Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch - Publik
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Hartmut Meesmann (Hrsg.) Mystik – der wahre Weg zu Gott? Die Kontroverse um den Benediktinerpater und Zen-Lehrer Willigis Jäger Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > Hartmut Meesmann (Hrsg.) Mystik – der wahre Weg zu Gott? Impressum Die Kontroverse um den Benediktinerpater und Zen-Lehrer Willigis Jäger Hartmut Meesmann (Hrsg.) Mystik – der wahre Weg zu Gott? Die Kontroverse um den Benediktinerpater und Zen-Lehrer Willigis Jäger Layout: Andreas Klinkert Satz: Sabine Felbinger Titelfoto: Fotolia/Olga Lyubkin, Foto Rückseite: kna/Beyer Druck und Bindung: Westermann Druck Zwickau GmbH Auflage: 1/2010 © Dezember 2010 by Publik-Forum Verlagsgesellschaft mbH Postfach 2010 61410 Oberursel ISBN 978–3–88095–205-8 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > MYSTIK – DER WAHRE WEG ZU GOTT? INHALT 2. Vertiefungen Inhalt Vorwort 7 1. Die Debatte Ursula Baatz: Auferstehung trifft Erleuchtung Willigis Jäger: Der Urgrund und das Erdbeben Tiemo Rainer Peters: Mit geöffneten Augen Franz-Johannes Litsch: Der Apfel und das Erwachen Helmut Etzold: An den Grenzen des Verstandes Johannes Kopp: Nichts bleibt, wie es war Klemens Speer: Hinter die Worte schauen Michael Seitlinger: Das Scheitern der Sprache 4 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch Andreas Nehring: Persönliches Erleben ist alles Ursula Baatz und Karl Baier: Im Osten nichts Neues 13 Jan Sedivy: 20 Hartmut Meesmann und Jürgen Werbick: 28 Gotthard Fuchs: 38 Christian M. Rutishauser SJ: 44 Ursula Baatz: 51 Norbert Copray, Hartmut Meesmann und Willigis Jäger: Die Wahrheit muss atmen können Wider das Pathos der Erfahrung Innigste Einheit in bleibender Unterschiedenheit In der Gewalt ist Gott abwesend Im Antlitz des Anderen 73 82 91 99 109 118 128 Das Ziel aller Religion 136 Die Autorinnen und Autoren 155 Literatur in Auswahl 158 56 59 5 Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > VORWORT Vorwort Eine wichtige Debatte um die Zukunft des Christentums – und überhaupt der Religion Von Hartmut Meesmann Die Aufregung begann mit einem Beitrag der Wiener Journalistin und Religionswissenschaftlerin Ursula Baatz. In einem Beitrag für die Zeitschrift Publik-Forum (Ostern 2010) ging sie der Frage nach, wie christliche Zen-Lehrerinnen und -lehrer das Verhältnis von Buddhismus und Christentum, Religion und Mystik bestimmen – nämlich sehr unterschiedlich. Dabei kritisierte sie vor allem den Benediktinerpater und Zen-Lehrer Willigis Jäger, der inzwischen im Benediktushof bei Würzburg lebt und dort Zen-Kurse gibt. Ihr Urteil fiel hart aus: »Wer Holocaust und Tsunami auf dieselbe Ebene stellt, hat offenbar die Fähigkeit zur Unterscheidung verloren«, schrieb Baatz. Und weiter: »In Buddhismus und Christentum gilt jedoch die Fähigkeit der weisen Unterscheidung als Kriterium spiritueller Reife.« Sie warf Jäger vor, sich auf seinem mystisch-spirituellen Weg von der Ethik verabschiedet zu haben. Denn: Laut Jäger sind das Gute und das Böse gleichermaßen im göttlichen Urgrund aufgehoben. Es konnte nicht verwundern, dass der Angesprochene sich in einer Antwort zur Wehr setzte. Damit setzte in der Zeitschrift eine kontroverse, mitunter auch scharfe Auseinandersetzung ein, die auf ein ausgesprochen reges Interesse der Leserinnen und Leser stieß und auch dort, wen wundert’s, zu gegenteiligen Reaktionen führte. Nach einer Studie der Identity Foundation – das ist eine gemeinnützige Stiftung, die