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„ Ausbildung
Integrierte Ausbildung für Fahrdienstleiter
und Disponenten an Simulationssystemen
Raimo Michaelsen / Rolf Zeranski / Jörg Demitz
Der Bahnbetrieb wird von vielen handelnden Personen durchgeführt. Mit
dem integrierten Ausbildungssystem
für Fahrdienstleiter und Disponenten an der Fachschule Gotha und der
Fachhochschule Erfurt ist es erstmalig
möglich, verschiedene Berufsgruppen
gleichzeitig zu schulen. Die Realisierung erfolgte auf Basis bereits vorhandener Systeme, die über Schnittstellen
verknüpft wurden. Mit vergleichsweise geringem Aufwand konnte so eine
Plattform realisiert werden, die richtungsweisend für die zukünftige Ausbildung von Fahrdienstleitern und Disponenten ist.
1 Bedarf für integrierte
Ausbildung im
Eisenbahnbetrieb
Die Notwendigkeit der integrierten Ausbildung im Eisenbahnbetrieb stand von
Anfang an als zentrale Forderung für die
Heranbildung von Nachwuchsführungskräften auf der Tagesordnung. So wurde schon im Jahre 1955 mit Aufnahme
der Ausbildung von mittleren Führungs-
kräften an der damaligen Ingenieurschule für Betriebs- und Verkehrstechnik Gotha der Integrationsgedanke von Technik, Technologie und Betriebsführung
in den Curricula der einzelnen Ausbildungsteile berücksichtigt. In der Fortführung dieser Ausbildungsphilosophie
wird seit 1992 der Techniker für Eisenbahnbetrieb an der Gothaer Schule ausgebildet. Aufbauend auf einschlägigen
beruflichen Vorkenntnissen erwerben die
Teilnehmer Handlungskompetenz für die
Führung des Eisenbahnbetriebs. Hierzu
dienen Simulationstrainings in den Bereichen Steuerung und Disposition des
Betriebsprozesses.
Dem Stand der Technik und Ausrüstung entsprechend konnte dies zu Beginn
der Ausbildung in den 1950er Jahren nur
als Forderung und Betrachtungsweise in
die Konzepte eingebracht werden. Mit
der Konsolidierung des Studienganges
wurde aber sehr schnell klar, dass ohne
eine entsprechende Systemsimulation
die komplexen Zusammenhänge im vernetzten System Eisenbahnbetrieb nicht
zielführend vermittelt werden können. Im
Jahre 1966 konnte dann ein Betriebsfeld
(Modellbahn mit angeschlossener Origi-
Bild 1: Fahrdienstleiter-Arbeitsplatz im Betriebsfeld Gotha
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nal-Sicherungstechnik) erfolgreich in der
Lehre zum Einsatz kommen (Bild 1).
Auf Basis der Potthoff´schen Erkenntnisse zur Systemsimulation mit Hilfe von
Betriebsfeldern (Modellbahn mit angeschlossener Sicherungstechnik) eine zeitechte Simulation der Prozesse durchführen zu können, wurde sehr zügig an der
Erstellung einer solchen Anlage gearbeitet. Im Jahre 1966 konnte diese dann erfolgreich in der Lehre zum Einsatz kommen.
Neben der sicheren Handhabung des
Betriebes durch die Trainingsteilnehmer
wurde schon von Beginn an auch die
Disposition des Betriebes in die Übungen integriert. Darüber hinaus fanden
Disponentenschulungen für die Deutsche Reichsbahn statt, in deren Rahmen
jährlich 40 bis 60 Disponenten für diesen
speziellen Bereich fortgebildet wurden
oder eine Grundausbildung für den Ersteinsatz erhielten.
