2013 SOS Racisme Gironde Bordeaux

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2013 SOS Racisme Gironde Bordeaux
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Gliederung
1) Vorbereitung
2) Vorstellung der Organisation
3) Struktur und Arbeitsweise von SOS Racisme Gironde
4) Meine Tätigkeitsbereiche
5) Reflexion & Fazit
6) Anhang und Links
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1) Vorbereitung
Bereits im Laufe des Auslandssemesters an der Sciences Po Bordeaux fasste ich den
Plan, die vier Monate zwischen Auslandssemester und Wiederbeginn des Semesters in
Bremen mit einem Pflichtpraktikum zu füllen.
Ich wollte dafür auch gerne in Bordeaux bzw. in Frankreich bleiben, vor allem um mein
Französisch weiter zu verbessern und um noch andere Eindrücke meines Gastlandes
abseits von der Sciences Po zu erfahren.
Auf SOS Racisme wurde ich durch einen Informationsstand an der Sciences Po im
Oktober aufmerksam. Vorher war mir die Organisation kein Begriff. Ich betrieb daraufhin
Internetrecherche und fragte auch befreundete französische Kommilitonen_innen, um mir
ein Bild von der Arbeit der Organisation zu machen.
Nach einem kurzen Gespräch mit den Mitarbeiterinnen von SOS Racisme an der Sciences
Po erfuhr ich, dass die Möglichkeit eines Praktikums durchaus bestand und meine
zukünftige Chefin hinterließ mir ihre Kontaktdaten für die Bewerbungsunterlagen (CV und
Motivationsschreiben).
Ich befasste mich daraufhin mit dem Erstellen der notwendigen Unterlagen und stattete
dem Büro von SOS Racisme nochmal einen Besuch ab. Im November schickte ich das
Motivationsschreiben und den Lebenslauf an die angegebene E-Mail-Adresse. Nachdem
ich auch zwei Wochen später noch keine Antwort erhalten hatte, reichte ich die Unterlagen
nochmal persönlich im Büro von SOS Racisme ein und traf dabei auf die Präsidentin des
Büros in Bordeaux. Kurz vor meiner Abreise und vor Beendigung des Auslandssemesters
erhielt ich einen Anruf von der Angestellten und wir verabredeten ein Gespräch am 15.
Januar 2013. Es war zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht sicher, ob ich das Praktikum
würde machen können, allerdings entschied ich, dass die Chancen vermutlich gut standen
und kehrte am 14. Januar nach Bordeaux zurück.
Das Gespräch führte ich mit meiner zukünftigen Chefin, die die einzige bezahlte
Angestellte der Organisation in Bordeaux ist und mit der ich auch hauptsächlich
zusammenarbeitete. Nach langer Unsicherheit versicherte sie mir, dass ich das 8-wöchige
Praktikum bei
SOS Racisme
Gironde
absolvieren
kann
und
unterschrieb
die
Praktikumsvereinbarung. Wir einigten uns auf den 28. Januar als Beginn des Praktikums,
das dann am 22. März nach genau acht Wochen enden sollte.
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Meine Tätigkeitsbereiche und konkreten Aufgaben klärten sich dann bei einem Gespräch
mit der Präsidentin von SOS Racisme Gironde Sandrine Malet und im Rahmen einer
Teamsitzung mit allen Mitwirkenden der Organisation lernte ich bereits vor Beginn des
Praktikums viele meiner neuen Kollegen und zukünftige Projekte und Kampagnen kennen.
2) Vorstellung der Organisation
SOS Racisme ist eine antirassistische Organisation, die 1984 von Julien Dray und Harlem
Désir1 gegründet wurde. Zeitgeschichtlicher Hintergrund war sowohl der beginnende
Aufstieg des Front National, als auch zahlreiche gewalttätige Übergriffe auf Männer und
Frauen mit Migrationshintergrund. Ein Schlüsselmoment war der „marche des beurs“ 2
1983, im Rahmen dessen Tausende gegen den Tod eines jungen Tunesiers protestierten,
der in der Nähe von Bordeaux aus einem fahrenden Zug geworfen wurde und starb.
