Jürgen Giesel: Auf der Suche nach dem besonderen Wein,Tim

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Jürgen Giesel: Auf der Suche nach dem besonderen Wein,Tim
Jürgen Giesel: Auf der Suche
nach dem besonderen Wein
Kulinarisch38 traf den bekannten Sommelier Jürgen Giesel in
der Wolfenbüttler Rösterei Treccino und schwärmte mit ihm über
Wein, Geschmack, Aromen und Strukturen.
Jürgen Giesel im Treccino.
Gutes Essen und ein entsprechender Wein. Das gehört einfach
zusammen. Und wenn man auch Menschen irgendwie verstehen kann,
die dem Trinken alkoholischer Getränke aus gesundheitlichen
Gründen abgeschworen haben: Niemals mehr die ergänzenden
Aromen eines Glases Wein neben denen zu spüren, die sich aus
dem Essen heraus entfalten. Das möchte man sich nicht wirklich
vorstellen.
Umso
gespannter
war
ich
auf
einen
Interviewpartner, der als Koryphäe seiner Zunft gilt. Jürgen
Giesel ist nicht nur irgendein Sommelier, sondern einer, der
Preise und Ehrungen abgeräumt hat
und, der vor allem in
jungen Jahren fast alles erreicht hat, was man erreichen kann.
Wir treffen uns im Treccino in Wolfenbüttel. Es sind zwei neue
Kaffeesorten, Kolumbianer, da und da ist man natürlich auch
sofort neugierig, was ein geschulter Gaumen so herausschmeckt.
Sommelier oder Berufssportler. Nicht häufig wird man diese
beiden Möglichkeiten in einer Biografie antreffen. Für Jürgen
Giesel standen sie vor vielen Jahren als Option. Und wenn man
ihn heute über das Thema Wein leidenschaftlich sprechen hört,
man ahnt, dass er das Bällewerfen auf einen Korb genauso
ehrgeizig betrieben hätte. Wenn es denn dazu gekommen wäre.
Leidenschaft zum Wein
Die Leidenschaft zum Rebensaft fing mit 18 Jahren an. »Während
meine Freunde in dieser Zeit alle schon einmal einen
ordentlich Rausch gehabt hatten, habe ich mich vor der
Volljährigkeit nicht an Alkohol herangewagt«, erzählt er,
während er den Kaffee verkostet. Kräftig, aber nicht zu viel
Säure, wägt Jürgen Giesel ab, fügt jedoch gleichzeitig hinzu:
»Ich habe mich ganz auf den Wein konzentriert. Deshalb würde
ich mich hier mit einem Urteil zurückhalten.« Den Wein und
seine geschmacklichen Dimensionen hat Giesel in der Weinstube
Reblaus in Berlin so richtig kennengelernt. Dorthin wechselte
er im zweiten Lehrjahr seiner Ausbildung. Dass es hier
ordentlich Wein gab, liegt nahe. Dazu hatte der junge Lehrling
Glück und traf auf einen Lehrmeister, der ihn zwar in eine
harte Schule nahm, der ihm allerdings auch etwas vermitteln
konnte. »Ich habe mich wirklich stark für das Thema Wein
interessiert und alles aufgesogen«, erinnert sich Giesel. So,
wie es in jeder guten Lehrzeit gehen muss. Irgendwann wächst
man dem Meister über den Kopf und weiß mehr als er.
Ehrgeizig nach vorn
Dieser Zeitpunkt sei ihm noch lebhaft vor Augen, berichtet
Giesel. »Danach hat er erst mal eine ganze Weile nicht mehr
mit mir gesprochen«, lacht er. Damals war das wohl etwas
angespannter. Das Restaurant sei klein gewesen und da konnte
man sich kaum aus dem Weg gehen, erinnert sich Giesel. Aber
wer ein Ziel vor Augen hat, erduldet manches. Und das lag
nahe. Mit 19 bereits für die Weinkarte in einem guten
Restaurant tätig zu sein, das ist schon allerhand. Das
Schicksal führte die Regie und sicher auch der Ehrgeiz des
jungen Auszubildenden. Entscheidend ist es immer, die
richtigen Menschen im Leben zu treffen. Dieses Glück wurde
Jürgen Giesel zuteil. Bei einem Seminar mit dem bekanntesten
deutschen Sommelier Markus del Monego gewann er dessen
Vertrauen und seinen nächsten Job durch die Vermittlung des
Weltsommeliers. Bei der Deutschen Sommelier Union in Coburg.
