ME/CFS bei Kindern und

Transcrição

ME/CFS bei Kindern und
Myalgische Enzephalomyelitis / Myalgische Enzephalopathie
Ch ron isches Erschöpfungssyndrom
ME/CFS bei Kindern und
Nr.
I
("Childhood ME")
Schriftenreihe Informationen, Konzepte und Erfahrungen
Förderverein für CFS/CFIDS/ME - Erkrankte,
Ch ron
isches Erschöpfu ngssynd rom
Impressum:
Herausgeber: Fönderverein für CFS/CFIDS/ME - Erkrankte,
Ch ron isches Erschöpfu ngssynd rom
Fatigatio e.V. - Büro Berlin
Goethestr. 26 - 30
10625 Berlin
Tel": 030 - 310 1B 89 - 0
Fax. CI30 * 310 18 Bg - 20
Hmail: [email protected]
Fatigatio e.V. - Büro Bonn
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Fax:0228
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660 233
660 687
Homepage : www.fatigatio. de
Bonn 2001
Den Druck unterstützte die "Selbsthilfe - Fördergemeinschaft der Ersatzkassen", ein
Zusammenschluss von Techniker Krankenkasse, Kaufmännische Krankenkasse - KKH.
Hamburger-Mtinchener Krankenkasse, HEK - Hanseatische Krankenkasse,
HZK - Krankenkasse für Bau- und Holzberufe, Brühler Krankenkasse Solingen,
Buchdrucker-Krankenkasse Hannover, Krankenkasse Eintracht Heusenstamm.
An der Übersetzung waren beteiligt: Margaret Brändle, Regine Clos, Petra Dönselmann
im Sande, Urte Fechner, Anne Fink, Christine Haida, Wendy Lunnon, Marlies Zurhorst
Layout: Ulrich Kern
Koordination: Petra Dönselmann im Sande, Anne Fink
Wir danken allen Beteiligten für ihre Unterstützung!
Sch riften rei he I nformationen, Konzepte,
Nr.
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E
rfah ru ngen
:
Das Chronic Fatigue Syndrome:
Informationen zum Chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS)
"Die Balance halten trotz CFS"
Erstinformation zum Chronischen Erschöpfungssyndrom
(geplant)
Leben mit CFS
Anästhesie bei Patienten mit CFS
'Alles (nur) psychisch?"
2. Weltkongress zum CFS und verwandten Erkrankungen (Sept. 1999).
Zusammenfassung der Beiträge
Chronic Fatigue Syndrome (CFS): Ein Überblick mit Hinweisen zur Labordiagnostik
ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen.
ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen
Bericht einer unabhängigen Beratergruppe
Herausgegeben von Dr. Anne Maclntyre
Dieses Dokument ist Teil des Materials, das von einer Arbeitsgruppe des britischen
Gesundheitsministeriums als "work in progress" veröffentlicht wurde.
Autoren:
Jane Colby
Grundschuldirektorin a. D., Autorin, Kinderbeauftragte von'Action for ME"
und "Tymes Trust"
Dr. Alan Franklin
Kinderarzt, pädiatrischer Berater
der
iviE Association"
Dr. Anne Maclntyre
Arztin, Medizinischer Beirat der "ME Association"
Dr. Lynn Michell
Schu psycholog i n, frühere Forsch u ngssoziolog in,
I
Mutter von CFS-kranken Söhnen
Jill Moss
Direktorin der "Association of Youth with ME"
Jacqueline Siner
Schulpsychologin
Dr. Nigel Speight
Kinderarzt, Medizinischer Beirat von 'Association of Youth with ME",
pädiatrischer Berater der "ME Association"
Die Autoren danken für die fachliche Unterstützung von:
Dr. Elizabeth Dowsett,
Mikrobiologin, South Essex Health Trust
Dr. David Bell,
Pädiater, Mass., USA
Dr. Jenny Altschuler,
Klinischer Psychologe und Familien-Psychotherapeut, Tavistock Clinic, London
Ghristine Eiser,
Direktorin der "CRC child and family research group",
Psychologisches lnstitut, Universität Exeter
Stand: Februar 1999
Januar 2002
Bericht der Gesundheitsbehörde bringt Durchbruch
in Großbritannien: ME/GFS als Krankheit anerkannt !
150.000 Menschen sind Schätzungen zufolge in Großbritannien an ME/CFS erkrankt. Die
Patienten leiden u. a. unter schwerer Erschöpfung, Muskel- und Gelenkschmezen, neurologischen Symptomen und Schlafstörungen. Auch in England hat es erhebliche
Kontroversen um das Krankheitsbild gegeben, dessen Existenz sogar von einigen Azten
angezweifelt wurde.
Das hat sich nun geändert:
Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Broschüre veröffentlichte die unabhängige
Arbeitsgruppe des "Chief Medical Officers" (CMO) (d.i. die oberste britische Gesundheitsbehörde) einen umfangreichen Leitfaden zum Thema ME/CFS. Diese chronische
Erkrankung erfährt damit in Großbritannien endlich Anerkennung.
Das Arbeitspapier der Experten fordert die behandelnden Hausärzte auf, den Erkrankten
besonderes Verständnis und Unterstützung entgegen zu bringen. Dies gilt insbesondere für
Kinder, bei denen ME/CFS ein gravierendes Problem darstellt und deren Schulbildung nun
sicher zu stellen ist.
Obwohl Teile des CMO-Reports wegen der positiven Wertung von Übungen zur Steigerung
der körperlichen Leistungsfähigkeit und kognitiver Verhaltenstherapie unter den Mitgliedern
der Arbeitsgruppe nicht unumstritten sind, feiern ihn die britischen Selbsthilfeorganisationen
als "wichtigen Durchbruch", ciem allerdings weitere Schritte und Forschungen folgen müssen.
Sogar Premierminister Tony Blair würdigte die Erkrankung vor dem Unterhaus und sagte
Forschungsgelder zu.
Der Chief Medical Officer Prof. Liam Donaldson fasste das Ergebnis nach rund vierjähriger
Arbeit mit folgenden Worten zusammen: "Bis heute war ME/CFS eine Krankheit in der
Grauzone. Betroffene wurden ignoriert, nicht immer ernst genommen, teilweise als
Hypochonder. abgestempelt, aufgefordert, sich zusammenzureißen und letztendlich sich
selbst überlassen. Vom heutigen Tage ab wird sich das ändern!"
Von einer solchen Anerkennung durch offizielle Stellen sind wir in Deutschland weit entfernt.
Mit der Broschüre "ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen" wollen wir mehr Akzeptanz der
Erkrankung und bessere Unterstützung der Erkrankten erreichen.
Die Autoren unserer Broschüre sind Mitglieder der CMO-Arbeitsgruppe, und das englische
Original "Childhood ME" entstand im Zusammenhang mit ihrer Arbeit für den Bericht.
Anne Fink
Den vollständigen CMO-Report können Sie als pdf-File (ca. 100 Seiten) im Internet lesen
oder herunterladen.
S ie f nden h n u nte r http ://www. doh. gov.uVcmo/cfsmereport/
i
i
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
lnhalt
Vorwort
1.
Einführung
2.
Medizinische Aspekte
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5
3.
7
Klinische Vorstellung und Diagnose
8
NeurokognitiveundpsychologischeStörungen
12
Der Umgang mit der Erkrankung
Epidemiologie
13
Prognose
19
18
Aspekte in Schule und Ausbildung
3.1
3.2
3.3
3.4
3.5
3.6
3.7
3.8
3.9
3.10
3.11
3.12
Einführung
20
Bildungsziele
21
Auswirkungen von ME/CFS auf die kognitiven Funktionen
Auswirkungen auf die körperliche Leistungsfähigkeit
21
Auswirkungen auf den Schulbesuch
BesonderepädagogischeBedürfnisse
21
21
22
Das Unterrichten vom Schülern mit ME/CFS
Gesundung und Bildung als Einheit
22
Soziale Kontakte
24
Die Wichtigkeit eines interdisziplinären Ansatzes
24
23
Schulverordnungen
tl
Prüfungen und Examina
24
4. Soziale Aspekte
4.1.
4.2.
5.
25
25
Pflege und Betreuung
5.1.
5.2.
6.
Staatliche Hilfen
Nichtstaatliche Unterstützungsangebote
Häusliche Pflege
29
Stationäre Betreuung
29
Zusammenfassung
30
Anhang A: Fallstudien
32
Anhang B:
tI
Anhang G: Diagnosekriterien
35
Literaturliste
36
Selbsthilfeorganisationen i n G roßbritannien I Literatu rempfehlun gen
Ergänzende Hinweise für junge CFS-Patienten in Deutschland
39
43
Hinweis / Aufruf
46
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
Vorwort
Dr. Heike Schünemann, Kinderärztin
lhren größten Wunsch im Umgang mit dem Chronischen Erschöpfungssyndrom, das in England auch
als ME (= Myalgische Enzephalomyelitis) bezeichnet wird, benennen betroffene Jugendliche selber
so: "Wir brauchen dringend Informationsmaterial, um unsere Krankheit unseren Freunden, den Familien, den Arzten und den Lehrern verständlich zu machen." Das ist ein berechtigtes Anliegen bei einer
Erkrankung, der oft mit Unkenntnis und Vorurteilen begegnet wird und für die es zudem keine einfachen Heilmittel oder verlässlichen Prognosen gibt.
Nicfrt ohne Grund sindwirAzte bei dieser Aufzählung mit erwähnt. Auch in Pädiatriekreisen ist ME/CFS
im Kindes- oder Jugendalter hier in Deutschland bisher relativ unbekannt und unerforscht.
Die bestehende Unsicherheit erschwert Diagnostik und Therapie dieses außergewöhnlich komplexen
Krankheitsbildes. Es fehlen Spezialeinrichtungen zur Behandlung der betroffenen Kinder, wenn diese
nicht'mehr, wie im ldealfall, in der häuslichen Umgebung betreut werden können.
Einen großen Schritt auf dem richtigen Weg, unseren Patienten mit tieferem Verständnis zu begegnen und ihnen effektiver helfen zu können, vollbringt die vorliegende Arbeit. Umfassend und hervorragend recherchiert erhalten wir Einblick in den medizinischen Bereich. Wir erfahren auch, wie eine
mögliche Fortführung der Ausbildung oder die Beibehaltung der sozialen Einbindung unserer Patienten
aussehen kann. lmmer wieder wird uns ans Herz gelegt, die betroffenen Kinder weder zu über- noch
zu unterfordern, denn beides führt zu ungewollten Rückschritten. In zwei eindrucksvollen Fallstudien
am Ende des Berichts nimmt die Krankheit Gestalt an und wird konkret vorstellbar.
Ein Dankeschön an Dr. Anne Macintyre, Jane Colby und ihre Mitarbeiter für ihr Engagement!
Dank auch an die Übersetzer, die es möglich gemacht haben, dass diese Arbeit nun auch in deutscher Sprache Verbreitung findet!
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
1. Einführung
Zur Entstehung dieses Textes
und Beobachtungen niedergelassener Kinder-
lm September 1994 veröffentlichte die "Task
Force on Chronic Fatigue Syndrome I PostViral
behandelt haben.
tis"
Viele Namen für eine Erkrankung
ärzte, die viele junge
Fatigue Syndrome I Myalgic Encephalomyelieine vom britischen Staat eingerichtete
Arbeitsgruppe - einen Bericht. Diesem folgte ein
Report des "Royal Colleges of Medicine, Psychiatry and General Practice" im Oktober 1996.
Quellen: Tyrell, D. Chairman. 1994. Report from
the National Task Force on Chronic Fatigue
Syndrome (CFS), Posf Viral Fatigue Syndrome
(PVFS), Myalgic Encephalomyelitis (ME), West-
Eine Erkrankung, deren Merkmale Muskelschmetzen, neurokognitive Störungen und
Erschöpfung nach Anstrengung sind, existiert
bereits seit Jahrhunderten. lm 20. Jahrhundert
sind epidemische Ausbrüche von 1934 bis in
die 50er Jahre hinein dokumentiert. Frühere
Bezeichnungen waren u.a. "english sweats",
care.
Royal Medical Colleges. 1996. Chronic Fatigue
Syndrome - Report of a Joint Working Group of
The Royal Colleges of Physicians, Psychiafnsfs
and G eneral Practitioners,
Obwohl die Veröffentlichungen jeweils Beiträge
zur Situation von erkrankten jungen Menschen
enthielten, hat sich gezeigt, dass es Bedarf an
weiteren und genaueren Informationen zur Diagnose, zum Umgang mit der Erkrankung und
zur Situation in Schule und Ausbildung bei Kindern und Jugendlichen mit ME/CFS gibt. Die
folgenden Richtlinien sind von Arzten und Päda-
gogen erarbeitet worden, die Erfahrung im
Umgang mit den Problemen haben, die diese
ME/CFS-Patienten
Erkrankung für die Kinder/Jugendlichen und
ihre Familien mit sich bringt.
ME/CFS wird in den letzten Jahren zunehmend
als klinische Einheit akzeptiert. lm Juli 1998 verkündete der Chief Medical Officer Sir Kenneth
Calman vor seiner Pensionierung, dass das
(britische) Gesundheitsministerium diese Erkrankung anerkennt und eine Arbeitsgruppe
etablieren wird, uffi Betroffene zu informieren
und zu beraten.
Unser Ziel ist es, denjenigen Informationen über
die Existenz und Diagnose von ME/CFS bei
Kindern und Jugendlichen zur Verfügung zLl
stellen, die aufgrund ihres Berufes oder als
Familie mit jungen Menschen zu tun haben, die
an ME/CFS erkrankt sind. Obwohl in diesen
Richtlinien auf bereits existierende Veröffentlichungen hingewiesen wird, stammen die meisten
Informationen aus den klinischen Erfahrungen
"epidemic neuromyesthenia" und "atypic polio".
Der Begriff "myalgic encephalomyelitis" (ME)
wurde 1956 in Folge einer weltweiten Serie von
Ausbrüchen geprägt (Ramsay, 1985), das Auftreten von ME bei Kindern ist gut dokumentiert.
Der Name "Chronic FatiEue Syndrome" (CFS)
wurde 1988 in den USA bei der Festlegung von
Diagnosekriterien bevozugt. Der Begriff "CFS"
wird international von Medizinern in der Forschung benutzt, aber die Erkrankung wird
häufig von Patienten und Azten noch als "ME"
bezeichnet. Wir sind der Meinung, dass die
Bezeichnung "myalgic encephalomyelitis" (oder
"encephalopathy") zutreffender als "Chronic
Fatigue Syndrome" ist, da sie nicht ausschließlich auf die vorhandene Erschopfung hinweist, sondern eine spezifische Erkrankung mit
muskulären und neurologischen Symptomen
bezeichnet. In dieser Arbeit werden beide
Begriffe verwendet.
(Anmerkungen der Übersetzer: ln Deutschland
wird das Krankheitsbild, seif es in den 9Oiger
Jahren bekannter wurde, a/s "Chronlsches
Erschöpfungssyn drom" (CFS) bezeichnet. ME
,sf im deutschsprachigen Raum a/s Name
weitgehend unbekannt. Um dieser Situation
gerecht zu werden, haben wir in dieser
Broschüre die Bezeichnung "MUCFS" gewählt.)
Klinische Beobachtungen und Forschungsergebnisse zeigen, dass ME/CFS eine reale, organisch bedingte Erkrankung ist, die sich auf
viele Körperorgane (insbesondere das Gehirn)
auswirkt. Wie bei neurologischen Störungen
(2.8. Gehirntumore oder Multiple Sklerose) ruft
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Fatigatio
e.V.
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
ME/CFS körperliche und neurokognitive Symp-
tome hervor. Die Hirnstörungen verursachen
kognitive Probleme sowie Dysfunktionen des
vegetativen Nervensystems und emotionale
Symptome. Sekundäre psychische Auswirkungen, die sich im Laufe der Erkrankung
entwickeln, können dieses Bild wie es bei
ch ron ischen E rkran ku ngen auch sonst
vorkommt - komplizierter machen.
Die meisten Kinderäzte mit Interesse an dieser
Erkrankung beobachten, dass Kinder mit
ME/CFS bemerkenswert stabil und unanfällig
für Krisen sind. Auch bei schwerer und
langwieriger Erkrankung zeigen viele kleine
Patienten und ihre Familienangehörigen keinerlei psychische Auffälligkeiten. Kinder mit ME/CFS
sind aber meistens sehr frustriert, weil sie nicht
an normalen Aktivitäten in der Schule oder
zuhause teilnehmen können.
Der wichtigste Schritt ist zunächst die Diagnosestellung. Die Basis für eine medizinische Behandlung ist die Abklärung der Symptomatik und die
daraus folgende Diagnose, gefolgt von einer
Aufklärung über die Natur der. Erkrankung,
einer an den Symptomen orientierten
Behandlung und der Hinzuziehung weiterer
professioneller Hilfe. Die meisten Kinder
genesefl, vor allem dann, wenn sie emotionale
Unterstützung erhalten und sich genügend
ausrLrhen dürfen. Bei einigen wenigen Kindern
führt ME/CFS jedoch zu einer chronischen
Krankheit mit ausgeprägten Behinderungen.
Mögliche Schwierigkeiten für jedes Kind mit
einer langwierigen Erkrankung ergeben sich u.a.
aus Defiziten in der Ausbildung und fehlendem
sozialen Kontakt zu Gleichaltrigen.
Auf der einen Seite besteht die Notwendigkeit,
den Fortgang der Schulbif dung irgendwie
sichezustellen, auf der anderen Seite muss
rnan dem Kind die Möglichkeit geben, sich zt)
erholen, ohne dazu gedränEt zu werden , zu früh
in die Schule zurückzukehren oder unrealistische Ziele zu erreichen. Manche Schüler
können so schwer erkranken, dass überhaupt
keine Form von Unterricht in Betracht kommt.
"Keiner, der von drese r Erkrankung betroffen ist
oder der Verantwortung für die Pflege ernes
erkrankten Familienangehörigen trägt, wird
Zweifel daran haben, wie schmenhaft und
leidvoll MUCFS ,sf und welche verheerenden
Auswirkungen ME/CFS auf die sozialen
Beziehungen und das gese//schaftliche Leben
haben kann.
Dres isf vor allem bei erkrankten Kindern der
Fall, bei denen die Auswirkungen auf die
sch ulische Laufbahn und das soziale
Wohlbefinden besonders katastrophal sind,
wenn Kinder und Eltern auf Experten ohne
Verständnis treffen. Die Folgen können sich
über Jahre hinziehen." (Pheby, 1997)
2. Med iztn ische As pekte
"sämtliche Untersuchungsergebnisse normal
sind", ohne dass eine richtige Diagnose gestellt
worden ist. Wenn Kinder nicht gesund sind, ihre
Erkrankung aber weder bestätigt noch diagnostiziert ist, kann diese Diskrepanz sich außerdern darauf auswirken, wie die kranken Kinder
sowohl von Familienmitgliedern als auch von
Experten behandelt werden.
2.1 Klinisches Erscheinungsbild und
Diagnose
"Ohne Diagnose gibt
es keine vernünftige
Behandlung" (Carl Gerhardt, I873)
2.1
"l
Die Wichtigkeit der Diagnose
Ein Anlass zu großer Besorgnis ist für viele
Eltern, bei einem kranken Kind zu erleben, dass
2.1
dessen Erkrankung weder erkannt noch benannt wird. Eltern befurchten, ihr Kind könne an
einem bösartigen Leiden erkrankt sein, das vom
Arzt übersehen wird, und es ist äußerst frustrierend, wenn man zu hören bekommt, dass
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.2
D
iag
nosekriterien
Bisher gibt es keine gesonderten DiagnoseKriterien für Kinder und Jugendliche.
Die amerikanischen Kriterien für CFS bei Erwachsenen (Fukuda, 1994) wurden vornehmlich
I
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Fatigatio e.V.
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichent'((
für Forschungszwecke erstellt. Junge Patienten
erfüllen die cFs-Kriterien nicht immer, zeigen
aber bei ME/CFS ein typisches klinisches Bild.
(siehe im Anhang c die Besch reibung von ME
durch Ramsey von 1986 und die CDc-Kriterien
für CFS von 1994). Einige klinische Merkmale
bei Kindern weichen von denen der Erwachsenen ab, besonders bei Kindern unter 10 Jahren.
Der Beginn ist bei jungen Kindern häufig schleichend, ihr Verhalten im Alltag variiert mehr, und
oft gibt es keine deutlich erkennbare Vorgeschichte eines auslösenden Infekts. Bestimmte
Symptome hartnäckige Kopfschmerzen, Bauchschmetzen, Appetitverlust und ÜOelkeit treten
bei Kindern häufiger auf. Sobald sich die Erkrankung herausgebildet hat, gibt es keine klinischen
Unterschiede zwischen Kindern, bei denen die
Erkrankung - meist nach einem akuten fiebrigen
Infekt plötzlich aufgetreten ist und denen mit
einem schleichenden Beginn, der häufiger bei
kleinen Kindern zu beobachten ist.