Seit seiner Gründung verpflichtet sich SOS Racisme dem Wert der Gleichheit aller
Bürger_innen
Frankreichs
und
kämpft
gegen
Diskriminierung,
Islamophobie,
Antisemitismus und für eine gemischte und multikulturelle französische Republik.
Auch der Kampf gegen die Rechte – insbesondere gegen den Front National - wird mit
Nachdruck verfolgt. Auf nationaler Ebene tritt die Organisation vor allem dadurch in
Erscheinung, dass sie versucht, Missstände und Fälle von Diskriminierung auf die mediale
und politische Agenda zu bringen. Auch wenn die Organisation nicht mehr so eng mit der
Parti socialiste verflochten ist, wie in den Gründungsjahren, wird gezielte Lobbyarbeit
betrieben. Im besonderen geht es aber darum, zivilgesellschaftliches Engagement gegen
Rassismus und Xenophobie zu stärken – zum Beispiel durch Aktionen wie das „Concert
pour l'Egalité“ oder Ähnliches.
Finanziell ist die Organisation getragen von Spenden und zum Teil auch von
Subventionierung durch den französischen Staat. Die überwiegende Mehrheit der
Mitarbeitenden sind ehrenamtlich engagiert; nur wenige wie zum Beispiel meine Chefin
arbeiten ausschließlich und unter Bezahlung für SOS Racisme.
SOS Racisme hat einen durchaus hohen Bekanntheitsgrad in Frankreich, weil die
Organisation sich oft einmischt und präsent ist, was vermutlich auch dem Logo und
Markenzeichnen der Organisation zu verdanken ist:
1 Mittlerweile Generalsekretär der Parti socialiste
2 „beur“ bedeutet umgangssprachlich „Araber“, folglich etwa „Marsch der Araber“
5
Eine gelbe Hand mit dem Schriftzug „TOUCHE PAS A MON POTE“ 3.
Wenig verwunderlich für französische Verhältnisse ist der Hauptsitz der Organisation in
Paris. Außerhalb davon gibt es rund 40 Büros in allen mittelgroßen oder großen Städten
Frankreichs. Das Büro in Bordeaux sticht meiner Einschätzung nach insofern etwas
heraus, als die Präsidentin Sandrine Malet gleichzeitig Schatzmeisterin der gesamten
Organisation ist – die direkte Verbindung zu Paris ist also etwas stärker ausgeprägt.
3) Struktur und Arbeitsweise von SOS Racisme Gironde
Die Angestellte des Büros in Bordeaux heißt Ilham Ben Sandoura und ist studierte Juristin.
Ihre Aufgaben sind vielfältig – dadurch, dass sie Juristin ist, liegt ihr Schwerpunkt in der
juristischen Beratung von Opfern von Diskriminierung und Rassismus, die sich
eigenständig an das Büro wenden und meistens aus Bordeaux und Umgebung stammen.
In einem persönlichen Gespräch erklärt Ilham dann die juristischen Optionen, derer sich
die Opfer bedienen können, um das ihnen Widerfahrene anzuklagen.
Des Weiteren vermittelt SOS Racisme Anwälte und Anwältinnen (Ilham selber ist keine
Anwältin) und auch während des Prozesses begleitet Ilham die Kläger_innen.
In seltenen Fällen übernimmt auch SOS Racisme selbst die Rolle des Klägers; der
Normalfall ist aber, dass die Betroffenen selber klagen.
Ich möchte kurz die geleistete juristische Hilfestellung an einem Beispiel meines
Praktikums erläutern. Noch im Januar wendete sich eine türkischstämmige Mutter
telefonisch an unser Büro, um sich juristisch beraten zu lassen. Ihr Sohn und dessen
Schulfreund wurden kurze Zeit zuvor von einer Nachbarin rassistisch beleidigt 4. Nach
einem persönlichen Gespräch mit der Mutter und dem Sohn riet Ilham zur Klage gegen die
Nachbarin. Der Prozess zog sich dann etwas hin, aber am Ende wurde der klagenden
Mutter Recht gegeben und die Nachbarin wurde auf Grund der psychischen Schäden der
Jungen zu Schmerzensgeld verklagt.
