Verkehrspolitik im Spannungsfeld widerstreitender
Transcrição
Verkehrspolitik im Spannungsfeld widerstreitender
Verkehrspolitik im Spannungsfeld widerstreitender ökonomischer, sozialer und ökologischer Ansprüche Finanz- und Euro-Krise nicht überwunden Wachstumsschwäche Schon vor der Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2009 hatte Europa und speziell der Euro-Raum mit Wachstumsproblemen im Vergleich zu anderen dynamischen Wirtschaftsregionen der Welt zu kämpfen. In der politischen Einschätzung überzogene und ehrgeizige Wachstumsziele für die EU endeten mit der Wirtschafts- und Finanzkrise in einem jähen Absturz. Ökonomisch gesehen gehen die EU-Länder seit jeher mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten voran, wobei diese Unterschiede zwischen den Ländern mit dem Euro als Gemeinschaftswährung und den übrigen Mitgliedsstaaten mittlerweile herausstechen. Die Entwicklung des realen BIP-Wachstums in den Euro-Ländern zeigt, dass sich vornehmlich der Euro-Raum fünf Jahre nach der Wirtschaftsund Finanzkrise nur langsam und äußerst mühsam dem einstmals erreichten Wohlstandsniveau annähert. Deutschland, das im EuroRaum die stärkste Volkswirtschaft stellt, konnte den Wachstumstrend der Euro-Länder deutlich übertreffen. Frankreich kämpft immer noch mit den Folgen der Wirtschaftskrise und stagniert, während sich in Südeuropa nur bedingt ein Erholungstrend abzeichnet. So verweilt das BIP in den südeuropäischen Ländern bei 92 bis 95 Prozent des Vorkrisenniveaus. Das von der Finanzkrise besonders gebeutelte Irland hat zwar den Turnaround, aber noch nicht den Wiederanschluss an das frühere Wohlstands niveau gefunden. Reales BIP ausgewählter Länder 2008 bis 2014 (Index 2008 = 100) Quellen: Eurostat, Luxemburg und Berechnungen des BGL 1 Positiver stellt sich die Lage in EU-Ländern dar, die nicht dem Euro-Raum angehören. An der Spitze des Wachstums liegt Polen mit einem realen Wirtschaftswachstum von gut 18 Prozent. Die Wirtschafts- und Finanzkrise konnte dort die Wachstumsdynamik nur im Krisenjahr 2009 ein wenig dämpfen. Spitzenreiter in der wirtschaft lichen Entwicklung „Nachkrisenzeit“ sind Schweden und die Slowakei (Euro seit 01.01.2009), die in ihren Wachstumszahlen die Bundesrepublik Deutschland übertreffen. Wohlstandsgefälle wächst Völlig abgekoppelt von der europäischen Entwicklung hat sich Griechenland, das seit der Wirtschaftskrise im freien Fall befindlich ist. Mit gut drei Viertel der ehemals erreichten Wirtschaftsleistung stehen dort die Menschen und die sie seit Jahrzehnten schlecht regierenden Politiker mit dem Rücken zur Wand. Den in anderen Euro-Ländern zu verzeichnenden Turnaround hat Griechenland allenfalls ansatzweise geschafft. Als Mitglied der Europäischen Union ist das Land wirtschaftlich betrachtet in die Gruppe der Schwellenländer abgestiegen. Die wirtschaft lichen Probleme und die drückende Schuldenlast können ohne massive Hilfe der EU aus eigener Kraft nicht gemeistert werden. Nicht nur griechi sche Politiker, die sich seit jeher kaum zu durchgreifenden Reformen durchringen konnten, sondern auch führende Ökonomen haben Zweifel daran, dass mit einem strikten Sparprogramm ein Turnaround in Griechenland zu schaffen wäre. Selbst bei moderatem Wachstum müsste die griechische Bevölkerung bis 2035 oder gar 2040 darauf warten, das Wohlstandsniveau vor der Wirtschafts- und Finanzkrise zu erreichen. In dieser Situation sind die politischen Turbulenzen um den Verbleib Griechenlands im Euro-Raum und die Diskussion zur Kohäsion der EU als Ganzes notwendig, wenn nicht gar überfällig. Insoweit dürfte in der EU-Politik weit mehr angesagt sein als ein Reformprogramm und der Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone. Der englische Regierungschef, der dringende Reformen in der EU anmahnt und von dessen Erfolg der Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union abhängig sein wird, setzte ein unüberhörbares Warnsignal. Zwischen 2008 bis 2013 war das Wachstum der Wirtschaftsleistung in den EU-Ländern extrem „schief“ verteilt. Die Bundesrepublik Deutschland konnte knapp die Hälfte des absoluten Wirtschaftswachstums (BIP in jeweiligen Preisen) auf sich vereinen. Auf die Nicht Euro-Länder entfielen gut 43 Prozent des Gesamtwachstums. Den verbleibenden Rest mussten sich alle EuroLänder (ohne Deutschland) teilen. Dieses Bild hat sich in 2014, vor allem durch die weitere Erholung nordeuropäischer Länder, gewandelt. Deutschland konnte an seinen Wachstumserfolgen zwar anknüpfen, jedoch entwickelten sich die Nicht-Euro-Länder noch schneller. Über den Zeitraum 2008 bis 2014 entfallen nunmehr auf diese Länder über 48 Prozent des absoluten EUWirtschaftswachstums. Trotz des in Deutschland erzielten Wachstums fiel der deutsche Anteil am Gesamtwachstum der EU gegenüber 2013 von gut 47 auf unter 37 Prozent. Absolut wuchs das deutsche BIP immerhin um gut 101 Mrd. Euro. 2 Wachstum „schief“ verteilt Bis auf Polen waren zunächst alle EU-Länder durch die Finanz- und Wirtschaftskrise mit einem drastischen Einbruch ihrer Wirtschaftsleistung konfrontiert. Die Entwicklung seit 2009 ist jedoch ein objektiver Indikator dafür, dass der Euro-Raum innerhalb der EU mit besonderen Wachstumshemmnissen zu kämpfen hat. Aus dieser Entwicklung wird erkennbar, dass derzeit die dynamischeren Wachstumsprozesse im Nicht-Euro-Raum stattfinden. Südeuropäischen Ländern mit Euro-Währung fehlen dagegen kräftige Wachstumsimpulse und Perspektiven. Der Meinungsstreit, ob die größere Dynamik in Nicht-Euro-Ländern im Vergleich zu den EuroLändern tatsächlich mit der Gemeinschaftswährung zusammenhängt, ist noch nicht beendet. Zumindest im Falle Griechenlands sind viele Wirtschaftsexperten der Meinung, dass der Austritt des Landes aus der Gemeinschaftswährung die Wachstumsperspektiven und die Gesundung der Wirtschaft beflügeln könnte. Ob dies auch Wirtschaftswachstum der EU-Länder in jeweiligen Preisen in Mrd. EUR Quellen: Europäische Kommission, Brüssel und Berechnungen des BGL Veränderung der Wirtschaftsleistung in der EU 2008 – 2014 in Mrd. EUR Quellen: Europäische Kommission, Brüssel und Berechnungen des BGL 3 für die anderen Euro-Mitgliedsländer aus Südeuropa zutreffen könnte, ist zumindest seit der politischen Entscheidung zum Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone derzeit kein Thema. Fest steht, dass der nominale BIP-Anstieg in den EuroLändern (ohne Deutschland) nicht ausreichte, die Kaufkraftverluste auszugleichen. So zeigt der Gesamtvergleich, dass die Wirtschaftsleistung in der EU nominal um 942,8 Mrd. Euro seit 2008 gewachsen ist. Nach Korrektur um die Preisentwicklung verbleibt ein reales Wachstum von äußerst bescheidenen 23,7 Mrd. Euro (ca. zweieinhalb Prozent des Nominalwachstums). Für den Euro-Raum (ohne Deutschland) ist die Bilanz ernüchternd. Für diese Länder gibt es reale Wohlstandsverluste in Höhe von 136,3 Mrd. Euro zu verzeichnen. Deutschland konnte immerhin bei einem nominalen Wachstum von 345,8 Mrd. Euro noch 101,7 Mrd. Euro an realen Zuwächsen verbuchen. Auch die Bilanz der Nicht-Euro-Länder ist relativ zufriedenstellend. Von dem nominalen Zuwachs über 456,4 Mrd. Euro verblieben real 160,0 Mrd. Euro. Diese Zahlen bewegen Euro-Skeptiker, die vor allem in der Entwicklung der letzten beiden Jahre und auch des laufenden Jahres ein Indiz dafür erkennen, dass der Euro die Entwicklungschancen strukturschwacher Volkswirtschaften dämpft, während starke Volkswirtschaften, wie die Bundesrepublik Deutschland, von einer Art „Weichwährungseffekt“ auf den Weltmärkten profitieren. Die vielfach kritisierten Exportüberschüsse der Bundesrepublik Deutschland scheinen diese These zu bestätigen, beantworten aber nicht die Frage, wie die finanzielle Stabilität des EU-Wirtschaftsraums gegenüber anderen Wirtschaftszonen ohne deutsche Exporterfolge zu gewährleisten wäre. Was Ursache und was Wirkung im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Entwicklung der Euro-Länder ist, bleibt umstritten. Während EuroOptimisten im bescheidenen Turnaround der südeuropäischen Länder schon eine Stärkung dieser Volkswirtschaften erkennen, sehen Euro-Skeptiker im zunehmenden Wohlstandsgefälle starke Argumente gegen die Gemeinschaftswährung. Nicht zuletzt galt vor der Einführung des Euro die 4 Erkenntnis, dass eine Gemeinschaftswährung nur dann zu wirtschaftlichen Wohlstandsgewinnen für alle führt, wenn sich die nationalen Volkswirtschaften zumindest im „Gleichschritt“ bewegen und nicht auseinander driften. Die einstmals für den Euro-Beitritt entwickelten Konvergenzkriterien bleiben so gesehen nicht nur für den (politisch motivierten) Start der Gemeinschaftswährung, sondern für den Fortbestand des Währungsraums entscheidend. Die Politik trägt deshalb die Verantwortung dafür, dass die dauerhafte Nichteinhaltung der Konvergenzkriterien und die für einzelne Länder überhastete Euro-Einführung (z. B. Griechenland) eine drastische Schadens bilanz hinterlässt. So beansprucht die Politik das Primat über die Wirtschaft, kann aber dennoch die Eigengesetzlichkeit wirtschaftlicher Abläufe allenfalls verzögern, aber nicht langfristig aufhalten. Der Zusammenbruch des osteuropäischen Wirtschaftsblocks, der mit Staatsdirigismus geführt wurde, müsste allen Politikverantwortlichen noch im Gedächtnis und eine Lehre sein. Arbeitslosenstatistik ernüchternd Zur politischen Schadensbilanz, nicht nur im Euro-Raum sondern des gesamten EU-Wirtschaftsraumes, gibt die Arbeitslosenstatistik drastisches Anschauungsmaterial. Viele Ökonomen sehen darin ein weiteres Symptom der Wirkungszusammenhänge zwischen der Gemeinschaftswährung bei auseinanderstrebenden Wirtschaftskräften. So sind vornehmlich südeuropäische Länder und die von der Finanz- und Wirtschaftskrise besonders geschwächten Länder an der Spitze der Arbeitslosenstatistik zu finden. Griechenland führt mit gut 26 Prozent diese teils trostlose Statistik an. Besonders dramatisch ist der Anteil der Jugendarbeitslosigkeit, der in Griechenland nahe 60 Prozent liegt. Aber auch Länder wie Spanien und Italien haben eine auf Dauer nicht tragbare Arbeitslosenquote, die vor allem die Jugend trifft. Deutschland ist mit einer Arbeitslosenquote von fünf Prozent in einer relativ komfortablen Situation. Die Höhe der Jugendarbeitslosigkeit mit 7,8 Prozent stellt dennoch alles andere als eine befriedigende Größenordnung dar. Dahinter verbirgt sich die hunderttausendfache Arbeits- Allgemeine Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit in Europa Quelle: Eurostat; Luxemburg losigkeit meist schlecht qualifizierter junger Menschen, die ohne Perspektive ein Potenzial für gesellschaftlichen und sozialen Sprengstoff schaffen. Europa braucht deshalb als Ganzes eine Innovations- und Wachstumsstrategie, wenn es sich nicht gänzlich von der weltwirtschaftlichen Entwicklung in anderen Regionen abkoppeln will. Besonders dynamisch entwickelt sich seit Jahren der asiatisch-pazifische Raum. Auch der nordamerikanische Kontinent scheint sich schneller von den Folgen der Wirtschafts krise zu erholen als dies Europa, allen voran die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, zu schaffen vermag. Besonders besorgniserregend sind in diesem Zusammenhang Krisenherde, die über Ländergrenzen hinweg die politisch-geografischen Verhältnisse verändern. Der nicht eingedämmte Konflikt der Russischen Föderation mit den Nato-Staaten bietet nicht nur aus wirtschaft lichen Überlegungen heraus Anlass zur Sorge. Industriestandort Europa auf dem Rückzug Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Europa kann zu einem erheblichen Teil dem Einbruch der Industrieproduktion in wichtigen europä ischen Kernländern zugeschrieben werden. So hat die Industrieproduktion im EU-Raum in Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise einen bedeutenden Einbruch hinnehmen müssen. Von diesem Einbruch konnte sich ein Großteil der EU-Wirtschaft – Deutschland ausgenommen – bislang nicht erholen. Immer noch fehlen ca. 13 Prozentpunkte am früheren Anteil der Industrieproduktion, was erheblichen Einfluss nicht nur auf die schwindenden Arbeitsplätze im industriellen Sektor hat, sondern auch Arbeitsplätze in den davon abhängigen Dienstleistungs- und Handelsbereichen kostet. Insgesamt hat die europäische Wirtschaft einen Großteil ihrer Industrieproduktion im Wettbewerb mit anderen Weltregionen aufgeben müssen. Nur 5 Industrieproduktion im Euroraum von Januar 2004 bis April 2015 (Index 2010 = 100) 115 110 105 100 95 20 20 20 04 M 01 04 M 04 04 M 20 07 04 M 20 10 05 M 20 01 05 M 20 04 05 M 20 07 05 M 20 10 06 M 20 01 06 M 20 04 06 M 20 07 06 M 20 10 07 M 20 01 07 M 20 04 07 M 20 07 07 M 20 10 08 M 20 01 08 M 20 04 08 M 20 07 08 M 20 10 09 M 20 01 09 M 20 04 09 M 20 07 09 M 20 10 10 M 20 01 10 M 20 04 10 M 20 07 10 M 20 10 11 M 20 01 11 M 20 04 11 M 20 07 11 M 20 10 12 M 20 01 12 M 20 04 12 M 20 07 12 M 20 10 13 M 20 01 13 M 20 04 13 M 20 07 13 M 20 10 14 M 20 01 14 M 20 04 14 M 20 07 14 M 20 10 15 M 20 01 15 M 04 90 Quelle: Eurostat, Luxemburg Deutschland belegt noch einen ausgesprochen guten Platz, wie der Industrieanteil am BIP 2014 belegt. Die EU-Staaten als Ganzes liegen mit einem 15,3-prozentigen Industrieanteil am BIP deutlich unterhalb des in Deutschland gehaltenen Stands der Industrieproduktion. Einstmals wichtige Industrienationen wie Frankreich und Großbritannien „dümpeln“ dagegen um die ZehnProzent-Marke. Da sich der Finanzsektor in Großbritannien erholt hat, dämpft der schwache Industrieanteil die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Großbritannien im Augenblick nicht nachhaltig. Allerdings könnte Großbritannien bei einer Neuauflage der Finanzkrise in Bedrängnis kommen. Ähnlich fragil ist die Situation in Deutschland. Die ungewöhnlich hohe Exportorientierung macht den Industriestandort von der globalen wirtschaftlichen Entwicklung und damit unmittelbar auch von der Lage auf den Finanzmärkten abhängig. Ein eindrucksvoller Beleg dieser These ist die Entwicklung der deutschen Warenexportüberschüsse, die im Jahr 2014 den bisher absoluten Höchststand erreichte. 6 Seit dem Jahr 2000 ist der Anteil der deutschen Exporte am Bruttoinlandsprodukt von 28 Prozent auf nahezu 40 Prozent angestiegen. Werden die Warenimporte, von denen die deutsche Wirtschaft ebenfalls stark abhängig ist, hinzugezogen, summiert sich der gesamte Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland auf eine Größenordnung, die über 70 Prozent des BIP entspricht. Der Überschuss, der sich aus den Export- und Importaktivitäten saldiert ergibt (217 Mrd. Euro in 2014), spiegelt so gesehen die extrem hohe Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft von Außenhandelsaktivitäten nur bedingt wider. Dahinter stehen gewaltige und schnell wachsende Warenströme, die ohne eine starke Logistikwirtschaft und Verkehrsinfrastruktur nicht aufrecht zu erhalten sind. Nachhaltige Wachstumsstrategie gesucht Die für den Standort Europa durch die EUKommission und die EU-Gremien geforderten Wachstumspakte sind unverzichtbar für die Industrie-Anteil am BIP 2014 Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden Deutsche Waren-Exportüberschüsse 2000 – 2014 in Mrd. Euro Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 7 Bruttoschuldenstand des Staates in % des BIP Quelle: Eurostat, Luxemburg Entwicklung Ausgaben Kapitaldienst Bundesschuld 2009 – 2019 Quelle: BMF, Berlin 8 Überwindung der Krise. Sie setzen jedoch die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Wirtschaftsraums gegenüber anderen dynamischen Wirtschaftsregionen voraus. Zentraler Punkt der Wachstumsstrategie auf EU-Ebene ist die Energiepolitik, die speziell in Deutschland im Fokus steht. Ziel ist es, die hohe Abhängigkeit von Energieimporten zu senken und Europa auf eine breitere energiewirtschaftliche Basis zu stellen. Der Ausstieg aus der Kohlenstoffwirtschaft in der Energieerzeugung soll dafür nach den Vorgaben des G7-Gipfels bis 2050 geschafft sein. