Paradies - Fakultät Gestaltung

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Paradies - Fakultät Gestaltung
Paradies
Larissa Maser
Paradies
Larissa Maser
Matrikelnummer 00 12 15 02
Diplomarbeit
Thema: Paradies
Betreuer: Prof. Armin Lindauer
Hochschule Mannheim
Fakultät Gestaltung
Sommersemester 2006
Inhalt
8
11
1. Das biblische Paradies
12
13
14
16
18
19
21
Garten Eden
Ursprung des Begriffs Garten Eden
Geographische Lage
Erschaffung des Menschen
Adam und Eva
Sündenfall
Vertreibung aus dem Paradies
24
24
25
26
Paradiesvorstellungen in Weltreligionen
Judentum
Christentum
Islam
29
2. Das Paradies in der Kunst
30
Die Paradieserzählung in der Kunst zwischen Utopie und Ideologie
Natur
Schuld
Nacktheit
Paradiesbildnisse vom Mittelalter
bis zur Moderne
31
32
33
34
Vorwort
63
3. Das käufliche Paradies
64
Religiöse Motive in der Werbung
68
68
69
70
72
74
76
78
80
82
84
86
88
90
92
Paradiesische Warenwelt
Beyond Paradise for women von Estée Lauder
Beyond Paradise for men von Estée Lauder
Paradise Passion von Naomi Campbell
Pacific Paradise von Escada
Venus Devine Paradise von Gillette
Touch of Paradise von Artdeco
Pineapple Paradise von Drunken Cockatoo
Be Delicious von DKNY for women and men
Otto Kern Parfums
Paradies Creme von Dr. Oetker
Paradise von Frische
Paradies bei dm: Filmentwicklung und -material
Anzeige Toto Lotto
Anzeige Playboy
94
94
96
98
100
102
104
Paradiesische Firmen
Sonnenparadies
Feinkost Paradies
Frisuren Paradies
Bikers Paradise
Schmuck Paradies
Schuh-Paradies
106
Paradiesisches Internet
117
118
120
Anhang
Literatur
Bildverzeichnis
Vorwort
Jeder Mensch kennt den Begriff Paradies. Von Kindheit an haben wir
durch unsere Bildung und unsere Umgebung die Paradiesgeschichte und
die damit verbundenen Symbole verinnerlicht.
Das Wort Paradies kommt aus dem Alt-Iranischen, dem Avestischen.
Dort bedeutet „pairi-daéza“ soviel wie ein umwallter oder umzäunter
Park oder Garten. Daraus leiten sich das spätbabylonische „pardisu“, das
hebräische „pardes“ und schließlich das griechische „paradeisos“ ab. Das
Paradies steht sowohl für den Garten Eden, den utopischen Urzustand
als auch für einen Ort bzw. Zustand der Glückseligkeit nach dem Tod.
Somit bezeichnet der Begriff Paradies (im religiösen Sinne) den Anfang
und das Ende aller Zeiten.
Im vorliegenden Buch erfolgt zunächst eine Annäherung an das Thema
Paradies in seinem Ursprung, der biblischen Erzählung. Die Paradiesgeschichte ist verbunden mit dem jüdisch-christlichen Schöpfungsmythos,
in dem von einem utopischen, geografischen Ort die Rede ist und den
darin sorglos lebenden ersten Menschen – Adam und Eva. Jedoch hält der
ideale Urzustand nicht lange an, weil die Menschen das Verbot Gottes
missachten, vom Baum der Erkenntnis zu essen, wozu eine Schlange sie
verführt. Dieses als Sündenfall bekannte Ereignis führte zur Vertreibung
aus dem Paradies.
Die Sehnsucht nach einem paradiesischen Ort oder Zustand ist bei Menschen tiefer verwurzelt, als man zunächst glaubt. Der Wunsch nach
einem besseren Leben kennzeichnet die Seelenzustände der Menschen.
Diesen Gedanken haben Werbeleute und Konsumgüterhersteller erkannt
und versuchen daraus Kapital zu schlagen. Als Befriedigung der Sehnsüchte bieten sie Waren an. Sehr häufig wird dabei der Begriff Paradies
gebraucht.
Im 3. Kapitel findet eine Untersuchung der Paradiesversprechen in der
aktuellen Waren- und Werbewelt statt, die aufzeigt, dass das Paradies
dermaßen omnipräsent ist, dass die Besonderheit und die Exklusivität der
paradiesischen Angebote durch deren Vielfalt in Frage gestellt werden
kann.
Außerdem wird deutlich, dass die banalsten Dinge aus offenbar beliebigen Bereichen mit dem Begriff Paradies gleichgesetzt werden, was
dazu führt, dass die Bezeichnung Paradies entwertet und bis ins Absurde
geführt wird.
In der europäischen Kunstgeschichte sind Motive des Paradieses allgegenwärtig. Daher wird im 2. Kapitel eine Sammlung von Paradiesbildnissen in der Kunst, in einem Abriss vom Mittelalter bis hin zur Moderne,
aufgezeigt. Zentral ist dabei die Entwicklung der Paradiesdarstellungen
mit den vorherrschenden Motiven des Paradieses als (Garten-)Landschaft und Adam und Eva als erstem Menschenpaar. Der Moment des
Sündenfalls wie auch die Vertreibung aus dem Paradies als zentrale Wendepunkte der Paradiesgeschichte sind ebenfalls immer wiederkehrende
Motive.
1. Das Biblische Paradies
10
11
Das biblische Paradies
Das biblische Paradies
Garten Eden
Der Begriff „Eden“ stammt wohl aus dem Sprachgebrauch der vor Jahrtausenden herrschenden Hochkulturen der Sumerer und der Akkadier.2
Das sumerische „edin“ sowie das akkadische „edinu“ bezeichnen eine
„Ebene“ oder „Steppe“.