Bei kleinen Kindern ist es schwieriger, die Diagnose zu stellen, da sie nicht in der Lage sind,
Symptome wie Erschöpfung und kognitive
Probleme zu beschreiben. Eltern und Lehrer
müssen Symptome wie Blasswerden oder Erschöpfung beobachten und einschätzen, sowohl
innerhalb als auch außerhalb der Schule. lhren
Beobachtungen bei Kindern oder Schülern, die
sie gut kennen, sollte daher auf jeden Fall
Gewicht beigemessen werden.
Es ist für das Kind und dessen Familie von vorteil, wenn höchstens 2 - 3 Monate nach Auftreten
der Symptome vergehen, bis eine Diagnose
feststeht, statt der vorausgesetzten 6 Monate
bei Erwachsenen (Royat Cotteges, l ggi). Denn
durch ein frühzeitiges Krankheitsmanagement
können weitere gesundheitliche Verschlechterungen vermieden werden.
2.1.3 Häufige Symptome und Anzeichen
a) Das häufigste Merkmal für die Diagnose von
ME/CFS ist anhaltende "fatigue". Treffender
als mit Müdigkeit ist sie als Erschöpfung,
Asthenie oder Schwäche zu beschreiben, die
gewöhnlich nach Anstrengung auftritt. Sie
entwickelt sich innerhalb von 3 Tagen nach
mäßiger Anstrengung und bessert sich nicht
durch Ruhe/Schlaf. Die Erschöpfung gleicht
eher orthostatischer Intole ranz t lschwindel
oder Schwächegefühl im Stehen) als einfacher
Müdigkeit oder Schläfrigkeit. Die Erschöpfung
ist körperlich oder geistig, kann ausgeprägt
und häufig schwankend sein, und führt zu
einer erheblichen Reduzierung der normalen
Aktivität.
b) Ausgeprägtes unwohlsein, sich "wie vergiftet" fühlen, besonders nach physischer oder
geistiger Anstreng u ng.
c) Andauernde Kopfschme rzen, die nicht auf
Sch merzrn ittel ansprechen.
d) störungen im normalen schlafrhythmus;
Hypersomnie (erhöhtes Schlafbedürfnis) tritt
am Anfang am häufigsten auf und entwickelt
sich zu einer Umkehrung der Schlaf-l
Wachzeiten oder anderer Form von lnsomnie.
e) Neurokognitive Störungen sind fast immer
vorhanden (d.h. Einschränkungen bei Aufmerksamkeit, Konzentration und Kurzzeitgedächtnis, Vergesslichkeit bei Namen und
Unfähigkeit, Geschriebenes zu verstehen) 2.
0 Sehstörungen (Schmerzen an den Augen,
verschwommenes Sehen, besonders beim
Lesen),
g) Lärm- und Lichtempfindlichkeit 3.
h) wiederkehrende Halsschmezen und/oder
geschwollene Lymphknoten können bei Kindern irreführend sein, da sie bei fast jedem
Infekt auftreten. Lang anhaltende Adenopathie sollte untersucht werden, um TB oder
bösartige Geschwulste auszuschließen.
i) Muskel- oder Gelenkschmezen, besonders
im unteren Rückenbereich und in den unteren
Gliedmaßen,
j) ÜOetkeit, Bauchschmerzen, Appetiilosigkeit,
k) Gleichgewichtsstörungen oder Schwindel bei
plötzl ichem Positionswechsel,
l) subjektiv veränderte Regulierung der Temperatur (ungewöhnliches Empfinden von
Fieber oder Kälte, nächtliches schwitzen)
und möglicherweise objektive Umkehrung
von Sch lat -lT em peratu r-Rhyth men,
m) Blässe im Gesicht, besonders zu Beginn
eines ausgeprägten Erschöpfungszustandes
(Ramsay, 1986),
n) Veränderte Hautempfindlichkeit, Parästhesien
(Taubheit, Kribbeln), vorübergehender Hautausschlag,
o) Stimmungsschwankungen (Gereiäheit, Wut,
Depression, und Frustration), die nicht dem
Charakter entsprechen.
Ein ausgeprägtes Merkmal von ME/CFS ist
die Veränderung der Symptome von einem Tag
zum anderen und die Tendenz zu Rückfällen
und Phasen der Besserung über Monate
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen""
Fatigatio e.V.
hinweg. Aber eine Kombination von Schlüsselsymptomen ist bei allen Patienten ähnlich. Die
Symptome von Erschöpfung nach Anstrengung,
ausgeprägtem Unwohlsein und kognitive Störungen sind gleichbleibend vorhanden. Es ist
wichtig, dass Mediziner die Vielzahl von häufig
auftretenden Symptomen erkennen, die zusätzich zur "Fatigue" vorhanden sind.
f
Schwere Fälle von ME/CFS
Bei schwereren Formen der Erkrankung
bei
Kindern und Jugendlichen zeigen sich Symptome
wie Schwindel, lang anhaltende Kopfschmerzen,
schwere Muskelspasmen um Muskelverkürzungen in den Händen und Füßen entgegen zu
wirken, muss teilweise geschient werden -, Zitter'
anfälle oder Pseudokrampfanfälle ohne BewLsstseinsverlust, Schluckbeschwerden, Parese oder
Paralyse von Gliedmaßen, Reizblase und eine
gestörte geistige Wahrnehmung.
2.1.4 Differenziald iag nosen
Erkrankungen, die Annlichkeit mit M.HCFS haben,
sollten ausgeschlossen werden:
a) Anämie (schwere),
b) lmmundefekte I Störungen des lmmunsystems (AIDS kann bei kleinen Kindern angeboren sein),
c) chronische Infektionen; z.B. TB, Toxoplasmosg,
d) Migräne,
e) Unterfunktion der Schilddrüse, Hypophysenvo rd e rl a p pe
n in s
uffi zienz, Ad d
i
son-
Kra
n
kh e it,
f) juvenile chronische Arthritis (Still-Syndrom),
g) chronische Nierenerkrankung,
h) chronische Hepatitis,
i) Morbus Crohn,
j) Glutenunverträglichkeit,
k) zerebraler Tumor,
l) subdurales Hämatom,
m) Magersucht,
n) chronischer Missbrauch (jeder Art),
o) kindliche Depression,
p) Somatisierungsstörung,
q) Schulangst.
Viele dieser Erkrankungen sind selten, aber
es kann im Einzelfall sinnvoll sein, sie auszuschliessen.
ME/CFS im Vergleich mit Depression,
Magersucht, Schulphobie und
Somatis ieru n gsstöru n g
Es ist wichtig, ME/CFS von einer primären
depressiven Erkrankung (die in der Kindheit
auftreten kann), von Magersucht oder einem
phobischen Angstzustand zu unterscheiden.
Primäre Depressionen in der Kindheit sind
schwer zu diagnostizieren. Eine schwere
Depression kann ats eigenständige biologische
Erkrankung auftreten , z.B. zu Beginn einer Psychose. Wenn emotionale Symptome erkennbar
sind, ist es wichtig, ihrem Ursprung nachzugehen. Waren sie bereits vorhanden, bevor ME/CFS
aufgetreten ist oder fingen sie gleichzeitig an?
Entwickelte sich die Depression über einen Zeitraum von Monaten oder Jahren sekundär zu
der anhaltenden Erkrankung?
Es besteht Unsicherheit darüber, welche Rolle
Depressionen bei jungen Patienten mit ME/CFS
spielen. Die Familiengeschichte liefert gute Hinweise. Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein Kind
in einer gut funktionierenden Familie depressiv
wird. Es ist wichtig, die innerfamiliäre Kommunikation anzusehen und herauszufinden, welcher
Grad an Eigenständigkeit vor Ausbruch der
Erkrankung vorhanden war, bevor man eine
Depression als Ursache für die Beschwerden
des Kindes in Betracht zieht. Aus moderner
Sicht werden die meisten depressiven Symptome
bei jungen Menschen als mentale Reaktion auf
eine zu Grunde liegende chronische organische
Erkrankung oder auf schwerwiegende widrige
Umständen eingestuft. Viele Kinder und Jugendliche, die an einer chronischen Erkrankung
leiden, entwickeln auf Dauer Symptome einer
Depression (Koplewicz und K/ass, 1993).
Kinder und Heranwachsende entwickeln relativ
häufig eine Anorexie sekundär zu ME/CFS. Diese wird für gewöhnlich durch ÜOelkeit und/oder
Muskelermüdung ausgelöst, die das Kauen und
Schlucken beeinträchtigen. Appetitlosigkeit und
reduzierte Nahrungsaufnahme könnten mit Magersucht (Anorexia nervosa) verwechselt werden, vor allem bei Mädchen in der beginnenden
Pubertät. Magersucht wird mit einem gestörten
Körperbild und selbst ausgelöstem Erbrechen,
progressivem Gewichtsverlust und häufigem
Missbrauch von Abführmitteln assoziiert. Bei
Gewichtsverlust ist es wichtig, frühzeitig zwischen diesen beiden Erkrankungen aJ unterscheiden. Das wichtigste Merkmal bei Magersucht ist eine phobische Abneigung gegen
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen""
Fatigatio e.V.
Essen, gekoppelt mit der Angst, dick zu werden.
Obwohl eine Gewichtsabnahme bei ME/CFSPatienten häufiger beobachtet wird, nehmen
manche Betroffene auch zu. Übergewicht kann
auf Grund von Essen als Trost, Mangel an
Bewegung oder Wassereinlagerungen zu Stande kommen.
Phobische Angstzustände, besonders Schulphobien, sind von Panikattacken und mit der
Meidung der am meisten gefürchteten Situation
begleitet. Symptome, die mit einer Schulphobie
zusammenhängen, lassen meistens an den
Wochenenden und während der Schulferien
nach. Dies trifft bei ME/CFS nicht zu. Die Symptome können sich am Wochenende verschlechtern und dauern während der Ferien än, weil die
Kinder dann häufig versuchen, die Aktivitäten
zu genießen, die sie besonders gerne irit der
Familie unternehmen und sich dabei verausgaben. Die Hauptgrunde dafür, dass Schüler mit
MHCFS ungern zur Schule gehen, liegen in
ihrer raschen Erschöpfbarkeit, den Muskelschmetzen und dem rapiden Nachlassen der
Konzentrationsfähigkeit bereits nach kuzer
Teilnahme am Unterricht.
Eine Somatisierungsstörung kann ME/CFS insofern ähneln, als dass der Patient zahlreiche
Symptome aufiryeist, die sich weder durch irgend
eine bekannte Erkrankung noch durch den
Missbrauch von Drogen oder Medikamenten
erklären lassen. Bei ME/CFS gibt es im Gegensatz zur Somatisierung keinen sekundären
Krankheitsgewinn. Bei der Einschätzung der
körperlichen Symptome von Kindern ist es wichtig zu berücksichtigen, dass ein Kind seinen Zustand häufig nicht beschreiben kann und möglicherweise auf Grund der Haltung anderer
unter Druck steht. In einigen wenigen Fällen
kann es schwierig sein, zwischen Somatisierung und ME/CFS zu unterscheiden, da evtl.
versteckte Stressoren vorhanden sein können.
Ein Kind kann möglicherweise nicht Witlens
oder nicht in der Lage sein, Gründe für seine
Angste zu nennen.
In einer Studie in den USA wurden Symptome,
Schweregrad, soziale Unterstützung und Umgang mit der Erkrankung bei 69 Jugendlichen
mit ME/CFS ausgewertet. Die Ergebnisse deuten weder darauf hin, dass ME/CFS primär eine
pSychische oder psychosomatische Erkrankung
ist, noch dass ein angepasster Lebensstil die
Schwere der Erkrankung verringern kann (Bell,
1996). Dass bei ME/CFS-Patienten unter 20
Seite
Jahren psychiatrische Erkrankungen zusätzlich
oder zeitgleich bestehen, ist bisher nicht festgestellt worden. Wahrscheinlich treten diese aber
mit gleicher Häufigkeit wie in der Allgemeinbevölkerung auf.
2.1.5 Untersuchungen
Medizinische Untersuchungen sollten die vorher
genannten Erkrankungen ausschließen und folgendes umfassen:
a) 24-Stunden-Messung der Temperatur, Puls
und Blutdruck (liegend und stehend),
b) Wachstums- und Gewichtskontrolle,
c) Urinmikroskopie und -kultur, wenn positiv,
d) volles Blutbild und ESR (ESR ist niedrig oder
normal),
e) quantitative lmmunglobuline (erhöhtes lgM
deutet auf einen aktiven Infekt),
f) C-reaktives Protein,
g) Virusstatus (innerhalb von 3 Monaten), ASOT
und Rachenabstrich,
h) Lebeffunktionstest, Harnstoff und Elektrolyte,
i) TSH, T3, T4 (Funktion der Schilddrüse),
j) wo es angebracht scheint, CT und/oder MRT
des Kopfes, SPECT oder PET 4,
k) Ultraschall der Weichteile im Bauchraum bei
ausgeprägten abdominalen Symptomen.
l) In einigen Fällen ist eine psychiatrische Konsultation notwendig, uffi eine Depression,
Magersucht oder andere psychiatrische
Erkrankungen festzustellen oder auszuschließen. Hier muss es eine Zusammenarbeit von Kinde rarzt und entsprechenden
Facheinrichtungen geben
Da die Diagnose von ME/CFS auf Grund klinischer Merkmale gestellt wird, ist von exzessiven
Untersuchungsmaßnahmen abzuraten, da vermutlich weder das Kind noch der Untersucher
davon profitieren werden. Eine sorgfältige und
langfristige Betreuung ist dagegen unerlässlich,
entweder um die Diagnose zu bestätigen oder
um einzelne Symptome zu prüfen für den Fall,
dass sich ein weiterer Krankheitsprozess anbahnt.
2.1
.6 Entstehung der Erkrankung
Über Entstehung und Ursache(n) von ME und
CFS besteht dezeit keine Klarheit. Verschiedene Studien sehen Viren als möglichen Auslöser
11
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen""
Fatigatio e.V.
an (Komaroff, 1996), aber einige Laborergeb-
besteht eine genetische Prädisposition angesichts der Tatsache, dass ME/CFS nicht selten
bei mehreren Mitgliedern der gleichen Familie
nisse deuten auf einen anhaltenden Infekt hin
(Gow, 1997). Klinisch gesehen gibt es Annlichkeiten zwischen dem Post-Polio-Syndrom und
ME/CFS (Bruno, 1996), die auf spezifische Infektionen durch Enteroviren hinweisen. Bei
manchen Patienten ist das zirkulierende Blutvolumen reduziert. Dies könnte die Ursache für
den niedrigen Blutdruck im Stehen (Schwindel
und Verwirrtsein im Stehen) sein, der häufig
auftritt (Sfreeten und Bell, 1997).
Es ist bekannt, dass sich der Kontakt mit niedrigen Dosen von chemischen Substanzen über
einen längeren Zeitraum schädlich auf das zentrale Nervensystem auswirkt. ME/CFS hat klinische Annlichkeit mit Erkrankungen, die durch
die Berührung mit Organophosphat (Behan,
1997) ausgelöst werden und mit dem GolfkriegSyndrom (Jamal, 1996). Aufsehen hat erregt,
dass möglicherweise eine Vergiftung mit Organophosphat als Auslöser von ME/CFS eine
Rolle bei einigen Kindern spielt, die mit einem
OP-haltigem Shampoo gegen Kopfläuse behan-
auftritt.
2.2. Neurokognitive und psychologische
Probleme
2.2.1 Auswirkung der Erkrankung auf das
Kind
delt wurden
Stress im weitesten Sinne unterstUtzt die Entstehung von ME/CFS" Stress ist wahrscheinlich
in den meisten Fällen ein Co-Faktor gerneinsam
mit anderen Auslösern wie Infekteh, lmpfungen
oder Kontakt mit chemischen Substanzen.
Bei dem Versuch, die vielen wissenschaftlichen
Erkenntnisse zusammenzuführen, hat Prof
John Dickenson (1997) auf die Auswirkungen
einer Schädigung des "Reticular Activating
System in the mid-brain and brain stem" (des
retikulären Aktivierungssystems im Hirn und
Hirnstamm) hingewiesen, die viele der bei
.
ME/CFS berichteten Symptome hervorruft"
Einige Wissenschaftler sehen vorab existierende
psychische Störungen, hauptsächlich Depressionen, als auslösenden Faktoren für ME/CFS
an (CoW, 1994), aber bisher gibt es keine Studien,
die diese Annahme bei Kindern rechtfertigen.
Kopelwitz und Klass (1993) berichten in ihrem
Buch über Depression in der Kindheit, dass fast
alle chronisch kranken Kinder sekundär zu der
ursprünglich organischen Erkrankung auf Dauer
depressive Züge entwickeln.
Die Erkrankung weist hinreichend Konsistenz
auf, um sie als Entität diagnostizieren zu können. Dennoch wird zunehmend deutlich, dass
sie durch eine Anzahl von unterschiedlichen
Faktoren ausgelöst werden kann. Möglicherweise
'
ME/CFS ist eine Erkrankung, die das zentrale
Nervensystem betrifft, und sie hat deshalb
erkennbare Auswirkungen auf die Funktion des
Gehirns. Kognitive Störungen sind Teil der
Erkrankung und rufen Konzentrationsschwäche,
Verluste im Kurzzeit- und Namensgedächtnis
und Verwirrung hervor. Es kommt hinzu, dass
viele Kinder mit ME/CFS zeitweilig unter Stimmungsschwankungen leiden (Depression€h,
Gereiztheit, Frustration und Wut). Diese können
sowohl Teil der Störung im Gehirn als auch
Auswirkungen der Erkrankung auf das tägliche
Leben sein. AIs chronische Erkrankung führt
ME/CFS häufig dazu, dass eine normale Kindheit oder Aktivitäten von Heranwachsenden
(Schule, Freundschaften, Unternehmungen in
Gruppen von Gleichaltrigen) nicht möglich sind.
Dies kann zur lsolation im Haus, zum Gefühl,
übergangen zu werden und manchmal zu Depressionen oder Verzweiflung führen.
Eine mögliche schwerwiegende Konsequenz
der Erkrankung ist, dass Jugendliche mit ME/CFS
emotional auf einer kindlichen Ebene verharren
und zu stark von einem Elternteil, meistens der
Mutter, abhängig werden. Viel häufiger lässt
sich jedoch beobachten, dass Kinder, die an
einer langwierigen und schweren Erkrankung
leiden, eine emotionale Reife entwickeln, die
ihrem Alter voraus ist. Diese Art von Reife kann
problematisch sein. Sie kann zu Schwierigkeiten
in der emotionalen Entwicklung von normalen
kindlichen und jugendlichen Stufen des Heranwachsens führel'I.
Mehr als Depressionen ist bei Kindern mit
ME/CFS Frustration besonders ausgeprägt. In
einigen Fällen entwickelt sich ein abnormales
Krankheitsverhalten oder ein totaler Rückzug.
Diese Auffälligkeiten im Verhalten kommen
auch bei anderen chronisohen Erkrankungen
vor und sind nicht nur bei ME/CFS-Kranken
oder Kinde rn anzutreffen.
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2.2.2 Auswirkungen der Erkrankung auf
Familie und Freunde
In den meisten Fällen einer chronischen Erkrankung ändert sich die Haltung des Patienten und
seiner Familie in Bezug auf die Erkrankung
mehrfach.
Zweifel über die Richtigkeit der Diagnose kann
bei manchen Familienmitgliedern aber meist
nicht bei den Müttern - vorhanden sein und führt
anfänglich zu Ablehnung, Wut, Depression und
letztendlich zur Akzeptanz. Die Einstellung eines Familienmitgliedes hat Auswirkungen auf
die Verhaltensweise des betroffenen Kindes.
Die Erkrankung verursacht weitreichende Störungen des normalen Familienlebens und führt bei
allen Familienmitgliedern zu Trauer, Depressionen und Verlust von Spontaneität. ME/CFS
hat einen sehr starken Einfluss auf die Familie.
Widersprüchliche Ratschläge von Arzten können die Eltern verwirren: Einerseits werden sie
ermutigt, das Kind als krank zu behandeln. Andererseits werden sie gedrängt, mit ihm so normal wie möglich umzugehen. Überbehütung in
der Familie sollte in Betracht gezogen werden,
wenn sich eine ausgeprägt feindselige Haltung
bei der Verhinderung medizinischer Eingriffe
bemerkbar macht, aber ein MünchhausenProxy-Syndrom ist äußerst selten und sollte
daher nicht gleich angenommen werden. Es ist
eine ganz normale Reaktion, dass sich Eltern
Sorgen um ihr Kind machen und alle möglichen
Wege, die zu einer sicheren Genesung führen
könnten, ausloten möchten.
Eltern von chronisch kranken Kindern werden
manchmal von Fachleuten aus dem Gesundheits- und Bildungsbereich als übermäßig
besorgt eingestuft, weil diese Fachleute nicht
verstehen oder akzeptieren können, welche tiefgreifenden Auswirkungen die Erkrankung auch
auf die Eltern hat. Die emotionalen Probleme,
die auf Grund von ME/CFS auftreten, werden
häufig durch Unwissen, Vorurteile oder widersprüchliche Meinungen von Fachleuten bzw.
