Vitali Klitschko erkämpft sich Weltmeistertitel des WBC

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Vitali Klitschko erkämpft sich Weltmeistertitel des WBC
Vitali Klitschko erkämpft sich Weltmeistertitel des WBC
Los Angeles, 25. April 2004
von Fabian Weber
Vitali Klitschko ist eindrucksvoll in die Fußstapfen von Muhammad Ali getreten und hat sich im
Box-Mekka Amerika den prestigeträchtigen Weltmeistertitel des World Boxing Councils erkämpft.
Zwei Wochen nach dem K.o.-Debakel seines Bruders Wladimir im WM-Kampf der World Boxing
Organization (WBO) eroberte er im Staples Center von Los Angeles nach einem dramatischen und
aufreibenden Schwergewichts-Duell durch technischen K.o. in der achten Runde gegen Corrie
Sanders den vakanten WM-Gürtel des WBC. Der Ukrainer etablierte sich damit vor den Augen von
Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger sowie einer Vielzahl US-amerikanischer
Prominenter als weltweit mit Abstand stärkster Schwergewichtler und als Nachfolger von Lennox
Lewis.
Der Brite war einer der Ersten in der Kabine, um den in Beverly Hills wohnenden Profi aus dem
Hamburger Universum Boxstall zu beglückwünschen. „Vitali hat eine starke Leistung gezeigt und
verdient meinen Titel übernommen“, sagte Lewis über seinen Thronerben, mit dem er sich am 21.
Juni vorigen Jahres an gleicher Stätte einen ähnlich erbitterten Kampf geliefert hatte. Das blutige
Duell war damals wegen Klitschkos Gesichtsverletzungen nach der sechsten Runde abgebrochen
worden, die Zuschauer feierten den Ukrainer aber schon damals als „Weltmeister der Herzen“.
Nunmehr ist der ältere Klitschko auch ein würdiger sportlicher Champion. Er sei der einzige von
den vier Titelträgern in der Königsklasse - Chris Byrd (IBF), John Ruiz (WBA) und Lamon
Brewster (WBO) - für den sich das Einschalten lohne, befand US-Kommentator Larry Merchant,
früher einer der größten Kritiker der Klitschko-Brüder.
Selbst eine Stunde nach der dramatischen Ringschlacht gegen Sanders, die die 17.320 Zuschauer in
der fast ausverkauften Arena von ihren Sitzen riss, konnte Vitali seine Freude über den größten
Triumph seiner 8-jährigen Profilaufbahn noch nicht richtig zeigen. Zu sehr hatte er sich bei der
Revanche für die K.o.-Niederlage seines Bruders gegen Sanders ausgepowert. Zu sehr schmerzten
nach 413 Punches, von denen 230 den Südafrikaners trafen (Sanders 229/51), seine geschwollenen
Hände. So schlimm sei es ihm in keinem seiner 36 Profikämpfe (2 Niederlagen) zuvor ergangen,
meinte Klitschko. Ehefrau Natalie war nicht nur „unendlich Stolz“ auf ihren Vitali, sondern vor
allem froh, dass er „trotz einiger Wehwehchen den Kampf gesund überstanden hat“.
„Was Sanders eingesteckt hat, war Wahnsinn. Das hätte ich nie für möglich gehalten“, sagte
Klitschko, dessen Rivale wegen eines schweren Hämatoms am linken Ohr ins Krankenhaus
gebracht wurde. Rechtsausleger Sanders (39 Siege/3 Niederlagen) beeindruckte ihn aber auch mit
seiner „ungewöhnlich schnellen linken Hand“, von der Klitschko nicht nur kurz vor Ende der ersten
Runde gewaltig durchschüttelt wurde.
In der Tat machte der 38-jährige Südafrikaner dem ihm von seinem Manager Lennox Lewis
verliehenen Spitznamen „The Sniper“ (Der Heckenschütze) alle Ehre. Mit plötzlichen und
urgewaltigen linkshändigen Kontertschlägen erschreckte er vor allem in den ersten Runden immer
wieder seinen Gegner und das Publikum.
