Die Verjährung von Schadenersatzforderungen aus positiver

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Die Verjährung von Schadenersatzforderungen aus positiver
Die Verjährung von Schadenersatzforderungen
aus positiver Vertragsverletzung
DISSERTATION
der Universität St. Gallen,
Hochschule für Wirtschafts-,
Rechts- und Sozialwissenschaften
sowie Internationale Beziehungen (HSG)
zur Erlangung der Würde eines
Doktors der Rechtswissenschaft
vorgelegt von
Philippe Seiler
von
Zürich
Genehmigt auf Antrag der Herren
Prof. Dr. Alfred Koller
und
Prof. Dr. Ivo Schwander
Dissertation Nr. 3932
Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Internationale Beziehungen (HSG), gestattet hiermit die
Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen.
St. Gallen, den 17. Mai 2011
Der Rektor:
Prof. Dr. Thomas Bieger
Meinen Eltern
Vorwort
Zunächst möchte ich Prof. Dr. ALFRED KOLLER für die angenehme und lehrreiche Zeit an seinem Lehrstuhl sowie für die mir gewährte Freiheit bei der Bearbeitung des Themas danken. Danken möchte ich auch Prof. Dr. IVO SCHWANDER, der sich trotz seiner hohen Arbeitsbelastung bereit erklärt hat, das Korreferat zu übernehmen.
MARC WOLFER, M.A. HSG in Law and Economics, danke ich für die angenehme Zusammenarbeit und die anregenden Gespräche während unserer gemeinsamen Assistenzzeit.
BÉNON EUGSTER vom Dike Verlag danke ich für die unkomplizierte Zusammenarbeit bei der Drucklegung dieser Dissertation.
Einen besonderen Dank schulde ich schliesslich Dr. CHRISTOPH NEERACHER
von Bär & Karrer für seine Unterstützung, welche die Finalisierung der Dissertation während dem Anwaltspraktikum ermöglicht hat.
Heiden, im Juli 2011
Philippe Seiler
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis......................................................................................................IX Abstract ................................................................................................................... XIII Abkürzungsverzeichnis .........................................................................................XIV Literaturverzeichnis.............................................................................................XVIII
§ 1. Einleitung ........................................................................................................... 1
1. Kapitel: Grundlagen § 2. Die Verjährung im Allgemeinen...................................................................... 3 § 3. Forschungsgegenstand: Positive Vertragsverletzungen................................ 9 § 4. Subsidiäre Anwendung von Art. 127 ff. OR................................................. 19
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn § 5. Ablehnung der Surrogatstheorie..................................................................... 24 § 6. Verjährungsbeginn mit begründeter Vermutung eines künftigen Schadens. 28 § 7. Schadenseinheit: Beginn bei teilweiser Fälligkeit......................................... 39 § 8. Beginn in speziellen Situationen .................................................................... 44 § 9. Beginn und der Parteiwille.............................................................................. 51 § 10. Besondere gesetzliche Regelungen................................................................ 54
3. Kapitel: Die Verjährungsfrist § 11. Die Verjährungsfristen im Allgemeinen........................................................ 62 § 12. Unabänderbarkeit bestimmter Verjährungsfristen........................................ 64 § 13. Besondere Verjährungsfristen ........................................................................ 68 VII
Inhaltsübersicht
4. Kapitel: Die Verjährungshemmung § 14. Anlaufs- und Fortlaufshemmung ................................................................... 73 § 15. Ablaufshemmung ............................................................................................ 79
5. Kapitel: Die Verjährungsunterbrechung § 16. Unterbrechungshandlungen des Gläubigers.................................................. 84 § 17. Unterbrechungshandlungen des Schuldners ................................................. 90 § 18. Wirkungen der Unterbrechung....................................................................... 91
6. Kapitel: Positive Vertragsverletzung und strafrechtliche
Verantwortlichkeit § 19. Anwendbarkeit von Art. 60 Abs. 2 OR ......................................................... 97 § 20. Die strafrechtliche Verjährungsordnung...................................................... 104
7. Kapitel: Teilweiser Reformbedarf § 21. Keine Vereinheitlichung des Verjährungsrechts ........................................ 110 § 22. System der doppelten Fristen ....................................................................... 115
Zusammenfassung .................................................................................................. 123 VIII
Inhaltsverzeichnis
Abstract ................................................................................................................... XIII Abkürzungsverzeichnis .........................................................................................XIV Literaturverzeichnis.............................................................................................XVIII
§ 1. Einleitung ........................................................................................................... 1
1. Kapitel: Grundlagen § 2. Die Verjährung im Allgemeinen...................................................................... 3 I. Gegenstand und Wirkung der Verjährung ......................................3 II. Zweck und Rechtfertigung der Verjährung ....................................4 1. Die Verjährung rechtfertigende Zwecke ..................................5 2. Weitere positive Nebeneffekte .................................................8 § 3. Forschungsgegenstand: Positive Vertragsverletzungen................................ 9 I. Tatbestand: Verletzung von vertraglichen Pflichten und
Schutzpflichten.................................................................................9 1. Überblick ..................................................................................9 2. Die Verletzung von Schutzpflichten im Rahmen der
Vertragserfüllung im Besonderen...........................................13 II. Schadenersatz als Rechtsfolge ......................................................16 III. Fehlende Rechtsgrundlage............................................................18 § 4. Subsidiäre Anwendung von Art. 127 ff. OR................................................. 19 I. Keine Anwendung von Art. 60 Abs. 1 OR ...................................19 II. Teilweise Anwendung besonderer Verjährungsbestimmungen ..22
IX
Inhaltsverzeichnis
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn § 5. Ablehnung der Surrogatstheorie..................................................................... 24 § 6. Verjährungsbeginn mit begründeter Vermutung eines künftigen Schadens 28 I. Zeitpunkt der erstmöglichen Geltendmachung massgebend............. 28 II. Erstmögliche Geltendmachung mit begründeter Vermutung eines
künftigen Schadens ........................................................................ 29 III. Anhaltspunkte, die eine begründete Vermutung zulassen............. 33 IV. Rechtsprechung und Lehre .......................................................... 37 § 7. Schadenseinheit: Beginn bei teilweiser Fälligkeit ........................................ 39 § 8. Beginn in speziellen Situationen .................................................................... 44 I. Aufschiebend bedingte Forderungen............................................ 44 II. Solidarschulden............................................................................ 44 III. Schadenersatzrenten..................................................................... 46 IV. Ansprüche aus einer Dauerstörung .............................................. 48 V. Forderung auf Schadenszins ........................................................ 50 § 9. Beginn und der Parteiwille ............................................................................. 51 § 10. Besondere gesetzliche Regelungen................................................................ 54 I. Kaufvertrag................................................................................... 54 II. Werkvertrag ................................................................................. 56 III. Frachtvertrag ................................................................................ 60
3. Kapitel: Die Verjährungsfrist § 11. Die Verjährungsfristen im Allgemeinen........................................................ 62 § 12. Unabänderbarkeit bestimmter Verjährungsfristen........................................ 64 I. Absolutes Abänderungsverbot ..................................................... 64 II. Einzelfragen ................................................................................. 67 § 13. Besondere Verjährungsfristen ........................................................................ 68 X
Inhaltsverzeichnis
I. Art. 128 OR...................................................................................68 II. Weitere besondere Verjährungsfristen .........................................71
4. Kapitel: Die Verjährungshemmung § 14. Anlaufs- und Fortlaufshemmung ................................................................... 73 I. Rechtfertigungsdefizit der Hemmungsgründe ..............................74 II. Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR im Besonderen...................................75 III. Arglistige Täuschung als Hemmungsgrund...................................78 § 15. Ablaufshemmung ............................................................................................ 79
5. Kapitel: Die Verjährungsunterbrechung § 16. Unterbrechungshandlungen des Gläubigers.................................................. 84 I. Jede rechtliche Geltendmachung der Forderung als
Unterbrechungshandlung ..............................................................84 II. Einzelne Unterbrechungshandlungen des Gläubigers ..................88 III. Einzelfragen ..................................................................................89 § 17. Unterbrechungshandlungen des Schuldners.................................................. 90 § 18. Wirkungen der Unterbrechung....................................................................... 91 I. Umfang der Unterbrechung...........................................................91 II. Beginn des Fristenlaufs.................................................................94 III. Dauer der neuen Verjährungsfrist.................................................96
6. Kapitel: Positive Vertragsverletzung und strafrechtliche
Verantwortlichkeit § 19. Anwendbarkeit von Art. 60 Abs. 2 OR ......................................................... 97 I. Anwendung von Art. 60 Abs. 2 OR auf den Tatbestand der
positiven Vertragsverletzung ........................................................97 II. Tatbestandsvoraussetzung: Strafrechtliche Verantwortlichkeit ..98 XI
Inhaltsverzeichnis
III. Rechtsfolge: Längere strafrechtliche Verjährung ...................... 103 § 20. Die strafrechtliche Verjährungsordnung...................................................... 104 I. Der strafrechtliche Beginn des Fristenlaufs ............................... 105 II. Die strafrechtliche Verjährungsfrist........................................... 108
7. Kapitel: Teilweiser Reformbedarf § 21. Keine Vereinheitlichung des Verjährungsrechts ........................................ 110 § 22. System der doppelten Fristen ....................................................................... 115 I. Ausgestaltung des relativen Systems ......................................... 116 II. Ausgestaltung des absoluten Systems........................................ 118 III. Teilweiser Reformbedarf in der Schweiz .................................. 120
Zusammenfassung .................................................................................................. 123 XII
Abstract
Nach der hier vertretenen Ansicht fällt unter den Tatbestand der positiven
Vertragsverletzung nicht nur die Nichterfüllung von vertraglichen Obligationen, soweit es sich weder um Unmöglichkeits- noch um Verzugstatbestände handelt, sondern auch die Nichterfüllung einer allgemeinen Pflicht
zum Schutz der Rechtsgüter des Vertragspartners im Rahmen der Vertragserfüllung.
Die Verjährung solcher Schadenersatzforderungen richtet sich subsidiär
nach dem allgemeinen Verjährungsrecht gemäss Art. 127 ff. OR. Nicht anwendbar ist insbesondere Art. 60 Abs. 1 OR.
Gemäss allgemeinem Verjährungsrecht beginnt die Verjährung von denjenigen Tatbeständen der positiven Vertragsverletzung, bei denen die Verletzung einer vertraglichen Pflicht oder einer Schutzpflicht zu einer Beeinträchtigung vorhandener Rechtsgüter des Geschädigten führt, zu laufen, sobald Anhaltspunkte bestehen, welche die begründete Vermutung zulassen,
dass ein Schaden in bestimmtem Umfang eintreten wird.
D'après la position défendue dans cette thèse, entrent dans la catégorie des
violations positives du contrat non seulement l'inexécution d'obligations
contractuelles, dans la mesure où il ne s'agit pas d'un cas d'impossibilité ou
d'un cas de demeure, mais également l'inexécution d'une obligation
générale de veiller à la protection des biens juridiques des partenaires
contractuels dans le cadre de l'exécution du contrat.
La prescription de telles actions en dommages-intérêts est régie de façon
subsidiaire par les règles générales en matière de prescription prévues par
les art. 127 ss CO. L'article 60 al. 1 CO n'est en particulier pas applicable.
Conformément aux règles générales en matière de prescription, la
prescription des cas de violation positive du contrat dans lesquels la
violation d'une obligation contractuelle ou d'une obligation de protection a
conduit à une atteinte des biens juridiques du lésé commence à courir
aussitôt qu'il existe des éléments conduisant à légitimement craindre la
survenance d'une dommage d'une certaine importance.
XIII
Abkürzungsverzeichnis
A.
a.A.
a.F.
ABGB
aBGB
Abs.
AcP
AGVE
AHV
AJP
al.
aOR
ArG
Art.
ARV
AT
ATF
BasKurzK
BG
BBl
BGB
BGE
BGH
BGHZ
BJM
BK
BR
BSK
BT
BVR
CaS
CCit
CHK
XIV
Auflage
anderer Ansicht
alte Fassung
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich)
altes Bürgerliches Gesetzbuch (Deutschland)
Absatz
Archiv für die civilistische Praxis (Tübingen)
Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide
Alters- und Hinterlassenenversicherung
Aktuelle Juristische Praxis (Lachen)
alinéa
altes Obligationenrecht (Schweiz)
Arbeitsgericht
Artikel
Arbeitsrecht: Zeitschrift für Arbeitsrecht und
Arbeitslosenversicherung (Zürich)
Allgemeiner Teil
Arrêt du tribunal fédéral
Basler Kurzkommentar zum OR, Basel 2008 (Helbing
und Lichtenhahn)
Bundesgesetz
Bundesblatt
Bürgerliches Gesetzbuch (Deutschland)
Bundesgerichtsentscheid
Bundesgerichtshof (Deutschland)
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
(Deutschland)
Basler Juristische Mitteilungen
Berner Kommentar (Stämpfli)
Baurecht (Freiburg)
Basler Kommentar (Helbing und Lichtenhahn)
Besonderer Teil
Bernische Verwaltungsrechtsprechung
Causa Sport (Zürich)
Codice civile italiano
Zürcher Kurzkommentar zum Schweizer Privatrecht,
Zürich 2007 (Schulthess)
Abkürzungsverzeichnis
CR
d.h.
Diss.
DRdA
E.
ecolex
EleG
E-ZPO
f.
ff.
Fn
Fr.
FS
gl.M.
GVP SG
h.L.
HAVE
Hrsg.
HVT
i.d.R.
i.V.m.
JAR
JBl
JuS
JZ
KBB
KHG
LCA
LFG
lit.
m.E.
m.H.
m.w.H.
mp
Commentaire romand, Basel 2009 (Helbling und
Lichtenhahn)
das heisst
Dissertation
Das Recht der Arbeit (Wien)
Erwägung
ecolex: Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht (Wien)
BG vom 24. Juni 1902 betreffend die elektrischen Starkund Schwachstromanlagen (SR 734.0)
Eidgenössische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember
2008
folgende Seite, Randnote, Anmerkung etc.
folgende Seiten, Randnoten, Anmerkungen etc.
Fussnote
Franken
Festschrift
gleicher Meinung
Gerichts- und Verwaltungspraxis St. Gallen
herrschende Lehre
Haftung und Versicherung (Zürich)
Herausgeber
Haftpflicht- und Versicherungsrechtstagung (St. Gallen)
in der Regel
in Verbindung mit
Jahrbuch des Schweizerischen Arbeitsrechts
Juristische Blätter
Juristische Schulung (München)
Juristenzeitung (Tübingen)
Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Kommentar zum
Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch)
Kernenergiehaftpflichtgesetz vom 18. März 1983
(SR 732.44)
BG über den Versicherungsvertrag vom 2. April 1908
(SR 221.229.1)
BG über die Luftfahrt vom 21. Dezember 1948
(SR 748.0)
litera
meines Erachtens
mit Hinweisen
mit weiteren Hinweisen
Mietrechtspraxis (Basel)
XV
Abkürzungsverzeichnis
MünchK
N
NBW
NJW
NJW-RR
Nr.
NZV
OGH
OR
PECL
Pra
PrHG
pVV
recht
RGZ
S.
s.
SIA
sic!
SJ
SJZ
sog.
SPR
SR
ST
StGB
StSG
SVG
SVIT
SZ
XVI
Münchener Kommentar
(Rand-)Nummer
Nieuw Burgerlijk Wetboek (Niederlande)
Neue Juristische Wochenschrift (München)
Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report
(München)
Nummer
Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht (München)
Obergerichtshof (Österreich)
BG betreffend die Ergänzung des Schweizerischen
Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht)
vom 30. März 1911 (SR 220)
Principles of European Contract Law
Praxis (Basel)
BG vom 18. Juni 1993 über die Produktehaftpflicht
(SR 221.112.944)
positive Vertragsverletzung
recht, Zeitschrift für juristische Ausbildung und Praxis
(Bern)
Entscheidungen des Reichsgerichts (RG) in Zivilsachen
Seite
siehe
Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein
Zeitschrift für Immaterialgüter-, Informations- und
Wettbewerbsrecht (Zürich)
La Semaine Judiciaire (Genf)
Schweizerische Juristenzeitung (Zürich)
sogenannt
Schweizerisches Privatrecht
Systematische Sammlung des Bundesrechts
(Systematische Rechtssammlung)
Schweizer Treuhänder (Zürich)
Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember
1937 (SR 311.0)
Strahlenschutzgesetz vom 22. März 1991 (SR 814.50)
Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958
(SR 741.01)
Schweizerischer Verband der Immobilien-Treuhänder
Entscheidungen des österreichischen Obersten
Gerichtshofes in Zivilsachen
Abkürzungsverzeichnis
USG
usw.
VersR
vgl.
WM
z.B.
z.T.
ZBJV
ZGB
ZH
Ziff.
zit.
ZK
ZPO-SG
ZPO-ZH
ZR
ZSR
ZStrR
ZWR
BG vom 7. Oktober 1983 über den Umweltschutz
(SR 814.01)
und so weiter
Versicherungsrecht (Karlsruhe)
vergleiche
Wertpapier-Mitteilungen (Frankfurt)
zum Beispiel
zum Teil
Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins (Bern)
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember
1907 (SR 210)
Zürich
Ziffer
zitiert
Zürcher Kommentar (Schulthess)
Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen
Zivilprozessordnung des Kantons Zürich
Blätter für Zürcherische Rechtsprechung
Zeitschrift für Schweizerisches Recht (Basel)
Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (Bern)
Zeitschrift für Walliser Rechtsprechung
XVII
Literaturverzeichnis
Die gängigen schweizerischen Kommentarwerke (BasKurzK, BK, BSK, CHK,
CR und ZK) werden im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt. Soweit nicht anders
vermerkt, ist bei Kommentarwerken jeweils die aktuellste Auflage gemeint.
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[zit. ADDORISIO DE FEO, mp 2001]
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XXXII
§ 1 Einleitung
§ 1. Einleitung
Der Frage nach der Verjährung von Schadenersatzforderungen aus positiver
Vertragsverletzung kommt eine zentrale Bedeutung zu: Auf der einen Seite
sind Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung von „grosser praktischer Bedeutung“1, auf der anderen Seite hat die Verjährung
„einschneidende“2 Wirkung auf eine Forderung. Dennoch ist die verjährungsrechtliche Behandlung solcher Schadenersatzforderungen immer noch
mit grossen Unsicherheiten behaftet. So ist beispielsweise sogar unklar,
nach welchen Bestimmungen sich die Verjährung von Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung richtet. Diese Unsicherheiten zeigen sich z.B. bei Erkrankungen infolge von früherem Kontakt mit Asbestfasern während eines Arbeitsverhältnisses3. In dieser Arbeit soll die verjährungsrechtliche Behandlung von Schadenersatzforderungen aus positiver
Vertragsverletzung in möglichst umfassender Weise untersucht werden.
Dazu ist die Arbeit in sieben Kapitel aufgeteilt:
In einem ersten Grundlagenkapitel wird untersucht, welchem Verjährungsrecht Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung unterliegen. Dazu werden zunächst die der Verjährung zugrundeliegenden Wertungen dargestellt. Danach wird in einem zweiten Paragraphen auf den Forschungsgegenstand dieser Arbeit, die positive Vertragsverletzung, eingegangen, um in einem dritten Paragraphen untersuchen zu können, welchem
Verjährungsrecht Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung grundsätzlich unterliegen.
Im zweiten Kapitel wird der Verjährungsbeginn von Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung untersucht. Dabei handelt es sich
um einen zentralen Teil dieser Arbeit, da bei der Verjährung von Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung die Frage nach dem Beginn des Fristenlaufs die grössten Unsicherheiten bereitet und der Verjährungsbeginn regelmässig einen entscheidenden Einfluss auf die Verjährung
hat.
In den Kapiteln drei, vier und fünf wird auf die Verjährungsfrist, die Verjährungshemmung und die Verjährungsunterbrechung eingegangen. Dabei
liegt der Fokus auf spezifischen Fragen im Zusammenhang mit der Verjährung von Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung. Zum
1
CHK/FURRER/WEY, N 6 zu Art. 97–98 OR.
HOLZER, S. 30.
3
Vgl. z.B. VOSER, S. 121 ff. m.w.H.
2
1
Teil sind freilich auch allgemeine Ausführungen zu diesen Bereichen des
Verjährungsrechts notwendig.
Art. 60 Abs. 2 OR verweist für die Verjährung des Zivilanspruchs auf die Verjährungsregelung im Strafrecht, falls der Zivilanspruch „aus einer strafbaren
Handlung hergeleitet“ wird. Kapitel sechs befasst sich daher mit der positiven
Vertragsverletzung als strafbare Handlung. In einem ersten Paragraphen wird
untersucht, ob, wann und inwieweit die strafrechtlichen Verjährungsbestimmungen im Rahmen der positiven Vertragsverletzung anzuwenden sind, in einem zweiten Paragraphen, welche Abweichungen sich dadurch im Vergleich
zur sonst geltenden Verjährungsregelung ergeben.
Schliesslich wird in einem siebten Kapitel auf zwei Kritikpunkte, die am allgemeinen Verjährungsrecht nach Art. 127 ff. OR vorgebracht werden, eingegangen und untersucht, ob diesbezüglich ein Reformbedarf besteht. In einem
ersten Paragraphen wird untersucht, ob das Verjährungsrecht für die verschiedenen Ansprüche, z.B. für Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung und
solchen aus Delikt, vereinheitlicht werden sollte. In einem zweiten Paragraphen wird untersucht, ob das System der doppelten Fristen, also der Kombination von relativen Fristen und absoluten Höchstfristen, für das allgemeine Verjährungsrecht übernommen werden sollte.
2
1. Kapitel:
Grundlagen
Um die Verjährung von Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung untersuchen zu können, sind zunächst zwei Grundlagen zu klären: Zum einen ist zu prüfen, wann eine Schadenersatzforderung aus positiver Vertragsverletzung vorliegt. Zum anderen ist zu untersuchen, welchem
Verjährungsrecht solche Forderungen grundsätzlich unterliegen. Dazu wird
im Folgenden zunächst auf die Verjährung im Allgemeinen eingegangen
(§ 2). Im darauffolgenden Paragraphen wird der Forschungsgegenstand, die
positive Vertragsverletzung, dargestellt (§ 3), um in einem dritten Paragraphen untersuchen zu können, welchem Verjährungsrecht solche Forderungen unterliegen (§ 4).
§ 2. Die Verjährung im Allgemeinen
I.
Gegenstand und Wirkung der Verjährung
1. Forderungen bzw. Ansprüche als Gegenstand der Verjährung. Nach
Art. 127 OR verjähren mit dem Ablauf von zehn Jahren „alle Forderungen,
für die das Bundeszivilrecht nicht etwas anderes bestimmt“. Gegenstand
der Verjährung bilden demnach Forderungen. Demgegenüber sprach der
Entwurf von 1881 noch von „Anspruch“ (Art. 146 Abs. 14). Worin der Unterschied liegt, ist jedoch umstritten5. Z.T. wird angenommen, Anspruch sei
der weitere Begriff. Er umfasse daher Forderungen (selbständige Ansprüche) und andere (unselbständige) Ansprüche6. Es findet sich jedoch auch
die gegenteilige Ansicht, wonach die Forderung der weitere Begriff sei7. Im
Folgenden wird mit dem Bundesgericht nicht zwischen Forderung und Anspruch unterschieden. „Insbesondere bedeutet Schadenersatzanspruch
nichts anderes als Schadenersatzforderung.“8 „Sachlich geht es immer um
das gleiche: um die Befugnis des Gläubigers, vom Schuldner [...] bestimm-
4
Vgl. FASEL, S. 1299.
KOLLER, OR AT, § 2 N 71; ZK/BERTI, N 16 zu Art. 127 OR.