Die Intention dieser Beratung liegt darin, dass Bürger_innen der Zugang zum Einklagen
ihrer Rechte erleichtert werden soll. Ohne direkt einen Anwalt oder eine Anwältin
einschalten zu müssen, können sie gezielt Informationen über den Sachverhalt, die
Optionen und die Erfolgschancen einer Klage einholen.
3 Etwa: Fass meinen Kumpel nicht an!
4 Der Wortlaut war „sale arabe“ - was so viel bedeutet wie „dreckiger Araber“
6
Die Tatsache, dass Ilham Franko-Marokkanerin ist und fließend arabisch spricht, hat die
bloße Kontaktaufnahme und das Vertrauen von vielen Opfern meines Eindrucks nach
erleichtert.
Die Betreuung der gerade anhängigen Verfahren oder der Personen, die beabsichtigen, zu
klagen, macht einen großen Teil von Ilhams Arbeit aus.
Ich war bei den Gesprächen mit Hilfesuchenden auch immer dabei, aber habe
hauptsächlich Notizen gemacht, da ich natürlich nicht gleichermaßen wie Ilham in der
Lage bin, juristisch zu beraten.
Ein zweites Aufgabenfeld von SOS Racisme Gironde liegt in den „interventions
scolaires“5, also in antirassistischer Bildung in Form von Workshops an Schulen in
Bordeaux und Umgebung. Oft wird in diesem Bereich mit dem „Boulevard des Potes“
zusammengearbeitet – eine befreundete Organisation von SOS Racisme, die sich im
Besonderen um antirassistische Jugendarbeit kümmert, aber auch viele kulturelle
Veranstaltungen rund um das Thema Multikulturalität organisiert.
In meiner Zeit des Praktikums habe ich Ilham auf vier „interventions scolaires“ begleitet.
Zwei davon waren in einem Berufskolleg in Bordeaux, in dem Ilham zweimal pro Monat
einen Workshop bzw. eher eine Gesprächsrunde für interessierte Schüler_innen anbietet.
Die anderen „interventions“ fanden in zwei Schulen außerhalb von Bordeaux statt, beide
Male in 6. Klassen, also mit Schüler_innen die ca. elf Jahre alt waren.
Der Ablauf gestaltet sich wie folgt: Zunächst werden die Schüler_innen animiert, spontane
Assoziationen mit Begriffen wie Rassismus, Diskriminierung, Nation oder Ethnie zu
äußern. Die Wortbeiträge werden dann einigermaßen sortiert und es folgt eine „gültige“
Definition in einfachen Worten.
Das Kernelementen dieser „interventions“ sind Kurzfilme, die in einer Länge von ca. fünf
Minuten kurze Geschichten über Alltagsrassismus erzählen.
Ein Film handelt beispielsweise von einem Kindergeburtstag in einem reichen Pariser
Haushalt, zu dessen Anlass die Mutter eine Fee als Attraktion für die Mädchen und Jungen
engagiert hat. Die Fee hat ein nordafrikanisches Aussehen und die Mutter begegnet ihr mit
offener Abneigung, während sich die Kinder hingegen gar nicht an dem „Feenuntypischen“ Aussehen der jungen Frau stören und sie mit Neugierde und Freude
empfangen.6
5 Etwa: Schuleinsätzen
6 Video-Link im Anhang zu finden
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Die Szenen werden anschließend mit den Schüler_innen diskutiert und mit dem zuvor
erläuterten Rassismus-Begriff in Verbindung gebracht. Ziel ist die Sensibilisierung der
Schüler_innen für Alltagsrassismus.