Experten verschlimmert, die rnit dem Kind und
seiner Familie zu tun haben. Auch Mitglieder
des erweiterten Familienkreises, wie z.B. die
Großeltem die vielleicht altmodische Ansichten
zum Kranksein hegen - können die Reaktionen
der Eltern im Umgang mit der Erkrankung ihres
Kindes beeinflussen.
Die meisten Eltern haben große Schwierigkeiten, mit der Krankheit ihres Kindes umzugehen.
zum Beispiel sollte eine gute Balance von Ruhephasen und Aktivität gefunden werden, ein
Gleichgewicht zwischen einem gewissen Maß
an Selbständigkeit und Privatsphäre; gleichzeitig soll genügend Unterstützung geboten werden, ohne das Bedürfnis des Kindes nach
Selbstbestimmung zu beschneiden. Wenn es
dem Kind nicht besser geht oder sein Zustand
sich verschlimmert, fühlen sich die Eltern möglichenryeise schuldig oder suchen die Schuld bei
den Fachleuten, die eigentlich helfen sollen.
(Beides kann zutreffen.) Laufende medizinische
Unterstützung und eine gute Kommunikation
mit den behandelnden Arzten ist daher von
größter Bedeutung.
2.2.3 Auswirkungen auf die Geschwister
Untersuchungen haben gezeigt, dass die Geschwister von schwerkranken Kindern unter der
Situation leiden und teilweise selbst Störungen
entwickeln. Laut einer Studie (Sloper, 1996)
über Geschwister von krebskranken Kindern
zeigten sechs Monate nach Stellung der Diagnose 24o/o der Geschwister Anpassungsschwierigkeiten und Verhaltensstörungen. Beim
Interview gaben die Geschwister än, ärgerlich
darüber zu sein, dass sie weniger Beachtung
erhielten. Sie hatten aber gleichzeitig deswegen
Schuldgefühle. Viele erwähnten ihre Trauer um
den Verlust des normalen Familienlebens. Obwohl beide Erkrankungen unterschiedlich sind,
ist es wahrscheinlich, dass die Auswirkungen
bei Geschwistern von Kindern mit ME/CFS ähnlich sind.
2.3 Der Umgang mit der Erkrankung
2.3.1 Diag nosestel
I
u
ng
Der erste Schritt sollte die Diagnosestellung
sein, die auf dem Bild der Symptome über einen
angemessenen Zeitraum (2-3 Monate oder länger) beruht, wobei andere Erkrankungen, die
Erschöpfung und weitere Symptome hervorrufen , ausgeschlossen werden. Der Azt, der
die Diagnose stellt, sollte sich Zeit nehmeo, dem
Patienten und dessen Familie die Natur der
Erkrankung zu erklären. Er sollte erläutern, welche Bedeutung sie auf die zukünftige Entwicklung und Perspektiven des Kindes und welche
Auswirkungen sie auf die Familie haben könnte.
Wenn die Erkrankung durch einen Arzt erkannt
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wird, kann das eine gute Vertrauensbasis zwischen ihm, dem Patienten und der Familie
schaffeR. Diese ist für das weitere Krankheitsmanagement von großer Bedeutung. Wenn die
Diagnose nicht sicher ist, sollte eine zweite
Meinung von einem Kollegen eingeholt werden,
der über mehr Erfahrung oder besondere Fachkenntnisse verfügt.
Der Patient und seine Familie werden unter
Umständen finanzielle und soziale Unterstützung benötigen, die nicht immer einfach zu erhalten sind . (Siehe Kapitel 4, Soziale Aspekte.)
Wenn es möglich ist, sollten Kinder zu Hause
unter Aufsicht eines Kinderaztes behandelt
werden, der mit ME/CFS Erfahrung hat. t I
Zahlreiche Praxisbesuche und Termine in Krankenhäusern können viel Kraft kosten und emo-
tional belastend sein, besonders wenn
die
Ergebnisse solcher Konsultationen unbefriedigend
sind. Viele Familien empfinden eine laufende
Übenvachung des Krankheitsverlaufs durch den
Hausarzt als hilfreich, auch um neu auftretende
Symptome, die eventuell durch weitere Erkrankungen verursacht sind, richtig einordnen zu können.
Leider müssen wir feststellen, dass viele Hausärzte gegenwärtig nicht genügend Erfahrung
beim Erkennen, bei der Diagnosestellung und
der Behandlung von ME/CFS haben. Wir hoffen, dass diese Leitlinien dazu beitragen, Fachleute im Gesundheitswesen über ME/CFS im
Kindesalter zu informieren.
tI
Familien können die Überweisung ihres Kindes
an einen Kinderpsychiater als bedrohlich empfinden, obwohl in der Praxis bei Kindern mit ME/
CFS selten eine psychiatrische Störung festgestellt wird. Eine psychiatrische Beurteilung kann
zur Diagnosefindung gehör€h, um eventuellen
psychologischen Faktoren auf die Spu r zu kommen. Wenn Stress ein Grund für den Zustand
ist, muss das ebenso angesprochen werden
wie anhaltender emotionaler Druck auf das Kind
durch Familie oder Schule.
Familientherapeuten, die die Schwere und mögliche Auswirkungen der Erkrankung verstehen,
können Kinder und Familienangehörige dabei
unterstützen, mit den emotionalen Problemen
umzugehen, die beim Kind, bei den Eltern oder
Geschwistern im Laufe jeder langwierigen Erkrankung auftreten können (Koplewitz und
K/ass, 1993)
Wenn ein Kind mit ME/CFS zur Untersuchung
oder zur Behebung eines akuten Problems (2.8.
Ernährung mittels einer Sonde) in einem Krankenhaus behandelt werden muss, sollte der
Aufenthalt im ldealfall so kuz wie möglich sein
und in einer medizinischen Kinderabteilung
erfolgeo, wo Zugriff auf psychologische Unterstützung möglich ist, wenn sie benötigt wird. Für
einen Patienten mit ME/CFS kann der Aufenthalt auf einer typischen Krankenhausstation auf
Grund des Stresses in dieser Umgebung unerträglich sein (ständiger Lärm, grelle Beleuclrtung,
Storung der Routine). Hinzu kommt möglicherweise Unverständnis seitens des Pflegepersonals und der Arzte. Krankenhäuser eignen sich
nicht für erholsamen Schlaf!
2.3.2 Umgang mit den Energiereserven
Von größter Wichtigkeit ist, dass Kinder und
Jugendliche die Grenzen ihrer Belastbarkeit
kennen und dass sie lernen, Aktivitäten zu beenden, bevor sie erschöpft sind. Hiermit haben
schon Erwachsene Schwierigkeiten und für Kinder ist die richtige Einschätzung fast unmöglich.
lm ldealfall sollten das Kind und seine Familie
gemeinsam einen individuellen Tagesplan der
Aktivitäten aufstellen, nach dem das Kind im
Rahmen seiner Einschränkungen ohne Verschlimmerung der Symptome agieren kann und
nach dem Aktivitäten ohne Aufregung
und
Stress täglich wiederholt werden können. Diese
Planung kann sich in der Praxis besonders
dann als schwierig erweisen, wenn es sich um
kranke Teenager handelt, die möglicherweise
gegen aufgestellte Regeln oder Zeitpläne rebellieren. Da ME/CFS eine Erkrankung ist, bei der
die Belastbarkeit und die Symptome Schwankungen unterliegen, lässt sich wahrscheinlich
ein strenger Zeitplan nicht immer einhalten - besonders dann, wenn unvorhersehbare StressSituationen entstehen (2.8. ein Infekt oder eine
Familienkrise), die zu einer Verschlechterung
der Symptomatik oder zu einem Rückfall führen
können.
Belastu ngs-, Beweg u ngsprog ramme
("Exercises") und Rehabilitation
Bei der Überlegung, wie viel Aktivität angestrebt
werden soll, ist es für den jungen Patienten,
seine Eltern und den behandelnden Azt zunächst wichtig, festzustellen, ob sich das Kind
in einer akuten Phase der Erkrankung befindet,
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während derer vermehrte Aktivität kontraproduktiv ist, oder ob es sich in einer stabilen
Phase mit wenigen Symptomen befindet, in der
eine vorsichtige Steigerung der Aktivität angeregt werden sollte (Franklin, 1994).
Viele ME/CFS-Patienten agieren aber bereits
an der Grenze ihrer Belastbarkeit und eine Steigerung der Aktivität wäre in diesen Fällen unangebracht (Friedberg und Krupp, 1994). Klinische Untersuchungen deuten darauf hin, dass
Aktivität über die Belastbarkeitsgrenze hinaus
genau so schädlich sein kann wie absolute
Bettruhe. Dies ist in neueren Studien durch einen Bewegungsphysiologen an der University
of Pacific, USA (Sfevens, 1995) und von Dr.
Charles Lapp bestätigt worden (Lapp, 1997).
Hinweise auf einen Defekt im Stoffintechsel der
Muskulatur einiger ME/CFS-Patienten, (Lahe,
1995, Behan WMH, 1998) könnten erklären,
weshalb übertriebene Rehabilitationsprogramme unter Einsatz abgestufter Aerobic-Übungen
bei einigen Kindern versagen und häufig zur
Verschlechterung der Lage führen.
Absolute Bettruhe ist, außer für eine kuze Zett
während der akuten Phase, schädlich und führt
zur niedrigem Blutdruck und zum Abbau von
Muskelkraft. Die meisten jungen Patienten mit
ME/CFS halten jedoch den Muskeltonus aufrecht und stehen auch während eines Rückfalls
auf, z.B. um auf die Toilette zu gehen. Die angeführten Komplikationen können während einer
akuten Phase mittels vorsichtiger passiver Physiotherapie vermi ndert werden.
Sorgfältige Einteilung der Aktivität kann die
Energie des Kindes so weit als möglich vergrößern und die tägliche Funktionsfähigkeit verbessern, auch durch den Wechsel von Aktivität und
Ruhe sowie durch den Wechsel von physischer
und mentaler Aktivität (Westcare: Task Force
Report, section 14, pp 66-69). Das Ziel ist eine
allmähliche Steigerung der gesamten Aktivitätstoleranz des Kindes.
Kog
n
itive Verhaltenstherapie
Kognitive Verhaltenstherapie ist als eine Möglichkeit zur Verbesserung der funktionellen Aktivität bei Erwachsenen mit ME/CFS befürwortet
worden (Sharpe, 1996). lhre Wirkung auf Kinder ist aber bisher nicht untersucht. Ein Team
des St. Bartholemew's Hospital in London hat
vor kurzem über die Pilotstudie eines multidisziplinären Rehabilitationsprogramms berichtet,
das für stark eingeschränkte Erwachsene mit
ME/CFS unter Einsatz von kognitiver Verhaltenstherapie und stufenweise gesteigerter Aktivität entwickelt wurde (Essa ffiG, 1998). Keiner
der Patienten wurde geheilt, aber die meisten
Teilnehmer konnten ihre Punktzahl auf der
Karnofsky-Skala durch diesen biopsychosozialen Ansatz verbessern. Es könnte schwieriger sein, diese Methode bei Kindern anzuwenden,
obwohl die Probleme mit Schlafstörungen, allgemeiner Schwäche und Gewichtsverlust damit
wahrscheinlich angesprochen werden würden.
Ein Schlüsselmerkmal dieser Studie war die
sorgfältige Planung, die gemeinsam mit den
Familienmitgliedern vor der Entlassung aus
dem Krankenhaus stattfand.
Physiotherapie
In Fällen von Bettlägerigkeit kann eine vorsich-
tige Physiotherapie dafür eingesetzt
werden,
um Muskeltonus und Mobilität der Gelenke zu
erhalten. Die Eltern können sich von einem
Physiotherapeuten, der sich mit der Erkrankung
auskennt, unterweisen lassen. Manchmal treten
bei schwerkranken Patienten, die unter unkontrollierbaren Muskelspasmen leiden, Muskelversteifungen auf. Die betroffenen Glieder müssen
dann in bestimmten Fällen geschient werden.
Mit dem Kind abgesprochene Steigerungen der
Aktivität sind in wöchentlichen oder 14-tägigen
Intervallen empfehlenswert. Strenge physiotherapeutische Trainingsprogramme, die das
kranke Kind überfordern, sind potenziell körperlich schädigend und effirotional abträglich.
Schulbesuch
(Srehe auch Kapitel
Ausbildrrng, S. 20 ff.)
3, Aspekte in Schule und
Erfahrungen aus der klinischen Praxis bestätigen, dass geistige Aktivität ebenfalls Energie
verbraucht (DeLucä,l995; Smith, 1996), sodass
eine umgehende Rückkehr in die Schule nicht
unterstützt werden sollte (Colby, 1996), obwohl
die meisten Kinder sobald als möglich in die
Gemeinschaft ihrer Mitschüler zurückkehren
woffen. Wenn sie dazu in der Verfassung sind,
empfinden sie dieses als eine positive, motivierende Erfahrung. Aber wenn sie gedrängt werden,
zu fr'üh wieder in die Schule zu gehen, kann
das negative Auswirkungen haben. fsieh e auch
Fallgeschichte 2, S. 32 f.). Die Rückkehr in die
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Schule sollte schrittweise erfolgen und gemeinsam mit den Verantwortlichen an der Schule
geplant werden.
Die Erfahrungen von amerikanischen Kinderärzten (Bell, 1996) legen nahe, dass ein Schulkind, bevor es wieder in die Schule gehen kann,
in der Lage sein sollte, sich mit Freunden bis zu
drei Stunden an einem öffentlichen Ort (2.8.
einem Einkaufszentrum) aufzuhalten, ohne
dass in den folgenden 12 bis 24 Stunden eine
Versch lechterung eintritt.
Soziale Aktivität
Ein Hauptcharakteristikum von MEICFS ist die
Erschöpfung durch soziale Interaktion, sei es
durch Zuhören oder Reden mit rnehr als einer
Person oder am Telefon. Dies hat besonders
für junge Menschen weitreichende Konsequenzen, unabhängig davon, wie gern sie rnit ihren
Freunden zusammen wären. Freundschaften
mit Gleichaltrigen können aber dennoch durch
Selbsthilfegruppen für junge ME/CFS-Patienten
entstehen. (St'ehe auch den Abschnitt mit Adressen von Se/östhilfeorganisationen, S. 40 ff.).)
2.3.4 Ernährung und Diät
Tage zu einer deutlichen Verbesserung führen.
In Anbetracht der Beteiligung des lmmunsystems (Tirelli, 1996) ist es nicht erstaunlich,
dass sich bei ME/CFS häufig die Entwicklung
von Magen- und Verdauungsproblemen sowie
Nahrungsmittelunverträglichkeiten beobachten
lassen.
Die häufigsten Nahrungsmittel, bei denen ein
Test durch Elimination und Meiden zu empfehlen ist, sind Milch und Milchprodukte, Weizen,
Zucker, Zitrusfrüchte und Schokolade
(Hadisayass iliou, 1 996).
Kinder, die schwer unter Appetitlosigkeit - keine
Magersucht! - und ÜOelt<eit leiden, können unterernährt oder nicht in der Lage sein, ihr Gewicht
zu halten. Übelkeit ist ein sehr häufiges Symptom bei ME/CFS (Komaroff, 1995).
Unzureichende Nahrungsaufnahme kann auch
das Ergebnis einer Schwäche der Kau- und
Schluckmuskeln sein. Flüssige Nahrung oder
auch Ernährung mittels eine Sonde kann Kindern
durch eine schwere Krankheitsphase helfen,
wenn sie vom Kind vertragen werden. Eine Infusion mit flüssiger oder Sondennahrung kann bei
dem Kind mit angemessener Uberwachung von
einer Krankenschwester oder einer Diätassistentin zu Hause angelegt werden.
Eine vernünftige, ausgewogene Kost aus hauptsächlich frischer Nahrung ist für die meisten
jungen Patienten empfehlenswert. Es ist wichtig, dass Kinder mit ME/CFS genug Kalorien
und Eiweiß für ihr Wachstum bekommen und
dass bei geringem Appetit die Mahlzeiten
appetitanregend und leicht zu schlucken sind.
Die Kost sollte komplexe Kohlenhydrate enthalten, uffi Hunger und Ohnmacht zu verhindern,
die bei ME/CFS durch Dysfunktion des vegetativen Nervensystems ("autonomic dysfunction")
häufig auftreten. Mehrere kleine Mahlzeiten
sind für ein krankes Kind mit wenig Appetit eher
verträglich.
Es gibt keine heilende medikamentöse Behand,
lung, aber bestimmte Medikamente können bei
einigen Symptomen helfen. Es ist allgemein anerkannt, dass - wenn bestehend - die BehandIung von Schlafstörungen, von Depressionen
oder Schmezen die Lebensqualität verbessern.
ME/CFS-Patienten jeden Alters reagieren gewöhnlich äußerst sensibel auf psychoaktive
Medikamente. Besonders bei Kindern ist größte
Vorsicht in Bezug auf die Dosierung geboten.
Spezielle Eliminationsdiäten auf Grund von
Nahrungsmittelallergien oder Intoleranzen sind
mer können versucht werden. Schwere Migräne
bei den meisten Kindern nicht nötig, obwohl ein
Teil vor dem Ausbruch der Krankheit Erfahrungen mit ernährungsbedingter Migräne gemacht
haben kann. Falls deutliche Symptome auftreten, die auf Nahrungsmittelintoleranzen hinweisen zum Beispiel Migräne, Gelenkschmerzen
oder gastrointestinale Symptome - kann eine
diätetisch überwachte Eliminationsdiät mit einigen unbedenklichen Nahrungsmitteln über 7-10
2.3.5 Med i kamentöse Behandlung
Analgetika: Einfache Schrnerzmittel wie Paracetamol und nicht steroide Entzündungshem-
kann durch bestimmte Medikamente
z.B.
Migralave oder lmigran - gelindert werden, aber
nur bei Jugendlichen über 14 Jahren.
Diamox (Acetazolamid): Es kann bei schwer
zu bekämpfenden Kopfschmerzen, die mit niedrigem Blutdruck zusamrnenhängen können, hilfreich sein (Sfreeten und Bell, 1998).
Muskelrelaxantien: Von einigen Erwachsenen
ist berichtet worden, dass oral eingenommenes
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Magnesium gegen Muskelverkrampfungen und
Schlaflosigkeit helfen soll. Obwohl intramuskulär angewandtes Magnesium in einer früheren
Studie befürwortet wurde, wird es heute nicht
mehr als geeignet angesehen und ist zudem in
der Anwendung sehr schmerzhaft.
Die gelegentliche Gabe von Diazepam (Valium)
kann bei schweren Muskelverkrampfungen versucht werden, kann aber süchtig machen.
Antidepressiva: Sie können bei Schlafstörungen
und/oder Depressionen notwenig sein, heilen
aber nicht die zu Grunde liegende Krankheit.
Serotoninwiederaufnahmehem mer (2.8. Fluoxetin/Prozac)) werden für Kinder nicht empfohlen
und eine Doppelblindstudie über Fluoxetin bei
Enruachsenen mit ME/CFS zeigt keine Überlegenheit gegenüber einem Placebo (Vercgulen,
1995). Dennoch gibt es Berichte, dass trizyklische Antidepressiva (2.B. Amitriptylin, Doxepin) - in niedriger Dosierung verordnet und
beginnend mit 10 mg zur Nacht helfen können, Schlafstörungen zu behandeln und Angst,
Unruhe und Schmerzen zu reduzieren. AIs
alternatives Mittel ebenso effektiv wie Amitriptylin hat sich Hypericum (Johanniskraut) bei
leichteren Schlafstörungen und depressiven
Symptomen bewährt (Linde 1996).
Schlafmittel: Temazepan kann in einer geringen Dosis gelegentlich angewendet werden, ist
aber für Kinder nicht empfehlenswert und die
Medikamentengruppe der Benzo diazepine
macht süchtig. Bei hartnäckig bestehenden
Schlafstörungen mit häufigem Aufiruachen und
Albträumen scheinen niedrige Dosierungen von
tricyclischen Antidepressiva die beste Option zt)
sein.
Auch Melatonin soll entscheidend sein, um den
Tagesrhythmus des Körpers aufrechtzuerhalten
und den Nachtschlaf zu fordern, €s gibt jedoch
keine Informationen über die Wirkungen bei
Kindern (Soutzos, 1998). Melatonin ist im
Moment weder in Großbritannien noch in
Deutschland auf Rezept erhältlich.
2.3.6 lmpfungen
Erfahrungsberichte haben gezeigt, dass lmpfungen bei ME/CFS zu einem Rückfall führen
können.
Wie bei jeder Krankheit sollen nicht dringend
erforderliche lmpfungen vermieden werden, bis
es dem Kind wieder gut geht.
2.3.7 Umgang mit psychologischen
Problemen
Die psychologischen Auswirkungen einer Erkrankung müssen beim Umgang mit ME/CFS
berücksichtigt werden. Eine der schlimmsten
Belastungen für das Kind wird das Gefühl
sein, keine Kontrolle über das zu haben, was
passiert. Andere Probleme ergeben sich aus
der Notwendigkeit, mit den Vorurteilen anderer
umgehen zu müssen, die die Krankheit missverstehen und verharmlosen. Dieses kann zu
einem noch weiter gehenden Rückzug aus der
Gesellschaft führen, um den Schmerz und die
Kränkung durch unsensible oder verletzende
Kom menta re zu vermeiden.