6
KOLLER, OR AT, § 2 N 71; ZK/BERTI, N 16 zu Art. 127 OR.
7
VON TUHR/PETER, S. 16: „Der Anspruch ist die wichtigste, aber nicht die einzige Befugnis, welche für den Gläubiger aus der Forderung erwächst.“ Gl.M. NABHOLZ, S. 47;
TSCHÜTSCHER, N 9 Fn 19.
8
KOLLER, OR AT, § 2 N 71.
5
3
1. Kapitel: Grundlagen
te Leistungen zu verlangen“ (BGE 87 II 155, 163)9. Davon scheint auch der
Gesetzgeber auszugehen: Zum einen wurde die Änderung des Entwurfs von
1881 nicht begründet10; zum anderen spricht beispielsweise Art. 60 Abs. 1
OR noch von Anspruch.
Nicht der Verjährung unterliegen insbesondere die Gestaltungsrechte11.
Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut von Art. 127 OR, sondern auch
aus der Natur der Gestaltungsrechte12. Die Verjährungsbestimmungen können daher auch nicht analog auf Gestaltungsrechte angewendet werden.
Möglich ist jedoch, dass die Fälligkeit der Forderung oder die Entstehung
der Forderung selbst von der Ausübung eines Gestaltungsrechtes abhängt
und die Verjährungsfrist somit grundsätzlich erst mit Ausübung des Gestaltungsrechts zu laufen beginnt. Es stellen sich daher in diesen Fällen spezielle verjährungsrechtliche Fragen (vgl. dazu unten S. 52 f.).
2. Wirkung der Verjährung. „Die Verjährung macht aus einer Forderung
eine Naturalobligation.“13 Eine verjährte Forderung besteht weiterhin und
ist daher noch erfüllbar, hingegen nur noch beschränkt durchsetzbar14. Die
Einschränkung der Durchsetzbarkeit ergibt sich in erster Linie aus der eingeschränkten Klagbarkeit: Der Gläubiger kann die Forderung gegen den
Willen des Schuldners nicht mehr klageweise durchsetzen. Die Verjährung
schränkt jedoch nicht nur die Klagbarkeit, sondern auch die Verrechenbarkeit der Forderung ein. Eine solche ist nur noch im Rahmen von Art. 120
Abs. 3 OR möglich. Insoweit kann sich aber der Gläubiger auch gegen den
Willen des Schuldners für seine (verjährte) Forderung Befriedigung verschaffen15.
II. Zweck und Rechtfertigung der Verjährung
Die Verjährung bewirkt, wie soeben gesehen, dass eine Forderung allein infolge Zeitablaufs nicht mehr klageweise durchsetzbar und nur noch beschränkt verrechenbar wird. Die Verjährung stellt damit einen schweren
Eingriff in ein Rechtsverhältnis dar, der nur dann gerechtfertigt ist, wenn
9
Gl.M. BSK/DÄPPEN, N 2 zu Art. 127 OR; ZK/BERTI, N 7, 17 zu Art. 127 OR.
NABHOLZ, S. 46.
11
BK/KRAMER, Allgemeine Einleitung, N 42; SPIRO II, S. 1561 ff.; NABHOLZ, S. 42;
ZK/BERTI, N 27 zu Art. 127 OR; MERZ, SPR VI/1, S. 77 ff.; VIONNET, S. 269.
12
Vgl. KOLLER, OR AT, § 67 N 12 f.; NABHOLZ, S. 42; MERZ, SPR VI/1, S. 78.
13
KOLLER, OR AT, § 67 N 23.
14
KOLLER, OR AT, § 67 N 23.
15
KOLLER, OR AT, § 67 N 27.
10
4
§ 2 Die Verjährung im Allgemeinen
ihr ein bestimmter Zweck zugrunde liegt16. Diese rechtfertigenden Zwecke
der Verjährung sollen im Folgenden genauer untersucht werden (1.).
Daneben hat die Verjährung verschiedene weitere Nebeneffekte, „die nicht
unerwünscht, aber doch nicht geradezu ihr Zweck sind“17. Auf solche wird
in einem zweiten Teil eingegangen (2.)18.
1.
Die Verjährung rechtfertigende Zwecke
Es können zwei rechtfertigende Zwecke der Verjährung unterschieden werden, der individuelle Schutz eines potentiellen Schuldners (Ziff. 1) und der
Schutz des Rechtsverkehrs (Ziff. 2).
1. Potentielle Schuldner sind in dreierlei Hinsicht zu schützen19. – a) Der
Zeitablauf führt dazu, dass ein Rechtsverhältnis zwischen verschiedenen
Parteien immer schwerer nachgewiesen werden kann: Allfällige Urkunden
gehen verloren oder werden zerstört, Erinnerungen verblassen, ein Augenschein ist meist nicht mehr möglich und Zeugen sterben20. Ein Zweck der
Verjährung besteht daher im Schutz des potentiellen Schuldners vor Beweisnot21. Dabei geht es um Folgendes: Die dargestellten Beweisschwierigkeiten beziehen sich nicht nur auf die Entstehung einer allfälligen Forderung, sondern auch auf deren Untergang. Dadurch besteht die Gefahr, dass
ein potentieller, angeblicher Schuldner zu einer Leistung verpflichtet wird,
zu der er nie verpflichtet war oder nicht mehr verpflichtet ist. Dies soll
durch die Verjährung verhindert werden. Es ist also nicht die Aufgabe der
Verjährung, „einen wirklichen Schuldner ohne Leistung zu befreien, sondern den zu Unrecht [...] in Anspruch genommenen angeblichen Schuldner
zu schützen“22. Die grundsätzliche Beweispflicht desjenigen, der einen Anspruch geltend macht, wird dieser Problematik nicht ausreichend gerecht23.
Zum einen bleibt der Schuldner in wesentlichen Fragen beweisbelastet.
Insbesondere hat der potentielle Schuldner die Urteilsunfähigkeit als
Schuldausschliessungsgrund zu beweisen24. Soweit er nicht beweisbelastet
16
Z.B. KOCH, S. 174; ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 868.
SPIRO I, S. 8.
18
Unterteilung gemäss HEINRICHS, S. 6 und SPIRO I, S. 8.
19
Aus Gründen der Praktikabilität wird jedoch in diesen Fällen lediglich vom „Schuldnerschutz“ als Verjährungszweck gesprochen.
20
Vgl. SPIRO I, S. 8 ff.
21
SPIRO I, S. 8 ff.; KOLLER, OR AT, § 67 N 6 ff.; TSCHÜTSCHER, N 22 ff.; NABHOLZ,
S. 30.
22
SPIRO I, S. 10.
23
SPIRO I, S. 9 f.
24
KOLLER, OR AT, § 48 N 108.
17
5
1. Kapitel: Grundlagen
ist, muss er zum anderen immer noch damit rechnen, dass seinem Gegner
der Beweis gelingt und er jetzt den Gegenbeweis führen muss25. Nach einer
bestimmten Zeit kann ein solcher aus den genannten Gründen nicht mehr
möglich sein. Dieser Zweck der Verjährung ist besonders dann wichtig,
wenn die Betroffenen die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht kannten
oder nicht erwarteten und daher keinen Anlass hatten, Beweismittel zu sichern26.
Als Haupteinwand gegen diesen Verjährungszweck ist freilich vorzubringen, dass „der Schutz von Nichtschuldnern leicht zum Schuldnerschutz [gerät], denn der Verjährungseinwand verhindert gerade die Klärung der Frage, ob der Inanspruchgenommene Schuldner ist oder nicht“27.
b) Weiter dient der Schuldnerschutz der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit eines potentiellen Schuldners28. Denn eine angebliche Forderung
belastet ihn nicht erst, wenn sie erhoben wird, „sondern sobald er sich auf
die Leistung einrichtet und solange er sie bereithalten muss“29. So muss der
Schuldner beispielsweise während dieser Zeit Rückstellungen bilden oder
Dokumente aufbewahren30. Dieser Zustand wird durch die Verjährung beendet.
c) Schlussendlich wird der potentielle Schuldner durch die Verjährung in
seinem Vertrauen, er werde nicht (mehr) in Anspruch genommen, geschützt: Die Geltendmachung einer Forderung steht nach einer gewissen
Zeit „mit der früheren Untätigkeit des Berechtigten in unvereinbarem Widerspruch“ und stellt eine Verletzung von Treu und Glauben dar (Art. 2
Abs. 2 ZGB; BGE 94 II 37, 42). Dies gilt zumindest dann, wenn der Gläubiger Kenntnis vom Anspruch hatte oder den Anspruch fahrlässigerweise
nicht kannte (BGE 4A_48/2008 E. 3; 117 II 575 E. 4b)31. Ein weiterer
Zweck der Verjährung ist aus diesem Grund darin zu sehen, solches widersprüchliches Verhalten zu verhindern und das berechtigte Vertrauen des potentiellen Schuldners, er werde nicht (mehr) in Anspruch genommen, zu
schützen (BGE 90 II 428 E. 8). „Dies gilt […] für streitige und ungewisse
Forderungen“ (BGE 90 II 428, 438).
25
PETERS, JZ 1983, S. 121.
Vgl. SPIRO I, S. 11 ff.
27
MANSEL, S. 343.
28
MANSEL, S. 347 ff.; KOLLER, OR AT, § 67 N 8; BSK/DÄPPEN, N 1 vor Art. 127 ff. OR.
29
SPIRO I, S. 16.
30
KOLLER, OR AT, § 67 N 8.
31
SCHWEIZER, S. 329.
26
6
§ 2 Die Verjährung im Allgemeinen
2. Der Zweck der Verjährung liegt jedoch nicht nur im Schutz der (individuellen) Interessen potentieller Schuldner (sog. „monofunktionale Zweckbestimmung“32), sondern auch im Schutz des Rechtsverkehrs, der inhaltlich von den oben dargestellten Teilaspekten zu unterscheiden ist (BGE 90
II 428 E. 8; 8C_470/2009 E. 7.4)33: Eine mögliche Forderung belastet nicht
bloss den potentiellen Schuldner, sondern beeinflusst auch dessen Vertragspartner, da sich die potentielle Forderung negativ auf die Bonität auswirkt. Ohne Verjährung bestünde die Gefahr, dass ein Vertragspartner aufgrund jeder noch so weit zurück liegender Anspruchsgrundlage in vollem
Masse verpflichtet wird, was den Rechtsverkehr stark beeinträchtigte. Wer
würde noch Verträge schliessen oder Kredite vergeben, wenn sein Vertragspartner für sämtliche Verpflichtungen, die er oder seine Rechtsvorgänger eingegangen sind, aufzukommen hätte34? Die oben dargestellten Teilaspekte des Verjährungszwecks machen das Risiko, dass ein potentieller
Schuldner in Anspruch genommen wird, kalkulierbar und schützen damit
nicht bloss den potentiellen Schuldner, sondern mittelbar auch den Rechtsverkehr. Dieser Schutz des Rechtsverkehrs liegt im öffentlichen Interesse,
das sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass es sich auf einen grossen,
unbestimmten Personenkreis bezieht35. Es geht um den Schutz von Interessen, „die über die unmittelbar Beteiligten hinausgehen“36.
Dass die Verjährung nicht von Amtes wegen zu berücksichtigen ist
(Art. 142 OR), belegt – entgegen einem Teil der Lehre37 – nicht, dass durch
die Verjährung lediglich individuelle Interessen geschützt werden38: Mit
der Verjährung wird der Rechtsverkehr geschützt, indem das Risiko, dass
man selbst oder sein Vertragspartner in Anspruch genommen wird, kalkulierbar gemacht wird. Ob sich jedoch der individuelle Schuldner im Einzelfall auf die Verjährung berufen will, ist ihm überlassen und ändert an der
Stärkung des Rechtsverkehrs nichts.
32
KOLLER, OR AT, § 67 N 6.
GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, N 3279; ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 1 zu Art. 129
OR; HOLZER, S. 17 ff.; VOSER, S. 124; NABHOLZ, S. 31; BYDLINSKI, System und Prinzipien, Fn 171; MünchK/GROTHE, N 7 vor § 194 ff. BGB; Palandt/ELLENBERGER, N 9
vor § 194 ff. BGB; KBB/MEISSEL, N 1 zu § 1451 ABGB; PANIER, N 50; PIEKENBROCK, S. 317; a.A. SPIRO I, S. 23 f.; TSCHÜTSCHER, N 29; FISCHER, S. 99; KOLLER,
OR AT, § 67 N 6; HEINRICHS, S. 7; MANSEL, S. 349.
34
Vgl. HOLZER, S. 20.
35
PIEKENBROCK, S. 317.
36
BYDLINSKI, System und Prinzipien, Fn 171.
37
HEINRICHS, S. 7; TSCHÜTSCHER, N 29.
38
HOLZER, S. 18 f.
33
7
1. Kapitel: Grundlagen
2.
Weitere positive Nebeneffekte
Neben den genannten Verjährungszwecken, welche den Eingriff in das
Schuldverhältnis zu rechtfertigen vermögen, gibt es weitere positive Nebeneffekte der Verjährung, „die zwar allein als Rechtfertigung der Verjährung nicht tragfähig sind, die aber bei der Ausgestaltung der Verjährung
mitberücksichtigt werden dürfen“39.
1. Ein positiver Nebeneffekt der Verjährung liegt in der Entlastung der
Gerichte, die „davor bewahrt werden, unter Umständen schwer zu beweisende Tatbestände aufzuklären“40.
Dieser Effekt wird freilich dadurch relativiert, dass vor Gericht häufig gerade die Verjährung der Forderung strittig ist41. Teilweise wird daher gefordert, das differenzierte Verjährungssystem durch ein einheitliches zu ersetzen (vgl. unten § 21). Ein differenziertes Verjährungssystem ist jedoch
angesichts der komplexen Abwägung der Gläubigerinteressen auf der einen
und der von der Verjährung zu schützenden Interessen auf der anderen Seite aus Gerechtigkeitsgründen notwendig. Allein aus Effizienzgründen auf
die berechtigte Differenzierung zu verzichten, scheint nicht gerechtfertigt.
Denn die Tätigkeit der Gerichte ist nicht Selbstzweck. Die Entlastung der
Gerichte kann höchstens ein positiver Nebeneffekt der Verjährung sein, sie
vermag jedoch die Verjährung nicht zu rechtfertigen.
2. Ein weiterer positiver Effekt der Verjährung liegt darin, dass der Gläubiger zur Geltendmachung seiner Ansprüche angespornt wird42. „Dieser
Gesichtspunkt hat im kaufmännischen Verkehr, aber auch bei der Abwicklung von massenhaft getätigten Geschäften besonderes Gewicht.“43 Zudem
wird dadurch wiederum die Gefahr von Beweisschwierigkeiten vermindert.
39
HEINRICHS, S. 6; vgl. auch SPIRO I, S. 8.
KOLLER, OR AT, § 67 N 11; vgl. auch SPIRO I, S. 21 ff.; HOLZER, S. 22 f.; ZK/BERTI,
N 11 vor Art. 127 ff. OR; NABHOLZ, S. 31; SCHWENZER, N 83.06.
41
HOLZER, S. 22; ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 863.
42
SPIRO I, S. 20 f.; NABHOLZ, S. 31.
43
HEINRICHS, S. 7.
40
8
§ 3 Forschungsgegenstand: Positive Vertragsverletzungen
§ 3. Forschungsgegenstand: Positive Vertragsverletzungen
I.
Tatbestand: Verletzung von vertraglichen Pflichten und
Schutzpflichten
1.
Überblick
Bei der positiven Vertragsverletzung handelt es sich um einen Sammeltatbestand der Leistungsstörung, der z.T. unterschiedlich verstanden wird44.
Die h.L. fasst unter den Tatbestand der positiven Vertragsverletzung jede
Nichterfüllung von vertraglichen Pflichten, soweit es sich weder um Unmöglichkeits- noch um Verzugstatbestände handelt45. Nach der hier vertretenen Ansicht fallen auch diejenigen Tatbestände unter die positive Vertragsverletzung, bei welchen im Rahmen der Vertragserfüllung eine allgemeine Pflicht zum Schutz der Rechtsgüter des Vertragspartners verletzt
wird (sog. Schutzpflichten).
1. Vertragliche Pflichten dienen der Herbeiführung des vertraglichen Leistungsziels46. Sie umfassen sowohl Hauptleistungspflichten, die den Kern
der Leistung ausmachen (z.B. die Lieferung einer Sache), als auch „leistungsorientierte Nebenpflichten“47, ohne die „die Hauptleistung nicht richtig und sinnvoll erbracht werden könnte“48 (z.B. die Lieferung einer Gebrauchsanleitung). Zum Teil werden zudem vertragliche Pflichten, die den
Schutz der Rechtsgüter des Vertragspartners bezwecken, als eigene Kategorie abgegrenzt49. Nach der hier vertretenen Ansicht handelt es sich jedoch
dabei nicht um eine selbständige Kategorie vertraglicher Pflichten: Entweder ist das vertragliche Leistungsziel ganz oder teilweise auf den Rechtsgüterschutz gerichtet. Dann stellen die genannten Pflichten Hauptleistungspflichten oder leistungsorientierte Nebenpflichten dar (z.B. die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nach Art. 328 OR). Ist das vertragliche Leistungsziel demgegenüber nicht auf den Rechtsgüterschutz gerichtet, besteht gerade keine vertragliche Pflicht zum Schutz der Rechtsgüter des Vertragspartners, sondern – allenfalls – eine allgemeine Schutzpflicht (vgl. dazu unten
Ziff. 3).
44
Vgl. z.B. KOLLER, OR AT, § 45 N 6; BSK/WIEGAND, N 25 zu Art. 97 OR. Vgl. zur
„Entstehung“ der positiven Vertragsverletzung insbesondere GLÖCKNER.
45
Vgl. die Hinweise bei BSK/WIEGAND, N 25 zu Art. 97 OR.
46
ESSER/SCHMIDT I/1, S. 105 f.
47
KOLLER, AJP 1992, S. 1485; BSK/WIEGAND, N 33 zu Art. 97 OR.
48
ESSER/SCHMIDT I/1, S. 108; vgl. auch BK/KRAMER, Allgemeine Einleitung, N 93.
49
SCHWENZER, N 67.07 ff.
9
1. Kapitel: Grundlagen
Die vertraglich geschuldete Leistung ergibt sich aus dem Parteiwillen und
dem Gesetz50, weshalb sich auch die vertraglichen Pflichten aus Vertrag,
einschliesslich ergänzender Vertragsauslegung51, und der gesetzlichen
Konkretisierung des Vertragstypus52 ergeben. Aus diesem Grund handelt es
sich beispielsweise auch bei der gesetzlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nach Art. 328 OR um eine vertragliche Pflicht53.
2. Schutzpflichten dienen demgegenüber ausschliesslich dem Schutz der
vorhandenen Rechtsgüter des Vertragspartners. Sie sind vom Leistungsziel
„unabhängig [...] und dienen nur der Abwehr von Schädigungen, die sich
aus Anlass der Vertragsvorbereitung und Durchführung ergeben können“54.
Diese (allgemeinen) Schutzpflichten ergeben sich insbesondere aus Gesetz,
einer besonderen Vertrauensstellung oder aus Ingerenz55. Die Annahme einer Schutzpflicht erscheint also insbesondere dort gerechtfertigt, wo eine
besondere Beziehung des Schuldners entweder zum geschützten (fremden)
Rechtsgut oder der Gefahrenquelle besteht.
Da die Schutzpflichten nach der hier verwendeten Definition vom vertraglich vereinbarten Leistungsziel unabhängig sind, handelt es sich immer um
allgemeine Pflichten. Sobald der Rechtsgüterschutz vertraglich geschuldet
ist, liegt eine vertragliche Pflicht zum Schutz der Rechtsgüter des Kontrahenten vor. Auf den Begriff der „vertraglichen Schutzpflicht“56 wird demgegenüber verzichtet. Die vertraglichen Pflichten zum Schutz der Rechtsgüter des Vertragspartners und die Schutzpflicht können sich freilich überlagern.
3. Überlagerung von vertraglichen Pflichten und Schutzpflichten. Nicht
selten dienen Hauptleistungspflichten (z.B. beim Hinterlegungsvertrag oder
beim Bewachungsvertrag) oder vertragliche Nebenpflichten (z.B. die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nach Art. 328 OR) dem Schutz der Rechtsgüter des Vertragspartners57. Dabei kann die vertragliche Pflicht, wie bei den
genannten Beispielen, ausschliesslich den Rechtsgüterschutz bezwecken.
Möglich ist aber auch, dass der Rechtsgüterschutz lediglich einen Teil-
50
MERZ, SPR VI/1, S. 133.
KOLLER, OR AT, § 48 N 6.
52
CHAPUIS, S. 655 f.; KOLLER, OR AT, § 48 N 6.
53
BK/KRAMER, Allgemeine Einleitung, N 95, 99; CHAPUIS, S. 656.
54
STOLL, S. 27 (Hervorhebung durch den Autor).
55
Vgl. MünchK/WAGNER, N 235 zu § 823 BGB; FÄSSLER/SEILER, S. 201 ff.; vgl. auch
ROBERTO, N 42 ff. In der Schweiz sind insbesondere das Gesetz und die Ingerenz als
Quellen von Schutzpflichten anerkannt (vgl. z.B. BGE 130 III 193 E. 2.2).
56
So z.B. WEBER, S. 745; FROST.
57
LÜCHINGER, Schadenersatz, N 379; KOLLER, OR AT, § 48 N 26 f.
51
10
§ 3 Forschungsgegenstand: Positive Vertragsverletzungen
zweck einer vertraglichen Pflicht darstellt. So bezweckt z.B. das vertragliche Leistungsziel des Anwalts-, des Arzt- oder des Vermögensverwaltungsvertrages nicht nur, dem Vertragspartner einen Vorteil zu verschaffen,
sondern auch, seine bestehenden Rechtsgüter zu schützen. Wo eine vertragliche Pflicht (zumindest teilweise) den Schutz vorhandener Rechtsgüter des
Vertragspartners bezweckt, können sich inhaltlich gleiche vertragliche
Pflichten und (allgemeine) Schutzpflichten überlagern. Die Verletzung einer solchen vertraglichen Pflicht führt dann nicht bloss zu einer Verletzung
des Erfüllungsinteresses, sondern auch zu einer Verletzung des Integritätsinteresses (vgl. unten II.).
Da Lehre und Rechtsprechung lediglich die Verletzung einer vertraglichen
Pflicht zum Schutz der Rechtsgüter des Kontrahenten unter die positive
Vertragsverletzung subsumieren und nur in diesen Fällen die für den Geschädigten günstigeren Bestimmungen über die Vertragshaftung58 zur Anwendung bringen, besteht ein praktisches Interesse, neben den allgemeinen
Schutzpflichten zusätzlich solche vertraglichen Pflichten zum Schutz der
Rechtsgüter anzunehmen (vgl. z.B. BGE 130 III 193; 126 III 113 = Pra
2000 Nr. 185; 113 II 246; 111 II 170 E. 2; 70 II 215)59. Die Annahme von
vertraglichen Pflichten zum Schutz der Rechtsgüter des Vertragspartners ist
jedoch dann problematisch, wenn solche Pflichten nicht ausdrücklich oder
stillschweigend vereinbart wurden, sondern aus ergänzender Vertragsauslegung hergeleitet werden. Dabei handelt es sich in der Regel um reine „Fiktion“60, „denn der Vertrag enthält im Allgemeinen keine genügenden Anhaltspunkte für die Feststellung des hypothetischen Vertragswillens“61. Beispiele:
− Feuerwerks-Fall (BGE 70 II 215). Die Klägerin besuchte eine Bundesfeier mit Feuerwerk im Kursaal Schänzli in Bern, wofür sie einen Eintrittspreis von Fr. 1.50 bezahlte. Als plötzlich eine Fensterscheibe durchschlagen wurde, verletzten Glassplitter ein Auge der Klägerin derart,
58
Zu erwähnen ist insbesondere die günstigere Verjährungsordnung (vgl. z.B. GAUCH,
ZSR 1997 I, S. 315; ROBERTO, N 338; HUGUENIN, N 1172; TOGNELLA, S. 159;
SCHWENZER, N 48.05; LÜCHINGER, SJZ 2006, S. 201; LOSER, S. 219 f. m.w.H.).