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich ein noch ehrgeizigeres Zwischenziel gesetzt und will mit kapitalintensiven Investitionen bis 2020 40 Prozent der CO²-Emission gegenüber dem Basisjahr 1990 einsparen. Die Kosten der Energiewende und die Belastung der Wirtschaft fallen jetzt schon entsprechend hoch aus. Dies gilt ganz besonders für die hohen Energiepreise, die Europa im Vergleich zu den USA und anderen Wirtschaftsräumen zu zahlen hat. Europa und die Bundesrepublik Deutschland können bei Fortsetzung der derzeitigen Energiepolitik den Wettbewerb um industrielle Standorte nur dann gewinnen, wenn es gelingt, die Kluft zwischen den Energiepreisen mit anderen Weltregionen zu verringern und nicht weiter auseinanderdriften zu lassen. Verliert Europa weitere Teile seiner Kernindustrien, ist das zum Abbau der Arbeitslosigkeit notwendige Wachstum nicht zu schaffen. Da die Energiewende den Standort Deutschland in Europa auf besondere Weise zusätzlich belastet, müssen echte Wachstumsstrategien den Spagat zwischen sauberer und bezahlbarer Energie erst schaffen. (Vgl. Abschnitt, „Klimaschutz und Energiewende“, S. 37 ff) Ein „Perpetuum mobile“ kann es nicht geben, und ein isolierter Alleingang Europas oder der EU dürfte fatale Folgen haben. Staatsdefizite steigen weiter quoten der entwickelten Industriestaaten machen deshalb besorgt. Nahezu alle Staaten haben ihre Bruttoschulden in Prozent des Inlandsprodukts trotz weltweit niedriger Zinsen weiter erhöht. Spitzenreiter in der Staatsverschuldung ist Japan. Die USA übertreffen mit ihrer Verschuldungsquote nach wie vor die Euro-Zone. Nur wenige aktuelle Mitglieder der Euro-Zone erfüllen das Konvergenzkriterium für eine Euro-Mitgliedschaft (60 Prozent Staatsverschuldung in Bezug auf das BIP). Trotz „Schwarzer Null“ im Bundeshaushalt ist auch Deutschland noch weit von diesem Konvergenzkriterium des Euro entfernt, weil kein echter Schuldenabbau in Sicht ist. Wie sehr dabei die Bundesrepublik Deutschland in der Finanzpolitik von der Zinsentwicklung abhängt, zeigt die Entwicklung und Ausgabenplanung des Bundes für den Kapitaldienst (überwiegend Zinsen). Allein durch die Interventionspolitik der Europäischen Zentralbank spart der Bund aktuell gut 15 Mrd. Euro jährlich an Zinsen, so dass sich die „Schwarze Null“ im Bundeshaushalt praktisch automatisch und ohne viel Zutun der Politik zu Lasten der Sparer ergeben hat. Für die Zukunft plant der Finanzminister allerdings wieder höhere Ausgaben für den Kapitaldienst. Dabei kann in den nächsten Jahren keineswegs von einem Sparhaushalt der Bundesrepublik Deutschland gesprochen werden. Immerhin hat der Bund in seiner Ausgabenplanung bis 2018 eine Erhöhung der Bundesausgaben von derzeit rund 302 Mrd. auf 333 Mrd. Euro geplant. Vorgesehen sind ebenfalls kräftige Zusatzeinnahmen durch Steuern in Höhe von etwa 45 Mrd. Euro. Dennoch bleibt eine Deckungslücke von 9 Mrd. Euro zwischen geplanten Ausgaben und Steuereinnahmen, die der Bund aus anderen Quellen schließen muss. Durch die Nutzerfinanzierung im Verkehr und auf anderen Feldern zeichnen sich für den Bürger neue Belastungen ab. (Vgl. Abschnitt, „Fehlender Finanzkreislauf Straße führt Nutzerfinanzierung ad absurdum“, S. 16 ff) Die nicht zu leugnenden wirtschaftlichen Probleme und hohe Arbeitslosigkeit stellen nicht nur die EU-Länder, sondern fast alle entwickelten Staaten der Welt vor schwer lösbare Finanzprobleme. Die ständig weiter steigenden Verschuldungs- 9 Europäische Marktentwicklung zwischen Nachhaltigkeit und Sozial dumping Deutsche Transportlogistik unternehmen im Verdrängungswettbewerb Die immer noch nicht überwundenen Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise hinterlassen speziell auf den Transportmärkten, vor allem im Straßengüterverkehr, tiefe Spuren. Da die Bundesrepublik Deutschland bei der Wirtschaftsleistung die Lokomotivfunktion im europäischen Konjunkturzug übernommen hat, finden spiegelbildliche Prozesse auf den Verkehrsmärkten statt. So folgen die Verkehrsströme stets den Güterströmen, und Deutschland nimmt durch seine Außenhandelsstärke eine dominierende Position in der Nachfrage nach Transportdienstleistungen ein. Fuhrpark- und Transportkapazitäten aus aller Herren Länder werden dadurch angezogen. Der Anteil ausländischer Lastkraftwagen an den Verkehrsleistungen in Deutschland hat demzufolge in den zurückliegenden Jahren stark zugenommen. Deutsche Unternehmen mussten sich aufgrund der Wettbewerbsverhältnisse immer stärker aus den internationalen Verkehrsmärkten zurückziehen. (Vgl. Abschnitt, „Unfaire Geschäftsmodelle fördern Sozialdumping“, S. 14 ff) Gemessen an den tonnenkilometrischen Leistungen auf deutschen Streckenabschnitten nähert sich der Anteil deutscher Unternehmen im grenzüberschreitenden Verkehr der Zehn-Prozent-Marke. Schon bald werden bei Fortschreibung des Trends neun von zehn internationalen Transporten durch gebietsfremde Transporteure abgewickelt. Dies hat nachhaltige Konsequenzen auch für den nationalen Verkehrsmarkt, da im Zuge der Dienstleistungsfreiheit gebietsfremde Transpor teure neben internationalen Transporten in verstärktem Maße Kabotage und genehmigungsfreie Verkehre in Deutschland als lukrative „Zusatzbeschäftigung“ betrachten. 10 Ein äußerst aufschlussreiches Bild zur Verkehrsentwicklung in Deutschland liefert die amtliche Mautstatistik des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG). Daraus ist abzulesen, dass sich die Mautkilometer gegenüber dem Krisenjahr 2009 wieder um gut 3 Mrd. Kilometer erhöht haben. Das erreichte Niveau von rund 28 Mrd. Kilometern liegt dennoch nur 1,3 Prozent über dem Höchstwert des Vorkrisenjahres 2008. Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erweiterten Bundesstraßenmaut ist daraus abzuleiten, dass im Jahr 2014 die bisherigen mautpflichtigen Fahrleistungen auf Bundesautobahnen, vor allem im Fernverkehr, jetzt erst wieder erreicht werden. In diesen Zahlen spiegelt sich nicht zuletzt der relativ schwach entwickelte Warenaustausch mit Südeuropa wider. Dieser war krisenbedingt stark rückläufig, und er hält sich derzeit auf niedrigem Niveau. Echte Verkehrszuwächse gibt es nur mit einzelnen europäischen Ländern zu verzeichnen, wobei die gute Binnenkonjunktur maßgeblich zum Wachstum der Mautkilometer beigetragen hat. Marktumverteilung Die Mautstatistik ist nicht nur in Bezug auf die allgemeine Entwicklung der Transportleistungen im konjunkturellen Umfeld aufschlussreich, sondern sagt auch sehr viel über den inneren Zustand der Verkehrsmärkte. Besonders auffallend sind die ungebrochenen Marktanteilsgewinne der EU-Beitrittsländer sowie die hohen Marktanteilsverluste der EU-15 auf den deutschen Verkehrsmärkten. So stieg der Anteil von Transportunternehmen aus den EU-Beitrittsländern in relativ kurzer Frist von 18,4 Prozent auf 30,4 Prozent aller Mautkilometer. Gleichzeitig fiel der Marktanteil westeuro päischer Transporteure an den Mautkilometern von 12,9 auf 8,3 Prozent. Einen ähnlich drastischen Verlauf nahm der Verfall der Marktanteile deutscher Unternehmen. Deren Anteil an den Mautkilometern fiel seit der Mauteinführung um ca. zehn Prozentpunkte und ist jetzt bei 59 Prozent an allen Mautkilometern in Deutschland angekommen. Die auch im 1. Halbjahr 2015 zu verfolgende Marktumverteilung ist so gesehen typisch für den Verlauf der vergangenen Jahre. Anteile ausländischer und deutscher Lkw am grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr Quellen: Kraftfahrt-Bundesamt, Flensburg; BVU, Freiburg; ITP + Ralf Ratzenberger, München und Berechnungen des BGL Mautkilometer in Deutschland 2005 – 2014 in Mrd. Quelle: Bundesamt für Güterverkehr, Köln 11 Mautkilometeranteile in Deutschland nach Herkunft des Lkw Quellen: Bundesamt für Güterverkehr, Köln und Berechnungen des BGL Veränderung der Mautkilometer* in Deutschland 2015 zu 2014 (1. Hj) nach dem Herkunftsland der Lkw Quellen: Bundesamt für Güterverkehr, Köln und Berechnungen des BGL 12 Veränderung der Mautkilometer* in Deutschland 2015 zu 2014 (1. Hj) nach Lkw-Herkunft (Angaben in 1.000 km) Quellen: Bundesamt für Güterverkehr, Köln und Berechnungen des BGL Anteile an den Mautkilometern* in Deutschland im 1. Halbjahr 2015 nach dem Herkunftsland der Lkw Quellen: Bundesamt für Güterverkehr, Köln und Berechnungen des BGL 13 So stiegen konjunkturbedingt in Deutschland die mautpflichtigen Kilometer auf dem Autobahnen- und Bundesstraßennetz um 2,6 Prozent. Deutsche Unternehmen konnten davon lediglich mit einem Plus von 0,3 Prozent profitieren. Westeuropäische Transportunternehmen verzeichneten wiederum ein Minus von 2,8 Prozent, während Transportunternehmen aus den EU-Beitrittsländern satte 9,7 Prozent zulegen konnten. In absoluten Zahlen stellt sich diese Entwicklung noch eindrucksvoller dar. So erhöhten deutsche Unternehmen ihre mautpflichtigen Fahrleistungen um 22 Mio. Kilometer, während westeuropäische Unternehmen 34 Mio. Mautkilometer weniger in Deutschland erbrachten. Geradezu „raketenhaft“ nahm die Fahrleistung von Transportunternehmen aus den EU-Beitrittsländern mit fast 400 Mio. Kilometern zu. Allein dieser Zuwachs entspricht auf das Jahr hochgerechnet fast drei Prozent der insgesamt erbrachten Mautkilometer. In Fahrzeugeinheiten umgerechnet sind dies arbeitstäglich 10 000 zusätzliche schwere Nutzfahrzeuge, die binnen Jahresfrist auf deutschen Straßen mit Kennzeichen aus den EU-Beitrittsländern unterwegs sind. Die Mautstatistik belegt weiterhin, aus welchen Herkunftsländern mautpflichtige Fahrzeuge stammen. Unangefochten führen diese Statistik polnische Unternehmen mit 13,6 Prozent aller Mautkilometer in Deutschland an. Sie sind damit mittlerweile fast viermal so stark vertreten wie Fahrzeuge niederländischer Unternehmen, die vor dem Beitritt der osteuropäischen EU-Länder die „Fuhrleute Europas“ waren. Selbst tschechische Unternehmen überrunden mittlerweile niederländische Transportunternehmen in der Mautstatistik. Hervorstechend entwickelt haben sich in den zurückliegenden Jahren die Standorte Rumänien, Ungarn, die Slowakei, Litauen und Bulgarien. Erst dann kommen Fahrzeuge mit österreichischem Zulassungsort, die gerade noch 1,2 Prozent der deutschen mautpflichtigen Fahrleistungen erbringen. Einen etwa gleichhohen Anteil haben bulgarische Fahrzeuge bereits in kurzer Zeit erreicht. Unfaire Geschäftsmodelle fördern Sozialdumping Die außerordentlichen Markterfolge von Transportunternehmen mit Herkunftsstandorten aus den EUBeitrittsländern sind keineswegs der rasanten Entwicklung des Güteraustauschs mit diesen Ländern geschuldet. Sofern der Anstieg der Verkehrsleistung mit den mittel- und osteuropäischen EU-Beitrittsländern (MOE-Ländern) ausschlaggebend wäre, ergäbe sich eine deutlich andere Marktanteilsentwicklung. Für diese außerordentliche Entwicklung sind vor allem unfaire Geschäftsmodelle der Grund, die in „Sozialdumping“ ihre ökonomischen Fundamente haben. Das zugrundeliegende Geschäftsmodell ist ebenso simpel wie lukrativ. Ganze Fuhrparkflotten mit westeuropäischen Standorten wurden nicht einmal mehr ausgeflaggt, sondern lediglich umgeflaggt. Westeuropäische Flotten gehören jetzt zu Fuhrparks, die MOE-Länder als Herkunftsstandort haben. Tatsächlich bleiben diese Fahrzeuge jedoch in deutschen Hafenstandorten, Kombibahnhöfen, Binnenschiffsterminals und auch Logistikknoten stationiert. Das Fahrpersonal aus den neuen „Heimatstandorten“ wohnt für Wochen und Monate im Fahrzeug und kehrt nur noch sporadisch nach einer gewissen Aufenthaltsdauer für kurze Zeit in die entsendenden Länder zurück. Der ökonomische Vorteil dieses Geschäftsmodells liegt darin, dass die Fahrer zu den Lohn- und Sozialbedingungen der Entsendeländer beschäftigt werden. Die monatlichen Bruttolöhne liegen je nach Herkunftsland bei einigen hundert Euro. In Verbindung mit Spesenzahlungen kann das Fahrpersonal damit seine Familie im Entsendeland unterhalten und findet eine Beschäftigung. Die „hässliche“ Rückseite der gleichen Medaille zeigt jedoch noch ein anderes Bild. Da die Fahrer auf ihren Fahrzeugen buchstäblich wohnen, verbringen sie ihre Frei- und auch Ruhezeiten auf öffentlichen Rasthöfen, in Häfen und an Logistikstandorten oder der „freien Natur“ unter teils primitivsten Bedingungen. Nicht selten fehlt es an sanitären Einrichtungen, und auch die einfachsten menschlichsten Bedürfnisse bleiben oftmals unerfüllt. Alles in allem ist zu konstatieren, dass diese Lebensumstände nicht dem Selbstverständnis eines sozialverantwortlichen Unternehmertums in Europa entsprechen. Die Arbeitsbedingungen 14 des Fahrpersonals erfüllen nicht die einfachsten Anforderungen an eine humane Arbeitswelt in einem geregelten sozialen Umfeld, das Freunde und Familie einschließt. Billige Beförderungsleistungen für die deutsche Industrie, Handel und Verbraucher werden auf diese Weise durch die katastrophalen Lebensumstände ganzer Fahrerheerscharen erkauft, die in einer Art modernem Nomadentum ihr Leben fristen müssen. Es ist deshalb naheliegend, dass die EU-Kommission wie Gesetzgeber in einzelnen EU-Staaten dieses Phänomen aufgegriffen haben und unterschiedlich zu lösen versuchen. (Vgl. hierzu auch Abschnitte, BGL-Vorschläge zu Neuregelung der Niederlassungsfreiheit, S. 36 ff) Nutzerfinanzierung und Weiterentwicklung der Lkw-Maut in Deutschland Konsequente und faire Nutzer finanzierung bleibt das Ziel Als zu Beginn des Jahrtausends die Pläne zur Einführung einer Lkw-Maut in Deutschland politisch publik wurden und deren Umsetzung anstand, hat sich der BGL frühzeitig zum Grundsatz der Nutzerfinanzierung bekannt. Wie richtig dieses damalige Bekenntnis war und bleibt, zeigt die im vorhergehenden Abschnitt skizzierte Verkehrsentwicklung. Heute werden als Folge der Liberalisierung des Straßengüterverkehrs mehr als 40 Prozent aller mautpflichtigen Kilometer durch Gebietsfremde zurückgelegt. Ohne eine konsequente Nutzerfinanzierung würden die Infrastrukturkosten ausschließlich am heimischen Transport- und Logistikgewerbe bzw. dem Steuerzahler hängenbleiben. Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten deutscher Unternehmen wären dann in den nationalen grenzüberschreitenden Verkehrsmärkten noch intensiver. Der BGL wurde seinerzeit durch Wirtschaftsverbände und auch gewerbeintern für seine Haltung zur Nutzerfinanzierung kritisiert. Dabei musste schon damals auch den Kritikern klar sein, dass die Nutzerfinanzierung nicht nur vor dem Hintergrund der erwarteten Verkehrsentwicklung Sinn macht. Vielmehr bestand und besteht der politische Wille über Parteigrenzen hinweg, die Maut als Finanzierungsinstrument zu entwickeln und teils für verkehrslenkende Maßnahmen zu nutzen. Der BGL konnte damals mit der Politik vereinbaren, dass die Einführung der Nutzerfinanzierung mit einem größtmöglichen Harmonisierungsschritt einhergehen muss. Dies ist 2003 mit einer entsprechenden Senkung der Kfz-Steuer auf europäisches Mindestniveau und dem so genannten Mautharmonisierungsprogramm gelungen. Es ist angesichts der aktuellen Diskussion immer wieder notwendig, auf diese Zusammenhänge zu verweisen, wenn es um eine zielgerichtete und auch faire Nutzerfinanzierung der Infrastruktur in Deutschland geht. Mautharmonisierungsprogramm gerät ins Stocken EU-Gruppenfreistellungsverordnung erzwingt Anpassung Obwohl dem BGL ein größtmöglicher Harmo nisierungsschritt zur Einführung der Lkw-Maut politisch zugesagt wurde, entwickelte sich zunächst die Umsetzung von Harmonisierungsmaßnahmen nur schleppend. Erst unter Verkehrminister Dr. Ramsauer wurde das einstige Versprechen mit Leben erfüllt. Ein Programm zur Förderung der Aus- und Weiterbildung, ein Effizienzsteigerungsprogramm und ein Innovationsprogramm sorgten dafür, dass das Gewerbe einen Ausgleich für mautbedingte Wettbewerbsverzerrungen bekam. Allerdings geben das Haushaltsrecht und das schleppende bürokratische Antragsverfahren immer wieder Anlass zur Kritik. Mautharmonisierungsmittel konnten deshalb nicht abgerufen werden und gingen nach den Regeln der Haushaltsführung dem Gewerbe verloren. Mit der Änderung der EU-Gruppenfreistellungsverordnung im vergangenen Jahr ergab sich eine weitere Zäsur im Mautharmonisierungsprogramm. Einige Fördermaßnahmen mussten aufgrund der europäischen Rechtsetzung gestrichen werden und höhlten so das Weiterbildungsprogramm in seiner Substanz aus. Außerdem konnte das Weiterbildungsprogramm erst im August des Jahres starten, weil die Inkraftsetzung der nationalen Förderrichtlinie aufgrund des geänderten europäischen Rechts auf sich warten ließ. 15 Aushöhlungstendenz Der BGL beobachtet mit Sorge, dass über die Haushaltspolitik das Mautharmonisierungsprogramm in seiner Substanz infrage steht. Dafür verantwortlich zu machen sind unter anderem Haushaltsregeln und auch die vom Bundesrechnungshof zusätzlich geforderten „höheren Anreizwirkungen“ für einzelne Maßnahmen. Der BGL hat einer überzogenen und bürokratischen Betrachtungsweise widersprochen und pocht auf die Einlösung der politischen Harmonisierungszusage. Gleichwohl ist die Überarbeitung der Förderrichtlinien für das kommende Jahr mit vielen Unwägbarkeiten versehen. Zahlreiche Fördermaßnahmen stehen nicht nur bei der Weiterbildung, sondern auch im De-minimis-Programm auf der Kippe. Der BGL hat aus diesem Grund von den Verkehrspolitikern ein starkes politisches Signal und ein eindeutiges Bekenntnis zum Mautharmonisierungsprogramm erbeten. Schließlich dienen die Förderprogramme auch der Glaubwürdigkeit der Politik bei der Umfinanzierung der Infrastruktur von Steuern auf Nutzerentgelte. Um Doppelbelastungen über Steuern und Straßenbenutzungsgebühren zu vermeiden, stehen dem Gewerbe politisch zugesagte Harmonisierungsmaßnahmen zu. Ein politischer Glaubwürdigkeitsbeweis wäre nicht zuletzt deshalb schon notwendig, weil die Einführung der zwischenzeitlich angehaltenen Pkw-Maut ebenfalls von dem viel weitergehenderen Versprechen begleitet ist, deutsche Autofahrer würden durch Nutzergebühren nicht zusätzlich belastet. Die Mautharmonisierung für Nutzfahrzeuge wird zeigen, wie langlebig derartige Zusagen angelegt sind. Falsche Signale an die Adresse der Autofahrer am Beispiel der Nutzfahrzeuge können durch die Bundesregierung nicht gewünscht sein. 16 Fehlender Finanzkreislauf Straße führt Nutzerfinanzierung ad absurdum Mauteinführung – ein Fehlschlag für die Infrastrukturfinanzierung Der entscheidende „Geburtsfehler“ der Lkw-Maut in Deutschland lag und liegt in der fehlenden strengen Mittel-Zweck-Bindung der von Nutzern aufgebrachten Infrastrukturentgelte. So war von Anfang an zwar durch den Gesetzgeber bestimmt worden, dass die Lkw-Maut „überwiegend“ für die Straßeninfrastruktur zusätzlich zu den im Haushalt bereitgestellten Mitteln Verwendung finden soll. Aber schon bald offenbarte sich der „Pferdefuß“ dieser Bestimmung. Unter zusätzlich und überwiegend verstand der Haushaltsgesetzgeber eine Quote von knapp über 50 Prozent der Mautmittel für Straßeninfrastrukturausgaben, während der Rest der Einnahmen zum größten Teil in Schienenprojekte floss und ein kleiner Anteil für Binnenwasserstraßen „abgezweigt“ wurde. Der versprochene Finanzkreislauf Straße war von Anfang an durchbrochen. Noch mehr politische Glaubwürdigkeit ging dadurch verloren, als mit dem Zufluss der Nutzerentgelte die bereitgestellten Haushaltsmittel für den Verkehrsetat in gleich hohem Ausmaß gekürzt wurden. Für die versprochene zusätzliche Infrastrukturfinanzierung blieb nur ein NullSummen-Spiel. Trotz Milliarden Einnahmen durch die Lkw-Maut standen schon im ersten