Paradies - Fakultät Gestaltung
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Paradies Larissa Maser Paradies Larissa Maser Matrikelnummer 00 12 15 02 Diplomarbeit Thema: Paradies Betreuer: Prof. Armin Lindauer Hochschule Mannheim Fakultät Gestaltung Sommersemester 2006 Inhalt 8 11 1. Das biblische Paradies 12 13 14 16 18 19 21 Garten Eden Ursprung des Begriffs Garten Eden Geographische Lage Erschaffung des Menschen Adam und Eva Sündenfall Vertreibung aus dem Paradies 24 24 25 26 Paradiesvorstellungen in Weltreligionen Judentum Christentum Islam 29 2. Das Paradies in der Kunst 30 Die Paradieserzählung in der Kunst zwischen Utopie und Ideologie Natur Schuld Nacktheit Paradiesbildnisse vom Mittelalter bis zur Moderne 31 32 33 34 Vorwort 63 3. Das käufliche Paradies 64 Religiöse Motive in der Werbung 68 68 69 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 Paradiesische Warenwelt Beyond Paradise for women von Estée Lauder Beyond Paradise for men von Estée Lauder Paradise Passion von Naomi Campbell Pacific Paradise von Escada Venus Devine Paradise von Gillette Touch of Paradise von Artdeco Pineapple Paradise von Drunken Cockatoo Be Delicious von DKNY for women and men Otto Kern Parfums Paradies Creme von Dr. Oetker Paradise von Frische Paradies bei dm: Filmentwicklung und -material Anzeige Toto Lotto Anzeige Playboy 94 94 96 98 100 102 104 Paradiesische Firmen Sonnenparadies Feinkost Paradies Frisuren Paradies Bikers Paradise Schmuck Paradies Schuh-Paradies 106 Paradiesisches Internet 117 118 120 Anhang Literatur Bildverzeichnis Vorwort Jeder Mensch kennt den Begriff Paradies. Von Kindheit an haben wir durch unsere Bildung und unsere Umgebung die Paradiesgeschichte und die damit verbundenen Symbole verinnerlicht. Das Wort Paradies kommt aus dem Alt-Iranischen, dem Avestischen. Dort bedeutet „pairi-daéza“ soviel wie ein umwallter oder umzäunter Park oder Garten. Daraus leiten sich das spätbabylonische „pardisu“, das hebräische „pardes“ und schließlich das griechische „paradeisos“ ab. Das Paradies steht sowohl für den Garten Eden, den utopischen Urzustand als auch für einen Ort bzw. Zustand der Glückseligkeit nach dem Tod. Somit bezeichnet der Begriff Paradies (im religiösen Sinne) den Anfang und das Ende aller Zeiten. Im vorliegenden Buch erfolgt zunächst eine Annäherung an das Thema Paradies in seinem Ursprung, der biblischen Erzählung. Die Paradiesgeschichte ist verbunden mit dem jüdisch-christlichen Schöpfungsmythos, in dem von einem utopischen, geografischen Ort die Rede ist und den darin sorglos lebenden ersten Menschen – Adam und Eva. Jedoch hält der ideale Urzustand nicht lange an, weil die Menschen das Verbot Gottes missachten, vom Baum der Erkenntnis zu essen, wozu eine Schlange sie verführt. Dieses als Sündenfall bekannte Ereignis führte zur Vertreibung aus dem Paradies. Die Sehnsucht nach einem paradiesischen Ort oder Zustand ist bei Menschen tiefer verwurzelt, als man zunächst glaubt. Der Wunsch nach einem besseren Leben kennzeichnet die Seelenzustände der Menschen. Diesen Gedanken haben Werbeleute und Konsumgüterhersteller erkannt und versuchen daraus Kapital zu schlagen. Als Befriedigung der Sehnsüchte bieten sie Waren an. Sehr häufig wird dabei der Begriff Paradies gebraucht. Im 3. Kapitel findet eine Untersuchung der Paradiesversprechen in der aktuellen Waren- und Werbewelt statt, die aufzeigt, dass das Paradies dermaßen omnipräsent ist, dass die Besonderheit und die Exklusivität der paradiesischen Angebote durch deren Vielfalt in Frage gestellt werden kann. Außerdem wird deutlich, dass die banalsten Dinge aus offenbar beliebigen Bereichen mit dem Begriff Paradies gleichgesetzt werden, was dazu führt, dass die Bezeichnung Paradies entwertet und bis ins Absurde geführt wird. In der europäischen Kunstgeschichte sind Motive des Paradieses allgegenwärtig. Daher wird im 2. Kapitel eine Sammlung von Paradiesbildnissen in der Kunst, in einem Abriss vom Mittelalter bis hin zur Moderne, aufgezeigt. Zentral ist dabei die Entwicklung der Paradiesdarstellungen mit den vorherrschenden Motiven des Paradieses als (Garten-)Landschaft und Adam und Eva als erstem Menschenpaar. Der Moment des Sündenfalls wie auch die Vertreibung aus dem Paradies als zentrale Wendepunkte der Paradiesgeschichte sind ebenfalls immer wiederkehrende Motive. 1. Das Biblische Paradies 10 11 Das biblische Paradies Das biblische Paradies Garten Eden Der Begriff „Eden“ stammt wohl aus dem Sprachgebrauch der vor Jahrtausenden herrschenden Hochkulturen der Sumerer und der Akkadier.2 Das sumerische „edin“ sowie das akkadische „edinu“ bezeichnen eine „Ebene“ oder „Steppe“. 