Aus der Übersicht der Forschung zu psychologischen Problemen bei Kindern, die krank oder
behindert sind, kommt Prosser (1992) zu dem
Schluss, dass die Möglichkeit, ein bestimmtes
Maß an Kontrolle über das eigene Leben zu haben, wesentlich für Selbstachtung und optimale
psychologische Entwicklung ist. Wie von Higgins und Srner (1996) beschrieben, würde eine
gute psychologische Betreuung die Wiedererlangung der verlorenen Kontrolle einschließen.
Das General Medical Council (GMC) empfiehlt
Azten zu respektieren, dass die Rechte der Patienten bei Entscheidungen über ihre Pflege
vollständig berücksichtigt werden müssen. Artikel 12 der UN-Konvention für die Rechte des
Kindes (1991) unterstreicht, dass Kinder und
Jugendliche berechtigt sind, in Entscheidungen
über ihre Belange mit einbezogen zu werden.
Die Vieldeutigkeit der Diagnose ME/CFS kommt
zu den Schwierigkeiten hinzu, die das Kind
rnöglicherweise in der Familie erlebt. In einigen
Fällen war Familientherapie in Verbindung mit
dem bestehenden Kontakt zum Hausarzt nützfich, uffi dem Kind zu helfen und die Eltern in
die Lage zu versetzen, sich als Entscheidungsträger kompetenter zu fühlen. Eine gute psychologische Betreuung wird die Wichtigkeit der
Erhaltung einer gesunden Selbstachtung nicht
unterschätzen. Bei allen Versuchen, Jugendliche einer kognitiven Verhaltenstherapie zu
unteziehen, sollte dies Priorität besitzen.
Viele junge Menschen mit ME/CFS befinden
sich in der Pubertät. In dieser Entwicklungsphase ist persönliches Aussehen und Auftreten
sowie Verbundenheit mit Gleichaltrigen in
Gruppen sehr wichtig. Nicht in der Lage zu sein,
an den gleichen Aktivitäten wie die Freunde
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Fatigatio e.V.
teilzunehmen und auch wenig Kontakt zu ihnen
zu haben, kann das Gefühl von Einsamkeit
erzeugen. Einige schwer betroffene Kinder
haben über Monate oder Jahre keinen sozialen
Kontakt zu Gleichaltrigen. Selbsthilfegruppen
können dabei helfen, Kontakte zu anderen über
Briefe, Telefon oder E-Mail aufzunehmen.
(Siehe auch den Abschnitt mit Adressen von
Se/bs th i lfe o rg a n i sati o n e n )
Eine häufige Ursache von negativem Stress ist
das Unvermögen, die Schule in vollem Umfang
zu besuchen sowie der daraus entstehende
Mangel an Bildung. Für Lehrer ist es hilfreich,
mit den Verantwortlichen an der Schule zusammenzuarbeiten und sie über ME/CFS zu informieren, um mit den Unwägbarkeiten von ME/CFS
bei einem einzelnen Kind umgehen zu können.
(Siehe auch Kapitel 3, Aspekte von Schule und
Ausbildung S. 20 ff., Literaturliste; S. 37 f.0
Wir sind uns der Sichtweise einiger Kinder- und
Jugendpsychiater bewusst, die sich fast ausschließlich auf mögliche psychologische Ursachen für ME/CFS konzentrieren. Es ist richtig,
die psychischen Reaktionen eines jungen Menschen auf die Krankheit zu berücksichtigen,
aber dennoch sollten diese nicht isoliert von den
körperlichen Merkmalen der Krankheit betrachtet werden.
Die Anwendung von kognitiver Verhaltenstherapie kann zum Beispiel nützlich sein, um das
Kind in die Lage zu versetzen, Gefühle von Hilflosigkeit, mangelnder Kontrolle oder Wertlosigkeit zu überdenken.
Aber kognitive Verhaltenstherapie ist nicht hilfreich, wenn versucht wird, die Kinder dazu zt)
bringen, ohne Berücksichtigung der körperlichen Seite ihrer Erkrankung über sich nachzudenken. Eine strenge Verordnung von gestaffelter
körperlicher Bewegung und einer Therapie auf
psychiatrischen Stationen, die auf schnelle Erfolge ausgerichtet ist, ist deshalb oft kontraproduktiv.
.
2.4 Epidemiologie
2.4.1 Ausbrüche von nfiE/CFS
Seit 1934 sind viele ME/CFS-Ausbrüche dokumentiert worden. In dreizehn dieser Berichte
sind Kinder konkret erwähnt, und einer widmet
sich ganz dieser Altersgruppe (Bell, 1992,
"Chifdren with ME/CFS; an overview of literature"). Die meisten Berichte über Ausbrüche
von ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen
finden die höchste Verbreitung während der
Pubertät. Sieben erwähnen die Gefahr von
Rückfällen bei der Krankheit und die Tendenz
zur Chronifizierung. Drei dokumentierte Ausbrüche zeigen mehr Erkrankte beim weiblichen
Geschlecht, Beginn im Sommer/Herbst und
übermäßige Häufung von Fällen in Schulen
oder Familien.
Ein ME/CFS-Ausbruch in Island 1947 -48 wurde
von Srgurdsson (1 950) unter der Beschreibung
"A disease epidemic simulating poliomyelitis"
dokumentiert. Damals gab es über 400 Fälle;
das Zentrum des Ausbruchs lag in der Highschool in Akureyri, wo auch Lehrer betroffen
waren. In der Altersgruppe zwischen 15 und 19
Jahren war die Häufigkeit am größten; das Verhältnis von weiblichen zu männlichen Patienten
lag bei 3:1 . Von den Betroffenen, die jetzt noch
leben, leiden die meisten auch heute noch unter
Einschränkungen (Hyde, 7988). Bei einer Epidemie in Lancashire waren hauptsächlich Kin*
der Leidtragende der Krankheit, die sich in
Schulen und Familien häufte. Dabei wurde der
Enterovirus Echo 9 gefunden. 1959 überprüfte
Acheson 15 Ausbrüche weltweit mit besonderer
Aufmerksamkeit für den Beginn von ME/CFS im
späten Kindesalter und deren Chronifizierung.
2.4.2 Schulen
Die größte epidemiologische Studie über ME/CFS
bei Kindem und Jugendlichen ist die von Dowsett
und Colby (1 997). lhre Erkenntnisse spiegeln
die von früheren Studien wieder.
Die Schulstatistiken über Langzeitabwesenheit
wegen Krankheit wurden über eine Zeitspanne
von 5 Jahren in der Zeit von 1991 bis 1995
geführt. Seit es 1991 die Bestimmungen zur
Anwesenheit in der Schule obligatorisch machten, die Abwesenheit von der Schule als berechtigt oder nicht berechtigt zu kategorisieren,
bestand für die Direktoren die Pflicht zu prüfen,
ob die Langzeitabwesenheit wegen Krankheit
begründet war. Die daraus resultierende
(vertrauliche) Dokumentation aus Arztbriefen
und ärztlichen Bescheinigungen zeigte eine
große Bandbreite von Ergebnissen, gekoppelt
an die geographische Lage der sechs Gebiete,
die in dieser Studie untersucht wurden.
51o/o der Fälle von Langzeitabwesenheit wegen
Krankheit (bei 333 A24 Schülern) wurden als
ME/CFS identifiziert, obwohl die Kriterien für die
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen""
Fatigatio e.V.
Diagnose nicht in jedem Fall spezifiziert wurden. Die nächst größere Gruppe Krebs und
Leukämie
- umfasste
23o/o.
Die Diagnose war deutlich in Verbindung zt)
bringen mit Häufungen von Fällen, unterschiedlicher Prevalenz in geographischen Regionen,
einer deutlichen Erhöhung des weiblichen Anteils nach der Pubertät und anhaltenden
Schwierigkeiten bei den Möglichkeiten von
Schule und Ausbildung. Schätzungsweise 70
Jugendliche von 100.000 Personen Q,A7%)
erkrankten an ME/CFS, mit dem höchsten Vorkommen bei 1s-jährigen. (Die Erkrankungsrate
im Lehrerkollegium lag mit 0.5o/o erheblich über
dem Bevölkerungsdurchschnitt. )
Ein Beweis für die Effektivität eines differenzierten Unterrichtsmodus für Kinder mit ME/CFS
war die Tatsache, dass Schüler seltener ganz
aus der Schule genommen werden musster,
wenn in verstärktem Ausmaß Unterricht ztJ
Hause mit einem angepassten Stundenplan
anboten wurde.
In einer Studie in zwei Londoner Stadtteilen
darunter eine, deren Schulbehörde auch an der
Erhebung von Dowsett und Colby beteiligt war fand Dr. M. L. Anomand (1997) das gleiche
Gesamtvorkommen (0,07o/o) in Merton und Sutton zusammen. Bei gleicher Bevölkerungszahl
war die Verbreitung in diesen zwei benachbarten Stadtteilen jedoch sehr unterschiedlich, was
auf eine Häufung von ME/CFS-Fällen schließen
2.5 Prognose
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen nicht ge-
nug Erkenntnisse vor, um zur Prognose
eine
definitive Aussage machen zu können. Mehrere
Autoren haben Follow-up-Studien zu Patienten
mit ME/CFS im Kindesalter veröffentlicht. Date
und Strauss (7 992) nehmen äh, dass junge Patienten mit ME/CFS innerhalb der ersten 1 oder
2 Jahre eine hohe Wahrscheinlichkeit haben,
gesund zu werden, während die Chancen nach
längerer Krankheitsphase geringer werden.
1985 gab es in Lyndonville im Staat New York
einen Ausbruch, über den Dr. David Bell
schreibt: "104 Patienten wurden identifiziert, die
rückblickend die ME/CFS-Kriterien erfüllten . 44
Patienten waren unter 18 Jahren. Alle wurden
über mindestens 2 Jahre weiter beobachtet,
und in diesem Zeitraum waren nur vier Kinder
komplett genesen." (Bell, 1992). Bei einer Konferenz 1998 präsentierte David Bell Erkenntnisse einer Follow-up-Studie, die zeigte, dass nach
15 Jahren 2Ao/o der Patienten nicht gesundet
waren.
In den USA ermittelte Feder (1994) nach 5 Jah-
ren eine Genesungsrate von 90o/o, wobei die
meisten sich in den ersten 2 Jahren erholt hatten. Es handelte sich um eine ausgewählte
Gruppe von leicht bis mäßig kranken Kindern
eines Bezirkes, wobei stärker beeinträchtigte
Kinder nicht eingeschlossen waren.
lässt.
"Alle Follow-up-Sf udien berichten von einer
Eine Studie in San Francisco, deren Aussagen
auf zufällig ausgewählten Telefonbefragungen
Verbesseru ng oder Genesung in über 50% aller
Fälle. ln der Tat ist auffällig, dass einige Kin-
basieren, ergab (Sfee/e, 1996) 2 Fälle von
1.000 Personen bei einer Gesamtzahl von
17.000 Befragten, deren selbst berichtete Symp-
tome den Fukuda-Kriterien für CFS entsprachen. Unerklärliche chronische Müdigkeit war
bei Befragten unter 18 Jahren extrem selten.
Unter 11 Jahren wurde kein Fall gefunden, aber
das könnte durch die strikte Anwendung der
Kriterien bedingt sein. Das Vorkommen bei
Jugendlichen war folglich geringer als in der
Erwachsenengruppe. Eine weitere Analyse dieser Daten lässt den Rückschluss auf weniger
als 0,2o/o oder 2 von 1.000 Betroffenen bei den
Erwachsenen zu, vermutlich die Hälfte dieser
Anzahl bei den Jugendlichen. (Anmerkung der
Übersetzer: lnzwischen sind in den USA weitere
Studien zur Prävalenz von CFS abgesch/ossen
worden. lnformationen dazu auf der Homepage
der CDC unter http://www.cdc.gov/ncidod/
drseaseVcfs/i ndex. htm )
jeder Gruppe massiy erschöpft und behindert bleiben. Möglicherwerse repräsentieren die
Kinder, die nicht geneseft, eine Untergruppe
von Kindern mit CFS (ME). Sie leiden eventuell
unter einer schwereren Erkrankungsform oder
unterscheiden sich durch andere wichtige
(körperliche) Eigenschaften. Bell (1995) berichtete, dass drese Gruppe mit anhaltenden Beeinträchtigungen von Beginn an unter heftigeren
Symptomen litt, die zu gravierenden Einschränkungen der Aktivität führte. Zudem neigen die
Patienten vermehft zu schweren neurologischen Symptomen wie Muskelzuckungen,
Mrsse mpfindungen und Taubherfsgefühl sowie
anfallsartigen Episoden." (Jordan et al., 1998)
Auf Grund klinischer Erfahrungen wird davon
ausgegangen, dass jüngere Kinder eher vollständig genesen als Erwachsene. Es zeigt
sich aber auch, dass kleine Kinder mit schleichendem Beginn der Erkrankung mit einem
de,r
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen""
Fatigatio e.V.
langwierigeren Heilungsprozess rechnen müssen. Charakteristisch für ME/CFS sind Schwankungen in Bezug auf vorhandene Energie und
Symptome, die mit wochen- oder monatelanger
(vorübergehender) Besserung und anschließenden Rückschlägen einhergehen. Diese sind für
gewöhnlich die Folge von Stress oder Überanstrengung. Scheinbar geheilte Kinder sollten
vorgestellt wurde, kommt zu dem Schluss, dass
es keine klaren Messergebnisse gibt, die den
Verlauf der Krankheit im Einzelnen voraussagen können (Bell, 1996).
daher ungefähr ein Jahr lang vorsichtig mit
sportlichen Aktivitäten umgehen. Sehr schwer
messen, anschließend in S-Minuten-Abständen im Stehen.
erkrankte Kinder benötigen wohl eine lange Zeit
zur Regeneration (t 7 Jahre), aber diese Einschätzung ist in Anbetracht der fehlenden verfässlichen Vergleichszahlen nicht gesichert.
"Genesung" bedeutet, die Fähigkeit wieder zt)
erlangen, einen im Vergleich zur erwachsenen
" N orm a bevö| ke ru n g " akzepta blen Lebe n ssti I zu
führen. Die Genesung ist in verschiedenen Abstufungen möglich: Von der Rückkehr auf ein
tolerierbares Energieniveau bei entsprechender
Lebensweise bis hin zur vollständigen Heilung
mit einem Potenzial an Aktivität, das dem vor
I
t
Wird durch Aufueichnung des Blutdrucks im Liegen ge-
Bei einem Gesunden bleiben Blutdruck und Puls
im
Stehen zumindest 1 Stunde unverändert.
2
Diese neurokognitiven Störungen können akute Besorg-
nis bei Jugendlichen auslösen, die schnell wieder am
Unterricht teilnehmen wollen. Sie müssen feststellen, dass
ihre Funktionen nicht normal sind. Es ist nicht sinnvoll, ein
Kind ohne vorherige Leistungsbeurteilung wieder zur
Schule zu schicken. Deluca und Kollegen (DeLuca, 1997)
bestätigen, dass diese kognitive Störung Teil der Erkrankung und keine psychiatrische Begleiterscheinung ist.
3
Kinder mit CFS haben aufgrund ihrer schnellen mentalen
Erschöpfbarkeit sehr große Schwierigkeiten mit der Aufnahmefähigkeit; das betrifft Verstehen, Sehen, Hören oder
auch Nahrungsaufnahme.
oUntersuchungen wie SPECT (Single-Photon-Emission-
Möglichenrueise
haben viele Menschen, die sich als "geheilt" be-
Computertomographie) und PET (Positronenemissionscomputertomographie) sind potentiell hilfreiche Verfahren
bei der Diagnose.
zeichnen, sich de facto an ein niedrigeres
Energieniveau und Anderungen im Lebensstil
angepasst. Welche Lebensqualität erreicht
worden wäre, wenn die Person gesund geblie-
Mit ihrer Hilfe kann man zwischen ME/CFS-Kranken,
depressiven Patienten und gesunden Individuen unterscheiden, indem verschiedenartige Durchblutungsmuster
der Hirnrinde, des Hirnstammes und der Basalganglia in
Entsprechung a) den funktionsgestörten Gehirnregionen
der
Erkrankung entspricht.
aufgezeigt werden (Schwartz, 1994; Cosfa, 1995). Jedoch
ben wäre, lässt sich nachträglich nicht sagen.
Mit individuellen Prognosen sind wir sehr zurückhaltend. David Bells Studie, die in San Francisco
wären diese Tests technisch bei kleinen Kindern nicht
leicht durchzuführen und zum gegenwärtigen Zeitpunkt
werden sie nur für die Forschung verwendet.
3. Aspekte zu Schule und Ausbildung
3.1 Einführung
Seit 1994 sind in Großbritannien (gemäß Abschnitt 298 des "Education Act") alle lokalen
Schulbehörden angehalten, bestmög liche
Bildungschancen auch dann zu bieten, wenn
Schüler aus gesundheitlichen Gründen die
Schule nicht besuchen können. Dieses kann
durch häuslichen Unterricht, Krankenhausschulen oder andere Elnrichtungen oder durch Zusammenarbeit mehrerer Einrichtungen geschehen. Zusätzlich "müssen die Schulen größtmögliche Vorsorge für Schüler mit speziellen Bedürfnissen treffen." ( Education Act 1993, Code
af Practice)
ME/CFS wird oft zu einer anhaltenden, chronischen Erkrankung, die häufiger als andere
Leiden mit lang dauerndem Fernbleiben von der
Schule verbunden ist (Dowsett und Colby,
1 ee7).
Wenn die Rückkehr in den Unterricht zu früh
oder nicht Schritt für Schritt erfolgt, kann es zu
schweren Rückfällen kommen. Dies besonders,
wenn zusätzlich hohe Anforderungen an das
sportliche Leistungsvermögen (auch
in
Bezug auf Prüfungen) gestellt werden. Kognitive Probleme verschlimmern sich durch körperliche und geistige Überanstrengung (Bell, 1995;
DeLucä, 1997).
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Fatigatio e.V.
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
der Lage, ein paar Geldstücke zusammen zu
zählen, obwohl er den wert der einzelnen Mün-
Aufgrund dieser Faktoren gehört ME/CFS in die
Gruppe der gesundheitlichen Beeinträchtigungen
mit speziellen Anforderungen an Erziehung und
Ausbildung.
zen benennen kann. Schüler können einfache
mathematische Kurven und Tabellen nicht mehr
verstehen, obgleich sie wissen, was jede Figur
tI
separat darstellt.
3.2 Bildungsziele
3.3.3 Kognitive Erschöpfung
Schulische Bildung lässt sich vereinfacht definieren als
a) Erwerb von Wissen und Fähigkeiten,
b) Hilfe zum eigenständigen Lernen,
c) Entwicklung einer individuellen Persönlichkeit und Leistungsfähigkeit als Mitglied der
Gesellschaft.
Schulische Bildung für Kinder und Jugendliche
mit ME/CFS muss auf ihre besonderen Bedürfnisse zugeschnitten sein, um diese Aufgaben
zu erfüllen.
3.3 Auswirkungen von ME/CFS auf die
kognitiven Funktionen
3.3.1 Sprache: Hören, Sprechen, Verstehen
Die Sprachfähigkeit bei ME/CFS-Kranken kann
sehr stark beeinträchtigt sein. Der Schüler leidet
möglicherweise unter Wortfindungsstörungen
und ist nicht in der Lage, einfache Worte zu wiederholen oder geschriebene worte zu erfassen.
Beim Sprechen kann es zu Lallen , zu Verwechslung in der Abfolge von Worten und zur
Aussprache von anderen als den beabsichtigen
Worten kommen.
Das Kind folgt möglicherweise den Ausführungen des Lehrers, indem es jedes gesprochene
wort einzeln wahrnimmt, ohne den Gesamtzusammenhang erfassen zu können, so als ob
der Lehrer in einer fremden Sprache spricht.
Für ME/CFS-kranke Schüler kann Sprechen
schwierig und sehr erschöpfend sein. Der Schüler kann Worte vergessen oder er redet leise
und langsam, weil es körperlich kraftraubend
ist, lauter zu sprechen. Dies kann fälschlich als
depressives Verhalten interpretiert werden.
Kognitive Erschöpfung bedeutet die Unfähigkeit, sich über einen normalen Zeitraum zu
konzentrieren. Die Fähigkeit des Schülers, sich
auf eine geistige Aufgabe zu fokussieren, ist
derart eingeschränkt, dass Schwierigkeiten auftreten, den Stundenplan einzuhalten und für
Prüfungen zu lernen. Mit Anstrengungen fortzufahren, auch wenn die Erschöpfung eingesetzt
hat, verschlimmert üblicherweise die Symptome
erheblich. Das Gehirn ist nicht in der Lage weitezumachen. Falls das Kind sich bemüht, seine
geistige Arbeit fortzusetzen, verschlimmert sich
sein körperlicher Zustand an einem der folgenden Tage. wenn diese kognitiven Defizite nicht
hinreichend berücksichtigt werden, tragen Lehrer
möglicherweise unabsichtlich zum Schulstress
des Kindes bei, indem sie ihm Faulheit oder
Unaufmerksam keit unterstellen.