Jahr der Mauteinführung mit 5,26 Mrd. Euro nur geringfügig mehr Bundesmittel für Straßeninvestitionen zur Verfügung als vor der Lkw-Mauteinführung (4,93 Mrd. Euro). Bereits im dritten Jahr nach der Mauteinführung waren die Straßenverkehrsinvestitionen wieder auf das völlig unzureichende Maß des Jahres 2004 zurückgefallen. Ohne krisenbedingte Konjunkturprogramme wären die Haushaltsmittel auf konstant niedrigem Niveau von ca. 5 Mrd. Euro verharrt, obgleich der Bund im Durchschnitt 4,5 Mrd. Euro jährlich aus der Lkw-Maut zusätzlich einnimmt. Die Infrastruktur blieb trotz Lkw-Maut im Zuge der verminderten Ausstattung des Verkehrshaushalts mit Steuermitteln hoffnungslos unterfinanziert. Der stille Substanzverzehr der letzten Jahrzehnte setzte sich in dramatischem Umfang fort. Brückensperrungen Straßen-Verkehrsinvestitionen des Bundes 2004 – 2019 (Ist-Ausgaben und mittelfristige Finanzplanung) Quellen: BMF, Berlin; BMVI, Berlin; Pro Mobilität, Berlin und Berechnungen des BGL für den Schwerverkehr, z. B. bei der Rheinquerung in Leverkusen oder der Rader Hochbrücke, machen allerdings in jüngster Zeit für jedermann deutlich, wohin der schleichende Substanzverzehr der Infrastruktur führt und welch hoher Schaden dem Wirtschafts- und Logistikstandort Deutschland dadurch zugefügt wird. Ohne energisches Gegensteuern mit einer nachhaltigen Erhöhung der Verkehrsinvestitionen zum Ausgleich der unterlassenen Instandhaltungsmaßnahmen sowie des dringlichen Ausbaubedarfs dürfte Deutschland seinen guten Ruf als Wirtschafts- und Logistikstandort schon bald verlieren. Bereits heute müssen Schwerverkehrsund Großraumtransporte, z. B. süddeutscher oder südwestdeutscher Maschinen- und Anlagenbauer, hunderte Kilometer Umwege zu den deutschen Seehäfen in Kauf nehmen. Die deutschen Seehäfen sind aufgrund dieser Infrastrukturdefizite in ihrer Wettbewerbsfähigkeit bedroht. Für viele Großraum- und Schwertransporte bleibt nur noch der Rhein als Binnenschiffsweg zu den Rheinmündungshäfen, um Ex- und Importe per Seeschiff abzuwickeln. Der Aktionsplan Güterverkehr und Logistik, der eine Stärkung der Hafenstandorte vorsieht, hatte deshalb einen besonderen Schwerpunkt auf die Stärkung der deutschen Seehäfen gelegt. (Vgl. Abschnitt, „Aktionsplan Güterverkehr und Logistik wird fortgeschrieben“, S. 48 ff) Ohne solide Finanzierungsgrundlagen bleiben diese gutgemeinten Ziele jedoch unerreichbar. Lkw-Mautweiterentwicklung ein Pokerspiel um Milliarden Angesichts der chronischen Unterfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur wurden in der Koalitionsvereinbarung nach der Bundestagswahl 2013 die Ausweitung der Lkw-Maut und die Einführung einer Pkw-Maut als Zielsetzung bis 2018 aufgenommen. Hintergrund waren die Empfehlungen der Bodewig- und Daehre-Kommissionen, auf deren Grundlage Milliardenbeträge für die Finanzierung der Infrastruktur mobilisiert werden sollten. Insgesamt errechneten die Experten dieser Kommissionen nur für den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur 17 eine Unterdeckung von 7,2 Mrd. Euro jährlich. Gegenstand der Vorschläge aus den Bodewigund Daehre-Kommissionen war deshalb zunächst eine Erhöhung der Nutzerfinanzierung im LkwBereich, der bereits bis zum Ende der Legislaturperiode jährlich ca. drei Mrd. Euro zusätzlich in die Kassen spülen sollte. Darüber hinaus sollte die Pkw-Maut zum Beginn der nächsten Legislaturperiode eingeführt werden und für einen nachhaltigen Defizitausgleich bei der Infrastrukturfinanzierung aller Verkehrsträger bis hin zur Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs sorgen. Zur Umsetzung dieser Vorschläge aus den Expertenkommissionen ist mittlerweile das Gesetzgebungsverfahren zur Lkw-Maut abgeschlossen. So wird die Lkw-Maut bereits im laufenden Jahr auf rund 1 100 Kilometer zusätzliche Bundesstraßen ausgeweitet, Fahrzeuge ab 7,5 t zGG werden zusätzlich in die Mautpflicht einbezogen. Im Jahr 2018 soll die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ausgedehnt werden, wofür bisher weder die kostenrechnerischen Grundlagen geschaffen noch das Gesetzgebungsverfahren begonnen wurden. Die Erhebung einer Pkw-Maut wurde entgegen den Empfehlungen der Expertenkommissionen in dieser Legislaturperiode zunächst darauf beschränkt, dass inländische Kfz-Halter nicht zusätzlich belastet werden dürfen. Nachdem der Bundesverkehrsminister einen diesbezüglichen Gesetzentwurf durch den Bundestag und Bundesrat gebracht hatte, leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Diese sieht in der angeblich einseitigen Belastung von Gebietsfremden eine vertragswidrige Diskriminierung. Daraufhin stoppte der Bundesverkehrsminister zunächst die Umsetzung der Pkw-Maut. Geplante Mehreinnahmen von rund 500 Mio. Euro liegen seitdem auf Eis. Finanzierungskreislauf Straße bleibt Worthülse Bedingt durch die Aussetzung der Pkw-Maut gehen dem Bund in der Nutzerfinanzierung nicht nur Einnahmen verloren. Das gewählte „Entlastungsverfahren“ für deutsche Pkw-Halter bei der Kfz-Steuer beweist, dass der politisch versprochene Finanzkreislauf Straße eine Worthülse bleibt. Vielmehr ist es keineswegs ein Zufall oder Verse- 18 hen, dass der Gesetzgeber zur Einführung der Pkw-Maut an keiner Stelle den Mautbegriff verwendet, sondern die Einführung einer „Infrastrukturabgabe“ beschlossen hat. Insoweit ist es den Verkehrspolitikern lediglich gelungen, gegenüber den Finanzpolitikern einen „Punktsieg“ einzufahren. Zur Herstellung der Belastungsneutralität der Pkw-Maut sollten deutsche Pkw-Halter in der Größenordnung der bisher gezahlten Kraftfahrzeugsteuern eine Infrastrukturabgabe zahlen. (Damit sollte – allerdings ohne Erfolg – gegenüber der EU-Kommission die gleichmäßige Belastung von In- und Ausländern bei der Zahlung der Abgabe dokumentiert werden.) Haushalterisch verzichtet das Finanzministerium auf drei Mrd. Euro zweckgebundene Steuereinnahmen, die zur Finanzierung des allgemeinen Bundeshaushalts nicht mehr zur Verfügung stehen. Dieser „Verzicht“ auf Steuereinnahmen erfolgte jedoch nicht „bedingungslos“. Nach dem Willen des Gesetzgebers war es ohnehin nicht vorgesehen, die von PkwNutzern aufgebrachte Infrastrukturabgabe in einen Finanzkreislauf für Straßeninvestition einzubringen. Drei Mrd. Euro Pkw-Nutzerabgaben sollten nur für die Infrastruktur aller Verkehrsträger zur Verfügung stehen. Dies dokumentiert sich zuallererst in den Ausgabenplänen des Bundes. Darin steigen die Ausgaben für Straßeninvestitionen im kommenden Jahr um ca. eine Mrd. Euro und in 2017 um weitere 380 Mio. Euro. Im Jahr 2019 steht bereits wieder eine Kürzung um eine Mrd. Euro an. Aus dieser Ausgabenplanung wird deutlich, dass der Verkehrshaushalt nach wie vor ein „Verschiebebahnhof“ der Finanzpolitik bleibt, und Nutzerentgelte nach Kassenlage mit Steuermitteln kombiniert werden. Durch die Mautausweitung für Lkw sollten dem Bund im nächsten Jahr gut fünf Mrd. Euro aus der Lkw-Maut und aus der Infrastrukturabgabe für Pkw drei Mrd. Euro zur Verfügung stehen. Trotz der zwischenzeitlich gestoppten Pkw-Maut für Gebietsfremde stehen Gebühren und Abgaben der Straßennutzer von gut 8 bis 8,5 Mrd. Euro zur Verfügung. In der Spitze sieht die Ausgabenplanung jedoch nur den Rückfluss von 6,63 Mrd. Euro im Jahr 2018 in das System Straße vor. Aus dieser Einnahmen- und Ausgabengegenüberstellung lässt sich somit ableiten, dass ca. 1,5 bis 2 Mrd. Euro an geplanten Nutzergebühren nicht in den Nutzerkreislauf Straße zurückfließen. Anlastung externer Kosten Eine weitere Belastungsprobe für das deutsche Transportlogistikgewerbe stellt die Anlastung externer Kosten dar, die ab 01.01.2015 mit einem ersten Aufschlag erfolgt ist. Allen Nutzfahrzeugen wird, unabhängig von der Schadstoffklasse (ausgenommen bleiben zunächst Euro VI-Fahrzeuge), ein Luftverschmutzungsaufschlag in Höhe von 2,1 Cent pro Mautkilometer angelastet. Die externen Luftverschmutzungskosten werden zusätzlich zu den eigentlichen Infrastrukturkosten erhoben und machen jährlich etwa 500 Mio. Euro, ab 2017 ca. 600 Mio. Euro, aus. Dieses Geld steht in keiner direkten Beziehung zur Infrastrukturnutzung, und es gibt auch keinerlei Hinweise darauf, dass es in Projekte investiert werden soll, die zur Senkung der Luftverschmutzungskosten des schweren Nutzfahrzeugs beitragen. Die Anlastung externer Kosten dient somit ausschließlich der Erzielung zusätzlicher Einnahmen, ohne damit höhere Ziele gemäß dem wissenschaftlichen Anspruch aus der Anlastung externer Kosten zu verfolgen. Dem Deutschen Bundestag geht die Anlastung externer Kosten im Lkw-Einsatz allerdings immer noch nicht weit genug. Ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zur Verabschiedung des „Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes“ fordert die Bundesregierung u. a. auf „… sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die nach der Richtlinie 1999/62/EG mögliche Anlastung externer Kosten sowie die Methodik für die Wegekostenrechnung so weit entwickelt werden, dass ein noch höherer Kostendeckungsgrad sowie mehr Stabilität im Hinblick auf die anlastbaren Wegekosten erreicht werden…“ Im Klartext bedeutet dieser Antrag, das Instrument der externen Kosten nur zu Lasten des LkwVerkehrs weiter zu verschärfen. So hatte die vom BGL in Frage gestellte neue Wegekostenrechnung zur Berechnung der Maut ab dem 01.01.2015 ergeben, dass bei einer entsprechenden Öffnung der Europäischen Wegekostenrichtlinie die Luftverschmutzungskosten etwa dreimal höher an- gelastet werden könnten. Dafür wurde tief in die „Trickkiste“ der Kostenrechnung gegriffen. Bis zu siebenmal höhere Kosten für Partikelemissionen soll der Lkw gegenüber anderen Emissionsquellen (z. B. Kraftwerken) tragen, etc. Darüber hinaus plant der Bund die Anlastung von Lärmkosten. Im Umfang des von der EU herausgegebenen Handbuchs zur Abschätzung der externen Kosten bestehen weitere Externalitäten des Straßenverkehrs, die gemäß der gültigen Wegekostenrichtlinie noch nicht angelastet werden dürfen. Ein entsprechender Antrag der Bundesregierung wird deshalb bei der Kommission Gehör finden, die Ähnliches im „Road-Package 2016“ plant. (Vgl. Abschnitt, „Erste Eckpunkte des Road Package 2016“, S. 34 ff) Dabei ist die Berechnung der externen Kosten keineswegs eine wissenschaftlich gesicherte Methode. Je nach Berechnungsverfahren unterscheiden sich wissenschaftliche Schätzungen zur Höhe der externen Kosten um ein Vielfaches. Legt man das Handbuch der EU-Kommission zugrunde, liegt zwischen dem niedrigsten und höchsten Schätzwert einzelner externer Faktoren eine Zehnerpotenz. Einzelne Kostenschätzungen zu den sozialen Kosten des Straßenverkehrs zeigen eine Bandbreite für die Höhe zwischen 130 Mrd. Euro und 38 Mrd. Euro jährlich. Diese Kostenunterschiede ergeben sich nicht nur wissenschaftlich methodisch, sondern auch in Abhängigkeit der Auftraggeber dazu vorliegender Studien, zu denen auch die Schienenverkehrslobby zählt. Wenn sich nunmehr die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gemeinsam mit der SPD-Bundestagsfraktion dafür einsetzt, auf europäischer Ebene die einschlägige Richtlinie in Bezug auf die Anlastung externer Kosten auszuweiten, dokumentiert sich hierin ein Politikwechsel. Die Unionsfraktionen haben offenkundig ihre ablehnende Haltung in dieser Frage aufgegeben und öffnen den Weg, der den Lkw zum Zahlmeister der Verkehrspolitik macht. Je nach Philosophie zur Anlastung externer Kosten könnten mühelos die von den Bodewig- und Daehre-Kommissionen errechneten 7,2 Mrd. Euro Finanzierungsdefizit allein über externe Kosten des Lkw vereinnahmt werden. Nicht zu vergessen ist, dass in den 19 Die sozialen Kosten des Straßenverkehrs: Schätzungen klaffen weit auseinander Quelle: IW, Köln Berechnungen der Kommissionen der Finanzbedarf aller Verkehrträger bis hin zum Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und Schienenpersonennahverkehr (SPNV) enthalten ist. Die derzeit amtierende Bundesregierung würde bei Umsetzung des Entschließungsantrags der Regierungskoalition für zukünftige Regierungen einen Anlastungsrahmen in Europa anregen, der das Nutzer- und Kostenentgeltprinzip völlig auf den Kopf stellt. Dies gilt speziell vor dem Hintergrund, dass der Deutsche Bundestag weiterhin beschlossen hat, den Schienenverkehr durch großzügige Steuersubventionen bei der ureigenen Aufgabe der Verkehrslärmminderung zu unterstützen. Mehrere hundert Mio. Euro stehen hierfür bis 2019 zur Verfügung. Es wird sogar geprüft, nicht nur die Investitionen in leisere Bremssohlen der Waggons staatlich zu fördern, sondern auch die höheren Verschleißkosten, die diese Bremsen verursachen. Von einer Anlastung externer Lärmkosten im Schienenverkehr ist nicht die Rede. Im Gegensatz zur Straße wird dafür der Steuerzahler herangezogen. 20 Das politisch in den Vordergrund gestellte Prinzip der Kostenwahrheit für einen fairen Verkehrsträgerwettbewerb wird durch eine derart „schizophren“ angelegte Verkehrspolitik konterkariert. Wenn es zur Kostenwahrheit gehört, dass den Nutzern alle Kosten angelastet werden müssen, dann darf dieses Prinzip nicht ausschließlich auf den Straßengüterverkehr bezogen werden, sondern muss alle Nutzer gleichermaßen erfassen. In jedem Fall ist das Gleichheitsgebot verletzt, wenn Transportunternehmen für Dinge zur Kasse gebeten werden, die von keinem sonst verlangt werden. Der BGL steht deshalb dem Bestreben der Regierungskoalition, den Rahmen für die Anlastung externer Kosten über eine Änderung der EU-Wegekostenrichtlinie allein für Straßengüterverkehre durchzusetzen, mit Kritik und Ablehnung gegenüber. „Fratzscher-Kommission“ legt Bundeswirtschaftsminister Vorschläge zur Infrastruktur finanzierung vor Keine neuen Aspekte Parallel zu den verkehrspolitischen Anstrengungen, die Nutzerabgaben der Straße vor allem im Güterverkehr anzuheben, beschäftigt sich das Wirtschaftsministerium unter besonderer Anforderung des Ministers mit Vorschlägen zur Finanzierung der Infrastruktur. Dafür wurde die sogenannte „Fratzscher-Kommission“ ins Leben gerufen, die dem Bundesminister für Wirtschaft ihre Vorschläge für eine zukunftsorientierte Finanzierung der Infrastruktur vorlegte. Dabei kam nichts grundsätzlich Neues zu Tage, sondern die zuvor von den Bodewig- und Daehre-Kommissionen ermittelten Finanzierungsdefizite wurden zusätzlich untermauert. Auch die Vorschläge der Pällmann-Kommission, die seit 1999 die Diskussionen beflügeln und die Einführung einer Infrastrukturfinanzierungsgesellschaft einschließen, „feierten fröhliche Urstände“. So kann es den langjährigen Beobachter unterschiedlicher, von der Regierung berufener Kommissionen nicht verwundern, dass die Fratzscher-Kommission eine Unterscheidung zwischen kommunaler Infrastruktur und Infrastruktur auf Bundesebene vorsieht. Bisher ist die Finanzierung der kommunalen Infrastruktur in den Mautkonzepten der Bundesregierung nicht enthalten. Lediglich bei der Fortschreibung der sogenannten Regionalisierungsmittel ist ein entsprechender Milliardenbedarf politisch angemeldet worden. Die Fratzscher-Kommission bezifferte den Investitionsrückstand allein für die kommunale Infrastruktur mit 118 Mrd. Euro. Straße über Nutzerentgelte finanzieren Zur Finanzierung der gewaltigen Aufgabe, Infrastruktur von der kommunalen bis zur Bundesebene durchzufinanzieren, hat die Fratzscher-Kommission bekannte Vorschläge mit einem neuen Anstrich versehen. So ist es kaum überraschend, dass die Straßenfinanzierung überwiegend aus Nutzer entgelten erfolgen soll. Um dies haushaltsunab- hängig einzuplanen, soll eine kapitalmarktfähige Straßeninfrastrukturgesellschaft gegründet werden. Was dabei so einsichtig auf Papier gebracht wurde, erweist sich jedoch als äußerst komplex in der Gesetzespraxis. Schließlich wäre dafür das Grundgesetz zu ändern und die Zeit, die der Regierungskoalition für ein derartiges Vorhaben verbleibt, ist denkbar kurz bemessen. „Pokerspiel“ mit den Ländern zur Verfassungsänderung Auch ist davon auszugehen, dass die Länder, die dieser Grundgesetzänderung zustimmen müssten, ihre Wünsche in Bezug auf die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur mit Nachdruck verfolgen werden. Verbindliche Finanzierungsregelungen zugunsten von Ländern und Kommunen und zu Lasten der Gebührenzahler dürften in das Gesetzespaket eingebracht werden. Das gewohnt heiße Feilschen zwischen Bund und Ländern steht erst noch bevor, weil die Länder den Schlüssel einer diesbezüglichen Verfassungsänderung in den Händen halten und die Zeit knapp bemessen ist. Privates Kapital und Kleinsparer anziehen Ebenfalls nicht neu an den Vorschlägen der Fratzscher-Kommission ist die Mobilisierung privaten Kapitals, um Infrastrukturprojekte kreditfinanziert voranzubringen. Hierzu soll ein öffentlicher Infrastrukturfonds gegründet werden, in den institutionelle Anleger (z. B. Lebensversicherungen) Kapitalanlagen mit einer guten Renditeerwartung tätigen können. In die jeweiligen Infrastrukturfondspakete soll allerdings ein Mix von verschiedenen Infrastrukturprojekten eingehen. Nicht explizit erwähnt, aber mit größter Wahrscheinlichkeit vorgesehen, ist die vermutete Absicht, dass durch den Projekt-Mix ein kalkulatorischer Ausgleich zwischen unterschiedlich lukrativen Investitionsprojekten der Verkehrsträger vorgenommen werden könnte. Letztendlich werden Erinnerungen an notleidende Immobilien fonds der US-Banken geweckt, die durch ihre undurchsichtige Risikostruktur die Finanzkrise im Jahr 2008 auslösten. 