„Vitali hat den Sieg verdient. Ich wünsche ihm das er lange Weltmeister bleibt“, sagte Sanders nach
dem Kampf, bevor er zu einem nahe gelegenen Hospital gefahren wurde.
Es war deutlich zu spüren, unter welch immensem Druck Vitali stand. Die Tage seit dem
vollkommen überraschenden K.o. seines Bruders waren nicht spurlos an dem Hünen
vorübergegangen. „Wenn ich auch noch verloren hätte, wäre das ein großes Desaster für uns
gewesen.“
Klitschko begann den Kampf nervös und vorsichtig, zermürbte seinen Gegner später aber mit einer
Vielzahl von Wirkungstreffern. In der 8. Runde schließlich trudelte der zermürbte Sanders nach
einer erneuten Schlagserie angeschlagen in die Ringseile und wurde dort durch US-Ringrichter Jon
Schorle nach 2:46 Minuten vor weiterem Ungemach bewahrt.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Südafrikaner verbissen und tapfer seine Chance gesucht und
wähnte sich mindestens zweimal im verlaufe der Ringschlacht als Sieger, als er mit urplötzlichen
„Heckenschüssen“ seiner gefürchteten Linken Klitschko erschütterte.
Während Vitali das Ende des denkwürdigen Kampfes beinahe unterkühlt zur Kenntnis nahm,
sprintete Wladimir durch den Ring und fiel seinem älteren Bruder um den Hals.
„Dass ich ihn nicht zu Boden geknockt habe, ist ein kleiner Schönheitsfleck. Doch ich habe die
Familienehre gerettet und meinen Traum erfüllt, und wir werden auch noch unseren gemeinsamen
Traum verwirklichen“, womit Vitali ankündigte, dass auch Wladimir noch Weltmeister werden
wird.
„Ich war mir sicher, dass Vitali für ein Happyend sorgt“, meinte Wladimir. Gemeinsam mit Vitali
schaute er nach Mitternacht für ein paar Minuten bei der Siegerparty vorbei, um mit Promoter
Klaus-Peter Kohl anzustoßen.
"Die Jahre der harten Arbeit haben sich ausgezahlt. Dieser Titel gehört mir und meinem Bruder“,
sagte Vitali. „Klitschkos gewinnen zusammen und verlieren zusammen."
„Dieser Titel ist das Größte und die Krönung für unser Box-Unternehmen“, schwärmte Kohl.
Seinem Trainer Fritz Sdunek hätte Vitali kein besseres Geschenk im 75. WM-Kampf bereiten
können. „Vitali war einfach grandios“, sagte der Coach, dessen Schützling jetzt einige Monate
entspannen möchte.
Bei der Suche nach Herausforderungen für die Zukunft musste der Sieger nicht lange nachdenken.
"Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Lennox Lewis sein Versprechen hält und mir
einen Rückkampf gewährt." Der Angesprochene - von den Zuschauern bei der Vorstellung
ausgebuht - hielt das Tor zum Comeback zumindest einen Spalt offen, als er nach dem Kampfende
das Gespräch mit Klitschko suchte und auf Fragen nach einer Rückkehr mit einem verschmitzten
Lächeln antwortete: "Zum jetzigen Zeitpunkt nicht."
Vitali Klitschko erklärte ferner, sein zweiter Wunschgegner sei Mike Tyson, gegen den zu kämpfen
er sich schon seit Kindheit an wünscht. Der seit einiger Zeit inaktive „Iron Mike“ soll sich derzeit
im Training befinden und für den Spätsommer ein Comeback geplant haben.
Ebenfalls denkbar als Gegner wäre eine Vereinigungsmeisterschaft gegen IBF-Titelträger Chris
Byrd, mit dem der ältere Klitschko nach seiner Verletzungsniederlage im April 2000 noch eine
Rechnung offen hat.