59
„Mit der Annahme einer vertraglichen Schutzpflicht konnte das Deliktsrecht beiseite
gelassen und die Integritätsverletzung als positive Vertragsverletzung qualifiziert werden. Damit profitieren die Geschädigten von den günstigeren Haftungsmodalitäten des
Vertragsrechts.“ (LÜCHINGER, Schadenersatz, N 360). Vgl. auch BK/WEBER, N 86 f.
zu Art. 97 OR.
60
THIELE, S. 649; gl.M. KOLLER, OR AT, § 48 N 23 ff.; WEBER, S. 745 f.; PATRY,
S. 61 f.; LÜCHINGER, Schadenersatz, N 360; NEUENSCHWANDER, S. 52, 67; FROST,
S. 138 ff.
61
KOLLER, OR AT, § 48 N 24.
11
1. Kapitel: Grundlagen
dass es entfernt werden musste. Das Bundesgericht qualifizierte den Vertrag zwischen der Klägerin und dem Veranstalter als Werkvertrag (E. 3).
Im Rahmen dieses Vertrages treffe den Veranstalter die Pflicht, „den Besuchern dafür einzustehen, dass ihnen aus der Darbietung des ‚Werks’
kein Schaden erwächst“ (S. 218). Das Bundesgericht sieht den Grund
dieser Pflicht im Vertrag, wie es ausdrücklich festhält: „Diese Pflicht
hängt mit der Erfüllung der Hauptleistung des Veranstalters, der Aufführung, so eng zusammen, dass sie [...] unbedenklich als Vertragsinhalt gesehen werden darf [...].“ (S. 218).
− Pistensicherungsfälle (BGE 113 II 246; 126 III 113; 130 III 193). In
sämtlichen genannten Fällen verletzte sich ein Skifahrer, wobei die
Schwere der Verletzung auf eine mangelnde Pistensicherung zurückzuführen war. Das Bundesgericht hielt zunächst fest, dass die Bergbahnbetreiber ohne Zweifel eine ausservertragliche Pistensicherungspflicht
treffe. Im ausservertraglichen Bereich ergebe sich diese Pflicht aus Ingerenz (BGE 113 II 246 E. 3; 126 III 113 E. 2.a.aa; 130 III 193 E. 2.2).
Daneben bestehe aber auch eine vertragliche Pflicht zum Schutz der Skifahrer: „Nach dem Vertrauensgrundsatz darf der Benützer einer derartigen Luftseilbahn sich darauf verlassen, dass diese nicht nur die Hauptleistung des Transportes erfüllt, sondern auch als Nebenleistung für Pistensicherheit und Rettungsdienst sorgt.“ (BGE 113 II 246, 250). Die
Schutzpflicht wird also von einer inhaltlich gleichen vertraglichen Pflicht
überlagert.
Die von der Rechtsprechung in den genannten Beispielen identifizierten
vertraglichen Pflichten zum Schutz der Rechtsgüter des Vertragspartners
haben keinen Bezug zum Verhandlungsgegenstand62. Wer ein Skibillet
kauft, äussert sich in keiner Weise über die Pflichten des Betreibers zu seinem Schutz. Ebensowenig der Besucher einer Bundesfeier. Dies ist den
verschiedenen Personen auch überhaupt nicht möglich, weshalb dann, wenn
solche Pflichten aus ergänzender Vertragsauslegung hergeleitet werden, in
der Regel keine vertraglichen Pflichten zum Schutz der Rechtsgüter des
Vertragspartners bestehen, sondern ausschliesslich (allgemeine) Schutzpflichten (z.B. solche aus Ingerenz, wie das Bundesgericht in den Pistensicherungsfällen angenommen hat).
62
LÜCHINGER, Schadenersatz, N 360.
12
§ 3 Forschungsgegenstand: Positive Vertragsverletzungen
2.
Die Verletzung von Schutzpflichten im Rahmen der
Vertragserfüllung im Besonderen
Es hat sich gezeigt, dass dort, wo eine vertragliche Pflicht zum Schutz der
Rechtsgüter des Vertragspartners aus ergänzender Vertragsauslegung hergeleitet wird, häufig keine vertragliche Pflicht, sondern lediglich eine (allgemeine) Schutzpflicht vorliegt. Ein Teil der Lehre ist aufgrund dieser Erkenntnis der Ansicht, dass „nicht alles, was heute zu den positiven Vertragsverletzungen gerechnet wird, auch tatsächlich dazu gerechnet werden
sollte“63. Denn der Gläubiger wird in solchen Fällen nicht im Erfüllungs-,
sondern lediglich im Integritätsinteresse beeinträchtigt (vgl. unten II.). Die
Haftung auf das Integritätsinteresse falle aber – so wird eingewendet – „typischerweise in den Zuständigkeitsbereich des Deliktsrechts“64. Nach der
hier vertretenen Ansicht handelt es sich jedoch auch in solchen Fällen, in
denen lediglich eine (allgemeine) Schutzpflicht im Rahmen der Vertragserfüllung verletzt wird, um Tatbestände der positiven Vertragsverletzung65.
Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
1. Die vertragliche Haftung ist nicht auf die Verletzung von vertraglichen Pflichten beschränkt. Der vertraglichen und der deliktischen Haftung liegt eine unterschiedliche Risikozuteilung zugrunde66. Mit dieser
Trennung trägt der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung, dass – im Gegensatz zum reinen Zufallskontakt bei der deliktischen Schädigung – durch den
Vertrag eine gewisse Sonderbeziehung zwischen den Vertragspartnern geschaffen wird, was wiederum eine gesteigerte Schutzbedürftigkeit und würdigkeit des Vertragspartners bewirkt67. Mit der Durchführung des Vertrages verlassen die Vertragsparteien „jenes allgemeine Nebeneinander
mit seinen zufälligen Kollisionsmöglichkeiten, für das der anonymisierende deliktsrechtliche Grundsatz des neminem laedere typisch ist, und
wechseln in den spezielleren Status eines Miteinander über, den ein spezifisches Vertrauen gerade in dieses Gegenüber kennzeichnet und der überdies gesteigerte Einwirkungsmöglichkeiten in die Besitzstände der Beteiligten mit sich bringt“68. Die durch die Sonderbeziehung geschaffene gesteigerte Einwirkungsmöglichkeit begründet also die besondere Schutzbedürftigkeit, und das durch die Sonderbeziehung entstehende Vertrauen die
besondere Schutzwürdigkeit des Vertragspartners.
63
KOLLER, AJP 1992, S. 1490.
KOLLER, AJP 1992, S. 1490; LÜCHINGER, Schadenersatz, N 372.
65
Ähnlich z.B. WALTER, recht 2005, S. 71 ff.; WEBER, S. 751 ff.
66
Ausführlich FELLMANN, recht 1997, S. 100 ff.
67
Z.B. FELLMANN, recht 1997, S. 100 ff. m.w.H.; WALTER, ZBJV 1996, S. 278.
68
ESSER/SCHMIDT I/2, S. 136 f.
64
13
1. Kapitel: Grundlagen
Bei der Verletzung einer Schutzpflicht im Rahmen der Vertragserfüllung
besteht jedoch dieselbe Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit des Gläubigers
wie bei der Verletzung einer vertraglichen Pflicht. „Nicht der rechtsgeschäftlich begründete Vertragsschluss als solcher ruft [...] die gesteigerte
Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit hervor, sondern die damit einhergehende [...] Sonderverbindung und die daraus resultierende gesteigerte Einwirkungsmöglichkeit auf die Rechtsgüter des anderen Teils.“69 Die Trennung zwischen vertraglichen Pflichten und Schutzpflichten entspricht nicht
dem gesetzgeberischen Gedanken, welcher der Trennung von vertraglicher
und deliktischer Haftung zugrunde liegt. Vielmehr muss aufgrund derselben Risikozuteilung auch die Verletzung einer (allgemeinen) Schutzpflicht
im Rahmen der Vertragsdurchführung eine vertragliche Haftung begründen
können70. Das Deliktsrecht ist demgegenüber „darauf beschränkt, die Schäden aus zufälligem, ungewolltem Zusammenprall beliebiger Personen zu
regulieren“71.
Dass die vertragliche Haftung nicht auf das Erfüllungsinteresse, und damit
auf die Verletzung einer vertraglichen Pflicht (vgl. unten II.), beschränkt
ist, zeigt auch ein Blick auf Haftungsbestimmungen des besonderen Teils,
welche als Analogiebasis für die Haftung aus positiver Vertragsverletzung
dienen (unten III.). Verschiedene Bestimmungen sehen für die Verletzung
einer Schutzpflicht eine vertragliche Haftung vor. Als Beispiel erwähnt sei
Art. 487 Abs. 1 OR: Gemäss dieser Bestimmung haften die Gastwirte „für
jede Beschädigung, Vernichtung oder Entwendung der von ihren Gästen
eingebrachten Sachen“. Die entsprechende Obhutspflicht des Gastwirtes
stellt dabei eine (allgemeine) Schutzpflicht dar. Sie ergibt sich – in der Regel – weder aus dem Vertrag72 noch begründet Art. 487 Abs. 1 OR eine
solche. Die Haftung kommt sogar dann zur Anwendung, wenn kein gültiger
Gastwirtevertrag bestand (und daher gar keine entsprechende vertragliche
Pflicht bestehen konnte)73. Es handelt sich daher um eine Haftung für die
Verletzung einer allgemeinen Pflicht zum Schutz der eingebrachten Sachen
des Gastes74. Dennoch statuiert Art. 487 Abs. 1 OR für die Verletzung die-
69
WEBER, S. 753; vgl. auch LOSER, S. 220; CHAPUIS, S. 659 f.; WALTER, ZBJV 1996,
S. 277 f.; LÜCHINGER, SJZ 2006, S. 200 f. A.A. SCHWANDER, S. 138 f.
70
NEUENSCHWANDER, S. 50 f.
71
STÖCKLI, S. 39.
72
Gl.M. BSK/KOLLER, N 2 zu Art. 487 OR; a.A. BETTOJA, S. 118 f.
73
ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 3 zu Art. 487 OR.
74
ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 3 zu Art. 487 OR; GUHL/SCHNYDER, § 55 N 23;
BSK/KOLLER, N 2 zu Art. 487 OR.
14
§ 3 Forschungsgegenstand: Positive Vertragsverletzungen
ser (allgemeinen) Schutzpflicht, „wie auch aus der systematischen Einordnung der Art. 487–491 OR erhellt“75, eine vertragliche Haftung.
2. Wie dargelegt, handelt es sich bei den Schutzpflichten um allgemeine (i.S.v.
„nicht-vertragliche“) Pflichten. Sie ergeben sich weder aus dem Vertrag, noch
aus ergänzender Vertragsauslegung. Dennoch handelt es sich bei den Schutzpflichten um spezifische nicht-vertragliche Pflichten zum Schutz der
Rechtsgüter des Vertragspartners, die von den allgemeinen Sorgfaltspflichten, welche die Rechtswidrigkeit im Deliktsrecht begründen und gegenüber
jedermann gelten76, abzugrenzen sind.
Schutzpflichten sind insbesondere dann anzunehmen, wenn „eine spezifische
Beziehung des Garanten zum zu beschützenden Rechtsgut oder zur überwachungsbedürftigen Gefahrenquelle“77 besteht. Eine solche spezifische Beziehung ergibt sich häufig gerade aus der durch die Vertragsdurchführung entstehenden Sonderverbindung. Die erste Situation tritt beispielsweise ein,
wenn im Rahmen der Vertragsdurchführung „der Schutz des Rechtsgutes
tatsächlich in die Hände des Verpflichteten gelegt“78 wird. Ausdruck davon
bildet beispielsweise der bereits erwähnte Art. 487 OR: Aus dem Gastwirtevertrag ergibt sich in der Regel keine vertragliche Pflicht zum Schutz der
eingebrachten Sachen des Gastes79. Eine entsprechende Schutzpflicht ergibt
sich vielmehr aus einer faktischen Fürsorgestellung des Gastwirts, die durch
das Einbringen der Sachen in Verbindung mit der Gastaufnahme, also durch
die Vertragsdurchführung, entsteht80. Es handelt sich also dabei um eine spezifische nicht-vertragliche Pflicht zum Schutz der Rechtsgüter, die – im Gegensatz zu den allgemeinen Sorgfaltspflichten – nicht gegenüber jedermann,
sondern lediglich gegenüber dem Vertragspartner besteht. Die zweite Situation tritt beispielsweise ein, wenn erst mit der Vertragsdurchführung eine
„Gefahrenquelle“ für den Vertragspartner relevant wird, so z.B. bei den Pistensicherungs-Fällen oder beim Feuerwerks-Fall (vgl. oben S. 11 f.). Auch
bei diesen Pflichten handelt es sich um spezifische nicht-vertragliche Pflichten zum Schutz der Rechtsgüter der Vertragspartner.
3. Schlussendlich ist diese Lösung aus Gesichtspunkten der Rechtssicherheit zu bevorzugen. Wie erwähnt, gehen Bundesgericht und h.L. davon aus,
dass lediglich die Verletzung von vertraglichen Pflichten zum Schutz der
75
ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 4 zu Art. 487 OR.
Vgl. ROBERTO, N 48 ff.
77
MünchK/WAGNER, N 235 zu § 823 BGB.
78
STRATENWERTH, § 14 N 16 (Hervorhebung durch den Autor); vgl. auch
MünchK/WAGNER, N 249 zu § 823 BGB; FÄSSLER/SEILER, S. 204 m.w.H.
79
ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 3 zu Art. 487 OR; BSK/KOLLER, N 2 zu Art. 487 OR.
80
ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 3 zu Art. 487 OR.
76
15
1. Kapitel: Grundlagen
Rechtsgüter des Vertragspartners eine vertragliche Haftung mit den entsprechenden Haftungsmodalitäten zur Folge hat. Dies führt zu einer
Rechtsunsicherheit: Die Frage, ob die Haftungsmodalitäten der positiven
Vertragsverletzung oder (insbesondere) des Deliktsrechts zur Anwendung
kommen, hängt davon ab, ob das Gericht eine solche vertragliche Pflicht
aus ergänzender Vertragsauslegung herleitet oder nicht, was aufgrund der
Tatsache, dass sich im Vertrag in der Regel keine Anhaltspunkte für eine
solche finden, völlig offen ist. Durch das hier vorgeschlagene System können solche Abgrenzungsschwierigkeiten vermindert und die dargestellten
Rechtsunsicherheiten teilweise beseitigt werden. Wird im Rahmen der Vertragsdurchführung eine Pflicht zum Schutz der Rechtsgüter des Vertragspartners verletzt, liegt ein Tatbestand der (vertraglichen) Haftung aus positiver Vertragsverletzung vor, unabhängig davon, ob es sich dabei um eine
vertragliche oder eine allgemeine Pflicht handelt81.
II. Schadenersatz als Rechtsfolge
Die Rechtsfolge bei der Verletzung einer vertraglichen Pflicht oder einer
Schutzpflicht besteht entweder in einem Erfüllungsanspruch, einem Schadenersatzanspruch oder einem Rücktrittsrecht82, wobei dem Erfüllungsanspruch und dem Rücktrittsrecht bei der Verletzung von Pflichten zum
Schutz der Rechtsgüter des Vertragspartners eine geringe Bedeutung zukommt83. Im Folgenden interessiert ausschliesslich Schadenersatz als
Rechtsfolge einer positiven Vertragsverletzung. Dabei ist zwischen dem
Ersatz des Erfüllungs-, des Integritäts- und des Vertrauensinteressens zu
unterscheiden84.
1. Das positive Interesse oder Erfüllungsinteresse soll den Gläubiger so
stellen, wie wenn der Vertrag vollständig und korrekt erfüllt worden wäre85.
Dies freilich nur immer auf die konkreten vertraglichen Pflichten bezogen:
Das Erfüllungsinteresse umfasst den objektiven Wert der ausgebliebenen
Leistung sowie „die geldwerten Vorteile, die [der Gläubiger] aus der [...]
Leistung hätte ziehen können und gezogen hätte“86. Beeinträchtigungen
81
Offen ist allerdings bei diesem System die Frage nach der Intensität des funktionellen
Zusammenhangs zwischen verletzter (allgemeiner) Schutzpflicht und Vertragserfüllung.
82
Z.B. SCHWENZER, N 68.01 ff.
83
SCHWENZER, N 68.05; BSK/WIEGAND, N 32 zu Art. 97 OR. Eine Ausnahme bildet
z.B. Art. 328 OR (BK/KRAMER, Allgemeine Einleitung, N 95).
84
Vgl. dazu ausführlich LÜCHINGER, Schadenersatz.
85
Z.B. BK/WEBER, N 210 zu Art. 97 OR.
86
LARENZ, S. 430 f.
16
§ 3 Forschungsgegenstand: Positive Vertragsverletzungen
vorhandener Rechtsgüter fallen daher – soweit der Rechtsgüterschutz nicht
eine vertragliche Pflicht darstellt – nicht unter das Erfüllungsinteresse87.
Den Ersatz des Erfüllungsinteresses sehen beispielsweise Art. 97 Abs. 1
oder 107 Abs. 2 OR vor.
2. Nun können jedoch gewisse Tatbestände der positiven Vertragsverletzung zu Schadensposten führen, die nicht vom Erfüllungsinteresse erfasst
sind. Verschiedene Autoren haben daher darauf hingewiesen, dass der
Gläubiger zwar unabhängig vom vertraglichen oder gesetzlichen Leistungsziel, jedoch im Rahmen der Vertragsvorbereitung und Durchführung88, ein Interesse an der Unverletzlichkeit seiner Rechtsgüter hat. Dieses
sog. Integritätsinteresse kann deshalb auch dann betroffen sein, wenn
„vertrags- bzw. verhandlungsfremde Rechtsgüter“89 verletzt werden.
Die Unterscheidung zwischen Erfüllungsinteresse auf der einen und dem
Integritätsinteresse auf der anderen Seite geht demnach mit der Unterscheidung zwischen vertraglichen Pflichten und Schutzpflichten einher90: Die
Verletzung von Schutzpflichten „beeinträchtigt nicht den Leistungserfolg,
sondern schädigt nur den Gegner in seinen sonstigen Interessen“91. Wie
dargelegt, kann sich freilich eine vertragliche Pflicht im konkreten Fall inhaltlich mit einer Schutzpflicht überlagern (oben S. 10 ff.). In diesem Fall
überlagern sich auch Erfüllungs- und Integritätsinteresse92.
3. Daneben sehen verschiedene Bestimmungen den Ersatz des Vertrauensinteresses93 vor (z.B. Art. 26 Abs. 1 OR). Es geht dabei um den Ausgleich
von Schäden, „die ihre Ursache darin haben, dass der Gläubiger vergeblich
auf eine korrekte Leistungserbringung vertraut hat“94. Das Vertrauensinteresse wird für die folgenden Überlegungen weitgehend ausser Acht gelassen; wenn vom Erfüllungsinteresse die Rede ist, gilt dasselbe für das Vertrauensinteresse.
87
KEUK, S. 162; LARENZ, S. 430 f.
STOLL, S. 27. Es ist daher ungenau, wenn in diesem Zusammenhang davon gesprochen
wird, das Integritätsinteresse bestehe „unabhängig vom Vertrag“.
89
LÜCHINGER, Schadenersatz, N 350.
90
BK/KRAMER, Allgemeine Einleitung, N 98; KOLLER, OR AT, § 48 N 26 f.; NEUENSCHWANDER, S. 10.
91
STOLL, S. 27.
92
KOLLER, OR AT, § 48 N 26 f.; LÜCHINGER, Schadenersatz, N 379.
93
Vgl. z.B. LÜCHINGER, Schadenersatz, N 213 ff.
94
KOLLER, OR AT, § 46 N 19.
88
17
1. Kapitel: Grundlagen
III. Fehlende Rechtsgrundlage
Das Gesetz regelt die Leistungsstörungstatbestände unter dem Titel „Die
Folgen der Nichterfüllung“ in Art. 97–109 OR sowie in zahlreichen weiteren Bestimmungen im allgemeinen und im besonderen Teil des OR sowie
in Spezialgesetzen.
Drei Tatbestände sind in Art. 91 ff. sowie 97 ff. OR ausdrücklich geregelt:
die Nichterfüllung wegen Unmöglichkeit, der Schuldner- und der Gläubigerverzug. Der Wortlaut von Art. 97 Abs. 1 OR umfasst lediglich die vollständige oder teilweise Unmöglichkeit („Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden [...].“95). Dennoch wendet ein Teil der Lehre diese Bestimmung direkt auf die Fälle der
positiven Vertragsverletzung an96. Bei Art. 97 Abs. 1 OR handle es sich um
eine „verstossrechtliche Generalregel“97, die so verstanden werden müsse,
wie wenn es hiesse: „Kann die Erfüllung nicht bewirkt werden oder ist sie
nicht gehörig bewirkt worden [...]“98. Ein anderer Teil der Lehre will
Art. 97 Abs. 1 OR immerhin analog auf die Fälle der positiven Vertragsverletzung anwenden99.
Ob die positive Vertragsverletzung tatsächlich von Art. 97 Abs. 1 OR erfasst ist, muss durch Auslegung ermittelt werden. Eine grammatikalische,
historische und teleologische Auslegung ergibt allerdings, dass die
Schlechterfüllung nicht von Art. 97 Abs. 1 OR erfasst ist. Für die Begründung kann auf die Ausführungen von ALFRED KOLLER verwiesen werden100. Eine unmittelbare Anwendung dieser Bestimmung auf die Fälle der
positiven Vertragsverletzung scheidet daher aus. Aber auch eine analoge
Anwendung von Art. 97 Abs. 1 OR ist wegen der für die Schlechterfüllung
unpassenden Beweislastverteilung ausgeschlossen101. Unbestritten ist jedoch, dass eine positive Vertragsverletzung Haftungsfolgen zeitigen muss,
was im Gesetz auch verschiedentlich vorgesehen ist (z.B. Art. 328 OR)102.
Es ist daher eine Gesetzeslücke anzunehmen, die mittels Gesamtanalogie zu
schliessen ist103.
95
Hervorhebung durch den Autor.
So z.B. VON TUHR/ESCHER, S. 107; HUGUENIN, N 586; CR/THÉVENOZ, N 19 f. zu
Art. 97 OR; GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, N 2617; VON BÜREN, S. 383.
97
So Z.B. VON BÜREN, S. 383.
98
VON TUHR/ESCHER, S. 107.
99
So z.B. BUCHER, OR AT, S. 335 f.
100
KOLLER, OR AT, § 45 N 14 und KOLLER, AJP 1992, S. 1486 ff.
101
Vgl. STUDER, S. 86 ff., 122 ff.; KÄLIN, S. 1344 f.
102
KOLLER, OR AT, § 45 N 14.
103
KOLLER, AJP 1992, S. 1489; KOLLER, OR AT, § 45 N 14.
96
18
§ 4 Subsidiäre Anwendung von Art. 127 ff. OR
Aus Gründen der Praktikabilität wird jedoch der herrschende Sprachgebrauch, wonach sich die Haftung aus positiver Vertragsverletzung aus
Art. 97 Abs. 1 OR ergibt, im Folgenden übernommen.