21 Neben öffentlichen Infrastrukturfonds soll ein Bürgerfonds eingerichtet werden, der es Kleinanlegern erlaubt, ebenfalls Ersparnisse in höher verzinsliche Infrastrukturprojekte einzubringen. Da ausdrücklich durch die Fratzscher-Kommission eine risikoorientierte Rendite „angesprochen“ wird, würde damit Kleinsparern und Bürgern das Investitionsrisiko von Infrastrukturpaketen in einer für diese nicht durchschaubaren Mischung angedient. Wie auch bei vorhergehenden Gutachten zur Infrastrukturfinanzierung ist davon auszugehen, dass zahlreiche Vorschläge der FratzscherKommission die Diskussion beflügeln, aber den Grad der reinen Umsetzung nicht erreichen. Ob der erneut angeregte Versuch zur Gründung einer kapitalmarktfähigen Straßeninfrastruktur finanzierungsgesellschaft die parlamentarischen Hürden und auch die Verfassungshürde nimmt, ist völlig offen. BGL-gestützte Lkw-Mautklage bremst Lkw-Abzocke Imaginäre Aufwandsposten begründen irreale Begehrlichkeiten Die politische Diskussion um die Anlastung externer Kosten und zur Ausweitung der bisherigen Berechnungsgrundlagen durch die Änderung der europäischen Rechtsetzung belegen, wie wichtig die vom BGL unterstützten Klagen gegen die Mautberechnung in Deutschland sind. Ohne diesbezügliche Musterklagen würden sich die Politik und auch die Administration wesentlich freier bei der Anlastung imaginärer Kostenkomponenten fühlen. So war es jedoch der BGL, der mit den Klagen von drei betroffenen Unternehmen deutlich gemacht hat, mit welchen Methoden in Deutschland Pseudoinfra strukturkosten angelastet werden. Unter dem Stichwort sogenannter Tagesgebrauchtwerte hat sich der Gesetzgeber ein drittes Mal „erlaubt“, Abschreibungen und Zinsen auf der Grundlage einer künstlich aufgeblähten Kapitalbasis zu errechnen. Vereinfacht dargestellt wird zu diesem Zweck die Verkehrsinfrastruktur mit Preisen bewertet, die bei Neubau der Infrastruktur nach 22 modernsten Standards heute gezahlt werden müssten. Um der Altersstruktur der Infrastruktur gerecht zu werden, werden diese aktuellen Neubaupreise lediglich bei der Abschreibung und Verzinsung um einen Betrag gekürzt, der auf der Basis der Restlaufdauer der Infrastrukturinvesti tionen berechnet wird. Dies bedeutet, Nutzer haben Zinsen und Abschreibungsraten auf niemals investiertes Kapital aufzubringen. Da trotz des offenkundigen Instandhaltungsdefizits zusätzlich die vollen rechnerischen, aber nicht tatsächlich aufgewandten Instandhaltungskosten den Nutzern angelastet werden, sind in den Mautsätzen Kosten abgebildet, die für Straßen neuesten Baustandards entstehen und uneingeschränkt gebrauchsfähig sind. Die Realität zeigt allerdings ein ganz anderes Bild. Nicht nur prominente Brückensperrungen über den Rhein oder die Rader Hochbrücke sagen etwas über den maroden Zustand der Infrastruktur in Deutschland aus. Hunderte von Brücken sind für schwere Nutzfahrzeuge gesperrt oder nur noch beschränkt befahrbar. Zu allem Überfluss errechnet sich der Bund auf das vielfach nicht real eingezahlte Kapital und nicht getätigte Instandhaltungsaufwendungen eine üppige Rendite, die die Nutzer zusätzlich als Finanzierungskosten zu tragen haben. Besonders „findig“ wurden die Kosten des Landerwerbs in die Wegekostenrechnung einkalkuliert. Angenommen wurden in der ersten Wegekostenrechnung Rohbaulandpreise, die ein Vielfaches über den Beträgen liegen, die der Bund tatsächlich für den Landerwerb aufgewendet hatte. Für zahlreiche Bundesstraßen und auch Autobahnen liegt der Landerwerb lange Zeit zurück und dürfte für wenige Pfennige pro m² erfolgt sein. Zahlreiche Trassen verlaufen auf alten Römerstraßen und napoleonischen Alleen, so dass die Zugrundelegung von Rohbaulandpreisen für den Landerwerb dieser Straßen und eine hohe Verzinsung kaum noch mit realen Kosten oder Ausgaben in Verbindung gebracht werden können. Auch wenn spätere Wegekostenrechnungen angeblich andere Bewertungsmaßstäbe anwenden, fällt dennoch ins Auge, dass die verrechneten Kosten des Landerwerbs weiter stark angestiegen sind. Prinzipien der EU-Wegekostenrichtlinie umstritten Jahre 1999, 2005 und 2010 beziehen, weisen jeweils drastische Kostensteigerungen in Fünfjahreszeiträumen von bis zu 50 Prozent aus. Da der größte Teil dieser Kosten fiktiver Natur ist, würde mit der Zulassung beliebiger Rechnungsmethoden ein großer Ermessensspielraum geöffnet, der den Lkw neben der Anlastung externer Kosten zum Zahlmeister für alles und jeden macht. Der BGL sieht sich dazu verpflichtet, diese grundlegende und auch existenzbedrohliche Frage nicht den Einnahmenwünschen der Verkehrs- und Finanzpolitiker unterzuordnen, sondern über die Gerichte eine faire Wegekostenanlastung einzufordern. Die EU-Wegekostenrichtlinie lässt die Anrechnung von Bau-, Unterhaltungs- und Ausbaukosten zu, schreibt jedoch keine explizite Berechnungsmethode vor. Daraus hat das Verwaltungsgericht in Köln in erster Instanz das Fazit gezogen, dass der Gesetzgeber in der Berechnungsmethode frei ist, solange diesen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. In Bezug auf das von der Bundesregierung angewandte Rechenmodell mit fiktiven Kosten, die niemals zu Ausgaben führen, hatte das Verwaltungsgericht keine Bedenken. Ein Verstoß gegen die europäische Wegekostenrichtlinie wurde von den Richtern nicht gesehen. Neue Mautsätze 2015 Berufung gegen Kostenwillkür Achszahl als Bemautungsgrundlage nicht nutzungsgerecht Der BGL hat Berufung gegen dieses erstinstanzliche Urteil eingelegt, weil bei Akzeptanz dieser Interpretation der Wegekostenrichtlinie durch das Verwaltungsgericht in Köln eine bis an die Willkürgrenze reichende Kostenanlastung legitimiert werden könnte. In diesem Falle würde jedoch die europäische Wegekostenrichtlinie komplett ihres Inhalts und Zwecks beraubt. Schließlich ist es der Sinn dieser Richtlinie, den EU-Mitgliedsstaaten einen Rahmen vorzugeben, innerhalb dessen sie die jeweilige Höhe der Wegekosten berechnen dürfen, aber nicht darüber hinaus. Wenn dieser Rahmen durch das Verwaltungsgericht in Köln derart weit interpretiert wird, dass nur die verfassungsgemäß gebotene Willkürgrenze eine Bedeutung hat, machte dies die gesamte EU-Wegekostenrichtlinie überflüssig. Der BGL ist der Auffassung, dass durch die zweite Instanz, vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster, grundlegende Fragen der Wegekostenrichtlinie und deren Anwendungspraxis im deutschen Recht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung vorgelegt werden sollten. Falls der EuGH im Sinne des Verwaltungsgerichts in Köln entscheiden würde, dürften die Wegekosten in Deutschland jeweils innerhalb von fünf Jahren geradezu explodieren. Die drei Wegekostenrechnungen, die der Mauterhebung in Deutschland zugrunde liegen und sich auf die 2015 wurden oder werden noch das Verkehrsgewerbe und seine Kunden mit drei Mautänderungen konfrontiert, die tiefgreifend in die Kalkulationsstruktur der Unternehmen – je nach Unternehmensstandorten – eingreifen. Fundamental ist in diesem Zusammenhang die Umstellung der Lkw-Maut auf eine achszahlbezogene Bemautung. Danach muss unabhängig von der Straßenverschleißkomponente die Lkw-Maut nach Zahl der Achsen entrichtet werden. Hierzu hat der Gesetzgeber zwei neue Achskategorien eingeführt, die falsche Investitionsanreize setzen und auch zu einer inkonsistenten Mauterhebung führen. Besondere Betroffenheit besteht für Fahrzeuge mit 7,5 t bis 11,99 t zGM, die zum 01.10.2015 erstmals in die Bemautung einbezogen wurden. Irrational ist in diesem Zusammenhang die untere Gewichtsbegrenzung, die die Mautpflicht ab 7,5 t begründet. Aufgrund des Führerscheinrechts verfügen viele Fahrzeuge über ein zulässiges Gesamtgewicht von 7,49 t und fallen durch die willkürlich gezogene Gewichtsgrenze nicht unter die Mautpflicht. Ebenfalls willkürlich erscheint die Bemautung nicht mautpflichtiger Fahrzeuge nach Achszahl, wenn diese z. B. im Anhängerbetrieb die 7,5 t-Grenze überschreiten. Wird beispielsweise hinter einem zweiachsigen 4,5 t-Fahrzeug ein Anhänger ge- 23 Lkw-Maut ab 01.10.2015 (> − 7,5 t zGM) in Cent/km Mehrbelastung gegenüber 01.01.2015 pro Maut-km Euro V Anzahl der Achsen Maut externe Kosten 2 8,1 3 Fahrzeuge Maut externe Kosten ab 7,5t bis 11,99t zGM ab 12t zGM 2,1 + 10,2 – 4,4 8,1 11,3 2,1 + 13,4 – 1,2 4 11,7 2,1 + 13,8 5 und mehr 13,5 2,1 + 15,6 führt und dabei die Gesamtmasse von 7,5 t überschritten, fällt die Höchstmaut für vier Achsen an. Die zu entrichtende Mauthöhe ist identisch mit der Maut, die ein Fahrzeug mit 38 t Gesamtgewicht und ebenfalls vier Achsen zu entrichten hat. Nicht nutzergerecht ist außerdem die Differenzierung zwischen vier- und fünfachsigen Fahrzeugen, die bei der Lkw-Maut rund 1,8 Cent pro Kilometer ausmacht. Obwohl fünfachsige Fahrzeuge straßenschonender eingesetzt werden können als Vierachsfahrzeuge, die ein zulässiges Gesamtgewicht von 38 t erreichen können, werden vierachsige Kombinationen in der Mautbelastung begünstigt. Nicht konsistent und kostengerecht ist die noch größere Mautdifferenzierung zwischen drei- und vierachsigen Kombinationen. Der BGL ist deshalb der Auffassung, dass die achszahlbezogene Erhebung der Maut willkürlich und praxisfremd ist und grundsätzlich die Beanspruchung der Straßeninfrastruktur nicht nutzergerecht abbildet. Diese Feststellung gilt auch für Fahrzeuge, die mit Liftachse unterwegs sind. Es dürfte nur schwer den Nutzern zu vermitteln und den Gerichten als nicht willkürlich dargestellt werden können, dass im neuen Bemautungssystem eine Achse, die nicht die Fahrbahn berührt, dennoch für die Mautpflicht herangezogen werden kann. Schließlich ist ein Fünfachsfahrzeug mit einer gelifteten Achse bei gleichem Gesamtgewicht 24 Mehrbelastung gegenüber 01.01.2015 pro Maut-km Euro VI Fahrzeuge ab 7,5t bis 11,99t zGM ab 12t zGM 0,0 + 8,1 – 4,4 11,3 0,0 + 11,3 – 1,2 – 1,4 11,7 0,0 + 11,7 – 1,4 + 0,4 13,5 0,0 + 13,5 + 0,4 genauso straßenschonend oder straßenverschleißend wie ein Vierachsfahrzeug. Das gleiche gilt für einen Zweiachsauflieger, wenn dieser im Verhältnis zu einem Einachsauflieger mit gelifteter Achse unterwegs ist. Letztendlich müsste noch beachtet werden, dass vierachsige Fahrzeuge bei voller Auslastung einen deutlich höheren Straßenverschleiß verursachen können als durchschnittlich ausgelastete fünfachsige Fahrzeuge, die die jeweils bewegten Massen auf eine weitere Trägerachse verteilen. Willkürgrenzen überschritten? Alles in allem sieht der BGL unter Berücksich tigung des Lkw-Maut-Urteils des Verwaltungsgerichts in Köln Anlass zur Vermutung, dass die Willkürgrenzen bei der neuen Mautkategorisierung überschritten wurden. Auch der Deutsche Bundestag hat in seinem Entschließungsantrag die Bundesregierung aufgefordert, die jetzt gewählte Bemautung nach Achszahl zukünftig auf eine Bemautung umzustellen, die Achslastgewichte gebührend berücksichtigt. Offensichtlich hat auch der Gesetzgeber Bedenken gehabt, dem vorgelegten Gesetzentwurf uneingeschränkt zuzustimmen. Letztendlich findet sich in der Beschlussempfehlung des Deutschen Bundestags zur Lkw-Maut jedoch auch der „Wink mit dem Zaunpfahl“ an die Lkw-Nutzer. Diese sollen offensichtlich davon abgehalten werden, zum Zweck der Mautersparnis auf Vierachs- oder Dreiachsfahrzeugkombinationen umzurüsten. Grundsätzlich bietet sich der Einsatz von vierachsigen Kombinationen an, wenn 40 t-Gesamtgewichte nicht benötigt werden, und allein durch die Mautdifferenz die Neuanschaffung eines Aufliegers gegenfinanziert werden kann. Im Verbund mit der neuen EU-Gesetzgebung über Maße und Gewichte (vgl. Kapitel „Technik“) ist ohnehin durch Fuhrparkbetreiber eine Neustrukturierung der Fuhrparktechnik zu erwägen. Vor allem bei Teilentladungen kann es zu Achslastüberschreitungen der Antriebsachse kommen, obwohl die zulässige Gesamtmasse bei weitem nicht erreicht ist. Da automatische Melde- und Wiegesysteme nach der neuen EU-Richtlinie vor der Einführung stehen, müssen Fuhrparkbetreiber nach geänderten Fahrzeugkombinationen Ausschau halten. So gesehen könnte schon bald der Zweiachsauflieger zum Fuhrparkstandard in Verbindung mit einer Dreiachssattelzugmaschine oder einer Sattelzugmaschine mit Schleppachse werden. Zukunftsplanungen von Fuhrparkkapazitäten könnten deshalb, trotz der Ankündigung des Gesetzgebers, die Achslasttarifierung bei der Maut wieder in Frage zu stellen, auf Zweiachsauflieger setzen. Sozialpolitik und europäische Rechtsetzung Mindestlohngesetz: Chance gegen Dumpingwettbewerb oder neues Bürokratiemonster? Umstrittene Rolle des Gesetzgebers Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns wird auf einer Skala der kontroversen Meinungsäußerungen zwischen den beiden Polen „soziale Errungenschaft“ und „Bürokratiemonster“ eingestuft. Tatsächlich ist die Historie rund um die Einführung des Mindestlohns in Deutschland kein Ruhmesblatt für den Gesetzgeber und die daran beteiligten Ministerien. Vieles wurde mit heißer Nadel gestrickt. Bei sorgfältiger Planung und Anhörung aller Betroffenen hätten zahlreiche Rechtsunsicherheiten, die sowohl die am Mindestlohn interessierten Arbeitnehmer als auch deren Arbeitgeber betreffen, im Vorfeld geregelt werden können. Wichtige Bestimmungen zur Auftraggeberhaftung und Ahndung von Ordnungswidrig- keiten bleiben nebulös und verwirrend für die Anwendungspraxis. Entscheidende Detailfragen blieben ungeklärt und offenbar ganz bewusst der Auslegung durch die Arbeitsgerichte überlassen. Kernpunkt der Kritik ist, dass die dem Gesetz unterworfenen Bürger nicht die Chance haben, im Gesetz nachzulesen, was wirklich gilt, und was sie tun können, um nicht mit den neuen gesetzlichen Bestimmungen in Konflikt zu geraten. Der eigentliche Ärger rund um den Mindestlohn bezieht sich deshalb nicht auf seine Höhe, sondern gilt den ausufernden Kontroll- und Haftungsrisiken, die Auftraggeber in einer mehrgliedrigen Auftragskette zu tragen haben. Es wurde klar versäumt, mit den betroffenen Branchen eine praxisgerechte Lösung zu entwickeln, die die Einwirkungsmöglichkeiten der Betroffenen in ihrer Eigenschaft als Auftraggeber adäquat abbildet. So hat das Transportlogistikgewerbe in der Praxis unterschiedliche Sendungsgrößen über mehrere Beförderungsstufen und darin erfolgende Umgruppierungs- und Konsolidierungsschritte zu organisieren. Die Abwicklung dazugehörender Haupt-, Vor- und Nachläufe sowie Umschlagsvorgänge erfolgt sowohl mit eigenen Fahrzeugen als auch mit Subunternehmern in komplexen Auftragsketten. Im Tagesgeschäft ist dafür größte Flexibilität in der Disposition der verfügbaren Transportkapazitäten und den Beförderungsaufträgen unabdingbar. Je nach Auftragsgröße, die vom Paket bis hin zur Ganzladung reicht, ergibt sich tagtäglich ein millionenfaches Massengeschäft, das in das Gefüge des Mindestlohns „eingepasst“ werden muss. Die Anforderungen des Gesetzgebers in Bezug auf eine ausufernde Bürgenhaftung in Verbund mit dem angedrohten Bußgeldrahmen werden der Komplexität dieser Leistungsbeziehungen nicht gerecht und schaffen unangemessene bürokratische Hürden. Die Kritik des Gewerbes am fehlenden Praxisbezug richtet sich dabei keineswegs nur gegen die Fachministerien, die für die Formulierung praktisch nicht durchführbarer Anwendungs- und hoher Bußgeldvorschriften in großer Verantwortung stehen. Auch der Gesetzgeber selbst muss sich Kritik gefallen lassen. So wird den Volksvertretern vorgehalten, sie lebten weit weg von der Wirklichkeit. Tatsache ist, dass dem Parlament nur wenige Tage zur Prüfung nach der Anhörung eines hand- 25 verlesenen Kreises „bestellter Experten“ blieb, um das Gesetz mit minimalen Veränderungen zu verabschieden. Ungewöhnlich erscheint auch die Rolle der Bundesländer bei der „Durchwinkaktion“ des Gesetzes. Sie verzichteten auf die ihnen zustehenden Beratungsfristen und gaben das Gesetz innerhalb einer Woche zur Anwendung frei. BGL sieht „Reparaturbedarf“ und Chancen Angesichts der mit der Mautentwicklung zu beobachtenden Dumpingpraktiken in den Verkehrsmärkten hat der BGL trotz aller handwerklichen Mängel im Gesetzgebungsverfahren die Chancen der Mindestlohnregelung in Deutschland von Anfang an unterstrichen. (Vgl. Abschnitt, „Unfaire Geschäftsmodelle fördern Sozialdumping“, S. 14 ff) Fundamentalkritik an der Einführung eines Mindestlohns, den viele europäische Länder längst kennen, war deshalb nicht angebracht. Vielmehr geht es in der gewerbepolitischen Bewertung darum, die Chancen, die das Mindestlohngesetz bietet, gegen den funktionslosen Wettbewerb mit Dumpingpersonal auf deutschen Straßen zu nutzen. Gut 40 Prozent des mautpflichtigen Straßengüterverkehrs in Deutschland werden von Gebietsfremden erbracht, und es ist die feste Überzeugung der BGL-Gremien, dass die Umflaggung von Fuhrparks, die von deutschen Standorten aus operieren und disponiert werden, zu beenden ist. Eine nähere Betrachtung der Einsatzmuster dürfte in vielen Fällen bereits zu der Erkenntnis führen, dass das dort eingesetzte Fahrpersonal die 183-Tage-Regelung des Sozialund Steuerrechts nicht erfüllt. Vielfach ist das auf umgeflaggten Fahrzeugen eingesetzte Personal in Deutschland steuer- und sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Diese bisher nicht kontrollierte Einsatzpraxis kann durch die Dokumentationspflichten im Rahmen der Mindestlohnvorschriften aufgedeckt werden. Bei entsprechender Ausgestaltung der Kontroll- und Aufzeichnungspflichten hätte dies Auswirkungen auf bestimmte Geschäftsmodelle, die gebietsfremdes Personal und Fuhrparks in Deutschland zu niedrigeren Lohn- und Arbeitskosten der Heimatländer stationieren. Der Mindestlohn könnte so gesehen ein Stück Chancengleichheit für Transportlogistikunternehmen mit Standort Deutschland gegenüber gebietsfremden Transporteuren schaffen. 