2 Bibel-Lexikon, Seite 289
Sumerische Texte und Hymnen berichten von kriegerischen Auseinandersetzungen in der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrtausends um „Guedina“, was wörtlich „Rand der Steppe“ heißt. Unter dem Wort „anedena“ (zusammengesetzt mit „an“, Himmel) verstanden die Sumerer ein
höher gelegenes Gebiet, also eine Art Hochsteppe oder Hochebene.3
3 Eva Maria Borer: Der Adam und
Eva Report. Historische Wurzeln der
biblischen Genesis, Seite 77
Das Wort „Garten“ bezeichnet laut Lexikon eine „umhegte, in Bodenkultur genommene Kleinfläche mit Obst, Gemüse, Zierpflanzen“4 und
somit das, was auch die biblische Formulierung zum Ausdruck bringen
möchte: Ein Ort, an dem der Mensch Schutz und Geborgenheit sowie
Nahrung findet. Darüber hinaus erhält der Mensch im Garten Eden über
den Baum des Lebens Unsterblichkeit.
Garten Eden
Jacob de Backer (1555/60 - 1585/90)
Groenige Museum, Bruges
1 Der Brockhaus: Religionen.
Glauben, Riten, Heilige, Seite 500
Ursprung des Begriffs Garten Eden
4 Herders Neues Handlexikon (1987)
„15 Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten
Eden…“ Genesis 2, 15
Der Garten Eden wird in der griechischen Übersetzung der hebräischen
Bibel als Paradies bezeichnet.1 Er taucht im 1. Buch Mose (Genesis) der
Bibel auf, das ihn in Gen 2 schildert und in Gen 3 von der Vertreibung des
Menschen daraus erzählt.
„8 Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin
und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte.
9 Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten
im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.“
Der Mensch nimmt im Garten Eden von Beginn an eine privilegierte Stellung ein. Er muss den Garten nicht selbst anlegen, sondern wird hineingesetzt. Er erhält das Paradies sozusagen als Geschenk.5
5 Heinrich Krauss: Das Paradies. Eine
kleine Kulturgeschichte, Seite 21
Jedoch wird im Bibeltext klargestellt, dass der Garten Eden keineswegs
ein Ort des Müßiggangs sein soll:
„…dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Genesis 2, 15
Gott überträgt dem Menschen die Verantwortung, den von ihm geschaffenen Garten zu kultivieren und zu erhalten.
Genesis 2, 8-9
12
13
Das biblische Paradies
Das biblische Paradies
Geographische Lage des Garten Eden
Karte von Mesopotamien
Quelle: Weltatlas der alten Kulturen,
Mesopotamien
„10 Und es ging aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und
teilte sich von da in vier Hauptarme.
11 Der erste heißt Pischon, der fließt um das ganze Land Hewila, und
dort findet man Gold;
12 und das Gold des Landes ist kostbar. Auch findet man da Bedolachharz und den Edelstein Schoham.
13 Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch.
14 Der dritte Strom heißt Tigris, der fließt östlich von Assyrien. Der
vierte Strom ist der Euphrat.“
Genesis 2, 10 bis 14
6 Heinrich Krauss: Das Paradies. Eine
kleine Kulturgeschichte, Seite 23
Bis heute ist es keinem Wissenschaftler gelungen, den in der Bibel beschriebenen Ort eindeutig zu lokalisieren. Zu vage sind die Hinweise im
Bibeltext. Die Ortsangabe „gegen Osten“ und die Bezeichnung „ein
Strom“ geben kaum einen Aufschluss über die geographische Lage, da
im Orient ein Garten ohne Bewässerung undenkbar ist.6
Die Deutung der Flussnamen führt einerseits zu konkreteren, andererseits jedoch sehr unterschiedlichen und widersprüchlichen Ergebnissen,
da die vermeintlich identifizierten Orte zum Teil sehr weit, über Kontinente verteilt, auseinander liegen.
7 Eva Maria Borer: Der Adam und
Eva Report. Historische Wurzeln der
biblischen Genesis, Seite 80
Der Pischon umfließt das Land Hewila, wo Gold zu finden ist. Mit dem
Land Hewila, dessen Bezeichnung wahrscheinlich vom hebräischen
Wort „hawil“, was „Sand“ bedeutet, stammt, könnte das „Sandland“
gemeint sein, Arabien. Arabien war auch als Goldland bekannt. Andere
Interpretationen deuten den Pischon als den Ganges, welcher das Industal durchfließt, womit der Garten Eden in das ferne Asien verlagert
würde.7
Der Gihon umfließt das Land Kusch, damals der Name für Nubien oder
Äthiopien. Somit könnte Gihon ein früherer Name für den Nil sein.
14
Die Flüsse Euphrat und Tigris hingegen sind eindeutig lokalisierbar. Sie
durchfließen Südost-Anatolien (Türkei), Syrien und den Irak. Ihre Namen
haben sich bis heute nicht geändert, auch nicht die Bezeichnung Zweistromland, das frühere Mesopotamien, später Babylonien und heutige
Kernland des Iraks. Hier begann die Geschichte einer der frühen Hochkulturen, die der Sumerer.
Auf den Spuren der Sumerer stößt man auf ein Land namens „Tilmun“.8
Alte Texte beschreiben dieses Land als Insel der Götter, andererseits als
Warenumschlagsplatz im sumerischen Handel mit dem Orient, umgeben
von Wassern und Strömen. Identifiziert wurde diese Insel als das heutige
Bahrein im Persischen Golf. Das Wort „Tilmun“ (auch Dilmun) bedeutet
im Sumerischen „Paradies“.9
Es gibt aber auch Theorien, die besagen, dass der biblische Garten Eden
keinem der vier Flüsse nahe gelegen sein muss. Stattdessen sei diese
Vierzahl nicht als Ortsangabe, sondern symbolisch für die vier Himmelsrichtungen und damit die Totalität des Erdkreises gemeint.10
8 Helmut Uhlig: Die Sumerer. Volk am
Anfang der Geschichte, Seite 217
9 Helmut Uhlig: Die Sumerer. Volk am
Anfang der Geschichte, Seite 44
10 Heinrich Krauss: Das Paradies. Eine
kleine Kulturgeschichte, Seite 23
15
Das biblische Paradies
Das biblische Paradies
Die Vorstellung eines irdischen Paradieses ist seit jeher für Menschen
Anreiz genug, die Mühen und Anstrengungen der Suche auf sich zu
nehmen. Schon Christoph Kolumbus war vermutlich von der Idee
besessen, er hätte das Paradies gefunden, als er am 12.10.1492 auf der
Insel Guanahani landete, welche zum Inselstaat der Bahamas gehört und
heute als ein absolutes Urlaubsparadies bekannt ist.