2 Bibel-Lexikon, Seite 289 Sumerische Texte und Hymnen berichten von kriegerischen Auseinandersetzungen in der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrtausends um „Guedina“, was wörtlich „Rand der Steppe“ heißt. Unter dem Wort „anedena“ (zusammengesetzt mit „an“, Himmel) verstanden die Sumerer ein höher gelegenes Gebiet, also eine Art Hochsteppe oder Hochebene.3 3 Eva Maria Borer: Der Adam und Eva Report. Historische Wurzeln der biblischen Genesis, Seite 77 Das Wort „Garten“ bezeichnet laut Lexikon eine „umhegte, in Bodenkultur genommene Kleinfläche mit Obst, Gemüse, Zierpflanzen“4 und somit das, was auch die biblische Formulierung zum Ausdruck bringen möchte: Ein Ort, an dem der Mensch Schutz und Geborgenheit sowie Nahrung findet. Darüber hinaus erhält der Mensch im Garten Eden über den Baum des Lebens Unsterblichkeit. Garten Eden Jacob de Backer (1555/60 - 1585/90) Groenige Museum, Bruges 1 Der Brockhaus: Religionen. Glauben, Riten, Heilige, Seite 500 Ursprung des Begriffs Garten Eden 4 Herders Neues Handlexikon (1987) „15 Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden…“ Genesis 2, 15 Der Garten Eden wird in der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel als Paradies bezeichnet.1 Er taucht im 1. Buch Mose (Genesis) der Bibel auf, das ihn in Gen 2 schildert und in Gen 3 von der Vertreibung des Menschen daraus erzählt. „8 Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. 9 Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.“ Der Mensch nimmt im Garten Eden von Beginn an eine privilegierte Stellung ein. Er muss den Garten nicht selbst anlegen, sondern wird hineingesetzt. Er erhält das Paradies sozusagen als Geschenk.5 5 Heinrich Krauss: Das Paradies. Eine kleine Kulturgeschichte, Seite 21 Jedoch wird im Bibeltext klargestellt, dass der Garten Eden keineswegs ein Ort des Müßiggangs sein soll: „…dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Genesis 2, 15 Gott überträgt dem Menschen die Verantwortung, den von ihm geschaffenen Garten zu kultivieren und zu erhalten. Genesis 2, 8-9 12 13 Das biblische Paradies Das biblische Paradies Geographische Lage des Garten Eden Karte von Mesopotamien Quelle: Weltatlas der alten Kulturen, Mesopotamien „10 Und es ging aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilte sich von da in vier Hauptarme. 11 Der erste heißt Pischon, der fließt um das ganze Land Hewila, und dort findet man Gold; 12 und das Gold des Landes ist kostbar. Auch findet man da Bedolachharz und den Edelstein Schoham. 13 Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch. 14 Der dritte Strom heißt Tigris, der fließt östlich von Assyrien. Der vierte Strom ist der Euphrat.“ Genesis 2, 10 bis 14 6 Heinrich Krauss: Das Paradies. Eine kleine Kulturgeschichte, Seite 23 Bis heute ist es keinem Wissenschaftler gelungen, den in der Bibel beschriebenen Ort eindeutig zu lokalisieren. Zu vage sind die Hinweise im Bibeltext. Die Ortsangabe „gegen Osten“ und die Bezeichnung „ein Strom“ geben kaum einen Aufschluss über die geographische Lage, da im Orient ein Garten ohne Bewässerung undenkbar ist.6 Die Deutung der Flussnamen führt einerseits zu konkreteren, andererseits jedoch sehr unterschiedlichen und widersprüchlichen Ergebnissen, da die vermeintlich identifizierten Orte zum Teil sehr weit, über Kontinente verteilt, auseinander liegen. 7 Eva Maria Borer: Der Adam und Eva Report. Historische Wurzeln der biblischen Genesis, Seite 80 Der Pischon umfließt das Land Hewila, wo Gold zu finden ist. Mit dem Land Hewila, dessen Bezeichnung wahrscheinlich vom hebräischen Wort „hawil“, was „Sand“ bedeutet, stammt, könnte das „Sandland“ gemeint sein, Arabien. Arabien war auch als Goldland bekannt. Andere Interpretationen deuten den Pischon als den Ganges, welcher das Industal durchfließt, womit der Garten Eden in das ferne Asien verlagert würde.7 Der Gihon umfließt das Land Kusch, damals der Name für Nubien oder Äthiopien. Somit könnte Gihon ein früherer Name für den Nil sein. 14 Die Flüsse Euphrat und Tigris hingegen sind eindeutig lokalisierbar. Sie durchfließen Südost-Anatolien (Türkei), Syrien und den Irak. Ihre Namen haben sich bis heute nicht geändert, auch nicht die Bezeichnung Zweistromland, das frühere Mesopotamien, später Babylonien und heutige Kernland des Iraks. Hier begann die Geschichte einer der frühen Hochkulturen, die der Sumerer. Auf den Spuren der Sumerer stößt man auf ein Land namens „Tilmun“.8 Alte Texte beschreiben dieses Land als Insel der Götter, andererseits als Warenumschlagsplatz im sumerischen Handel mit dem Orient, umgeben von Wassern und Strömen. Identifiziert wurde diese Insel als das heutige Bahrein im Persischen Golf. Das Wort „Tilmun“ (auch Dilmun) bedeutet im Sumerischen „Paradies“.9 Es gibt aber auch Theorien, die besagen, dass der biblische Garten Eden keinem der vier Flüsse nahe gelegen sein muss. Stattdessen sei diese Vierzahl nicht als Ortsangabe, sondern symbolisch für die vier Himmelsrichtungen und damit die Totalität des Erdkreises gemeint.10 8 Helmut Uhlig: Die Sumerer. Volk am Anfang der Geschichte, Seite 217 9 Helmut Uhlig: Die Sumerer. Volk am Anfang der Geschichte, Seite 44 10 Heinrich Krauss: Das Paradies. Eine kleine Kulturgeschichte, Seite 23 15 Das biblische Paradies Das biblische Paradies Die Vorstellung eines irdischen Paradieses ist seit jeher für Menschen Anreiz genug, die Mühen und Anstrengungen der Suche auf sich zu nehmen. Schon Christoph Kolumbus war vermutlich von der Idee besessen, er hätte das Paradies gefunden, als er am 12.10.1492 auf der Insel Guanahani landete, welche zum Inselstaat der Bahamas gehört und heute als ein absolutes Urlaubsparadies bekannt ist. Adam und Eva 11 Der Brockhaus: Religionen. Glauben, Riten, Heilige, Seite 17 Der Mensch, hebräisch adam, der aus Staub auf der Erde gebildet wird, und seine Frau Eva waren die einzigen menschlichen Bewohner von Eden und gelten als das erste Menschenpaar und Stammeltern aller Menschen.11 Erschaffung des Menschen Der erste Bericht lautet wie folgt: 26 Und Gott sprach: Lasset uns machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. 