sich im interdisziplinären Austausch mit dem Wan- 7 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > MYSTIK – DER WAHRE WEG ZU GOTT? del kultureller Identitäten befasst – fühlen sich nur noch 45 Prozent der deutschen Bevölkerung von den christlichen Kirchen angesprochen. Etwa zehn bis fünfzehn Prozent werden als »spirituelle Sinnsucher« bezeichnet, rund zehn Prozent als »Traditions-Christen«. Die übrige Bevölkerung nennen die Autoren der Studie »unbekümmerte Alltags-Pragmatiker«. Rund 35 Prozent der Bevölkerung denken inzwischen als »religiös Kreative« – innerhalb wie außerhalb der Kirchen – eigenständig über ihre religiösen Glaubensvorstellungen nach. Nachzulesen sind die Ergebnisse in der Studie »Spiritualität in Deutschland« aus dem Jahr 2006. Die Sinnsucher und religiös Kreativen, die mit den christlichen Kirchen nichts mehr anzufangen wissen – sie hat Willigis Jäger als Zielgruppe im Sinn. Ihnen will er einen Weg weisen, wie sie Religiosität und Spiritualität für sich (wieder) entdecken können: nachvollziehbar und verständlich, gestützt auf eine tiefe mystische Einheitserfahrung, jenseits von Dogmen und rationaler Theologie. Mystische Religion soll zum göttlichen Urgrund führen, der sich in jedem einzelnen Menschen manifestiert. Jäger nennt es seinen eigenen Zen-Weg, der jede Konfession übersteigt. Die katholische Kirchenleitung hält dem 86-jährigen Benediktiner vor, den christlichen Glaubensweg längt verlassen zu haben. Sie hat ihn mit einem Bußschweigen belegt, an das sich der Zen-Lehrer jedoch nicht hält. In vielen Büchern legt er nach wie vor seine Sicht der Dinge vor. Es stellen sich in der Tat spannende und wichtige Fragen an den eigenwilligen Mönch. Einige von ihnen sind Gegenstand der Beiträge in diesem Buch: Wie kommt es, dass Erfahrung heute einen solch hohen Stellenwert bekommen hat im Feld des Religiösen? Welche Rolle spielt dabei der Zen? Welche Rolle kommt überhaupt noch dem Verstand zu, mithin der Theologie? Braucht es ein neues Gottesbild, den Abschied vom personalen Gott? Muss das Verhältnis zwischen Gott und Welt neu gedacht werden? Welche Rolle spielt Jesus von Nazareth in der neuen Erfahrungsreligiosität? Welche Bedeutung kommt den 8 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch VORWORT Religionen und Konfessionen zu? Sind sie überhaupt noch nötig? Gibt es eine Entwicklung des religiösen Bewusstseins? Wenn ja, was folgt daraus? Welche Rolle spielt in der Mystik das politische und soziale Engagement, also die Ethik? Dokumentiert werden in diesem Buch die Beiträge, die in PublikForum erschienen sind, erweitert um eine kleine Auswahl von Leserbriefen, die zu einzelnen Beiträgen Stellung nehmen und beachtenswerte Aspekte benennen. Und selbstverständlich kommt Willigis Jäger in einem ausführlichen Interview auch selbst noch einmal zu Wort. Der vorliegende Band will eine wichtige Debatte dokumentieren, die in Publik-Forum geführt wurde, und mit vertiefenden Beiträgen zu einer Klärung – nicht aller – aber doch einzelner Fragen und Aspekte beitragen. Denn hinter der Auseinandersetzung steht die zentrale Frage, ob das Christentum der Zukunft sich aus den traditionellen kirchlichen Vorgaben wird lösen müssen, wenn es überleben will. Und ob der religionsübergreifende Weg, den Willigis Jäger vorschlägt und propagiert, ein wirklich überzeugender und zukunftsweisender ist. Das aber muss jeder und jede Suchende selbst entscheiden. 