Auf der Walz

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Auf der Walz
T h e m e n kalender
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Auch Mädchen gehen heute auf die Walz.
80 mal 80 Zentimeter großen Tuch, das
kunstvoll zusammengerollt wird, sind
Handwerkszeug, Wasch- und Schuhputzzeug sowie Unterwäsche verpackt. Nicht zu
übersehen der „Stenz“, der bizarr gedrehte
Knotenstock. Der „rechtschaffene fremde
Geselle“ trägt auch ein Wanderbuch bei
sich, welches in vier Sprachen geschrieben
den Charakter eines Reisepasses hat und den
Inhaber als „echtmäßig fremdgeschriebenen
Gesellen“ ausweist.
n Deutschland sollen es noch an die 600
sein, die zwischen Gesellen- und Meisterprüfung als „Tippler“ durch die Lande
wandern. Auch durch Österreich „walzen“
noch ab und zu „fahrende“ Handwerksgesellen. Die Wanderschaft dauert drei Jahre und
einen Tag, wobei sich der fahrende Geselle seinem Heimatort nur
auf 50 Kilometer nähern darf.
Längere Fahrten mit öffentlichen
Verkehrsmitteln sind tabu. Genächtigt wird
in Jugendherbergen, unter Heuschobern
oder unter freiem Himmel. Bei einem Meister darf der Geselle maximal drei Monate
lang für Kost und Logis arbeiten.
Unschwer zu erkennen sind die „fahrenden“ Gesellen an ihrer schwarzen Kleidung: Dazu gehören beispielsweise bei
den Maurern und Zimmerleuten ein
schwarzes Wams mit großen Perlmuttknöpfen, eine schwarze Samthose
mit weiten Hosenbeinen, ein weißes,
kragenloses Hemd, schwarze Schuhe
oder Stiefel, ein schwarzer Zylinder
oder noch häufiger der breite
schwarze Schlapphut, den die Wanderburschen nur „vor dem Herrn und
vor einer vollen Schüssel“ abnehmen.
Wie die Kleidung ist auch das weitere
„Zubehör“ der Wandergesellen auffällig: Im
„Charlottenburger“ oder „Charlie“, einem
Zünfte und Gesellenverbände
Die „rechtschaffenen fremden Gesellen“
sind eine überparteiliche, überreligiöse und
übernationale Vereinigung von gleichgesinnten Bauhandwerkern, die in die Welt
ziehen, um sich mit den Bräuchen, Lebensgewohnheiten und Arbeitspraktiken anderer
Völker vertraut zu machen und berufliche
Erfahrungen zu sammeln. Sie sind die älteste noch existierende deutsche Zunft für das
Maurer- und Steinhauerhandwerk sowie für
die Zimmerer und Schieferdecker. Die Mitgliedschaft muss „erwandert“ werden, der
Aspirant muss eine ins Baufach fallende
Gesellenprüfung abgelegt haben, soll zuverlässig und kameradschaftlich, schuldenfrei,
nicht über 30 Jahre und unverheiratet sein.
Nach dreijähriger Wanderschaft kann er
sich „einheimisch melden“, wird zum „einheimischen fremden Gesellen“ und kann
sich nach Ablegung der Meisterprüfung
sesshaft machen.
Zünfte waren ursprünglich Vereinigungen von Handwerkern desselben Handwerkerzweiges zum gemeinsamen Schutz und
zur Regelung von Gewerbefragen. Vollberechtigte Zunftmitglieder waren nur Handwerksmeister, deren Frauen und Kinder.
Lehrlinge und Gesellen waren weitgehend
rechtlos, wurden vielfach ausgebeutet und
gezüchtigt und zählten zu den besitzlosen
Habenichtsen. Im Mittelalter gegründete
Fotos: Gerhard Spanring
Einst mussten
die Handwerksgesellen nach
der Lehre auf
die Walz (auch
Stör, Tippelei oder Gesellenwanderung genannt) gehen, um neue
Arbeitspraktiken kennen zu lernen
und Lebenserfahrung zu sammeln.
Erst danach wurden sie zur Meisterprüfung zugelassen. Meister kann
man seit gut einem Jahrhundert
auch ohne Walz werden, trotzdem
begeben sich auch heute noch
Gesellen auf Wanderschaft.
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Auf der Walz
Auffällig ist nicht nur die Tracht,
sondern auch der gedrehte Stock.
Gesellenverbände erzwangen von den Meistern geregelte Arbeitszeiten bei gerechten
Löhnen, Lehrlingsausbildung und Aufwertung des Gesellenstandes.
Nicht nur Kleidung und „Zubehör“ der
Wandergesellen sind auffällig, auch zunftbezogene Ausdrücke unterscheiden sich von
der üblichen Sprache: Meinen doch die fahrenden Gesellen unter „Schmalmachen
beim Krauter“ die zünftige Vorsprache bei
einem Meister um Quartier und Arbeit. Im
„Krug“, also in der Herberge, „schallern“
(singen) die Wanderburschen zünftige Gesellenlieder und klatschen im Takt, wenn in
fröhlicher Runde „Kölm“ (Schnaps) und
Bier getrunken wird.
Gerhard Spanring