Anschließend werden den Schüler_innen meist noch kurz die verfassungsrechtlichen
Grundlagen nahe gebracht – die Quintessenz davon ist, dass Rassismus ein
verfassungsrechtlicher Tatbestand ist, gegen den man sich zur Wehr setzen kann und
muss. Daraus folgt auch der Aufruf, das Erfahrene nicht still zu erleiden, sondern
stattdessen als Opfer oder Zeuge Hilfe und Beratung zu suchen.
Diesem letzten Punkt kommt in den Gesprächsrunden an dem Berufskolleg, das ich
vorher erwähnte, ein wichtige Rolle zu. Ich habe an zwei Gesprächsrunden an diesem
Kolleg teilgenommen – die Schülerinnen hatten hier Gelegenheit, von ihren Erfahrungen
mit Rassismus und Diskriminierung zu erzählen und daraus gemeinsam mit Ilham
Handlungsmöglichkeiten abzuleiten.
Oft ging es dabei um Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt. Beispielsweise berichteten
manche arabisch-stämmige Schülerinnen, dass viele ihrer Bewerbungen unbeantwortet
blieben, während Schülerinnen mit gleichem Ausbildungsprofil aber französischem Namen
Rückmeldungen erhielten. Daraus allein lässt sich noch keine stichfeste Diskrimierung
ableiten, allerdings sind diese Berichte wichtig für die von SOS Racisme oft
durchgeführten „testings“.
Bei diesen Testings, die mittlerweile durch den Einsatz von SOS Racisme als legitime Art
und Weise, rassistische und diskriminierende Handlungsweisen zu beweisen, juristisch
anerkannt sind, werden Lockvögel eingesetzt und meist mit Kameras ausgestattet.
Die Gruppe der Tester ist dabei gemischt: Weiße Franzosen und Französinnen werden in
einer Gruppe mit beispielsweise arabisch typisierten Männern und Frauen losgeschickt.
Testings werden in verschiedensten Kontexten angewandt, sei es um den Zugang zu einer
Disco zu prüfen, die Chancen eine Wohnung zu ergattern, oder Bewerbungen auf eine
offene Stelle. Bei Testings von Discos konnten einige Erfolge verbucht werden, da
bewiesen wurde, dass farbige oder arabisch-typisierte Besucher_innen der Einlass
verwehrt wurde; Französinnen und Franzosen in der gleichen Gruppe aber kein Problem
hatten. In Folge einer Klage sind Geldstrafen für die Verantwortlichen meist die Regel.
In der Zeit meines Praktikums wurde kein Testing durchgeführt, allerdings lief die Planung
für ein Testing bei der Wohnungssuche.
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Ebenfalls in Planung war die landesweite Kampagne von SOS Racisme für den „CV
anonyme“, um der frühzeitigen diskriminierende Selektion von Bewerber_innen Einhalt zu
gebieten.
Eine weitere Aktion, die genau in die Zeit meines Praktikums fiel, möchte ich noch
erwähnen. Neben SOS Racisme Gironde haben sich im Januar mehrere Organisationen
zu
einem
Kollektiv
zusammengeschlossen,
dass
für
die
Einführung
des
Ausländerwahlrechts auf kommunaler Ebene für Nicht-EU-Bürger_innen kämpft.
François Hollande hatte sich im Wahlkampf für das „droit de vote des étrangers“
ausgesprochen, allerdings wurde das Versprechen bis heute nicht eingeführt.
Hintergrund ist hier vor allem der Zeitdruck, da nächstes Jahr in Frankreich
Kommunalwahlen stattfinden, von denen Drittstaatler_innen nach jetzigem Stand
immernoch ausgeschlossen bleiben werden.
Die Initiative hat im Besonderen zum Ziel, das Thema wieder verstärkt auf die Agenda zu
setzen, um durch Bürgerinitiativen und Lobbying Druck auf die Regierung auszuüben.
Zu diesem Zweck wurde ein Meeting organisiert, im Rahmen dessen eingeladene
Politiker_innen die Dringlichkeit des Projekts betonten und vor allem Drittstaatler_innen zu
Wort kamen, um ihre Situation als Nicht wahlberechtige zu erläutern.