9 Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > 1. Die Debatte < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > AUFERSTEHUNG TRIFFT ERLEUCHTUNG Auferstehung trifft Erleuchtung Christliche Zen-Meister sehen das Verhältnis zwischen Christentum und Buddhismus sehr unterschiedlich. So mancher nimmt Abschied von der Ethik Von Ursula Baatz Dass Christen Zen üben, gilt heute fast schon als Selbstverständlichkeit. In Bildungshäusern, umgebauten alten Klöstern oder Bauernhäusern sitzen Christen, Gerade-noch-Christen und Schon-nicht-mehrChristen unter der Leitung von Patres, Ordensfrauen oder evangelischen Pastorinnen und Pastoren vor der leeren Wand, folgen stundenund tagelang ihrem Atem oder vertiefen sich in Koan-Aufgaben wie: »Zeige mir Dein Gesicht, bevor Deine Eltern geboren wurden.« Auf den ersten Blick scheint die Verbindung von Christentum und Zen-Buddhismus gelungen. Liest man allerdings, was die verschiedenen Zen-Lehrerinnen und -Lehrer mit christlichem Hintergrund so schreiben, dann setzt eine gewisse Irritation ein. Denn ihre Ansichten darüber, wie Zen-Buddhismus und Christentum zusammenpassen, unterscheiden sich in wichtigen Punkten grundlegend. Die Anfänge. Ein kalter Wintertag im Februar 1943. In einem kleinen Zen-Kloster in Tsuwano in der Nähe von Hiroshima sitzen die Zen-Mönche bewegungslos in aufrechter Haltung, das Gesicht zur Wand. Mitten unter ihnen ein hochgewachsener Europäer in der charakteristischen schwarzen Soutane des katholischen Priesters. Der Jesuit Hugo-Makibi Enomiya-Lassalle hatte den Weg ins Zen-Kloster gewählt, weil er das »Herz der japanischen Kultur« kennenlernen wollte. Der damals 45-Jährige suchte nach einem spirituellen Weg für 13 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > MYSTIK – DER WAHRE WEG ZU GOTT? Japans Christen. Er fand, dass die Christen Japans ihre eigene Tradition ins Christentum integrieren sollten. Aus diesem Anfang wurde im Laufe von mehr als einem halben Jahrhundert ein spirituelles Pionier-Projekt. Der Jesuit Lassalle bekam 1978 von dem buddhistischen Zen-Meister Yamada Ko-un Roshi die Erlaubnis, Zen zu lehren. Das hatte es in der Religionsgeschichte noch nicht gegeben: Lassalle, als Priester und Jesuit amtlicher Träger der christlichen Tradition, übernahm das Amt eines Zen-Lehrers – also ein Amt, das an die Überlieferungskette des Zen-Buddhismus gebunden ist. Als Lassalle 1990 im Alter von 92 Jahren starb, gab es in Deutschland, Spanien, Indien, auf den Philippinen und in den USA etwas mehr als ein halbes Dutzend Christen, die Yamada Ko-un Roshi ermächtigt hatte, Zen zu lehren. Er hatte ihnen japanische Zen-Namen gegeben, jedoch keinen der traditionellen Titel der Zen-Hierarchie. Die Gruppe um Yamada Ko-un Roshi heißt Sanbokyodan. Dabei handelt es sich um eine 1954 gegründete Laien-Zen-Gemeinschaft, die vom japanischen Staat anerkannt und nicht an die Regeln des klösterlichen Zen gebunden ist. Die Nachfolger Yamada Roshis entwickelten eigene Kriterien für die Zen-Lehrer und -Schüler des Sanbokyodan. Manche der ehemaligen christlichen Schüler von Yamada Ko-un Roshi schlossen sich anderen Zen-Linien an oder machten sich selbstständig: so Niklaus Brantschen und Pia Gyger, Ama Samy und neuerdings auch Willigis Jäger, der kürzlich seine eigene Zen-Linie gründete und sich von einem chinesischen Ch’an-Abt bestätigen ließ. Für alle Menschen gleich. Christen können Zen üben, ohne ihren Glauben aufgeben zu müssen. Darüber bestand weder für Hugo Enomiya-Lassalle noch für Yamada Ko-un Roshi irgendein Zweifel. Enomiya-Lassalle zeigte, dass sich – angefangen bei den griechischen Kirchenvätern bis hin zu Mystikern wie Meister Eckhart oder Johannes vom Kreuz – überraschende Ähnlichkeiten zwischen christlicher Mystik und Zen-Übung finden lassen. Yamada Ko-un Roshi wiederum stellte fest: »Die Erfahrung der Erleuchtung ist wie eine Tasse Tee, 14 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch AUFERSTEHUNG TRIFFT ERLEUCHTUNG INHALT sie schmeckt für alle Menschen gleich.