3.4 Auswirkungen von ME/CFS auf die
körperl iche Leistu ngsfäh ig keit
Bewegung verlangt dem ME/CFS-kranken Kind
größte Anstrengungen ab. Es ist bekannt, das
sportliche Überaktivität zu Rückfällen führen
kann (Lapp, 7 997; Bell, 1995). Es besteht die
begründete Annahme, dass der körperliche Einsatz, der im Schulsport verlangt wird, schädlich
sein kann und zur Verschlimmerung der Krankheit beiträ gt (Vereker 1992).
Aufrechtes Sitzen auf einem Stuhl kann zu
Schmerzen und Erschöpfung führen, die sich
auf die Konzentrationsfähigkeit auswirken. Das
Tragen von Schultaschen und Büchern kann für
den Schüler ebenfalls eine Belastung darstellen. Eventuell ist das Schreiben mit der Hand
nicht über einen längeren Zeitraum möglich.
Das Sprechen wird schwierig, Singen beinahe
unmöglich.
3.3.2 Mathematische Fähigkeiten
Die rechnerischen Fähigkeiten können ebenfalls sehr stark beeinträchtigt sein, und das
nicht nur im Bereich höherer Zahlen. So ist der
Schüler beispielsweise vielleicht nicht mehr in
3.5 Auswirkungen auf den Schulbesuch
Die Schule ist wohl nicht der ideale ort, än dem
sich ein Kind oder ein Jugendlicher mit ME/CFS
entfalten und bilden kann:
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
Schüler sind mitunter zu müde, uffi Wege zwischen Unterrichtsräumen zu bewältigen und
Bücher oder Schulmaterialien herumzutragen,
wie es vor allem im Kurssystem der Oberstufe
nötig ist. (ln diesem Alter sind die meisten
Erkrankungen an ME/CFS zu verzeichnen.)
Die jungen ME/CFS-Patienten sind besonders
licht- und geräuschempfindlich. Sie reagieren
sensibel auf Temperaturschwankungen und
Gerüche. Das in Schulen übliche Neonlicht sowie direkte Sonneneinstrahlung kann ihnen
unerträglich sein. Gewöhnlicher Lärm im Klassenzimmer oder die Geräuschkulisse in der
Aula oder der Mensa bereitet ihnen größtes
Unbehagen.
lm Normalfall harmlose Ausdünstungen von
Chemikalien, die im naturwissenschaftlichen
Unterricht, beim Putzen oder in Kunsträumen
vorkommen, können bei diesen Schülern Kopfschmerzen, ÜOelfeit und Brech reizverursachen.
Da dem ME/CFS-kranken Schüler häufig ungewöhnlich kalt oder warm ist, muss er sich möglicherweise mehrmals am Tag Kleidungsstücke
an- oder ausziehen
Kinder mit ME/CFS brauchen eventuell die
Möglichkeit, Essen auch außerhalb der Pausenzeiten einzunehmen. Sonst kann es zu Symptomen kommen, die auf Schwankungen bzw.
niedrige Werte des Blutzuckerspiegels hindeuten, was bei dieser Erkrankung sehr häufig ist.
Appetitlosigkeit, ÜOetfeit oder Nahrungsmittelintoleranzen können das Kind dazu zwingen,
bestimmte Lebensmittel zu sich zu nehmen
oder zu meiden.
Möglicherweise besucht der ME/CFS-kranke
Schüler die Toilette in häufigeren Abständen als
andere Schüler. Diese sind oft weit von den
Klassenräumen entfernt.
ME/CFS geht häufig mit einer Umkehrung des
Tag- und Nachtrhythmus einher, was dazu führen
kann, dass der Schüler morgens im Unterricht
einschläft. Bei unvorhersehbaren Stimmungsschwankungen, lrritationen oder Erschöpfung
kann das Kind schläfrig, verwirrt oder emotional
"high" wirken, was einer einfühlsamen Reaktion
seitens des Lehrpersonals bedarf.
Schulen mit ME/CFS-kranken Kindern müssen
diese Probleme berücksichtigen und überlegen,
wie sie flexibel auf die speziellen Erfordernisse
reagieren können.
In folgenden Bereichen sollten Vorkehrungen
getroffen werden:
a) Anderung des Stundenplans, Anwesenheit
nur in Teilzeit,
b) Möglichkeiten zum Ausruhen während der
Schulzeit,
c) Berücksichtigung von Besonderheiten
bei
der Ernährung (Diäten),
d) Unterstützung, um Wege auf dem Schulgelände besser bewältigen zu können und
beim Tragen der Schultasche; evtl. mittels
eines Rollstuhls, uffi Energie zu sparen,
e) finanzielle Unterstützung, z. B. seitens der
Schulbehörde, für den Transport zur und von
der Schule, uffi die Anstrengungen des
Schulweges zu minimieren,
0 Befreiung von Unterricht, der körperliche Anstrengung beinhaltet: Sport- und Schwimmunterricht.
3.
6
Besondere pädagogische
Bedürfnisse
Schulpsychologen
In Fällen von längerer Schulabwesenheit wegen
Krankheit ist es ratsam, mit dem Schulpsychologen Kontakt aufzunehmen. Ein Schulpsychologe wird Verständnis für die seelische Lage der
erkrankten Kinder und ihrer pädagogischen Bedürfnisse aufbringen. E/Sie wird den Eltern und
der Schule Lösungsvorschläge für ein flexibles
Eingehen auf die kindlichen Probleme anbieten
können t I
3.7 Das Unterrichten von Schülern
mit ME/CFS
Schwerstkranke, bettlägerige Kinder und
Jugendliche bleiben normalerweise während
ihrer voraussichtlich langen Rekonvaleszenz bei
ihrer Schule angemeldet. Die Fähigkeit, zuhause wieder mit Schulaufgaben zu beginnen, tritt
lange vor der körperlichen Stabilität ein, die
eine Teilnahme am Schulunterricht erlaubt.
Wenn eine längere Konzentrationsphase ohne
nachfolgende Verschlimmerung der Symptome
möglich ist, kann an Heimunterrichtung durch
Lehrer gedacht werden (siehe 3.8). Heimunterricht ist zwar gewöhnlich nur für einen kuzen
Zeitraum angelegt, aber in der Praxis akzeptieren die Schulbehörden, dass es bei ME/CFS
eines längeren außerschulischen Arrangements
bedarf und entscheiden entsprechend
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Fatigatio e.V.
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Das Dilemma, dem sich Schule, Behördenvertreter und Arzte ausgesetzt sehen, besteht
darin, den besten Zeitpunkt für die Rückkehr in
die Schule zu finden. Dabei sollte bedacht wer-,
den, dass die Vermittlung von wissen oberste
Priorität genießt t ], und dass es zweitrangig
ist, in welchem Umfeld dies geschieht.
Das Lernumfeld muss darauf ausgerichtet sein,
bestmögliche Leistungsergebnisse zu begünstigen. Daher sollte die Entscheidung für einen
Schulbesuch nicht aus dem Grund getroffen
werden, dass es der Norm entspricht oder weil
das Kind wieder Kontakt zu
Gleichaltrigen
bekommen soll (dies kann separat organisiert
werden) oder weil es billiger ist.
Bei der Auswahl der besten Lernumgebung für
ein Kind mit ME/CFS sind die Auswirkungen der
körperlichen und mentalen Anstrengungen zL)
beachten. Bei der Erkrankung an ME/CFS
besteht üblicherweise eine zeitliche Differenz
zwischen Anstrengung und daraus resultierenden Symptomen und Einschränkungen. Diese
können bis zu 72 Stunden später auftreten und
sind für Lehrer und Heimtutoren nicht immer
wahrnehmbar.
In der Regel kennen Lehrer und Experten lediglich die elterlichen Beschreibungen der nach
Anstrengungen auftretenden Symptome, was
zu einem Verständnisdeftzit zwischen den
Beteiligten führen kann. Eltern wird daher
manchmal eine Überbehütung ihres Kindes
vorgeworfen. t ] Es ist zu beachten, dass ein
ME/cFS-Kranker für kurze Zeit (beispielsweise
während eines Besuches von Schul- oder
Behördenvertretern) recht große Anstrengungen bewältigen kann.
Die (britische) [Anm. d. übers.] Regierung
unterstreicht in ihren Publikationer, dass Eltern
partnerschaftlich in die Entscheidungen um ihre
Kinder mit einbezogen werden sollen. Arzte und
Schulbehörden sollten diesem Prinzip Rechnung tragen.
3.8 Gesundung und Bildung als Einheit
ME/CFS-kranke Schüler brauchen ein flexibles
Unterrichtssystem, das ihrem Gesundheitszustand angepasst ist. Ein "Gemeinsamer
Gesundheits- u. Unterrichtsplan", effipfohlen
von der Nationalen Gesellschaft für die Unterrichtung Kranker Kinder (N.A.E"S.C. = National
Association for the Education of Sick Children),
bietet sich auf individueller Basis an. t I
Der "Gemeinsame Gesundheits- und
unter-
richtsplan!' beinhaltet - außer in leichteren Fällen -
die zeitweise
unterrichtung außerhalb der
schule. In manchen Gegenden wird eine Kombination von einrichtungszentriertem Unterricht
und Fernunterricht für Kinder und Jugendliche
zur Verfügung stehen, die an sich Lernen könnten, aber noch nicht in der Lage sind, einen
kompletten Schultag zu bewältigen.
Oft besteht jedoch die Möglichkeit, das Kind
zuhause zu unterrichten. Die Stundenzahl muss
dem Gesundheitszustand angepasst sein und
der Unterricht sollte zu der Tageszeit abgehalten werden, in der bestmögliche Resultate
beim Lernen erzielt werden können. Die meisten ME/CFS-Patienten können sich nicht vor
dem späten Vormittag oder vor dem Nachmittag konzentrieren.
Wenn Lehrer der eigenen Schule bereit sind,
den Heimunterricht zu übernehmen, ist es sinnvoller, sich von ihnen den Stoff nach Schulschluss erklären zu lassen, als fremde Lehrer
zu involvieren. Das Kind behält so den engen
Kontakt zur Schule und wird sich weniger isoliert fühlen.
tI
Das baut Selbstbewusstsein auf und fördert den
Rehabilitationsprozess. Ein ME/CFS-krankes
Kind zurück in die Schule zu schicken, zählt
nicht als Rehabilitation, wenn dadurch die
Schulleistung gemindert wird.
Ein anderes Bildungsmodell stellen Krankenhausschulen dar, die eine behindertenfreundIiche Umgebung aufweisen. Lehrer-Besuchsdienste sind eine (neue) Entwicklung t..], die
interessante Möglichkeiten bietet. Fernunterricht durch moderne Technologien ist eine zukunftsträchtige Option für ME/CFS-kranke
Schüler, die über Fax, Computer, Internet und
E-mail verfügen.
Ein wichtiges Anliegen des "Gemeinsamen Gesundheits- u. Unterrichtsplanes" ist CIs, unnötige
Stressfaktoren zu eliminieren und die Möglichkeit für körperliche Erholung und akademisches
Lernen zu maximieren.
Es ist wichtig, dass kundige Fachleute die
Zukunftsaussichten immer ehrlich und realistisch
mit dem betroffenen Kind und seiner Familie
besprechen. Die Jugendlichen sollten auch ermutigt werden, sich bewusst zu macheo, dass
es das g anze Leben hindurch Lern- und Weiterbildungsmöglichkeiten geben wird.
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
t.. I Es ist ratsam, den "Gemeinsamen Gesundheits- u. Unterrichtsplan" regelmäßig auf den
neuesten Stand zu bringen, um zu gewährleisten, dass den medizinischen und schulischen
Bedürfnissen des Kindes Rechnung getragen
wird. Es hat sich gezeigt, dass Kinder eher im
Schulsystem verbleiben, wenn die Schulämter
Ansatz zu (Higgins, 1996). Er sollte gut über die
Bedürfnisse der ME/CFS-kranken Kinder
Bescheid wissen. Auch Personen, die eine gute
Kenntnis der Krankheit haben, wie Vertreter von
Selbsthilfevereinen, können wertvollen Rat an-
(LEA) in der Lage sind, eine ftexible Antwort auf
die komplexen Erfordernisse ihrer Erkrankung
an ME/CFS zu finden (Dowsett und Colby,
im
leen.
3.9 Soziale Kontakte
Soziale Kontakte sind wichtig, aber aufgrund
der von der Erkrankung auferlegten Grenzen ist
es am besten, sie getrennt vom Schulbesuch zu
betrachten. Während einer länger andauernden
Erholungsphase kann eine Kombination zwischen
Heimunterricht und separaten Kontakten mit
Gleichaltrigen eine gute Regelung darstellen.
Ein Schüler kann durch lange Fehlzeiten von
seinen Freunden isoliert werden, daher sollten
zusätzliche Möglichkeiten für soziale Kontakte
in und außerhalb der Schule organisiert werden . (2.8. durch Se/bsthilfegruppen.)
t ] Die Aufklärung der Freunde über die Erkrankung an ME/CFS ist ein wichtiger Teil der
Sozialisation, damit die positive Wirkung der
Außenkontakte nicht durch negative Bemerkungen (2.8. die Abwesenheit von der Schule
oder die Sonderregelungen im Unterricht) unterminiert wird. Informationen für Freunde und
Lehrer sind bei Selbsthilfegruppen zu beziehen.
(siehe Anhang)
Das frühzeitige Einsetzen der Erschöpfung verkompliziert die Kontaktpflege zu Gleichaltrigen.
Gesellige Aktivitäten, Besuche und Telefonanrufe müssen so gelegt werden, dass eine
Ermüdung vermieden werden kann. Freundschaften über größere Entfernungen lassen
sich z. B. per Internet [...J aufrechterhalten.
bieten.
Es ist wichtig, dass Arzte, insbesondere die, die
Schuldienst arbeit€n, gute Informationen
über die diversen Unterrichtungsmöglichkeiten
für Kinder besitzen.
Kommunale Schulämter (LEAs) sollten die Mediziner über alle Möglichkeiten informieren, mit
dem Ziel, so flexibel wie möglich zu sein. Das
befähigt den Arzt, Empfehlungen zu geben, die
die schulischen Bedürfnisse des Kindes auf
lange Sicht unterstützen.
Gemäß den Prinzipien, Behinderte immer in die
Organisation rund um ihre Bedürfnisse mit einzubeziehen, sollten Selbsthilfegruppen als
respektierte Partner in der Planung und als
wichtige Informationsquelle gesehen werden t
1
ldealerweise sollte das Schulkind ein Teil des
Teams sein, das die Entscheidungen über seine
zukünftige Bildung fällt. Um wirklich effizient zt)
sein, muss es sich um ein echtes Einbeziehen
handeln nicht nur um eine scheinbare
Besprechung, gefolgt von Entscheidungen, die
die Meinung des Kindes ignorieren. Dies ist
sowohl im Bildungs- als auch im medizinischen
Bereich wichtig (Cooper, 1997), um eine EntfremdL,rng von den Fachleuten zu vermeiden,
die zu helfen versuchen.
Die aufrichtige Beteiligung der Patienten und
Schüler an den Entscheidungen muss von den
Experten nicht als Infragestellung ihrer Kompetenz verstanden werden, denn am Schluss wird
wahrscheinlich ein befriedigenderer Behand:
lungsplan herauskommen. Vielleicht setzt sich
das Schulkind zeitweise sogar ehrgeizigere
Ziele als die Fachleute.
t1
3,12 Prüfungen und Examina
3.10 Die Wichtigkeit eines
i nterd iszi pl i nä ren Ansatzes
tI
In Übereinstimmung mit den Empfehlungen der
(britischen) Regierung sollten alle Personen, die
sich um kranke Kinder kümmern, koordiniert
zusammenarbeiten. Dieser Ansatz sollte das
Schulsystem einschließen. Dem Schulpsychologen fällt eine Schlüsselrolle in dem koordinierten
Kinder mit ME/CFS sind unter normalen Prüfungsbedingungen stark gehandicapt, denn
diese setzen folgendes voraus:
a) Körperliche Anstrengung, uffi ein Prüfungszentrum zu erreichen,
b) Konzentration über einen längeren Zeitrauffi,
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
c) Anwesenheit in einer bestimmten Umgebung,
die nicht für ihre Behinderung vorgesehen
ist,
d) Prüfungen zu ungünstig en Zeiten,
e) Prüfungsterminpläne, die sich auf ein paar
Tage konzentrieren, wobei keine ausreichenden Erholungspausen zwischen den Prüfungen vorgesehen sind.
Aus diesen Gründen sollten Sonderregelungen
für Schüler mit ME/CFS in Betracht gezogen
werden. Eine bessere Note ließe sich ezielen,
wenn ein Schulkind an einer Prüfung zuhause
teilnehmen dürfte - zu einer günstigen Tageszeit und mit Prüfungspausen zur mentalen
Erholung. Die meisten Prüflinge mit neurologischen Funktionsstörungen werden sich für eine
zusätzliche Prüfungszeit von 25 % qualifizieren.
tI
Schüler mit ME/CFS und ihre Familien sollten
sich rechtzeitig beim Schulamt über die in den
Schulverordnungen enthaltenen Sonderregelungen und Prüfungsmodalitäten informieren.
Diese sind nämlich in der Regel nicht hinreichend bekannt.
Die Lehrer der betroffenen Schüler sollten
ebenfalls Einblick in diese Prüfungsregelungen
erhalten. Gleiches gilt für die behandelnden
Arzte.
[...]
Eine Ergänzung in Bezug auf die Beschulung kranker Kinder in Deutschland, dargestellt an den Rege lungen für NordrheinWestfalen, finden Sie im Scälus skapitet
diese r Broschüre, S 44 ff.
Redaktion CFS-Fo rum
4. Soziale Aspekte
4.1 Staatliche Hilfen
Die sozialen Verhälfnisse bzw. sozialrechtliche
Fesf/e gungen in England sind auf Deutschland
nicht übertragbar. Daher haben wir den Abschnitt 4.1 von Ser'fen der Redaktion CFSForum ersetzt:
Schure
Kinder engagiAren, raten jedoch von einem
Schwe rbehindertenausweis ab, da dieser - gerade bei Aussicht auf eine mögliche Genesung mehr Nachteile a/s Nutzen yersp richt. So /nuss
die Schwe rbehinderung beispielsweise bei einer
Bewerbung um einen Ausbildungsplatz angegeben werden.
rbehinderung
Zuständig für den Antrag auf Genehmigung
Pflegevers icherung
eines Schure rbehindertenauswe,rses rsf das Versorgungsamt. Entschieden wird in der Regel
per Aktenlage, sodass der Krankheifsve rlauf gut
dokumentiert sein sollte.
Die Erkrankung /nuss länger andauern und in
den folgenden sechs Monaten darf keine Aussicht auf Eesse rung öesfe hen. Der Grad der
Schure rbehinderung wird nur vorübergehend
bestimmt.
Viele Se/bsthilfegruppen, die sich für kranke
lnfarmationen zum Erhalt von Pflegegeld (2. B.
bei andauernder Bettlägerigkeit des Kindes) erhalten S,'e bei lhrem Arzt und der Krankenkasse"
4.2 Nichtstaatliche
U nte rstützu n gsa n ge bote
Will man die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit ME/CFS herausfinden, befragt
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Fatigatio e.V.
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
4.2.1 Praktische Bedürfnisse
"Es sollte mehr lnformationen geben. Es isf
schwer zu erklären, warum man kein geselliges Leben führen kann, oder warum man
nicht stehen oder weit gehen kann. lch habe wirklich nutzlose Rafsc hläge von meinen
Freunden bekommen, die dachten, dass sie
Antworten für meine Probleme kennen."
1991 untersuchte eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Dr. Elizabeth Dowsett die speziellen
Probleme von Kindern und Jugendlichen mit
ME/CFS. Es wurden 600 Fragebögen verschickt, von denen 500 beantwortet wurden.
Die schriftlichen Kommentare fanden Eingang
in ein Selbsthilfebuch für junge Menschen mit
ME/CFS (Moss, 1996). Während der Forschung
zu diesem Buch wurden aus einer Auswahl von
100 Fragebögen die häufigsten Bedürfnisse
junger Leute ermittelt.
Diese waren:
o
o
wünschten sich Informationen, um die
Erkrankung an ME/CFS ihren Freunden, der
Familie, Arzten und Lehrern (besser) erklären zu können
48o/o
benötigten Informationen, wie man mit
ME/CFS zurecht kommt.
o 15o/o wollten Kontakt mit anderen Betroffenen herstellen.
o 18o/o hatten kein klar definiertes Bedürfnis.