Es folgte eine Sommelier-Schule in Koblenz, die Prüfung mit 21
Jahren und das erste Arbeitsfeld in der Schweiz – damit war
Giesel jüngster Sommelier. In diese Zeit fiel auch das
Kennenlernen seiner Frau. Da sich bei Jürgen Giesel alles um
das Thema Wein dreht, war es natürlich klar, dass die
ebenfalls Sommeliere ist.
In die Sternegastronomie
Obwohl
Jürgen
Giesel
eigentlich
niemals
in
eine
Sternegastronomie wollte. Es hat ihn dorthin verschlagen. Zum
Wolfsburger Restaurant Aqua von Sven Elverfeld stieß er, als
gerade der erste Stern in die Stadt der Autos ging. »Das war
eine
tolle
Zeit.
Es
war
viel
Bewegung,
viel
Experimentierfreudigkeit in der Küche und da konnte man sich
natürlich auch als Sommelier gut entwickeln«, erzählt er. Sein
Anliegen sei es gewesen, nicht das Altbekannte auf den Tisch
zu bringen, sondern das Unerwartete. Autochthone Trauben,
kleine Anbieter mit dennoch großen Weinen. »Ein Wein muss mit
dem Essen zusammen etwas Neues schaffen«, erklärt er seine
Philosophie. Dazu griff Jürgen Giesel zu sehr unorthodoxen
Mitteln. Etwa, als er mit seinen Gästen in schwarzen Gläsern
neue Geschmackswelten erkundete. »Sommelier zu sein erfordert
ein hohes Maß an Vertrauen und, wenn sich die Gäste da
einlassen, dann entstehen oft tiefe Beziehungen. Über das
kulinarische Event hinaus.« Es kam der zweite Stern, neue
Herausforderungen, bis hin zur Erkenntnis, dass es anderer
Wege bedarf, um sich am Ende nicht selbst zu kopieren. Echte
Herausforderungen.
Vom Kenner zum Produzenten
Und was wäre naheliegender als die dort zu suchen, wo Weine
selbst gemacht werden. Jürgen Giesel tat sich mit dem Weingut
Scheu zusammen, um eine Vision Wirklichkeit werden zu lassen.
Ein Chardonnay, der vom großen burgundischen Montrachet
inspiriert ist, schwärmt er. 2011 kam der erste Jahrgang und
seitdem experimentiert Jürgen Giesel und übt sich in der Kunst
des Weinmachens. Diese Arbeit habe ihn verändert, erzählt er.
»Während es mir früher hauptsächlich um die Aromatik des Weins
geht, ist mir die Struktur heute mindestens genauso wichtig«,
erläutert er. Struktur, das ist der Körper, die Bestandteile,
die den Charakter des Weins ausmachen. Dazu gehört aber auch
Geschichte, Klima, Bodenbeschaffenheit. Die erkundet er bei
seinem Chardonnay nun überdies ganz praktisch. Bei der letzten
Lese sei er mit seinen Kindern dort gewesen, berichtet Jürgen
Giesel und habe erleben können, wie seine kleinen Kinder, den
Charakter des Weins am Rebstock auf ihre kindliche Art für
sich entdeckten. Das dürfte ebenfalls eine neue Dimension in
seiner Arbeit geschaffen haben. Und das Vaterherz erfüllt es
zudem mit Stolz.
Der Weinkommunikator
Für Höpfner Getränke stellt Jürgen Giesel nun seit einigen
Jahren seine Expertise zur Verfügung, berät Restaurants als
Fachberater für Wein und moderiert Weinproben. Eine Tätigkeit,
die mehr als Job für ihn ist. Ich finde dort optimale
Bedingungen für die Arbeit vor. Dort lernte ich ihn auch
kennen, als er für die Brasserie an der Oker den Wein&WirtAbend gestaltete. Dort macht er das, was er liebt: Die
Geschmackswelten großer Weine zu kommunizieren. Dass das eine
»Never Ending Story« ist, kann man sich leicht vorstellen-.
»Man kann niemals aufhören oder stehen bleiben. Denn es gibt
so viel zu entdecken«, schwärmt er. Dass Genuss und Maß
zusammenhängen, das verdeutlicht er ebenfalls. »Ich brauche
nicht den großen Rausch, sondern den guten Geschmack«, so
Giesel. Und den sucht er mit viel Beharrlichkeit. Ob im
Urlaub, auf Dienstreisen. Ein Winzer findet sich immer. Und
vielleicht auch ein Wein mit einer Vision. Jürgen Giesel, hat
man den Eindruck, wird ihn aufspüren.
