und auch
der Europäischen Kommission, um eine praxis­
taugliche Regelung für das Fahrpersonal und für
die Wiederherstellung eines fairen Wettbewerbs
zu finden. Auch westeuropäische Partnerverbände haben die Vorschläge des BGL positiv
aufgegriffen und sich in ihren Heimatländern für
diesbezügliche Lösungen stark gemacht.
„Ökologisierung“ des Verkehrs
Klimaschutz und Energiewende
Ziele auf dem Prüfstand
Das Treffen der G7 Staats- und Regierungschefs
auf Schloss Elmau hat zum wiederholten Mal den
Klimaschutz in den politischen Fokus der westlichen Industrienationen gerückt. Welche verbindlichen Verpflichtungen letztendlich aus den politischen Erklärungen resultieren, soll Gegenstand
der nächsten Weltklimakonferenz im November
des Jahres in Paris sein. Diese Konferenz reiht
sich hinter sieben Vorläuferkonferenzen ein, die
jedoch allesamt im Bereich des Unverbindlichen
blieben. Lediglich die EU hat sich zu seriösen
Klimaschutzzielen bereit erklärt. So sollen die
CO²-Emissionen gegenüber dem Referenzjahr
1990 bis 2020 um 30 Prozent sinken.
Die Bundesregierung hat ein nationales „Sonderziel“ definiert, nach dem Deutschland 40 Prozent
der CO²-Emissionen gegenüber dem Referenzjahr
1990 einzusparen hat. Dieses Ziel ist aufgrund
der Energiewende und der Abschaltung von
Atomreaktoren ohne zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen jedoch nicht zu verwirklichen. Die
Bundesregierung hat deshalb ein zusätzliches
Aktionsprogramm zum Klimaschutz verabschiedet,
das auch dem Verkehrssektor neue Ziele vorgibt.
(Vgl. Abschnitt, „Klimaschutz im Verkehr“, S. 39 ff)
Trotz der bisherigen Weltklimakonferenzen sind
die CO²-Emissionen weltweit in erheblichem
Ausmaß angestiegen.
Seit dem Jahr 2000 erhöhten sich die weltweiten
CO²-Emissionen um 10 Mrd. Tonnen. Dies
entspricht einem Anstieg von ca. 40 Prozent. Im
Vergleich dazu machen die deutschen CO²Emissionen weltweit 2,25 Prozent aller CO²Emissionen aus. Allein die chinesische Volkswirtschaft emittiert das 12-fache der deutschen.
Vor diesem Hintergrund sind die Kosten des
nationalen Aktionsprogramms für Klimaschutz
und ihre Wirkungen auf das Weltklima zu
hinterfragen.
37
CO²-Emissionen Deutschland, China und die Welt
Quelle: BP Statistical Review of World Energy 2015
Vorreiterrolle oder „Versuchs­
kaninchen“
Das nationale Sonderprogramm, 40 Prozent Reduktion der CO²-Emissionen bis 2020, wird mit
der selbst gewählten „Vorreiterrolle“ der Bundesrepublik Deutschland im Klimaschutz begründet.
(Diese Rolle wird durch einen führenden Ökonom
mittlerweile in die Rolle eines „Versuchskaninchens“ umgedeutet.) Schließlich sind die bisherigen Klimaschutzprojekte in Deutschland mit
volkswirtschaftlichen Kosten belastet, die allein
für die Energiewende bei mehr als einer Billion
Euro angesiedelt werden. Jährlich zahlen deutsche
Stromverbraucher gut 25 Mrd. Euro für eine gerade erst begonnene Energiewende ein. Damit ist
es gelungen, regenerativen Strom in einer Weise
zu vervielfachen, dass an wind- und sonnenreichen Tagen die Stromspitzen ein Zurückfahren der
Grundlastkraftwerke auf nahe Null erforderlich
machen. Mit der Stilllegung der restlichen Atomkraftwerkkapazitäten müsste die bisherige regenerative Stromerzeugung verdreifacht werden.
Dies kann schon in absehbarer Zeit dazu führen,
dass Strom zeitweise im Überfluss produziert wird,
für den keine adäquaten Speicherkapazitäten
zur Verfügung stehen.
38
„Spitzenlasten“ problematisch
So hat eine gemeinsame wissenschaftliche
Diskussionsrunde des Ifo-Instituts und des Umweltbeirats folgende Größenordnungen der zu
stemmenden Aufgabe herausgearbeitet.
1.Um die jahreszeitlich und im Tagesverlauf
fluktuierende Stromerzeugung zum Ersatz der
Kernkraft zu speichern, müssten ca. 3 500
Speicherkraftwerke neu gebaut werden. Da
hierfür keine geeigneten Flächen in Deutschland zur Verfügung stehen, müssten entsprechende Speicherkapazitäten im Ausland
gesucht (z. B. in Norwegen) und Verbundnetze aufgebaut werden.
2.Das Verhältnis der durchschnittlich zu installierenden Leistung gegenüber konventionellen
Kraftwerken beträgt bei der Sonnenenergie
eins zu zehn und bei der Windkraft eins zu
sieben. Dies bedeutet, dass ein Gigawatt
konventionelle Kernkraftleistung durch zehn
Gigawatt installierte Leistung Sonnenenergie
bzw. sieben Gigawatt installierte Leistung
Windenergie zu ersetzen ist.