§ 4. Subsidiäre Anwendung von Art. 127 ff. OR
Nach Art. 127 OR ist auf sämtliche Forderungen, „für die das Bundeszivilrecht nicht etwas anderes bestimmt“, das allgemeine Verjährungsrecht nach
Art. 127 ff. OR anwendbar. „Etwas anderes bestimmt“ ist nicht nur dann,
wenn ausdrücklich eine spezielle Verjährungsregelung vorgesehen ist (z.B.
Art. 210 Abs. 1 OR), sondern auch dann, wenn eine spezielle Verjährungsbestimmung nach ihrem Sinn und Zweck analog heranzuziehen ist (vgl.
z.B. BGE 51 II 385 E. 4)104. Im Folgenden soll daher untersucht werden,
inwiefern spezielle Verjährungsbestimmungen unmittelbar oder analog auf
Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung anwendbar sind
und damit das allgemeine Verjährungsrecht gemäss Art. 127 ff. OR verdrängen. In Betracht kommen insbesondere die deliktsrechtliche Verjährungsbestimmung (I.) und die besonderen Verjährungsbestimmungen des
besonderen Teils des OR und von Spezialgesetzen (II.).
I.
Keine Anwendung von Art. 60 Abs. 1 OR
1. Keine unmittelbare Anwendung von Art. 60 Abs. 1 OR. Bei der positiven Vertragsverletzung handelt es sich um eine vertragliche Haftung.
Die Tatbestände der positiven Vertragsverletzung fallen daher unter
Art. 99 Abs. 3 OR, wonach „die Bestimmungen über das Mass der Haftung bei unerlaubten Handlungen auf das vertragswidrige Verhalten entsprechende Anwendung [finden]“. Art. 60 Abs. 1 OR wäre daher unmittelbar auf die Tatbestände der positiven Vertragsverletzung anwendbar,
wenn die Verjährungsbestimmungen unter das „Mass der Haftung“ fallen
würden. Die Rechtsprechung (BGE 87 II 155 E. 3a; 80 II 256 E. 4; 55 II
35) sowie die herrschende Lehre105 nehmen jedoch an, dass die Verjährungsregelungen nicht vom „Mass der Haftung“ erfasst sind. Dem ist nach
der hier vertretenen Ansicht aus folgenden Gründen zuzustimmen:
104
105
KOLLER, AJP 1992, S. 1496.
BK/WEBER, N 153 zu Art. 99 OR; BK/BECKER, N 26 zu Art. 97 OR; KOLLER, OR
AT, § 71 N 39; BSK/WIEGAND, N 14 ff. zu Art. 99 OR; a.A. SPIRO I, S. 697 ff.;
GAUCH, Verjährungsunsicherheiten, S. 244.
19
1. Kapitel: Grundlagen
a) Zunächst ergibt sich dieses Ergebnis aus einer grammatikalischen
Auslegung. Die Verjährungsbestimmungen sind nur vom französischen
Wortlaut des Art. 99 Abs. 3 OR erfasst („Les règles relatives à la
responsabilité dérivant d’actes illicites s’appliquent par analogie aux
effets de la faute contractuelle“). Hingegen lassen sie sich weder unter
den deutschen („Mass der Haftung“) noch unter den italienischen („misura della responsabilità“) Wortlaut subsumieren (BGE 80 II 256 E. 4 =
Pra 1954 Nr. 164)106.
b) Dasselbe Resultat ergibt eine historische Auslegung. Der Entwurf von
1905107 hat in Art. 1121 Abs. 3 für die „Ersatzpflicht“ ausdrücklich auf die
Bestimmungen der unerlaubten Handlung (Art. 1058–1074 ) verwiesen.
Die Verjährungsregelung der unerlaubten Handlung (Art. 1076) war jedoch
bereits im Entwurf von 1905 nicht vom Verweis erfasst. Der Entwurf von
1909 übernahm diese Bestimmung. Lediglich aus redaktionellen Gründen
wurde auf die Anführung von Gesetzesartikeln verzichtet108. Mit Art. 99
Abs. 3 OR wollte man inhaltlich nicht von Art. 1121 Abs. 3 des Entwurfs
von 1905 abweichen109.
c) Schlussendlich ergibt sich dasselbe aus einer teleologischen Auslegung.
Die Verjährungsregeln des Deliktrechts passen zumindest110 für die Haftung
aus Nicht- oder Späterfüllung nicht. So macht es beispielsweise keinen
Sinn, bei einer Schadenersatzforderung wegen Nicht- oder Späterfüllung
für den Beginn des Fristenlaufs auf das „schädigende Ereignis“ (Art. 60
Abs. 1 OR) abzustellen. Aber auch die kurze Dauer der Verjährungsfrist
von Art. 60 Abs. 1 OR ist auf Fälle zugeschnitten, in denen die Schädigung
durch reinen „Zufallskontakt“ und ohne Sonderverbindung erfolgte, und die
von der Verjährung geschützten Interessen daher besonders stark gefährdet
sind. Es ist nicht anzunehmen, dass Art. 99 Abs. 3 OR auf diese unpassenden Verjährungsregeln verweisen will.
2. Keine analoge Anwendung von Art. 60 Abs. 1 OR. Art. 60 Abs. 1 OR
passt nicht auf Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung
(vgl. z.B. BGE 87 II 155 E. 3a; 4A_103/2009 E. 2.2.2)111. Sowohl die zehn106
Vgl. demgegenüber BRUNNER, N 390 ff.
Vgl. FASEL, S. 1489 ff.
108
BK/BECKER, N 26 zu Art. 97 OR.
109
ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 14 zu Art. 99 OR; BK/BECKER, N 26 zu Art. 97 OR;
BRUNNER, N 393 ff.
110
M.E. gilt dasselbe für die Haftung aus positiver Vertragsverletzung (sogleich Ziff. 2),
doch kann diese Problematik für die hier ausschliesslich interessierende Auslegungsfrage von Art. 99 Abs. 3 OR ausser Acht gelassen werden.
111
Gl.M. KOLLER, OR AT, § 71 N 39; ZK/BERTI, N 34 zu Art. 127 OR; CHK/KILLIAS,
107
20
§ 4 Subsidiäre Anwendung von Art. 127 ff. OR
jährige Verjährungsfrist ab der schädigenden Handlung als auch die einjährige Verjährungsfrist ab Kenntnis des Schadens gemäss Art. 60 Abs. 1 OR
werden z.T. selbst für deliktische Schadenersatzforderungen als zu streng
empfunden112. Dies muss in verstärktem Masse für Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung gelten: Im Falle einer positiven Vertragsverletzung besteht im Vergleich zu einer deliktischen Schädigung sowohl eine besondere Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit des Gläubigers
auf der einen Seite als auch eine geringere Gefährdung der von der Verjährung zu schützenden Interessen auf der anderen Seite. Da sich die Ausgestaltung einer Verjährungsordnung aus der Abwägung der Interessen des
Gläubigers auf der einen Seite und den von der Verjährung zu schützenden
Interessen auf der anderen Seite ergibt113, spricht beides gegen die Anwendung von Art. 60 Abs. 1 OR und für die Anwendung der gläubigerfreundlicheren114 allgemeinen Verjährungsordnung nach Art. 127 ff. OR.
Es wurde bereits aufgezeigt, dass im Falle der positiven Vertragsverletzung
eine – im Vergleich zur deliktischen Schädigung – besondere Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit des Gläubigers besteht und zwar auch bei der
Verletzung einer (allgemeinen) Schutzpflicht im Rahmen der Vertragserfüllung (oben S. 13 ff.). Im Folgenden ist daher noch darzulegen, dass die von
der Verjährung zu schützenden Interessen bei der positiven Vertragsverletzung weniger stark gefährdet sind als bei der deliktischen Schädigung: Im
Vordergrund steht der Schuldnerschutz als Verjährungszweck. Dabei geht
es insbesondere darum, „den zu Unrecht [...] in Anspruch genommenen angeblichen Schuldner zu schützen“115. Das Schutzbedürfnis ergibt sich aufgrund zeitlich bedingter Beweisschwierigkeiten (vgl. oben S. 5 f.). Diese
Beweisschwierigkeiten sind bei deliktischen Schädigungen grösser, da deliktische Schädigungen in der Regel rein zufällig erfolgen und die Umstände der Schädigung daher in keiner Weise dokumentiert sind. Oftmals ist
nicht einmal der Schädiger bekannt116. Eine Schädigung aus positiver Vertragsverletzung (im hier verstandenen Sinn) geschieht demgegenüber nie
N 10 f. zu Art. 127 OR; BK/BREHM, N 11 f. zu Art. 60 OR; CHK/FURRER/WEY,
N 135 zu Art. 97–98 OR; HUGUENIN, N 905; NEUENSCHWANDER, S. 85; a.A.
SCHWANDER, S. 137 ff.; JÄGGI, S. 195; SPIRO I, S. 688 ff.; WERRO, N 1418.
112
KOLLER, OR AT, § 28 N 39; LOSER, S. 219 f.; REY, Haftpflichtrecht, N 1605;
CR/WERRO, N 10 zu Art. 60 OR; KUONEN, N 1710.
113
Vgl. z.B. KOCH, S. 174.
114
Vgl. z.B. GAUCH, ZSR 1997 I, S. 315; ROBERTO, N 338; HUGUENIN, N 1172; TOGNELLA, S. 159; SCHWENZER, N 48.05; LÜCHINGER, SJZ 2006, S. 201; LOSER,
S. 219 f. m.w.H.
115
SPIRO I, S. 10.
116
HONSELL, JZ 2001, S. 21.
21
1. Kapitel: Grundlagen
völlig unerwartet, da eine Sonderverbindung besteht. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Umstände der Schädigung dokumentiert wurden oder dass
Beweise nachträglich sichergestellt werden, ist daher wesentlich grösser. So
präsentiert sich z.B. die Beweislage unterschiedlich, ob ein Handwerker bei
Ausführung der Arbeiten eine Scheibe des Kunden zerstört oder ob die
Scheibe durch einen – in der Regel gänzlich unbekannten – Dritten zerstört
wird. Es stellt beispielsweise bei der positiven Vertragsverletzung naturgemäss kein Problem dar, den Schädiger zu ermitteln. Aus Gründen des
Schuldnerschutzes rechtfertigt sich daher eine striktere Verjährungsordnung
bei deliktischen Schädigungen.
II. Teilweise Anwendung besonderer
Verjährungsbestimmungen
Besondere Verjährungsbestimmungen für Schadenersatzforderungen aus
positiver Vertragsverletzung finden sich z.B. beim Kaufvertrag (Art. 210
OR), beim Werkvertrag (Art. 371 OR), beim Frachtvertrag (Art. 454 OR)
sowie in Spezialgesetzen (z.B. Art. 83 Abs. 1 SVG117). Zunächst sind solche speziellen Bestimmungen in ihrem Anwendungsbereich unmittelbar
anwendbar und verdrängen die allgemeine Verjährungsordnung nach
Art. 127 ff. OR. Vgl. zu den besonderen Verjährungsbestimmungen des besonderen Teils des OR unten § 10.
Des Weiteren kommt in gewissen Situationen deren analoge Anwendung in
Betracht: So z.B. bei Verletzungen von ähnlichen vertraglichen Pflichten,
wie etwa von Hauptleistungspflichten, die Elemente von Vertragstypen mit
besonderen Verjährungsregeln beinhalten. So richtet sich z.B. die Verjährung von Schadenersatzforderungen aus Werklieferungsverträgen, auch
was die Haftung des Unternehmers für die durch mangelhaften Stoff bewirkten Werkmängel betrifft, nach Art. 371 OR118. Weiter kommt eine analoge Anwendung z.B. bei der Verletzung von leistungsorientierten Nebenpflichten solcher Verträge in Betracht. So ist beispielsweise auf Schadenersatzforderungen, die sich aus einer mangelhaften Gebrauchsanleitung der
Kaufsache ergeben, Art. 210 OR analog anzuwenden (BJM 1961,
S. 189 ff.). Das Bundesgericht nimmt jedoch in solchen Fällen häufig eine
117
Unter diese Bestimmung fallen sämtliche Schadenersatzforderungen gemäss Art. 58
Abs. 1 SVG, „ohne dass, falls zwischen dem Geschädigten und dem Halter ein Vertrag besteht, vertragliches Schadenersatzrecht heranzuziehen wäre“ (OFTINGER/STARK
II/2, § 25 N 71). Es fallen also auch Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung unter Art. 83 Abs. 1 SVG.
118
GAUCH, Werkvertrag, N 123.
22
§ 4 Subsidiäre Anwendung von Art. 127 ff. OR
„den Vertrag ergänzende selbständige Nebenabrede“ an, deren Verletzung
„zu einem Schadenersatzanspruch [führt], der nach Art. 127 OR in 10 Jahren verjährt“ (BGE 96 II 115, Regeste; vgl. für den Werkvertrag BGE 102
II 413 = Pra 1977 Nr. 87)119.
119
Kritisch BK/GIGER, N 24 zu Art. 210 OR.
23
2. Kapitel:
Der Verjährungsbeginn
Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Verjährungsbeginn120 von Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung. Bis auf den letzten
Paragraphen dieses Kapitels wird der Verjährungsbeginn gemäss allgemeinem Verjährungsrecht nach Art. 127 ff. OR untersucht, wobei von denjenigen Tatbeständen der positiven Vertragsverletzung ausgegangen wird, bei
denen die Verletzung einer vertraglichen Pflicht oder einer Schutzpflicht zu
einer Beeinträchtigung vorhandener Rechtsgüter des Geschädigten (z.B. der
Person, des Eigentums oder des Vermögens) führt; entweder weil unmittelbar das Integritätsinteresse beeinträchtigt ist (Verletzung einer Schutzpflicht) oder weil sich Erfüllung- und Integritätsinteresse inhaltlich überlagern (Verletzung einer vertraglichen Pflicht).
§ 5. Ablehnung der Surrogatstheorie
Die h.L. will für den Beginn des Fristenlaufs von Schadenersatzforderungen aus Nicht- oder Späterfüllung auf den Fälligkeitszeitpunkt des Primäranspruchs abstellen121 (sog. Surrogatstheorie122). Im Ergebnis beginnt damit
die Verjährungsfrist der Schadenersatzforderung mit der Fälligkeit des Primäranspruchs zu laufen. Ein selbständiger Verjährungsbeginn wird von der
h.L. lediglich für die Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung angenommen. Im Folgenden ist zunächst zu zeigen, dass kein
Grund besteht, diesbezüglich zwischen Schadenersatzforderungen aus
Nicht- oder Späterfüllung auf der einen Seite und Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung auf der anderen Seite zu unterscheiden
(Ziff. 1). In einem zweiten Teil wird dargelegt, dass die Surrogatstheorie
insgesamt abzulehnen ist (Ziff. 2)123. Sämtliche Schadenersatzforderungen
unterliegen daher einem selbständigen Verjährungsbeginn.
120
Der Begriff „Verjährungsbeginn“ kann auf zwei Arten verstanden werden: Es kann
damit sowohl der Beginn des Fristenlaufs als auch der Eintritt der Verjährung gemeint sein. In dieser Arbeit ist damit der Beginn des Fristenlaufs gemeint.
121
Vgl. z.B. BSK/DÄPPEN, N 11 zu Art. 130 OR; NEUENSCHWANDER, S. 85; VON
TUHR/ESCHER, S. 104; HUGUENIN, N 919; SCHWENZER, N 84.14; CHK/KILLIAS, N 7
zu Art. 130 OR; GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, N 3321.
122
KOLLER, OR AT, § 71 N 38.
123
Gl.M. KOLLER, OR AT, § 71 N 38: ZK/BERTI, N 125 ff. zu Art. 130 OR;
BSK/WIEGAND, N 50 zu Art. 97 OR.
24
§ 5 Ablehnung der Surrogatstheorie
1. Keine Differenzierung zwischen den einzelnen Schadenersatzforderungen. Die spezielle Rechtslage bei Schadenersatzforderungen aus Nichtoder Späterfüllung wird zunächst damit begründet, dass der Schadenersatzanspruch in diesen Fällen die Primärforderung „fortsetze“124. Gemeint ist
damit wohl, dass die Schadenersatzforderung in diesen Fällen auf Ersatz
des Erfüllungsinteressens geht (Art. 97 Abs. 1 und 107 Abs. 2 OR125). Dies
gilt jedoch – zumindest teilweise – auch für Schadenersatzansprüche aus
positiver Vertragsverletzung (vgl. oben S. 16 f.).
PETER GAUCH und WALTER SCHLUEP126 begründen die unterschiedliche
Behandlung der einzelnen Schadenersatzforderungen damit, dass bei positiven Vertragsverletzungen die Schädigung des Gläubigers durch Verletzung von Nebenpflichten, deren Erfüllung nicht klageweise durchgesetzt
werden könne, erfolge. Die positive Vertragsverletzung kann jedoch ebenfalls in der Verletzung einer klagbaren Pflicht bestehen (z.B. Art. 328
OR127), ohne dass von der Surrogatstheorie ausgegangen wird (z.B. BGE
106 II 134 = Pra 1980 Nr. 284).
Schlussendlich ist darauf hinzuweisen, dass die Trennung der einzelnen
Leistungsstörungstatbestände nach der Ursache (Art der Pflichtverletzung)
weitgehend historisch und nicht inhaltlich bedingt ist128. Sie ist denn auch
mittlerweile durch Lehre und Rechtsprechung weitgehend relativiert worden129. Die Ungleichbehandlung hinsichtlich der Surrogatstheorie führte
daher zu stossenden Ergebnissen.
2. Ablehnung der Surrogatstheorie im Allgemeinen. Da zwischen den
Schadenersatzforderungen aus Nicht-, Spät- oder Schlechterfüllung keine
eindeutigen Unterschiede ersichtlich sind, die eine Ungleichbehandlung
hinsichtlich der Surrogatstheorie rechtfertigen würden, ist im Folgenden in
allgemeiner Weise zu prüfen, ob für den Verjährungsbeginn von vertraglichen Schadenersatzforderungen auf die Fälligkeit des Primäranspruchs abzustellen ist. Dies ist nach der hier vertretenen Ansicht abzulehnen:
a) Der Schadenersatzanspruch will zwar die Störung des Primäranspruchs
wirtschaftlich ausgleichen (durch Ersatz des Erfüllungs-, Vertrauens- oder
Integritätsinteresses). Dennoch handelt es sich beim Schadenersatzan124
Z.B. GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, N 3321.
KOLLER, OR AT, § 46 N 18.
126
GAUCH/SCHLUEP, OR AT, 4.A., N 2078c.
127
Vgl. STREIFF/VON KAENEL, N 19 zu Art. 328 OR.
128
BasKurzK/THIER, N 1 vor Art. 97 ff. OR m.w.H.
129
BSK/WIEGAND, N 1 vor Art. 97 ff. OR. Vgl. auch die Vereinheitlichung im Wiener
Kaufrecht (z.B. VON CAEMMERER, S. 264).
125
25
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
spruch um eine selbständige Forderung. Dies veranschaulicht die Tatsache, dass der Schadenersatzanspruch nicht zwingend an die Stelle des Primäranspruchs tritt, sondern auch neben diesem bestehen kann (z.B.
Art. 103 und 106 OR130)131. Es ist aus diesem Grund auch nicht ausreichend, von einem „Fortsetzungsgedanken“ zu sprechen132. Da es sich bei
der Schadenersatzforderung um eine selbständige Forderung handelt, ist sie
auch verjährungsrechtlich selbständig zu behandeln. Es „ist nicht ersichtlich, weshalb ein Anspruch, der auf einer selbständigen Anspruchsgrundlage (z.B. Art. 97 Abs. 1 OR) beruht, nicht als selbständiger Anspruch behandelt werden sollte“133.
b) Aus den Verjährungszwecken ergibt sich keine Notwendigkeit für die
Surrogatstheorie134: Der Schuldnerschutz, als zentraler Zweck der Verjährung, soll den angeblichen Schuldner davor schützen, dass er aufgrund zeitlich bedingter Beweisschwierigkeiten zu Unrecht in Anspruch genommen
wird. Allerdings setzt die Entstehung einer vertraglichen Schadenersatzforderung immer eine Störung der primären Leistung voraus. Die Beweistatsachen bezüglich Bestand oder Nichtbestand der Schadenersatzforderung sind
also nicht bereits mit der Fälligkeit der Primärforderung, sondern erst mit
deren Störung gegeben. Es ist daher aus Gründen des Schuldnerschutzes
auch nicht notwendig, für den Beginn des Fristenlaufs auf die Fälligkeit der
Primärforderung abzustellen.
c) Der Wille des Gesetzgebers scheint ebenfalls auf eine selbständige Behandlung der Schadenersatzansprüche zu gehen. Dies zeigt ein Blick auf
die besonderen Regelungen zum Beginn des Fristenlaufs: So bestimmt beispielsweise Art. 371 Abs. 2 OR, dass die Verjährungsfrist für diese Ansprüche mit der Abnahme des Werks an den Besteller zu laufen beginnt
(vgl. unten S. 56 ff.). Es wird also nicht auf die Fälligkeit des Primäranspruchs, den Ablieferungstermin135, sondern auf die tatsächliche Abnahme136 abgestellt. Dasselbe gilt im Rahmen von Art. 210 Abs. 1 OR, wonach
die Verjährungsfrist für die Schadenersatzforderungen nicht mit der Fälligkeit des Primäranspruchs, sondern mit Ablieferung an den Käufer zu laufen
beginnt.
130
BK/KRAMER, Allgemeine Einleitung, N 89; SCHWENZER, N 4.19.
MEINCKE, S. 28 f.
132
Vgl. MEINCKE, S. 28 f.
133
KOLLER, OR AT, § 54 N 134.
134
A.A. PETERS, JZ 1989, S. 750.
135
Vgl. GAUCH, Werkvertrag, N 646 ff.
136
BasKurzK/LEHMANN, N 3 zu Art. 371 OR.
131
26
§ 5 Ablehnung der Surrogatstheorie
d) Des Weiteren kann die Ansicht der Lehre dazu führen, dass eine Forderung (die Schadenersatzforderung) verjährt, bevor sie überhaupt entstanden ist. Dies ist jedoch nicht möglich. „Die Verjährung einer Forderung kann nicht zu laufen beginnen, bevor überhaupt die Forderung entstanden ist.“ (BGE 127 III 257, 266 m.w.H.; vgl. auch BGE 133 III 6
E. 5.3.3 = Pra 2007 Nr. 104; 128 III 212 E. 3d = Pra 2002 Nr. 153; BGE 91
II 442 E. 5b)137. Könnte eine Forderung vor ihrer Entstehung verjähren,
würden auf der einen Seite die berechtigten Interessen des Gläubigers auf
keine Weise berücksichtigt, ohne dass auf der anderen Seite die von der
Verjährung zu schützenden Interessen gefährdet wären: Auf der einen Seite
soll gemäss einem Grundgedanke des Verjährungsrechts die Verjährung
grundsätzlich nur dann eintreten, wenn der Gläubiger eine „faire Chance“
hatte, den Verjährungseintritt zu verhindern138. Vor Entstehung der Forderung stehen jedoch dem Gläubiger keine Mittel zur Verfügung stehen, um
den Verjährungseintritt zu verhindern (insbesondere diejenigen von
Art. 135 Ziff. 2 OR), weshalb die berechtigten Interessen des Gläubigers
verletzt würden, könnte eine Forderung verjähren, noch bevor sie entsteht.
Zudem sind auf der anderen Seite vor Entstehung der Forderung die von
der Verjährung zu schützenden Interessen, insbesondere der Schuldnerschutz, gar nicht gefährdet (vgl. soeben oben lit. b), weshalb kein Schutzbedürfnis besteht, mit dem die Verjährung gerechtfertigt werden könnte.