Tim Mälzer kocht Heimat
Kulinarisch38 hat sich das heute erschienene neue Kochbuch von
Tim Mälzer mit dem Titel Heimat angeschaut.
Tim Mälzer ist zurzeit (wieder mal) in aller Munde. Der Koch
versteht das Medienhandwerk. Sein neustes Kochbuch mit dem
Titel Heimat ist ein Medienevent. Und das bestimmt nicht wegen
des Themas. Denn normalerweise würde das, was der 43-jährige
da anbietet, kaum jemandem hinter dem Ofen hervorlocken.
Steckrübeneintopf wäre etwas für die Reprintausgabe »aus
Großmutters Kochtopf« und ein Brathähnchen, denkt man, wird
schon irgendwie gehen. Mälzers Buch ist trotzdem wesentlich
mehr als eine Ansammlung von kulinarischen Allgemeinplätzen.
Wenn man sich den Textteil anschaut, wird vieles bestätigt,
was wir bei der Kulinarisch38-Recherche Tag für Tag erleben.
»Denn das mit dem Pessimismus, der Nörgelei und Schwarzseherei
der Deutschen ist doch auch nur ein Klischee«, diagnostiziert
Mälzer. Und genau das zeigt sich tatsächlich.
Produktvielfalt an der Basis
Ob
produzierend
als
Gemüse-
oder
Milchbauern. Ob als Initiative einer
kleinen Lebensmittelmanufaktur oder
eines großen
Restaurant,
Betriebes. Oder als
zu
dem
man
über
verschlungene Lebenswege gekommen ist:
Es lohnt sich, wie Tim Mälzer rät,
»einfach mal um die nächste Ecke zu
schauen.
Überall
finden
sich
handwerklich arbeitende Produzenten und
eine erstaunliche Produktvielfalt, die
es zu unterstützen gilt.« Und genau
diese Produktvielfalt zu entdecken, verschreibt sich
Kulinarisch38. Heimat bekommt also einen Ehrenplatz in der
Redaktion.
Tradition und Handwerk
Gedanken haben ihre Zeit. Freilich nicht nur die guten. Aber
eben auch die. Und wenn der Steigenberger Küchenchef Tim
Müller gegenüber unserem Blog schwärmt, wie schön es sei, zu
den Wurzeln zurückzugehen, Vergessenes auf den Teller zu
bringen und den »Auszubildenden in der Küche diese Tradition
lebendig zu vermitteln«, dann klingt das bei Mälzer so. »Doch
die schönste Rezeptsammlung nutzt nichts, wenn die Tradition
nicht gepflegt wird, wenn das Wissen um das Handwerk nicht
weitergegeben und von der nächsten Generation neu gedacht
wird.« Heimat schmeckt in allen Lebenslagen, wie man in den
einzelnen Kapiteln nachschlagen kann.
Heimat schmeckt
Da geht es um »Suppen«, »Mittagstisch«, »Fisch«, »Fleisch«,
»Salate, Gemüse & Beilagen«, »Abendbrot« und Süßes«. Den
»Strammen Max« hat bestimmt jeder nach einer Kneipentour um
Mitternacht auf den Tisch gebracht. Wenn man sich etwas Zeit
nimmt, kann er mit dem »Zwiebel-Gurken-Häckerle« sicher noch
einmal aufgewertet werden. Soleier an sich sind schon Pflicht
in diesen Tagen. Die Rotweinvariante Mälzers sollte man
unbedingt probieren. Oder warum einfach nicht mal einen
Kochschinken selbst zubereiten? Man mag solchen Medienhypes
zurecht skeptisch gegenüberstehen, wie das jetzt der Fall ist.
Andererseits sollte man auch nicht ständig miesepetern.
So ein Buch wie das von Tim Mälzer kann eigentlich nur die
Aufforderung beinhalten, die eigene Region zu entdecken,
nachzufragen und neu zu schaffen. Wenn ein Teil der
Popularität des Starkochs an der Basis bei den unzähligen
Kreativen hängen bleibt, dann leistet er so viel wie eine
Fußball Nationalmannschaft, die durch ihren Weltmeistertitel
Nachwuchsfußballer in die Vereine zieht.
Das Buch aus dem Mosaik-Verlag bekommt man für 19,99 € im
regionalen Buchhandel, zum Beispiel bei Pfankuch in
Braunschweig oder bei Bücher Behr in Wolfenbüttel. Es ist
gebunden, hat 301 Seiten und ist mit zahlreichen Abbildungen
ausgestattet.

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