Adam und Eva
11 Der Brockhaus: Religionen.
Glauben, Riten, Heilige, Seite 17
Der Mensch, hebräisch adam, der aus Staub auf der Erde gebildet wird,
und seine Frau Eva waren die einzigen menschlichen Bewohner von Eden
und gelten als das erste Menschenpaar und Stammeltern aller Menschen.11
Erschaffung des Menschen
Der erste Bericht lautet wie folgt:
26 Und Gott sprach: Lasset uns machen, ein Bild, das uns gleich sei, die
da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem
Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles
Gewürm, das auf Erden kriecht.
29 Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die
Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die
Samen bringen, zu eurer Speise.
30 Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel
und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur
Nahrung gegeben. Und es geschah so.
Genesis 1, 26-30
Die Erschaffung des Menschen wird als Gottes Krönung seines Schöpfungswerks am sechsten Tag dargestellt.13 Er setzt den Menschen als sein
Ebenbild und Vertreter in die Welt, um über die Schöpfung zu herrschen.
Für ausreichende Ernährung ist gesorgt. Auch um die Fortpflanzung der
menschlichen Rasse sorgt sich der Herr und gibt eben diese dem Menschen zur Aufgabe. In diesem ersten Bericht erscheint das Paradies in
seiner optimalen Form für die Menschen. Außer essen, schlafen und sich
fortpflanzen müssen sie sich um nichts sorgen.
13 Kurt Flasch: Eva und Adam.
Wandlungen eines Mythos, Seite 19
Der zweite Bericht um die Erschaffung des Menschen ist detaillierter:
Die Erschaffung Adams, 1502-12
Michelangelo Buonarotti
Sixtinische Kapelle, Rom
12 Kurt Flasch: Eva und Adam.
Wandlungen eines Mythos, Seite 18
16
Im Bibeltext wird die Erschaffung des Menschen zweimal dargestellt.
Wahrscheinlich gab es unterschiedliche mündliche Überlieferungen, die
später im Buch Genesis zusammengeführt wurden.12
„5 und kein Mensch war da, der das Land bebaute;
6 aber ein Nebel stieg auf von der Erde und feuchtete alles Land.
7 Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies
ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein
lebendiges Wesen. (…)
15 Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten
Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.
16 Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach: Du darfst essen
von allen Bäumen im Garten,
17
Das biblische Paradies
Das biblische Paradies
17 aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du
nicht essen; denn an dem Tag, da du von ihm issest, mußt du des Todes
sterben.
18 Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei;
ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.
19 Und Gott der Herr machte aus Erde all die Tiere auf dem Felde und
alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen,
dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen
würde, so sollte es heißen.
20 Und der Mensch gab einem jeden Vieh und Vogel unter dem Himmel
und Tier auf dem Felde seinen Namen, aber für den Menschen ward
keine Gehilfin gefunden, die um ihn wäre.
21 Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen,
und er schlief ein. Und er nahm eine seiner Rippen und schloß die Stelle
mit Fleisch.
22 Und Gott der Herr baute ein Weib aus der Rippe, die er von dem
Menschen nahm, und brachte sie zu ihm.
23 Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und
Fleisch von meinem Fleisch, man wird sie Männin nennen, weil sie vom
Manne genommen ist.
24 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und
seinem Weibe anhangen und sie werden sein ein Fleisch.“
Die dem Menschen vorbehaltene Erkenntnis wird symbolisch durch das
Wissen, beziehungsweise Nichtwissen von ihrer Nacktheit dargestellt:
„Und sie waren nackt, der Mensch und sein Weib, und schämten sich
nicht.“ Genesis 2, 25
Sündenfall
Genesis 2, 5-7 und 15-24
14 Kurt Flasch: Eva und Adam.
Wandlungen eines Mythos, Seite 24
In dieser Schilderung fällt auf, dass die Tiere nach dem Mann geschaffen
werden, was jedoch nichts an dessen herrschender Stellung ändert.14
15 Kurt Flasch: Eva und Adam.
Wandlungen eines Mythos, Seite 26
Vergleicht man die beiden Berichte weiterhin miteinander, erscheint die
Erschaffung in einem anderen Licht. Mann und Frau werden nicht mehr
zeitgleich geschaffen, sondern explizit in zeitlicher und nach Meinung
vieler Deutungen in hierarchischer Abfolge.15
Für den weiteren Verlauf der Bibelgeschichte ist das Verbot Gottes entscheidend. Gott stellt für das ewige und umsorgte Leben eine Bedingung:
Der Mensch soll nicht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse essen.
18
Der Sündenfall, 1502-12
Michelangelo Buonarotti
Sixtinische Kapelle, Rom
„1 Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott
der Herr gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt
haben: ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?
19
Das biblische Paradies
Das biblische Paradies
2 Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten
der Bäume im Garten; 3 aber von den Früchten des Baumes mitten im
Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, daß
ihr nicht sterbet!
4 Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet keineswegs des Todes
sterben, 5 sondern Gott weiß: An dem Tag, da ihr davon esset, werden
eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut
und böse ist.
6 Und das Weib sah, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß eine
Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er Flug machte. Und sie
nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch
davon, und er aß.
7 Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan, und sie wurden gewahr,
daß sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.“
Vertreibung aus dem Paradies
Genesis 2, 1-7
16 Heinrich Krauss: Das Paradies. Eine
kleine Kulturgeschichte, Seite 97
20
Obwohl auch die Schlange Gottes Schöpfung ist, erscheint sie bösartig
und hinterlistig. Die Ursache hierfür beantwortet der Text ebenso wenig wie die Frage, woher die Schlange das Wissen um den Baum der
Erkenntnis hat. Fast scheint es, als sei diese Prüfung des Menschen gottgewollt.16
17 Heinrich Krauss: Das Paradies. Eine
kleine Kulturgeschichte, Seite 71
Abhandlungen dieser Geschichte wie John Miltons „Paradise Lost“
(1667) stellen die Schlange als gefallenen Engel Satan dar, der sich an
Gott rächen will und dazu sich in den Garten Eden schleicht, um Gottes
liebstes Geschöpf, den Menschen, zu verderben.17
18 Kurt Flasch: Eva und Adam.
Wandlungen eines Mythos, Seite 30
Die Schlange spielt im Gespräch mit Eva das Verbot herunter und weckt
deren Neugier, so dass es schließlich zum Sündenfall kommt, welcher
nicht unbemerkt bleiben konnte.18
Die Vertreibung aus dem Paradies, 1502-12
Michelangelo Buonarotti
Sixtinische Kapelle, Rom
„8 Und sie hörten Gott den Herrn, wie er im Garten ging, als der Tag
kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seinem Weibe vor
dem Angesicht Gottes des Herrn unter den Bäumen im Garten.