Mit den gestiegenen technischen Möglichkeiten, Prozesse rechentechnisch zu
simulieren, ergaben sich Anfang und Mitte der 1990er Jahre völlig neue Perspektiven zur Qualifizierung der Systeme. Die
Simulationstechnik gehört heutzutage
auch bei der Ausbildung von Triebfahrzeugführern und Fahrdienstleitern zum
Standard [1], [2]. Mit Hilfe der Simulation
ist es möglich, die fließenden Übergänge
zwischen Steuerung und Disposition begreifbar zu machen und dem Fahrdienstleiter die Kernkompetenz zur sicheren
Reihenfolgeregelung von Zugfahrten viel
deutlicher zu vermitteln. Durch die bildlichen Übersichten wurde dem Disponenten ein echtes Handwerkszeug zur Verfügung gestellt, welches ihn vom reinen Informationserfasser (Registrierkasse) zum
echten Entscheider machte.
Die Pünktlichkeit im Betrieb wird maßgeblich von den Disponenten beeinflusst.
Für eine effektive Betriebsabwicklung ist
daher eine umfassende betriebliche Erfahrung seitens der Disponenten notwendig. Weiterhin müssen die Disponenten
örtliche betriebliche Besonderheiten kennen und diese im laufenden Betrieb berücksichtigen. Diese Erfahrung kann für
große und komplexe Eisenbahnnetze in
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Ausbildung „
der Regel nicht während einer Ausbildung
an den Originalsystemen im laufenden
Betrieb erworben werden. Im Bereich von
Nahverkehrssystemen wurde daher bereits eine Verknüpfung von Stellwerkssimulation und Original-Betriebsleitsystem
für eine umfassende Ausbildung zur Disposition realisiert [3].
Die integrierte Ausbildung der Rollen
Fahrdienstleiter und Disponent verbessert Kommunikation und Verständnis für
den gesamten Bahnbetrieb. Wechselwirkungen in der Betriebsabwicklung zwischen Disposition und Stellwerk können
für alle Seiten verständlich und nachvollziehbar dargestellt werden und ermöglichen einen schnellen und einfachen Einblick in die „andere Seite”. In gemeinsamen Schulungsszenarien werden Wechselwirkungen „erfahren”. Probleme in der
Kommunikation zwischen Fahrdienstleiter und Disponent werden sofort deutlich,
die Auswirkungen können nachvollzogen
werden. Notfall- und Rettungsprozeduren, insbesondere in Tunneln, können gefahrlos und realistisch trainiert werden.
2 Ausbildung von
Systemführungskräften
2.1 Die Fachschule Gotha
Das Technologische Labor Eisenbahnbetrieb (Betriebsfeld) der Fachschule Gotha
ist ein fester Bestandteil bei der Ausbildung von Systemführungskräften für die
Bereiche der spurgeführten Transportprozesse, wie Eisenbahnen, Anschlussbahnen u. ä. [5]. Die Anlage dient zur Simulation von Zugfahrtprozessen, rangierdienstlichen Arbeiten und Eisenbahnbauzuständen. Sie wird für die wissenschaftliche Systembetrachtung der o. g.
Prozesse genutzt und auch als Trainingsanlage zur Ausbildung von Fähigkeiten und Fertigkeiten bei der Bedienung
der Stellwerkstechnik eingesetzt. Weitere Hauptaspekte liegen im Bereich der
Herausbildung dispositiver Fähigkeiten
für die Überwachung und Lenkung von
Schienenbahnsystemen.
Die gesamte Modellbahnanlage, die in
der Modellbahnspur H0 gebaut wurde,
umfasst (Bild 2):
„ 51 km Hauptstrecke,
„ 27 km Nebenstrecke (umschaltbar auf
Hauptbahnbetrieb),
„ vier Bahnhöfe der Hauptbahn,
„ eine Abzweigstelle der Hauptbahn,
„ zwei Blockstellen der Hauptbahn sowie
„ drei Bahnhöfe der Nebenbahn (mit Umschaltmöglichkeit auf Hauptbahnbetrieb).