« Sein oft wiederholter Ausspruch begründete und legitimierte die institutionelle Verbindung von Zen-Buddhismus und Christentum. Der Einwand von Ruben Habito, Zen-Lehrer und Theologe, dass Geschmackswahrnehmungen – zum Beispiel von Tee – von Erziehung und Kultur abhängen, wurde übergangen; glücklicherweise, denn sonst hätte die Verbindung von Zen-Buddhismus und Christentum vor lauter Bedenken gar nicht stattgefunden. Doch die kritische Anfrage blieb ausgeblendet. Christliche und buddhistische Zen-Lehrer des Sanbokyodan pflegten den interreligiösen Dialog untereinander kaum. Yamada Ko-un Roshi allerdings hatte seinen christlichen ZenSchülern ans Herz gelegt, christliche Formulierungen für die Zen-Erfahrung zu finden. Sowohl Yamada Ko-un Roshi (er starb 1988) als auch Hugo EnomiyaLassalle hatten als Kinder ihrer Zeit einen Inklusivismus gepflegt: Beide ordneten die jeweils andere Religion in die eigene Tradition ein. Für Yamada Ko-un Roshi war Zen »das Herz aller Religionen« – eine Vorstellung, die auch während der Zeit des japanischen Militarismus und Nationalismus populär war. Hugo Enomiya-Lassalle vertrat eine »Theologie der natürlichen Mystik«, die unter anderem auf den französischen katholischen Theologen Jacques Maritain zurückging. Gotteserfahrung sei in allen Religionen zu finden, aber nur im Christentum auf vollkommene Weise, hieß es da. Beide waren sich aber auch darin einig, dass der einigende Grund aller Religionen die Basis und Bedingung der Möglichkeit einer Verbindung zwischen Zen und Christentum ist. Statt auf Konkurrenz der Absolutheitsansprüche setzten beide auf Kooperation. Sie sahen in der Zen-Übung einen Weg, den Frieden in der Welt zu fördern. Angesichts der atomaren Bedrohung, aber auch der ökologischen Probleme, die bereits damals sichtbar wurden, erschien ein grundlegender Bewusstseinswandel für die Menschheit lebenswichtig. Herz aller Religionen? Die Zen-Übung kann einen heilsamen Bewusstseinswandel mit sich bringen. Die Zen-Erfahrung steht allen of- 15 Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > MYSTIK – DER WAHRE WEG ZU GOTT? fen, die sich auf den Weg machen wollen. Darin ist sich die erste Generation der Zen-Lehrerinnen und -Lehrer mit christlichem Hintergrund einig. Doch ansonsten unterscheiden sich ihre Positionen grundlegend. Die einen lassen Zen und Christentum als zwei gleichberechtigte und gleichwertige Dimensionen nebeneinander bestehen. Die anderen übernehmen die inklusivistische Deutung des Zen als »Herz aller Religionen« und entwickeln daraus eigene Interpretationen. Diese zweite Gruppe – die sogenannten Eternalisten – geht davon aus, dass es eine »ewige Weisheit« gibt, die sozusagen der »Gipfel aller Religionen« ist. Da dieser bereits durch die Zen-Übung erreicht wird, braucht man die buddhistische Tradition nicht zu kennen. Von den Eternalisten, die Zen als Geschenk an die Christen sehen – dazu gehören Niklaus Brantschen, Pia Gyger und Johannes Kopp –, wird die Zen-Übung umstandslos ins Christentum eingebaut und christlich interpretiert, auch wenn dabei die buddhistische Intention verschwindet. Auch der Noch-Immer-Benediktiner Willigis Jäger