26 Konstruktiver Dialog angestoßen Da die Anwendung des Mindestlohngesetzes wegen der fehlenden Ausrichtung auf branchenspezifische Besonderheiten viele Fragen offen ließ, hat sich der BGL in einem konstruktiven Dialog zunächst mit einem Katalog offener Probleme an das Arbeitsministerium und das Parlament gewandt. Unbestreitbar gelingt die Einführung des Mindestlohns im Transportlogistiksektor nur dann wirkungsvoll, wenn dieser auf den grenzüberschreitenden Verkehr sowie Kabotagetransporte und freigestellte innerdeutsche Verkehre Anwendung findet. Hierzu bedarf es eines unbürokratischen Kontroll- und Meldeverfahrens für alle gebietsfremden Transporteure. Von Beginn der Diskussion an hat der BGL in Schreiben an die Bundesregierung und Stellungnahmen gegenüber dem Parlament seine Haltung unterstrichen, dass der Mindestlohn für alle gebietsfremden Arbeitnehmer auch im grenzüberschreitenden Verkehr Geltung haben muss, wenn es nicht zu weitaus gravierenderen Wettbewerbsverzerrungen kommen soll als bisher. Die Einbeziehung von Transitverkehren wurde durch den BGL allerdings hinterfragt, weil bei diesen Verkehren sowohl der Auftraggeber als auch der Empfänger nicht in Deutschland ansässig ist. Eine Klage von betroffenen Fahrern auf Zahlung des deutschen Mindestlohns müsste mangels eines deutschen Anspruchgegners mit großer Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben. Schließlich ist nicht zu erwarten, dass deutsche Arbeitsgerichte mit erfolgversprechendem Vollstreckungstitel im Ausland ansässige Auftraggeber und Warenempfänger zur Zahlung des Mindestlohns veranlassen könnten. Melde- und Kontrollverfahren verbessern Das Bekenntnis des BGL zur Anwendung des Mindestlohns im grenzüberschreitenden Verkehr erfolgte jedoch nicht vorbehaltlos, sondern setzt auf die Erledigung offen gebliebenen Regelungsbedarfs. Hierzu zählen vor allem Meldeund Kontrollverfahren zur Durchsetzung des Mindestlohns gegenüber gebietsfremden Transportunternehmen. Derzeit haben gebietsfremde Trans- porteure nur halbjährlich einen Einsatzplan per Telefax dem deutschen Zoll zu übermitteln. Da eine Korrektur des Einsatzplans während der Laufzeit nicht vorgeschrieben ist, reicht es aus, ein einziges Fahrzeug und einen Fahrer für grenzüberschreitende Transporte in Deutschland anzumelden, um der gesetzlichen Meldepflicht Genüge zu tun. Der BGL hat diese unzureichende Praxis kritisiert und angeregt, ein zeitgemäßes Online-Meldeverfahren einzurichten, über das alle gebietsfremden Transportunternehmen ihre jeweiligen Transporte mit Kfz-Kennzeichen und dem eingesetzten Personal anmelden. Der bürokratische Aufwand hierfür ist den Betroffenen zuzumuten und ermöglicht es der Finanzkontrolle, durchgängig festzustellen, welche Fahrer überwiegend in Verkehren von und nach Deutschland sowie im innerdeutschen Verkehr eingesetzt werden und nicht nur dem Mindestlohn, sondern gegebenenfalls der Lohnsteuer- und auch der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Durch wirksame Unterwegskontrollen, die beispielsweise auch vom BAG unterstützt werden könnten, ist der Meldepflicht Nachdruck zu verleihen. Der dafür vorgesehene Bußgeldrahmen ist hinreichend und könnte bei groben Verstößen um die Androhung von Fahrzeugstilllegungen verschärft werden. Allerdings droht eine „Durchlöcherung“ der geregelten Meldepflicht durch die Absenkung der Monatsverdienstschwelle, die den Dokumentations- und Meldepflichten zugrunde liegt. (Vgl. Abschnitt, „Schwellenwert für Aufzeichnungspflichten“, S. 29) Der BGL hat die damit verbundenen Kontrolllücken gegenüber gebietsfremden Transporteuren dargestellt und eine Regelung verlangt, die Kontrollen nicht ins Leere laufen lässt. Bürgenhaftung rechtssicher und praxisgerecht gestalten Ein weiterer Schwerpunkt der BGL-Forderungen gegenüber den zuständigen Ministerien und dem Gesetzgeber ist die Klarstellung zur Bürgenhaftung. Bisher ist nicht ersichtlich, wie ein Auftraggeber seiner Kontrollpflicht bei Nachunternehmern (Subunternehmen) rechtssicher nachkommen könnte, um Haftungs- und Bußgeldregelungen auszuschließen. Der Gesetzgeber mutet hingegen dem Auftraggeber Kontrollpflichten zu, ohne diesem Kontrollinstrumente an die Hand geben zu können, die eine adäquate praktische Handhabung ermöglichen. Auftraggeber und Subunternehmen unterliegen aus gutem Grund Datenschutzbestimmungen auch bei Mindestlohnvorschriften. Grundsätzlich ist einem Subunternehmen aus Kundenschutzgründen nicht zuzumuten, gegenüber Auftraggebern die gesamten Einsatzdaten und damit verbundene Kundenbeziehungen offenzulegen. Die von zahlreichen größeren Konzernspeditionen von Subunternehmen eingeforderten Nachweise zur Zahlung des Mindestlohns gehen nach Ansicht des BGL in diesem Zusammenhang zu weit. Sie sind mit Datenschutzbestimmungen nicht vereinbar. Klärungsbedarf besteht weiterhin, ob der Urverlader (z. B. Produzent, Versender) der Bürgenhaftung des Mindestlohngesetzes unterliegt. Widersprüchlichkeiten im Gesetzgebungsverfahren selbst und daraus abzuleitende Konsequenzen höchstrichterlicher Entscheidungen schaffen derzeit einen rechtsfreien Raum, der vorzugsweise durch den Gesetzgeber geschlossen werden sollte. Werden daran anknüpfende Rechtsfragen allein den Gerichten überlassen, dürfte jahrelange Rechtsunsicherheit sowohl bei den Auftragnehmern als auch bei den vom Gesetz begünstigten Arbeitnehmern fortbestehen. Wesentliche Einwände des BGL bezogen sich letztendlich auf die Aufzeichnungspflichten, die für alle Arbeitnehmer gelten, die weniger als 2 958 Euro im Monat verdienen. Angesichts der Höhe des Mindestlohns und der maximal nach EU-Sozialvorschriften möglichen Arbeitszeiten kann der Mindestlohn eine Schwelle von 2 210 Euro nicht überschreiten. Dieser Einsicht hat der Verordnungsgeber nicht zuletzt durch das zwischenzeitlich von der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren Rechnung getragen und den Schwellenwert auf 2 000 Euro herabgesetzt (s. S. 30). 27 Bußgeldregelung transparenter machen Kritisch sieht der BGL in seiner Stellungnahme außerdem die Überwälzung von Bußgeldern durch zivilrechtliche Vereinbarungen von Auftraggebern auf Subunternehmer und Vertragspartner. Diesbezügliche Regelungen dürften sittenwidrig und damit nichtig sein. In diesem Punkt wurden der Gesetzgeber und auch das Ministerium gebeten, für Klarheit zu sorgen. Familienangehörige von Mindestlohnaufzeichnungen auszunehmen Weiteren Korrekturbedarf hatte der BGL gegenüber der Arbeits- und Sozialministerin angemahnt, wenn Familienangehörige ersten Grades im Unternehmen beschäftigt werden. Diese sollten nach Ansicht des BGL von den Dokumentationspflichten des Mindestlohngesetzes ausgenommen werden. Auch diesem Vorschlag ist der Verordnungsgeber gefolgt (s. S. 31). Positiv im Sinne des deutschen Transportlogistikgewerbes ist bislang die Detailfrage geklärt, ob Tachografenaufzeichnungen zur Dokumentation der Arbeitszeiten ausreichen. Dies wurde klar bejaht, wobei die Problematik der Bereitschaftszeiten einen besonderen Schwerpunkt bildet. EU-Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren ein Handlungsbedarf Das von der EU eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren und die heftige Resonanz der Wirtschaft auf das Mindestlohngesetz lösten Dialogbereitschaft und Problemlösungsbewusstsein in den betroffenen Bundesministerien aus. Branchenbezogene Hearings im Arbeitsministerium unter Leitung des beamteten Staatssekretärs sorgten dafür, dass die Probleme der Praxis Gehör fanden. So hat auch das EU-Vertragsverletzungsverfahren zum Teil Fragen aufgeworfen, die vom BGL bereits kritisch gestellt wurden. 28 Anwendung des Entsendegesetzes bestätigt Das von der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wurde anfangs in der Praxis missdeutet, die EU-Kommission könnte die Anwendung des Mindestlohns im grenzüberschreitenden Verkehr untersagen. Tatsache ist, dass die EU-Kommission die Einführung des Mindestlohns in Deutschland unterstützt, aber seine Anwendung auf „bestimmte grenzüberschreitende Beförderungsleistungen“ für nicht angemessen hält. Im Kern geht es bei dem Anliegen der EU-Kommission darum, bei der Behandlung grenzüberschreitender Beförderungsleistungen unverhältnismäßige Verwaltungsbürokratie erst gar nicht entstehen zu lassen. Dazu ist eine Abwägung der unterschiedlichen Interessen und Rechtsgüter vorzunehmen. Nach den Darlegungen der EU-Kommission stehen Arbeitnehmerrechte gleichrangig neben der Freiheit des Warenverkehrs und der Dienstleistungsfreiheit. Zur Abwägung der Rechtsgüter ist die EU-Kommission der Auffassung, dass die Anwendung des Mindestlohns auf „bestimmte grenzüberschreitende Beförderungsleistungen“ den vertraglichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland entgegensteht. Transitverkehre Zu diesen Verkehren gehören ohne Einschränkung Transitverkehre, weil die Kriterien der Entsenderichtlinie nicht erfüllt sind und keine Dienstleistungen auf deutschem Hoheitsgebiet erbracht werden. Die EU-Kommission bestätigt damit einen vom BGL von Anfang an eingebrachten Vorbehalt. „Bestimmte grenzüberschreitende Beförderungsleistungen“ Darüber hinaus grenzt die EU-Kommission „bestimmte grenzüberschreitende Beförderungsleistungen“ von der Anwendung des Mindestlohns aus, sofern weniger als zehn Prozent der Leistungen eines Fahrzeugumlaufs im grenzüberschreitenden Verkehr in Deutschland erbracht werden. Offenbar erkennt die EU-Kommission in diesem Schwellenwert eine angemessene Abwä- gung der Arbeitnehmerinteressen auf Zahlung des Mindestlohns einerseits und der Sicherstellung der Freiheit des Warenverkehrs sowie der Dienstleistungsfreiheit andererseits. Die EU-Kommission stellte allerdings in Pressekommentaren klar, dass diese Grenze als „Versuchsballon“ einzuschätzen sei. Letztendlich ist nicht absehbar, ob der Europäische Gerichtshof (EuGH) dieser Abwägung folgt. Er allein hat über die Auslegung der Verträge und die dazu niedergelegte Rechtsetzung zu befinden. So ist keineswegs sicher, ob die Zehn-Prozent-Grenze durch den EuGH in ihrer absoluten Höhe bestätigt würde. Denkbar ist, dass bei einer Klage vor dem EuGH höhere oder niedrigere Schwellenwerte bis hin zu ganz anderen Kriterien einer Abwägungsentscheidung des Gerichts zugrunde gelegt werden. Schwellenwert für Aufzeichnungspflichten Einen weiteren Vertragsverstoß sah die EUKommission in dem vom deutschen Gesetzgeber zunächst festgesetzten Schwellenwert in Höhe von 2 958 Euro Monatsverdienst, der von Meldeund Dokumentationspflichten befreit. Wie der BGL von Anfang an unter Berücksichtigung der Schicht- und Arbeitszeiten im Straßentransport argumentiert hatte, sind derartige Spitzenwerte nicht erreichbar und so gesehen einer „Überbürokratisierung“ geschuldet. Die jetzt umgesetzte Absenkung der Schwellenwerte bedarf in Bezug auf gebietsfremde Transportunternehmen einer Ergänzung, um Kontrollen nicht ins Leere laufen zu lassen und Missbrauch zu verhindern. Bußgeldhöhe In der Kritik des Vertragsverletzungsverfahrens steht seitens der EU-Kommission als weiteres die Bußgeldhöhe. Diese sei unverhältnismäßig im Vergleich zu anderen, ebenfalls im Straßenverkehr mit Bußgeld bewehrten Tatbeständen. Zum Vergleich zieht die EU-Kommission den Bußgeldrahmen für die Überschreitung der sechstägigen und vierzehntägigen Höchstlenkzeit um 25 Prozent oder mehr heran. Von derartigen Verstößen gingen unmittelbar erhebliche Gefährdungen für die Gesundheit und Sicherheit der Fahrer aus. Die Bußgeldhöhe beziffere sich jedoch in Deutschland auf lediglich 15 000 Euro. Eine Bußgeldhöhe von 30 000 Euro für die Nichteinhaltung der Meldepflicht und 500 000 Euro für die Nichtzahlung des Mindestlohns erachtet die EU-Kommission daher als unverhältnismäßig. Keine unüberwindbaren Hürden Die EU-Kommission hat mit ihrer Kritik am deutschen Mindestlohngesetz keine unüberwindlichen Hürden für eine EU-konforme Regelung geschaffen. Der Bundesregierung wurde eine Frist von zwei Monaten gesetzt, auf die vorgetragenen Kritikpunkte zu erwidern und gegebenenfalls Korrekturen des Gesetzes oder der Verordnungen einzuleiten. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieses Jahresberichts war noch nicht bekannt, welche konkreten Änderungsvorschläge umgesetzt werden können, um gegebenenfalls das Mindestlohngesetz vertragskonform zu machen, damit ein Gang vor den EuGH unterbleibt. Arbeitsministerium nimmt Kritikpunkte ernst Bestandsaufnahme Nicht zuletzt aufgrund des Vertragsverletzungsverfahrens und der zahlreichen Interventionen der Wirtschaft legte das Arbeitsministerium im Juli eine Bestandsaufnahme zu den Mindestlohnvorschriften vor. Darin werden Änderungen der Verwaltungspraxis und gegebenenfalls der einschlägigen Verordnungen angekündigt. Eine Gesetzesänderung, die allein grundsätzlich die Bürgenhaftungskette und Bußgeldvorschriften hätte ändern können, wird allerdings nicht erwogen. Dennoch stellt das Arbeitsministerium gewisse Erleichterungen bei der Anwendung der Bußgeldvorschriften über einen „eingeschränkten Unternehmerbegriff“ in Aussicht. Demnach soll die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit des Urverladers (Produzent/Händler/Verkäufer) für ganz bestimmte, aus Sicht des BGL konstruierte Fälle, „eingeschränkt“ werden. Die Transportkettenhaftung für Spediteure und Transportlogistikunternehmen dürfte davon nicht berührt sein. 29 BGL-Position Aufzeichnungspflichten Der BGL hat stets in diesem Zusammenhang die Forderung gegenüber Politik und Administration vertreten, dass bußgeldrechtliche Verantwortlichkeiten des Auftraggebers auf den jeweils unmittelbaren Vertragspartner beschränkt werden sollten, weil nur auf diesen direkt eingewirkt werden kann. Der Fahrlässigkeitsvorwurf für die Verhängung von Bußgeldern ist nach Meinung des BGL auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen nicht ausgeschlossen wurde, dass der beauftragte Subunternehmer nicht selbst tätig wird und sich weiterer Subunternehmen bedienen darf, ohne dass diese durch geeignete Maßnahmen zur Einhaltung der Mindestlohnbedingungen verpflichtet werden. Nach Auffassung des BGL sind alle weitergehenden Kontrollpflichten aufgrund der begrenzten Kontrollbefugnisse zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern im Logistiksektor überzogen und mit Daten- und Kundenschutzaspekten nicht zu vereinbaren. Der Bestandsaufnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) war weiterhin zu entnehmen, dass die Einkommensschwelle für den Entfall der Dokumentationspflichten zur Arbeitszeit von 2 958 Euro auf 2 000 Euro gesenkt werden sollte, sofern das hieraus errechnete Nettoentgelt für 12 Monate regelmäßig ausgezahlt wurde. Damit kommt das BMAS einer Forderung des BGL und der Wirtschaft nach. Motiviert dürfte diese geänderte Haltung des BMAS allerdings durch das Vertragsverletzungsverfahren der EUKommission sein. In Bezug auf damit entfallende Meldepflichten sieht der BGL Handlungsbedarf des Verordnungsgebers. Ohne entsprechende Meldepflichten sind Verstöße gegen das Steuerund Sozialversicherungsrecht kaum feststellbar. Es besteht nach wie vor die Erwartung, dass der Verordnungsgeber eine klare Handlungsanweisung gibt, was getan werden muss, um nicht in die „Bußgeldfalle“ einer ausufernden Ordnungswidrigkeitenkette in der Transport abwicklung zu laufen. Versicherungslösung Soweit es die zivilrechtliche Bürgenhaftung betrifft, hat der BGL gemeinsam mit der KRAVAG eine Versicherungslösung entwickelt, die den betroffenen Unternehmen Rechtschutz und Kalkulationssicherheit bei zivilrechtlichen Mindestlohnansprüchen durch betriebsfremdes Personal gewährt. Da Mindestlohnansprüche erst nach drei Jahren verjähren, könnten trotz der vom BGL empfohlenen Vereinbarung zur Durchsetzung des Mindestlohns bei Auftragnehmern erhebliche Nettolohnansprüche von Drittpersonal geltend gemacht werden. Mittelständische Unternehmen könnten bei hohen Bürgenhaftungssummen ohne adäquaten Versicherungsschutz in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet sein. 30 Familienangehörige sollen von Aufzeichnungspflichten ausgenommen werden Ebenfalls erfolgreich war der BGL mit seiner Forderung, mitarbeitende Familienangehörige von der Aufzeichnungspflicht auszunehmen. Von der angekündigten Regelung betroffen sind Ehegatten, Lebenspartner, Kinder und Eltern des Arbeitgebers. Kontrollkompetenzen Ebenfalls neu ist die Haltung des BMAS, dass Aufzeichnungen von Überstunden nach dem Arbeitszeitgesetz nicht mehr durch den Zoll (Finanzkontrolle Schwarzarbeit) kontrolliert werden sollen. Die bislang zuständigen Arbeitsschutzbehörden werden diese Aufgabe weiterhin erfüllen. Grenzüberschreitende Verkehre bleiben „Baustelle“ Soweit Fragen des grenzüberschreitenden Verkehrs aus dem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission betroffen sind, hielt sich das Arbeitsministerium bis zum Redaktionsschluss bedeckt. Lediglich Transitverkehre bleiben von der Kontrolle und Ahndung der Mindestlohnvor- schriften weiterhin ausgesetzt. Im Umkehrschluss folgt allerdings daraus, dass grenzüberschreitende und innerdeutsche Transporte durch Gebietsfremde mindestlohnpflichtig sind und bleiben und auch den entsprechenden Kontroll- und Ahndungsmaßnahmen ausgesetzt sind. Einen „Risikofaktor“ stellen abgesenkte Schwellenwerte für Dokumentations- und Meldepflichten dar, die geänderte spezifische Kontrollmöglichkeiten voraussetzen, um Missbrauch auszuschließen. Überzogene Aufzeichnungs pflichten zur Fahrpersonalverordnung erschaffen weiteres Bürokratiemonster Ländervorstoß Während das Transportlogistikgewerbe noch mit den Folgen und den Kontroll- und Aufzeichnungspflichten des Mindestlohngesetzes intensiv beschäftigt war, holte die Verwaltung zu einem weiteren „Schlag“ aus. Dafür genügte eine „einfache“ Änderung der Fahrpersonalverordnung, zu der nur die Zustimmung der Länder und nicht des Parlaments erforderlich war. Der Bundesrat verabschiedete auf Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen eine verschärfte Fahrpersonalverordnung und ließ Bundesminister Dobrindt kaum eine Wahl, seine Unterschrift unter das Bürokratiemonster zu verweigern. Nach der neuen Bestimmung muss sich jeder Auftraggeber vor Vertragsabschluss und während der Vertragslaufzeit vergewissern und darauf hinwirken, dass das beauftragte Verkehrsunternehmen die EU-weit vorgegebenen Lenk- und Ruhezeiten einhält. Diese Regelung, die, ähnlich wie die Mindestlohnbestimmungen, in der Praxis ohne Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen nicht einzuhalten ist, kann seriös im Transportlogistikgewerbe nicht umgesetzt werden. Dennoch drohen hohe Bußgelder für Auftraggeber, wenn sie gegen diese veränderten Verordnungsbestimmungen verstoßen. Nach der monströsen Haftungskette im Mindestlohngesetz wird das Verkehrsgewerbe ein weiteres Mal mit einer neuen unlösbaren Aufgabe verpflichtend konfrontiert. Dilemma Sofern der für die Verordnung zuständige Bundesminister für Verkehr seine Unterschrift verweigert hätte, wäre die Bußgeld-Grundlage für Verstöße gegen Lenk- und Ruhezeiten außer Kraft gesetzt worden. Dieses „Risiko“ wurde jedoch im politischen Umfeld für nicht vertretbar erachtet. So erhielt die neue Verordnung die Unterschrift des Verkehrsministers, der jedoch anordnete, mit den Ländern gemeinsam in einen Erfahrungsaustausch zu treten. Hiermit ist der Prüfungsauftrag verbunden, welche Änderungen sich für die Kontrollpraxis ergeben. Danach soll entschieden werden, ob erneuter Anpassungsbedarf für die Fahrpersonalverordnung besteht. Unabhängig von diesem politischen Signal hält der BGL an seiner Auffassung fest, dass die neu gefasste Verordnung nicht von der Gesetzeslage gedeckt sein könnte und die Gerichte möglicherweise ihre Nichtigkeit feststellen. Der BGL sieht jedenfalls den vom Gesetzgeber eingeräumten Regelungsrahmen deutlich durch den Verordnungsgeber überschritten. Kein Auftraggeber verfügt nur annähernd über die Kompetenzen einer Kontrollbehörde, um den neuen Verpflichtungen des Verordnungsgebers nachzukommen. Der BGL erwartet, dass das neu erschaffene Bürokratiemonster eine weitere Welle von Freizeichnungserklärungen der Auftraggeber auslösen wird. Diese können in ihrer rechtlichen Substanz und Reichweite allerdings nur eine fragwürdige Sicherheit gegen behördliche Sanktionen schaffen. 