Realisiert wurde die Anlage im Längenmaßstab 1:200 unter Anbindung der ori-
Bild 2: Spurplan des
Betriebsfelds Gotha
ginalen Stellwerkstechnik an die Modellbahntechnik. Auf der Anlage sind alle auf
dem Gebiet der ehemaligen Deutschen
Reichsbahn gängigen Sicherungstechniken im Einsatz. Die moderne Technik der
Elektronischen Stellwerke (ESTW) ist als
separate Simulationsanlage vorhanden.
Das gesamte Labor ist mit allen Unterlagen und Vorschriften des Regelwerkes
der Bahnen ausgerüstet und es gelten die
gleichen Strukturen, wie sie innerhalb der
verschiedenen Ebenen des Eisenbahnbetriebes anzutreffen sind. Für alle Bahnhöfe und Betriebsstellen des Netzes sind
Pläne und Unterlagen nach den Bestimmungen für das Eisenbahnwesen erarbeitet worden, die ständig den neuen Erfordernissen und Regelungen angepasst
werden. Dies sind insbesondere Lagepläne, Verschlusspläne, Fahrplanunterlagen,
örtliche Richtlinien, Meldepläne und Unfallunterlagen.
Das Nutzungsspektrum des Betriebsfelds Gotha erstreckt sich über viele Bereiche der Aus- und Fortbildung:
„ Grundausbildung der Studenten des
dualen und grundständigen Studiengangs Bachelor of Engineering Eisenbahnbetrieb in den Bereichen Regelbetrieb und Abweichen vom Regelbetrieb mit je vier Semesterwochenstunden,
„ Integration in die Spezialausbildung
im Bereich Betriebsführung (örtliche
Richtlinien, Kontrolltätigkeit, Baubetrieb u. ä.),
„ Lehrplangebundene
Wissensvermittlung im Bereich Staatlich geprüfter
Techniker Verkehrstechnik mit den
Schwerpunkten Verkehrsmanagement
und Eisenbahnbetrieb,
„ Fortbildung von Praktikern im Rahmen
von Ausbildungsmaßahmen für Eisenbahnunternehmen oder als Bestandteil
von Funktionsausbildungen.
Für die Gestaltung des lehrplangebundenen Laborbetriebes ist für jeden Stoffabschnitt ein Katalog von Übungsinhalten themengebunden erarbeitet worden,
der ständig überarbeitet wird, um den
veränderten Bedingungen des Eisenbahnbetriebes Rechnung zu tragen. Im
Einzelnen besteht dieser Katalog aus folgenden Hauptschwerpunkten:
„ Sicherungstechnische
Übungen zur
Handhabung der Technik,
„ Regelbetrieb,
„ Abweichen von der Regeltechnologie
aufgrund von Störungen an der Sicherungstechnik oder betrieblichen Störungen.
Weiterhin wird das Labor in die Wissensvermittlung einbezogen, wenn es um
die Bearbeitung von komplexen Zusammenhängen geht und die Lehre sich stark
am Beispiel orientiert (z. B. Gestaltung
örtlicher Richtlinien).
2.2 Die Fachhochschule Erfurt
Bereits seit dem Wintersemester 2006/07
gibt es an der Fachhochschule Erfurt eine
duale Ausbildung mit einem wirtschaftlich
technischen Studium mit dem Abschluss
Bachelor of Engineering Eisenbahnwesen
zusammen mit dem Abschluss einer eisenbahnspezifischen Berufsausbildung
(Eisenbahner im Betriebsdienst, Fachrichtung Fahrweg) bei der Deutschen
Bahn AG. Die Dauer dieser kombinierten Ausbildung beträgt vier Jahre. Dieses Angebot eines dualen Studiums wird
in einer Kooperation zwischen der Fachhochschule Erfurt, der DB Netz AG und
der Staatlichen Fachschule Gotha angeboten. Nachdem dieses Ausbildungsmodell zu Beginn an der FH Erfurt als Vertiefungsrichtung des etablierten Studiengangs Verkehrs- und Transportwesen
umgesetzt wurde, gibt es seit dem Wintersemester 2009/2010 den eigenständigen Studiengang Eisenbahnwesen. Ab
dem Wintersemester 2010/11 wird an der
FH Erfurt zusätzlich der Studiengang Eisenbahnwesen auch ohne Berufsausbildung angeboten. Die FH Erfurt strebt an,
jedes Jahr in Summe 50 gut ausgebildete Eisenbahningenieure mit und ohne zu-
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sätzliche Berufsausbildung dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen.