3.„Garantierte Leistung“ regenerativer Kapazitäten steht nur im Verhältnis eins zu hundert
zur Verfügung. Daraus folgt: Ohne Speichertechnik mit großen Kapazitäten, um jahreszeitliche Schwankungen von regenerativ erzeugtem Stroms auszugleichen, ist die Energiewende aus technisch/physikalischen Gründen
nicht zu schaffen.
4.Um die benötigte alternative Kraftwerkleistung
zur Verfügung zu stellen, müssten fünf bis sechs
Prozent der Landesfläche der Stromerzeugung
gewidmet werden. Dies entspricht in etwa der
Summe aller Verkehrsflächen in Deutschland.
5.Sofern eine Elektrifizierung des Straßenverkehrs angestrebt wird, verdoppelt sich nach
Ansicht der Experten der Stromverbrauch
in Deutschland.
Klimaschutz im Verkehr
„Erster Aufschlag“
Das von der Bundesregierung vorgestellte Klimaschutzprogramm, das dazu beitragen soll, die
selbst gewählte Vorreiterrolle einer CO²-Einsparung
um 40 Prozent bis 2020 zu erreichen, muss
nach den zuvor genannten Kenngrößen mit hohen
volkswirtschaftlichen Kosten „erkauft“ werden.
Zahlreiche dafür vorgestellte Maßnahmen sind
am Grünen Tisch auf der Grundlage theoretischer
Berechnungen entwickelt worden. Ihre praktische
Machbarkeit und ihre Marktverträglichkeit sind
fraglich. Eine Anhörung der Beteiligten und der
Verbände fand im Vorfeld nicht statt.
Für den Verkehrsbereich sieht das Klimaschutzprogramm bis 2020 zusätzliche Einsparungen
von sieben bis zehn Millionen Tonnen CO² vor
(ca. 0,03 Prozent der weltweiten CO²-Emissionen).
Im Wesentlichen sind dafür effizienzsteigernde
Technologien sowie Verkehrsverlagerungen
vorgesehen. Das Aktionsprogramm beinhaltet
für den Verkehrssektor im Einzelnen:
Lkw-Maut als streckenbezogene
Abgabe
Die Lkw-Maut soll als Abgabe weiter entwickelt
werden und so einen Anreiz für die Verlagerung von Transporten auf die Schiene bieten.
Außerdem besteht die unrealistische Erwartung,
dass sich die Auslastung der Fahrzeuge signifikant verbessert. Mit der zusätzlichen Anlastung
externer Kosten, nur im Lkw-Verkehr, hoffen die
Initiatoren des Aktionsprogramms auf nachhaltige Güterverlagerungseffekte bis 2018.
Weshalb externe Kosten anderer Verkehrsträger
im Klimaschutzprogramm des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMU) bisher keine Rolle spielen, erschließt sich nicht und bleibt ohne Begründung.
Nach den vorliegenden Berechnungen aus dem
BMU wird eine Einsparung von 0,5 Mio. Tonnen
CO² durch die Ausweitung der Lkw-Maut auf
1 100 Kilometer vierstreifige Bundesstraßen und
die Einbeziehung von Fahrzeugen zwischen
7,5 t und 11,99 t zGG erwartet. Grundlagen
für diese Schätzungen liegen nicht vor. 0,5 Mio.
Tonnen CO² entsprechen in etwa der Einsparung von ca. 190 Mio. Liter Dieselkraftstoff. Im
Vergleich dazu ist allen Nutzfahrzeugen der
Verbrauch von ca. 20 Mrd. Liter Dieselkraftstoff
zuzurechnen.
Wie weit diese neuen Schätzungen aus dem BMU
von den gutachterlichen, im Hause des BMVI festgestellten Werten abweichen, zeigen Berechnungen zur Grundkonzeption für den Bundesverkehrswegeplan aus dem Jahre 2013. Darin stellten die
Berater der Bundesregierung fest:
„Ein Beispiel für durch Infrastrukturmaßnahmen
schwer beeinflussbare Ziele ist die Senkung der
CO²-Emissionen. Im Rahmen der Bedarfsplanüberprüfung für die Bundesschienenwege 2010
(Zeithorizont 2025) wurde ermittelt, dass mit
einem Investitionsvolumen von 26 Mrd. Euro in
Schieneninfrastruktur ca. 1,3 Mrd. Lkw-Kilometer
und 1,5 Mrd. Pkw-Kilometer jährlich vermieden
werden können. Das entspricht lediglich zwei
Prozent der Lkw- und 0,2 Prozent der Pkw-Kilometer im Jahr 2025 und dadurch einer Einsparung von 0,7 Mio. Tonnen CO².“
39
Die vom Umweltministerium genannte Größenordnung aus den bereits beschlossenen Änderungen
der Lkw-Maut müssen vor diesem Hintergrund als
nicht kompatibel eingestuft werden. Ohne den
massiven Ausbau der Schiene mit erheblichem
Mittelaufwand, der sich nicht in den Planungen
des Bundeshaushalts wiederfindet und auch aus
zeitlichen Gründen bis 2020 nicht zu realisieren
ist, lassen sich namhafte Schienenkapazitäten
für Verkehrsverlagerungen nicht schaffen. Allenfalls langfristig mit einem Zeithorizont des Jahres
2030+ könnten zusätzliche Kapazitäten und der
Ausbau logistischer Kompetenzen im Schienenverkehr einen größeren Teil des Verkehrswachstums
auf die Schiene lenken. Daraus resultierte jedoch
keine Verkehrsverlagerung, sondern nur eine leichte Verschiebung des Modal-Split, der in seriösen
Prognosen bis 2050 eins bis zwei Prozent beträgt.