31 Europäische Verkehrspolitik im Zugzwang Politische Brennpunkte Die europäische Verkehrspolitik ist nach der Europawahl und der Neubesetzung der EU-Kommission „in die Gänge“ gekommen. Allerdings ist das neue „Road Package“ seitens der EUKommission erst für das Jahr 2016 angekündigt worden. Dabei steht die europäische Verkehrspolitik durch die Entwicklung auf den Verkehrsmärkten vor schwerwiegenden Problemen und Handlungsbedarf. So ist das vielfach in Europa kritisierte „Sozialdumping“ nicht nur in Deutschland auf dem Vormarsch. (Vgl. Abschnitt, „BGLVorschläge zur Neuregelung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit“, S. 36 ff) Stark betroffen sind Länder wie Frankreich, Belgien und die Niederlande, in denen „umgeflaggte“ Flotten aus den EU-Beitrittsländern mit niedrigen Lohn- und Sozialstandards und sozial unverträglichen Arbeitsbedingungen für das eingesetzte Fahrpersonal in den Märkten auftreten. Als erstes Land reagierte Belgien durch eine veränderte Kontrollpraxis und ahndet „inflagranti“ gestellte Fahrer, die ihre reguläre Wochenruhezeit im Fahrerhaus verbracht haben. Nach Auffassung der belgischen Kontrollbehörden ist das Verbringen der regulären wöchentlichen Ruhezeiten im Fahrerhaus nicht gestattet und wird mit Bußgeldern in dreistelliger Größenordnung geahndet. Auch Frankreich hat mittlerweile ein Gesetz erlassen, das die Verbringung von regulären Wochenruhezeiten im Fahrerhaus unter Strafe stellt. Fahrer und Unternehmer werden mit hohen Geld- und sogar Gefängnisstrafen bedroht. Unternehmer können mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr belegt werden, wenn sie ihren Fahrern das Verbringen der regulären Wochenruhezeit im Fahrerhaus gestatten. Bedingt durch die belgische und französische Kontrollpraxis stellen deutsche Ordnungsbehörden eine Überbelegung von Parkplätzen im 32 grenznahen Raum nach Belgien und Frankreich an den Wochenenden fest. Dieser Umstand veranlasste den Bundesverkehrsminister, von der EU-Kommission eine Auslegung einschlägiger Bestimmungen zur Wochenruhezeit zu erbitten. Falls bis Mitte des Jahres keine entsprechende Aktivität auf europäischer Ebene verzeichnet werden könne, werde eine nationale Regelung eingeführt, um die Überbelegung von grenznahen Parkplätzen in Deutschland durch unterschiedliche Rechtspraktiken auszuschließen. Da die EU-Kommission zwischenzeitlich das Thema Sozialdumping und die Lenk- und Ruhezeitenregelungen im Road-Package 2016 anzugehen gedenkt, dürfte ein nationaler Alleingang in dieser Frage nach belgischem oder französischem Vorbild entbehrlich werden. Dennoch bleibt das Thema Sozialdumping auf der Agenda dringlicher Problemfelder, die keinen allzu langen Aufschub mehr zulassen. Die deutsche Mindestlohngesetzgebung und ihre Anwendung auf grenzüberschreitende Verkehre gebietsfremder Transportunternehmen gehört ebenfalls zu den sozialpolitischen Themenfeldern, die die EU-Kommission in ihrem Road-Package einer europaweiten Lösung zuzuführen hat. Weißbuch Zwischenbilanz Bevor die EU-Kommission ihr Road-Package vorlegt, steht eine Bestandsaufnahme zur Umsetzung des Weißbuchs Verkehr aus dem Jahr 2011 an. Sowohl das Europäische Parlament als auch die betroffenen Wirtschaftkreise werden hierzu von der EU-Kommission gehört. Zu den Zielen des Weißbuchs 2011 gehören • d ie Reduktion von Treibhausgasen um 80 Prozent bis 2050 gegenüber dem Referenzjahr 1990. Der transportbezogene CO²-Ausstoß soll um 60 Prozent sinken; • e ine drastische Reduzierung der Ölabhängigkeit über eine Dekarbonisierung des Verkehrs; • eine Verringerung der Staubildung. Dafür wurden die zehn folgenden Einzelziele formuliert. 1.Halbierung der mit konventionellen Kraftstoffen angetriebenen Fahrzeuge im städtischen Verkehr bis 2030, um diese bis 2050 gänzlich aus den Städten zu verdrängen. Die CO²-freie Citylogistik in Ballungszentren soll bis 2030 erreicht werden. 2.Einführung kohlenstoffarmer Kraftstoffe für die Luftfahrt bis 2050 und Reduktion der CO²Emission von Seeverkehren um 40 Prozent. 3.Verlagerung von 30 Prozent des Straßenverkehrs über 300 Kilometer auf die Schiene und Wasserstraße bis 2030, von 50 Prozent bis 2050. 4.Verdreifachung des Hochgeschwindigkeitsschienennetzes bis 2030. 5.Komplettierung der Transeuropäischen Kernnetze bis 2030. 6.Schaffung multimodaler Verbindungen zwischen allen europäischen Kernnetzwerken, Schienenwegen, Flughäfen, Binnenwasserstraßen und Seehäfen. 7.Einführung von Traffic-Managementsystemen für alle Verkehrsträger. 8.Entwicklung eines Rahmens für ein Transportinformations- und -managementsystem im multimodalen Verkehr, einschließlich eines Bezahlungssystems bis 2020. 9.Halbierung der Unfallopferzahlen bis 2020. Die „Zero-Vision“ ist bis 2050 umzusetzen, um Europa in der Welt führend in der Verkehrssicherheit zu machen. 10.Umsetzung des „Nutzerprinzips“ und „der Verschmutzer zahlt“, um Einnahmen für die Finanzierung der Infrastruktur und Umsetzung von Zukunftsinvestitionen zu schaffen. Die Halbzeitbilanz zu den einzelnen Punkten, vor allem hochgesteckte Verlagerungs- und Dekabonisierungsziele, ist eher ernüchternd. Eine Bestandsaufnahme des Europaparlaments bekräftigte jedoch diese Zielsetzungen und fügte weitere ehrgeizige Pläne hinzu. Dies gilt speziell für den Straßenverkehr, der mit alternativen Kraftstoffen, einer Erhöhung der Zahl sicherer Stellplätze, mit verbesserter Arbeitsqualität sowie mehr Interoperabilität von Mautmanagementsystemen „fit gemacht“ werden soll. Darüber hinaus erwartet das Europaparlament einen Legislativvorschlag zur Festlegung verbindlicher maximaler CO²-Emissionen neu zugelassener schwerer Nutzfahrzeuge. Die Brisanz des Sozialdumpings soll nach Auffassung des Europaparlaments in einem sozialen Kodex für Arbeitnehmer im positiven Sinne verändert werden. Für den einheitlichen europäischen Verkehrsraum ergeht hierzu eine diesbezügliche Aufforderung an die EU-Kommission: „Die Kommission sollte sich bei allen Verkehrsträgern mit dem Thema Arbeitsqualität befassen, insbesondere bezüglich Ausbildung, Bescheinigungen, Arbeitsbedingungen, Aufstiegsmöglichkeiten, um so hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen, die notwendigen Fähigkeiten zu schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit der Verkehrsunternehmen in der EU zu stärken.“ Zum Abbau der vom Europaparlament als „ungleichgewichtig“ eingestuften Verkehrsträgerentwicklung sollen „Versäumnisse“ bei der Nutzung des vollen Potenzials des Schienenverkehrs, des Kurzstreckenseeverkehrs und der Binnenwasserstraße beseitigt werden. Der ungebrochene Erfolg des Straßen- und Luftverkehrs führe zu immer größeren Verkehrsbelastungen. Offensichtlich besteht die seit Jahrzehnten gepflegte verkehrspolitische Lebenslüge fort, ein Großteil des Straßengüterverkehrs könne auf alternative Verkehrsträger verlagert werden. Dabei ist unter Verkehrsexperten kein Zweifel daran gelassen worden, dass der Schienenverkehr schon bei Wahrnehmung seiner natürlichen Wachstumsfelder an Kapazitätsgrenzen stößt. 33 Ein nachhaltiges Verlagerungspotenzial des Straßenverkehrs auf die Schiene ist keiner der unabhängigen und seriösen Verkehrsprognosen zu entnehmen. Im Übrigen setzen die Weißbuchziele zur Verlagerung des Verkehrs einen massiven Schienenausbau voraus, der weder im nationalen noch im europäischen Rahmen auch nur annähernd eine Finanzierungsgrundlage hat. Angesichts der Sparprogramme der EU-Staaten und der Fortdauer der Wirtschaftskrise in vielen EU-Ländern fehlt es vielfach am Nötigsten, um die vorhandene Infrastruktur zu erhalten. Erste Eckpunkte des Road-Package 2016 Marktzugang, finanzielle und soziale Aspekte im Fokus Während das Weißbuch für Verkehr als Zielhorizont das Jahr 2050 hat, ist das Road-Package 2016 auf kurzfristige politische Zeithorizonte ausgerichtet. Nach den ersten Entwürfen, die aus der EU-Kommission bekannt geworden sind, sollen im Wesentlichen finanzielle und soziale Aspekte sowie neue Marktzugangsbedingungen aufgegriffen werden. Finanzielle Aspekte Die EU-Kommission plant demzufolge beim Lkw die Abschaffung zeitbezogener Vignetten in Mautsystemen. Diese sollen zukünftig nur noch auf kilometerabhängige Gebühren abgestellt werden. Erklärtes Ziel ist der Einschluss aller Nutzfahrzeuge sowie eine umfassendere Anlastung externer Kosten. Damit verfolgt die EU-Kommission die gleiche Forderung, wie sie im Beschlussantrag der Regierungskoalition im Deutschen Bundestag aufgestellt wurde. (Vgl. Abschnitt, „Anlastung externer Kosten“, S. 19 ff) Zusätzlich soll das Verbot einer Diskriminierung bei Pkw-Gebühren aufgenommen werden. Im Sinne einer Zwei-Prozent-Regelung darf die günstigste Pkw-Vignette nicht mehr als zwei Prozent einer Jahresvignette kosten. Additiv fordert die EU-Kommission mehr Berechnungstransparenz bei Mautsystemen ein und ebnet den Weg für eine „Stau-Lenkungsabgabe“. Die EU-Kommission 34 hat dieses Mal die Stauabgabe als eigenständige Abgabenkategorie „entdeckt“ und von der Anlastung externer Kosten abgegrenzt. Offenbar ist nun auch der EU-Bürokratie deutlich geworden, dass Stau-Lenkungsabgaben keine Anlastung von externen Kosten darstellen, weil Staukosten durch die Systemnutzer bereits internalisiert sind. Den Gebührenpflichtigen trifft diese Unterscheidung in der Geldbörse jedoch in gleichem Umfang. Positiv an den finanziellen Zielvorgaben der EU-Kommission ist die Zweckbindung erhobener Mauten. Allerdings öffnet die EU-Kommission ausdrücklich den Weg zur Quersubventionierung. Demnach können Nutzergebühren für die Finanzierung der gesamten Infrastruktur verwendet werden. Finanzkreisläufe für die unterschiedlichen Verkehrsträger sind im Kommissions-Konzept nicht enthalten. Soziale Aspekte Die EU-Kommission stellt eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen des Fahrpersonals fest. Lange Unterwegsaufenthalte des Fahrpersonals beeinträchtigten den Gesundheits- und Arbeitsschutz. Auch Fragen der Entlohnung sowie der unterschiedlichen Mindestlöhne in den einzelnen europäischen Ländern stehen auf der Agenda des Road-Package. Ausdrücklich aufgenommen hat die EU-Kommission Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Anbietern in den jeweiligen Märkten, die durch „Sozialdumping“ und Scheinselbständigkeit entstehen. Die Verwendung des Terminus „Social Dumping“ deutet darauf hin, dass sich auch die EU-Kommission der Ernsthaftigkeit des Problems aus funktionslosem Wettbewerb durch umgeflaggte Fuhrparks im Klaren ist. Marktzugang Kabotageregelung Obgleich die EU-Kommission die Verschlechterung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Fahrpersonals konstatiert, greift sie bei ihren politischen Forderungen die weitere Öffnung der Kabotagemärkte auf. Demnach steht auf der Vorschlagsliste der EU-Kommission eine Neuregelung der Kabotage im Sinne einer „Sieben-Tage-Regelung“. Diese beinhaltet, dass gebietsfremde Fahrzeuge innerhalb eines siebentägigen Zeitraums beliebig viele Inlandstransporte durchführen dürfen, bevor sie das Land wieder verlassen müssen. Werkverkehrs. Für Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis 6 t soll es hier keinerlei differenzierenden Einschränkungen hin zum gewerblichen Verkehr mehr geben. Mietfahrzeuge und Werkverkehr Keine Kabotagelockerung Ebenfalls unter dem Begriff Marktzugang plant die EU-Kommission die Freigabe des Einsatzes gemieteter Nutzfahrzeuge aus jedem beliebigen EU-Mitgliedsland. Sollte dieser Vorschlag die Zustimmung des Ministerrats und auch des Parlaments finden, dürfte eine gewaltige Umstrukturierung der nationalen Lkw-Bestände erfolgen. Letztendlich hätten nicht nur klassische Mietwagenfirmen die Möglichkeit, über Standorte mit niedrigen Steuer- und Versicherungslasten Kostenoptimierung zu betreiben. Der BGL hat die absehbare Position der EU-Kommission im Road-Package zur Kenntnis genommen und begrüßt ausdrücklich Initiativen, die wirkungsvoll mit Sozialdumping-Praktiken und unfairem Wettbewerb umgehen. Angesichts der Ungleichverteilung der Kabotagetransporte plädiert der BGL jedoch gegen eine weitere Liberalisierung der Kabotagemärkte. Der letzte Punkt der geänderten Marktzugangsregelungen betrifft die Liberalisierung des BGL-Position Letztendlich spiegelt sich in ihnen das Markt ungleichgewicht durch Sozialdumping wieder. So werden auf deutschem und französischem Gebiet zwei Drittel aller Kabotagetransporte durchgeführt. Es ist augenfällig, dass die höchs- Kabotage in der EU im Jahr 2012 (links nach dem Herkunftsland des Lkw, rechts nach dem Staat, in dem die Kabotage durchgeführt wurde) Quelle: Europäische Kommission, Brüssel 35 ten Kabotageanteile auf Unternehmen aus EUBeitrittsländern entfallen, was letztendlich durch das Umflaggen von Fuhrparkkapazitäten „von West nach Ost“ begründet ist. Der BGL hat diesbezüglich einem Bericht der EU-Kommission zur Entwicklung der Verkehrsmärkte widersprochen. Nach diesem Bericht hat sich die Angleichung der Löhne für Fahrpersonal zwischenzeitlich soweit vollzogen, dass eine weitere Lockerung der Kabotageregelung vertreten werden könnte. Wörtlich heißt es in dem von der EU-Kommission erstellten Bericht: „Unter Berücksichtigung aller Vergütungselemente scheinen sich die Löhne rumänischer Lastwagenfahrer im grenzüberschreitenden Verkehr dem Lohnniveau spanischer Verkehrsunternehmer anzugleichen (vier bis fünf Euro pro Stunde).