Das Studium beinhaltet in den ersten
beiden Semestern u. a. Grundlagenfächer
der Wirtschaftswissenschaften, Englisch
sowie Grundlagenfächern im Verkehrswesen, in den Semestern drei und vier
folgen Fächer der fachlichen Qualifizierung und Vertiefung, wie z. B. Transportwirtschaft, Verkehrspolitik, Fahrplan / Europäische Bahnsysteme, Infrastrukturplanung und -bau, Leit- und Sicherungstechnik sowie vier verschiedene Wahlpflichtfächer. Im fünften und sechsten
Semester folgen das Praxissemester sowie Spezialisierung und Anwendung des
Erlernten, beispielweise im Fach Betriebliche Infrastrukturplanung und -simulation. Das Studium schließt mit einer Bachelorarbeit am Ende des sechsten Semesters ab.
Im Zuge des Studiums Eisenbahnwesen werden den Studierenden eisenbahntypische Hilfsmittel, wie beispielsweise
EDV-Programme zur Fahrplankonstruktion oder zu Eisenbahnbetriebssimulation, nicht nur vorgestellt. In eigenen Seminaren erhalten die Studierenden auch
die Möglichkeit, mit Hilfe kleiner Übungen
diese Software auszuprobieren. An realitätsnahen Beispielprojekten werden abschließend Hausarbeiten als Nachweis
des Erlernten angefertigt [6].
2.3 Einsatz von Lehrmitteln
in der Ausbildung
An der Fachschule Gotha wird seit Jahren das Eisenbahnbetriebsfeld zur anschaulichen Vermittlung der Grundlagen
des Eisenbahnbetriebs sowie der spezifi-
Bild 3: Ausbildungsanlage BEST für ESTW
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schen Details einzelner Stellwerkstechniken eingesetzt. Zusätzlich zu den im Betriebsfeld vorhandenen Stellwerken wird
seit 2007 auch mit einer Simulationsanlage für elektronische Stellwerke geschult.
Dieses Simulationssystem auf Basis der
Betriebs- und Stellwerkssimulation BEST
wurde von Funkwerk Information Technologies GmbH (Funkwerk IT) an die FS Gotha geliefert (Bild 3).
Für die Abbildung der Betriebsprozesse
unter den Bedingungen des Betriebs einer Eisenbahn nach Fahrdienstvorschriften für Nichtbundeseigene Eisenbahnen
(FV NE) wurde eine weitere Modellbahnstrecke so ausgerüstet, dass sie technisch und technologisch ein Training von
Betriebspersonalen im konkreten Handeln ermöglicht. Zugleiter und Lokführer
arbeiten dabei auf Basis der betrieblichen
Kommunikation zusammen und agieren
auf der Basis der für diese Anlage erstellten Sammlung betrieblicher Vorschriften
(SbV). Es lässt sich aber auch auf besondere Anforderung für jede SbV eines anderen Netzes die Ausbildung organisieren.
Zur Verdeutlichung von Technikentwicklung und Veränderungen in der Bedienung wird ein Vorgängermodell der
BEST ESTW-Simulation betrieben, welches mit dem Eingabemedium Tablett
und Stift arbeitet und im Rahmen sicherungstechnischer Betrachtungen den
Studenten Erkenntnisse vermitteln kann.
Als reines Demonstrationsobjekt wird
eine Orginal-RZü (Vorläufer der Betriebszentralen) der DB Netz benutzt, mit der
auf Basis einer 24-Stunden-Konserve
die Dispositionsabläufe erläutert werden
können.