Das Meeting richtet sich an alle interessierten Bürger_innen – insofern galt es im Voraus
vor allem darum, letztere in Form von Flugblättern etc zu erreichen und auf das Anliegen
aufmerksam zu machen. Trotz guter Organisation waren bei der Veranstaltung dennoch
überwiegend Mitglieder_innen der teilnehmenden Organisationen und Vereinen präsent,
aber auch die Spitzenpolitikerin der französischen Grünen Eva Joly und die Präsidentin
von SOS Racisme Cindy Léoni.
Das Meeting fiel auf den letzten Tag meines Praktikums, insofern bin ich nicht gänzlich
über weitere Entwicklungen informiert. Allerdings habe ich noch nicht mitbekommen, dass
das Anliegen bis auf höchste Ebene vorgedrungen ist. Obwohl ich sicher bin, dass die
beteiligten Vereine und Organisationen weiter kämpfen, ist das Zeitfenster für eine
Änderung vor den Kommunalwahlen vermutlich schon fast verstrichen.
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4) Meine Tätigkeitsbereiche
Um nochmal auf den Bereich der politischen Bildungsarbeit von SOS Racisme
zurückzukommen, möchte ich an dieser Stelle auf ein Projekt zurückkommen, mit dem ich
mich in der Zeit des Praktikums viel beschäftigt habe.
Es geht um eine Ausstellung über das Leben und Wirken von Martin Luther King, an
dessen Beispiel die Themen Diskrimierung, Rassismus und der Einsatz für Bürgerrechte
thematisiert wird. Die Ausstellung umfasst 18 hochwertige Poster mit Bild und Text, die
den Verlauf der Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten illustrieren.
Die Ausstellung ist vor allem für Schüler_innen bestimmt und wird unterrichtsbegleitend
eingesetzt. Sie kann kostenlos von SOS Racisme Gironde ausgeliehen werde und ist
eigentlich immer in Bewegung. Um noch einmal „Werbung“ für die Ausstellung zu machen
und den Sponsoren zu danken, fand am 28. Februar eine Vernissage im „Boulevard des
Potes“ statt. Ich war mit der Planung des Events beschäftigt, dass heißt zunächst mit dem
Designen der Einladungen, dem Verschicken und zuletzt mit der Installierung der
Ausstellung.
Die ersten vier Wochen war die anstehende Vernissage also mein wichtigster
Tätigkeitsbereich.
Direkt zu Beginn des Praktikums wurde mir im Gespräch mit der Präsidentin von SOS
Racisme Girone Sandrine Malet ein anderes Projekt zugeteilt.
Ich hatte bereits in meinem Motivationsschreiben darauf hingewiesen, dass ich mich im
Rahmen meines Studiums intensiv mit dem (Wieder)Aufstieg des rechtspopulistischen
Front National beschäftigt hatte. Eines der größten Anliegen von SOS Racisme war und
ist der Kampf gegen die französische Rechte und die Eindämmung von rassistischem,
xeniphoben und islamophoben Gedankengut.
Vor der Hintergrund der Kommunalwahlen galt und gilt es also, Bürger_innen über die
„wahren“ Inhalte und Positionen zu informieren, um der fortschreitenden „droitisation“ 7 der
französischen Politik und der politischen Diskurse Einhalt zu gebieten und die Werte der
Republik – vor allem den der Gleichheit – wieder zu stärken und das „vivre ensemble“ zu
fördern.
7 Etwa: Rechtsruck
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Insofern sollte es meine Aufgabe sein, ein kleines Heft über den Front National zu
verfassen, um darin Marine Le Pens Strategie der „dediabolisation“8 zu entlarven und
Gegenargumente bezüglich der Vorschläge der Partei zu sammeln.
Ich begann direkt zu Beginn mit meiner Recherche und schaute mir ähnliche Projekte an,
beispielsweise eine Broschüre zum gleichen Thema von einem anderem Landesverband
von SOS Racisme.