9 Und Gott der Herr rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du?
10 Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich
bin nackt, darum versteckte ich mich.
11 Und er sprach: Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist? Hast du nicht
gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du sollst nicht davon
essen?
12 Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von
dem Baum, und ich aß.
21
Das biblische Paradies
Das biblische Paradies
13 Da sprach Gott der Herr zum Weibe: Warum hast du das getan? Das
Weib sprach: Die Schlange betrog mich, so daß ich aß.
14 Da sprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du das getan hast,
seist du verflucht, verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem
Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang.
15 Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und
zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir
den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.
16 Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn
du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein
Verlangen soll nach deinem Manne sein, aber er soll dein Herr sein.
17 Und zum Manne sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deines
Weibes und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach:
Du sollst nicht davon essen -, verflucht sei der Acker um deinetwillen!
Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang.
18 Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem
Felde essen.
19 Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und
sollst zu Erde werden.
20 Und Adam nannte sein Weib Eva; denn sie wurde die Mutter aller,
die da leben.
21 Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen
und zog sie ihnen an.
22 Und Gott der Herr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht
ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und
esse und lebe ewiglich!
23 Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Ede, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war.
24 Und er trieb den Mensch hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden
die Cherubin mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen
den Weg zu dem Baum des Lebens.“
Genesis 3, 8-24
22
Das Essen des Apfels stellt nicht nur das Übertreten eines Verbots dar,
sondern auch die Anmaßung des Menschen, Gott gleich zu sein und ihm
das Privileg der Erkenntnis zu nehmen.19
Das gängige Bild vom Apfel als verbotener Paradiesfrucht beruht nicht
auf der Bibel, sondern auf einer falschen Übersetzung des lateinischen
Wortes malus, das sowohl „böse“ als auch „Apfel“ bedeuten kann.20
19 Kurt Flasch: Eva und Adam.
Wandlungen eines Mythos, Seite 30
20 Artikel „Die Suche nach dem Garten
Eden“, Der Spiegel Nr. 23/ 3.6.06
Unverzüglich sucht Gott nach der Ursache beziehungsweise dem Schuldigen an der frevelhaften Tat. Von den drei Beteiligten möchte niemand
die Schuld auf sich nehmen. Der Mann beschuldigt die Frau, die Frau
wiederum die Schlange.
So beginnt Gott mit der Aussprache der wohl härtesten Strafe bei der
Anstifterin der Tat, der Schlange. Die Frau wird verurteilt zum schmerzhaften Kinder-Gebären. Außerdem wird sie von Gott Adam gegenüber
hierarchisch untergeordnet. Dieser soll fortan sich selbst um Nahrung
kümmern. Das Anlegen des Gartens, was vorher Gott für ihn übernommen hat, wird nun seine Aufgabe.
Die in dem Essen der verbotenen Frucht zum Ausdruck kommende Abkehr von den Geboten Gottes gilt sowohl in der jüdischen als auch in der
christlichen Religion als Rebellion gegen Gott, das Christentum spricht
vom Sündenfall.21
Am Ende ist klar: Die beiden Menschen haben schuldhaft das Paradies
verloren. Und nicht nur sie selbst, sondernder der Mensch allgemein,
für alle Zeiten, was als Erbsünde bezeichnet wird.22 In den klassischen
Worten aus Gen 3,19: „Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.“
kommt zudem zum Ausdruck, dass nun der Tod in die Welt getreten ist.
So drastisch die Vertreibung aus dem Paradies in der Bibel dargestellt
wird, so nüchtern ist die Deutung führender Wissenschaftler auf diesem
Gebiet. Für sie steht die Geschichte nur als Sinnbild für das Sesshaftwerden unserer Urahnen, die Abkehr vom Nomadenleben hin zum Siedler
und Ackerbauern, welche wohl zwischen dem siebten und fünften vorchristlichen Jahrtausend stattgefunden hat.23
21 Der Brockhaus: Religionen.
Glauben, Riten, Heilige, Seiten 617, 618
22 Kurt Flasch: Eva und Adam.
Wandlungen eines Mythos, Seite 28
23 David Rohl: Auf den Spuren der
Genesis, www.zdf.de
23
Das biblische Paradies
Das biblische Paradies
Paradiesvorstellungen in Weltreligionen
Jenseitsvorstellungen gehören zu den wesentlichen Elementen nahezu
jeder Religion. Dahinter steht die Sehnsucht des Menschen, dass der Tod
nicht das endgültige Ende des Daseins bedeutet, dass es ein „Danach“
gibt und er die Chance erhält, das Schöne und Gelungene – Liebe, Glück,
Freude – fortzusetzen und die Defizite – Schuld, Versagen und Leid –
auszugleichen oder wiedergutzumachen.
24 Der Brockhaus: Religionen.
Glauben, Riten, Heilige, Seiten 300f.
25 Der Brockhaus: Religionen.
Glauben, Riten, Heilige, Seite 15
Die konkreten Vorstellungen vom Jenseits variieren in den verschiedenen
Religionen, je nach dem, was als Idealzustand einer „Heilszeit“ gedacht
wird. Allen gemein ist, dass es sich um einen Bereich handelt, der die
sichtbare Welt und ihre Erfahrungen übersteigt, dem „Diesseits“ also
unvergleichbar gegenübersteht und deshalb nur in mythischen Bildern
zur Sprache kommen kann.24
Im Folgenden werden die Paradiesvorstellungen der sogenannten
„Abrahamitischen Religionen“ vorgestellt, deren Wurzeln als monotheistische Religionen im ersten Hauptteil der hebräischen Bibel zu finden
sind. Der Begriff bezieht sich vor allem auf den dort überlieferten Bund
zwischen dem Gott und Abraham, dem Stammvater des Volkes Israel
(Gen 12,1-3), den auch Christen und Muslime als ihren Stammvater
ansehen.25
Judentum
24
26 Der Brockhaus: Religionen.
Glauben, Riten, Heilige, Seite 315f.