“ Angesichts der Mindestlohndiskussion und der aktuellen Höhe der Mindestlöhne in Westeuropa kann mit dieser Begründung von keiner Angleichung des Lohnniveaus gesprochen werden. Vielmehr hat sich durch die Einführung von Mindestlöhnen in westeuropäischen EU-Ländern das Lohngefälle dramatisch erhöht, so dass die EUKommission zunächst das Problem Sozialdumping zu lösen hat, bevor an den Abbau weiterer Marktbeschränkungen gedacht werden kann. BGL-Vorschläge zur Neuregelung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit Marktverwerfungen Zur Wiederherstellung fairer Wettbewerbsbedingungen im Verkehr der EU-Mitgliedsstaaten hat der BGL ein Positionspapier im Europäischen Parlament und auch bei der EU-Kommission vorgelegt. Darin wird auf die Ausgangssituation hingewiesen, nach der die derzeitige Marktordnung attraktive Anreize schafft, große Fuhrparkflotten in EU-Beitrittsländer mit günstigen Lohn- und Fiskalbedingungen umzuflaggen. Unter Ausnutzung der bisherigen Rahmenbedingungen zur Dienstleistungsfreiheit im Verkehr bleiben diese Flotten jedoch in den Haupt- 36 märkten stationiert, ohne dass für deren Halter eine Niederlassungspflicht begründet wird. Die jeweiligen Sozial- und Fiskalbedingungen der Umflaggungsstaaten werden auf diese Weise unmittelbar in die Zielmärkte exportiert und verursachen unfairen Verdrängungswettbewerb. Während die umgeflaggten Fahrzeuge faktisch überwiegend außerhalb des Zulassungsstaats stationiert bleiben, kehrt das Fahrpersonal nur noch sporadisch nach mehreren Wochen/Monaten zum jeweiligen Heimatstandort zurück. Der Personalaustausch erfolgt per Bus und teilweise Low-Cost-Airlines. Durch den wochen- und monatelangen Einsatz des Fahrpersonals fernab des Heimatstandorts sind Ruhezeiten und die private Freizeit an den „Aufenthaltsort“ Fahrerhaus gebunden. In den Fahrerhäusern verbrachte Wochenruhezeiten sind sozial- und gesellschaftspolitisch auf Dauer eine nicht hinnehmbare Herausforderung. Ziel muss es deshalb sein, unfaire Wettbewerbsbedingungen in den Transportmärkten, die auf dem Rücken des Fahrpersonals ausgetragen werden, einzudämmen. Neujustierung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit Der Lösungsvorschlag des BGL sieht in diesem Zusammenhang vor, dass auf der Grundlage des Artikels 91 Abs. 2 AEUV eine Neujustierung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit vorgenommen wird. Die Dienstleistungsfreiheit ist zu diesem Zweck auf eine „vorübergehende“ Betätigung in den jeweiligen Mitgliedsländern zu beschränken. Alle anderen Fälle, in denen eine regelmäßige Beschäftigung in einem Mitgliedsland erfolgt, sollten zukünftig nicht mehr von der Dienstleistungsfreiheit gedeckt sein. Anhand der digitalen Tachografenaufzeichnungen lassen sich z. B. die jeweiligen regionalen Unternehmensschwerpunkte sowie die im ein- und ausgehenden grenzüberschreitenden Verkehr übernommenen Transporte feststellen. Dienstleistungsfreiheit sollte zukünftig nicht mehr angenommen werden, wenn Fahrzeuge dauerhaft in Ländern stationiert werden, in denen diese nicht registriert sind, aber dennoch in überwiegendem Umfang grenzüberschreitende Verkehre oder Kabotagetransporte durchführen. Wird ein Fahrzeug/Fuhrpark – gemessen an den Verkehrsleistungen – nicht überwiegend mit Transporten von und zum jeweiligen Zulassungsland beschäftigt, ist eine Niederlassungsverpflichtung in demjenigen Mitgliedsland anzunehmen, auf das die höchsten Verkehrsanteile entfallen. Unfairer Wettbewerb zur Nutzung des Lohn- und Sozialkostengefälles ist nach Meinung des BGL über diesen Weg eindämmbar. Verbringung der Wochenruhezeiten Parallel dazu könnte eine Regelung für das Verbringen der regulären Wochenruhezeiten auf Fahrzeugen helfen, Sozialdumping zu bekämpfen. Die einschlägige Verordnung (EG) Nr. 561/2008 Art. 8, Abs. 8 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr müsste dafür angepasst werden. So könnte verbindlich geregelt werden, dass in unmittelbarer zeitlicher Folge nur eine gewisse Anzahl verkürzter Wochenruhezeiten im Fahrerhaus verbracht werden darf und der Fahrer Anspruch darauf hat, seine regulären Wochenruhezeiten jeweils am Heimatstandort in seinem sozialen Umfeld zu verbringen. Das derzeitige „Nomaden-Dasein“ des eingesetzten Fahrpersonals würde dadurch beendet. Durch wirksame Kontrollen könnte sichergestellt werden, dass Fahrern keine soziale Entfremdung mehr droht, weil monatelange Abwesenheitszeiten vom Heimatstandort nicht mehr zulässig wären. Der BGL wirbt mit diesem Lösungsvorschlag bei den Mitgliedern des Europaparlaments und auch der Europäischen Kommission, um eine praxis taugliche Regelung für das Fahrpersonal und für die Wiederherstellung eines fairen Wettbewerbs zu finden. Auch westeuropäische Partnerverbände haben die Vorschläge des BGL positiv aufgegriffen und sich in ihren Heimatländern für diesbezügliche Lösungen stark gemacht. „Ökologisierung“ des Verkehrs Klimaschutz und Energiewende Ziele auf dem Prüfstand Das Treffen der G7 Staats- und Regierungschefs auf Schloss Elmau hat zum wiederholten Mal den Klimaschutz in den politischen Fokus der westlichen Industrienationen gerückt. Welche verbindlichen Verpflichtungen letztendlich aus den politischen Erklärungen resultieren, soll Gegenstand der nächsten Weltklimakonferenz im November des Jahres in Paris sein. Diese Konferenz reiht sich hinter sieben Vorläuferkonferenzen ein, die jedoch allesamt im Bereich des Unverbindlichen blieben. Lediglich die EU hat sich zu seriösen Klimaschutzzielen bereit erklärt. So sollen die CO²-Emissionen gegenüber dem Referenzjahr 1990 bis 2020 um 30 Prozent sinken. Die Bundesregierung hat ein nationales „Sonderziel“ definiert, nach dem Deutschland 40 Prozent der CO²-Emissionen gegenüber dem Referenzjahr 1990 einzusparen hat. Dieses Ziel ist aufgrund der Energiewende und der Abschaltung von Atomreaktoren ohne zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen jedoch nicht zu verwirklichen. Die Bundesregierung hat deshalb ein zusätzliches Aktionsprogramm zum Klimaschutz verabschiedet, das auch dem Verkehrssektor neue Ziele vorgibt. (Vgl. Abschnitt, „Klimaschutz im Verkehr“, S. 39 ff) Trotz der bisherigen Weltklimakonferenzen sind die CO²-Emissionen weltweit in erheblichem Ausmaß angestiegen. Seit dem Jahr 2000 erhöhten sich die weltweiten CO²-Emissionen um 10 Mrd. Tonnen. Dies entspricht einem Anstieg von ca. 40 Prozent. Im Vergleich dazu machen die deutschen CO²Emissionen weltweit 2,25 Prozent aller CO²Emissionen aus. Allein die chinesische Volkswirtschaft emittiert das 12-fache der deutschen. Vor diesem Hintergrund sind die Kosten des nationalen Aktionsprogramms für Klimaschutz und ihre Wirkungen auf das Weltklima zu hinterfragen. 37 CO²-Emissionen Deutschland, China und die Welt Quelle: BP Statistical Review of World Energy 2015 Vorreiterrolle oder „Versuchs kaninchen“ Das nationale Sonderprogramm, 40 Prozent Reduktion der CO²-Emissionen bis 2020, wird mit der selbst gewählten „Vorreiterrolle“ der Bundesrepublik Deutschland im Klimaschutz begründet. (Diese Rolle wird durch einen führenden Ökonom mittlerweile in die Rolle eines „Versuchskaninchens“ umgedeutet.) Schließlich sind die bisherigen Klimaschutzprojekte in Deutschland mit volkswirtschaftlichen Kosten belastet, die allein für die Energiewende bei mehr als einer Billion Euro angesiedelt werden. Jährlich zahlen deutsche Stromverbraucher gut 25 Mrd. Euro für eine gerade erst begonnene Energiewende ein. Damit ist es gelungen, regenerativen Strom in einer Weise zu vervielfachen, dass an wind- und sonnenreichen Tagen die Stromspitzen ein Zurückfahren der Grundlastkraftwerke auf nahe Null erforderlich machen. Mit der Stilllegung der restlichen Atomkraftwerkkapazitäten müsste die bisherige regenerative Stromerzeugung verdreifacht werden. Dies kann schon in absehbarer Zeit dazu führen, dass Strom zeitweise im Überfluss produziert wird, für den keine adäquaten Speicherkapazitäten zur Verfügung stehen. 38 „Spitzenlasten“ problematisch So hat eine gemeinsame wissenschaftliche Diskussionsrunde des Ifo-Instituts und des Umweltbeirats folgende Größenordnungen der zu stemmenden Aufgabe herausgearbeitet. 1.Um die jahreszeitlich und im Tagesverlauf fluktuierende Stromerzeugung zum Ersatz der Kernkraft zu speichern, müssten ca. 3 500 Speicherkraftwerke neu gebaut werden. Da hierfür keine geeigneten Flächen in Deutschland zur Verfügung stehen, müssten entsprechende Speicherkapazitäten im Ausland gesucht (z. B. in Norwegen) und Verbundnetze aufgebaut werden. 2.Das Verhältnis der durchschnittlich zu installierenden Leistung gegenüber konventionellen Kraftwerken beträgt bei der Sonnenenergie eins zu zehn und bei der Windkraft eins zu sieben. Dies bedeutet, dass ein Gigawatt konventionelle Kernkraftleistung durch zehn Gigawatt installierte Leistung Sonnenenergie bzw. sieben Gigawatt installierte Leistung Windenergie zu ersetzen ist. 3.„Garantierte Leistung“ regenerativer Kapazitäten steht nur im Verhältnis eins zu hundert zur Verfügung. Daraus folgt: Ohne Speichertechnik mit großen Kapazitäten, um jahreszeitliche Schwankungen von regenerativ erzeugtem Stroms auszugleichen, ist die Energiewende aus technisch/physikalischen Gründen nicht zu schaffen. 4.Um die benötigte alternative Kraftwerkleistung zur Verfügung zu stellen, müssten fünf bis sechs Prozent der Landesfläche der Stromerzeugung gewidmet werden. Dies entspricht in etwa der Summe aller Verkehrsflächen in Deutschland. 5.Sofern eine Elektrifizierung des Straßenverkehrs angestrebt wird, verdoppelt sich nach Ansicht der Experten der Stromverbrauch in Deutschland. Klimaschutz im Verkehr „Erster Aufschlag“ Das von der Bundesregierung vorgestellte Klimaschutzprogramm, das dazu beitragen soll, die selbst gewählte Vorreiterrolle einer CO²-Einsparung um 40 Prozent bis 2020 zu erreichen, muss nach den zuvor genannten Kenngrößen mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten „erkauft“ werden. Zahlreiche dafür vorgestellte Maßnahmen sind am Grünen Tisch auf der Grundlage theoretischer Berechnungen entwickelt worden. Ihre praktische Machbarkeit und ihre Marktverträglichkeit sind fraglich. Eine Anhörung der Beteiligten und der Verbände fand im Vorfeld nicht statt. Für den Verkehrsbereich sieht das Klimaschutzprogramm bis 2020 zusätzliche Einsparungen von sieben bis zehn Millionen Tonnen CO² vor (ca. 0,03 Prozent der weltweiten CO²-Emissionen). Im Wesentlichen sind dafür effizienzsteigernde Technologien sowie Verkehrsverlagerungen vorgesehen. Das Aktionsprogramm beinhaltet für den Verkehrssektor im Einzelnen: Lkw-Maut als streckenbezogene Abgabe Die Lkw-Maut soll als Abgabe weiter entwickelt werden und so einen Anreiz für die Verlagerung von Transporten auf die Schiene bieten. Außerdem besteht die unrealistische Erwartung, dass sich die Auslastung der Fahrzeuge signifikant verbessert. Mit der zusätzlichen Anlastung externer Kosten, nur im Lkw-Verkehr, hoffen die Initiatoren des Aktionsprogramms auf nachhaltige Güterverlagerungseffekte bis 2018. Weshalb externe Kosten anderer Verkehrsträger im Klimaschutzprogramm des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMU) bisher keine Rolle spielen, erschließt sich nicht und bleibt ohne Begründung. Nach den vorliegenden Berechnungen aus dem BMU wird eine Einsparung von 0,5 Mio. Tonnen CO² durch die Ausweitung der Lkw-Maut auf 1 100 Kilometer vierstreifige Bundesstraßen und die Einbeziehung von Fahrzeugen zwischen 7,5 t und 11,99 t zGG erwartet. Grundlagen für diese Schätzungen liegen nicht vor. 0,5 Mio. Tonnen CO² entsprechen in etwa der Einsparung von ca. 190 Mio. Liter Dieselkraftstoff. Im Vergleich dazu ist allen Nutzfahrzeugen der Verbrauch von ca. 20 Mrd. Liter Dieselkraftstoff zuzurechnen. Wie weit diese neuen Schätzungen aus dem BMU von den gutachterlichen, im Hause des BMVI festgestellten Werten abweichen, zeigen Berechnungen zur Grundkonzeption für den Bundesverkehrswegeplan aus dem Jahre 2013. Darin stellten die Berater der Bundesregierung fest: „Ein Beispiel für durch Infrastrukturmaßnahmen schwer beeinflussbare Ziele ist die Senkung der CO²-Emissionen. Im Rahmen der Bedarfsplanüberprüfung für die Bundesschienenwege 2010 (Zeithorizont 2025) wurde ermittelt, dass mit einem Investitionsvolumen von 26 Mrd. Euro in Schieneninfrastruktur ca. 1,3 Mrd. Lkw-Kilometer und 1,5 Mrd. Pkw-Kilometer jährlich vermieden werden können. Das entspricht lediglich zwei Prozent der Lkw- und 0,2 Prozent der Pkw-Kilometer im Jahr 2025 und dadurch einer Einsparung von 0,7 Mio. Tonnen CO².“ 39 Die vom Umweltministerium genannte Größenordnung aus den bereits beschlossenen Änderungen der Lkw-Maut müssen vor diesem Hintergrund als nicht kompatibel eingestuft werden. Ohne den massiven Ausbau der Schiene mit erheblichem Mittelaufwand, der sich nicht in den Planungen des Bundeshaushalts wiederfindet und auch aus zeitlichen Gründen bis 2020 nicht zu realisieren ist, lassen sich namhafte Schienenkapazitäten für Verkehrsverlagerungen nicht schaffen. Allenfalls langfristig mit einem Zeithorizont des Jahres 2030+ könnten zusätzliche Kapazitäten und der Ausbau logistischer Kompetenzen im Schienenverkehr einen größeren Teil des Verkehrswachstums auf die Schiene lenken. Daraus resultierte jedoch keine Verkehrsverlagerung, sondern nur eine leichte Verschiebung des Modal-Split, der in seriösen Prognosen bis 2050 eins bis zwei Prozent beträgt. Schweizer Vorbild ? Die Erwartung, dass die Verteuerung des Straßenverkehrs durch die Einführung und Ausweitung der Lkw-Maut eine Verkehrsverlagerung be- wirkt, ist am Beispiel der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) in der Schweiz widerlegbar. Trotz sechsmal höherer Straßenbenutzungsgebühren als in Deutschland ist der Modal-Split-Anteil in der Schweiz im Schienenverkehr seit der LSVA-Einführung weiter gesunken und hat trotz jährlicher Schwankungen das „alte“ Niveau vor Einführung der LSVA nicht erreichen können. Eine Verlagerung von Güterverkehren auf die Schiene ist deshalb weitaus weniger preissensibel als verkehrspolitisch unterstellt. Verlagerungsszenarien sind nur in schienenaffinen Marktsegmenten bei entsprechendem Ausbau der Schienenkapazitäten denkbar. Differenzierung der Lkw-Maut nach dem Energieverbrauch Das BMU schlägt als weitere klimaschützende Maßnahme die Differenzierung der Lkw-Maut nach dem Energieverbrauch vor. Damit soll in absehbarer Zeit die heute nach Euro-Klassen gestaffelte Lkw-Maut in eine verbrauchsabhängige Lkw-Maut umgewandelt werden. Offen Alpenquerender Güterverkehr in der Schweiz: Schienenanteil 2000 – 2014 (vor und nach der Einführung der LSVA anno 2001) Quelle: Bundesamt für Verkehr, Bern 40 gelassen ist, ob sich die Mautdifferenzierung auf die Energieeffizienz pro Beförderungseinheit oder den normierten Energieverbrauch eines Fahrzeugs pro Kilometer beziehen soll. Sollte die Maut nach Energieeffizienz pro Beförderungseinheit gestaffelt werden, müssten 40 Tonner die günstigsten Mautsätze erhalten, weil sie das beste Verhältnis Nutzlast : Kraftstoffeinsatz in sich vereinen. Dagegen müssten kleinere Fahrzeuge, z. B. sogenannte Sprinterfahrzeuge, einen Effizienzmalus bei der Maut hinnehmen. Die Differenzierung der Maut nach dem Energieverbrauch wirft so gesehen noch viel Diskussionsbedarf auf. Schließlich würde eine derartige Neustrukturierung vor allem Flächenverkehre und regionale Wirtschaftsverkehre, die überwiegend mit kleineren Lieferfahrzeugen erfolgen, verteuern. Hinzu kommt, dass aufgrund der kurzen Transportentfernungen im Regionalverkehr und unter Einbeziehung der logistischen Anforderungsprofile eine namhafte Verlagerung dieser Verkehre auf die Schiene oder das Binnenschiff von vorneherein ausscheidet. Im Übrigen ist bereits eine Art Bemautung des Energieverbrauchs durch die Mineralölsteuer sichergestellt. Umgerechnet auf eine Tonne CO²-Emissionen beträgt die Belastung des Dieselkraftstoffs ca. 167 Euro. Damit dürften die CO²-bedingten externen Kosten des Treibstoffverbrauchs umfänglich angelastet sein. Hybridtechnologie bei Nutzfahrzeugen im Fernverkehr Das BMU vermutet in der Förderung von HybridTechnologie bei Lastkraftwagen im Fernverkehr eine effiziente Maßnahme zum Klimaschutz. Aussagen aus der Herstellerindustrie beziffern die Mehrkosten für Hybrid-Technik im Fernverkehr mit ca. 1 000 Euro pro Tonne eingesparter CO²-Emissionen. Damit liegen die Kosten dieser Maßnahme weit oberhalb der Folgekosten für den CO²-Ausstoß und müssten nach der ökonomischen/ökologischen Effizienzdefinition ausgeschlossen bleiben. Der BGL argumentiert in diesem Zusammenhang, dass Klimaschutzmaßnahmen nicht mehr kosten dürfen als an Klimafolgekosten durch die jeweilige Emissionskategorie erwartet werden. Da die externen Kosten in wissenschaftlichen Gutachten mit maximal 150 Euro pro emittierte Tonne CO² verrechnet werden, verfehlt die Hybrid-Technik im Fernverkehr derzeit ein hinnehmbares Kosten-/Nutzenverhältnis. Allenfalls zum Markthochlauf ist eine Förderung der Hybridtechnologie zu verantworten, sofern realistische Skaleneffekte in der Produktion von Hybridfahrzeugen zu einem annehmbaren Kosten-/Nutzenverhältnis in der Zukunft führen. Dies wäre vor Beginn einer entsprechenden Technologieförderung unvoreingenommen zu prüfen. Erneuerbare Energien und Zukunftstechnologie Alternativen im Vordergrund Die Energiewende im Verkehr soll auch durch erneuerbare Energieträger und regenerative Biokraftstoffe beflügelt werden, wobei das Ziel besteht, das Angebot an Kraftstoffalternativen zu erhöhen. Die hohe Erdölabhängigkeit des Straßengüterverkehrs mit mehr als 95 Prozent soll dadurch umweltfreundlich und zugleich nachhaltig vermindert werden. Dem Einsatz von Erdgas und Flüssiggas aus unterschiedlichen Quellen kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Umweltpolitische Effekte der Gastechnologie stellen sich jedoch nur durch die Einhaltung bestimmter Randbedingungen ein. So belegt eine Studie der Initiative Erdgasmobilität eine deutliche Treibhausgasminderung im Straßenverkehr durch den Einsatz der Gastechnologie. Voraussetzung ist jedoch der Einsatz bestimmter neuer Technologien, wie beispielsweise der High Pressure Direct Injection (HPDI). Der Vergleich zeigt ebenso, dass eine bedeutende Verringerung der Treibhausgasemissionen durch LNG und LPG (verflüssigtes Gas) die Beimischung von Biomethan und regenerativ gewonnenem Methan voraussetzt. Namhafte CO²-Ersparnisse sind durch komprimiertes erneuerbares Methan (z. B. aus Gülle und Mist) zu erzielen. Erdgas (CNG) nimmt dabei als Grundstoff eine wichtige Rolle für den Pkw-Verkehr ein. Für schwere Nutzfahrzeuge dürfte nur LPG aufgrund der höheren Reichweite einer Tankfüllung in Betracht kommen. 