Insgesamt könnte die Verjährung daher in solchen Fällen nicht gerechtfertigt werden.
Das Gesagte ist grundsätzlich unbestritten. Teilweise wird jedoch etwas anderes angenommen, wenn der (potentielle) Gläubiger die Entstehung der
Forderung – und damit auch deren Verjährungsbeginn (Art. 130 Abs. 1 OR
i.V.m. Art. 75 OR) – selbst herbeiführen kann, „da es wegen der unhaltbaren Folgen nicht ins Belieben des Gläubigers gestellt sein darf, über den
Verjährungsbeginn zu bestimmen“ (BGE 122 III 10, 19 m.w.H.)139. Diese
Ansicht ist jedoch, wie noch zu zeigen ist, abzulehnen (unten S. 52 f.).
137
Z.B. VON TUHR/ESCHER, S. 217 f.
Vgl. ausführlich SPIRO, FS Lewald, S. 585 ff.; ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 872;
SCHNAUFER spricht von einer „reellen Chance“ (S. 21).
139
KOLLER, OR AT, § 68 N 15 f.; KOLLER, AJP 2000, S. 245 f.
138
27
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
§ 6. Verjährungsbeginn mit begründeter Vermutung eines
künftigen Schadens
Im Folgenden wird zunächst dargelegt, dass der ordentliche Verjährungsbeginn im Zeitpunkt der erstmöglichen Geltendmachung der Schadenersatzforderung liegt (I.). Es wird sich zeigen, dass eine Schadenersatzforderung aus positiver Vertragsverletzung geltend gemacht werden kann, sobald
Anhaltpunkte bestehen, welche die begründete Vermutung zulassen, dass
ein Schaden in bestimmtem Umfang eintreten wird; die Verjährungsfrist
beginnt daher in diesem Zeitpunkt zu laufen (II.). In einem weiteren Abschnitt soll untersucht werden, wann genügend Anhaltspunkte vorliegen,
die eine solche begründete Vermutung, dass ein Schaden in bestimmtem
Umfang eintreten wird, zulassen (III.). Im letzten Abschnitt dieses Paragraphen wird diese Ansicht den in der Rechtsprechung und Lehre vertretenen
Ansichten gegenübergestellt (IV.).
I.
Zeitpunkt der erstmöglichen Geltendmachung massgebend
Da – wie gesehen – auf Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung ordentlicherweise die allgemeinen Verjährungsregeln nach
Art. 127 ff. OR anwendbar sind und die Schadenersatzforderungen einem
selbständigen Verjährungsbeginn unterliegen, ist für den ordentlichen Verjährungsbeginn die Fälligkeit der in Frage stehenden Schadenersatzforderung massgebend (Art. 130 Abs. 1 OR).
Die Fälligkeit ist in Art. 75 OR geregelt. Sie bedeutet, dass der Gläubiger
die Leistung einfordern und (im Fall der Nichtleistung) einklagen kann140.
Fälligkeit ohne Klagbarkeit ist nur dann denkbar, wenn die Parteien vereinbaren, dass der Gläubiger auf eine Einklagung seiner (fälligen) Forderung
vorübergehend verzichtet (sog. pactum de non petendo)141. Nach Art. 75
OR wird eine Schadenersatzforderung ordentlicherweise „sogleich“ mit ihrer Entstehung fällig. Im Rahmen der ordentlichen Fälligkeit von Art. 75
OR fallen daher Entstehungszeitpunkt und erster Fälligkeitszeitpunkt einer
Forderung notwendigerweise zusammen142: Es ist weder möglich, dass eine
entstandene Forderung noch nicht fällig ist, noch kann es vorkommen, dass
eine fällige Forderung noch nicht entstanden ist143. Ein Schadenersatzan140
Z.B. GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, N 2156.
KOLLER, OR AT, § 39 N 12.
142
ADDORISIO DE FEO, Diss., N 223; Staudinger/PETERS/JACOBY, N 5 zu § 199 BGB.
143
Die Entstehung einer Forderung ist stets Voraussetzung für ihre Fälligkeit (vgl. z.B.
BSK/DÄPPEN, N 2 zu Art. 130 OR).
141
28
§ 6 Verjährungsbeginn mit begründeter Vermutung eines künftigen Schadens
spruch ist daher im Anwendungsbereich von Art. 75 OR fällig, sobald er
entstanden ist, und er ist „entstanden, sobald er erstmals geltend gemacht
und notfalls im Wege der Klage durchgesetzt werden kann“144.
Um den ordentlichen Verjährungsbeginn von Schadenersatzforderungen
aus positiver Vertragsverletzung zu ermitteln, können daher zwei Fragen
gestellt werden: Entweder wird nach dem Entstehungszeitpunkt von solchen Schadenersatzforderungen gefragt, oder es wird nach dem Zeitpunkt
gefragt, in dem eine solche Schadenersatzforderung das erste Mal geltend
gemacht werden kann. Die konkrete Frage, wann eine Schadenersatzforderung erstmals geltend gemacht werden kann, scheint bei Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung ergiebiger als die abstrakte Frage nach dem Entstehungszeitpunkt einer Schadenersatzforderung. Die Frage nach dem Entstehungszeitpunkt ist auf vertragliche Primärforderungen
zugeschnitten, wo die Forderung mit „Abschluss des Vertrages“145 entsteht.
Es wird daher im Folgenden untersucht, wann eine Schadenersatzforderung
aus positiver Vertragsverletzung ordentlicherweise erstmals (notfalls auch
gerichtlich) geltend gemacht werden kann.
II.
Erstmögliche Geltendmachung mit begründeter Vermutung
eines künftigen Schadens
Für die klageweise Geltendmachung – und damit für die Fälligkeit – einer
Schadenersatzforderung aus positiver Vertragsverletzung ist aufgrund von
Art. 42 Abs. 2 OR nicht erforderlich, dass bereits ein Schaden im Sinne einer unfreiwilligen Vermögensverminderung eingetreten ist. Erforderlich ist
jedoch immerhin, „dass in den Akten sich genügend Anhaltspunkte finden,
die geeignet sind, auf den [künftigen] Eintritt des Schadens schliessen zu
lassen, und dass dieser Schluss sich mit einer gewissen Überzeugungsgewalt aufdrängt“ (BGE 40 II 347, 355; vgl. auch BGE 43 II 47 E. 6; 98 II 34
E. 2; 99 II 221 E. 3b; 122 III 219 E. 3a)146. Für die klageweise Geltendmachung einer Schadenersatzforderung muss daher die Möglichkeit bestehen,
vor Gericht Tatsachen vorzubringen, die darauf schliessen lassen, dass mit
hoher Wahrscheinlichkeit ein Schaden in bestimmtem Umfang eintreten
wird. Es müssen mit anderen Worten Anhaltspunkte vorliegen, welche die
begründete Vermutung zulassen, dass ein Schaden in bestimmtem Umfang
eintreten wird. Dazu folgende Präzisierungen:
144
MünchK/GROTHE, N 4 zu § 199 BGB; vgl. auch SPIRO I, S. 56 Fn 17.
SCHWENZER, N 7.23.
146
BK/BREHM, N 52 zu Art. 42 OR; FELLMANN, Substanziierung und Beweis, S. 60;
WALTER, Beweis und Beweislast im Haftpflichtprozess, S. 60 ff.
145
29
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
1. Fälligkeit vor Eintritt der unfreiwilligen Vermögensverminderung.
Aufgrund von Art. 42 Abs. 2 OR, der auch im Vertragsrecht anwendbar ist
(BGE 4C.244/2006 E. 3.1), kann auch dann Schadenersatz verlangt werden,
wenn sich Höhe oder Bestand der Forderung „nicht strikte beweisen“ (BGE
122 III 219, 221) lassen (BGE 40 II 347; 122 III 219 E. 3a m.w.H.; 132 III
379 E. 3.1; 4A.116/2008 E. 3.2.1). Diese Bestimmung ist jedoch „nicht nur
auf den bereits eingetretenen, aber schwer beweisbaren Schaden zugeschnitten, sondern auch auf Nachteile, die der Betroffene wegen der schädigenden Handlung voraussichtlich noch erleiden wird“ (BGE 86 II 41, 45
m.w.H.; 114 II 253 E. 2)147. Nach herrschender Rechtsprechung und Lehre
ergibt sich daher aus Art. 42 Abs. 2 OR, dass Schadenersatz gefordert werden kann, bevor überhaupt ein Schaden im Sinne einer unfreiwilligen Vermögensverminderung eingetreten ist148. Dazu folgende Beispiele:
− BGE 114 II 253: A. wurde am 22. März 1985, als er acht Jahre alt war,
auf einem Spielplatz in Rheinfelden von einem Kunststoffpfeil, der mit
einer Metallspitze versehen war, ins linke Auge getroffen, worauf er die
Sehkraft dieses Auges verloren hat. Die finanziellen Nachteile dieser
Verletzung waren zum Zeitpunkt der Klage noch nicht eingetreten. Das
Bundesgericht stellte jedoch fest, dass für eine Schadenersatzklage nicht
vorausgesetzt sei, dass sich die Verletzung „im Vermögen des Ersatzberechtigten schon ausgewirkt habe“ (S. 256).
− BGE 127 III 73: Hannelore Taroni fuhr am 13. Juni 1991 gegen eine
Esche, die im Eigentum der Einwohnergemeinde Bern war. Das zweitinstanzliche Gericht stellte fest, dass die Esche erst in 18 Jahren ab dem
Urteilszeitpunkt ersetzt werden müsse. Dennoch konnte die Einwohnergemeinde Bern bereits vorher die Kosten für die künftige Neuanpflanzung geltend machen. Diese waren freilich zu diskontieren (E. 6b).
− BGE 116 II 441: Die B. AG verkaufte der A. AG eine Computeranlage
zum Preis von DM 440'000.-. Als Verfalltag wurde der 31. August 1986
vereinbart. Am 20. August 1986 verkaufte die A. AG die Computeranlage an die C. AG weiter. Für den Fall, dass die A. AG nicht bis zum
1. September 1986 leiste, wurde zwischen der A. AG und der C. AG eine
Konventionalstrafe im Umfang von Fr. 78'600.- vereinbart. Als die B.
AG bis zum 31. August 1986 nicht lieferte, machte die A. AG einen
Schadenersatzanspruch im Umfang der mit der C. AG vereinbarten Kon147
148
30
BK/BREHM, N 49 zu Art. 42 OR.
KOLLER, OR AT, § 52 N 4; BasKurzK/SCHÖNENBERGER, N 5 zu Art. 42 OR;
BSK/SCHNYDER, N 6 zu Art. 42 OR; BK/BREHM, N 49 zu Art. 42 OR; FELLMANN,
Substanziierung und Beweis, S. 65; BERGER-STEINER, N 03.30 ff.
§ 6 Verjährungsbeginn mit begründeter Vermutung eines künftigen Schadens
ventionalstrafe, also den Verspätungsschaden, geltend (vgl. Art. 103
Abs. 1 OR). Das Obergericht wies die Klage mit der Begründung ab, die
A. AG habe bis zu jenem Zeitpunkt der C. AG nichts leisten müssen,
weshalb ein Schaden weder nachgewiesen noch eingetreten sei (vgl.
E. 3). Demgegenüber stellte das Bundesgericht fest, dass Schadenersatz
nicht erst mit einer Verminderung des Vermögens, sondern bereits mit
Eintritt des Verzugs geltend gemacht werden könne (E. 3.a.aa).
2. Die Vermutung muss lediglich entstehen können. Gemäss Rechtsprechung ist lediglich erforderlich, „dass in den Akten sich genügend Anhaltspunkte finden [lassen]“, die geeignet sind, eine solche Vermutung zu begründen (BGE 40 II 347, 355). Für die Fälligkeit einer Schadenersatzforderung ist demnach lediglich vorausgesetzt, dass die Anhaltspunkte zumindest in (z.B. medizinischen) Fachkreisen erkannt werden und zu der begründeten Vermutung führen können, dass ein Schaden in einem bestimmten Umfang eintreten wird. Erforderlich ist aber lediglich die objektive
Möglichkeit, die Anhaltspunkte zu erkennen und einen solchen Schluss zu
ziehen. Schadenersatz kann bereits ab diesem Zeitpunkt gefordert werden.
Dass diese Anhaltpunkte dem Geschädigten möglicherweise im konkreten
Fall nicht bekannt sind und auch nicht bekannt sein können bzw. dem Geschädigten ein entsprechender Schluss nicht möglich ist, ist nicht relevant.
Gemäss Rechtsprechung (z.B. BGE 87 II 155 E. 3c) und Lehre149 hat die
subjektive Unkenntnis des Geschädigten keinen Einfluss auf die Fälligkeit
einer Schadenersatzforderung.
Die Kenntnis und die fahrlässige Unkenntnis sind nach dem Gesagten keine mittelbare Voraussetzung für den Verjährungsbeginn nach Art. 130 Abs. 1 OR. Gemäss
Rechtsprechung (BGE 130 III 362 E. 4.2 = Pra 2005 Nr. 7; 126 III 278 E. 7b = Pra
2001 Nr. 104; 119 II 216 E. 4a.aa; 106 II 134 E. 2a = Pra 1980 Nr. 284; 100 II 339
E. 2b = Pra 1975 Nr. 89; 87 II 155 E. 3a; 53 II 336 E. 3; anders lediglich BGE 90 II
325 E. 1c = Pra 1965 Nr. 37150) und Lehre151 ist die Kenntnis bzw. die fahrlässige
Unkenntnis auch keine unmittelbare Voraussetzung für den Verjährungsbeginn nach
Art. 130 Abs. 1 OR. Dies ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut von
Art. 130 Abs. 1 OR.
149
ADDORISIO DE FEO, Diss., N 248 ff.; ZK/SCHRANER, N 66 zu Art. 75 OR; BK/WEBER,
N 41a zu Art. 75 OR; a.A. HUSMANN/ALIOTTA, S. 133.
150
In diesem Entscheid wurde freilich festgehalten, die Unkenntnis stelle ein Hemmungsgrund nach Art. 134 OR dar. Dies entspricht jedoch in der Wirkung weitgehend der
Regelung, wo der Beginn des Fristenlaufs von der Kenntnis abhängig gemacht wird.
151
BSK/DÄPPEN, N 9 zu Art. 130 OR; KOLLER, OR AT, § 71 N 44; ZK/BERTI, N 129 zu
Art. 130 OR; GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, N 3309; SCHWENZER, N 84.15. A.A.
VON BÜREN, S. 428; MEUWLY, S. 315 ff.
31
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
3. Die Vermutung muss begründet sein. Gemäss Rechtsprechung ist erforderlich, dass sich die Vermutung, dass ein Schaden in bestimmtem Umfang eintreten wird, „mit einer gewissen Überzeugungsgewalt aufdrängt“
(BGE 40 II 347, 355)152. Das Bundesgericht spricht in diesem Zusammenhang beispielsweise von „höchst wahrscheinlich“ (BGE 87 II 364, 374),
„an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ (BGE 122 III 219, 223) oder
„annähernd sicher“ (Pra 2001, S. 704 und BGE 122 III 219, 223). Erscheint
ein künftiger Schaden bloss möglich, reicht dies für die Fälligkeit der Schadenersatzforderung nicht aus.
Dieses Erfordernis bezieht sich sowohl auf den Bestand als auch auf die
Höhe der künftigen Vermögensverminderung (vgl. z.B. BGE 132 III 379
E. 3.1)153. Es muss also ein künftiger Schaden in einem bestimmten Umfang
„höchst wahrscheinlich“ erscheinen. Bezieht sich das Erfordernis lediglich
auf ein Element, liegt keine Fälligkeit vor. Beispiel:
Besteht aufgrund der vorliegenden Anhaltspunkten die Vermutung, dass ein künftiger Schaden lediglich mit einer Wahrscheinlichkeit von 30% eintreten wird, kann jedoch der potentielle Schaden mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ auf
Fr. 1000.- beziffert werden, kann nicht gesagt werden, es bestehe die begründete
Vermutung, dass ein Schaden im Umfang von CHF 300.- eintreten werde.
Art. 46 Abs. 2 OR ändert nichts an diesem Erfordernis: Ob die Vermutung,
dass ein künftiger Schaden in bestimmtem Umfang eintreten wird, ausreichend begründet ist, und daher der künftige Schaden gerichtlich geltend
gemacht werden kann, ist ausschliesslich nach Art. 42 Abs. 2 OR nach dem
Ermessen des Richters festzulegen154. Art. 46 Abs. 2 OR gibt dem Richter
lediglich für künftige Schäden aus Körperverletzungen155 ausnahmsweise
„die Möglichkeit, seiner Unsicherheit in der Beurteilung der Unfallfolgen
Rechnung zu tragen, gewissermassen ein Ventil in das Urteil einzubauen“156. Die Formulierung „nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen“
schafft also nicht eine neue (tiefere) Schwelle für die Fälligkeit von Schadenersatzforderungen aus Körperverletzungen, sondern will lediglich die
Fälle erfassen, wo Schäden nach Art. 42 Abs. 2 OR geltend gemacht werden. Das Bundesgericht hält denn auch fest, dass ein Schaden bereits dann
nicht mit „hinreichender“ Sicherheit i.S.v. Art 46 Abs. 2 OR festgestellt
152
Z.B. BK/BREHM, N 52 zu Art. 42 OR mit Hinweisen auf die Rechtsprechung.
Z.B. BK/BREHM, N 48 zu Art. 42 OR mit Hinweisen auf die Rechtsprechung.
154
OFTINGER/STARK I, § 6 N 227. A.A ZK/LANDOLT, N 341 ff. zu Art. 45/46 OR;
BK/BREHM, N 160 f. zu Art. 46 OR.
155
Art. 46 Abs. 2 OR bezieht sich ausschliesslich auf Schäden aus Körperverletzungen
und z.B. nicht auf Sachschäden (OFTINGER/STARK I, § 6 N 231).
156
OFTINGER/STARK I, § 6 N 227.
153
32
§ 6 Verjährungsbeginn mit begründeter Vermutung eines künftigen Schadens
werden kann, wenn „nicht restlose Sicherheit über die Folgen der Verletzung“157 besteht (BGE 86 II 41, 46); wenn er mit anderen Worten nicht
„ziffernmässig nachweisbar“ (Art. 42 Abs. 2 OR) ist.
III. Anhaltspunkte, die eine begründete Vermutung zulassen
Welche Anhaltspunkte die begründete Vermutung zulassen, dass ein Schaden eintreten wird, kann nicht in abstrakter Weise gesagt werden. Es kann
jedoch festgehalten werden, dass bei Personen- und Sachschäden zumindest
ein Schadensereignis vorausgesetzt ist (Ziff. 1). Bei reinen Vermögensschäden liefert die Rechtsprechung Hinweise, welche Anhaltspunkte eine
solche Vermutung zulassen (Ziff. 2).
1. Bedeutung des Schadensereignisses bei Personen- und Sachschäden.
Die Schädigung aus positiver Vertragsverletzung, wie sie diesem Kapitel
zugrunde liegt (vgl. oben vor § 5), kann in drei Ereignisse unterteilt werden: Ausgangspunkt bildet jeweils die Verletzung einer vertraglichen
Pflicht oder einer Schutzpflicht (z.B. die Verletzung der Fürsorgepflicht des
Arbeitgebers gemäss Art. 328 OR). Diese Pflichtverletzung hat ein bestimmtes Schadensereignis zur Folge (z.B. die Verletzung der körperlichen
Integrität), was wiederum zu einer unfreiwilligen Vermögensverminderung
führt (z.B. zu Heilungskosten).
Der eigentliche Schaden, die unfreiwillige Vermögensverminderung, kann
sich bei Personen- und Sachschäden z.B. aus einem Wertverlust, den Reparatur- bzw. den Anschaffungskosten eines gleichwertigen Ersatzgegenstandes, dem entgangenen Gebrauchsvorteil, den Heilungskosten, dem Verdienstausfall oder weiteren Schadensposten ergeben158. Diese Schadensposten konkretisieren sich – wenn überhaupt – erst mit einer Rechtsgutverletzung als Schadensereignis in ausreichendem Masse (vgl. z.B. BGE 127 III
73 und 114 II 253). Bevor beispielsweise eine Körperverletzung stattgefunden hat, sind (künftige) Heilungskosten nicht sehr wahrscheinlich. Dasselbe
gilt beispielsweise für (künftige) Reparaturkosten, die sich erst mit der
Sachbeschädigung in ausreichendem Masse konkretisieren können. Bei
Personen- und Sachschäden ist daher für eine begründete Vermutung, dass
ein solcher Schadensposten eintreten wird, und damit für deren Fälligkeit,
zumindest vorausgesetzt, dass die Pflichtverletzung zu einem Schadensereignis geführt hat. Das Schadensereignis ist jedoch nicht ausreichende Voraussetzung (so z.B. bei Asbestschäden, vgl. BGE 137 III 16 E. 2.4.4).
157
158
Hervorhebung durch den Autor.
Vgl. SCHWENZER, N 18.01 ff.; ROBERTO, § 27–29.
33
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
Zwar sehen die Haftungsbestimmungen, aus denen sich der Tatbestand der
positiven Vertragsverletzung mittels Gesamtanalogie ergibt (z.B. Art. 398
Abs. 2 OR; vgl. oben S. 18 f.), kein Schadensereignis als Fälligkeitsvoraussetzung vor. Im Gegenteil „erweckt der Wortlaut einiger Bestimmungen
den Eindruck, bereits schuldhaftes pflichtwidriges Verhalten begründe die
Haftung“159 (vgl. z.B. Art. 398 Abs. 2 OR). Das Erfordernis ist jedoch für
die Haftungen aus Nicht- oder Schlechterfüllung ausdrücklich im Gesetz
vorgesehen und muss auch für die Haftung aus positiver Vertragsverletzung
gelten160: Nach Art. 97 Abs. 1 OR muss die Pflichtverletzung zunächst zu
einer Leistungsunmöglichkeit führen, bevor eine Schadenersatzforderung
geltend gemacht werden kann; erst ab diesem Zeitpunkt hat sich ein künftiger Schaden genügend konkretisiert. Die Schadenersatzforderung wird
dementsprechend erst mit Eintritt der Leistungsunmöglichkeit (Schadensereignis161), aber vor Eintritt der Vermögensverminderung, fällig (vgl. unten
Beispiel 1). Dasselbe gilt für die Schadenersatzansprüche bei Verzug gemäss Art. 107 Abs. 2 OR: Für einen entsprechenden Schadenersatzanspruch ist vorausgesetzt, dass die Pflichtverletzung zu einem Wegfall der
Leistungspflicht zufolge Verzichts (Art. 107 Abs. 2 OR) führt. Die Schadenersatzforderung wird demnach erst mit Wegfall der Leistungspflicht
(Schadensereignis162) aber vor Eintritt der unfreiwilligen Vermögensverminderung fällig (vgl. unten Beispiel 2).
Beispiel 1: Autohändler A. verkauft Zwischenhändler Z. ein Auto mit der Vereinbarung, es in zwei Tagen bei Z. vorbeizubringen. In der Zwischenzeit verkauft Z. das
Auto an B. weiter und vereinbart gleichzeitig für den Fall einer Nichtlieferung eine
Konventionalstrafe. Da A. den Schlüssel im Zündschloss vergisst, wird jedoch das
Auto vor Ablieferung an Z. gestohlen. Z. kann nach dem Gesagten nicht schon mit
der Pflichtverletzung, dem Vergessen des Zündschlüssels, sondern erst mit dem
Schadensereignis, der Leistungsunmöglichkeit, Schadenersatz verlangen. – Beispiel 2: Angenommen A. unterlässt schuldhaft die Lieferung. In diesem Fall kann Z.
nicht schon mit der Pflichtverletzung, der pflichtwidrigen Nichtlieferung, sondern
erst mit dem Schadensereignis, dem Wegfall der Leistung zufolge Verzichts
(Art. 107 Abs. 2 OR), Ersatz des Erfüllungsinteresses verlangen.