29 Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. 30 Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so. Genesis 1, 26-30 Die Erschaffung des Menschen wird als Gottes Krönung seines Schöpfungswerks am sechsten Tag dargestellt.13 Er setzt den Menschen als sein Ebenbild und Vertreter in die Welt, um über die Schöpfung zu herrschen. Für ausreichende Ernährung ist gesorgt. Auch um die Fortpflanzung der menschlichen Rasse sorgt sich der Herr und gibt eben diese dem Menschen zur Aufgabe. In diesem ersten Bericht erscheint das Paradies in seiner optimalen Form für die Menschen. Außer essen, schlafen und sich fortpflanzen müssen sie sich um nichts sorgen. 13 Kurt Flasch: Eva und Adam. Wandlungen eines Mythos, Seite 19 Der zweite Bericht um die Erschaffung des Menschen ist detaillierter: Die Erschaffung Adams, 1502-12 Michelangelo Buonarotti Sixtinische Kapelle, Rom 12 Kurt Flasch: Eva und Adam. Wandlungen eines Mythos, Seite 18 16 Im Bibeltext wird die Erschaffung des Menschen zweimal dargestellt. Wahrscheinlich gab es unterschiedliche mündliche Überlieferungen, die später im Buch Genesis zusammengeführt wurden.12 „5 und kein Mensch war da, der das Land bebaute; 6 aber ein Nebel stieg auf von der Erde und feuchtete alles Land. 7 Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. (…) 15 Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. 16 Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach: Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, 17 Das biblische Paradies Das biblische Paradies 17 aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tag, da du von ihm issest, mußt du des Todes sterben. 18 Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei. 19 Und Gott der Herr machte aus Erde all die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen. 20 Und der Mensch gab einem jeden Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen, aber für den Menschen ward keine Gehilfin gefunden, die um ihn wäre. 21 Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm eine seiner Rippen und schloß die Stelle mit Fleisch. 22 Und Gott der Herr baute ein Weib aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm. 23 Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch, man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist. 24 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen und sie werden sein ein Fleisch.“ Die dem Menschen vorbehaltene Erkenntnis wird symbolisch durch das Wissen, beziehungsweise Nichtwissen von ihrer Nacktheit dargestellt: „Und sie waren nackt, der Mensch und sein Weib, und schämten sich nicht.“ Genesis 2, 25 Sündenfall Genesis 2, 5-7 und 15-24 14 Kurt Flasch: Eva und Adam. Wandlungen eines Mythos, Seite 24 In dieser Schilderung fällt auf, dass die Tiere nach dem Mann geschaffen werden, was jedoch nichts an dessen herrschender Stellung ändert.14 15 Kurt Flasch: Eva und Adam. Wandlungen eines Mythos, Seite 26 Vergleicht man die beiden Berichte weiterhin miteinander, erscheint die Erschaffung in einem anderen Licht. Mann und Frau werden nicht mehr zeitgleich geschaffen, sondern explizit in zeitlicher und nach Meinung vieler Deutungen in hierarchischer Abfolge.15 Für den weiteren Verlauf der Bibelgeschichte ist das Verbot Gottes entscheidend. Gott stellt für das ewige und umsorgte Leben eine Bedingung: Der Mensch soll nicht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse essen. 18 Der Sündenfall, 1502-12 Michelangelo Buonarotti Sixtinische Kapelle, Rom „1 Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? 19 Das biblische Paradies Das biblische Paradies 2 Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; 3 aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, daß ihr nicht sterbet! 4 Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, 5 sondern Gott weiß: An dem Tag, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. 6 Und das Weib sah, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er Flug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er aß. 7 Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.