Kolberg, unterwegs im Dichterdorf

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Kolberg, unterwegs im Dichterdorf
Kolberg, unterwegs im Dichterdorf
VON ANDREA MACK
… «Einige Dörfer reden mit lauter
Stimme von ihrem Dichter, wie Bossdorf über seinen Erwin Strittmatter.
Andere Dörfer wissen gar nicht, dass sie
Dichterdörfer sind, wie Kolberg am
Wolziger See.» …1
Die Kolberger haben tatsächlich ein
ganz besonderes Verhältnis zur Literatur, obwohl die meisten entgegen der
oben geäußerten Meinung sehr wohl
um ihre prominenten Schriftsteller und
Schauspieler wissen. Feinfühlig, wie sie
sind, lassen sie ihren Poeten lieber die
Ruhe, die diese so dringend zum Arbeiten brauchen. Eine wichtige Begegnung
mit Kolberger Literaten und den dazugehörenden Dorfbewohnern gab es im
Sommer 2003 bei einer Lesung mit
dem Lyriker und Übersetzer polnischer
Literatur, Henryk Bereska. Es war
schon verblüffend, wie sich der im Zentrum des Ortes befindliche Dorfkrug –
wohl ein eher ungewöhnlicher Ort für
eine Schriftstellerlesung – mit Literaturinteressierten füllte. Einige waren
gleich in Arbeitskleidung zur Lesung
herbeigeeilt, damit sie nichts verpassen.
Es dauerte nicht lange, bis der Lyriker
mit seinen Gedichten und pointierten
Aphorismen, die Zuhörer in seinen
Bann zog.
Auf einem Berg aus
Sand wohne ich
für Peter Huchel
in einer Hütte aus gehobelten knisternden
Kiefern unter struppigen raschelnden.
Mit Kiefernholz heize ich winters
in dieser Hütte auf Sand.
Der Ofen verströmt Kiefernduft.
Darin schwebe ich
beinah selber verkiefert.
Aus Kiefer wird sein das leichte Boot
worin ich in den Sand fahren werde
und es mag Sommer sein
damit der Sand warm sei
und sonnig die Luft 2
Mit solchen und ähnlichen Worten, gab
er dem Landstrich seine Stimme, die
nicht nur von den Kolbergern verstanden wurde. Die Idee entstand, in Kolberg zukünftig Exkursionen auf den
Spuren dort ansässiger Schriftsteller
durchzuführen und damit ein Stück
dieser lebendigen Kultur an andere
weiter zu geben. Es sollten Texte von
den verschiedensten Kolberger Dichtern ganz ohne den sonst üblichen «Pathos» direkt am Ort des Geschehens gelesen werden. Am 3. September 2005
war es dann so weit. Mehr als 40 Literaturfreunde aus Berlin und Brandenburg
waren gekommen. Man traf sich – wie
sollte es anders sein am «Dorfkrug» mit-
Gasthaus Kolberg
Foto: Archiv
Naturparkverwaltung
ten in Kolberg. Erste Station war der
noch vorhandene Teil des ehemaligen
Kolberger Gutsparks, der sich heute im
Privatbesitz befindet. Das einst darin
befindliche Kolberger Schloss steht
heute nicht mehr und war bis zum
Krieg Eigentum der englischen Schauspielerin Jeassy Vierog. Der Schriftsteller Eberhard Panitz lebte in den sechziger und siebziger Jahren in der Nähe
dieses Schlossparks und schrieb dort
u. a. den von den Nachkriegswirren inspirierten Roman «Die Unheilige Sophia». Viele Szenen spielten sich im
Schloss ab, das seiner Zeit die Gemeindeverwaltung und den Kindergarten
beherbergte. So lag es nahe, die Textstellen, die vom Schloss handelten, am
unweit gelegenen Badestrand des Wolziger See’s zu lesen. Eine Geschichte
von Arthur Koetz über die versunkene
Insel im Wolziger See regte, ebenfalls
vor Ort gelesen, die Phantasie der Zuhörer an.
Der nächste Halt war die von
«Teamgeist» betriebene Klubgaststätte,
die vielen noch unter dem Namen
«Strandcasino» bekannt sein dürfte. Sie
war besonders in den fünfziger und
sechziger Jahren als Endstation eines
Tagesausflugs mit dem Dampfer von
Berlin-Köpenick nach Kolberg und
zurück mit einigen Stunden Landgang,
ein beliebtes Ausflugziel der Berliner.