An der Fachhochschule Erfurt werden
in der Ausbildung zum Bachelor Eisenbahnwesen im Themenblock der Eisenbahnbetriebswissenschaften Kenntnisse in Simulationssoftware vermittelt. Insbesondere die Fahrplankonstruktion mit
FBS vom Institut für Regional- und Fernverkehrsplanung (iRFP) und die Eisenbahnbetriebssimulation mit RailSys von
der Rail Management Consultants GmbH
(RMCon) werden in Seminaren intensiv
vorgestellt.
3 Technische Lösung
In der Umsetzung von Ausbildungssystemen hat Funkwerk IT umfangreiche
Erfahrungen gesammelt. Die Verknüpfung einer Stellwerkssimulation mit einem realen Leitsystem ist zunächst mit
geringem technischen Aufwand realisierbar. Die Nutzung eines Originalsystems in der Ausbildung hat aber auch
Nachteile. Das Originalsystem basiert
meist auf einer komplexen HardwarePlattform (z. B. Doppelrechner). Weiterhin ist das Originalsystem für einen
Dauerbetrieb ausgelegt. In der Ausbildung muss das Simulationssystem jedoch Funktionen zur Auswahl der simulierten Uhrzeit, zum Anhalten der Simulation sowie für Zeitlupe und Zeitraffung
beinhalten. Zur effektiven Ausbildung
ist daher ein angepasstes Leitsystem
notwendig.
3.1 Betriebs- und
Stellwerkssimulation BEST
Seit 2000 werden alle ESTW-Fahrdienstleiter der DB Netz AG an Simulationsanlagen in den Betriebszentralen ausgebildet.
Auf Basis der Betriebs- und Stellwerkssimulation BEST von Funkwerk IT wurde
für die Ausbildung ein System realisiert,
das alle Funktionen der realen ESTW
(Siemens SIMIS-C und Thales L90) nachbildet.
Am Simulator werden alle Fahrdienstleiter in den Betriebszentralen der
DB Netz AG praxisorientiert ausgebildet.
Eine umfassende Ausbildung des Stellwerks- und Leitstellenpersonals kann nur
mit Hilfe einer leistungsfähigen Simulation erfolgen. Am realen System können
keinerlei Störungen geschult werden,
weil der sichere und pünktliche Bahnbetrieb Vorrang hat. Ziel der Ausbildung an
der Simulation ist die handlungssichere
Beherrschung folgender Aufgaben ohne
Einfluss auf den laufenden Betriebsablauf:
„ Bedienung der Stellwerkstechnik,
„ Abwicklung des Regel- und Störungsbetriebs,
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schnelle Durchführung der notwendigen kritischen Bedienungen im Störungsfall sowie
„ Einhaltung von Betriebsvorschriften bei
Störungen an der Sicherungstechnik.
Die Betriebs- und Stellwerkssimulation BEST ist ein detailgenaues Simulationssystem für Stellwerks- und Leittechnik, welches bereits bei mehreren Eisenbahn- und Nahverkehrsbetrieben im Inund Ausland eingesetzt wird. Die Entwicklung erfolgt seit rund 20 Jahren und
wird permanent fortgeführt. Unter anderem wird BEST bereits in Deutschland,
der Schweiz, Österreich, Belgien und
Luxemburg eingesetzt. Pro Jahr werden
rund 3 500 Fahrdienstleiter an BEST-Simulationssystemen geschult.
Die BEST-Simulation ist seit 2007 in der
Fachschule Gotha zur Ausbildung im Einsatz.
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3.2 Betriebsleitsystem TravisEco
Als Betriebsleitsystem wird in der Simulationsumgebung das flexible Betriebsleitsystem TravisEco von Funkwerk IT
eingesetzt. Funkwerk IT hat im Konsortium BZ2000 für die DB Netz AG die Softwaresysteme zur Disposition in den Betriebszentralen realisiert [4]. Die zentrale
Komponente für die Disposition ist das
System LeiDis-S/K. Dieses hochentwickelte Betriebsleitsystem wurde von
Funkwerk IT für den Einsatz auf Regionalstrecken und für kleinere Netzbetreiber
weiter entwickelt. Das flexible Betriebsleitsystem TravisEco entspricht in Funktionalität, Darstellungen und Bedienmöglichkeiten im Wesentlichen dem System
LeiDis-S/K, ist aber auf einer reduzierten
Hardware (Linux-PC) lauffähig.