1996, fünf Jahre später, wurden über 2000
Briefe als Reaktion auf einen Artikel über die
Erfahrung eines Kindes mit ME/CFS an eine
Tageszeitung geschickt. Dieselbe Forscherin
wertete eine Zufallsauswahl von 100 Briefen
aus. Wieder waren die häufigsten Bedürfnisse:
o 514/o brauchten Informationen, um ME/CFS
Freunden, Familie und Fachleuten näher zu
bringen.
o 17o/o wünschten sich Informationen, wie
man mit ME/CFS zurecht kommt.
o 12o/o wotlten Kontakt mit anderen Betroffenen herstellen.
o
19o/o
20o/o
hatten kein klar definiertes Bedürfnis.
ZweiZitate aus den Rücksendungen:
Bedürfnisse
%im
%im
Jahr 1990 Jahr 1996
Informationen, um ME/CFS
zu erklären
48
51
Informationen, wie man mit
ME/CFS zurechtkommt
19
17
Kontakt mit anderen
15
12
Kein spezielles Bedürfnis
18
20
"Änte sagen zu mir: 'Geh nach Hause und
ruh dich ein wenig aus', aber ich weiß nicht,
was sie damit erreichen wollen."
4.2.2 Emotionale Bedürfnisse
Die emotionale Verfassung, in der sich die
jungen Leute befanden, wurde durch die frei
formulierten Kommentare beider Studien ermittelt:
1990 hatten . 620/o ein geringes Selbstwertgefühl, 9% ein hohes Selbstwertgefühl und 29%
hatten keine klar definierbare emotionale Verfassung.
1 996 hatten: 7 5o/o ein geringes Selbstwertgefühl, 5% ein hohes Selbstwertgefühl und 2A%
hatten keine klar definierbare emotionale Verfassung
Zwei Zitate aus den Beschreibungen:
"'Es isf so schwer, die Hoffnung nicht zu
verlieren."
"Das Leben zieht an mir vorbei. Und ich bin
ersf 16."
Viele Kinder und Jugendliche sind von Gleichaltrigen, von den Fachleuten, die sich mit ihnen
befassen, und sogar von Familienmitgliedern
isoliert und entfremdet, weil sie den Eindruck
haben, dass sie falsch verstanden werden,
dass man ihre Krankheit für belanglos hält und
ihnen einfach nicht zugehört wird. Diese Kinder
und Jugendlichen haben eine doppelte Belastung zu tragen, die beinahe unerträglich sein
muss: Sie haben nicht nur eine Erkrankung, die
praktisch jeden Aspekt ihres Lebens beeinflusst
und zerstört, sondern sie nehmen auch noch
genau wahr, dass ihre Umwelt gar nicht zu verstehen versucht, was diese Krankheit wirklich
bedeutet und was sie für Folgen hat. Einige junge Leute ziehen sich lieber in die lsolation zurück, als mit Bemerkungen und Gesprächen
fertig zu werden, die verletzend und beleidigend
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
sind. MEICFS ist eine Krankheit, deren
Ein-
schätzung in der Medizin sich in der Schwebe
befindet. Es ist schon für Erwachsene schlimm
genug, mit einer Krankheit zurecht zu kommen,
für die es keinen anerkannten Namen, keine
Behandlung und keine verlässliche Prognose
gibt. Für Kinder, denen - selbst wenn sie gesund sind - oft nicht zugehört wird oder die nicht
ernst genommen werden, muss es besonders
schwer sein zu fühlen, dass nicht verstanden
oder anerkennt wird, was sie durchmachen.
Hier eine Reihe von Aspekten, die die emotionale Situation der Erkrankten betrifft:
Fehlender Kontakt zu Freunden und
Gleichaltrigen
Wenn Kinder älter sind bzw. in der Pubertät bekommen Beziehungen -u Altersgenossen eine
neue Bedeutung. Neue Rollen werden ausprobiert und außerhalb der Schule schließen sich
die Jugendlichen verschiedenen sozialen Gruppen an und verlassen sie wieder. In einer kürzlich durchgeführten Studie über das Leben von
Teenagern führten Jugendliche mit ME/CFS
das Thema "Freunde und Clique" als den wichtigsten Aspekt ihres Leben an. Die schwer
Kranken verlieren oft die Vertrautheit und den
Spaß, den sie mit Freunden haben können, so
dass die Entwicklung der eigenen ldentität
durch die Freundschaften schwierig oder unmöglich wird. Sie werden von den anderen zurückgewiesen, weil sie die Schule versäumen. lhnen
ist es nicht möglich, sich an sportlichen Aktivitäten oder außerschulischen, spät abendlichen
Ereignissen wie Konzerten oder Besuchen in einer Discothek zu beteiligen. Sie werden ausgeschlossen, nur weil sie krank sind. Die schwer
Kranken und ans Haus Gefesselten sind von
Gleichaltrigen völlig abgeschnitten, weil sie
nicht die Kraft haben, Freunde zu besuchen
oder auch nur Gespräche am Telefon zu führen. Gesunde junge Leute mit einem geschäftigen, geselligen Tagesablauf verlieren schnell das
lnteresse an Kranken. Jugendliche mit ME/CFS
müssen mit anseh€h, dass ihre Freunde sich
sozial und in schulischer Hinsicht weiterentwikkeln, während sie selbst stehen bleiben und in
ihrem Zustand verharren.
Verlust der Selbstachtung
Für die ldentität und das Selbstwertgefühl der
Kinder sind die Auswirkungen ihrer Erkrankung
an
ME/CFS zutiefst zerstörend, da soziale
Beziehungen abbrechen und Freundschaften
aufgelöst werden. Der Verlust der Schule, der
Freunde, jedes Anflugs von sozialem Leben,
von Familienaktivitäten und möglicherweise von
Jahren "normaler" Kindheit und Jugend - das
geht zwangsläufig zu Lasten der Selbstachtung.
Viele solcher jungen Leute werden aufgrund ihrer negativen Erfahrungen mit Medizinern und
anderen Menschen "alte Köpfe auf jungen
Schultern", was sie noch weiter von ihren glücklicheren Altersgenossen trennt. Es ist eine unserer
größten Herausforderungen, das Selbstvertrauen
und den Selbstwert dieser Kinder während ihrer
fangen, sie isolierenden Krankheit aufzubauen
und zu erhalten.
Vertrauen und Bestätigung
Kinder und Jugendliche müssen genau wie
Erwachsene mit der Trivialisierung und der
Skepsis gegenüber ihrer Krankheit fertig werden.
Sie können jedoch nicht auf die Lebenserfahrung zurückgreifefl, die Erwachsene haben, Außerdem müssen sie noch ohne Unterstützung
ihrer Altersgenossen auskommen. Was junge
Leute mehr als alles andere brauchen, ist, dass
die Auswirkungen von ME/CFS auf ihr Leben
erkannt werden. Sie brauchen Menschen, die
verstehen, dass sie einen äußerst wichtigen Abschnitt ihres Lebens verlieren, den sie nie wie*
der nachholen können. Sie werden nicht noch
einmal 12 oder 15 oder 18 sein; diese Zeit ist für
immer verloren. Wenn sie niemanden haben,
der diesen tiefgehenden Verlust begreift,
werden sie sich weigern, über ihre Gefühle zu
sprechen, weil sie wissen, dass sie nicht
verstanden werden. Demzufolge ist es nicht
verwunderlich, wenn sie einen starken Mangel
an Vertrauen in Arzte, andere Experten und sogar in Familienmitglieder entwickeln und sich in
Einsamkeit und Selbstbezogenheit zurückziehen
Unabhängigkeit und Abhängigkeit
von anderen
Die Pubertät ist naturgemäß die Zeit, sich von
den Eltern abzunabeln. Wenn ME/CFS in dieser
Phase ausbricht, fallen viele Jugendliche notgedrungen in einen Zustand von Abhängigkeit
zurück. Während sie eigentlich ihre Flügel ausbreiten und Flugversuche aus dem Nest wagen
solften, sind sie an das Zuhause gefesselt und
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Fatisatio e.V.
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
werden gewöhnlich von ihren Müttern versorgt.
Es ist wichtig, Wege zu finden, die diesen Kinder ermöglicht, etwas Unabhängigkeit erlangen,
während sie gleichzeitig versorgt werden. lhnen
die Entscheidungen über Kleinigkeiten zu überlassen (z.B.wann sie fernsehen, wann sie essen,
wann sie ins Bett gehen), kann ihre negativen
Gefühle der Abhängigkeit bereits entscheidend
verändern.
Ebenso wichtig ist es, junge Leute in Entscheidungen über ihre Pflege einzubeziehen, indem
man ihnen zuhört und sie an Diskussionen teilnehmen lässt. Altere Kinder und Jugendliche
haben das Recht, so viele Entscheidungen wie
möglich zu treffen, zum Beispiel sollten sie mit
einer Therapie oder den verabreichten Medikamenten einverstanden sind.
Wir sollten nicht unterschätzen, wie gut junge
Leute ihre eigenen Bedürfnisse wahrnehmen
und wie wichtig es für ihr Selbstbewusstsein ist,
bei der Organisation ihres Alltags und des
Krankheitsmanagements mit bestimmen zu
können.
Krankheit als Brennpunkt alltäglichen
Lebens
Junge Leute kommen am besten zurecht, wenn
Eltern und Geschwister sie so "normal" wie
möglich behandeln. ME/CFS bestimmt das Familienleben und droht es zu zerstören. Da alle
Familienmitglieden oft tief in Mitleidenschaft gezogen werden, sollten endlose Gespräche über
die Krankheit und ihre Symptome vermieden
Der Tagesablauf sollte so gestaltet werden,
dass sich der junge Patient weniger als Belastung und auch weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit fühlt. Viele junge Leute empfinden
es als eine enorme Erleichterung, über etwas
anderes als ihre Krankheit zu sprechen, während gleichzeitig auf ihre schwierigen Lage
Rücksicht genommen wird. Dieser Balanceakt
ist nicht einfach zu erreichen.
4.2.3 Forderungen
Jeder, der sich um das Wohl von kranken Kindern
sorgt, sollte versuchen, das Selbstbewusstsein
der jungen ME/CFS-Patienten zu steigern und
leicht zugängliches Informationsmaterial über
die Krankheit zu beschaffen (siehe im Anhang
die Hinwerse zu Se/bsthilfegruppen und Literaturempfehlungen).
Steigerung des Selbstbewusstseins von
Kindern und Jugendlichen mit ME/CFS
Cotterall beschreibt 1996 zwei entscheidende
Prozesse, die während der Pubertät ablaufen:
Dies sind die Aneignung von Fähigkeiten und
die Entwicklung einer eigenen ldentität. Die
Pubertät ist der Lebensabschnitt, in der Jugendliche mit zunehmender Unabhängigkeit ihr
eigenes Selbstbild entwickeln, indem sie ihre
Gedanken mit denen der anderen vergleichen.
Die Cliquenbildung mit Gleichaltrigen ist ein
wichtiger Bestandteil der sozialen und emotionalen Entwicklung.
Jugendliche mit ME/CFS haben oft nicht die
Gelegenheit, zu einer Gruppe Gleichaltriger zu
gehören. Diejenigen mit leichterem ME/CFS
können vielleicht die Schule zu besuchen, aber
ein soziales Leben existiert in der Regel nicht.
Diejenigen, die ans Haus oder ans Bett gefesselt sind, verlieren schnell ihre Freunde und ihr
Selbstvertrauen.
"Jugendliche mit wenig Kontakt zu Gleichaltrigen besitzen ein geringes Selbstvertrauen und
entwickeln oft das Gefühl, nichts wert zt)
sein." (Wadell, 1984)
Jugendliche mit ME/CFS benötigen emotionale
Unterstützung, die ihr Selbstvertrauen stärkt
und ihnen eine Rückkehr ins soziale Leben und
Lernen ermöglicht, wenn sich ihre Gesundheit
bessert. Selbsthilfegruppen für Jugendliche mit
ME/CFS können den verloren gegangenen Kontakt zu Altersgenossen ersetzen und ermöglichen einen positiveren Ausblick in die Zukunft.
Leicht zugängliches, den Bedtirfnissen
angepasstes I nformationsmaterial
Eine landesweite Öffentlichkeitskampagne wäre
ein sehr gutes Mittel, uffi auf die Probleme von
Kindern mit ME/CFS aufmerksam zu machen
und über das wahre Ausmaß der Krankheit aufzuklären. Für die Kinder sind leicht zugängliche
Informationen erforderlich, damit sie ihre Krankheit verstehen und mit ihr effektiv umgehen
können. Wir benötigen daher Faltblätter und
Bildmaterial, das speziell auf Kinder und Teenager zugeschnitten ist. Dieses Material muss
zusätzlich zur Literatur für die Eltern angeboten
werden. Informationen über ME/CFS und den
Umgang mit den Symptomen sollten in Form
von Faltblättern und Videos sowohl für Erwachsene als auch für Jugendliche entworfen und
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
erstellt werden. Sie sollten sowohl in gedruckter
Form bzw. als' Videokassette und auch über
das Internet erhältlich sein.
(Englischsprachige) Literatur zu ME/CFS und
Videos für Kinder, Eltern, Lehrer und Arzte gibt
es z.B. bei den Gruppen "Action for ME" und
bei "AYME" (siehe den Anhang zu Se/bsthilfeorganisation).
Sozialer Kontakt mit Gleichaltrigen
Wir müssen ein Netz von
ME/CFS-kranken
Kindern und Jugendlichen aufbauen, damit sie
zusammenarbeiten und miteinander kommunizieren können. Jugendliche haben unterschiedliche Bedürfnisse, daher sollten diverse Austauschmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Es
existieren (englischsprachige) Zeitschriften und
Rundschreiben, die für junge Leute geschrieben
worden sind. In Großbritannien und anderen
Ländern gibt es auch bereits im Internet Websites für Kinder und Jugendliche mit ME/CFS.
Bedürfnisse von Eltern, Unterstützern
und Betreuern
Es ist unerlässlich, die jungen Patienten bei der
Bewältigung ihrer Krankheit einzubeziehen und
zu unterstützen. Es dürfen aber auch die emotionalen Auswirkungen auf die Familie, insbesondere auf die vorrangig betreuende Person,
nicht unterschätzt werden. Gesundheitsorganisation€o, soziale Einrichtungen und ehrenamtlich tätige ME/CFS-Vereinigungen sollten darauf achten, ein offenes Ohr und fundierten Rat
für Eltern und Pflegepersonen anzubieten.
5. Pflege und Betreuung von Kindern und
Jugendlichen mit MEI CFS
5.1 Häusliche Pflege
Es wird empfohlen, die meisten Kinder in ihrem
eigen en Zuhause durch die Arzte vor Ort [...] zu
versorgen.
Viele Hausä rzte und Schulä rzte sind jedoch
nicht ausreichend über die Erkrankung informiert, fühlen sich überfordert und haben wenig
Verständnis für die ME/CFS-kranken Kinder.
Wir hoffen, dass dieser Bericht eine Hilfe zum
Umgang mit den jungen Patienten darstellt. Wir
gehen jedoch davon aus, dass jeder Patient
und jeder Hausarzt sowohl diagnostische Hilfe
als auch sonstige Unterstützung durch einen
Kinderarzt braucht. In einigen Fällen hat die Expertise eines Spezialisten rnehr Gewicht, wenn
es gilt, ein krankes Kind zu unterstützen und/
oder zu beschützen. Die Selbsthilfeorganisationen halten Literatur zur Diagnosestellung, ztJr
Betreuung und zur Bewältigung der Krankheit
bereit und sind bemüht, den behandelnden Arzten Informationen zu beschaffen
5.2 Stationäre Betreu u ng
Uns ist nicht bekannt, dass es in Krankenhäusem
stationäre Einheiten gibt, die sich speziell der
Behandlung von Kindern oder Jugendlichen mit
ME/CFS widmen.
tI
Generell sollte ein Krankenhausaufenthalt nur
dann in Erwägung gezogen werden, wenn es
bestimmte Untersuchungen oder eine Notfallbehandlungen erfordern.
Wenn dies der Fall sein sollte, kann es vorkommen, dass die Einweisung entweder auf eine
Notfallstation für Kinder oder in die Jugendpsychiatrie erfolgt. Wir erachten beide Möglichkeiten als vollkommen unangebracht für die
Bedürfnisse junger ME/CFS-Patienten und
würden bei steigender Zahl von Kindern mit
ME/CFS kleine regionale Kliniken unter der
Leitung eines Kinderaztes mit speziellem Interesse an dieser Krankheit für sinnvoll halten.
Dies sollte kombiniert sein mit dem Aufbau
engagierter Ambulanzen vor Ort, die mit medizv
nischem Personal ausgestattet sein sollten, das
über entsprechende Erfahrung und Ausbildung
verfügt. Dies würde dazu beitragen, die dezeitige, sehr unbefriedigende Versorgung zu verbessern, von der viele Familien berichten,
.
Seite 29
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
6. Zusammenfassung
Wir haben uns bemüht, Empfehlungen für die
Diagnosestellung und die Bewältigung von
ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen zusammenzustellen, die nicht nur auf Veröffentlichungen basierefl, sondern auch auf "Erfahrung und
Verstand" und auf von den Autoren beobachteten Fakten (Hippokrates, Aphorismen, 1822).
Als Mediziner und/oder Pädagogen glauben wir,
dass Gesundheit und Eziehung die zwei
wesentlichen Bereiche im Leben eines Kindes
darstellen. Aber wir sehen auch, dass jede
betroffene Familie der Unterstützung an unterschiedlichen Punkten bedarf. Psychologische
und emotionale Unterstützung kann manchmal
durch medizinische Kollegen erfolg€h, die mit
den unvermeidlichen emotionalen und seelischen Problemen Erfahrung haben, die aus
einer lang andauernden Erkrankung im Kindesalter resultieren.
Zur Zeit besteht eine große Ungewissheit über
die genaue Zahl der betroffenen Kinder, die tatsächliche Krankheitsursache sowie die spezifische Behandlung von ME/CFS.
Dieser Bericht kann deshalb nicht alle Fragen
abschließend beantworten, aber wir hoffen,
dass er behandelnden Arzten mit geringerer Erfahrung genügend Informationen liefert, um ihren
jungen Patienten zu einer langsamen und effektiven Heilung zu verhelfen und sie mit Respekt
und Würde in ihrem Genesungsprozess zt)
der Teilnahme einverstanden sein und
zen und nach einer Genesung wieder
die
Schule, das Studium oder die Arbeit aufnehmen
können.
Absch I ießendes Resümee:
o
ME/CFS kann bei Jugendlichen und Kindern ab dem 5. Lebensjahr auftretell.
o Die Verbreitung von Erkrankungen
an
ME/CFS bei unter 20-jährigen ist nicht
untersucht wordetr, aber sie ist sicherlich geringer als bei Erwachsenen.
o
begleiten.
Darüber hinaus sind Gelder für die Forschung
erforderlich, uffi die Ursachen und biologischen
Auffälligkeiten dieser Krankheit zu ergründen.
Trotz der Schwierigkeiten und dem Mangel an
Verständnis für ihr Leiden an ME/CFS erholt
sich die Mehrheit der Jugendlichen schließlich
soweit, dass sie ein zufriedenstellendes Leben
führen können. Die publizierten Studien über
Behandlungsmöglichkeiten wie z.B. kognitive
Verhaltenstherapie (CBT) und sportliche Übungen mit steigenden Anforderungen ("graded
exercises") zeigen widersprüchliche Aussagen
zur Wirksamkeit bei ME/CFS. Junge Patienten,
denen diese Behandlungsmethoden als Teil
ihres Krankheitsmanagements angeboten werden, sollten mit Sorgfalt ausgewählt werden, mit
von
kundigen Therapeuten mit Erfahrungen zu ME/
CFS angeleitet werden.
Wir hoffen, dass die Informationen und Empfehlungen über die Schulausbildung den Lehrern und Schulbehörden genügend Sicherheit
geben, damit sie betroffenen jungen Patienten
helfen können, das Beste aus ihren Möglichkeiten zu machen, damit die an ME/CFS erkrankten
Jugendlichen ihre Ausbildung zu Hause fortset-
Die Krankheit hat tiefgreifende Auswirkungen auf die soziale und emotionale
Entwickl
o
u
ng der Betroffenen.
Eine langfristig unterbrochene (Schul-)
Ausbildung kann Auswirkungen auf das
spätere Erwerbsleben und die berufliche
Karriere haben,
o
Das Erscheinungsbild der Erkrankung an
ME/CFS kann sich r insbesondere bei
Kindern unter 10 Jahren - von dem der
Erwachsenen u nterscheiden.
Kinder leiden vornehmlich unter Symptomen wie Ubelkeit sowie heftigen Kopfu nd U nterlei bsschmer:zell.
.
Bei Kindern ist es vertretbar, bereits 2 - 3
Monate nach Auftreten der Symptorne
eine klinische Diagnose zu stellen.
Seite 30
(ö
Fatigatio e.V.
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Kleinere Kinder haben meistens einen
schleichenden Kran kheitsbeginn.
Medizinische Untersuchungen sollten
auf das Mindestmaß beschränkt werden.
Erste Untersuchungen können manchmal auch eine psychologische Begutachtung beinhalten.