159
KOLLER, OR AT, § 46 N 15.
Die Trennung der einzelnen Leistungsstörungstatbestände nach der Ursache (Art der
Pflichtverletzung) ist weitgehend historisch und nicht inhaltlich bedingt
(BasKurzK/THIER, N 1 vor Art. 97 ff. OR m.w.H.). Sie ist denn auch mittlerweile
durch Lehre und Rechtsprechung grossteils relativiert worden (BSK/WIEGAND, N 1
vor Art. 97 ff. OR).
161
Vgl. KOLLER, OR AT, § 46 N 15.
162
Vgl. KOLLER, OR AT, § 46 N 15.
160
34
§ 6 Verjährungsbeginn mit begründeter Vermutung eines künftigen Schadens
Dass für die Geltendmachung eines künftigen Schadens zumindest erforderlich ist, dass die Pflichtverletzung zu einem Schadensereignis geführt
hat, ist für Schäden aus Körperverletzungen ausdrücklich in Art. 46 Abs. 2
OR vorgesehen, wonach künftige Schäden geltend gemacht werden können, auch wenn „die Folgen der [Körper-]Verletzung“ nicht ziffernmässig
festgestellt werden können (vgl. oben S. 32 f.).
Eine Ausnahme vom Gesagten gilt für den Fall, wo die Pflichtverletzung
nicht zu einer Rechtsgutverletzung führt, sondern dazu, dass eine bestehende Rechtsgutverletzung pflichtwidrigerweise nicht beseitigt wird. In solchen Situationen kann die begründete Vermutung, dass ein Schaden eintreten wird, bereits im Zeitpunkt der Pflichtverletzung, welche in der pflichtwidrigen Nichtbeseitigung besteht, entstehen. Massgebend ist demnach,
wann eine solche Pflicht zur Beseitigung einer Rechtsgutverletzung vorliegt. Bei Vertragsverhältnissen ergibt sich dies in der Regel aus dem Vertrag selbst (z.B. aus dem Arztvertrag). Besteht die Beseitigungspflicht über
einen bestimmten Zeitraum, wird eine allfällige Schadenersatzforderung
erst mit Ende der Beseitigungspflicht bzw. mit der tatsächlichen Beseitigung der Beeinträchtigung fällig (vgl. unten S. 48).
2. Reine Vermögensschäden. Bei Eingriffen in die Person oder das Eigentum kann zwischen Rechtsguteingriff und Schaden im Sinne einer unfreiwilligen Vermögensverminderung unterschieden werden. Demgegenüber
fallen bei reinen Vermögensschäden Rechtsguteingriff und Vermögensverminderung zwingendermassen zusammen163. Die Pflichtverletzung führt
bei reinen Vermögensschäden zu einer „Phase wachsender Vermögensgefährdung“164, die schlussendlich zu einer Rechtsgutverletzung, dem Schaden, führt. Beispiel165:
Das Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsunternehmen St. AG betreut Kunde K.
umfassend in steuerlichen Angelegenheiten. Insbesondere nimmt die St. AG Buchführungsarbeiten vor, erstellt Steuererklärungen und berät K. in weiteren steuerrechtlichen Angelegenheiten. Dabei verletzt die St. AG ihre Sorgfaltspflichten und erhebt
den massgeblichen Steuertatbestand falsch (1), worauf eine falsche Steuererklärung
erstellt (2) und eingereicht (3) wird. Aufgrund dessen erfolgt eine zu hohe Steuerrechnung (4), die nach Ablauf einer bestimmten Frist rechtskräftig wird (5). K. bezahlt schlussendlich den zu hohen Betrag (6). Bis zur eigentlichen Rechtsgutverletzung, der Vermögensverminderung (6), besteht eine „Phase wachsender Vermögensgefährdung“.
163
ROBERTO, N 139.
Staudinger/PETERS/JACOBY, N 33 zu § 199 BGB.
165
Nach Staudinger/PETERS/JACOBY, N 33 zu § 199 BGB.
164
35
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
Die begründete Vermutung, dass ein Schaden eintreten wird, kann bei reinen Vermögensschäden bereits während dieser Phase der wachsenden
Vermögensgefährdung entstehen. So stellt sich beispielsweise beim obigen
Sachverhalt die Frage, nach welchem Ereignis von 1–6 genügend Anhaltspunkte vorliegen, welche die begründete Vermutung zulassen, dass ein
Schaden eintreten wird. Dieser Zeitpunkt kann nicht abstrakt festgelegt
werden, sondern ist vom konkreten Sachverhalt abhängig. Anschauliche
Beispiele bietet insbesondere die deutsche Judikatur:
− BGHZ 73, 363: Verletzt ein Steuerberater seine Pflicht, woraus dem
Kunden eine Nachsteuerpflicht entsteht, konkretisiert sich ein künftiger
Schaden dann in ausreichendem Masse, wenn „die Steuerbehörde durch
die [...] [Prüfung] veranlasst worden ist, den steuerlichen Tatbestand erneut aufzugreifen“ (S. 367).
− BGHZ 114, 150: Verletzt ein Steuerberater eine ihm obliegende Sorgfaltspflicht, weshalb die Steuern zu hoch angesetzt werden, „so mag ein
Schaden noch nicht entstanden sein, wenn aufgrund eines fristgerechten
und deshalb noch zulässigen Einspruchs [...] das Finanzamt alsbald zugunsten des Steuerpflichtigen entscheiden könnte und müsste“ (S. 153).
Die Vermutung eines künftigen Schadenseintritts ist daher erst mit der
Bestandskraft des Steuerbescheids ausreichend begründet.
− BGHZ 119, 69: Die Vermutung eines künftigen Schadenseintritts kann
„grundsätzlich frühestens mit dem Zugang des nachteiligen Steuerbescheids eintreten; erst dann wirkt sich ein Fehler des Steuerberaters aus“.
Dies gilt zumindest in jenen Fällen, „in denen ein Bescheid des Finanzamtes ergehen muss, um die steuerlichen Folgen des Gestaltungsgeschäfts zu regeln“ (S. 73).
− BGH NJW 1994, S. 2822 ff.: „Lässt der Anwalt einen Anspruch verjähren, tritt der Schaden regelmässig bereits mit Ablauf der Verjährungsfrist
ein. Auf den Zeitpunkt, zu dem der Gegner des Mandanten die Verjährungseinrede erhebt, kommt es nicht an.“ (S. 2822).
− BGH NJW 1996, S. 48 ff.: In diesem Entscheid wurde angenommen,
dass eine begründete Vermutung dann vorliegen kann, wenn ein Anwalt
eine Einspruchsfrist verpasst, „denn von da an hat [der Klient] keine
ernsthafte Möglichkeit mehr, die Durchsetzung der klägerischen Ansprüche zu verhindern“ (S. 50).
− BGH NJW 2000, S. 1498 ff.: Ein Notar verfasste einen unklaren Vertrag,
woraus seinem Kunden ein Schaden entstanden ist. Der BGHZ führte
aus: „Obwohl die Abfassung des Vertrags [...] bereits den Keim späterer
36
§ 6 Verjährungsbeginn mit begründeter Vermutung eines künftigen Schadens
Streitigkeiten über seinen Inhalt in sich trug, drohte [...] daraus zunächst
noch kein Schaden.“ Die Vermutung eines künftigen Schadenseintritts
ist erst dann in ausreichendem Masse begründet, wenn „der Vertragspartner aus dem [...] Vertragsinhalt Rechte [...] herleitet“ (S. 1499).
− BGH WM 1993, S. 610 ff.: Ein Anwalt hat seinem Mandaten eine unrechtmässige Kündigung eines Vertrages empfohlen, worauf der Mandant gegenüber seinem Vertragspartner schadenersatzpflichtig wurde.
Die Vermutung, dass ein Schaden eintreten wird, konnte nicht bereits mit
der unrechtmässigen Kündigung angenommen werden, sondern erst
dann, als der Vertragspartner des Mandanten seine Rechte wahrgenommen hat.
− In BGE 4A_103/2009 hat es ein Rechtanwalt unterlassen, eine verjährungsunterbrechende Handlung vorzunehmen. Dies führte dazu, dass die
Forderung seines Mandanten gegenüber dem Schädiger am 1. Juni 1981
verjährte. Mit Verjährungseintritt war die Vermutung, dass ein Schaden
eintreten wird, genügend begründet (vgl. auch den oben erwähnten BGH
NJW 1994, S. 2822 ff.). Insbesondere war nicht erforderlich, dass der
Schuldner die Verjährungseinrede erhebt. Die Verjährungsfrist einer allfälligen Schadenersatzforderung des Mandanten gegenüber seinem Anwalt hatte bereits vorher zu laufen begonnen.
IV. Rechtsprechung und Lehre
Wie erwähnt, kann die Schädigung aus positiver Vertragsverletzung, wie
sie diesem Kapitel zugrunde liegt, in drei Ereignisse unterteilt werden: die
Pflichtverletzung, das Schadensereignis und den Schaden im Sinne einer
unfreiwilligen Vermögensverminderung. In der Rechtsprechung und Lehre
wird für den Verjährungsbeginn von Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung an diesen drei Ereignissen angeknüpft:
1. Pflichtverletzung. Gemäss Bundesgericht (vgl. BGE 87 II 155; 100 II
339 E. 2b = Pra 1975 Nr. 89; 106 II 134 = Pra 1980 Nr. 284; 137 III 16)
und einem Teil der Lehre166 beginnt die Verjährungsfrist von Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung bereits mit der Pflichtverletzung zu laufen. Ein Teil der Lehre leitet dieses Ergebnis jedoch nicht aus
Art. 130 Abs. 1 OR ab, sondern aus Gesetzesergänzung167.
166
GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, N 3322; BSK/DÄPPEN, N 11a zu Art. 130 OR;
SCHWENZER, N 84.14; NEUENSCHWANDER, S. 85; KRAUSKOPF, HAVE 2009,
S. 273 ff.
167
Vgl. z.B. GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, N 3322; KRAUSKOPF, HAVE 2009, S. 275.
37
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
Nach der hier vertretenen Ansicht ist diese Lösung deshalb abzulehnen,
weil mit der blossen Pflichtverletzung noch keine Anhaltspunkte vorliegen,
welche die begründete Vermutung zulassen, dass ein Schaden eintreten
wird. Die Schadenersatzforderung ist daher mit der blossen Pflichtverletzung noch nicht fällig, weshalb der Verjährungsbeginn im Anwendungsbereich von Art. 130 Abs. 1 OR nicht in der Pflichtverletzung liegen kann.
2. Schaden. Ein anderer Teil der Lehre ist der Ansicht, die Verjährungsfrist
einer Schadenersatzforderung aus positiver Vertragsverletzung beginne im
Anwendungsbereich von Art. 130 Abs. 1 OR erst mit Eintritt der unfreiwilligen Vermögensverminderung zu laufen168.
Nach der hier vertretenen Ansicht ist diese Lösung deshalb abzulehnen,
weil eine Schadenersatzforderung aus positiver Vertragsverletzung bereits
vor Eintritt des Schadens gerichtlich geltend gemacht werden kann. Der
Verjährungsbeginn kann deshalb im Anwendungsbereich von Art. 130
Abs. 1 OR nicht in der unfreiwilligen Vermögensverminderung liegen.
3. Schadensereignis. Schlussendlich ist ein weiterer Teil der Lehre der Ansicht, die Verjährungsfrist beginne im Anwendungsbereich von Art. 130
Abs. 1 OR zu laufen, wenn die Pflichtverletzung zu einem Schadensereignis geführt hat, ohne dass bereits eine Vermögensverminderung vorliegen
muss169.
Nach der hier vertretenen Ansicht ist diese Lösung deshalb abzulehnen,
weil das Schadensereignis nicht ausreichender Anhaltspunkt für die Begründete Vermutung ist, dass ein Schaden eintreten wird. Es ist möglich,
dass trotz Schadensereignis nicht mit der notwendigen Sicherheit davon
ausgegangen werden kann, dass ein Schaden eintreten wird und daher trotz
Schadensereignis keine Fälligkeit vorliegt. Dies ist beispielsweise bei
Schädigungen mit einer langen Latenzzeit der Fall. So z.B. bei Asbesterkrankungen, wo im Zeitpunkt des Schadensereignisses (Kontakt mit Asbest) nicht mit der notwendigen Sicherheit davon ausgegangen werden
kann, dass ein Schaden eintreten wird (BGE 137 III 16 E. 2.4.4), weshalb
der Geschädigte zu diesem Zeitpunkt „noch nicht mit Aussicht auf Erfolg
auf Schadenersatz klagen“ (BGE 137 III 16, 22) kann.
168
BSK/WIEGAND, N 52 zu Art. 97 OR; GAUCH/SCHLUEP, OR AT, 4.A., N 2078c;
ZK/BERTI, N 129 zu Art. 130 OR; CR/PICHONNAZ, N 5c zu Art. 130 OR.
169
KOLLER, OR AT, § 71 N 39.
38
§ 7 Schadenseinheit: Beginn bei teilweiser Fälligkeit
§ 7. Schadenseinheit: Beginn bei teilweiser Fälligkeit
Die Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung ist nicht nur für die Fälligkeit einer Schadenersatzforderung insgesamt von Bedeutung, sondern
auch für den Umfang der Fälligkeit einer Schadenersatzforderung: Ein
Schadensereignis kann verschiedene Schadensposten zur Folge haben170. In
solchen Fällen kann es vorkommen, dass die Klagbarkeit nur für einzelne
Schadensposten gegeben ist, weil nur für diese mit der nach Art. 42 Abs. 2
OR geforderten Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass sie sich
realisieren. Die Schadenersatzforderung ist dann nur teilweise fällig. Beispiel (in Anlehnung an BGH VersR 1982, S. 703 f.):
G. bricht sich 1957 bei einem Autounfall den linken Innenknöchel, was zu verschiedenen Heilungskosten führte. Ende 1974 traten bei G. aufgrund des Unfalls arthrotische Veränderungen am linken oberen Sprunggelenk auf, was zudem zu einer Arbeitsunfähigkeit von 50% führte. Dieser Schadensverlauf erschien im Zeitpunkt des
Schadensereignisses auch mit dem Wissen von Fachkreisen nicht in dem nach
Art. 42 Abs. 2 OR geforderten Masse wahrscheinlich. Im Zeitpunkt des Schadensereignisses konnte daher lediglich eine Leistungsklage z.B. im Umfang der Heilungskosten erhoben werden. Für den weiteren Schaden, der durch die teilweise Arbeitsunfähigkeit entstand, war die Klagbarkeit demgegenüber nicht gegeben.
In diesem Paragraphen wird dargelegt, dass in denjenigen Fällen, wo die
Schadenersatzforderung zumindest teilweise fällig ist, die Verjährungsfrist
für die gesamte Schadenersatzforderung zu laufen beginnt, sofern die künftigen, noch nicht fälligen Schadensposten aufgrund der vorliegenden Anhaltspunkte zwar nicht „höchst wahrscheinlich“, aber immerhin möglich erscheinen. Dies ergibt sich aufgrund der sog. Schadenseinheit.
1. Allgemeines. Die Schadenseinheit geht davon aus, dass sämtliche Schadensposten, die sich aus einem schädigenden Ereignis ergeben, eine Einheit
bilden171. Aus diesem Grund könne der Schaden verjährungsrechtlich nicht
in einzelne Bestandteile aufgelöst werden172. Als Folge davon muss die
Verjährungsfrist, sobald sie für einen Teil des Schadens zu laufen beginnt,
für den gesamten Schaden zu laufen beginnen.
170
Davon zu unterscheiden ist der Fall, wo eine Vertragspartei durch mehrere Vertragsverletzungen den Gegner mehrfach schädigt. In diesen Fällen bestehen mehrere
Schadenersatzansprüche mit individueller Verjährung (KOLLER, OR AT, § 71 N 45;
KOCH, S. 181).
171
Vgl. KOLLER, OR AT, § 71 N 45; LEEMANN, S. 19; HONSELL, Haftpflichtrecht, § 1 N 61.
Vgl. zur Schadenseinheit im Allgemeinen PANIER; Staudinger/PETERS/JACOBY, N 44
zu § 199 BGB; MünchK/GROTHE, N 9 ff. zu § 199 BGB; SCHNAUFER, S. 78 ff.
172
KOLLER, OR AT, § 71 N 45.
39
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
Der Begriff der Schadenseinheit ist – soweit ersichtlich – in der Schweiz
wenig bekannt173. Nicht unbekannt ist demgegenüber die Schadenseinheit
dem Inhalt nach174. Die Schadenseinheit ist auch in anderen Rechtsordnungen verbreitet. So z.B. in der deutschen, der österreichischen oder der englischen Rechtsordnung175. In Deutschland hat der Grundsatz der Schadenseinheit im Zuge der Verjährungsreform ausdrücklich die Anerkennung
durch den Gesetzgeber gefunden176.
2. Der Grundsatz der Schadenseinheit ist nach der hier vertretenen Ansicht
aufgrund folgender Überlegung sachlich gerechtfertigt177: Auf der einen
Seite wird durch den Grundsatz der Schadenseinheit die Verjährung in ihrer
Funktion gestärkt, indem verhindert wird, dass der Beginn des Fristenlaufs,
und damit der Verjährungseintritt, für die noch nicht fälligen Schadensposten auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben wird178. Auf der anderen Seite
führt die Schadenseinheit zu keiner – möglicherweise nicht gerechtfertigten
– Verschärfung der Verjährungsregelung für den Gläubiger, da diesem die
Möglichkeit offensteht, die Verjährungsfrist für die gesamte Schadenersatzforderung mittels einer Feststellungsklage zu unterbrechen.
Diese Möglichkeit des Gläubigers, die Verjährungsfrist für die gesamte
Schadenersatzforderung mittels einer Feststellungsklage zu unterbrechen,
ergibt sich aus Folgendem: Neben der Leistungsklage kann zusätzlich eine
Feststellungsklage erhoben werden (BGE 99 II 172 E. 2; sog. Zwischenfeststellungsklage179), wenn ein rechtserhebliches Interesse vorhanden
ist180. Ein solches ist gegeben, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen den
Parteien ungewiss sind, die Ungewissheit dem Kläger nicht mehr zugemutet werden kann und die Ungewissheit nicht auf eine andere Weise, insbesondere eine Leistungsklage, beseitigt werden kann181. Bei einer teilweisen
Fälligkeit sind diese Voraussetzungen gegeben: Die Unsicherheit ergibt
sich aufgrund der Möglichkeit, dass weitere Schadensposten auftreten können. Diese Unsicherheit kann dem Kläger nicht zugemutet werden, da die
173
Die Schadenseinheit wird von LEEMANN (S. 19 ff.) erwähnt.
Vgl. z.B. KOLLER, OR AT, § 52 N 9 und § 71 N 45 sowie die folgenden Ausführungen.
175
Vgl. ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 877 ff. m.w.H. und S. 883.
176
MünchK/GROTHE, N 9 zu § 199 BGB.
177
Ähnlich RGZ 83, 354, 358. Vgl. auch RIEDLER, S. 87 ff.; KOCH, S. 185 Fn 58; PANIER, N 24 m.w.H.; BYDLINSKI, Schadensentstehung und Verjährungsbeginn, S. 73.
178
Kritisch dazu PANIER, N 277 f.
179
STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, § 14 N 25.
180
Statt aller VOGEL/SPÜHLER, 7 N 23.
181
Vgl. statt aller LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, N 4 zu Art. 64 ZPO-SG; VOGEL/SPÜHLER, 7 N 23.
174
40
§ 7 Schadenseinheit: Beginn bei teilweiser Fälligkeit
Verjährung dieser Schadensposten droht (ZR 1966 Nr. 120 E. 3)182.
Schlussendlich kann die Unsicherheit nicht anders als durch Feststellungsklage beseitigt werden. Insbesondere ist diesbezüglich keine Leistungsklage
möglich, da die weiteren Schadensposten nicht fällig sind. Der Geschädigte
kann daher bei teilweiser Fälligkeit neben der eigentlichen Leistungsklage
die grundsätzliche Schadenersatzpflicht des Schädigers feststellen lassen
(vgl. z.B. ZR 1952 Nr. 117; BGE 114 II 253, wo allerdings eine Leistungsklage möglich war)183. Eine solche Klage auf Feststellung der grundsätzlichen Schadenersatzpflicht unterbricht die Verjährung in Bezug auf die ganze Ersatzleistung, deren Umfang sich erst später ergibt (BGE 119 II 339
E. 1.c.aa = Pra 1994 Nr. 138; BGE 133 III 675 E. 2.3.2 = Pra 2008
Nr. 65)184.
Schlussendlich ist diese Möglichkeit der Verjährungsunterbrechung mittels
einer Feststellungsklage auch nicht mit einem unverhältnismässigen Aufwand für den Gläubiger verbunden, stellt doch die „Feststellungsklage
bloss Annex einer ohnehin indizierten Leistungsklage wegen der schon [...]
[fälligen] Schäden [dar]“185.
Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung in Österreich. Rechtsprechung und Lehre sind lange Zeit davon ausgegangen, für den Beginn des Fristenlaufs sei es ausreichend, wenn der Geschädigte die Möglichkeit habe, den Verjährungseintritt mittels einer Feststellungsklage zu verhindern186. Neuere Rechtsprechung187 und Lehre gehen demgegenüber davon aus, die Verjährungsfrist beginne
erst mit der (teilweisen) Fälligkeit zu laufen, da ansonsten die berechtigten Interessen
des Gläubigers zu wenig berücksichtigt würden. Ist die Fälligkeit jedoch zumindest
teilweise eingetreten, nehmen Rechtsprechung und Lehre an, dass die Verjährungsfrist auch für die weiteren Schadensposten zu laufen beginnt188.
182
Vgl. die Kritik zu diesem Argument bei PANIER, N 232 f.
KOLLER, OR AT, § 52 N 25 f.
184
SPIRO I, S. 395; ZK/BERTI, N 172 zu Art. 135 OR; BSK/DÄPPEN, N 20 zu Art. 135
OR; GRÄMIGER, S. 25. Die Frage, ob ein aufgrund einer Feststellungsklage ergangenes Feststellungsurteil unter Art. 137 Abs. 2 OR fällt, also wiederum für sämtliche
späteren Leistungen eine neue, zehnjährige Verjährungsfrist auslöst, wurde in BGE
60 II 334 E. 3 ausdrücklich offen gelassen (verneinend ZK/BERTI, N 25 ff. zu
Art. 137 OR).
185
BYDLINSKI, Schadensentstehung und Verjährungsbeginn, S. 74; KOCH, 187. Vgl. jedoch unten, für den Fall, wo eine isolierte Feststellungsklage notwendig ist.
186
Vgl. z.B. BYDLINSKI, Schadensentstehung und Verjährungsbeginn, S. 65 ff.
187
Vgl. insbesondere OGH vom 19.12.1995 (= JBl 1996, S. 311 ff. mit Anmerkungen
von PETER APATHY; = ecolex, 1996, S. 91 ff. mit Anmerkungen von GEORG WILHELM).
188
Vgl. z.B. KBB/DEHN, N 4 zu § 1489 ABGB.
183
41
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
3. Die Schadenseinheit ist, wie soeben gesehen, nur insofern sachlich gerechtfertigt, als mittels einer Zwischenfeststellungsklage die Verjährung für
sämtliche Schadensposten unterbrochen werden kann. Dazu ist erforderlich,
dass die künftigen, noch nicht fälligen Schadensposten im Zeitpunkt des
Schadensereignisses zwar aus objektiver Sicht nicht „höchst wahrscheinlich“ (BGE 87 II 364, 374) aber immerhin möglich erscheinen, denn nur
wenn weitere Schadensposten möglich erscheinen, liegt die für eine Feststellungsklage notwendige Ungewissheit vor. Der Grundsatz der Schadenseinheit ist daher – trotz seiner dogmatischen Begründung – auf solche Fälle
zu beschränken.