“ Vertreibung aus dem Paradies Genesis 2, 1-7 16 Heinrich Krauss: Das Paradies. Eine kleine Kulturgeschichte, Seite 97 20 Obwohl auch die Schlange Gottes Schöpfung ist, erscheint sie bösartig und hinterlistig. Die Ursache hierfür beantwortet der Text ebenso wenig wie die Frage, woher die Schlange das Wissen um den Baum der Erkenntnis hat. Fast scheint es, als sei diese Prüfung des Menschen gottgewollt.16 17 Heinrich Krauss: Das Paradies. Eine kleine Kulturgeschichte, Seite 71 Abhandlungen dieser Geschichte wie John Miltons „Paradise Lost“ (1667) stellen die Schlange als gefallenen Engel Satan dar, der sich an Gott rächen will und dazu sich in den Garten Eden schleicht, um Gottes liebstes Geschöpf, den Menschen, zu verderben.17 18 Kurt Flasch: Eva und Adam. Wandlungen eines Mythos, Seite 30 Die Schlange spielt im Gespräch mit Eva das Verbot herunter und weckt deren Neugier, so dass es schließlich zum Sündenfall kommt, welcher nicht unbemerkt bleiben konnte.18 Die Vertreibung aus dem Paradies, 1502-12 Michelangelo Buonarotti Sixtinische Kapelle, Rom „8 Und sie hörten Gott den Herrn, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seinem Weibe vor dem Angesicht Gottes des Herrn unter den Bäumen im Garten. 9 Und Gott der Herr rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? 10 Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. 11 Und er sprach: Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du sollst nicht davon essen? 12 Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß. 21 Das biblische Paradies Das biblische Paradies 13 Da sprach Gott der Herr zum Weibe: Warum hast du das getan? Das Weib sprach: Die Schlange betrog mich, so daß ich aß. 14 Da sprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht, verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang. 15 Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen. 16 Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, aber er soll dein Herr sein. 17 Und zum Manne sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deines Weibes und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen -, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. 18 Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. 19 Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden. 20 Und Adam nannte sein Weib Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben. 21 Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und zog sie ihnen an. 22 Und Gott der Herr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! 23 Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Ede, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war. 24 Und er trieb den Mensch hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubin mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.“ Genesis 3, 8-24 22 Das Essen des Apfels stellt nicht nur das Übertreten eines Verbots dar, sondern auch die Anmaßung des Menschen, Gott gleich zu sein und ihm das Privileg der Erkenntnis zu nehmen.19 Das gängige Bild vom Apfel als verbotener Paradiesfrucht beruht nicht auf der Bibel, sondern auf einer falschen Übersetzung des lateinischen Wortes malus, das sowohl „böse“ als auch „Apfel“ bedeuten kann.20 19 Kurt Flasch: Eva und Adam. Wandlungen eines Mythos, Seite 30 20 Artikel „Die Suche nach dem Garten Eden“, Der Spiegel Nr. 23/ 3.6.06 Unverzüglich sucht Gott nach der Ursache beziehungsweise dem Schuldigen an der frevelhaften Tat. Von den drei Beteiligten möchte niemand die Schuld auf sich nehmen. Der Mann beschuldigt die Frau, die Frau wiederum die Schlange. So beginnt Gott mit der Aussprache der wohl härtesten Strafe bei der Anstifterin der Tat, der Schlange. Die Frau wird verurteilt zum schmerzhaften Kinder-Gebären. Außerdem wird sie von Gott Adam gegenüber hierarchisch untergeordnet. Dieser soll fortan sich selbst um Nahrung kümmern. Das Anlegen des Gartens, was vorher Gott für ihn übernommen hat, wird nun seine Aufgabe. Die in dem Essen der verbotenen Frucht zum Ausdruck kommende Abkehr von den Geboten Gottes gilt sowohl in der jüdischen als auch in der christlichen Religion als Rebellion gegen Gott, das Christentum spricht vom Sündenfall.21 Am Ende ist klar: Die beiden Menschen haben schuldhaft das Paradies verloren. Und nicht nur sie selbst, sondernder der Mensch allgemein, für alle Zeiten, was als Erbsünde bezeichnet wird.22 In den klassischen Worten aus Gen 3,19: „Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.“ kommt zudem zum Ausdruck, dass nun der Tod in die Welt getreten ist. So drastisch die Vertreibung aus dem Paradies in der Bibel dargestellt wird, so nüchtern ist die Deutung führender Wissenschaftler auf diesem Gebiet. Für sie steht die Geschichte nur als Sinnbild für das Sesshaftwerden unserer Urahnen, die Abkehr vom Nomadenleben hin zum Siedler und Ackerbauern, welche wohl zwischen dem siebten und fünften vorchristlichen Jahrtausend stattgefunden hat.23 21 Der Brockhaus: Religionen. Glauben, Riten, Heilige, Seiten 617, 618 22 Kurt Flasch: Eva und Adam. Wandlungen eines Mythos, Seite 28 23 David Rohl: Auf den Spuren der Genesis, www.zdf.de 23 Das biblische Paradies Das biblische Paradies Paradiesvorstellungen in Weltreligionen Jenseitsvorstellungen gehören zu den wesentlichen Elementen nahezu jeder Religion. Dahinter steht die Sehnsucht des Menschen, dass der Tod nicht das endgültige Ende des Daseins bedeutet, dass es ein „Danach“ gibt und er die Chance erhält, das Schöne und Gelungene – Liebe, Glück, Freude – fortzusetzen und die Defizite – Schuld, Versagen und Leid – auszugleichen oder wiedergutzumachen. 