Wenn gerade keine anderen Termine anstanden, beschäftigte ich mich im Büro
durchgehend mit diesem Projekt und verfasste mehere Seiten mit Notizen und möglichen
Gegenargumenten. Ein wichtiger Teil dieser Arbeit war ebenfalls, die Stimmungslage in
Frankreich zum Front National bzw. zu rechtspopulistischem Gedankengut zu eruieren.
Ich beschäftigte mich viel mit dem „bloc identitaire“ oder der Jugendorganisation der Partei
(Front National de la jeunesse) und verfolgte alle aktuellen Stellungnahmen und / oder
Fernsehauftritte von Marine Le Pen oder anderen Parteispitzen.
In der Retrospektive muss ich sagen, dass ich mich vermutlich etwas zu sehr mit der
Vorbereitung beschäftigte – ich entwarf ständig neue Pläne und Vorgehensweisen für mein
„Livret“, da ich das Programm und die Strategie der Partei schließlich bestmöglichst
dechiffrieren wollte – vor allem im Bezug auf die Motive der Wähler_innen oder
Sympathisant_innen der Partei. Erschwerend kam ebenfalls hinzu, dass zwischendurch oft
Termine wahrzunehmen waren, die ich nicht verpassen wollte – beispielsweise Vorträge
oder Besuche bei anderen Vereinen in Bordeaux, bei denen die Anwesenheit von
Repräsentant_innen von SOS Racisme gewünscht war.
In der letzten Woche, als ich endlich genug recherchiert und Stichpunkte gesammelt hatte,
veröffentlichten die Jeunes Socialistes dann ihre Arbeit zum gleichen Thema.
Letzteres machte meine Anstrengungen natürlich nicht hinfällig, allerdings war das Produkt
der Jeunes Socialistes sowohl handwerklich als inhaltlich sehr gut.
Am Ende habe ich meine Stichpunkte an meine Chefin weitergeleitet, die mir versicherte,
das Projekt weiterzuverfolgen.
Neben diesen Hauptprojekten (die Vernissage und das Livret) beschäftigten mich während
der Arbeitszeit (montags bis freitags, 10h30 bis 18h) neben der Recherche über den Front
National viele kleine Aufgaben. Bedurfte es Stellungnahmen von SOS Racisme Gironde,
so
bereitete
ich
die
Hintergrundinformationen.
8 Entteufelung
Informationen
für
Ilham
auf
und
recherchierte
wichtige
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Im März erregte zum Beispiel ein Fall die Aufmerksamkeit von SOS Racisme Gironde, da
in einer Schulkantine eines Gymnasiums im Umland von Bordeaux (Arveyres) der
Speiseplan geändert wurde, sodass freitags nur noch Schweinefleisch serviert wurde und
- statt wie zuvor - kein anderes Fleisch mehr zur Wahl stand.
Eltern muslimischer und jüdischer Kinder protestierten gegen diese Neuregelung, da es
ihren Kindern folglich nicht mehr möglich war, auch freitags Fleisch in der Kantine zu
essen.
Der Fall schlug im Süden Frankreichs recht hohe Wellen, weil er in Zusammenhang mit
dem französischen Laizismus und seinen Grenzen diskutiert wurde und der Front National
den Protest von jüdischen und muslimischen Eltern und Verbänden zum Anlass nahm,
Stimmung gegen die vermeintliche Islamisierung oder Verfremdung Frankreichs zu
machen. Neben der Präsenz von Ilham Ben Sandoura und Sandrine Malet in Arveyres im
Rahmen einer Kundgebung wurde auch eine offizielle Stellungnahme von SOS Racisme
Gironde verfasst, an der ich in der Vorbereitung beteiligt war.
Wie vorher schon erwähnt, begleitete ich Ilham zu fast all ihren Terminen.
Letztere bezogen sich meist auf Treffen mit befreundeten Vereinen oder Einladungen zu
Vorträgen und Tagungen. In Bordeaux gibt es eine Vielfalt von kleinen Vereinen und
Verbänden, mit denen SOS Racisme Gironde – sofern inhaltlich nah – enge Beziehungen
pflegt. Auch mit der Stadt bzw. mit dem Conseil Régional bestehen Beziehungen, die ein
gezieltes Lobbying teilweise möglich machen.