Hier wurden Textstellen gelesen, die
von den Kolberger Gaststätten handelten. Besonders die Schilderungen von
Elfriede Brünning über einen Brigadeausfluges, bei dem es heiß hergegangen
sein musste, brachte die Zuhörer zum
Schmunzeln. Alte Fotos vom Dorfkrug
und dem Strandcasino, die uns Dorfbewohner freundlicherweise zur Verfügung
gestellt hatten, machten die Runde.
Gleich in mehreren Büchern war vom
nahegelegenen Dorfkrug mit seinen jeweiligen Wirten die Rede, der wohl offensichtlich schon damals ein beliebter
Treff- und Dorfmittelpunkt war.
Vorbei an den Wohnhäusern vom
Schriftsteller Eberhard Panitz, dem
Schauspieler Hans Stüwe und dem jüdischen Komponisten und Tanzmusiker
Marek Weber ging es weiter zur nächsten Station – der Hütte von Henryk
Bereska. Das in der Bergstraße stehende
Häuschen wurde zunächst Mitte der
Fünfziger Jahre vom Dramatiker Alfred
Matusche bewohnt. Henryk Bereska
zog dort 1959 ein. Es war gar nicht so
einfach, die vielen Gäste in der recht
kleinen Hütte unterzubringen. Man saß
auf diversen Stühlen, Treppen, auf dem
Fußboden oder auf Gartenmöbeln und
hörte Texte und Gedichte von Henryk
Bereska, vorgetragen von seiner Frau
Gilda. Überall im Hause lagen Publikationen, des zum damaligen Zeitpunkt
schon schwer erkrankten Schriftstellers, zum Lesen aus. *
Der nächste Stopp war an den Resten des bescheidenen Steinhauses von
Katja Lange Müller, die hier als Kind
und junges Mädchen oft ihre Ferien
verbrachte. Dort erfuhren die Gäste,
dass sich die Schriftstellerin auch nebenbei zur staatlich geprüften Pilzberaterin qualifizierte, was sicher mit ihren
Streifzügen durch die pilzreichen Wälder Kolbergs in der Kinderzeit zu tun
hatte. Passend dazu las sie eine Geschichte über das merkwürdige Gebaren der «Berliner Pilzzerlatscher».
Leider konnten bei unserer Tagesexkursion längst nicht alle Kolberger
Schriftssteller gewürdigt werden. Von
vielen fast vergessen scheint der auch
zu Kolberg gehörende Boris Djacenko,
der 1958 mit seinen wahrhaftigen Äußerungen im 2. Teil des Romans «Herz
und Asche» zum ersten, großen, öffentlichen DDR-Zensurfall wurde und bis
1974 unter dem Pseudonym Peter
Adams Kriminalromane veröffentlichte. Erst später wurde er teilweise rehabilitiert und konnte wieder unter seinem richtigen Namen arbeiten.
Ein im Osten Deutschlands leider
weitgehend Unbekannter ist der «Westberliner» Hans Scholz der sich über den
Sommer wiederholt in Kolberg einmietete und hier seinen Roman «Am Grünen Strand der Spree» vorbereitete.
Hans Scholz war nicht nur ein Dichter,
sondern auch Kolbergs Maler, wovon
viele Aquarellzeichnungen wie: «Kolberger Gehöfte in der Abendsonne»,
«Am Wolziger See», «Kiefernschonung
am Kolberg» zeugen. Als Liebhaber der
Mark schrieb er in den siebziger Jahren
zahlreiche Brandenburg-Reportagen für
den Berliner Tagesspiegel, die er später
mehrbändig in seinen «Wanderungen
und Fahrten in der Mark Brandenburg»
zusammenfasste. Eine Verfilmung seiner deutsch-deutschen Liebesgeschichte «Am Grünen Strand der Spree», gezeigt im Besucherzentrum des Naturparks in Prieros, bildete den Abschluss
der Exkursion, der hoffentlich noch viele folgen werden.
1
2
*
Werner Liersch in: «Dichterland
Brandenburg. Literarische Streifzüge zwischen Havel und Oder», Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf
und Zürich, 2004 erschienen
Henryk Bereska in: «Burgschreiber
zu Beeskow, Märkische Streifbilder», Aphia-Verlag, 2005 erschienen
Henryk Bereska starb nur wenige
Tage nach der Exkursion, die er
noch mit vorbereitete und deren
Idee er mit großer Freude verfolgte.
Er wurde auf eigenen Wunsch im
Herbst vergangenen Jahres auf dem
Friedhof in Kolberg beigesetzt.