Schweizer Vorbild ?
Die Erwartung, dass die Verteuerung des Straßenverkehrs durch die Einführung und Ausweitung
der Lkw-Maut eine Verkehrsverlagerung be-
wirkt, ist am Beispiel der Leistungsabhängigen
Schwerverkehrsabgabe (LSVA) in der Schweiz
widerlegbar. Trotz sechsmal höherer Straßenbenutzungsgebühren als in Deutschland ist der
Modal-Split-Anteil in der Schweiz im Schienenverkehr seit der LSVA-Einführung weiter gesunken und hat trotz jährlicher Schwankungen das
„alte“ Niveau vor Einführung der LSVA nicht
erreichen können. Eine Verlagerung von Güterverkehren auf die Schiene ist deshalb weitaus
weniger preissensibel als verkehrspolitisch unterstellt. Verlagerungsszenarien sind nur in schienenaffinen Marktsegmenten bei entsprechendem
Ausbau der Schienenkapazitäten denkbar.
Differenzierung der Lkw-Maut
nach dem Energieverbrauch
Das BMU schlägt als weitere klimaschützende
Maßnahme die Differenzierung der Lkw-Maut
nach dem Energieverbrauch vor. Damit soll in
absehbarer Zeit die heute nach Euro-Klassen
gestaffelte Lkw-Maut in eine verbrauchsabhängige Lkw-Maut umgewandelt werden. Offen
Alpenquerender Güterverkehr in der Schweiz:
Schienenanteil 2000 – 2014
(vor und nach der Einführung der LSVA anno 2001)
Quelle: Bundesamt für Verkehr, Bern
40
gelassen ist, ob sich die Mautdifferenzierung
auf die Energieeffizienz pro Beförderungseinheit
oder den normierten Energieverbrauch eines
Fahrzeugs pro Kilometer beziehen soll. Sollte die
Maut nach Energieeffizienz pro Beförderungseinheit gestaffelt werden, müssten 40 Tonner die
günstigsten Mautsätze erhalten, weil sie das beste Verhältnis Nutzlast : Kraftstoffeinsatz in sich
vereinen. Dagegen müssten kleinere Fahrzeuge,
z. B. sogenannte Sprinterfahrzeuge, einen Effizienzmalus bei der Maut hinnehmen. Die Differenzierung der Maut nach dem Energieverbrauch
wirft so gesehen noch viel Diskussionsbedarf
auf. Schließlich würde eine derartige Neustrukturierung vor allem Flächenverkehre und regionale Wirtschaftsverkehre, die überwiegend mit
kleineren Lieferfahrzeugen erfolgen, verteuern.
Hinzu kommt, dass aufgrund der kurzen Transportentfernungen im Regionalverkehr und unter
Einbeziehung der logistischen Anforderungsprofile eine namhafte Verlagerung dieser Verkehre
auf die Schiene oder das Binnenschiff von vorneherein ausscheidet. Im Übrigen ist bereits eine
Art Bemautung des Energieverbrauchs durch die
Mineralölsteuer sichergestellt. Umgerechnet auf
eine Tonne CO²-Emissionen beträgt die Belastung des Dieselkraftstoffs ca. 167 Euro. Damit
dürften die CO²-bedingten externen Kosten des
Treibstoffverbrauchs umfänglich angelastet sein.
Hybridtechnologie bei Nutzfahrzeugen im Fernverkehr
Das BMU vermutet in der Förderung von HybridTechnologie bei Lastkraftwagen im Fernverkehr
eine effiziente Maßnahme zum Klimaschutz.
Aussagen aus der Herstellerindustrie beziffern
die Mehrkosten für Hybrid-Technik im Fernverkehr mit ca. 1 000 Euro pro Tonne eingesparter
CO²-Emissionen. Damit liegen die Kosten dieser
Maßnahme weit oberhalb der Folgekosten für
den CO²-Ausstoß und müssten nach der ökonomischen/ökologischen Effizienzdefinition
ausgeschlossen bleiben. Der BGL argumentiert in
diesem Zusammenhang, dass Klimaschutzmaßnahmen nicht mehr kosten dürfen als an Klimafolgekosten durch die jeweilige Emissionskategorie
erwartet werden. Da die externen Kosten in wissenschaftlichen Gutachten mit maximal 150 Euro
pro emittierte Tonne CO² verrechnet werden,
verfehlt die Hybrid-Technik im Fernverkehr derzeit
ein hinnehmbares Kosten-/Nutzenverhältnis.