Im Judentum spielen Paradiesvorstellungen keine so wichtige Rolle wie
im Islam und im Christentum. Das Judentum liest die Geschichte vom
Garten Eden differenziert und integriert sie nicht in ihr traditionelles
Weltbild.26
27 Lexikon religiöser Grundbegriffe.
Judentum, Christentum, Islam
Im Judentum wird der Ort, an dem sich die Gerechten endloser Glückseligkeit erfreuen, Garten Eden genannt. Dieser ist jedoch nicht identisch
mit dem Himmel als dem Wohnort Gottes. Für die Juden verfügt das
Paradies über verschiedene Ebenen. Die oberste Ebene reicht bis zum
Himmel Gottes.27
Der Mensch ist weder sündig noch ist er gefallen und verdorben. Der
Weg zu Gott ist für jeden ein Weg, den er einschlagen kann und soll.
Dieser Weg ist gekennzeichnet durch ein koscheres Leben, welches
sich durch eine vordefinierte Ernährungs-, Verhaltens, und Lebensweise
auszeichnet. Eine Rettergestalt wird die Menschen und die Welt nicht
erretten, sondern die Errettung der Welt sollen die Menschen aus sich
selber heraus und durch ihr Verhalten angehen. Die Tora lehrt, dass die
Menschen hierbei nicht allein sind. Sie werden von Gott unterstützt. In
der Bibelgeschichte spendet Gott ihnen Segen (Genesis 49, 25) und lässt
während der Wüstenwanderung Brot regnen (Exodus 10, 4).28
28 Lexikon religiöser Grundbegriffe.
Judentum, Christentum, Islam
Uneinigkeit besteht darüber, wann die Gerechten den Ort der paradiesischen Glückseligkeit betreten, ob unmittelbar nach dem Tod oder erst
bei der Totenauferstehung. Die rabbinischen Gelehrten unterschieden
scharf zwischen den „Tagen des Messias“ und der „kommenden Welt“.
Sie stellten sich den Garten Eden erst in der „kommenden Welt“ den
Gerechten geöffnet vor.29
29 Lexikon religiöser Grundbegriffe.
Judentum, Christentum, Islam
Christentum
Schon früh im Christentum wurde die paulinische Innovation etabliert,
die lehrt, dass jeder Mensch mit Geburt die Sündhaftigkeit Adams erbe.
Paulus schreibt in den Römerbriefen, des Neuen Testaments: „Durch
einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt.“ und „...durch
die Übertretung eines einzelnen kam es für sämtliche Menschen zur
Verurteilung.“ (Römer 5,12 und 5,18). Adams Vergehen ist den Christen
als Sündenfall bekannt, ein Begriff, der in der Bibel und in jüdischen
Schriften nicht vorkommt. Die paulinische Innovation, jeder Mensch erbe
mit Geburt die Sündhaftigkeit Adams, ist die Lehre von der Erbsünde,
die einen schicksalhaften Fehler Adams darstelle und durch das Kommen
von Jesus als Christus für die Menschen erlöst werden könne. Ohne
den Glauben an den Jesus Christus müssten die Menschen, und zwar
sämtliche Menschen, in der Erbsünde leben und sterben.30
30 Heinrich Krauss: Das Paradies. Eine
kleine Kulturgeschichte, Seite 121
25
Das biblische Paradies
31 Lexikon religiöser Grundbegriffe.
Judentum, Christentum, Islam
Das biblische Paradies
Im Laufe der Entwicklung christlicher Kulturwerte führte dies zu einem
banal pessimistischen Menschenbild, missionarischem Eifer und der
starken Betonung der rechten Art des Glaubens.31
Die Bibel schildert das Paradies eher abstrakt und vage. Die Erlösten
befinden sich in der Nähe Gottes, leben in ewigem Frieden, erfreuen sich
eines herrlichen Daseins und preisen Gott mit Lobliedern.
Das Wort „Paradies“ fällt im Neuen Testament nur an drei Stellen, wobei
es jedes Mal im Jenseits lokalisiert wird: Paulus erzählt in einem seiner
Briefe von einer offenbar mystischen Schau, in der er noch zu Lebzeiten
„in den dritten Himmel…ins Paradies entrückt wurde; ob es mit dem
Leib oder ohne Leib geschah, weiß ich nicht, nur Gott weiß es“ (Kor 12,
2-4). In der Passionsgeschichte des Lukas sagt Jesus zu einem der beiden,
die mit ihm gekreuzigt wurden: „heute noch wirst du mit mir im Paradies
sein“ (Lk 23, 43). Und schließlich spricht die Offenbarung des Johannes
„vom Baum des Lebens, der im Paradiese steht.“ Als Nahrung für den,
der getreu ausgehalten hat.
32 Heinrich Krauss: Das Paradies. Eine
kleine Kulturgeschichte, Seite 125
Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Formulierungen und Bildreden,
die mit anderen Worten auf eine paradiesische Existenz im Himmel
hinweisen. Dazu gehören u.a. nach Jesu Aussagen das „Himmelreich“
oder „Reich Gottes“ und vor allem die Weissagungen der Offenbarung
des Johannes, der vom „neuen Himmel und der neuen Erde“ spricht und
vom „himmlischen Jerusalem“, (auch „Neues Jerusalem“), einer neuen
Stadt, die am Ende der Apokalypse auf der Erde entstehen wird (Off
21-22).32
Es steht im Gegensatz zur Hölle und wird im Koran in zahlreichen Details
als Ort des Glücks, der sinnlichen Freuden (meist als Garten mit Flüssen
aus Wasser, Milch, Wein und Honig, Suren 14, 23, 47, 15) und der
Gottesnähe beschrieben. Darüber hinaus ist das der Ort des Friedens
und der Freiheit von Leid und Sünde.