bemüht sich nicht um eine Kenntnis der buddhistischen Tradition. Mit seinen Bildern von einem »anderen Gott« nutzt er ausgiebig kulturelle Versatzstücke aus dem 19. Jahrhundert. Friedrich Nietzsche und Ernst Haeckel stehen neben anderen Philosophen Pate bei Formulierungen wie jener, dass Gott eine unpersönliche »Urkraft« sei. Dass für Willigis Jäger die Ethik beim Aufstieg zum »Gipfel der Mystik« uninteressant ist, hat zur Folge, dass am Ende der Tod durch das böswillige Handeln anderer und der Tod durch ein Naturereignis letztlich dasselbe sind. Denn »Gott ist, was sich vollzieht«, schreibt Jäger – und übersieht, dass nicht alles, was Menschen tun, göttlich ist. Wer Holocaust und Tsunami auf dieselbe Ebene stellt, hat offenbar die Fähigkeit zur Unterscheidung verloren. In Buddhismus wie Christentum gilt jedoch die Fähigkeit der weisen Unterscheidung als Kriterium spiritueller Reife. Zudem bestehen beide Traditionen auf ethisch angemessenem Verhalten. 16 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch AUFERSTEHUNG TRIFFT ERLEUCHTUNG INHALT Zwei Sprachen. Eine ganz andere Sicht vertreten jene Zen-Lehrer, die selbst in mehreren Kulturen aufgewachsen und somit mehrsprachig sind. Ruben Habito, gebürtiger Philippino und Religionswissenschaftler etwa; oder der indische Jesuit Ama Samy, der seine Kindheit im buddhistischen Burma und später bei seinem Großvater verbrachte, der das Grab eines islamischen Mystikers hütete; oder Ana Maria Schlüter Ródes, die ihre Kindheit in Deutschland und Spanien verbrachte, heute in Spanien lebt und einem holländischen Orden mit internationalen Mitgliedern angehört. Sie alle sehen Zen und Christentum wie zwei verschiedene Sprachen, die sich auf ein und dieselbe Wirklichkeit beziehen, aber verschiedene Vokabeln und eine jeweils andere Grammatik und daher eine unterschiedliche Perspektive haben. Alle drei lehren in der religiösen Sprache des Buddhismus beziehungsweise des Zen-Buddhismus. Sie werden aber nicht zu Buddhisten oder verbergen ihr Christentum. Um im Bild zu bleiben: Zur Muttersprache ist eine Fremdsprache dazugekommen, in der man sich heimisch fühlt. Ethik und deutliche Sozialkritik werden von allen dreien betont. Sowohl Schlüter Ródes als auch Habito betonen die Bedeutung des »inneren Meisters«, also die Autonomie der Schüler. Erleuchtung und Auferstehung. Wenn es um das Herzstück der beiden Traditionen, um Erleuchtung und Auferstehung geht, zeigt sich die Diskrepanz der Perspektiven sehr deutlich. Für Willigis Jäger relativieren sich Leben, Freude und Leiden des Einzelnen zu einem »Wimpernschlag des Universums« – eine vergängliche Form der Urkraft, die morgen eine andere Form annehmen wird. Jäger – wie auch der evangelische Religionswissenschaftler und Zen-Lehrer Michael von Brück – identifiziert Auferstehung implizit mit Wiederverkörperung: »Das Leben endet nie«, »ES/ER kreiert sich in immer neuer Form«, schreibt Jäger. Pia Gyger, Mitglied im Baseler Katharinenwerk, hält Auferstehung und Erwachen für unvereinbar, denn die Auferstehung sei eine Verwandlung zu Lichtmaterie. Der Jesuit Ama Samy wiederum paralleli- 17 Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > MYSTIK – DER WAHRE WEG ZU GOTT? siert die Auferstehung Jesu und das Erwachen des Buddha. Das griechische Wort für Auferstehung heiße so viel wie »Aufstehen, Aufwachen«. In beiden Fällen gehe es um eine grundlegende Veränderung, um das Ende der Zeit und der egoistischen Wünsche. Es gehe um eine andere Dimension, nicht um die Fortsetzung derselben. Darin