Allenfalls zum Markthochlauf ist eine Förderung
der Hybridtechnologie zu verantworten, sofern
realistische Skaleneffekte in der Produktion von
Hybridfahrzeugen zu einem annehmbaren Kosten-/Nutzenverhältnis in der Zukunft führen. Dies
wäre vor Beginn einer entsprechenden Technologieförderung unvoreingenommen zu prüfen.
Erneuerbare Energien und
Zukunfts­technologie
Alternativen im Vordergrund
Die Energiewende im Verkehr soll auch durch erneuerbare Energieträger und regenerative Biokraftstoffe beflügelt werden, wobei das Ziel besteht, das
Angebot an Kraftstoffalternativen zu erhöhen. Die
hohe Erdölabhängigkeit des Straßengüterverkehrs
mit mehr als 95 Prozent soll dadurch umweltfreundlich und zugleich nachhaltig vermindert werden.
Dem Einsatz von Erdgas und Flüssiggas aus
unterschiedlichen Quellen kommt dabei eine
zentrale Bedeutung zu. Umweltpolitische Effekte
der Gastechnologie stellen sich jedoch nur durch
die Einhaltung bestimmter Randbedingungen
ein. So belegt eine Studie der Initiative Erdgasmobilität eine deutliche Treibhausgasminderung im Straßenverkehr durch den Einsatz der
Gastechnologie. Voraussetzung ist jedoch der
Einsatz bestimmter neuer Technologien, wie
beispielsweise der High Pressure Direct Injection
(HPDI). Der Vergleich zeigt ebenso, dass eine
bedeutende Verringerung der Treibhausgasemissionen durch LNG und LPG (verflüssigtes Gas)
die Beimischung von Biomethan und regenerativ
gewonnenem Methan voraussetzt. Namhafte
CO²-Ersparnisse sind durch komprimiertes erneuerbares Methan (z. B. aus Gülle und Mist) zu
erzielen. Erdgas (CNG) nimmt dabei als Grundstoff eine wichtige Rolle für den Pkw-Verkehr
ein. Für schwere Nutzfahrzeuge dürfte nur LPG
aufgrund der höheren Reichweite einer Tankfüllung in Betracht kommen.
41
Einsatz von Flüssiggas (LNG)
Durch den Einsatz von Flüssiggas, der Nutzfahrzeugen eine Reichweite von bis zu 1 000
Kilometer verleiht und damit „fernverkehrstauglich“ ist, lassen sich im Vergleich zu LNG
echte Klimaschutzeffekte im Sinne eingesparter CO²-Emissionen erreichen. Flüssiggas als
Kraftstoff im Güterverkehr kann als verflüssigtes
Methan (LNG) oder gemeinsam mit verflüssigtem
Biomethan zum Einsatz kommen. Sofern diese
Kraftstoffkombination über einen bleibenden
Preisvorteil gegenüber Dieselkraftstoff verfügt,
ließen sich nach Expertenschätzung relevante
Marktanteile in der Größenordnung von fünf bis
sechs Prozent des Kraftstoffverbrauchs mit unterschiedlichen Treibhausgaseinsparungen (je nach
Beimischungsverhältnis) erzielen.
Der Antrieb schwerer Nutzfahrzeuge mit Gas
hat neben den von der Initiative Erdgasmobilität errechneten Klimaschutzeffekten wichtige
Nebenaspekte in Bezug auf die Nachhaltigkeit
des Güterverkehrs. Dies gilt vor allem für Lärm­
emissionen, die bei CNG- und LNG-getriebenen
Fahrzeugen niedriger sind. Auch die Euro VIWerte und Partikelemissionen können durch die
Gastechnologie unterschritten werden.
Bezahlbarkeit und Marktfähigkeit
Wie die Vergleiche der Initiative Erdgasmobilität
zeigen, ergeben sich die höchsten umweltpolitischen Vorteile, wenn ein Energiemix fossiler
Kraftstoffe mit biogenen Kraftstoffen erfolgt (z. B.
Erdgas mit 20 Prozent Biomethan) oder reine
Biokraftstoffe sowie synthetische Kraftstoffe zum
Einsatz kommen. Der Einsatz synthetischer Kraftstoffe ist wiederum in seinen Kosten sehr stark
von den jeweiligen Quellen und den daraus resultierenden Umwandlungsprozessen abhängig.
So zeigt der Vergleich der Initiative Erdgasmobilität Treibhausgasemissionen nahe Null, wenn
synthetisches Methan aus erneuerbarem Strom
hergestellt wird.