Die wahrgenommenen Termine gaben mir Gelegenheit, mir ein Bild von dem
zivilgesellschaftlichen und politischen Engagement in und um Bordeaux zu machen.
Ich lernte weitere Vereine und ihre Mitglieder kennen, wie z.B. den Verein „Lesbian & Gay
Pride Bordeaux“, der mir eine spannenden Blick auf den Konflikt rund um die „mariage
pour tous“, also die gleichgeschlechtliche Ehe in Frankreich eröffnete.
Gemeinsam mit Ilham nahm ich an einer Kundgebung teil und erfuhr zum einen den
Protest der Widersacher9, die sich aus den unterschiedlichsten Gruppierungen
zusammenfanden (auch der Front National war präsent); zum anderen sah ich auch eine
gerührte Christiane Taubira10, bei der sich die Aktivist_innen des Lesbian & Gay Pride für
ihren Einsatz zur Verwirklichung der rechtlichen Gleichstellung Homosexueller bedankten.
9 Die Gegner der Inititaive griffen nach der Kundgebung noch das Büro des „Lesbian & Gay Pride Bordeaux“ an; es
kam zu Sachschäden, aber verletzt wurde glücklicherweise niemand
10 Justizministerin in Hollandes Kabinett; Fürsprecherin der „mariage pour tous“, ohne die das Vorhaben
wahrscheinlich gescheitert wäre
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Ebenfalls spannend war der Nachmittag bei dem Verein „Promo Femmes“, der Frauen und
vor allem Müttern mit ausländischen Wurzeln zahlreiche Hilfestellungen und Betreuung
bietet – beispielsweise werden Sprach- und Kochkurse oder Hilfe bei bürokratischen
Belangen angeboten und den Frauen wird im Rahmen eines Tee-Salons Gelegenheit zum
Austausch untereinander gegeben. Bei solchen Gelegenheiten wird ersichtlich, warum
SOS Racisme Gironde soviel Zeit ins das reine „networking“ investiert – viele Vereine in
Bordeaux, die sich die Förderung des „vivre ensemble“ zum Ziel gesetzt haben, agieren
Hand in Hand und oft als Kollektiv um ihrem Wirken mehr Durschschlagskraft zu verleihen.
Zuletzte möchte ich noch zwei Tagungen ansprechen, die ich sehr bereichernd fand.
Die erste Tagung, an der ich teilnahm, fand im Regionalrat statt und befasste sich mit der
Zukunft von gemeinnützigen Vereinen und Verbänden. Es ging um Budgetknappheit und
gestrichene Subventionen, mit denen fast alle Vereine zu kämpfen haben, um
Modifizierungen des Managements und auch um die Wichtigkeit dieser Vielzahl von
„associations“ für die Zivilgesellschaft, für die eine Politik des Kaputt-Sparens mit
Sicherheit nicht zuträglich ist. Es war spannend, den Diskurs der politisch-institutionellen
Sphäre des Regionalrats und die Argumente der zivilgesellschaftlichen Akteure zu
verfolgen.
Eine weitere Tagung mit dem Titel „Hat die Macht ein Geschlecht?“ besuchte ich am
Internationalen Frauentag. Moderiert wurde die Veranstaltung von einer in Bordeaux
bekannten Politikerin der Parti socialiste. Mehrere Feministinnen hielten Redebeiträge und
stellten ihre Publikationen vor. Inspirierend fand ich auch die Beiträge aus dem Publikum,
die es vermochten, das zuvor gehörte von der theoretisch-intellektuellen Ebene auf das
Alltagsleben zu transferieren.
5) Reflexion & Fazit
Das Praktikum bei SOS Racisme Gironde war eine sehr bereichernde Erfahrung für mich.