Der Islam kennt zwar sehr anschauliche Beschreibungen von einem
Paradies voller Wonne, mit Früchten und kühlen Bächen, mit Kissen
und weichen Teppichen usw., ein einheitliches Wort dazu gibt es aber
nicht.34
34 Johann Figl: Tod und Auferstehung,
Gerichts- und Paradiesvorstellungen
im Islam
Glückseligkeit wurde auch in Bildern erotischer und sexueller Freuden
ausgedrückt. Paradiesjungfrauen (umstritten nach neuester Forschung)
stehen in vollendeter Schönheit als Lohn für die Gläubigen bereit (vgl.
Sure 55,58); die Frauen wandeln in wunderschönen Schlafgemächern
dahin. In Sicherheit und Frieden sind die Menschen vereint (vgl. generell:
Sure 13,20ff; 15,45ff; 52,17f; 56,35ff; u. a.).
Insgesamt ist die Auffassung eines Paradieses voller profaner, weltlicher
Freuden im Islam sehr verbreitet, auch wenn islamische Theologen versuchen, die Auffassung von sinnlichen Freuden abstrakter zu deuten.35
Im Gefolge der Aufklärung und dem Rationalismus wurden die Jenseitsvorstellungen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts kritisch hinterfragt und
weitgehend „entmythologisiert“. Geblieben ist dennoch die Hoffnung,
dass etwas vom Menschen nach seinem Tod bleibt und unsterblich ist
oder dass nach dem Tod ein Jenseits auf ihn wartet.36
35 Der Brockhaus: Religionen.
Glauben, Riten, Heilige, Seite 501
36 Der Brockhaus: Religionen.
Glauben, Riten, Heilige, Seite 301
Islam
33 Der Brockhaus: Religionen.
Glauben, Riten, Heilige, Seite 500
26
Im Koran nimmt das Paradies (arabisch Djanna, „Garten“) als
Aufenthaltsort der Gläubigen nach der Auferstehung als Belohnung für
gute Taten und gottesfürchtiges Leben eine zentrale Rolle ein. Die im
Koran beschriebenen „Gärten des Paradieses“ sind Quartier für alle, „die
glauben und tun, was recht ist“. Es ist der „Garten der Unsterblichkeit“
(wörtlich ‚Ewigkeit’) (Sure 25,15).33
27
2. Das Paradies in der Kunst
28
29
Das Paradies in der Kunst
Das Paradies in der Kunst
Die Paradieserzählung in der Kunst zwischen
Utopie und Ideologie
Die Kunstgeschichte weist viele religiöse Elemente auf. Wann und wie
auch immer man sich mittels kunstgeschichtlicher Werke der Paradieserzählung nähert, befindet man sich bereits in der christlichen Auslegung
der Erzählung. Eine Darstellung des Paradiesgeschehens, die sich allein
nach dem Text der Hebräischen Bibel richtet, gibt es nicht. Schon die
Darstellung des Schöpfergottes, welcher zudem als dreifaltiger Gott
vorgestellt wird, passt nicht in die jüdische Auslegungsgeschichte.
Auch die Ausstattung der Schlange mit den Gesichtszügen der Eva ist
christlichen Ursprungs. Darüber hinaus fließen zahlreiche andere zeitgenössische theologische, folkloristische und anthropologische Vorstellungen in die Bildgestaltung ein. Für den Künstler des Mittelalters ist
es völlig selbstverständlich, Adam und Eva in zeitgenössischem, etwa
höfischem Outfit zu zeigen (Kleidung, Haartracht etc.) und sie auch in
einem entsprechenden Ambiente zu platzieren. Darin entspricht ihnen
die Werbung von heute, die Adam und Eva ebenfalls in einer merkwürdigen
Mixtur von Einst und Jetzt darstellt.
37 www.rpi-virtuell.net/arbeitsbereiche/
artothek/museum2/paradies
30
Mit der künstlerischen Gestaltung ist zugleich festgelegt, in welcher
Funktion die Paradieserzählung verwendet wird. Sie kann wehmütige
Erinnerung ehemals paradiesischer Zustände sein, Denunziation des
weiblichen Teils der Menschheit, die Darstellung einer zutiefst pessimistischen Sicht der Welt oder hoffnungsvolle Projektion des neuen Paradieses als eine glückliche Zukunft. Das primäre ideologische Interesse an
der Paradieserzählung war und ist der Sündenfall der Eva, wirksam in der
Rezeptionsgeschichte bis in die heutige Werbung. Das sich an der Darstellung der Eva ausprägende bzw. in sie hineinprojizierte Frauenbild ist
bis in die Gegenwart ein wirkungsmächtiger Mythos geblieben. Es gibt
aber auch die Rückerinnerung an das verlorene Paradies im Sinne einer
utopischen Qualität, als Ort des Tierfriedens und der versöhnten Natur.
Die Darstellung des Paradieses kann der städtischen Kultur entgegengesetzt werden, aber die städtische Kultur selbst kann als himmlisches
Jerusalem ebenfalls Ausdruck von Paradiesvorstellungen sein.37
Natur
Die frühesten Darstellungen des Paradieses zeigen ein Idyll. Blumen,
Bäume, Vögel und exotische Tiere zieren einen Garten, der nicht selten
auch den Guten Hirten beherbergt.
Die Paradiesschilderung des Mittelalters entspringt der Erfahrung des
entbehrungsreichen ora et labora der Mönche auf einsamen, entlegenen
Klostergütern. „Die Bestellung des Feldes, der Anbau und die Ernte von
Getreide, das Warten auf ausreichenden Regen sowie die ständige Furcht
vor Missernte ließ sie die ganze Härte bäuerlicher Existenz erfahren ...
Ihre Abhängigkeit von Landwirtschaft und Wetter machte die Mönche
besonders anfällig für die biblische Paradiesgeschichte.“
Darin erfuhren sie, dass ihr mühseliges bäuerliches Leben Folge der Gesetzesübertretung des ersten Paares sei. „Eines Tages freilich wird Gott die
Vertreibung rückgängig machen und den ursprünglichen, paradiesischen
Zustand wiederherstellen. Am Ende der Zeiten, wenn Ordensleute und
alle gerechten Menschen aus ihren irdischen Plagen entlassen werden,
erschafft er eine neue Erde.“38
38 Bernhard Lang, Colleen McDannel:
Der Himmel.Eine Kulturgeschichte des
ewigen Lebens, S. 105f.