In TravisEco sind alle relevanten grafischen Darstellungen des Betriebsgeschehens umgesetzt:
„ Streckenspiegel,
„ Zeit-Weg-Linien-Diagramm,
„ Bahnhofsgrafik mit Bahnsteiggleisbelegung und Anschlussübersicht sowie
„ diverse tabellarische Übersichten.
Um korrigierend auf das Betriebsgeschehen einzuwirken, stehen dem Bediener in TravisEco zahlreiche dispositive
Maßnahmen zur Verfügung. Ziel der Interaktion mit dem System ist es, bei Abweichungen die Betriebslage möglichst
schnell wieder zu stabilisieren und den
geplanten Zustand wieder zu erreichen.
Über die Oberflächen zur Visualisierung
und Interaktion ist der Disponent in der
Lage, Zugläufe zu beeinflussen. Dabei
können Dispositionsentscheidungen, die
im Zuge der Konfliktlösung geplant werden, im Vorfeld gezielt auf ihre Wirkung
auf das Betriebsgeschehen untersucht
werden. Danach entscheidet der Bedie-
Bild 4: Integrierte
Ausbildungsumgebung für Fahrdienstleiter und
Disponenten an den
Standorten FH Erfurt
und FS Gotha
ner, ob diese Dispositionsmaßnahme aktiviert und damit in den Produktionsfahrplan übernommen wird.
3.3 Realisierung des Ausbildungssystems für Fahrdienstleiter
und Disponenten
Zur Realisierung eines integrierten Ausbildungssystems für Fahrdienstleiter und
Disponenten sind bei Funkwerk IT alle
notwendigen Systeme und Schnittstellen
bereits realisiert. TravisEco ist über eine
Nachbildung der Echtzeitschnittstelle
(ZLV-Bus-Schnittstelle) mit der BEST-Simulation verknüpft. Die Prozessinformationen (z. B. Zuglauf, Fahrwegverfügbarkeit, Konflikte) und die Prognose werden
in grafischen und tabellarischen Oberflächen (Dialogen) dargestellt. Die Aktualisierung des dynamischen Inhalts der Bilder erfolgt auf Basis der Ist-Standortmeldungen aus der BEST-Simulation.
Für das Betriebsleitsystem wurde ein
zusätzlicher Server-Rechner in die Ausbildungsumgebung integriert. Dieser
Rechner dient auch als Arbeitsplatzrechner (Client) für den Disponenten und ist
am Standort der FH Erfurt installiert. Die
Verknüpfung zwischen den räumlich getrennten Systemen BEST und TravisEco
erfolgt über eine Virtual Private Network
(VPN)-Verbindung (Bild 4).
Auf den BEST-Arbeitsplätzen in Gotha
können alle Oberflächen des TravisEcoSystems geöffnet und bedient werden.
Im Rahmen der integrierten Ausbildung
können die Fahrdienstleiter die für sie relevanten Informationen (Zugstandorte,
Verspätungslagen, aktuell geplante Gleisnutzung usw.) aus dem TravisEco-System entnehmen. Aufgrund des Rechteund Rollenkonzepts in TravisEco können
sich die Fahrdienstleiter in Gotha passiv
als Beobachter am Leitsystem anmelden,
während die Rolle des Disponenten in Erfurt wahrgenommen wird. Eine Anmeldung, um aktiv im TravisEco-System zu
disponieren, ist ebenfalls möglich. Somit
können verschiedene Aufgabenverteilungen während einzelner Ausbildungseinheiten geschult werden.