Dabei ist wiederum (wie bereits bei der Leistungsklage, vgl. oben S. 31)
auf das Wissen der jeweiligen Fachkreise abzustellen, denn sobald das
Wissen in entsprechenden Fachkreisen vorhanden ist, steht die Möglichkeit
einer Feststellungsklage grundsätzlich offen. Dass dieses Wissen dem
Gläubiger möglicherweise nicht bekannt ist und auch nicht bekannt sein
muss, ist – wie für die Frage der Fälligkeit – irrelevant. Bei nicht ganz
leichten Körperschäden dürften Spätschäden in der Regel möglich sein (so
z.B. beim Einleitungsbeispiel)189. Demgegenüber verjähren „unvorhersehbare spätere Schäden, z.B. unerwartet auftretende Spätfolgen eines Unfalls
nach zunächst anscheinend gelungener voller Heilung, […] selbständig“190.
4. Die – hauptsächlich ausländische – Kritik an der Schadenseinheit ist
für das allgemeine Verjährungsrecht nach Schweizer Obligationenrecht
weitgehend unbeachtlich:
a) Die deutsche Rechtsprechung (vgl. BGH VersR 1982, S. 703 f.; BGH
NZV 1991, S. 143 ff.; BGH NJW 1997, S. 2448 f. m.w.H.; BGH NJW
2000, S. 861 f.) und Lehre191 stellt für die Frage, ob weitere Schadensposten möglich erscheinen, ebenfalls auf den Wissensstand von Fachkreisen
ab. In der deutschen Literatur findet sich diesbezüglich die Kritik, dass diese Rechtsprechung weit vom Gesetzeswortlaut entfernt sei, der in § 199
Abs. 1 Nr. 2 BGB auf die Kenntnis des Gläubigers abstellt192. Denn Kenntnis und Vorhersehbarkeit schliessen sich gegenseitig aus193. Dies gilt umso
mehr, als für die Vorhersehbarkeit nicht auf die Erkenntnisfähigkeit des
Geschädigten, sondern auf diejenige von Fachkreisen abgestellt wird194.
189
Vgl. MünchK/GROTHE, N 11 zu § 199 BGB.
BYDLINSKI, Schadensentstehung und Verjährungsbeginn, S. 66.
191
Vgl. PANIER, N 269.
192
Vgl. z.B. PANIER, N 271.
193
PETERS, JZ 1983, S. 122.
194
PETERS, NZV 1991, S. 145.
190
42
§ 7 Schadenseinheit: Beginn bei teilweiser Fälligkeit
Gefordert wird daher, entweder die Vorhersehbarkeit weiterer Schadensposten nach subjektiven Kriterien zu beurteilen195 oder ganz auf das Konzept
der Schadenseinheit zu verzichten196.
Da jedoch weder für den Beginn des Fristenlaufs nach Art. 130 Abs. 1 OR
noch für die Fälligkeit nach Art. 75 OR auf die Kenntnis oder die fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers abgestellt wird (vgl. oben S. 31), ist diese
Kritik für das allgemeine Verjährungsrecht nach Art. 127 ff. OR weitgehend bedeutungslos.
Im Anwendungsbereich von Art. 60 Abs. 1 OR, wo auf die Kenntnis des Gläubigers
abgestellt wird, findet die Schadenseinheit nach schweizerischer Auffassung keine
Anwendung: „Kenntnis i.S. von Art. 60 [OR] liegt nur vor, sofern der Geschädigte
seinen gesamten Schaden [...] abschätzen kann.“197
b) Weiter wird teilweise eingewendet, der Grundsatz der Schadenseinheit
sei unnötig. „Den allgemein anerkannten Motiven, auf denen die Verjährung beruht, […] [genügten] bereits die alleine an die schädigende Handlung anknüpfenden Verjährungshöchstfristen […].“198 Tatsächlich sehen
die österreichischen und deutschen Verjährungsbestimmungen, auf welche
die Schadenseinheit angewendet wird, solche absoluten Fristen vor199.
Im Anwendungsbereich von Art. 130 Abs. 1 OR fehlt jedoch eine solche
Maximalfrist. Der Verjährungsbeginn – und damit auch der Verjährungseintritt – kann daher grundsätzlich auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben
sein. Durch die Schadenseinheit wird in denjenigen Fällen, in denen die
Schadenersatzforderung zumindest teilweise fällig ist, für den noch nicht
fälligen Teil auf die Klagbarkeit gemäss Art. 42 Abs. 2 OR verzichtet. Die
Wirkung der Schadenseinheit stärkt damit das allgemeine Verjährungsrecht
in seiner Funktion und ist daher durchaus wünschenswert.
c) Schlussendlich wird vorgebracht, die Schadenseinheit sei dann nicht
mehr gerechtfertigt, wenn der fällige Teil der Schadenersatzforderung aussergerichtlich erledigt wird200. In diesen Fällen ist der Gläubiger gezwungen, eine isolierte Feststellungsklage vorzunehmen, um die Verjährungsfrist zu unterbrechen. Das Argument, dem Gläubiger entstehe durch die
Schadenseinheit nur ein geringer Mehraufwand, da die Feststellungsklage
195
Vgl. z.B. PANIER, N 271 ff.
PANIER, N 276 ff.; Staudinger/PETERS/JACOBY, N 47 ff. zu § 199 BGB.
197
BK/BREHM, N 28 zu Art. 60 OR m.w.H. (Hervorhebung durch den Autor).
198
PANIER, N 277.
199
Vgl. z.B. BYDLINSKI, Schadensentstehung und Verjährungsbeginn, S. 67.
200
Vgl. dazu insbesondere KOCH, S. 188 ff.
196
43
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
lediglich Annex der ohnehin indizierten Leistungsklage darstelle, wird in
solchen Fällen relativiert. Dieser Vorbehalt kann jedoch vernachlässigt
werden. Wenn sich ein Schuldner weigert, auch für künftig möglicherweise
auftretende Schadensposten eine Regelung zu treffen, „müssen beim Geschädigten sofort die Alarmglocken läuten“201. Eine isolierte Feststellungsklage ist dem Geschädigten daher zumutbar.
§ 8. Beginn in speziellen Situationen
Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung können besonders ausgestaltet sein (z.B. aufschiebend bedingt, solidarisch oder in Form
einer Rente) oder auf einer besonderen Störung beruhen (z.B. einer Dauerstörung oder entgangenen Zinsvorteilen). Im Folgenden wird untersucht,
wann die Verjährungsfrist in solchen Situationen zu laufen beginnt.
I.
Aufschiebend bedingte Forderungen
Ist eine Forderung aufschiebend bedingt, beginnt die Verjährung gemäss
Rechtsprechung und Lehre erst mit Eintritt der Bedingung zu laufen (BGE
4A_267/2007 E. 11.2; 128 III 212 E. 3d = Pra 2002 Nr. 153)202. Dies ist
nach der hier vertretenen Ansicht im Anwendungsbereich von Art. 130
Abs. 1 OR richtig: Eine aufschiebend bedingte Forderung entsteht erst mit
Bedingungseintritt (BGE 4A_267/2007 E. 11.2)203 und wird ordentlicherweise „sogleich“ fällig (Art. 75 OR). Stellt die Suspensivbedingung zugleich eine Potestativbedingung dar, ändert sich an diesem Ergebnis nichts.
Insbesondere liegt in diesen Situationen kein Anwendungsfall von Art. 130
Abs. 2 OR vor (unten S. 52 f.).
II. Solidarschulden
Haften mehrere Personen für denselben Schaden, so haften sie grundsätzlich solidarisch204. Dies ergibt sich in allgemeiner Weise im Wege der Gesamtanalogie aus verschiedenen Bestimmungen (z.B. Art. 50 und 51 OR, 7
PrHG, 61 Abs. 3 SVG, 66 LFG, 28 Abs. 1 lit. b und 30 EleG)205. Vorausge-
201
KOCH, S. 189.
KOLLER, OR AT, § 71 N 49; VON TUHR/ESCHER, S. 218.
203
NABHOLZ, S. 97; Staudinger/BORK, N 19 zu § 158 BGB.
204
KOLLER, OR AT, § 75 N 25.
205
Vgl. KOLLER, OR AT, § 75 N 25 ff.; SCHWENZER, N 88.14.
202
44
§ 8 Beginn in speziellen Situationen
setzt ist weder, dass die einzelnen Personen aus dem gleichen Rechtsgrund
haften, noch, dass ein gemeinsames Verschulden, also die Absicht zur gemeinsamen Schädigung, vorliegt. Dass die Haftpflichtigen aus verschiedenen Rechtsgründen haftbar sein können, ergibt sich insbesondere aus
Art. 51 Abs. 1 OR206. Dass für eine solidarische Haftung kein gemeinsames
Verschulden notwendig ist, ergibt sich aus einer Gesamtanalogie verschiedener Bestimmungen, die – bis auf Art. 50 Abs. 1 OR – eine solidarische
Haftung nicht von einem gemeinsamen Verschulden abhängig machen (vgl.
z.B. Art. 51 Abs. 1 OR, 7 PrHG207, 60 Abs. 1 SVG208).
Im Folgenden ist lediglich die Verjährung der Schadenersatzforderung, also
die Verjährung im Aussenverhältnis, von Interesse. Auf die Verjährung der
Subrogations- oder Regressforderung, also die Verjährung im Innenverhältnis, wird nicht eingegangen.
Die Schulden der verschiedenen Solidarschuldner haben grundsätzlich ihr
eigenes rechtliches Schicksal209. Dieser Grundsatz findet sich in den
Art. 145 Abs. 1, 146 und 147 Abs. 2 OR. Daraus folgt insbesondere, dass
die Verjährungsfrist von Solidarschulden im Aussenverhältnis grundsätzlich gesondert zu laufen beginnt210.
Eine Ausnahme dieses Grundsatzes bildet Art. 136 Abs. 1 OR, wonach „die
Unterbrechung der Verjährung gegen einen Solidarschuldner […] auch gegen die übrigen Mitschuldner [wirkt]“. Dies hat zur Folge, dass aufgrund
einer verjährungsunterbrechenden Handlung des Gläubigers gegenüber einem Solidarschuldner (vgl. Art. 135 Ziff. 2 OR) die Verjährungsfristen
sämtlicher Schadenersatzforderungen von neuem zu laufen beginnen
(Art. 137 Abs. 1 OR).
Entgegen einem Teil der Lehre211 und der Rechtsprechung (BGE 89 II 415
E. 2) bezieht sich Art. 136 Abs. 1 OR lediglich auf Unterbrechungshandlungen des Gläubigers „gegen einen Solidarschuldner“ und nicht auch auf
solche eines Solidarschuldners gegenüber dem Gläubiger212. Von diesem
Gesetzeswortlaut ist nicht abzuweichen: Eine weite Auslegung von
Art. 136 Abs. 1 OR würde der eindeutigen Regelung von Art. 146 OR, wo-
206
KOLLER, OR AT, § 75 N 25.
Vgl. BSK/FELLMANN, N 1 zu Art. 7 PrHG.
208
Vgl. HULLIGER, S. 37.
209
KOLLER, OR AT, § 75 N 51.
210
KOLLER, OR AT, § 75 N 210.
211
BSK/SCHNYDER, N 5 zu Art. 147 OR; SCHWENZER, N 88.22; GUHL/KOLLER, § 6 N 19.
212
KOLLER, OR AT, § 75 N 210; BasKurzK/DÄPPEN, N 2 zu Art. 136 OR; ZK/BERTI,
N 7 zu Art. 136 OR.
207
45
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
nach ein Solidarschuldner durch seine persönliche Handlung die Lage der
anderen nicht erschweren kann, widersprechen. Die Anerkennung der
Schadenersatzforderung durch einen Solidarschuldner bewirkt daher nicht,
dass die Verjährungsfrist der übrigen Schadenersatzforderungen ebenfalls
von neuem zu laufen beginnt.
Das Bundesgericht unterscheidet zwischen der sog. echten und unechten
Solidarität (vgl. BGE 127 III 257 E. 6 m.w.H.). Die Unterscheidung stellt
darauf ab, ob die Solidarschuldner aus demselben Rechtsgrund haftbar sind
oder nicht213. Haften die Solidarschuldner aus demselben Rechtsgrund, liegt
echte Solidarität vor, ansonsten unechte. Das Bundesgericht will Art. 136
Abs. 1 OR im Falle der unechten Solidarität nicht anwenden. Nach der hier
vertretenen Ansicht ist jedoch diese Rechtsprechung mit der h.L. abzulehnen, da sie zu Wertungswidersprüchen führt214.
III. Schadenersatzrenten
Durch eine positive Vertragsverletzung kann der Geschädigte einen Dauerschaden erleiden. Dabei handelt es sich um eine „Vermögenseinbusse, die
periodischer und andauernder Natur ist“215. Ein typischer Dauerschaden ist
beispielsweise der Erwerbsschaden216: Die wirtschaftlichen Folgen der
Minderung der Erwerbsfähigkeit machen sich beim Geschädigten in regelmässigen Abständen bemerkbar, „nämlich so, wie dieser während der entsprechenden Zeit jeweils einen Vermögenszuwachs (z.B. durch monatliche
Lohnzahlung) erwarten durfte“217. Erleidet der Geschädigte aufgrund einer
positiven Vertragsverletzung einen Dauerschaden, kann dieser entweder in
Form einer Kapitalabfindung oder einer Rente ersetzt werden218. Wird
Schadenersatz in Form einer Rente zugesprochen, richtet sich die Verjährung nach Art. 131 OR.
1. Art. 131 OR im Allgemeinen. Nach Art. 130 Abs. 1 OR beginnt die
Verjährungsfrist für eine Forderung mit deren Fälligkeit zu laufen. Art. 131
Abs. 1 OR regelt den Fall, bei dem zwar die gesamte geschuldete Schaden-
213
KOLLER, OR AT, § 75 N 40; GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, N 3750; SCHWENZER,
N 88.45 f.
214
KOLLER, OR AT, § 75 N 41 f. m.w.H.; SCHWENZER, N 88.46; VON BÜREN, S. 105;
GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, N 3755; KELLER/SCHÖBI, S. 157.
215
LEEMANN, S. 29.
216
LEEMANN, S. 33; BK/BREHM, N 92 zu Art. 43 OR; DORN/GEISER/GRAF/SOUSA-POZA.
217
LEEMANN, S. 33.
218
BK/BREHM, N 90 zu Art. 43 OR. Diese Bestimmung ist vom Verweis von Art. 99
Abs. 3 OR erfasst (ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 14 zu Art. 99 OR).
46
§ 8 Beginn in speziellen Situationen
ersatzforderung feststeht, jedoch die Fälligkeit der Forderung „aufgeteilt“
ist, also nicht die gesamte Forderung zum selben Zeitpunkt fällig wird.
Art. 131 Abs. 1 bestimmt, dass die Verjährungsfrist einer solchen Forderung mit der Fälligkeit der ersten Teilleistung zu laufen beginnt.
Eine Forderung, deren Fälligkeit „aufgeteilt“ ist, bezeichnet das Gesetz als
„Forderungsrecht im Ganzen“ (Art. 131 Abs. 1 OR). Gemeint sind damit
Fälle, bei denen die Teilleistungen „an die Stelle des zugrundeliegenden
Forderungsrechts als solches treten“219. Das „Forderungsrecht im Ganzen“
weist demnach keinen von den einzelnen Teilleistungen unabhängigen Inhalt auf220. Es bestehen also nicht einzelne, selbständige (Teil-)
Forderungen, sondern eine Forderung, die mittels „Aufteilung“ der Fälligkeit in verschiedene Teilleistungen221 zerfällt. Nicht unter Art. 131 Abs. 1
OR fallen dementsprechend periodische Mietzinsforderungen, Lohnforderungen oder Darlehenszinse222. Bei diesen Forderungen handelt es sich um
selbständige Forderungen. Es besteht beispielsweise nicht ein „Forderungsrecht auf den ganzen Mietzins“, das in einzelne Teilleistungen, die jeweils
am Monatsende fällig werden, zerfällt.
Art. 131 Abs. 2 OR hält ausdrücklich fest, dass mit dem „Forderungsrecht
im Ganzen“ auch sämtliche Teilleistungen verjähren. Dies ergibt sich jedoch bereits aus dem soeben dargestellten Verständnis vom „Forderungsrecht im Ganzen“, wonach die Teilleistungen eine teilweise Erfüllung der
Gesamtforderung darstellen. Daneben unterliegen die einzelnen Teilleistungen einer selbständigen Verjährung, die mit deren Fälligkeit beginnt
(Art. 130 Abs. 1 OR)223. Die Teilleistungen unterliegen daher insgesamt einer doppelten Verjährung224.
2. Schadenersatzrenten als „ähnlich periodische Leistungen“. Wird
Schadenersatz in Form einer Rente nach Art. 43 Abs. 2 OR zugesprochen,
liegt ein Fall von Art. 131 OR vor. Die Schadenersatzforderung stellt ein
„Forderungsrecht im Ganzen“ und die Schadenersatzrenten stellen „ähnliche periodische Leistungen“ dar225. Die Schadenersatzrenten unterliegen
daher einer doppelten Verjährung: Zum einen verjähren sie mit der Verjäh219
SCHÖBI, S. 125 m.w.H.
KOLLER, OR AT, § 71 N 8.
221
M.E. sollte aus diesem Grund – wie das Gesetz selbst (Art. 131 Abs. 1 OR) – von
„Teilleistung“ und nicht von „Teilforderung“ gesprochen werden.
222
KOLLER, OR AT, § 71 N 9.
223
KOLLER, OR AT, § 71 N 6.
224
KOLLER, OR AT, § 71 N 6.
225
KOLLER, OR AT, § 71 N 9; ZK/BERTI, N 13 zu Art. 131 OR; BSK/DÄPPEN, N 2 zu
Art. 131 OR; ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 2 zu Art. 131 OR.
220
47
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
rung der Gesamtforderung (Art. 131 Abs. 2 OR); zum anderen unterliegen
sie einer selbständigen Verjährung, die mit der individuellen Fälligkeit der
einzelnen Teilleistungen zu laufen beginnt (Art. 130 Abs. 1 OR). Es ist jedoch davon auszugehen, dass mit jeder Teilleistung die Verjährungsfrist der
Gesamtforderung von neuem beginnt. Denn durch eine Teilleistung wird
nicht nur die einzelne Leistung, sondern indirekt auch das „Forderungsrecht
im Ganzen“ anerkannt, was eine Unterbrechungshandlung nach Art. 135
Ziff. 1 OR darstellt226. Beispiel:
A. erleidet einen Arbeitsunfall, der auf mangelhafte Schutzvorrichtungen zurückzuführen ist. Die körperliche Beeinträchtigung führt zu einem dauernden Erwerbsschaden. Der Richter spricht A. Schadenersatz in Form einer jährlichen Rente bis zum
AHV-Rentenalter227 von Fr. 50’000.- zu. Die erste Rente soll am 1.1.2000 fällig sein.
Die erste Rente verjährt demnach am 1.1.2005, die zweite am 1.1.2006 usw. Wird
jedoch über zehn Jahre keine Rente bezahlt, sind sämtliche Teilleistungen verjährt
(vgl. zu den Verjährungsfristen unten S. 69).
IV. Ansprüche aus einer Dauerstörung
In gewissen Fällen können sich Schadenersatzansprüche aus positiver Vertragsverletzung aus einer andauernden Störung von bestimmten Rechten einer Partei ergeben. So beispielsweise, wenn die körperliche Integrität eines
Arbeitnehmers über einen längeren Zeitraum beeinträchtigt wird oder wenn
der Vermieter seiner Mängelbeseitigungspflicht nicht nachkommt. Im Falle
einer Dauerstörung kann zwar der schon entstandene Schaden sogleich geltend gemacht werden. Trotzdem läuft nicht für jeden Schadensbestandteil
eine individuelle Verjährungsfrist. Vielmehr sind solche Schadenersatzforderungen, solange die Störung anhält, „ihrer Natur nach unverjährbar, weil
sie sich stets wieder erneuern, solange der rechtswidrige Zustand oder die
ungerechtfertigte Einwirkung andauern“228. Die Verjährung kann dementsprechend erst mit Ende der schädigenden Einwirkung zu laufen beginnen
(BGE 106 II 134 E. 2f = Pra 1980 Nr. 184; 102 II 211 E. 1 m.w.H.)229. Dazu folgende Ergänzungen:
1. Häufig steht dem Geschädigten bei einer Dauerstörung neben der Schadenersatzforderung eine Unterlassungsforderung zu. So kann beispiels226
SCHÖBI, S. 130 f.; BSK/DÄPPEN, N 4 zu Art. 131 OR.
Vgl. BK/BREHM, N 92 zu Art. 43 OR.
228
GUHL/KOLLER, § 39 Rn 4 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung.
229
BSK/DÄPPEN N 8 zu Art. 130 OR; KOLLER, OR AT, § 71 N 45 f.; BK/BREHM, N 30
zu Art. 60 OR; VON BAR II, N 551. Gleich im deutschen Recht, vgl.
MünchK/GROTHE, N 13 zu § 199 BGB.
227
48
§ 8 Beginn in speziellen Situationen
weise der in seiner Persönlichkeit Verletzte sowohl die Beseitigung der
Persönlichkeitsverletzung (Art. 28a Abs. 1 Ziff. 2 ZGB) als auch Schadenersatz (Art. 28a Abs. 3 ZGB) verlangen. Im Gegensatz zur Schadenersatzforderung, fällt die Unterlassungsforderung mit Ende der Störung dahin
„und zwar sofort, nicht erst nach Ablauf einer Verjährungsfrist“ (BGE 88 II
176, 179 m.w.H.).
2. Von der Dauerstörung ist die wiederholte Störung abzugrenzen. Die
Unterscheidung ergibt sich daraus, ob die einzelnen Störungen mit Zäsuren
erfolgen, ob also einzelne schädigende Ereignisse ausgesondert werden
können230. Bei wiederholten Störungen entstehen mehrere Schadenersatzansprüche mit einer individuellen Verjährung231.
Die Abgrenzung zwischen Dauerstörungen und wiederholten Störungen ist
freilich nicht immer klar, denn nicht in allen Fällen erfolgt eine Dauerschädigung gänzlich ohne Zäsuren. Wird beispielsweise ein Arbeitnehmer an
seinem Arbeitsplatz ionisierender Strahlung ausgesetzt, könnten die einzelnen Tage als schädigende Ereignisse ausgesondert werden. Es ist dann eine
Frage des Differenzierungsgrades, ob eine Dauerstörung oder eine wiederholte Störung vorliegt. Das Bundesgericht nimmt noch dann eine Dauerstörung an, wenn eine Summierung gleichartiger Ereignisse, die auf einem
einheitlichen Willensentschluss beruhen, möglich ist (BGE 92 II 1 = Pra
1966 Nr. 132; vgl. auch BGE 86 II 406; 55 II 249)232: Gewährt beispielsweise ein Lieferant unrechtmässigerweise keinen Rabatt, ist gemäss Bundesgericht nicht in jeder einzelnen Lieferung ein selbständiges Schadensereignis zu sehen. Dies entspricht ebenfalls der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 98 lit. b StGB im Falle der „natürlichen Handlungseinheit“ (BGE 131 IV 83 E. 2.4.5; vgl. dazu unten S. 107 f.)233. Demgegenüber
nimmt die deutsche Rechtsprechung in solchen Fällen eine wiederholte Störung an, „mögen auch weitere gleichartige Handlungen mit gleichem Erfolg
nachfolgen“ (BGH NJW 1985, S. 1024).