24 Der Brockhaus: Religionen. Glauben, Riten, Heilige, Seiten 300f. 25 Der Brockhaus: Religionen. Glauben, Riten, Heilige, Seite 15 Die konkreten Vorstellungen vom Jenseits variieren in den verschiedenen Religionen, je nach dem, was als Idealzustand einer „Heilszeit“ gedacht wird. Allen gemein ist, dass es sich um einen Bereich handelt, der die sichtbare Welt und ihre Erfahrungen übersteigt, dem „Diesseits“ also unvergleichbar gegenübersteht und deshalb nur in mythischen Bildern zur Sprache kommen kann.24 Im Folgenden werden die Paradiesvorstellungen der sogenannten „Abrahamitischen Religionen“ vorgestellt, deren Wurzeln als monotheistische Religionen im ersten Hauptteil der hebräischen Bibel zu finden sind. Der Begriff bezieht sich vor allem auf den dort überlieferten Bund zwischen dem Gott und Abraham, dem Stammvater des Volkes Israel (Gen 12,1-3), den auch Christen und Muslime als ihren Stammvater ansehen.25 Judentum 24 26 Der Brockhaus: Religionen. Glauben, Riten, Heilige, Seite 315f. Im Judentum spielen Paradiesvorstellungen keine so wichtige Rolle wie im Islam und im Christentum. Das Judentum liest die Geschichte vom Garten Eden differenziert und integriert sie nicht in ihr traditionelles Weltbild.26 27 Lexikon religiöser Grundbegriffe. Judentum, Christentum, Islam Im Judentum wird der Ort, an dem sich die Gerechten endloser Glückseligkeit erfreuen, Garten Eden genannt. Dieser ist jedoch nicht identisch mit dem Himmel als dem Wohnort Gottes. Für die Juden verfügt das Paradies über verschiedene Ebenen. Die oberste Ebene reicht bis zum Himmel Gottes.27 Der Mensch ist weder sündig noch ist er gefallen und verdorben. Der Weg zu Gott ist für jeden ein Weg, den er einschlagen kann und soll. Dieser Weg ist gekennzeichnet durch ein koscheres Leben, welches sich durch eine vordefinierte Ernährungs-, Verhaltens, und Lebensweise auszeichnet. Eine Rettergestalt wird die Menschen und die Welt nicht erretten, sondern die Errettung der Welt sollen die Menschen aus sich selber heraus und durch ihr Verhalten angehen. Die Tora lehrt, dass die Menschen hierbei nicht allein sind. Sie werden von Gott unterstützt. In der Bibelgeschichte spendet Gott ihnen Segen (Genesis 49, 25) und lässt während der Wüstenwanderung Brot regnen (Exodus 10, 4).28 28 Lexikon religiöser Grundbegriffe. Judentum, Christentum, Islam Uneinigkeit besteht darüber, wann die Gerechten den Ort der paradiesischen Glückseligkeit betreten, ob unmittelbar nach dem Tod oder erst bei der Totenauferstehung. Die rabbinischen Gelehrten unterschieden scharf zwischen den „Tagen des Messias“ und der „kommenden Welt“. Sie stellten sich den Garten Eden erst in der „kommenden Welt“ den Gerechten geöffnet vor.29 29 Lexikon religiöser Grundbegriffe. Judentum, Christentum, Islam Christentum Schon früh im Christentum wurde die paulinische Innovation etabliert, die lehrt, dass jeder Mensch mit Geburt die Sündhaftigkeit Adams erbe. Paulus schreibt in den Römerbriefen, des Neuen Testaments: „Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt.“ und „...durch die Übertretung eines einzelnen kam es für sämtliche Menschen zur Verurteilung.“ (Römer 5,12 und 5,18). Adams Vergehen ist den Christen als Sündenfall bekannt, ein Begriff, der in der Bibel und in jüdischen Schriften nicht vorkommt. Die paulinische Innovation, jeder Mensch erbe mit Geburt die Sündhaftigkeit Adams, ist die Lehre von der Erbsünde, die einen schicksalhaften Fehler Adams darstelle und durch das Kommen von Jesus als Christus für die Menschen erlöst werden könne. Ohne den Glauben an den Jesus Christus müssten die Menschen, und zwar sämtliche Menschen, in der Erbsünde leben und sterben.30 30 Heinrich Krauss: Das Paradies. Eine kleine Kulturgeschichte, Seite 121 25 Das biblische Paradies 31 Lexikon religiöser Grundbegriffe. Judentum, Christentum, Islam Das biblische Paradies Im Laufe der Entwicklung christlicher Kulturwerte führte dies zu einem banal pessimistischen Menschenbild, missionarischem Eifer und der starken Betonung der rechten Art des Glaubens.31 Die Bibel schildert das Paradies eher abstrakt und vage. Die Erlösten befinden sich in der Nähe Gottes, leben in ewigem Frieden, erfreuen sich eines herrlichen Daseins und preisen Gott mit Lobliedern. Das Wort „Paradies“ fällt im Neuen Testament nur an drei Stellen, wobei es jedes Mal im Jenseits lokalisiert wird: Paulus erzählt in einem seiner Briefe von einer offenbar mystischen Schau, in der er noch zu Lebzeiten „in den dritten Himmel…ins Paradies entrückt wurde; ob es mit dem Leib oder ohne Leib geschah, weiß ich nicht, nur Gott weiß es“ (Kor 12, 2-4). In der Passionsgeschichte des Lukas sagt Jesus zu einem der beiden, die mit ihm gekreuzigt wurden: „heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23, 43). Und schließlich spricht die Offenbarung des Johannes „vom Baum des Lebens, der im Paradiese steht.