Allerdings dürften die Prozesskosten für die
Herstellung synthetischen Kraftstoffs sehr hoch
ausfallen. Selbst wenn ein relativ niedriger
Selbstkostenpreis für die Erzeugung von Wind-
42
strom in Höhe von ca. 15 Cent pro Kilowattstunde zugrunde gelegt wird, müssten ca. 20 – 25
Kilowattstunden Ökostrom für die Substitution
von einem Liter Dieselkraftstoff eingesetzt werden. Hinzu kämen Kosten für den Herstellungsprozess in großtechnischen Anlagen sowie für
Lagerung und Transport. Im volkswirtschaftlichen
Vergleich hierzu sind die Nettokosten für einen
Liter Diesel (ohne Steuern) zu sehen, die derzeit
bei ca. 50 bis 60 Cent pro Liter liegen. Die
Kosten für Klimaschutz im Verkehr und die damit
einhergehenden Fortschritte bei der Vermeidung
von Klimagasen fallen im Vergleich zu anderen
Sektoren außerordentlich hoch aus. Vor einer
breiten Anwendung alternativer Kraftstoffe im
Verkehr sind deshalb nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Nachhaltigkeitsaspekte
von ausschlaggebender Bedeutung.
Elektroantriebe und das Projekt ENUBA
Elektroantriebe bieten gemäß der Initiative Erdgasmobilität unter Zugrundelegung des EUStrommixes eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen zwischen 50 und 60 Prozent.
Elektromobilität, z. B. mit klimaneutralem Windstrom, kann auf längere Sicht mehr als nur eine
theoretische Option sein.
Im Straßengüterverkehr bietet die Elektrotraktion
auf Basis des Batteriebetriebs auch auf längere
Sicht keine sinnvolle und praktikable Alternative.
Der Nutzlastverlust batteriebetriebener Fahrzeuge und die geringe Reichweite im Gütertransport
sprechen gegen die Wirtschaftlichkeit von Elek­
tromobilität auf Batteriebasis. Eine durchaus greif­
bare Alternative dagegen ist Elektromobilität,
die fahrdrahtgebunden Nutzfahrzeuge antreibt.
Das Projekt Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen zur Umweltentlastung von Ballungsräumen (ENUBA) bietet hierfür ein anschauliches Beispiel. Ein mit Dieselmotor ausgestattetes Fahrzeug
wird von einem Elektromotor angetrieben. Dieser
wird wahlweise über den Fahrdraht oder mit
Strom aus dem Generator des Dieselmotors angetrieben. Sobald die Verbindung zum Fahrdraht
unterbrochen wird, übernimmt der Dieselmotor die
Stromproduktion und hält das Fahrzeug auch bei
nicht elektrifizierten Streckenanteilen am Laufen.
Treibhausgasbilanz für Kraftstoffe im Pkw-Einsatz
Quelle: Nachhaltige Mobilität mit Erdgas und Biomethan: Marktentwicklung 2014/2015 – Fortschrittsbericht der Initiative
Erdgasmobilität, dena, Berlin, Juni 2015
Treibhausgasbilanz von Methan im Nutzfahrzeug-Einsatz
Quelle: Nachhaltige Mobilität mit Erdgas und Biomethan: Marktentwicklung 2014/2015 – Fortschrittsbericht der Initiative
Erdgasmobilität, dena, Berlin, Juni 2015
43
Das Projekt hat mittlerweile sein Versuchsstadium
verlassen und tritt in die Praxiserprobung ein. In
Kalifornien wurde eine Hafenverbindung zu einem
Logistikverteilzentrum mit einer Elektrotraktionstrecke
verbunden. Auch Schweden setzt auf die Mobilität
mit Strom und rechnet mit erheblichen Verbrauchsvorteilen. Die zuständige Behörde sieht darin eine
umweltfreundliche Alternative für den Straßengüterverkehr, da freie Kapazitäten aller Verkehrsträger
auszunutzen sind und in Schweden das Bahnnetz
am Rande seiner Leistungsfähigkeit steht.
Strom als unmittelbare Antriebsenergie im Projekt
ENUBA braucht nicht über Speichertechnologien
oder synthetische Verfahren umgewandelt werden,
sondern wird direkt zum Betrieb der Fahrzeuge
genutzt. Auf diese Weise ergeben sich gegenüber
anderen Technologien deutliche Ersparnisse bei
den Kraftstoffkosten und eine höhere Energieeffizienz. So rechnen die Betreiber mit einer Halbierung des Energieverbrauchs durch die direkte
Stromeinspeisung und den hohen Wirkungsgrad
von Elektromotoren. Der alternative Kraftstoff
„Strom“ rückt damit zwar noch nicht an die Kosten für Dieselkraftstoff heran, bewegt sich jedoch
auf bezahlbare Größenordnungen zu. Wie hoch
die ökologischen und ökonomischen Effizienzvorteile sind, müssen nun die auf den Teststrecken
eingesetzten Fahrzeuge unter Beweis stellen.
Der BGL beobachtet die Versuche mit Elektrotraktion im Fernverkehr mit hohem Interesse, da sich
hieraus unter Zugrundelegung aller bisher bekannter Kostenelemente eine der Hauptentwicklungsrichtungen für umweltfreundliche Güterverkehrsmobilität entwickeln könnte. So zahlt das deutsche
Transportlogistikgewerbe bereits mehr als zwei
Cent pro Mautkilometer für die Abgeltung der
externen Luftverschmutzungskosten. Da eine volle
Anlastung der externen Kosten in absehbarer Zeit
auf sechs Cent pro Kilometer steigen könnte, dürfte sich die Elektrifizierung der Hauptgüterverkehrsstrecken allein aus dieser Abgabe bereits rechnen.