stimmten Buddhismus und Christentum überein. Auch dort, wo Mystik oder Zen draufsteht, darf und muss also nachgefragt werden, wohin die Reise gehen soll und unter welchen Bedingungen sie steht. Wer sich auf eine spirituelle Tradition einlässt, übernimmt – gewollt oder ungewollt – nicht nur die Stärken, sondern auch die Schwächen dieser Tradition. Die Verblendung, die sich in der individuellen Lebensgeschichte unter vielerlei Deckmänteln einschleicht, kann sich auch in einer spirituellen Praxis ausbreiten – als Gruppenegoismus etwa, als Abwertung anderer Traditionen und anderer Menschen oder als Gedankenlosigkeit und ethische Fahrlässigkeit. 18 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch AUFERSTEHUNG TRIFFT ERLEUCHTUNG INHALT Leserbrief Es geht um die ununterscheidbare göttliche Einheit Ursula Baatz irrt in ihrer ethischen Argumentation. Denn der Holocaust beziehungsweise Völkermord war auch einmal eine göttliche Pflicht. Das steht klar und deutlich im fünften Buch Mose/Deuteronomium, Kapitel 20, Vers 13-17. Bei den direkten Nachbarvölkern sollten demnach nicht nur alle männlichen Personen erschlagen, sondern diese Völker gänzlich »der Vernichtung geweiht werden«: »Darfst du nichts, was Atem hat, am Leben lassen« (Einheitsübersetzung). Diese Textstelle, die gerne verdrängt wird, zeigt wie keine andere, dass Gottesbilder (die sich vor allem auch durch Moralvorstellungen definieren) relativ sind und einer Entwicklung unterliegen. So hat sich in der langen jüdisch-christlichen Tradition das Gottesbild mehrmals radikal gewandelt, von polytheistischen Naturgöttern zu einem monotheistischen Glauben, der noch Tier- und Menschenopfer verlangte und den Völkermord gebot, bis zu dem heutigen christlichen Gott der völkerübergreifenden Nächstenliebe. In der heutigen globalisierten und aufgeklärten Welt kann nun auch das aktuelle Gottesbild die religiösen Probleme nicht lösen. Es genügt nicht objektiven Wahrheitskriterien. Eine tiefgründige Lösung bietet hier tatsächlich Meister Eckharts negative Theologie, mit der er seinen Worten nach die Schrift »mithilfe der natürlichen Gründe der Philosophen auszulegen« sucht. Darin durchbricht er mithilfe des Denkens jedes Gottesbild. Es geht nicht mehr in egoistischer Weise um die Vergöttlichung der eigenen Person, sondern um die ununterscheidbare göttliche Einheit. Dabei werden nicht nur wie bei Immanuel Kant Raum und Zeit relativiert, sondern auch das Sein, und erst recht natürlich jede Ethik. BERND EHLERT, BAD RODACH 19 Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch > tionen des Benediktinerpaters Der Urgrund und das Erdbeben Warum die Mystik alle Konfessionen übersteigt – und die allumfassende Liebe auch das Böse einschließt Von Willigis Jäger und Zen- Meisters Willigis Jäger, die in PublikForum ge- führt wurde. Hinzugekommen Eine wirkliche mystische Erleuchtungserfahrung übersteigt Buddhis- Beiträge zur sind vertiefende mus, Hinduismus, Islam, Judentum und Christentum. Sie übersteigt Klärung einzelner zentraler Fraden Asiaten, den Europäer, den Afrikaner und Amerikaner. Es gibt im und ein Gespräch mit WilliMenschen eine Ebene des Erfahrens jenseits einesgen jeden GlaubensJäger. Hinter bekenntnisses. Sie liegt auch jenseits der Persongis von Jesus und der AuseinanSiddhartha Gautama. Man kann sie Buddha-Bewusstsein oder Chrisdersetzung steht die Frage, ob tus-Bewusstsein nennen. Am besten benennt man sie gar nicht. sich das Christentum der ZuVergleichen oder gegenüberstellen darf man Zen und Mystik, kunft aus den