“ Als Nahrung für den, der getreu ausgehalten hat. 32 Heinrich Krauss: Das Paradies. Eine kleine Kulturgeschichte, Seite 125 Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Formulierungen und Bildreden, die mit anderen Worten auf eine paradiesische Existenz im Himmel hinweisen. Dazu gehören u.a. nach Jesu Aussagen das „Himmelreich“ oder „Reich Gottes“ und vor allem die Weissagungen der Offenbarung des Johannes, der vom „neuen Himmel und der neuen Erde“ spricht und vom „himmlischen Jerusalem“, (auch „Neues Jerusalem“), einer neuen Stadt, die am Ende der Apokalypse auf der Erde entstehen wird (Off 21-22).32 Es steht im Gegensatz zur Hölle und wird im Koran in zahlreichen Details als Ort des Glücks, der sinnlichen Freuden (meist als Garten mit Flüssen aus Wasser, Milch, Wein und Honig, Suren 14, 23, 47, 15) und der Gottesnähe beschrieben. Darüber hinaus ist das der Ort des Friedens und der Freiheit von Leid und Sünde. Der Islam kennt zwar sehr anschauliche Beschreibungen von einem Paradies voller Wonne, mit Früchten und kühlen Bächen, mit Kissen und weichen Teppichen usw., ein einheitliches Wort dazu gibt es aber nicht.34 34 Johann Figl: Tod und Auferstehung, Gerichts- und Paradiesvorstellungen im Islam Glückseligkeit wurde auch in Bildern erotischer und sexueller Freuden ausgedrückt. Paradiesjungfrauen (umstritten nach neuester Forschung) stehen in vollendeter Schönheit als Lohn für die Gläubigen bereit (vgl. Sure 55,58); die Frauen wandeln in wunderschönen Schlafgemächern dahin. In Sicherheit und Frieden sind die Menschen vereint (vgl. generell: Sure 13,20ff; 15,45ff; 52,17f; 56,35ff; u. a.). Insgesamt ist die Auffassung eines Paradieses voller profaner, weltlicher Freuden im Islam sehr verbreitet, auch wenn islamische Theologen versuchen, die Auffassung von sinnlichen Freuden abstrakter zu deuten.35 Im Gefolge der Aufklärung und dem Rationalismus wurden die Jenseitsvorstellungen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts kritisch hinterfragt und weitgehend „entmythologisiert“. Geblieben ist dennoch die Hoffnung, dass etwas vom Menschen nach seinem Tod bleibt und unsterblich ist oder dass nach dem Tod ein Jenseits auf ihn wartet.36 35 Der Brockhaus: Religionen. Glauben, Riten, Heilige, Seite 501 36 Der Brockhaus: Religionen. Glauben, Riten, Heilige, Seite 301 Islam 33 Der Brockhaus: Religionen. Glauben, Riten, Heilige, Seite 500 26 Im Koran nimmt das Paradies (arabisch Djanna, „Garten“) als Aufenthaltsort der Gläubigen nach der Auferstehung als Belohnung für gute Taten und gottesfürchtiges Leben eine zentrale Rolle ein. Die im Koran beschriebenen „Gärten des Paradieses“ sind Quartier für alle, „die glauben und tun, was recht ist“. Es ist der „Garten der Unsterblichkeit“ (wörtlich ‚Ewigkeit’) (Sure 25,15).33 27 2. Das Paradies in der Kunst 28 29 Das Paradies in der Kunst Das Paradies in der Kunst Die Paradieserzählung in der Kunst zwischen Utopie und Ideologie Die Kunstgeschichte weist viele religiöse Elemente auf. Wann und wie auch immer man sich mittels kunstgeschichtlicher Werke der Paradieserzählung nähert, befindet man sich bereits in der christlichen Auslegung der Erzählung. Eine Darstellung des Paradiesgeschehens, die sich allein nach dem Text der Hebräischen Bibel richtet, gibt es nicht. Schon die Darstellung des Schöpfergottes, welcher zudem als dreifaltiger Gott vorgestellt wird, passt nicht in die jüdische Auslegungsgeschichte. Auch die Ausstattung der Schlange mit den Gesichtszügen der Eva ist christlichen Ursprungs. Darüber hinaus fließen zahlreiche andere zeitgenössische theologische, folkloristische und anthropologische Vorstellungen in die Bildgestaltung ein. Für den Künstler des Mittelalters ist es völlig selbstverständlich, Adam und Eva in zeitgenössischem, etwa höfischem Outfit zu zeigen (Kleidung, Haartracht etc.) und sie auch in einem entsprechenden Ambiente zu platzieren. Darin entspricht ihnen die Werbung von heute, die Adam und Eva ebenfalls in einer merkwürdigen Mixtur von Einst und Jetzt darstellt. 37 www.rpi-virtuell.net/arbeitsbereiche/ artothek/museum2/paradies 30 Mit der künstlerischen Gestaltung ist zugleich festgelegt, in welcher Funktion die Paradieserzählung verwendet wird. Sie kann wehmütige Erinnerung ehemals paradiesischer Zustände sein, Denunziation des weiblichen Teils der Menschheit, die Darstellung einer zutiefst pessimistischen Sicht der Welt oder hoffnungsvolle Projektion des neuen Paradieses als eine glückliche Zukunft. Das primäre ideologische Interesse an der Paradieserzählung war und ist der Sündenfall der Eva, wirksam in der Rezeptionsgeschichte bis in die heutige Werbung. Das sich an der Darstellung der Eva ausprägende bzw. in sie hineinprojizierte Frauenbild ist bis in die Gegenwart ein wirkungsmächtiger Mythos geblieben. Es gibt aber auch die Rückerinnerung an das verlorene Paradies im Sinne einer utopischen Qualität, als Ort des Tierfriedens und der versöhnten Natur. Die Darstellung des Paradieses kann der städtischen Kultur entgegengesetzt werden, aber die städtische Kultur selbst kann als himmlisches Jerusalem ebenfalls Ausdruck von Paradiesvorstellungen sein.37 Natur Die frühesten Darstellungen des Paradieses zeigen ein Idyll. Blumen, Bäume, Vögel und exotische Tiere zieren einen Garten, der nicht selten auch den Guten Hirten beherbergt. Die Paradiesschilderung des Mittelalters entspringt der Erfahrung des entbehrungsreichen ora et labora der Mönche auf einsamen, entlegenen Klostergütern. „Die Bestellung des Feldes, der Anbau und die Ernte von Getreide, das Warten auf ausreichenden Regen sowie die ständige Furcht vor Missernte ließ sie die ganze Härte bäuerlicher Existenz erfahren ... Ihre Abhängigkeit von Landwirtschaft und Wetter machte die Mönche besonders anfällig für die biblische Paradiesgeschichte.