Eine diesbezügliche Verwendung von Einnahmen
aus der Anlastung externer Kosten würde dem theoretischen Grundkonzept der Abgabe und ihrer
Verwendung zur „Reparatur“ sowie Vermeidung
von Umweltwirkung des Verkehrs Rechnung tragen. Die Anlastung externer Kosten, um damit die
Nutzer abzukassieren, lehnt der BGL als verdeckte
Steuer- und Abgabenbelastung hingegen ab.
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Lang-Lkw und Co. – eine schnelle
und günstige Variante zum
Klimaschutz
Während das Umweltministerium im Aktionsplan
Klimaschutz ENUBA und fahrdrahtbetriebenen
Güterverkehren Bedeutung beimisst und eine Versuchsstrecke in Deutschland eingerichtet werden
soll, bleiben kurzfristig wirkende Maßnahmen
mit sofort verfügbaren Effizienzpotentialen teils
aus ideologischen Gründen ungenutzt. So würde
schon eine Verlängerung von Sattelaufliegern um
ca. 1,35 Meter die Energieeffizienz bei gleicher
Nutzlast um bis zu 15 Prozent verbessern. Da
höhere Energieeffizienz im Güterverkehr gleichzusetzen ist mit der Verringerung von Treibhausgasemissionen, könnte das gesteckte Ziel für den
Güterverkehr im Aktionsplan allein durch diese
Maßnahme vorfristig übertroffen werden.
Dies gilt erst Recht für die Zulassung des Lang-Lkw
auf bestimmten ausgewählten Strecken, so z. B.
auf Autobahnen und geeigneten Zulaufstrecken zu
Güterverkehrszentren, Terminals im Schienen- und
Binnenverkehr, Großverladern, etc. Die Verbesse­
rung der Energieeffizienz dieser Fahrzeugkombinationen ist nach ersten überschlägigen Berechnungen bei gleichen Gesamtgewichten mit mindestens
25 Prozent anzusetzen. Umso unverständlicher
bleibt es, dass einzelne Bundesländer sich konsequent weigern, einer Erprobung dieser klimafreundlichen Fahrzeuge zuzustimmen. Erst in jüngster Zeit
zeichnet sich eine gewisse Auflockerung der bisher
ideologisch verfestigten Fronten auf. So hat BadenWürttemberg eine Beteiligung am Großversuch
aufgenommen und auch Nordrhein-Westfalen lässt
1,35 Meter verlängerte Sattelauflieger im Rahmen
des Großversuchs auf Bundesautobahnen und
ausgewählten Zulaufstrecken zu.
Der BGL sieht hierin einen Sieg der politischen
Vernunft. Schließlich sind weder das Langfahrzeug noch der verlängerte Sattelauflieger
bei gleichen zulässigen Gesamtgewichten der
Fahrzeugkombinationen eine, wie hartnäckig
behauptet, „Konkurrenz“ für die Bahn. Da keines
der Fahrzeugkonzepte Nutzlastgewinne bietet,
ist eine Rückverlagerung von Schienengüterverkehren auf die Straße nicht zu erwarten und
bisher auch nicht beobachtet worden. Schienengüterverkehre, gerade kombinierte Verkehre, die
von Lang-Lkw-Gegnern als „gefährdet“ angeführt
werden, haben Sendungsgewichte, die für den
Lang-Lkw nicht sinnvoll sind. Die in regulären
Transportbehältern verstauten Kombiladungen
wären – falls dies Auftraggeber fordern – jederzeit auf die Straße verlagerbar und sind nicht
von einer Lang-Lkw-Technologie abhängig.
durch Verlagerungseffekte von der Straße auf die
Schiene schon durch die Berechnungsmethode des
Kyoto-Protokolls verzerrt. CO²-Emissionen werden
nach dieser Rechnungsart nicht der Elektrotraktion
im Schienenverkehr, sondern dem Energiesektor
zugerechnet. Damit wird der Blick verstellt, dass
durch die Verlagerung von Verkehren auf die
Schiene kein „emissionsfreier“ Verkehr entsteht.
Antistauprogramm
Wie die Tabelle aus der Verkehrsverflechtungsprognose zeigt, ist je nach Berechnung der
Emissionen der „Faktor 10“ zu beachten. Bei der
Emissionsberechnung im TREMOD-Modell werden
alle Emissionen und der gesamte Energieverbrauch einschließlich Vorketten von Biokraftstoffen
in die Berechnungen einbezogen und nicht dem
Kraftwerksektor zugeordnet. Soweit der Schienenverkehr reibungsbedingte Energieeinsparungen
möglich macht, sind die daraus folgenden Effekte
jedoch deutlich geringer als immer wieder in
„schön gerechneten“ CO²-Bilanzen suggeriert
wird. Hinzu kommt, dass für Verlagerungsziele
bis 2020 gemäß dem Aktionsplan Klimaschutz
keine zusätzlichen Schienenkapazitäten in namhaften Größenordnungen zur Verfügung stehen.