Ich habe in den acht Wochen viele spannende Dinge gesehen und gehört und Bordeaux
mit Sicherheit so auf eine Weise kennengelernt, die mir als Erasmus-Studentin verborgen
geblieben wäre.
Des Weiteren hat sich mein Blick auf die politische Kultur Frankreichs geschärft und ich
bin jetzt viel mehr in der Lage, bestimmte Codes zu dechiffrieren und Abläufe oder
Ereignisse in der französischen Politik und Zivilgesellschaft zu verstehen.
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Ich konnte Inhalte aus meinem Studium im Praktikum vertiefen und fand es besonders
wichtig, theoretische Konzepte in der praktischen Arbeit angewendet zu sehen – auch mit
allen Schwierigkeiten und Widersprüchen, die dadurch entstehen können.
Vor allem habe ich einen Einblick in den Alltag von gemeinnützigen, zivilgesellschaftlichen
Vereinen und Verbänden erlangen können. Letzteres halte ich für ungemein wichtig, da ich
nicht ausschließen würde, einmal selbst in einer NGO zu arbeiten.
Durch die „interventions scolaires“ konnte ich einen Eindruck davon gewinnen, wie
politische Bildungsarbeit geleistet werde kann, aber welche Grenzen einer eher
sporadischen und zeitlich stark begrenzten Aufklärungsarbeit auch gesetzt sind.
Natürlich hat sich auch mein Französisch durch das Praktikum stark verbessert.
Ich hatte ein ausgezeichnetes Verhältnis zu meinen Arbeitskolleginnen und konnte
Kontakte knüpfen, die mir bei der nächsten Praktikumssuche in Frankreich bestimmt
behilflich sein können.
Kritisch sehe ich nach den acht Wochen die etwas zu dogmatische und teilweise
diskursverneinende Ausrichtung der Organisation, die teilweise – ähnlich wie ihre
rechtspopulistischen Widersacher - komplexe Dinge recht einfach aufbereitet und das
intellektuelle Fundament, das ja vorhanden ist, etwas aus dem Blick verliert. Während des
Praktikums habe ich veschiedene Dinge, die mir seltsam erschienen auch mehrfach
geäußert und mit Ilham diskutiert.
Auch wenn ich immer etwas zu tun hatte, fand ich es etwas schade, dass meine
Arbeitstage durch mehrere kleine Aufgabe etwas zerpflückt waren und die Organisation
doch manchmal sehr spontan geschah, sodass ich ad-hoc reagieren musste und oft nicht
viel Zeit für ausführliche Gespräche oder Rückfragen blieb.
Ich möchte mit einem Punkt schließen, der mir durch das Praktikum sehr deutlich
geworden ist und der nicht unerwähnt bleiben darf.
Durch die Zeit bei SOS Racisme Gironde habe ich vor allem gelernt, wie wichtig
zivilgesellschaftliches Engagement ist und wie Akteure vereint und erfolgreich als
Gegengewichte im Hinblick auf Fremdenfeindlichkeit und Rassismus (und seine
parteipolitischen Auswüchse) agieren können. Ich habe großen Respekt vor all den
ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen, die ich getroffen habe und die viel Zeit und Energie
investieren, um für ein friedliches, akzeptierendes, demokratisches und bereicherndes
Miteinander zu kämpfen und es so möglich werden zu lassen.
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6) Anhang und Links
http://www.sos-racisme.org/
http://www.bordeaux.fr/portail/portal/pgFicheOrga.psml?
_nfpb=true&_pageLabel=pgFicheOrga&classofcontent=organisme&id=31841
Einladung zur Vernissage
Filme der „interventions scolaires“
Die Fee Pimprenelle
https://www.youtube.com/watch?v=lhtUTIIN1Ns
Nur keinen Ärger
https://www.youtube.com/watch?v=Z5_TfXAxKEA
Mohamed
https://www.youtube.com/watch?v=vAUjlsWR8Hk
Relou
https://www.youtube.com/watch?v=MEdbhKREQB0
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Flyer „Droit de vote des étrangers“

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