Bild 5: Projektierung
des Betriebsfelds
Gotha in der BESTSimulation
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3.4 Abbildung des
Betriebsfelds Gotha in der
Simulationsumgebung
Die neue Simulationsumgebung bildet das bestehende Betriebsfeld an der
Fachschule Gotha ab. In der Simulation
ist die Modellbahnanlage mit dem gleichen Spurplan in Form zweier ESTWUnterzentralen
(Schönhausen
und
Adorf) abgebildet (Bild 5). Für die Simulation
sind beide Unterzentralen in einem Steuerbezirk projektiert. Damit kann während der
Simulation frei gewählt werden, welche Unterzentrale von welchem FahrdienstleiterArbeitsplatz bedient werden soll. Auch eine
Übernahme beider Unterzentralen von einem Arbeitsplatz ist möglich.
Zur Projektierung der Stellwerksdaten
in der BEST-Simulation wurde im Rahmen von studentischen Arbeiten an der
Fachschule Gotha eine signaltechnische
Planung für ein ESTW auf der Basis des
vorhandenen Spurplans im Betriebsfeld
erarbeitet. Das Ergebnis dieser Planung
entspricht im Umfang dem üblichen Planteil 1 für signaltechnische Planungen für
die DB AG. Die Planungsdaten wurden im
Anschluss von Funkwerk IT in BEST projektiert und mit Hilfe des Simulators funktional überprüft und ggf. ergänzt.
Die Systeme TravisEco und BEST müssen in der Verknüpfung die gleiche Datenbasis nutzen. Deshalb wurden die Projektierungsdaten im Anschluss in TravisEco
übernommen. Die Fahrplandaten für das
Betriebsfeld werden an der Fachschule
Gotha mit dem Fahrplanbearbeitungssystem FBS erstellt. In TravisEco wurde eine
Die Autoren
Prof. Dr.-Ing. Raimo Michaelsen
Leiter des Studiengangs Eisenbahnwesen, Fachhochschule Erfurt
Anschrift: Postfach 45 01 55,
D-99051 Erfurt
E-Mail: [email protected]
Dipl.-Ing. Rolf Zeranski
Fachrichtungsleiter Verkehrstechnik,
Staatliche Fachschule für Bau, Wirtschaft
und Verkehr Gotha
Anschrift: Friedrichstraße 5,
D-99867 Gotha
E-Mail: rolf.zeranski@fachschule-gotha.
thueringen.de
Dipl.-Ing. Jörg Demitz
Leiter Vertrieb Simulationssysteme,
Funkwerk Information
Technologies GmbH
Anschrift: Edisonstraße 3, D-24145 Kiel
E-Mail: [email protected]
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Schnittstelle ergänzt, um diese Daten einlesen und verarbeiten zu können. Weiterhin
werden die Fahrplandaten an das BESTSystem übergeben, damit der Zugbetrieb
entsprechend dem Fahrplan erfolgt.
4 Fachlicher Nutzen
Mit dem bisherigen Lehrangebot kann
an der Fachschule Gotha die örtliche Betriebsführung durch Fahrdienstleiter geschult werden. Studierende der FH Erfurt
besuchen ebenfalls dieses Betriebsfeld im
Rahmen ihrer Ausbildung zum Kennenlernen des Stellwerksdienstes. Bisher fehlte
ein erprobtes Trainingssystem für Disponenten, welches nun im Rahmen der Kooperation zwischen der Fachschule Gotha und der FH Erfurt umgesetzt wird. In
dem hier beschriebenen Projekt wird erstmalig die dispositive Ebene vollständig
in die Ausbildung integriert. Insbesondere Aufgabenstellungen, die ein enges Zusammenwirken von Disponent und Fahrdienstleiter erfordern (z. B. bei Unfällen),
können so demonstriert werden. Probleme in der Kommunikation werden deutlich
und können im Rahmen der Schulung behandelt und verbessert werden.