Beim Krankheitsmanagement sollte die
Energie sorgfältig eingeteilt und der
Tagesablauf mit dem Kind abgestimmt
werden. ("Pacing")
Seite 31
Die Krankheitsbewältigung sollte auf
Prinztpien beruhen, die sich bewährt
haben, und sollte physische, familiären,
psychologische u nd erzieherische
Aspekte berücksichtigen.
viele Kinder genesen ganz oder teilweise
innerhalb der ersten zwei Jahre. Einige
aber bleiben schwerstkrank und benötigen intensive Pflege.
Die Gründe, warum eine Minderheit dauerhaft behindert bleibt, sind zur Zeit
noch unklar.
@
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
Anhang
Ar
1) Andrew: Akuter Beginn von ME/CFS
im Alter von 14 Jahren
Der 14-iährige Andrew war ein aktiver, extrovertierter Teenager. Eines Tages wurde er plötzlich
in der Schule krank und klagte über Fieber,
Schwindel, allgemeine Gliederschmerzen, Erbrechen und Kopfschmerzen Ein paar andere
Schüler seiner Schule litten in derselben Woche
an einer unspezifischen fieberhaften Erkrankung. Andrews Symptome hielten unverändert
äfl, sodass er die folgenden vier Wochen bettlägerig blieb. Außerdem litt er an Appetitlosigkeit, übermäßigem Schlafbedürfnis und verlor
an Gewicht.
In den folgenden drei Monaten besserte sich
sein Zustand nicht. Seine Kopf- und Gliederschmerzen waren unverändert stark, er war
mental verwirrt, reizbar und niedergeschlagen.
Er war so wackelig auf den Beinen, dass er immer umfiel, wenn er aufzustehen versuchte. Bei
der medizinischen Untersuchung war er still,
reglos - offenbar hatte er Schmezen. Ansonsten fanden sich bis auf einen langsamen Puls
von 60 Schlägen pro Minute keine Auffälligkeiten. Die Routine-Blutuntersuchungen waren
ohne Befund.
Nach 6 Monaten ging es ihm mit fortwährenden
Schmerzen und schweren Gleichgewichtsstörungen so schlecht wie zu Beginn der Erkrankung. Er schlief in der Regel 18 Stunden am
Tag und zweimal sogar 36 Stunden ohne Unterbrechung.
In diesem Stadium hatte Andrew bereits 13 Kilogramm an Gewicht verloren und seine Einweisung ins Krankenhaus stand bevor, wurde dann
aber verschoben. Er bekam regelmäßig sanfte
passive Physiotherapie, doch für einen Unterricht zuhause ging es ihm noch zu schlecht.
Neun Monate nach Krankheitsbeginn hatte er
alle vier oder fünf Tage einen "guten Tä9", womit er meinte, dass er vor dem Mittagessen aufwachte. An durchschnittlichen Tagen schlief er
immer noch bis zum Nachmittag.
16 Monate nach Krankheitsbeginn berichtete
Andrew, dass er sich "großartig"' fühle, da er
nur noch 14 Stunden am Tag schlief.
Sein Gehirn funktionierte normal und er besuchte
Fallstudien
die Schule an drei Nachmittagen in der Woche.
Danach ging es stetig bergauf und er kehrte
schließlich mit dem Verlust zweier ganzer
Schuljahre vollständig zur Schule zurück. Mit
2-jähriger Verspätung bestand er seine GCSEs
mit hervorragenden Ergebnissen. Nach unseren
letzten Informationen war er Schulsprecher und
spielte Rugby.
2l G. S.: Ein 1O-jähriges Mädchen mit
allmählichem Krankheitsbeginn
Ein langsam einsetzender oder fortschreitender
Krankheitsbeginn ist bei Kindern nicht ungewöhnlich.
G. war ein atopisches Kind, das im ersten
Lebensjahr unter Koliken, Ausschlag und Asthma litt und im Alter von zwei und drei Jahren
Heuschnupfen und Nahrungsmittelunverträglichkeiten entwickelte. Als sie sechs Jahre war,
fiel auf, dass sie beim Schwimmen schneller erschöpft war als ihr jüngerer Bruder. Mit neun
Jahren ließ ihr Asthma nach, aber einen Monat
später stellten sich bei ihr plötzlich Kopfschmerzen und Müdigkeit ein. Sie wurde zunehmend
licht- und geräuschempfindlich, ging aber weiterhin zeitweise zur Schule. lm folgenden
Sommer trat eine leichte Besserung ein
lm Oktober kehrten ihre Symptome zurück. G.
ging auf Geheiß der Arzte weiterhin zur Schule,
aber sie sah sehr blass und grau aus und klagte über zunehmende Ermüdung. Während der
Weihnachtsferien war sie bereits nach leichter
Anstrengung erschöpft, aber sie kehrte im
Januar in die Schule zurück, um nach zwei
Tagen mit Verdacht auf einen viralen Infekt
nach Hause geschickt zu werden. Von diesem
Zeitpunkt an kehrten ihre schwere Erschöpfung,
ihre Kopfschmerzen und ihre Geräusch- und
Lichtüberempfindlichkeit zurück. Durch die Behandlung einer Nebenhöhlenentzündung ging
es vorübergehend aufwärts, aber einen Monat
später bekam die ganze Familie eine Grippe,
die dazu führte, dass G's frühere Symptome
rasch in einer schwereren Form zurückkehrten.
Diesmal dehnten sich die Schmerzen über ihren
ganzen Körper aus, und sie war nach einfachen
Aktivitäten wie einem Toilettengang und Essen
Seite 32
@
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
sofort erschöpft. Sie schlief übermäßig. Die üblichen Blut- und biochemischen Testergebnisse
waren normal.
Weitere Symptome folgten: übermäßiger Durst,
Zuckungen in Beinen und Händen, schlechte
Balance, schwankende Haltung. G. beschrieb,
dass ihre Gliedmaßen ihrem Willen nicht
"gehorchen" würden. Sie hatte Schwierigkeiten
beim Schlucken und erbrach sich. G. litt unter
niedriger Körpertemperatur mit kalten Schweißausbrüchen und mangelndem Koordinationsvermögen und sie musste gefüttert werden. Sie
konnte sich nicht mehr an die Namen von
Freunden und Klassenkameraden erinnern.
Es ist wichtig, andere behandelbare Erkrankungen auszuschließen.
Weitere Untersuchungen zum Ausschluss.von
Krebs- oder Autoimmunerkrankungen verliefen
ohne Befund, Ohne vorhandene Diagnose wurde natürlich eine Rehabilitation für eine
"selbstauferlegte Krankheit" empfohlen. G's Eltern wiesen diese Einschätzung der Krankheit
zurück, weil sie all ihren früheren Krankheitserfah rungen widersprach.
Zu Hause konnte sie sich besser entspannen,
aber sie lag weiterhin über mehrere Monate
einem fast komatösen Zustand.
in
Eine medikamentöse Behandlung
sollte
langsam und in geringen Dosen begonnen
werden.
Um Muskelkontraktionen zu verhindern, wurde
G's Mutter in die passive Physiotherapie eingewiesen, die die Bewegungen durchführte, wenn
ihre Tochter schlief. Eine Diätassistentin beriet
über die Einnahme von zusätztichen Vitaminen
und Mineralstoffen. Die Nasensonde musste
gelegentlich durch eine Gemeindeschwester
ausgetauscht werden
Nach drei Monaten konnte sich G. wieder bewegen, aber sie entwickelte heftige unkontrollierte
Muskelkrämpfe und Zttteranfälle. Die täglich
wiederkehrenden und im Tagesverlauf stärker
werdenden Anfälle wurden mit Carbamazepine
behandelt.
Sechs Wochen später ließen die Krämpfe nach
und auch die emotionalen Reaktionen kehrten
zurück: Kichern und Weinen, Wut und Angst
wechselten einander ab.
auskennt.
Sekundäre emotionale Störungen sind bei
Klndern mit Langzeiterkrankungen normal.
Zu diesem Zeitpunkt erschien ihr emotionaler
Eine zweite Meinung wurde von einem Kinderarzt eingeholt, der ME/CFS diagnostizierte. Man
arbeitete ein Stufenprogramm für G. aus, das
alle anstrengenden Aktivitäten ausließ. Mit viel
Erholung sollten die Anforderungen allmählich
gesteigert werden. Unglücklicherweise gab es
im Frühsommer eine weitere Verschlechterung:
Ausschlag am Oberkörper, Ohrgeräusche, zunehmende Muskelschwäche, Unfähigkeit zu laufen
oder zu schlucken, gestörtes Geschmacksempfinden und Ünelkeit bei der Aufnahme verschiedener Nahrungsmittel, Schwierigkeiten beirn
Atmen, Verstopfung, intensive Träume, Schwindel, unscharfes Sehen, mentale Verwirrung und
Muskelkrämpfe. G. empfand es als schmerzhaft, berührt zu werden.
Am Ende des zweiten Sommers konnte sie sich
kaum noch bewegen. lhre Stimme versagte,
ihre Augen blieben geschlossen und sie fing an,
sich zu erbrechen. Es folgte eine kuze Krankenhauseinweisung, uffi einen Darmverschluss
und chronische Muskelschwäche auszuschließen. G. musste durch eine Nasensonde mit
kalorienreicher F!üssignahrung ernährt werden.
Zustand als sehr labil. lhre periodisch auftretenden Stimmlaute verschwanden wieder, die Muskelkrämpfe kehrten zurück. G. litt unter visuellen Halluzinationen, wann immer eine Person
den Raum betrat. Sie erklärte später, dass die
Stimmen sehr verwirrend und unverständlich
klangen.
Doch langsam begann ihr Körper wieder zu
funktionieren . Zunächst besserte sich der
Schlafrhythmus, sie konnte wieder die Augen
öffnen, sprechen und schlucken, willentliche
Bewegungen vollziehen, uffi ihre Lage zu verändern etc. Dann kehrte ihr Sprachverständnis
zurück. Sie war dankbar, wenn ihr vorgelesen
wurde und begann selbst wieder in Büchern zt)
bfättern und darin zu lesen. Sie konnte wieder
Besuch ertragen zuerst den ihrer Freunde,
dann der Familie. (Nahe Verwandte schienen
sie eher zu beunruhigen, vermutlich, weil diese
ihr die Besorgnis über ihren Gesundheitszustand sofort mitteilten. )
G. liebte Tiergeschichten. Sie steigerte allmähIich ihre Fähigkeit, Menschen, Licht, Geräusche
und Gerüche zu ertragen. Als ihr Namensge-
Es ist wichtig, €inen Arut zu Rate zu ziehen,
der sich mit der Symptomatik von ME/CFS
Seite 33
@
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
dächtnis zurückkehrte, griff sie bewusst nach
Dingen, genau wie ein Baby, das die neue Welt
erforscht.
Drei Monate später wagte sich G. wieder an die
Aufnahme fester Nahrung. Anfangs war es
schwierig, aber nach und nach kehrte ihre
Fähigkeit zu Schlucken wied er zurück.
Als sie soweit war, wieder drei Mahlzeiten am
Tag ztJ sich nehmen zu können, schlug man
vor, die Nasensonde für die künstliche Ernährung zu entfernen. Ein paar Tage später rutschte sie auf dem Gesäß die Treppe hinunter, um
mit der übrigen Familie zu essen. Danach lief
sie wie ein Kleinkind:
Erst lernte sie, die Balance zu hatten, dann bewegte sie sich zwischen Mobelstücken hin und
her, und schließlich ging sie selbständig zur
Toilette . Zu diesem Zeitpunkt konnte sie wieder
lesen, fernsehen oder den spielenden Kaninchen draußen auf dem Rasen zusehen.
Motivationssteigerung durch Förderung der
Liebl i ngsaktivitäten ist sin nvol l.
Von da an verlief G's Genesung stetig und fortschreitend. Sie ging hinaus in den Garten; sie
fuhr mit ihren Eltern im Auto weg und führte den
Hund eines Freundes ein kurzes Stück an der
Leine spazieren. Es wirkte sich sehr förderlich
auf ihre Gesundung aus, dass G. selbst einen
Hundewelpen bekam. lm Sommer war es ihr
möglich, den Urlaub am Meer zu verbringen
und sie konnte mit ihrem Welpen zu Trainingsstunden in die Hundeschule gehen, was ihr half,
wieder soziale Kontakte herzustellen
Man beschloss, dass G. im September wieder
zur Schule gehen würde. Mit den Lehrern wurden
entsprechende Vorbereitungen getroffen, weil
sie über 1 % Jahre nicht mehr in der Schule
gewesen war und ein Wechsel in eine weiterführende Schule anstand.
Die Rückkehr in die Schule sollte allmählich
stattfinden und das Lehrerkollegium sollte
ausreichend vorbereitet sei n.
Zu Beginn besuchte G. den
Vormittagsunter-
richt und ließ nur die Sportstunden aus. Der
erste Tag war anstrengend. Jeder nachfolgende Tag gestaltete sich mühsamer - bis G. Freitag abends mit schlimmen Beinschmerzen zusammenbrach. Es dauerte fast sechs Wochen,
bis sie sich davon erholt hatte, aber sie war in
der Lage, zu Hause für die Schule zu lernen.
Am Ende des Halbjahres kehrte sie für zwei
oder drei Unterrichtsstunden am Stück in die
Schule zurück. Schulisch holte G. schnell auf,
aber rückblickend war man sich einig, dass ihre
Wiedereingliederung in den Schulalltag allmählicher hätte stattfinden müssen.
G's Eltern glauben, dass viele verschiedene
Faktoren zur sicheren Genesung ihres Kindes
beigetragen haben: Die Herstellung von Vertrauen
und Zuversicht am Anfang der Erkrankung, die
nicht-konfrontative und kooperative Arbeitsweise der beteiligten Fachleute, die G. vornehmlich
in ihrer eigenen häuslichen Umgebung behandelten und keinen Druck auf sie ausübten, innerhalb eines festgesetzten Zeitplanes gesund
zu werden. So trug ihr Kind keine traumatischen
psychischen Narben davon, die dann auftreten
können, wenn gewaltsame und anstrengende
Methoden angewandt werden.
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
Anhang C r Diagnosekriterien
C
l
oder wiederkehrende chronische Erschöpfung über einen Zeitraum von mindestens 6
Monaten, die neu aufgetreten ist und nicht
lebenslang bestand. Die Erschöpfung führt
Klinische Merkmale der Myalgischen Enzephalomyelitis (ME)
( Ramsay 19861
Die Myalgische Enzephalomyelitis wurde erstmals 1986 von Dr. Melvin Ramsay beschrieben:
a) Anormale Muskelermüdung und Schwäche
im Vergleich zum bisherigen Leistungsvermögefl, die bereits nach minimaler Anstrengung auftritt (bis zu 72 Stunden später).
Diese nach Anstrengung auftretende
Erschöpfung kann über mehrere Tage
andauern und hat einen völlig anderen Charakter als jede Erschöpfung, die der Patient
vor Beginn der Erkrankung erlebt hat.
b) Verschlechterung der Blutzirkulation in den
Extremitäten und subjektiver TemperaturKontrollverlust.
c) Verschiedene neuropsychiatrische ("enzephalitische") Symptome. Am auffallendsten
sind kognitive Störungen wie Gedächtnisverlust, Konzentrations- und Verständnisbeeinträchtigungen und Störungen der
Wahrnehmung.
d) Nicht erklärbare Schwankungen der Heftigkeit der Symptome von Woche zu Woche,
Tag zu Tag, sogar von Stunde zu Stunde.
e) Eine Tendenz zur Chronifizierung über viele
Monate oder Jahre.
zu einer substanziellen Reduzierung der beruflichen, schulisch€fl, sozialen oder persönlichen Aktivitäten.
B
Nebenkriterien - mindestens 4 müssen
vorhanden sein:
a)
Selbstberichtete Störungen des Kurzzeitgedächtnisses oder der Konzentration, die
aufgrund ihrer Schwere zu beruflichen,
schulischeo, sozialen oder persönlichen
Einschränkungen führen.
Halsschmezen,
empfindliche Hals- und Achsellymphknoten,
Muskelschmerzen,,
Schme rzen mehrerer Gelenke ohne
Schwellung und Rötung,
Kopfschmerzen eines neuen Typs, Musters
oder Schweregrades,
b)
c)
d)
e)
0
g) Keine Erholung durch Schlaf,
h) Zustandsverschlechterung nach Anstrengung,
24 Stunden und länger anhaltend.
C
C 2 Diagnose-Kriterien des Chronic
Fatigue Syndromes (CFS)
(Fukuda et al., 7994)
A
Hauptkriterien
Klinisch gesicherte, ungeklärte, andauernde
Seite 35
Ausschluss anderer medizinischer Erkrankungen, einschliesslich Drogen- oder
Medikamentenmissbrauch sowie schwerer
psychiatrischer Erkran ku ngen.
Voraussetzung für die Diagnose "Chronic
Fatigue Syndrome (CFS)" ist die Erfüllung
aller Hauptkriterien und von mindestens vier
Nebenkriterien. Die Symptome müssen seit
mindestens 6 Monaten vorhanden sein.
@
Fatigatio e.V.
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
Sel bsth i lfeorgan
isationen i n G roßbritan n ien
Selbsthilfevereinigungen für Kinder und Jugendliche mit ME/GFS
1) "Action for ME"
"Action for ME" ist der Name der gemeinnützigen Organisation, die in einem "Leitfaden für die Praxis
zur Unterstützung von Schülern mit krankheitsbedingtem speziellen Bedarf' ("Supporting Pupils with
Medical Needs - a good practice guide") gemeinsam vom britischen Gesundheitsministerium (Dept. of
Health) und dem Bildungs- und Arbeitsministerium (Dept. for Education and Employment) herausgegeben wurde. "Action for ME" hat 8000 Mitglieder und bietet Informationen und Unterstützung für
Menschen, die an ME/CFS erkrankt sind, und ihre Betreuungspersonen an. Die spezielle Abteilung für
Kinder stellt unter der folgenden Internetadresse ein besonderes Angebot ins Netz:
Young Action Online: www.jafc. demon. co. u k/yaon i ne/
Es gibt dort umfangreiche Hilfsangebote per Telefon, Email und Briefkontakt. Jugendliche Mitglieder
erhalten ein Willkommens-Paket, ein vierteljährliches Rundschreiben und "Action Packs", Geburtstags- und Weihnachtskarten, die von dem für Kinder und Jugendliche zuständigen Mitarbeiter persönlich unterzeichnet sind. Sie haben darüber hinaus Zugang zu einem telefonischen Beratungsdienst.
Hier bekommt man Namen und Adressen von Azten, Lehrern, Schulen, Betreuern etc. und kann mit
anderen Mitgliedern und Experten für ME/CFS über Briefkontakt, Telefon oder Email in Kontakt kommen. Die Dokumente auf dieser Website können kostenlos heruntergeladen und fotokopiert werden.
Die älteste Organisation für Jugendliche mit ME/CFS mit dem Namen "TYMES TRUST" (siehe unten)
bietet eine vierteljährliche Zeitschrift an, die von dem Mitarbeiter für Kinder und Jugendliche der
'Action for ME" mit herausgegeb'en wird. Dr. Darrel Ho-Yen, ein auf ME/CFS spezialisierter Arzt und
Autor empfiehlt dieses Magazin für alle jungen Menschen, die an ME/CFS erkrankt sind.
Darüber hinaus ist erhältlich: Ein Informationspaket für Kinder, das u.a. ein Informationsblatt mit medizinischen Fakten sowie Richtlinien zur schulischen Bildung für Lehrer und Erzieher enthält; "ME
Assembly pack for schools" erhältlich bei:
Action for ME
PO Box 1302
Wells
BA5 1YE
Children's Dept and Young Action Online telephone: 01749 677551
24 hour information hotline: 0891 122976
Young Action Online email: [email protected]
I
2) The Association of Youth with ME (AYME)
AYME ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein für junge Menschen unter 25 Jahren. Diese Organisation gibt ein alle zwei Monate erscheinendes Magazin mit dem Titel "CHEERS" heraus, in dem die
jungen Mitglieder selbst die Artikel schreiben. Weiterhin werden passende Brief- / Toncassetten-/
Email-Freundschaften vermittelt, es gibt eine Chat-line, Geburtstagskarten werden verschickt, eine interaktive Website existiert ebenso wie eine Bibliothek, bei der man postalisch ausleihen kann. Jedes
Jahr wird eine zweitägige Tagung organisiert, um soziale Kontakte und gegenseitige Unterstützung
hezustellen und Information für die jungen Menschen und ihre Familien bereitzustellen.
Der Ausschuß für die jugendlichen Mitglieder sorgt dafür, daß die Meinungen der jungen Menschen
Gehör finden. AYME bestärkt die jungen Menschen und hilft ihnen, ihre lsolation zu durchbrechen.
lhre Familien werden durch einen Rundbrief unterstützt, durch eine Telefonberatung für Eltern und
einen Brieffreunde-Club für ihre Geschwister.