Vita – Henryk Bereska
- geboren am 17. 5. 1926 in Katowice-Szopienice/Polen
- am 11.9.2005 in Berlin gestorben
- Stationen u. a.: 1942 – 44 Verwaltungslehre. Fliegerausbildung in Fürstenfeldbruck. Amerikanische
Kriegsgefangenschaft. 1948 – 52 Studium der Slawistik und Germanistik. 1953 – 55 Lektor. Ab 1955 Freiberuflicher Übersetzer. Herausgeber polnischer Literatur. Distanziert sich in den 50er Jahren bereits von
der DDR-Diktatur. Seit 1955 freiberuflicher Autor.
- Arbeitsgebiete: Lyrik, Aphorismus, Übersetzung
- Auszeichnungen/Ehrungen/Preise (Auswahl): Übersetzerpreis des Polnischen Autorenverbandes ZAIKS
(1967). Verdienstmedaille des KM Polen (1970). Offizierskreuz zum Orden «Polonia Restituta» (1971). Jablonowski-Medaille der Sicietas Jablonoviana (1980).
Kochanowski-Medaille (1984). St.I.Witkiewicz-Preis
des ITI, Warschau (1986). Literaturpreis des Société
Européene de Culture, Warschau (1987). Literaturpreis der polnischen Kulturstiftung (1990). Übersetzerpreis des polnischen P.E.N., Warschau (1994). Kulturpreis Schlesien des Landes Niedersachsen (1996).
Bundesverdienstkreuz am Band (1997). Kulturpreis
des Stadtpräsidenten von Katowice (1997). Brandenburgischer Kulturpreis (1997). Kommandeurskreuz
zum Verdienstorden der Republik Polen (1998). HYPERLINK «http://www.lyrikwelt.de/autoren/sahl.htm»
Hans-Sahl-Preis des Autorenkreis der BRD (2000).
Samuel-Bogumil-Linde-Preis der Partnerstädte Thorn
und Göttingen (2001). Ehrendoktorwürde der Universität Wroclaw (2002). Burgschreiber von Beeskow
(2004). Transatlantyk-Preis beim 1. Weltkongress der
Übersetzer polnischer Literatur, Krakow (2005).
- Seit 1992 Mitglied des P.E.N.-Zentrums Deutschland,
im VS/IG Medien, der NGL und des Autorenkreises
der Bundesrepublik
- Veröffentlichungen (Auswahl): Lautloser Tag, Gedichte (1980, Edition Randlage). Berliner Spätlese, Gedichte (1991, Corvinus Presse). Auf einem Berg aus
Sand, Märkische Gedichte (1996, Corvinus Presse).
HB 70, Eine Festschrift (1996, Corvinus Presse). Nebesno Pristanishtshe, Gedichte (1998). Und wenn die
fetten Jahre die mageren waren?, Aphorismen (1999,
Corvinus Presse). Wiersze, Gedichte (1999). Verstreute Gedichte (2000, Corinus Presse). Familoki, Gedichte, 2sprachig (2001). Mitlesebuch 46, Gedichte (2002,
Aphaia Verlag). Burgschreiber zu Beeskow, Märkische
Streifbilder (2005, Aphaia Verlag).
Literaturempfehlung:
Der Beschäftigung mit dem Leben und
Wirken von Hans Scholz verdankte, die
aus Franken stammende Schriftstellerin Angela Kiefer Hofmann, die an der
Exkursion teilnahm und uns den Film
zur Verfügung stellte, ihre Ankunft im
märkischen Markgrafpieske. Unweit der
innerdeutschen Grenze aufgewachsen
und als 1954 Geborene oft mit den Erzählungen Ihrer Eltern über die Kriegszeit konfrontiert, wollte sie der Geschichte von «Bastien und Bastienne»
aus dem Roman von Hans Scholz auf
den Grund gehen. In ihrem Werk legt sie
authentische Berichte von Betroffenen
vor, die häufig das erste Mal in ihrem
Leben offen über ihre Kriegs- und
Nachkriegs- Erlebnisse sprachen. Durch
Angela Kiefer Hofmanns behutsame
Begleitung und Ermutigung ist es möglich geworden, Menschen das Wort zu
erteilen, die aus eigener Kraft kaum geschafft hätten, ihre oft so leidvollen Lebenserfahrungen für kommende Generationen aufzuarbeiten, damit sie nicht
vergessen werden.
Der nachfolgende Beitrag «Halbe – oder
das Ende einer Kindheit» von Angela
Kiefer Hofmann stammt aus ihrem
Buch «Niemandszeit – Ein märkisches
Lesebuch», Verlag Die Furt, 2. Auflage,
2004 erschienen, S. 89–98