“ Darin erfuhren sie, dass ihr mühseliges bäuerliches Leben Folge der Gesetzesübertretung des ersten Paares sei. „Eines Tages freilich wird Gott die Vertreibung rückgängig machen und den ursprünglichen, paradiesischen Zustand wiederherstellen. Am Ende der Zeiten, wenn Ordensleute und alle gerechten Menschen aus ihren irdischen Plagen entlassen werden, erschafft er eine neue Erde.“38 38 Bernhard Lang, Colleen McDannel: Der Himmel.Eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens, S. 105f. Und diese wurde nun als Negation der bestehenden Verhältnisse begriffen: „Die Sündenstrafe, das heißt: Kälte, Hitze, Hagel, Sturm, Blitz, Donner und andere Unannehmlichkeiten werden völlig verschwinden“. Die ganze Erde wird zum Paradies und mit duftenden, niemals welkenden Blumen - Lilien, Rosen und Veilchen - geschmückt sein.39 Die klösterliche Welt der Arbeit wird durch einen Lustgarten abgelöst. 39 Bernhard Lang, Colleen McDannel: Der Himmel.Eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens, S. 106 Im Paradies werden auch wieder paradiesische Zustände herrschen: Die Menschen werden, wie ein mittelalterliches Klosterbuch schreibt, nackt sein, aber sich durch Anstand auszeichnen und niemals wegen irgendeines Körperteils mehr erröten, als sie es jetzt wegen schöner Augen tun.40 40 Bernhard Lang, Colleen McDannel: Der Himmel.Eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens, S. 108 Jedes Paradiesbild transportiert zugleich die Hoffnung der Menschen, dass ihr armseliges irdisches Dasein einmal von einem besseren abgelöst werden möge, dass die heute noch als feindlich erscheinende und nur in 31 Das Paradies in der Kunst 41 www.rpi-virtuell.net/arbeitsbereiche/ artothek/museum2/paradies Das Paradies in der Kunst einem Gewaltakt zu unterwerfende Natur einmal als versöhnt, befriedet und harmonisch erscheinen möge und dass die kulturellen Errungenschaften der Menschheit nicht nur wie auf der Erde wenigen Privilegierten vorbehalten, sondern am Ende der Zeiten zum Allgemeingut aller Frommen und Gerechten werde.41 Nacktheit Theologie und Leibfeindlichkeit bilden keinen zwingenden Zusammenhang. Es gab und gibt innerhalb der komplexen Institution Kirche und noch deutlicher im Gesamtzusammenhang „Christentum“ sowohl puritanische als auch sinnenbetonte Richtungen, wobei nicht gesagt ist, dass die puritanischen nicht ebenso sinnlich wie die anderen Richtungen sind. Schuld Das Thema der Schuld ist ein wichtiger Teil der Rezeptionsgeschichte des Sündenfalls. Theologisch und philosophisch betrachtet ist die Frage der Schuld erst möglich als Folge des Sündenfalls, denn Schuldig-Werden wie Schuldig-Sprechen setzt die Unterscheidungsfähigkeit von Gut und Böse voraus. Die erste Sünde nach dem Sündenfall wäre daher das fortgesetzte „Ich nicht, aber die da“: „Ich nicht, aber die da“ sagt zuerst Adam über Eva zu seiner Verteidigung zu Gott, dann Eva über die Schlange. Das Hauptinteresse an der Schuldfrage konzentriert sich dennoch auf den Moment, in dem Eva zur Frucht greift. Ihre Körperhaltung - zum Baum, zur Schlange, zu Adam - gibt Auskunft über den Grad ihrer Schuld: Opfer, Verführte, verführte Verführerin, Komplizin, Täterin. 42 www.rpi-virtuell.net/arbeitsbereiche/ artothek/museum2/paradies 32 Konstruiert wird die Schuld in einem subtilen Wechselspiel mit diesem Vorwissen des Betrachters. Kleine Andeutungen verstärken dieses Vorwissen: parallele Haltungen, gemeinsame Blickrichtungen, Tändeleien und Annäherungen zwischen Eva und der Schlange bis zum gemeinsamen Zungenspiel (Pantheon-Bibel) auf der einen Seite und auf der anderen Seite ein abgewendeter, distanzierter, eher von der Dynamik des Geschehens ausgeschlossener oder doch erst sekundär beteiligter Adam.42 Am Beispiel der Arbeiten Lukas Cranachs wird einsichtig, dass die Darstellung menschlicher Nacktheit auch im unmittelbaren Umkreis der Reformatoren keinerlei Einschränkungen unterlag, solange die Nacktheit christlich oder aber allgemein moralisch begründbar war. Damit entsprach die Nacktdarstellung dem Geist der Zeit, der Kunst in funktionalen Zusammenhängen dachte. Interessant ist im Kontext der Darstellung von Adam und Eva in der abendländischen Kunstgeschichte der Übergang von der Nackt- zur Akt-Darstellung.43 43 John Berger: Sehen. Das Bild in der Welt der Bilderwelt Die Konstruktion des weiblichen Schönheitsideals als Objekt männlicher Begierde in der europäischen Aktmalerei hat Folgen für die Wahrnehmung und das Auftreten von Frauen bis in die Gegenwart. Zwar hat in der Kunst die Tradition der Aktdarstellung ein Ende gefunden, in Werbung, Fernsehen und Kinofilm lebt sie jedoch unvermindert fort. Im Folgenden werden Paradiesbildnisse in der Malerei chronologisch (vom Mittelalter bis zur Moderne) aufgeführt. 