Und diese wurde nun als Negation der bestehenden Verhältnisse begriffen: „Die Sündenstrafe, das heißt: Kälte, Hitze, Hagel, Sturm, Blitz, Donner und andere Unannehmlichkeiten werden völlig verschwinden“. Die
ganze Erde wird zum Paradies und mit duftenden, niemals welkenden
Blumen - Lilien, Rosen und Veilchen - geschmückt sein.39 Die klösterliche
Welt der Arbeit wird durch einen Lustgarten abgelöst.
39 Bernhard Lang, Colleen McDannel:
Der Himmel.Eine Kulturgeschichte des
ewigen Lebens, S. 106
Im Paradies werden auch wieder paradiesische Zustände herrschen: Die
Menschen werden, wie ein mittelalterliches Klosterbuch schreibt, nackt
sein, aber sich durch Anstand auszeichnen und niemals wegen irgendeines
Körperteils mehr erröten, als sie es jetzt wegen schöner Augen tun.40
40 Bernhard Lang, Colleen McDannel:
Der Himmel.Eine Kulturgeschichte des
ewigen Lebens, S. 108
Jedes Paradiesbild transportiert zugleich die Hoffnung der Menschen,
dass ihr armseliges irdisches Dasein einmal von einem besseren abgelöst
werden möge, dass die heute noch als feindlich erscheinende und nur in
31
Das Paradies in der Kunst
41 www.rpi-virtuell.net/arbeitsbereiche/
artothek/museum2/paradies
Das Paradies in der Kunst
einem Gewaltakt zu unterwerfende Natur einmal als versöhnt, befriedet
und harmonisch erscheinen möge und dass die kulturellen Errungenschaften der Menschheit nicht nur wie auf der Erde wenigen Privilegierten vorbehalten, sondern am Ende der Zeiten zum Allgemeingut aller
Frommen und Gerechten werde.41
Nacktheit
Theologie und Leibfeindlichkeit bilden keinen zwingenden Zusammenhang. Es gab und gibt innerhalb der komplexen Institution Kirche und
noch deutlicher im Gesamtzusammenhang „Christentum“ sowohl puritanische als auch sinnenbetonte Richtungen, wobei nicht gesagt ist, dass
die puritanischen nicht ebenso sinnlich wie die anderen Richtungen sind.
Schuld
Das Thema der Schuld ist ein wichtiger Teil der Rezeptionsgeschichte des
Sündenfalls. Theologisch und philosophisch betrachtet ist die Frage der
Schuld erst möglich als Folge des Sündenfalls, denn Schuldig-Werden
wie Schuldig-Sprechen setzt die Unterscheidungsfähigkeit von Gut und
Böse voraus.
Die erste Sünde nach dem Sündenfall wäre daher das fortgesetzte „Ich
nicht, aber die da“: „Ich nicht, aber die da“ sagt zuerst Adam über Eva zu
seiner Verteidigung zu Gott, dann Eva über die Schlange. Das Hauptinteresse an der Schuldfrage konzentriert sich dennoch auf den Moment, in
dem Eva zur Frucht greift. Ihre Körperhaltung - zum Baum, zur Schlange,
zu Adam - gibt Auskunft über den Grad ihrer Schuld: Opfer, Verführte,
verführte Verführerin, Komplizin, Täterin.
42 www.rpi-virtuell.net/arbeitsbereiche/
artothek/museum2/paradies
32
Konstruiert wird die Schuld in einem subtilen Wechselspiel mit diesem
Vorwissen des Betrachters. Kleine Andeutungen verstärken dieses Vorwissen: parallele Haltungen, gemeinsame Blickrichtungen, Tändeleien
und Annäherungen zwischen Eva und der Schlange bis zum gemeinsamen Zungenspiel (Pantheon-Bibel) auf der einen Seite und auf der
anderen Seite ein abgewendeter, distanzierter, eher von der Dynamik
des Geschehens ausgeschlossener oder doch erst sekundär beteiligter
Adam.42
Am Beispiel der Arbeiten Lukas Cranachs wird einsichtig, dass die
Darstellung menschlicher Nacktheit auch im unmittelbaren Umkreis
der Reformatoren keinerlei Einschränkungen unterlag, solange die
Nacktheit christlich oder aber allgemein moralisch begründbar war.
Damit entsprach die Nacktdarstellung dem Geist der Zeit, der Kunst in
funktionalen Zusammenhängen dachte. Interessant ist im Kontext der
Darstellung von Adam und Eva in der abendländischen Kunstgeschichte
der Übergang von der Nackt- zur Akt-Darstellung.43
43 John Berger: Sehen. Das Bild in der
Welt der Bilderwelt
Die Konstruktion des weiblichen Schönheitsideals als Objekt männlicher
Begierde in der europäischen Aktmalerei hat Folgen für die Wahrnehmung
und das Auftreten von Frauen bis in die Gegenwart. Zwar hat in der
Kunst die Tradition der Aktdarstellung ein Ende gefunden, in Werbung,
Fernsehen und Kinofilm lebt sie jedoch unvermindert fort.
Im Folgenden werden Paradiesbildnisse in der Malerei chronologisch
(vom Mittelalter bis zur Moderne) aufgeführt.
33
Das Paradies in der Kunst
Das Paradies in der Kunst
Paradiesbildnisse vom Mittelalter bis zur Moderne
34
um 950-55
1125-30
1235
um 1380
Spanische Buchmalerei
El Escorial, Real Biblioteca de San Lorenzo
Pantheon-Bibel
Buchmalerei
HS Lichtenthal
Baum der Erkenntnis
Buchmalerei
Meister Bertram
Vertreibung aus dem Paradies
Buchmalerei
Kunsthalle Hamburg
35
Das Paradies in der Kunst
36
Das Paradies in der Kunst
um 1410
1416
1427
Oberrheinischer Meister
Das Paradiesgärtlein,
Szene: Maria im beschlossenen Garten mit Heiligen
Mischtechnik auf Holz
26,3 × 33,4 cm
Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt/Main
Paul von Limburg
Versuchung, Sündenfall und Vertreibung
Stundenbuch des Duc de Berry
29 x 21 cm
Musée Condé, Chantilly
Massaccio
Vertreibung aus dem Paradies
Fresko
208 x 88 cm
Santa Maria del Carmine, Florenz
37
Das Paradies in der Kunst
38
Das Paradies in der Kunst
um 1445
1467-68
1481
Giovanni di Paolo
Vertreibung aus dem Paradies
Tempera und Gold auf Holz
46,4 x 52,1 cm
Metropolitan Museum of Art, New York
Hugo van der Goes
Ursünde
Öl auf Holz
35,5 x 23,2 cm.