41 Einsatz von Flüssiggas (LNG) Durch den Einsatz von Flüssiggas, der Nutzfahrzeugen eine Reichweite von bis zu 1 000 Kilometer verleiht und damit „fernverkehrstauglich“ ist, lassen sich im Vergleich zu LNG echte Klimaschutzeffekte im Sinne eingesparter CO²-Emissionen erreichen. Flüssiggas als Kraftstoff im Güterverkehr kann als verflüssigtes Methan (LNG) oder gemeinsam mit verflüssigtem Biomethan zum Einsatz kommen. Sofern diese Kraftstoffkombination über einen bleibenden Preisvorteil gegenüber Dieselkraftstoff verfügt, ließen sich nach Expertenschätzung relevante Marktanteile in der Größenordnung von fünf bis sechs Prozent des Kraftstoffverbrauchs mit unterschiedlichen Treibhausgaseinsparungen (je nach Beimischungsverhältnis) erzielen. Der Antrieb schwerer Nutzfahrzeuge mit Gas hat neben den von der Initiative Erdgasmobilität errechneten Klimaschutzeffekten wichtige Nebenaspekte in Bezug auf die Nachhaltigkeit des Güterverkehrs. Dies gilt vor allem für Lärm emissionen, die bei CNG- und LNG-getriebenen Fahrzeugen niedriger sind. Auch die Euro VIWerte und Partikelemissionen können durch die Gastechnologie unterschritten werden. Bezahlbarkeit und Marktfähigkeit Wie die Vergleiche der Initiative Erdgasmobilität zeigen, ergeben sich die höchsten umweltpolitischen Vorteile, wenn ein Energiemix fossiler Kraftstoffe mit biogenen Kraftstoffen erfolgt (z. B. Erdgas mit 20 Prozent Biomethan) oder reine Biokraftstoffe sowie synthetische Kraftstoffe zum Einsatz kommen. Der Einsatz synthetischer Kraftstoffe ist wiederum in seinen Kosten sehr stark von den jeweiligen Quellen und den daraus resultierenden Umwandlungsprozessen abhängig. So zeigt der Vergleich der Initiative Erdgasmobilität Treibhausgasemissionen nahe Null, wenn synthetisches Methan aus erneuerbarem Strom hergestellt wird. Allerdings dürften die Prozesskosten für die Herstellung synthetischen Kraftstoffs sehr hoch ausfallen. Selbst wenn ein relativ niedriger Selbstkostenpreis für die Erzeugung von Wind- 42 strom in Höhe von ca. 15 Cent pro Kilowattstunde zugrunde gelegt wird, müssten ca. 20 – 25 Kilowattstunden Ökostrom für die Substitution von einem Liter Dieselkraftstoff eingesetzt werden. Hinzu kämen Kosten für den Herstellungsprozess in großtechnischen Anlagen sowie für Lagerung und Transport. Im volkswirtschaftlichen Vergleich hierzu sind die Nettokosten für einen Liter Diesel (ohne Steuern) zu sehen, die derzeit bei ca. 50 bis 60 Cent pro Liter liegen. Die Kosten für Klimaschutz im Verkehr und die damit einhergehenden Fortschritte bei der Vermeidung von Klimagasen fallen im Vergleich zu anderen Sektoren außerordentlich hoch aus. Vor einer breiten Anwendung alternativer Kraftstoffe im Verkehr sind deshalb nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Nachhaltigkeitsaspekte von ausschlaggebender Bedeutung. Elektroantriebe und das Projekt ENUBA Elektroantriebe bieten gemäß der Initiative Erdgasmobilität unter Zugrundelegung des EUStrommixes eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen zwischen 50 und 60 Prozent. Elektromobilität, z. B. mit klimaneutralem Windstrom, kann auf längere Sicht mehr als nur eine theoretische Option sein. Im Straßengüterverkehr bietet die Elektrotraktion auf Basis des Batteriebetriebs auch auf längere Sicht keine sinnvolle und praktikable Alternative. Der Nutzlastverlust batteriebetriebener Fahrzeuge und die geringe Reichweite im Gütertransport sprechen gegen die Wirtschaftlichkeit von Elek tromobilität auf Batteriebasis. Eine durchaus greif bare Alternative dagegen ist Elektromobilität, die fahrdrahtgebunden Nutzfahrzeuge antreibt. Das Projekt Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen zur Umweltentlastung von Ballungsräumen (ENUBA) bietet hierfür ein anschauliches Beispiel. Ein mit Dieselmotor ausgestattetes Fahrzeug wird von einem Elektromotor angetrieben. Dieser wird wahlweise über den Fahrdraht oder mit Strom aus dem Generator des Dieselmotors angetrieben. Sobald die Verbindung zum Fahrdraht unterbrochen wird, übernimmt der Dieselmotor die Stromproduktion und hält das Fahrzeug auch bei nicht elektrifizierten Streckenanteilen am Laufen. Treibhausgasbilanz für Kraftstoffe im Pkw-Einsatz Quelle: Nachhaltige Mobilität mit Erdgas und Biomethan: Marktentwicklung 2014/2015 – Fortschrittsbericht der Initiative Erdgasmobilität, dena, Berlin, Juni 2015 Treibhausgasbilanz von Methan im Nutzfahrzeug-Einsatz Quelle: Nachhaltige Mobilität mit Erdgas und Biomethan: Marktentwicklung 2014/2015 – Fortschrittsbericht der Initiative Erdgasmobilität, dena, Berlin, Juni 2015 43 Das Projekt hat mittlerweile sein Versuchsstadium verlassen und tritt in die Praxiserprobung ein. In Kalifornien wurde eine Hafenverbindung zu einem Logistikverteilzentrum mit einer Elektrotraktionstrecke verbunden. Auch Schweden setzt auf die Mobilität mit Strom und rechnet mit erheblichen Verbrauchsvorteilen. Die zuständige Behörde sieht darin eine umweltfreundliche Alternative für den Straßengüterverkehr, da freie Kapazitäten aller Verkehrsträger auszunutzen sind und in Schweden das Bahnnetz am Rande seiner Leistungsfähigkeit steht. Strom als unmittelbare Antriebsenergie im Projekt ENUBA braucht nicht über Speichertechnologien oder synthetische Verfahren umgewandelt werden, sondern wird direkt zum Betrieb der Fahrzeuge genutzt. Auf diese Weise ergeben sich gegenüber anderen Technologien deutliche Ersparnisse bei den Kraftstoffkosten und eine höhere Energieeffizienz. So rechnen die Betreiber mit einer Halbierung des Energieverbrauchs durch die direkte Stromeinspeisung und den hohen Wirkungsgrad von Elektromotoren. Der alternative Kraftstoff „Strom“ rückt damit zwar noch nicht an die Kosten für Dieselkraftstoff heran, bewegt sich jedoch auf bezahlbare Größenordnungen zu. Wie hoch die ökologischen und ökonomischen Effizienzvorteile sind, müssen nun die auf den Teststrecken eingesetzten Fahrzeuge unter Beweis stellen. Der BGL beobachtet die Versuche mit Elektrotraktion im Fernverkehr mit hohem Interesse, da sich hieraus unter Zugrundelegung aller bisher bekannter Kostenelemente eine der Hauptentwicklungsrichtungen für umweltfreundliche Güterverkehrsmobilität entwickeln könnte. So zahlt das deutsche Transportlogistikgewerbe bereits mehr als zwei Cent pro Mautkilometer für die Abgeltung der externen Luftverschmutzungskosten. Da eine volle Anlastung der externen Kosten in absehbarer Zeit auf sechs Cent pro Kilometer steigen könnte, dürfte sich die Elektrifizierung der Hauptgüterverkehrsstrecken allein aus dieser Abgabe bereits rechnen. Eine diesbezügliche Verwendung von Einnahmen aus der Anlastung externer Kosten würde dem theoretischen Grundkonzept der Abgabe und ihrer Verwendung zur „Reparatur“ sowie Vermeidung von Umweltwirkung des Verkehrs Rechnung tragen. Die Anlastung externer Kosten, um damit die Nutzer abzukassieren, lehnt der BGL als verdeckte Steuer- und Abgabenbelastung hingegen ab. 44 Lang-Lkw und Co. – eine schnelle und günstige Variante zum Klimaschutz Während das Umweltministerium im Aktionsplan Klimaschutz ENUBA und fahrdrahtbetriebenen Güterverkehren Bedeutung beimisst und eine Versuchsstrecke in Deutschland eingerichtet werden soll, bleiben kurzfristig wirkende Maßnahmen mit sofort verfügbaren Effizienzpotentialen teils aus ideologischen Gründen ungenutzt. So würde schon eine Verlängerung von Sattelaufliegern um ca. 1,35 Meter die Energieeffizienz bei gleicher Nutzlast um bis zu 15 Prozent verbessern. Da höhere Energieeffizienz im Güterverkehr gleichzusetzen ist mit der Verringerung von Treibhausgasemissionen, könnte das gesteckte Ziel für den Güterverkehr im Aktionsplan allein durch diese Maßnahme vorfristig übertroffen werden. Dies gilt erst Recht für die Zulassung des Lang-Lkw auf bestimmten ausgewählten Strecken, so z. B. auf Autobahnen und geeigneten Zulaufstrecken zu Güterverkehrszentren, Terminals im Schienen- und Binnenverkehr, Großverladern, etc. Die Verbesse rung der Energieeffizienz dieser Fahrzeugkombinationen ist nach ersten überschlägigen Berechnungen bei gleichen Gesamtgewichten mit mindestens 25 Prozent anzusetzen. Umso unverständlicher bleibt es, dass einzelne Bundesländer sich konsequent weigern, einer Erprobung dieser klimafreundlichen Fahrzeuge zuzustimmen. Erst in jüngster Zeit zeichnet sich eine gewisse Auflockerung der bisher ideologisch verfestigten Fronten auf. So hat BadenWürttemberg eine Beteiligung am Großversuch aufgenommen und auch Nordrhein-Westfalen lässt 1,35 Meter verlängerte Sattelauflieger im Rahmen des Großversuchs auf Bundesautobahnen und ausgewählten Zulaufstrecken zu. Der BGL sieht hierin einen Sieg der politischen Vernunft. Schließlich sind weder das Langfahrzeug noch der verlängerte Sattelauflieger bei gleichen zulässigen Gesamtgewichten der Fahrzeugkombinationen eine, wie hartnäckig behauptet, „Konkurrenz“ für die Bahn. Da keines der Fahrzeugkonzepte Nutzlastgewinne bietet, ist eine Rückverlagerung von Schienengüterverkehren auf die Straße nicht zu erwarten und bisher auch nicht beobachtet worden. Schienengüterverkehre, gerade kombinierte Verkehre, die von Lang-Lkw-Gegnern als „gefährdet“ angeführt werden, haben Sendungsgewichte, die für den Lang-Lkw nicht sinnvoll sind. Die in regulären Transportbehältern verstauten Kombiladungen wären – falls dies Auftraggeber fordern – jederzeit auf die Straße verlagerbar und sind nicht von einer Lang-Lkw-Technologie abhängig. durch Verlagerungseffekte von der Straße auf die Schiene schon durch die Berechnungsmethode des Kyoto-Protokolls verzerrt. CO²-Emissionen werden nach dieser Rechnungsart nicht der Elektrotraktion im Schienenverkehr, sondern dem Energiesektor zugerechnet. Damit wird der Blick verstellt, dass durch die Verlagerung von Verkehren auf die Schiene kein „emissionsfreier“ Verkehr entsteht. Antistauprogramm Wie die Tabelle aus der Verkehrsverflechtungsprognose zeigt, ist je nach Berechnung der Emissionen der „Faktor 10“ zu beachten. Bei der Emissionsberechnung im TREMOD-Modell werden alle Emissionen und der gesamte Energieverbrauch einschließlich Vorketten von Biokraftstoffen in die Berechnungen einbezogen und nicht dem Kraftwerksektor zugeordnet. Soweit der Schienenverkehr reibungsbedingte Energieeinsparungen möglich macht, sind die daraus folgenden Effekte jedoch deutlich geringer als immer wieder in „schön gerechneten“ CO²-Bilanzen suggeriert wird. Hinzu kommt, dass für Verlagerungsziele bis 2020 gemäß dem Aktionsplan Klimaschutz keine zusätzlichen Schienenkapazitäten in namhaften Größenordnungen zur Verfügung stehen. Ebenfalls unberücksichtigt im Aktionsplan Klimaschutz des BMU bleiben Klimaschutzbeiträge aus einem Antistauprogramm. Mit einem gezielten Ausbau von Engpässen könnten Milliarden Liter von Kraftstoff und damit einhergehende Emissionen vermieden werden. Schienenverkehr stärken Im Konzept des BMU werden Verlagerungsoptionen für Güterverkehre auf die Schiene und das Binnenschiff mit unrealistischen Erwartungen verbunden. So werden CO²-Reduktionen im Verkehrsbereich Entwicklung der CO²-Emissionen aller Verkehrsträger Quelle: Verkehrsverflechtungsprognose 2030 - Schlussbericht 11.06.2014 im Auftrag des BMVI 45 Verkehrsträger Wasserstraße Personenverkehr Im Aktionsprogramm Klimaschutz nimmt nicht zuletzt der Verkehrsträger Wasserstraße eine neu definierte Rolle ein. Durch die Verlagerung von Gütertransporten auf die Wasserstraße erhoffen sich die Autoren des Aktionsplans weitere CO²-Einsparungen. Dabei wird allerdings verkannt, dass ein Großteil der Straßengüterverkehre nicht auf die Wasserstraße verlagerbar ist. Vielmehr findet seit Jahren eine Kannibalisierung der Massengutverkehre zwischen Schiene und Binnenwasserstraße statt. Soweit es den Sektor Verkehr und das insgesamt einzusparende Potenzial von 7 bis 10 Mio. Tonnen CO² bis 2020 betrifft, ist der BGL skeptisch, ob unter Einschluss der Erwartungen an den Rad- und Fußverkehr die gewünschten CO²-Ziele zu realisieren sind. Immerhin erfolgen derartige Berechnungen vor dem Hintergrund einer schnell alternden Bevölkerung, die für diese „Mobilitätsalternativen“ nicht voll umfänglich in Betracht kommt. Einzelne Vorschläge des BMU, z. B. Spritspartraining mit Neuwagenpreisen oder gar Versicherungsprämien quer zu subventionieren, erschließen sich zumindest nicht selbsterklärend als Klimaschutzvariante. Das gilt auch für das Carsharing, das als Klimaschutzmaßnahme aufgeführt wird. Zwar könnte damit zur Lösung innerstädtischer Parkplatzprobleme beigetragen werden. Jedoch geht diese Art der Mobilität zulasten des Öffentliche Personennahverkehrs und ist deshalb schon in seiner Wirkung auf Emissionsbilanzen realistisch „nachzurechnen“. Eine geeignete Maßnahme wäre deshalb, Massengutverkehre der Schiene dem Binnenschiff zu überlassen. Damit könnten Transportkapazitäten für den kombinierten Verkehr und eine echte Verlagerung von Langstreckengüterverkehren auf bestimmten Schienenkorridoren freigemacht werden. Eine derartige, kurzfristig zu realisierende Maßnahme ist jedoch nicht Gegenstand der Empfehlungen im Klimaschutzprogramm. Schienengüterverkehr: 2015er, 2025er und 2030er-Prognose im Vergleich Quellen: BMVI, Berlin; StBA, Wiesbaden; DIW, Berlin; ITP + Ralf Ratzenberger, München und Berechnungen des BGL 46 Binnenschiffgüterverkehr: 2015er, 2025er und 2030er-Prognose im Vergleich Quellen: BMVI, Berlin; StBA, Wiesbaden; DIW, Berlin; ITP + Ralf Ratzenberger, München und Berechnungen des BGL Straßengüterverkehr: 2015er, 2025er und 2030er-Prognose im Vergleich Quellen: BMVI, Berlin; StBA, Wiesbaden; DIW, Berlin; ITP + Ralf Ratzenberger, München und Berechnungen des BGL 47 Ökoeffiziente Maßnahmen gesucht Alles in allem zeichnet sich ab, dass rund um den Klimaschutz in Deutschland in nächster Zeit wichtige und auch kostenträchtige Entscheidungen anstehen. Der BGL wird sich im Rahmen seiner Beteiligung an den Diskussionen dafür einsetzen, dass im Güterverkehr ökoeffizienten Maßnahmen der Vorzug eingeräumt wird. Dies bedeutet, einzelne Klimaschutzmaßnahmen, die staatlicherseits mit Förderanreizen versehen werden, haben ein vorgegebenes Kosten-/Nutzenverhältnis zu erfüllen. Ausnahmen dürfen nur befristet für sogenannte Markthochlaufphasen akzeptiert werden. Dazu sind Richtwerte und Höchstsätze für CO²Vermeidungskosten anzusetzen und den noch zu schaffenden Förderrichtlinien als objektiver Wertmaßstab zugrunde zu legen. Die mit der Vorreiterrolle beschriebene Initiative der Bundesregierung für Europa und die Welt darf keine Schwächung der deutschen Volkswirtschaft und des Standorts Deutschland bedeuten. So gesehen muss die energiepolitische Vorreiterrolle, die Deutschland in Europa und weltweit einzunehmen gedenkt, mit mittel- und langfristig rechenbaren Wettbewerbsvorteilen einhergehen. Alles andere wäre standortpolitischer „Harakiri“, der letztendlich für breite Schichten der Gesellschaft unbezahlbar wird und nicht nachhaltig sein kann. Schließlich gilt die Binsenweisheit, dass jeder Euro, der für Umweltoder Klimaschutz ausgegeben wird, für andere investive und auch konsumtive Maßnahmen der Gesellschaft nicht mehr zur Verfügung steht. Klimaschutz richtet sich in diesem Zusammenhang auf ein wichtiges Ziel der Gesellschaft, das in unmittelbarer Konkurrenz mit anderen Vorhaben steht. So dürften Investitionen in die Bildungsinfra struktur, Sozialsysteme und vielfältige andere gesellschaftliche Aufgaben Klimaschutz auf das Machbare und Bezahlbare begrenzen. 48 Aktionsplan Güterverkehr und Logistik wird fortgeschrieben – Umsetzung lässt auf sich warten Ankündigungen Mit dem Beginn der neuen Legislaturperiode erfolgte die Ankündigung, den Aktionsplan für Güterverkehr fortzuschreiben und, wo es angebracht erscheint, durch neue Aktionsfelder zu ergänzen. Die dafür erforderlichen Konzeptarbeiten waren bis zum Redaktionsschluss dieses Jahresberichts immer noch nicht abgeschlossen. Der BGL hat jedoch im Vorfeld seine Wünsche zur Anpassung des Aktionsplans im Interesse des mittelständischen Transportlogistikgewerbes eingebracht. Sozialdumping als eigenständiges Thema Als eigenständige Themenstellung sollte nach Auffassung des BGL im Aktionsplan ein besonderer Abschnitt zur Eindämmung des Sozialdumpings eingeführt werden. (Vgl. Abschnitt, „BGL Vorschläge zur Neuregelung der Dienstleistungsund Niederlassungsfreiheit“, S. 36 ff) Dumpingpraktiken sind nicht nur für das deutsche Transportlogistikgewerbe eine schwere Belastung, sondern führen zu wirtschaftlichen Verwerfungen, die insgesamt einem optimierten, ressourcenschonenden Verkehrskonzept in Deutschland zuwiderlaufen. Logistikimage verbessern Als zweiten Punkt plädiert der BGL dafür, den Logistikstandort Deutschland nicht nur mit Auslandsvermarktungsaktivitäten „populärer“ zu machen. Ebenso wichtig ist die Akzeptanzförderung des Logistiksektors in der öffentlichen Wahrnehmung. Zu viele Vorurteile und Vorbehalte gegen die Entwicklung des Logistiksektors und dafür erforderlicher Infrastrukturmaßnahmen machen der Bevölkerung gegenüber eine objektive und sachgerechte Informationspolitik unumgänglich. Diese Aufgabe wird immer wichtiger, je näher der Zeitpunkt zur Umsetzung der Ziele des Aktionsplans, beispielsweise zum Erhalt, der Modernisierung und des Ausbaus leistungsfähiger Verkehrsinfrastrukturen, rückt. Nutzerfinanzierung auf dem Prüfstand Der BGL hat Anregungen zur Umstellung der Steuerfinanzierung auf Nutzerfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur eingebracht. Die von Gutachtern errechneten zweieinhalbfach höheren Mauten für Bundesstraßen stellen jedoch eine Bedrohung der mittelständischen Wirtschaft und nicht allein des Verkehrsgewerbes in Flächenbundesländern dar. Sie wirken kontraproduktiv zur Stärkung des ländlichen Raums und strukturschwacher Regionen. Nachwuchssicherung und Arbeitsbedingungen als Dauerbrenner Einen besonderen Schwerpunkt der Stellungnahme hat der BGL der Nachwuchssicherung und der Schaffung guter Arbeitsbedingungen für das Fahrpersonal gewidmet. Die relativ schwach entwickelten Aktivitäten des Aktionsplans zur Verbesserung der Rampensituation empfindet der BGL als unzureichend. Diesbezügliche Maßnahmen dürfen nicht allein auf einen „Roundtable“ und zweijährige Zufriedenheitsbefragungen der Fahrer reduziert werden. Vielmehr ist es wichtig, durch eine Folgestudie und Best-Practice-Beispiele einen Durchbruch zu erreichen. Nur wenn es gelingt, Unterwegsaufenthalte oder auch Rampen abläufe fahrerfreundlicher zu gestalten, können die sozialen Bedingungen für Berufskraftfahrer verbessert werden. Fehlen substanzielle Fortschritte im Arbeitsumfeld, sind die Probleme bei der Nachwuchsgewinnung nicht zu beseitigen. Entsprechendes gilt für die Aufwertung der Güterverkehrs- und Logistikberufe. Es besteht der Wunsch, das BMVI in wirkungsvolle Aktivitäten einzubinden und gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit für eine breitere Basis der Nachwuchsgewinnung zu sorgen. 49