Ebenfalls unberücksichtigt im Aktionsplan Klimaschutz des BMU bleiben Klimaschutzbeiträge aus
einem Antistauprogramm. Mit einem gezielten
Ausbau von Engpässen könnten Milliarden Liter
von Kraftstoff und damit einhergehende Emissionen vermieden werden.
Schienenverkehr stärken
Im Konzept des BMU werden Verlagerungsoptionen
für Güterverkehre auf die Schiene und das Binnenschiff mit unrealistischen Erwartungen verbunden.
So werden CO²-Reduktionen im Verkehrsbereich
Entwicklung der CO²-Emissionen aller Verkehrsträger
Quelle: Verkehrsverflechtungsprognose 2030 - Schlussbericht 11.06.2014 im Auftrag des BMVI
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Verkehrsträger Wasserstraße
Personenverkehr
Im Aktionsprogramm Klimaschutz nimmt nicht
zuletzt der Verkehrsträger Wasserstraße eine
neu definierte Rolle ein. Durch die Verlagerung
von Gütertransporten auf die Wasserstraße
erhoffen sich die Autoren des Aktionsplans weitere CO²-Einsparungen. Dabei wird allerdings
verkannt, dass ein Großteil der Straßengüterverkehre nicht auf die Wasserstraße verlagerbar
ist. Vielmehr findet seit Jahren eine Kannibalisierung der Massengutverkehre zwischen Schiene
und Binnenwasserstraße statt.
Soweit es den Sektor Verkehr und das insgesamt
einzusparende Potenzial von 7 bis 10 Mio. Tonnen CO² bis 2020 betrifft, ist der BGL skeptisch,
ob unter Einschluss der Erwartungen an den
Rad- und Fußverkehr die gewünschten CO²-Ziele
zu realisieren sind. Immerhin erfolgen derartige
Berechnungen vor dem Hintergrund einer schnell
alternden Bevölkerung, die für diese „Mobilitätsalternativen“ nicht voll umfänglich in Betracht
kommt. Einzelne Vorschläge des BMU, z. B.
Spritspartraining mit Neuwagenpreisen oder gar
Versicherungsprämien quer zu subventionieren,
erschließen sich zumindest nicht selbsterklärend
als Klimaschutzvariante. Das gilt auch für das
Carsharing, das als Klimaschutzmaßnahme
aufgeführt wird. Zwar könnte damit zur Lösung
innerstädtischer Parkplatzprobleme beigetragen
werden. Jedoch geht diese Art der Mobilität zulasten des Öffentliche Personennahverkehrs und
ist deshalb schon in seiner Wirkung auf Emissionsbilanzen realistisch „nachzurechnen“.
Eine geeignete Maßnahme wäre deshalb, Massengutverkehre der Schiene dem Binnenschiff zu
überlassen. Damit könnten Transportkapazitäten
für den kombinierten Verkehr und eine echte
Verlagerung von Langstreckengüterverkehren
auf bestimmten Schienenkorridoren freigemacht
werden. Eine derartige, kurzfristig zu realisierende Maßnahme ist jedoch nicht Gegenstand der
Empfehlungen im Klimaschutzprogramm.
Schienengüterverkehr:
2015er, 2025er und 2030er-Prognose im Vergleich
Quellen: BMVI, Berlin; StBA, Wiesbaden; DIW, Berlin; ITP + Ralf Ratzenberger, München und Berechnungen des BGL
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Binnenschiffgüterverkehr:
2015er, 2025er und 2030er-Prognose im Vergleich
Quellen: BMVI, Berlin; StBA, Wiesbaden; DIW, Berlin; ITP + Ralf Ratzenberger, München und Berechnungen des BGL
Straßengüterverkehr:
2015er, 2025er und 2030er-Prognose im Vergleich
Quellen: BMVI, Berlin; StBA, Wiesbaden; DIW, Berlin; ITP + Ralf Ratzenberger, München und Berechnungen des BGL
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Ökoeffiziente Maßnahmen gesucht
Alles in allem zeichnet sich ab, dass rund um den
Klimaschutz in Deutschland in nächster Zeit wichtige und auch kostenträchtige Entscheidungen
anstehen. Der BGL wird sich im Rahmen seiner
Beteiligung an den Diskussionen dafür einsetzen,
dass im Güterverkehr ökoeffizienten Maßnahmen der Vorzug eingeräumt wird. Dies bedeutet,
einzelne Klimaschutzmaßnahmen, die staatlicherseits mit Förderanreizen versehen werden, haben
ein vorgegebenes Kosten-/Nutzenverhältnis zu
erfüllen. Ausnahmen dürfen nur befristet für sogenannte Markthochlaufphasen akzeptiert werden.
Dazu sind Richtwerte und Höchstsätze für CO²Vermeidungskosten anzusetzen und den noch zu
schaffenden Förderrichtlinien als objektiver Wertmaßstab zugrunde zu legen. Die mit der Vorreiterrolle beschriebene Initiative der Bundesregierung
für Europa und die Welt darf keine Schwächung
der deutschen Volkswirtschaft und des Standorts
Deutschland bedeuten. So gesehen muss die
energiepolitische Vorreiterrolle, die Deutschland
in Europa und weltweit einzunehmen gedenkt, mit
mittel- und langfristig rechenbaren Wettbewerbsvorteilen einhergehen. Alles andere wäre standortpolitischer „Harakiri“, der letztendlich für breite
Schichten der Gesellschaft unbezahlbar wird und
nicht nachhaltig sein kann. Schließlich gilt die
Binsenweisheit, dass jeder Euro, der für Umweltoder Klimaschutz ausgegeben wird, für andere
investive und auch konsumtive Maßnahmen der
Gesellschaft nicht mehr zur Verfügung steht.