Kunsthistorisches Museum Wien
Bertold Furtmayr
Baum des Lebens und des Todes
aus einem Missale des Erzbischofs von Salzburg
Buchmalerei
83 x 208 cm
Bayerische Staatsbibliothek
39
Das Paradies in der Kunst
Das Paradies in der Kunst
1480-90
Das Paradies
1485
Imaginäres Paradies
Hieronymus Bosch
Triptychon „Der Garten der Lüste“
Öl auf Holz
220 x 97,5/ 195 cm
Museo Nacional del Prado, Madrid
40
Hölle
Hans Memling
Adam und Eva
Öl auf Holz
je 69,3 x 34,6 cm
Kunsthistorisches Museum Wien
41
Das Paradies in der Kunst
42
Das Paradies in der Kunst
1504
1507
1508-12
um 1520
Albrecht Dürer
Adam und Eva
Kupferstich
25,2 x 19,5 cm
Privatbesitz
Albrecht Dürer
Adam und Eva
Öl auf Holz
je 209 × 81 cm
Museo Nacional del Prado, Madrid
Lucas Cranach d. Ä.
Adam und Eva
Tempera auf Holz
59 × 44
Nationalmuseum Warschau
Jan (Mabuse) Gossaert
Adam und Eva
Öl auf Leinwand
168 x 111 cm
Royal Collection Windsor
43
Das Paradies in der Kunst
44
Das Paradies in der Kunst
um 1525
um 1525
1525
1526
Jan (Mabuse) Gossaert
Adam und Eva
Öl auf Holz
30,5 x 35,8 cm
Gemäldegalerie, Staatliche Mussen Berlin
Hans Baldung
Adam und Eva
Öl auf Holz
je 208 x 83,5 cm
Magyar Szépmüvészeti Múzeum, Budapest
Lucas Cranach d. A.
Adam und Eva
ÖL auf Holz
59,2 x 42 cm
Westfälisches Landesmuseum für Kunst und
Kultur, Münster i.W.
Lucas Cranach d. Ä.
Adam und Eva
Öl auf Holz
117 × 80,5 cm
Courtauld Institute Galleries, London
45
Das Paradies in der Kunst
46
Das Paradies in der Kunst
1530
1536
Lucas Cranach d. Ä.
Adam und Eva im Garten Eden
Öl auf Holz
81 x 114 cm
Kunsthistorisches Museum Wien
Lucas Cranach d. Ä.
Paradies
Öl auf Holz
81 x 114 cm
Kunsthistorisches Museum Wien
47
Das Paradies in der Kunst
48
Das Paradies in der Kunst
um 1550
um 1565-70
Jacopo Robusti Tintoretto
Adam und Eva
Öl auf Leinwand
150 x 220 cm
Galeria dell Accademia, Venedig
Tizian
Adam und Eva, Sündenfall
Öl auf Leinwand
240 x 186 cm
Museo Nacional del Prado, Madrid
49
Das Paradies in der Kunst
50
Das Paradies in der Kunst
1570-73
1592
1599-1600
Jacopo Bassano
Garten Eden
Öl auf Leinwand
77 x 109 cm
Galleria Doria-Pamphili, Rom
Cornelis van Haarlem
Der Sündenfall
Öl auf Leinwand
273 x 220 cm
Rijksmuseum, Amsterdam
Peter Paul Rubens
Der Sündenfall (Adam und Eva)
Öl auf Holz
180 x 158 cm
Rubenshuis, Antwerpen
51
Das Paradies in der Kunst
52
Das Paradies in der Kunst
1616
1620
1740
Hendrik Goltzius
Der Sündenfall
Öl auf Leinwand
104,5 x 138,4 cm
National Gallery of Art, Washington D.C.
Jan Brueghel d. Ä
Das Paradies
Öl auf Holz
59 x 42 cm
Gemäldegalerie, Staatliche Museen Berlin
Charles Joseph Natoire
Die Vertreibung aus dem Paradies
Öl auf Kupfer
67,9 x 50,2 cm
Metropolitan Museum of Art, New York
53
Das Paradies in der Kunst
54
Das Paradies in der Kunst
1880
1897
Max Klinger
Adam
Radierung
257 x 246 cm
Staatliche Graphische Sammlung, München
Hans Thoma
Adam und Eva
Öl auf Leinwand
110 × 78,5 cm
Eremitage, St. Petersburg
55
Das Paradies in der Kunst
56
Das Paradies in der Kunst
1910-11
1912
1917-18
Marcel Duchamp
Das Paradies
Öl auf Leinwand
144,5 × 128,5 cm
Philadelphia Museum of Art
Marc Chagall
Adam und Eva
Öl auf Leinwand
83 x 208 cm
Art Museum, St. Luis
Gustav Klimt
Adam und Eva (unvollendet)
Leinwand
173 × 60 cm
Österreichische Galerie, Wien
57
Das Paradies in der Kunst
58
Das Paradies in der Kunst
1921
unbekannt
Emil Nolde
Verlorenes Paradies, 1921
Öl auf Leinwand
106,5 x 157 cm
Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde
Marc Chagall
Das Paradies (Detail)
Öl auf Leinwand
185 x 287 cm
Musée Message Biblique Marc Chagall, Nizza
59
Das Paradies in der Kunst
60
Das Paradies in der Kunst
unbekannt
1977
Marc Chagall
Die Vertreibung aus dem Paradies (Detail)
Öl auf Leinwand
190 x 284 cm
Musée Message Biblique Marc Chagall, Nizza
Marc Chagall
Adam, Eva und die Schlange
Lithografie
61 x 45,5 cm
Collection Charles Sorlier
61

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