AYME vertreibt ein Informationsvideo mit dem Titel 'What Do You Know About M.E?" (Was weißt Du
über ME/CFS?); Faltblätter, in denen beschrieben wird, wie ME/CFS sich anfühlt und was es für
Freundschaften und Beziehungen bedeutet (FRAME), sind von den jungen Mitgliedern selbst verfasst
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Fatisatio eV
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
worden. Das Video und die Faltblätter sind Bestandteil des Informationspakets für Schulen und
werden für Unterrichtsstunden in Sozialkunde verkauft. Das Lehrerhandbuch enthält Unterrichtsvorbereitungen sowie die Richtlinien für Schulen, die'Action for ME" herausgegeben hat.
AYME
Box 605
Milton Keynes
MK6 3EX
Tel./Fax: 01908 691635
Email ä[email protected]
3) The ME Association Young Persons Group (MEAYPG)
c/o ME Association
4 Corringham Road
Stanford-le-Hope
Essex
SS17 OAH
4) TYMES TRUST
Die Organisation "The Young ME Suffere/' (TYMES TRUST) wurde 1988 von zwei Jugendlichen
gegründet, die an ME/CFS litten. Ziel war die Information, die Unterstützung und Unterhaltung von
jungen Menschen mit ME/CFS. TYMES TRUST gibt ein vierteljährlich erscheinendes Magazin heraus
(empfohlen von Dr Darrel Ho-Yen) und bietet telefonische und briefliche Dienstleistungen zwecks
Information, Beratung und Unterstützung an. TYMES TRUST arbeitet zusammen mit "Young Action
Online".
TYMES TRUST
9 Patching Hall Lane
Chelmsford
Essex
CM1 4DH
Tel..01245 263482
Andere ME/CFS Organisationen
Westcare - ist eine in Bristol ansässige, gemeinnützige Organisation, die Informationen und
Beratung für ME/CFS-Kranke anbietet.
155 Whiteladies Road
Bristol
BS8 2RF
Tel.: 0117 9239341
Fax: 01 17 923 9347
National ME Centre
- bietet Unterstützung, Diagnose und stationäre Behandlung (4 Betten) an.
Disablement Services Centre
Harold Wood Hospital
Romford
Essex
RM3 gAR
Tel.: 01708 378050
Seite 40
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
CHROME - Case History Research on ME ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein, der die Krankengeschichten und die Entwicklung der Erkrankung von ans Haus gefesselten, schwer erkrankten
ME/CFs-Patienten dokumentiert.
3 Britannia Road
London
SW6 2HJ
Tel.: and Fax: 01717363511
BRAME - Blue Ribbons for the Awareness of ME
Die "Blue Ribbon Awareness"-Kampagne wurde von einer schwer erkrankten jungen Frau, Tanya
Harrison, initiiert, um das Bewußtsein über die Schwere dieser Krankheit zu fördern. Diese Kampagne
ist jetzt auf internationaler Ebene bekannt.
BRAME
30 Winmere Avenue
Winterton-on-sea
Great Yarmouth
Norfolk
NR29 4BA
Andere niitzliche Quellen
Children's Legal Centre
University of Essex
Wivenhoe Park
Colchester
ESSEX
co4 3sQ
Tel.: 01206 873820
Fax: 01206 874026
Bildung
NAESC (National Association for Education of Sick Ghildren. Dieser Verband wurde 1993 eingerichtet mit dem Ziel, Bildungschancen in ganz Großbritannien für diejenigen Kinder zu verbessern,
deren Bildung durch eine schwerwiegende Erkrankung unterbrochen wurde.
NAESC hat die folgenden Ziele: Die Verbesserung der gesundheitlichen, sozialen, ökonomischen und
kulturellen Möglichkeiten kranker Kinder. Schutz kranker Kinder gegen die Folgen verminderter Schulleistung, so dass sie nicht ohne die Bildungsabschlüsse dastehen, die im Arbeitsleben verlangt werden. Chancengleichheit schatfen für kranke Kinder in allen Lebenslagen.
NAESC versucht dies zu erreichen,
. indem angemessene Angebote für die schulische Bildung von Kindern bereitgestellt werden, die
über lange Zeit im Krankenhaus sind;
. indem Bildungsstandards für Kinder festgelegt und verbessert werden, die krankheitsbedingt die
Schule nicht besuchen können;
.indern Richtlinien und lnformationen bereitgestellt werden, die die Zusammenarbeit zwischen dem
kranken Kind und den Lehrern der zuständigen Schule fördern;
Seite 41
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
.
indem Strategien entwickelt werden, die dem kranken Kind und seinen Eltern helfen, die Kontinuität
und den Fortschritt der Ausbildung zu gewährleisten;
. indem sie sich einsetzt für Nachhilfeunterricht, der die Bildungslücken bei Kindern ausgleicht, deren
schulische Bildung unterbrochen wurde;
. indem das Bewusstsein der Öffentlichkeit und der Fachleute in der Medizin und im Bildungsbereich
über bewährte Methoden der schulischen Bildung kranker Kinder gesteigert wird.
Adresse: NAESC
St Margaret's House
17 Old Ford Road
Bethnal Green
London
E2 gPL
Tel 0181 980 8523
Fax0181 9803447
Email [email protected]. uk
The Advisory Gentre for Education ist ein unabhängiger nationaler Beiatungsdienst für Eltern von
Kindern in staatlichen Schulen in Großbritannien. Er gibt Auskunft über die rechtlichen Belange, über
die Aufgaben und Befugnisse der örtlichen Schulbehörden und unterstützt Eltern ggf. in Rechtskonflikten mit der Schule,
ACE Advisory Centre for Education
18 Victoria Park Square
London
E2 gPB
Tel 0171 3548321
Literatu rem pfeh
"ME The New Plague", by Jane Colby. 1996.
First and Best in Education.
Earlstrees Court
Earlstrees Road
Corby
Northants
NN17 4AX
Tel.: 01536 399011
"somebody Help ME" by Jill Moss. 1996.
Sunbow Books
AYME
5 Medland
Milton Keynes
MK6 3BH
"ME, A PracticalGuide" by DrAnne Macintyre. 1998.
Thorsons Publishers
"Living with illE" by Dr Charles Shepherd. 1999
Cedar Publishers
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I
u
ngen
@
Fatisatio e.V.
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Ergänzende Hinweise für
junge Patienten mit CFS in Deutschland
CFS bei Kindern und Jugendlichen ist in Deutschland bei Aräen und anderen Fachleuten kaum bekannt. Die Diagnose wird selten gestellt. So gibt es auch wenig medizinische Unterstützung für die Erkrankten. Besonders gravierend sind die Probleme, die in der Familie und in Bezug auf Schule und
Ausbildung entstehen.
Regelungen zur Beschulung kranker Kinder und Jugendlicher
i n Nord rhei n-Westfalen
zusammengestellt von Rolf Fischer,
Reatschulkonrektor i.E. und Vorstandsmitglied des Fatigatio e.V.
1. Allgemeine Situationsbeschreibung
Es ist zu unterscheiden zwischen der Schulbesuchspflicht, der Unterrichtsversorgung und der Erfüllung von Leistungsanforderungen. In allen deutschen Bundesländern besteht eine allgemeine Schulpflicht für die Dauer von 10 (in Ausnahmefällen 9) Schulbesuchsjahren, daran schließt sich eine
Berufsschulpflicht bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres an.
2. Schulbesuchspflicht
Wenn ein Kind bzw. ein(e) Jugendliche(r) aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, am
Unterricht teilzunehmen bzw. nur für eine begrenzte Stundenzahl dazu in der Lage ist, so muss dies
durch ein äztliches Attest nachgewiesen werden. Bei begründetem Zweifel ist die Schule verpflichtet,
ein amtsäztliches Attest zu verlangen. Beides dürfte im Fall einer Erkrankung an CFS kein Problem
darstellen, d.h. es dürfte bezüglich der Erfüllung der Schulpflicht für CFS-Kranke keine rechtlichen
Probleme geben.
3. Unterrichtsversorgung
Schwieriger ist die Frage der Unterrichtsversorgung, d.h. der Versorgung mit den Lern- bzw. Bildungsinhalten. Wenn ein(e) Schüler(in) aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Schule gehen kann, lernt erl
sie nichts, sofern nicht Privatpersonen eine häusliche Unterrichtung übernehmen.
In den meisten Bundesländem gibt es die Möglichkeit des Hausuntenichts durch Lehrer der zuständigen
Schule. ln Nordrhein-Westfalen haben Schüler Anspruch auf Hausunterricht, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen der Schule länger als 6 Wochen inner:halb eines Schuljahrs fernbleiben müssen
oder wenn sie wegen Krankheit regelmäßig einen (oder mehrere) Tage pro Woche den Unterricht
nicht besuchen können. Ob dies auch in dem CFS{ypischen Fall gilt, wenn z. B. ein Schüler täglich
nur an 50% der Unterrichtsstunden teilnehmen kann und somit auf einen regelmäßigen Unterrichtsausfall von einer drei Unterrichtstagen pro Woche entsprechenden Stundenzahl kommt, ist in dem
einschlägigen Erlass nicht ausdrücklich erwähnt. (Rund-Erlass d. Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung v. 3.4. 1996).
Anträge auf Hausunterricht sind unter Vorlage eines äztlichen Attests über die Leitung der bisher
besuchten Schule an das zuständige Schulamt zu richten. Da in NRW Schulämter aber nur für Grundund Hauptschulen zuständig sind, die Schulaufsicht für Realschulen, Gymnasien und Gesamtschulen
aber bei den Bezirksregierungen liegt, sollte die Schule - falls es sich um eine der genannten Schulformen handelt gleichzeitig Kontakt mit der Schulabteilung der zuständigen Bezirksregierung aufnehmen.
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"ME/CFS bei Klndern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
Wenn der Antrag auf Hausunterricht bewilligt wurde, heißt das aber noch lange nicht, dass der Hausunterricht auch stattfinden kann, denn in NRW - wie auch in den meisten anderen Bundesländern herrscht derzeit ein krasser Lehrermangel. Die Schule muss in der Regel den Hausunterricht mit eigenen Lehrkräften bestreiten. Diese sind aber durchweg voll in den Stundenplan eingebaut, es würde
also durch Hausunterricht normaler Klassenunterricht ausfallen, was wegen des Unterrichtsanspruchs
der Schüler unzulässig ist. Also müssen in der Regel für Hausunterricht Lehrkräfte aus Sondertöpfen
wie "Geld-statt-Stellen" gesucht werden, die den Hausunterricht übernehmen. Dies kann sich länger
hinziehen.
Der Umfang des Hausunterrichts ist begrenzt auf 5 Wochenstunden (Klassen 1 bis 4), 6 Wochenstunden (Klassen 5 bis 8), I Wochenstunden (Klassen 9 und 10), 10 Wochenstunden (Klassen 11 bis 13).
Es ist klar, dass damit inhaltlich nicht der volle schulische Bildungsgang sichergestellt werden kann.
Eine sinnvolle Alternative zum Hausunterricht stellt für CFS-Kranke nach Ansicht des Verfassers die
Schaffung von Erleichterungen im normalen Schulbetrieb dar. Als solche kommen in Frage z.B. die
Befreiung vom Sportunterricht, das Hineinbringen einer Liege oder eines Bettes in den Klassenraum
(wurde vom Verfasser bereits erfolgreich praktiziert), Erleichterungen beim Schulweg (Taxitransport
bei ärztlichem Attest möglich!), Hilfen durch Mitschüler (pädagogische Motivation und Information der
Mitschüler erforderlich !).
Der Besuch einer Sonderschule wird in der Regel für CFS-Kranke nicht sinnvoll sein, es sei denn,
dass die Kriterien für eine Lernbehinderung.vorliegen. Dies ist in der Regel bei CFS nicht gegeben. lm
Übrigen treten beim Besuch einer Sonderschule ja die vorstehend beschriebenen Schwierigkeiten in
gleicher Weise auf.
Schulen für Kranke sind als spezielle Form einer Sonderschule in NRW in der Regel bestimmten
Krankenhäusern - oft größeren Kliniken für Jugendpsychiatrie - angegliedert und beschulen normalerweise die dort für längere Zeit stationär untergebrachten Schüler. Der Unterrichtsumfang dort hat üblicherweise den Umfang wie der oben beschriebene Hausunterricht, kann also die erforderlichen Bildungsinhalte der allgemeinbildenden Schulen nicht abdecken. Dennoch ist für CFS-kranke Jugendliche, die stationär behandelt werden, der Besuch einer dem Krankenhaus angegliederten Schule
sinnvoll. Größere Formalitäten sind hierfür in der Regel nicht abzuwickeln, da allein der Krankenhausaufenthalt schon zum Besuch der Schule für Kranke berechtigt.
Eine oft übersehene sinnvolle Möglichkeit der Unterrichtsversorgung für CFS-kranke Jugendliche
- etwa ab dem Alter von 15 Jahren - stellt der Besuch einer Abendrealschule oder eines Abendgymnasiums dar. Da CFS-Patienten nicht selten in den späten Nachmittags- oder Abendstunden leistungsfähiger sind als am Vormittag, können sie oft regelmäßiger am Unterricht teilnehmen, wenn sie
nicht gezwungen sind, morgens sehr früh aufzustehen. In NRW setzt der Besuch der Abendrealschule ohnehin keine parallel dazu ausgeführte Berufstätigkeit oder eine absolvierte Berufsausbildung
voraus, der Besuch des Abendgymnasiums allerdings. Aber selbst zum Besuch des Abendgymnasiums gibt es bei Vorlage eines äztlichen Attests, aus dem hervorgehen muss, ciass der Besuch
einer Abendschule aus medizinischen Gründen angezeigt ist, leicht eine Ausnahmegenehmigung. Der
Antrag dazu ist über die Leitung des Weiterbildungskollegs (hierzu sind in NRW Abendrealschulen
und Abendgymnasien zusammengefasst) an die Bezirksregierung zu stellen.
4. Leistungs- und Prüfungsanforderungen
Häufig wird von kranken Schülern und von deren Eltern übersehen, dass es für Krankheit und
dadurch bedingte Unterrichtsversäumnisse niemals positive Zeugnisnoten oder gar Schulabschlüsse
geben kann. Die Vorschriften über Leistungsbewertungen und über die Vergabe schulischer
Abschlüsse beziehen sich stets auf die inhaltlichen Anforderungen, die zu erfüllen sind, und beschreiben detailliert, welche Notenstufen beiwelchem Leistungsniveau und welche Abschlüsse bei welchen
Notenstufen zu vergeben sind. So müssen z.B. die Leistungen eines Schülers, der krankheitsbedingt
während eines Halbjahrs keine Klassenarbeit mitgeschrieben hat und auch keine mündlichen Leistungen vorueist (2.8. weil er durchweg nicht anwesend war) mit ,,ungenügend" bewertet werden. ln Übereinstimmung mit den Eltern kann dann die Ausfertigung eines Zeugnisses ganz unterbleiben. Ein
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"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
Anspruch auf Versetzung in die nächst höhere Klasse oder auf Zuerkennung eines Abschlusses
besteht dann natürlich nicht.
'Auf zweierlei Art kann es jedoch für CFS-betroffene Schüler eine Erleichterung geben:
Gemäß W zu $ 10 zur AO Sl (NRW) muss seitens der Schule dafür gesorgt werden, dass für,Schüler mit gesundheitlichen Behinderungen bei Prüfungen und Klassenärbeitän durch geeignete Hilfen
vergleichbare Bedingungen wie für gesunde Schüler geschaffen werden. Dies kann im rätt von CFS
beispielsweise bedeuten, dass für eine bequemere bzw. entlastende Sitzgelegenheit gesorgt wird,
dass eine längere Bearbeitungszeit eingeräumt wird, dass gestattet wird, bei Klassenärbeitän eine
Pause einzulegen, dass für besonderen Lärmschutz gesorgt wird oder dass ein CFS-betroftener
Schüler eine Klassenarbeit am Nachmittag anstatt am frühen Vormittag schreiben darf, falls er dann
leistungsfähiger ist. Es ist aber rechtlich unzulässig, dass etwa die inhaltlichen Anforderungen einer
Klassenarbeit für kranke Schüler gesenkt werden oder dass kranke Schüler andere inhalliche Hilfen
benutzen dürfen als gesunde Schüler (2.B. Wörterbuch oder Taschenrechner in höherem Umfang
benutzen dürften als die übrigen Schüler).
Eine gute Möglichkeit der Hilfe für kranke Schüler (egal ob CFS oder andere Krankheit) besteht in
einer Verlängerung der Höchstverweildauer. In NRW liegt die zulässige Höchstverweildauer für Schüler der Sekundarstufe I bei I Jahren, in der Sekundarstufe ll bei 4 Jahren. Es ist bei Vorlage eines
ärztlichen Aüests ohne Probleme möglich, eine Ausnahmegenehmigung zur Überschreitung dieser
Höchstverweildauer zu erhalten. Damit kann sich also ein Schüler in der S ll beispielsweise die Wiederholung von zwei Jahrgangsstufen erlauben, was zu einer Verteilung der Unterrichtsinhalte auf
einen größeren Zeitraum führt. Dem Verfasser sind mehrere Fälle kranker Schüler(innen) bekannt,
wo diese Möglichkeit dazu führte, dass trotz chronischer Erkrankung der gewünschte Bildungsabschluss erreicht werden konnte.
Seite 45
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
Fatigatio e.V.
Tymes Trust
Die britische Wohltätigkeitsorganisation
"Tymes
Trust", die sich zur Aufgabe gemacht hat, junge
Menschen im Kampf gegen ihre ME/CFSErkrankung zu unterstützen, steht auch für
Jugendliche und ihre Familien aus anderen europäischen Ländern offen. 1989 von zwei jugendlichen Betroffenen gegründet, bietet "Tymes Trust"
weltweit Kindern, ihren Familien, Lehrern und
Schulen sowie den behandelnden Arzten persönliche Beratung in Form von telefonischen Sprechzeiten, einem vierteljährlich erscheinenden Magazin
und Emails an.
Registered Charity Number 1080985
Schirmherr von "Tymes Trust" ist das Oberhausmitglied Lord Tim Clement-Jones. Zum wissenschaft-lichen Beirat von "Tymes Trust" zählen die
MHCFS-Koryphäen Dr. Alan Francklin und Dr. Darrel
Ho-Yen, die in schwierigen Fällen auch über eine
telefonische Konferenzschaltung ärztlichen Rat
erteilen.
"Tymes Trust" finanziert sich ausschließlich aus
Spendengeldern und ist daher um möglichst geringe administrative Kosten bemüht.
Die Mitgliedschaft für britische Jugendliche unter 26 Jahren ist kostenlos - Jugendliche aus
dem restlichen Europa zahlen f 7,50 pro Jahr.
Pafron: Lord Tim Clement-Jones
Afvzlrlcing tfre Care
of ?eoyfe wftn ivIE
Sprechzeiten von "Times Trust":
Montags bis Freitags von 11 .00 bis 13.00 Uhr und
17 .00 bis 19.00 Uhr,
Tel.: 0A44 - 1245-263482
In parftrership with
I
o vi.n1o* t( o n o nl
an r. c o
wl
Homepage von "Young action online":
www.you ngactionon I i ne. com
Adresse:
Tymes Trust
9 Patching Hall Lane
Chelmsford
CM1 4DH
Großbritannien
Seite 46
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Fatigatio e.V.
"ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen"
AUFRUF:
ZurZeit erhalten an CFS erkrankte Kinder und Jugendliche und ihre Familien in Deutschland kaum Unterstützung.
Die Diagnose wird fast nie gestellt, weil es an Informationen und an Arzten mit entsprechenden Kenntnissen mangelt.
Die Akzeptanz von CFS ist gering, Verständnis wenig vorhanden.
Kontakte zu anderen Betroffenen /betroffenen Familien bestehen in der Regel nicht.
Besonders schwierig ist die Situation der schwer erkrankten Kinder und Jugendlichen.
Auch wenn es derzeit keine kausale Therapie für CFS-Kranke gibt, so kann Leid vermieden
und vermindert werden, wenn durch Aufklärung die Situation verbessert wird.
Wir möchten Betroffene bzw. deren Familien miteinander in Kontakt bringen, um
Erfahrungen zu sammeln und auszutauschen.
Daraus kann eine Gruppe zum Thema "CFS bei Kindern und Jugendlichen" entstehen, die sich als Teil des Fatigatio e.V. für mehr Information, Akzeptanz und
bessere Abklärungs- u nd Behand I u ngsmög I ich keiten einsetzt.
Wir suchen auch dringend Arztelilrztinnen (vor allem Kinderärzte/ärztinnen), die
Fälle von CFS bei Kindern oder Jugendlichen kennen und behandeln oder sich
für dieses Thema interessieren.
Wenn Sie Interesse am Thema und/oder an der Zusammenarbeit
mit anderen haben, um die Situation der Erkrankten zu bessern,
melden Sie sich bei uns
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Fatigatio e.V.
Der Fatigatio e.V. ist Mitglied in:
. Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte (BAGH)
. Landesarbeitsgemeinschaften NRW, Berlin, Hessen
. Verbund Deutscher Selbsthilfen in der Schlafmedizin;
I nteressengemeinschaft
für schlafassoziierte Erkrankungen
. Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten e.V, (DGVP)
. European ME/CFS Alliance

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