traditionellen Buddhismus und Christentum, Buddha und Christus, Shakyamuni kirchlichen Vorgaben wird lösen und Jesus – aber nicht Auferstehung und Erleuchtung. Zen übersteigt den Buddhismus, wie die christliche Mystik jede christliche Konfessimüssen, wenn es überleben will. on übersteigt. Die Einheit von beiden liegt auf der transrationalen Und ob der religionsübergreiEbene. Es ist für den, der dort angelangt ist, ein erschütterndes Widerfende Weg, den Willigis Jäger fahrnis, das ihn seine Konfession als Weg in die Erfahrung neu begreivorschlägt und propagiert, wirkfen lässt. lich überzeugend Sechs Jahre verbrachte ich im Buddhistischen Zentrum von Yamada und zukunftsKo-un Roshi in Kamakura (Japan), wo ich täglich weisend in seinemist. Zendo (Meditationshalle) einige Stunden im Zazen (im meditativen Sitzen) verbrachte. Dem Jesuitenpater Hugo Lassalle bin ich dort immer wieder begegnet. Ich assistierte ihm in seinen Sesshins (intensive ZenMeditation) in Shinmeikutsu und in Deutschland. Lassalle war ein www.publik-forum.de treuer Katholik. Selbst in den Sesshin in Kamakura zog 978-3-88095-205-8 er sich jeden ISBN: 20 < Diese Leseprobe ist zu Ihrem persönlichen Gebrauch DER URGRUND UND DAS ERDBEBEN INHALT Tag in eine Ecke des Zentrums zurück, um ganz allein für sich die Heilige Messe zu lesen. Er hat seinen Glauben nie überstiegen. Für Yamada war klar, dass die Zen-Erfahrung alles Konfessionelle übersteigt. Manche seiner Aussagen über das Christentum werden falsch gedeutet. Wir sprachen oft miteinander, ich kannte Yamadas Position im Bezug auf die Religion: Man muss aus der Konfession nicht aussteigen, doch ist sie »nur« der Weg in die Erfahrung und nicht das Wesen der Religion selbst. Die Erfahrung liegt jenseits der Konfessionen. Die Aufgabe der Konfessionen ist es, dorthin zu führen. Statt dies zu tun, verabsolutieren sie jedoch ihre Lehrgebäude. Christus und Buddha hingegen treffen sich auf dieser transrationalen Erfahrungsebene. Es ist eine Ebene, die jede personale und rationale Eingrenzung übersteigt. In dieser Erfahrung gibt es keine Konfession mehr. Im Mumonkan, der wohl wichtigsten Anekdoten- und Sentenzensammlung des Zen, kommt das Wort Buddhismus nur einmal vor. Das Koan 19 im Hekigan, einer anderen Sammlung, versucht das zu deuten, indem es sagt: »Guteis Finger«. »Was auch immer Meister Gutei über den Buddhismus gefragt wurde, als Antwort streckte er einfach einen Finger hoch.« – »Wer sagt, Zen sei eine Religion, ist vom Teufel!«, erklärte der Zen-Meister Dogen. Die Erfahrung übersteigt das Personale und führt in eine transpersonale und transrationale Wirklichkeit. »Mein Reich ist nicht von dieser Welt«, sagt Jesus zu Pilatus. »Du musst wieder geboren werden«, sagt er zu Nikodemus. Das heißt: Du musst in diese Erfahrungsebene gelangen, wo das Personale zurücktritt. Mit meinem Meister Ko-un Roshi studierte ich 500 Koans. Kein Koan bezieht sich auf den Buddhismus als Konfession. Das Gleiche gilt von der christlichen Mystik. Wer auf der transrationalen Ebene ankommt, sagt mit der Mystikerin Teresa von Avila: »Hier jedoch ist es, wie wenn Wasser vom Himmel in einen Fluss oder eine Quelle fällt, wo alles nichts als Wasser ist, sodass man weder teilen noch sondern kann, was nun das Wasser des Flusses ist und was das Wasser, das vom H Mystik W Die Kontroverse un Publik-Forum E d i t i o n wichtige Debatte über die Posi- Mystik – der wahre Weg zu Gott? Dieses Buch dokumentiert die Hartmut Meesmann (Hrsg.) Publik-Forum E d i t i o n MYSTIK – DER WAHRE WEG ZU GOTT? 21