Der Standort des Disponenten-Arbeitsplatzes wird an der FH Erfurt sein. Im Simulationsbetrieb erfolgt dann ein simultaner bidirektionaler Datenaustausch
zwischen der Disponentenebene in Erfurt
und dem Betriebsfeld Gotha. Aus pädagogischer Sicht ist die Möglichkeit, verschiedene Semester und verschiedene
Rollen gleichzeitig in die Nutzung dieser
Simulation einzubinden, sehr attraktiv. In
der Forschung bietet sich die Gelegenheit unterschiedliche Dispositionsstrategien im Vorfeld auf Tauglichkeit und Auswirkungen zu testen.
Als Fernziel ist die Kopplung der Ausbildungsumgebung mit einem Fahrsimulator vorgesehen. Damit können ein oder
mehrere Züge durch die simulierte Umgebung der BEST-Anlage aktiv gefahren werden. Die Steuerung durch einen
„menschlichen“ Lokführer bietet dann die
Möglichkeit, den Einflussfaktor Mensch
gebührend in der Simulation zu berücksichtigen und betriebliche Kommunikation zwischen allen Beteiligten im Bahnbetrieb realitätsbezogen durchzuführen.
Die Vorträge und die Diskussion im
Rahmen des 23. Gothaer Technologenseminars unter dem Titel „Betriebsprozesssimulation mit Hilfe von Eisenbahntrainingsanlagen – Einsatz in Lehre, Forschung und Wissenschaft“ brachten sehr
deutlich zum Ausdruck, dass die Vertreter
aus Praxis und Bildung genau diesen Aspekt als besonders wichtig erachten [7].
Mit Hilfe der integrierten Ausbildungsumgebung an den beiden Hochschulen können wertvolle Grundlagen für eine zukünftige integrierte Ausbildung im Betriebsdienst erarbeitet werden.
LITERATUR
[1] Demitz, J.; Parádi, Dr.-Ing. F.: Höhere Betriebssicherheit und Zuverlässigkeit
durch verhaltensorientierte Ausbildung, Eisenbahntechnische Rundschau 06/2009
[2] Bolln, N.; Hrivnák, I.; Werner, Y.; Devriendt,
E.: Trainingssimulator BEST im Einsatz bei
Infrabel, Belgien, SIGNAL+DRAHT 1+2/2009
[3] Barg, O.; Bolln, N.; Hrivnák, I.: Ausbilden
mit MESSINA-Leitsystem, Der Nahverkehr
12/2005
[4] Heinrichs, A .: Betriebszentralen: Inbetriebnahme am Beispiel Hannover,
SIGNAL+DRAHT 9/2006
[5] Höhne, W.; Zeranski, R.: Aufstiegsausbildung an der staatlichen Fachschule Gotha,
Deine Bahn 08/2009
[6] http://www.studium-eisenbahnwesen.de/
[7] http://www.iafw-gotha.de/GTS/gts_23.
html
5 Ausblick
Die neuen Rahmenbedingungen und die
sich ergebenden Ausbildungsmöglichkeiten müssen in ein neues Lehrszenario integriert werden. Studenten der FH Erfurt
übernehmen die Rolle der Disponenten
und erstellen die betrieblich-strategische
Vorgabe. Die Umsetzung dieser Vorgaben erfolgt durch die Fahrdienstleiter im
Betriebsfeld in Gotha. Der durchgeführte Betrieb in Gotha bedingt anschließend
wieder eine angepasste betrieblich-strategische Weiterdisposition in Erfurt. Es
handelt sich also um ein gleichzeitiges
Trainingsprogramm für beide Gruppen.
Am anderen Ende der jeweiligen Entscheidungskette arbeitet keine reine Simulation, sondern ein menschliches Gegenüber – wie in der Realität.
„ SUMMARY
Integrated training for signalmen and
dispatchers using simulation systems
Railway systems are operated by numerous persons in different roles. The
integrated training system for signalmen
and dispatchers at Fachschule Gotha
and Fachhochschule Erfurt enables for
the first time a joint training of the two
groups. The implementation is based on
existing systems which have been linked
by real time interfaces. With comparatively low effort a new training platform could
be installed which is trend-setting for the
future training in railway operations.
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