Klimaschutz richtet sich in diesem Zusammenhang
auf ein wichtiges Ziel der Gesellschaft, das in
unmittelbarer Konkurrenz mit anderen Vorhaben
steht. So dürften Investitionen in die Bildungsinfra­
struktur, Sozialsysteme und vielfältige andere
gesellschaftliche Aufgaben Klimaschutz auf das
Machbare und Bezahlbare begrenzen.
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Aktionsplan Güterverkehr und
Logistik wird fortgeschrieben –
Umsetzung lässt auf sich warten
Ankündigungen
Mit dem Beginn der neuen Legislaturperiode
erfolgte die Ankündigung, den Aktionsplan für
Güterverkehr fortzuschreiben und, wo es angebracht erscheint, durch neue Aktionsfelder zu
ergänzen. Die dafür erforderlichen Konzeptarbeiten waren bis zum Redaktionsschluss dieses
Jahresberichts immer noch nicht abgeschlossen.
Der BGL hat jedoch im Vorfeld seine Wünsche
zur Anpassung des Aktionsplans im Interesse
des mittelständischen Transportlogistikgewerbes
eingebracht.
Sozialdumping als eigenständiges
Thema
Als eigenständige Themenstellung sollte nach
Auffassung des BGL im Aktionsplan ein besonderer Abschnitt zur Eindämmung des Sozialdumpings eingeführt werden. (Vgl. Abschnitt, „BGL
Vorschläge zur Neuregelung der Dienstleistungsund Niederlassungsfreiheit“, S. 36 ff) Dumpingpraktiken sind nicht nur für das deutsche Transportlogistikgewerbe eine schwere Belastung,
sondern führen zu wirtschaftlichen Verwerfungen, die insgesamt einem optimierten, ressourcenschonenden Verkehrskonzept in Deutschland
zuwiderlaufen.
Logistikimage verbessern
Als zweiten Punkt plädiert der BGL dafür,
den Logistikstandort Deutschland nicht nur mit
Auslandsvermarktungsaktivitäten „populärer“
zu machen. Ebenso wichtig ist die Akzeptanzförderung des Logistiksektors in der öffentlichen
Wahrnehmung. Zu viele Vorurteile und Vorbehalte gegen die Entwicklung des Logistiksektors
und dafür erforderlicher Infrastrukturmaßnahmen
machen der Bevölkerung gegenüber eine objektive und sachgerechte Informationspolitik unumgänglich. Diese Aufgabe wird immer wichtiger,
je näher der Zeitpunkt zur Umsetzung der Ziele
des Aktionsplans, beispielsweise zum Erhalt, der
Modernisierung und des Ausbaus leistungsfähiger Verkehrsinfrastrukturen, rückt.
Nutzerfinanzierung auf
dem Prüfstand
Der BGL hat Anregungen zur Umstellung der
Steuerfinanzierung auf Nutzerfinanzierung der
Verkehrsinfrastruktur eingebracht. Die von Gutachtern errechneten zweieinhalbfach höheren
Mauten für Bundesstraßen stellen jedoch eine
Bedrohung der mittelständischen Wirtschaft und
nicht allein des Verkehrsgewerbes in Flächenbundesländern dar. Sie wirken kontraproduktiv
zur Stärkung des ländlichen Raums und strukturschwacher Regionen.
Nachwuchssicherung und Arbeitsbedingungen als Dauerbrenner
Einen besonderen Schwerpunkt der Stellungnahme hat der BGL der Nachwuchssicherung und
der Schaffung guter Arbeitsbedingungen für das
Fahrpersonal gewidmet. Die relativ schwach
entwickelten Aktivitäten des Aktionsplans zur
Verbesserung der Rampensituation empfindet der
BGL als unzureichend. Diesbezügliche Maßnahmen dürfen nicht allein auf einen „Roundtable“
und zweijährige Zufriedenheitsbefragungen der
Fahrer reduziert werden. Vielmehr ist es wichtig,
durch eine Folgestudie und Best-Practice-Beispiele
einen Durchbruch zu erreichen. Nur wenn es gelingt, Unterwegsaufenthalte oder auch Rampen­
abläufe fahrerfreundlicher zu gestalten, können
die sozialen Bedingungen für Berufskraftfahrer
verbessert werden. Fehlen substanzielle Fortschritte im Arbeitsumfeld, sind die Probleme bei der
Nachwuchsgewinnung nicht zu beseitigen.
Entsprechendes gilt für die Aufwertung der
Güterverkehrs- und Logistikberufe. Es besteht der
Wunsch, das BMVI in wirkungsvolle Aktivitäten
einzubinden und gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit für eine breitere Basis der
Nachwuchsgewinnung zu sorgen.
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