33 Das Paradies in der Kunst Das Paradies in der Kunst Paradiesbildnisse vom Mittelalter bis zur Moderne 34 um 950-55 1125-30 1235 um 1380 Spanische Buchmalerei El Escorial, Real Biblioteca de San Lorenzo Pantheon-Bibel Buchmalerei HS Lichtenthal Baum der Erkenntnis Buchmalerei Meister Bertram Vertreibung aus dem Paradies Buchmalerei Kunsthalle Hamburg 35 Das Paradies in der Kunst 36 Das Paradies in der Kunst um 1410 1416 1427 Oberrheinischer Meister Das Paradiesgärtlein, Szene: Maria im beschlossenen Garten mit Heiligen Mischtechnik auf Holz 26,3 × 33,4 cm Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt/Main Paul von Limburg Versuchung, Sündenfall und Vertreibung Stundenbuch des Duc de Berry 29 x 21 cm Musée Condé, Chantilly Massaccio Vertreibung aus dem Paradies Fresko 208 x 88 cm Santa Maria del Carmine, Florenz 37 Das Paradies in der Kunst 38 Das Paradies in der Kunst um 1445 1467-68 1481 Giovanni di Paolo Vertreibung aus dem Paradies Tempera und Gold auf Holz 46,4 x 52,1 cm Metropolitan Museum of Art, New York Hugo van der Goes Ursünde Öl auf Holz 35,5 x 23,2 cm. Kunsthistorisches Museum Wien Bertold Furtmayr Baum des Lebens und des Todes aus einem Missale des Erzbischofs von Salzburg Buchmalerei 83 x 208 cm Bayerische Staatsbibliothek 39 Das Paradies in der Kunst Das Paradies in der Kunst 1480-90 Das Paradies 1485 Imaginäres Paradies Hieronymus Bosch Triptychon „Der Garten der Lüste“ Öl auf Holz 220 x 97,5/ 195 cm Museo Nacional del Prado, Madrid 40 Hölle Hans Memling Adam und Eva Öl auf Holz je 69,3 x 34,6 cm Kunsthistorisches Museum Wien 41 Das Paradies in der Kunst 42 Das Paradies in der Kunst 1504 1507 1508-12 um 1520 Albrecht Dürer Adam und Eva Kupferstich 25,2 x 19,5 cm Privatbesitz Albrecht Dürer Adam und Eva Öl auf Holz je 209 × 81 cm Museo Nacional del Prado, Madrid Lucas Cranach d. Ä. Adam und Eva Tempera auf Holz 59 × 44 Nationalmuseum Warschau Jan (Mabuse) Gossaert Adam und Eva Öl auf Leinwand 168 x 111 cm Royal Collection Windsor 43 Das Paradies in der Kunst 44 Das Paradies in der Kunst um 1525 um 1525 1525 1526 Jan (Mabuse) Gossaert Adam und Eva Öl auf Holz 30,5 x 35,8 cm Gemäldegalerie, Staatliche Mussen Berlin Hans Baldung Adam und Eva Öl auf Holz je 208 x 83,5 cm Magyar Szépmüvészeti Múzeum, Budapest Lucas Cranach d. A. Adam und Eva ÖL auf Holz 59,2 x 42 cm Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kultur, Münster i.W. Lucas Cranach d. Ä. Adam und Eva Öl auf Holz 117 × 80,5 cm Courtauld Institute Galleries, London 45 Das Paradies in der Kunst 46 Das Paradies in der Kunst 1530 1536 Lucas Cranach d. Ä. Adam und Eva im Garten Eden Öl auf Holz 81 x 114 cm Kunsthistorisches Museum Wien Lucas Cranach d. Ä. Paradies Öl auf Holz 81 x 114 cm Kunsthistorisches Museum Wien 47 Das Paradies in der Kunst 48 Das Paradies in der Kunst um 1550 um 1565-70 Jacopo Robusti Tintoretto Adam und Eva Öl auf Leinwand 150 x 220 cm Galeria dell Accademia, Venedig Tizian Adam und Eva, Sündenfall Öl auf Leinwand 240 x 186 cm Museo Nacional del Prado, Madrid 49 Das Paradies in der Kunst 50 Das Paradies in der Kunst 1570-73 1592 1599-1600 Jacopo Bassano Garten Eden Öl auf Leinwand 77 x 109 cm Galleria Doria-Pamphili, Rom Cornelis van Haarlem Der Sündenfall Öl auf Leinwand 273 x 220 cm Rijksmuseum, Amsterdam Peter Paul Rubens Der Sündenfall (Adam und Eva) Öl auf Holz 180 x 158 cm Rubenshuis, Antwerpen 51 Das Paradies in der Kunst 52 Das Paradies in der Kunst 1616 1620 1740 Hendrik Goltzius Der Sündenfall Öl auf Leinwand 104,5 x 138,4 cm National Gallery of Art, Washington D.C. Jan Brueghel d. Ä Das Paradies Öl auf Holz 59 x 42 cm Gemäldegalerie, Staatliche Museen Berlin Charles Joseph Natoire Die Vertreibung aus dem Paradies Öl auf Kupfer 67,9 x 50,2 cm Metropolitan Museum of Art, New York 53 Das Paradies in der Kunst 54 Das Paradies in der Kunst 1880 1897 Max Klinger Adam Radierung 257 x 246 cm Staatliche Graphische Sammlung, München Hans Thoma Adam und Eva Öl auf Leinwand 110 × 78,5 cm Eremitage, St. Petersburg 55 Das Paradies in der Kunst 56 Das Paradies in der Kunst 1910-11 1912 1917-18 Marcel Duchamp Das Paradies Öl auf Leinwand 144,5 × 128,5 cm Philadelphia Museum of Art Marc Chagall Adam und Eva Öl auf Leinwand 83 x 208 cm Art Museum, St. Luis Gustav Klimt Adam und Eva (unvollendet) Leinwand 173 × 60 cm Österreichische Galerie, Wien 57 Das Paradies in der Kunst 58 Das Paradies in der Kunst 1921 unbekannt Emil Nolde Verlorenes Paradies, 1921 Öl auf Leinwand 106,5 x 157 cm Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde Marc Chagall Das Paradies (Detail) Öl auf Leinwand 185 x 287 cm Musée Message Biblique Marc Chagall, Nizza 59 Das Paradies in der Kunst 60 Das Paradies in der Kunst unbekannt 1977 Marc Chagall Die Vertreibung aus dem Paradies (Detail) Öl auf Leinwand 190 x 284 cm Musée Message Biblique Marc Chagall, Nizza Marc Chagall Adam, Eva und die Schlange Lithografie 61 x 45,5 cm Collection Charles Sorlier 61