Nach der hier vertretenen Ansicht ist der Rechtsprechung des Bundesgerichtes zuzustimmen: Wie gesehen, ergibt sich die Ausgestaltung der Verjährung aus einer Abwägung der Gläubigerinteressen auf der einen Seite
und der von der Verjährung zu schützenden Interessen auf der anderen Seite. Besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass gleichartige Schadensereignisse, die auf einem einheitlichen Willensentschluss beruhen, folgen
230
KOLLER, OR AT, § 71 N 45; vgl. auch MünchK/GROTHE, N 13 zu § 199 BGB.
KOLLER, OR AT, § 71 N 45; VON BAR II, N 551.
232
Gl.M. SCHNEIDER/FICK, N 3 zu Art. 149 aOR.
233
Trechsel/TRECHSEL, N 4 zu Art. 98 StGB.
231
49
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
werden, hat auf der einen Seite der Gläubiger ein berechtigtes Interesse,
nicht jeden Schaden individuell geltend machen zu müssen. Es besteht insofern dieselbe Interessenlage wie bei einer Dauerstörung. Das Argument,
es erscheine rechtsmissbräuchlich, wenn jemand eine Störung während langer Zeit duldet, dann aber Schadenersatzansprüche geltend macht, gilt daher weder bei Dauerstörungen noch bei wiederholten Störungen. Auf der
anderen Seite verliert insbesondere der Schuldnerschutz als Verjährungszweck an Gewicht, wenn die einzelnen Schadensereignisse auf einem einheitlichen Willensentschluss beruhen.
V.
Forderung auf Schadenszins
Der Schadenszins bezweckt den Ausgleich von Nachteilen, welche der Geschädigte dadurch erleidet, dass er für den erlittenen Schaden nicht sofort
entschädigt wird (BGE 129 IV 149 E. 4). Diese Nachteile liegen insbesondere in den entgangenen Zinsvorteilen (BGE 81 II 512 E. 6)234. Die Forderung auf Schadenszins kann daher erst im Zeitpunkt, „in dem das schädigende Ereignis sich finanziell ausgewirkt hat“ (BGE 130 III 591, 599), fällig werden. Demgegenüber ist die (Haupt-)Schadenersatzforderung, auf den
sich der Schadenszins bezieht, bereits mit der begründeten Vermutung, dass
ein (Haupt-)Schaden eintreten wird, also vor der eigentlichen Vermögensverminderung, fällig.
Trotz dieser unterschiedlichen Fälligkeitszeitpunkte der Hauptforderung
und der Forderung auf Schadenszins beginnt die Verjährungsfrist aufgrund
der Schadenseinheit (vgl. oben § 7) für beide Ansprüche mit der Fälligkeit
der Hauptforderung: Bei den entgangenen Zinsvorteilen handelt es sich um
einen Teil des Gesamtschadens, der seinen Ursprung im Schadensereignis
hat. Wie gesehen, beginnt die Verjährungsfrist aufgrund der Schadenseinheit bei teilweiser Fälligkeit für den gesamten Schaden zum selben Zeitpunkt zu laufen, sofern die künftigen, noch nicht fälligen Schadensposten
mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten werden. Diese Wahrscheinlichkeit ist bei den entgangenen Zinsvorteilen gegeben.
Wird der Geschädigte freilich vor Eintritt der Vermögensverminderung entschädigt, hat er „nicht nur keinen Schadenszins zugute, sondern muss sich
wegen der vorzeitigen Erfüllung einen Abzug gefallen lassen“235.
234
235
50
KOLLER, OR AT, § 55 N 52.
KOLLER, OR AT, § 55 N 53.
§ 9 Beginn und der Parteiwille
§ 9. Beginn und der Parteiwille
Grundsätzlich sind zwei Möglichkeiten denkbar, wie durch den Parteiwillen der Beginn des Fristenlaufs beeinflusst werden kann: Denkbar ist zum
einen, dass direkt Vereinbarungen über den Beginn des Fristenlaufs getroffen werden. Zum anderen ist denkbar, dass durch die Parteien gemeinsam
oder eine der Parteien der Fälligkeitszeitpunkt der Schadenersatzforderung
festgelegt wird (Art. 75 OR), und so der Beginn des Fristenlaufs indirekt
abgeändert wird.
Bereits an dieser Stelle kann jedoch festgehalten werden, dass Vereinbarungen, die den Beginn des Fristenlaufs unmittelbar abändern wollen, im
Anwendungsbereich von Art. 129 OR ungültig sind. Denn nach der ratio
legis von Art. 129 OR fallen nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Abänderungen der Verjährungsfrist unter diese Bestimmung. Unzulässig
sind daher auch Vereinbarungen über den Beginn des Fristenlaufs, welche
die Verjährungsfrist um die Dauer zwischen ordentlichem und vereinbartem Beginn abänderten (vgl. unten S. 67)236.
Zulässig sind demgegenüber Vereinbarungen bezüglich der Fälligkeit von
Schadenersatzforderungen. Solche Vereinbarungen können zwar ebenfalls
eine mittelbare Abänderung der Verjährungsfrist bewirken. Es handelt sich
jedoch um Vereinbarungen, die „auf einen rechtlichen Erfolg gerichtet sind,
der eine Verlängerung der Verjährungsfrist lediglich als Nebenfolge mit
sich bringt“237. Vereinbarungen bezüglich der Fälligkeit von Schadenersatzforderungen fallen daher nicht unter Art. 129 OR, weshalb sie innerhalb der
Schranken von Art. 27 und 2 ZGB zulässig sind (vgl. auch unten S. 67)238.
Die folgenden Untersuchungen beschränken sich daher auf diejenigen Fälle, in denen der Fälligkeitszeitpunkt der Schadenersatzforderung von den
Parteien gemeinsam (Ziff. 1) oder dem Gläubiger individuell (Ziff. 2) festgelegt wird.
1. Zunächst kann die Fälligkeit mittels Parteivereinbarung auf einen bestimmten Fälligkeitszeitpunkt nach der Forderungsentstehung festgesetzt
236
ZK/BERTI, N 7 zu Art. 130 OR; KOLLER, SJZ 2007, S. 195 f.
MünchK/GROTHE (2001), N 4 zu § 225 a.F. BGB.
238
KOLLER, OR AT, § 71 N 35; KOLLER, SJZ 2007, S. 196; ZK/BERTI, N 39 zu Art. 130
OR; BSK/DÄPPEN, N 7d zu Art. 130 OR; KESSLER, S. 39; ADDORISIO DE FEO, Diss.,
N 789, mit dem Vorbehalt, dass der Zweck der Fälligkeitsabrede nicht alleine in der
Umgehung von Art. 129 OR liegen darf. Vgl. auch Staudinger/PETERS/JACOBY, N 4
zu § 202 BGB; MünchK/GROTHE, N 1 zu § 202 BGB.
237
51
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
werden. Dieser Zeitpunkt kann sich entweder aus einem Datum (Beispiel 1)
oder einem bestimmten Ereignis (Beispiel 2) ergeben.
Beispiel 1: „Allfällige Schadenersatzforderungen aus diesem Vertrag werden frühestens ab dem 28. Mai 2020 fällig.“ – Beispiel 2: „Allfällige Schadenersatzforderungen aus diesem Vertrag werden erst mit Kenntnis des Schadens fällig.“
2. – a) Der Möglichkeit des Gläubigers, die Fälligkeit einer bereits entstandenen Forderung durch einseitige Erklärung herbeizuführen, kommt
in verjährungsrechtlicher Hinsicht keine eigenständige Bedeutung zu.
Beispiel: „Aus diesem Vertrag allenfalls entstehende Schadenersatzforderungen sind
bei schriftlicher Zahlungsaufforderung durch den Gläubiger, spätestens aber auf den
1.1.2030, zu begleichen.“
„Forderungen, die nach ins Belieben des Gläubigers gestellter Aufforderung zu erfüllen sind, beginnen sogleich mit ihrer Entstehung zu verjähren.“
(BGE 4C.397/2005 E. 2.2.2; 122 III 10, 17; vgl. auch ZR 1937 Nr. 84)239.
Dies ergibt sich aus Art. 130 Abs. 2 OR. Diese Bestimmung gilt nicht nur
für den ausdrücklich erwähnten Fall der Kündigung, sondern „grundsätzlich für alle Forderungen, die bereits bestehen und bei denen lediglich die
Fälligkeit von einer einseitigen Erklärung des Gläubigers abhängt“ (BGE
122 III 10, 16 f.; vgl. auch 91 II 442 E. 5b)240. Massgebend für den Beginn
des Fristenlaufs ist also nicht der tatsächliche, sondern der erstmögliche
Fälligkeitstermin241.
b) Daneben kann aber auch die Entstehung der Schadenersatzforderung
selbst – und damit indirekt deren Fälligkeit (Art. 75 OR) – vom Willen
des Gläubigers abhängen. Dies ist dann der Fall, wenn die Forderungsentstehung von einer suspensiven Potestativbedingung abhängt.
In solchen Fällen beginnt die Verjährungsfrist erst mit Ausübung des Gestaltungsrechts zu laufen, denn es gilt Folgendes: „Eine suspensiv bedingte
Forderung entsteht erst mit dem Eintritt der Bedingung, und die Verjährung
beginnt erst in diesem Zeitpunkt [zu laufen]“ (BGE 4A_267/2007 E. 11.2).
Dies entspricht der allgemeinen Regel, wonach für den Beginn des Fristenlaufs auf den Eintritt der Fälligkeit abzustellen ist (Art. 130 Abs. 1 OR) und
die Fälligkeit ordentlicherweise „sogleich“ mit der Forderungsentstehung
eintritt (Art. 75 OR), und muss unabhängig davon gelten, wie die Suspen-
239
Vgl. auch SPIRO I, S. 52; ZK/BERTI, N 54 zu Art. 130 OR; KOLLER, OR AT, § 68
N 15; BSK/DÄPPEN, N 7d zu Art. 130 OR.
240
Vgl. KOLLER, OR AT, § 68 N 15 ff.
241
KOLLER, OR AT, § 68 N 10.
52
§ 9 Beginn und der Parteiwille
sivbedingung ausgestaltet ist (z.B. als Potestativbedingung oder nicht; vgl.
sogleich).
Teilweise wird jedoch die Ansicht vertreten, die Verjährungsfrist müsse in
denjenigen Fällen, in denen die Suspensivbedingung gleichzeitig eine Potestativbedingung darstellt, bereits vor der Forderungsentstehung zu laufen
beginnen, „da es wegen der unhaltbaren Folgen nicht ins Belieben des
Gläubigers gestellt sein darf, über den Verjährungsbeginn zu bestimmen“
(BGE 122 III 10, 19)242. Die „unhaltbaren Folgen“ werden insbesondere
darin gesehen, dass der Gläubiger die Forderungsentstehung – und damit
indirekt den Beginn des Fristenlaufs – auf unbestimmte Zeit hinausschieben
kann, was zu einem Funktionsverlust der Verjährung führe.
Die Möglichkeit des Gläubigers, die Forderungsentstehung auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben, führt jedoch nicht in erster Linie zu verjährungsrechtlichen Problemen, sondern zu allgemeinen Problemen des Persönlichkeitsschutzes des Schuldners. Nach der hier vertretenen Ansicht ist daher in
solchen Fällen nicht der Beginn des Fristanlaufs anders (entgegen der ordentlichen gesetzlichen Regelung) anzuknüpfen, sondern in allgemeiner
Weise sicherzustellen, dass der Gläubiger die Forderungsentstehung nicht
auf unbestimmte Zeit hinausschieben kann (gl.M. noch BGE 91 II 442
E. 5b; vgl. auch das deutsche Recht: z.B. BGHZ 47, 388, 391; OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, S. 1175 m.w.H.)243. Dazu stehen spezifische Instrumente zur Verfügung: Besteht das Gestaltungsrecht des Gläubigers aufgrund eines Vertrages, hat der bedingt Verpflichtete die Möglichkeit, die
Bindungsdauer vertraglich zu beschränken244. Haben die Parteien das Gestaltungsrecht nicht – auch nicht stillschweigend – befristet, ist es „Sache
der richterlichen Entscheidung [...] einen Endtermin [...] zu bestimmen“
(BGE 71 II 158, 165). Zudem erlauben „Überlegungen der Sittlichkeit und
des Persönlichkeitsschutzes, sowie Treu und Glauben“245, nach einer gewissen Zeit die Ansetzung einer angemessenen Frist zur Ausübung des Gestaltungsrechts (ausdrücklich Art. 38 Abs. 2 OR)246.
242
KOLLER, OR AT, § 68 N 15 f.; KOLLER, AJP 2000, S. 245 f.; ZK/BERTI, N 54 zu
Art. 130 OR.
243
Gl.M. VON TUHR/ESCHER, S. 217 f.
244
Vgl. HEINRICH, S. 257 ff.; BSK/EHRAT, N 19 vor Art. 151 ff. OR.
245
PETER, S. 250.
246
PETER, S. 251. Gleich für das deutsche Recht: HEINRICH, S. 263 f.
53
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
§ 10. Besondere gesetzliche Regelungen
Wie einleitend gesehen (oben § 4), ist auf Schadenersatzforderungen aus
positiver Vertragsverletzung das allgemeine Verjährungsrecht anwendbar,
sofern nicht eine besondere Regelung (ausdrücklich oder analog) anwendbar ist (Art. 127 OR). Verdrängt wird das allgemeine Verjährungsrecht insbesondere durch spezielle Verjährungsbestimmungen des besonderen Teils
des OR. Solche besonderen Regelungen zum Verjährungsbeginn von Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung finden sich beim
Kaufvertrag (I.), beim Werkvertrag (II.) und beim Frachtvertrag (III.).
I.
Kaufvertrag
Liefert der Verkäufer eine mangelhafte Sache und entsteht dem Käufer dadurch ein Schaden, ist auf eine entsprechende Schadenersatzforderung
Art. 210 OR anwendbar. Nach dieser Bestimmung beginnt die Verjährungsfrist mit der Ablieferung der Kaufsache an den Käufer zu laufen. Dazu folgende Präzisierungen:
1. Die Ablieferung setzt voraus, dass „die Verfügungsgewalt über die Sache vom Verkäufer auf den Käufer [...] übergeht, so dass letztgenannte Personen in die Lage versetzt werden, die Beschaffenheit selber zu prüfen oder
durch einen Dritten prüfen zu lassen“247. Die Besitzübertragung mittels Besitzeskonstitut248 stellt demnach keine Ablieferung i.S.v. Art. 210 Abs. 1
OR dar249. Demgegenüber stellt eine Besitzesübertragung mittels Besitzesanweisung250 eine Ablieferung nach Art. 210 Abs. 1 OR dar251.
Bei einem Versendungskauf ist die Kaufsache nicht schon mit der Versendung abgeliefert, sondern erst dann, wenn der Käufer die tatsächliche Gewalt über die Kaufsache erlangt hat bzw. die Möglichkeit hat, tatsächliche
Gewalt über die Kaufsache zu erlangen252. Zudem können Modalitäten der
Ablieferung, wie z.B. der Ablieferungsort, festgelegt werden. In diesem
Fall beginnt die Verjährungsfrist erst mit der ordentlichen (vereinbarten)
Ablieferung zu laufen (vgl. z.B. RGZ 62, 431)253.
247
BK/GIGER, N 23 zu Art. 201 OR, m.H. auf die Rechtsprechung.
Vgl. dazu REY, Grundlagen des Sachenrechts, N 1725.
249
BK/GIGER, N 38 zu Art. 210 OR.
250
Vgl. dazu REY, Grundlagen des Sachenrechts, N 1730.
251
Vgl. zum deutschen Recht: Staudinger/MAUTSCHE-BECKMANN, N 57 zu § 438 BGB.
252
BK/GIGER, N 25 zu Art. 201 OR.
253
BK/GIGER, N 37 zu Art. 210 OR.
248
54
§ 10 Besondere gesetzliche Regelungen
2. Keine Kenntnis des Mangels erforderlich. Für den Beginn des Fristenlaufs nach Art. 210 OR ist nicht erforderlich, dass der Käufer Kenntnis vom
Mangel hat. Dasselbe gilt für die fahrlässige Unkenntnis. Da die Bestimmung für den Beginn des Fristenlaufs nicht auf die Fälligkeit der Schadenersatzforderung abstellt, ist des Weiteren auch keine Klagbarkeit erforderlich. Die Verjährungsfrist beginnt daher auch dann zu laufen, wenn weder
der Käufer (BGE 89 II 405 E. 2a = Pra 1964 Nr. 33; SJ 1966, S. 589)254
noch ein Experte den Mangel entdecken konnte. Diese strenge Regelung
beruht auf dem Grundgedanken, dass insbesondere im Kaufrecht eine rasche Abwicklung der Verhältnisse notwendig ist, womit auch die kürzere
Verjährungsfrist einhergeht. Dieser Grundgedanke geht auf das römische
Recht zurück255 und hat z.B. Eingang ins aBGB gefunden, das für die Verjährung der Gewährleistungsansprüche noch eine Frist von sechs Monaten
vorgesehen hat256.
3. Einzelfragen. – a) Bei einem suspensiv bedingten Kauf beginnt die
Verjährungsfrist trotz erfolgter Ablieferung erst mit Eintritt der Bedingung
zu laufen257. Das Vorliegen eines gültigen Kaufvertrages ist Voraussetzung
für die Anwendung von Art. 210 OR.
b) Bei einem Sukzessivlieferungsvertrag entsteht jeweils eine selbständige Schadenersatzforderung mit einer selbständigen Verjährungsfrist. Die
Verjährungsfrist läuft dementsprechend für jede Teilleistung gesondert
(BGE 17, 307 E. 4)258.
c) Ein abweichender Verjährungsbeginn kann sich des Weiteren aus einer
Parteiabrede ergeben, wie Art. 210 Abs. 1 OR ausdrücklich festhält259.
Das absolute Abänderungsverbot von Art. 129 OR bezieht sich lediglich
auf Verjährungsfristen des dritten Titels (unten § 12). Es kann beispielsweise vereinbart werden, die Verjährungsfrist beginne erst mit Entdeckung des
Mangels (RGZ 65, 119, 121)260, mit Ablauf der Rügefrist (ZR 1944
Nr. 210), mit dem Probelauf der Maschine oder mit der Ablieferung an einem bestimmten Ort zu laufen.
254
KELLER/SIEHR, S. 101; BSK/HONSELL, N 4 zu Art. 210 OR; BK/GIGER, N 36 zu
Art. 210 OR; vgl. auch Staudinger/MAUTSCHE-BECKMANN, N 66 zu § 438 BGB; a.A.
LITTBARSKI, S. 2331 ff.
255
Vgl. BK/GIGER, N 5 zu Art. 210 OR.
256
Soergel/HUBER (1991), N 1 zu § 477 a.F. BGB.
257
BK/GIGER, N 40 zu Art. 210 OR m.w.H.
258
BK/GIGER, N 39 zu Art. 210 OR; BSK/HONSELL, N 4 zu Art. 210 OR.
259
BK/GIGER, N 37 zu Art. 210 OR; BSK/HONSELL, N 5 zu Art. 210 OR.
260
FURRER, S. 91.
55
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
II. Werkvertrag
Nach Art. 368 Abs. 1 und 2 OR kann der Besteller eines Werkes den Mangelschaden in Form der Wandelung, Minderung oder Nachbesserung ersetzt verlangen. Daneben steht dem Besteller ein zusätzlicher Schadenersatzanspruch zu. Nach Ansicht des Bundesgerichts und der h.L. bezieht
sich dieser jedoch einzig auf Ersatz des Mangelfolgeschadens (BGE
4C.106/2005 E. 3.1)261. Nach einer Mindermeinung kann Schadenersatz
auch an die Stelle von Wandelung, Minderung oder Nachbesserung treten262. Die Verjährung richtet sich bei diesen Schadenersatzforderungen
nach Art. 371 OR.
1. Art. 371 OR im Überblick. Diese Bestimmung stellt sowohl eine Verweisungs- als auch eine Sachnorm dar263: Art. 371 Abs. 1 OR verweist für
den Verjährungsbeginn von Ansprüchen des Bestellers aus Mängeln an
„gewöhnlichen Werken“264 auf die Bestimmungen des Kaufrechts. Nach
Art. 371 Abs. 1 OR i.V.m. Art. 210 Abs. 1 OR beginnt die Verjährung mit
Ablieferung des Werkes an den Besteller zu laufen. Abs. 2 von Art. 371
OR, der für Ansprüche aus Mängeln an „unbeweglichen Bauwerken“ anwendbar ist, regelt den Verjährungsbeginn demgegenüber selbständig. Die
Verjährungsfrist beginnt in diesen Fällen mit der Abnahme des Werks zu
laufen.
In sachlicher Hinsicht erfasst Art. 371 OR „Ansprüche des Bestellers wegen Mängeln des Werks“. Darunter fallen zunächst der Minderungs-, der
Wandelungs- und der Nachbesserungsanspruch. Daneben ist aber auch der
Anspruch auf Ersatz des Mangelfolgeschadens von Art. 371 OR erfasst265.
Nicht von dieser Bestimmung erfasst sind demgegenüber Ansprüche aus
positiver Vertragsverletzung, die nicht auf einen Mangel nach Art. 368 OR
zurückzuführen sind (BGE 102 II 413 = Pra 1977 Nr. 87; 111 II 170)266.
Die besondere Regelung der Schadenersatzpflicht bezieht sich also primär
auf Schadenersatzforderungen, die sich aus der Verletzung einer Hauptleistungspflicht, der Ablieferung eines mängelfreien Werks, ergeben. Bei der
Verletzung von leistungsorientierten Nebenpflichten kommt in beschränktem Masse deren analoge Anwendung in Betracht (vgl. oben S. 22 f.).
261
GAUCH, Werkvertrag, N 1851 f.; BSK/ZINDEL/PULVER, N 68 zu Art. 368 OR.
GUHL/KOLLER, § 47 N 54; BK/KOLLER, N 187 zu Art. 363 und N 455 zu Art. 366
OR; BUCHER, OR BT, S. 210 f.; ebenfalls noch HONSELL, OR BT, 2.A., S. 221.
263
TSCHÜTSCHER, N 85.
264
TSCHÜTSCHER, N 85.
265
Z.B. GAUCH, Werkvertrag, N 2202 m.w.H.
266
TSCHÜTSCHER, N 97 ff.; BasKurzK/LEHMANN, N 2 zu Art. 371 OR; ZK/BÜHLER,
N 12 zu Art. 371 OR; BSK/ZINDEL/PULVER, N 6 zu Art. 371 OR.
262
56
§ 10 Besondere gesetzliche Regelungen
Art. 371 OR267 gilt nicht nur für Ansprüche gegen den konkreten Unternehmer, sondern auch gegenüber den Architekten oder Ingenieuren, „die
zum Zwecke der Erstellung [des Werks] Dienste geleistet haben“ (Art. 371
Abs. 2 OR). „Damit wollte der Missstand beseitigt werden, wonach die genannten Personen für Mängel noch belangt werden konnten, während die
Regressklage auf die Unternehmer verjährt war.“268 Dieser Zweckgedanke
gründete in der früher vertretenen Auffassung, „dass ein Unternehmer, dessen Mängelhaftung verjährt ist, die Verjährungseinrede auch gegenüber
dem Regressanspruch des Architekten oder Ingenieurs erheben kann“269.
Aufgrund der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGE 133
III 6), wonach eine Verjährung im Aussenverhältnis den Regressanspruch
im Innenverhältnis nicht hindert, könnte freilich auf diese spezielle Regelung verzichtet werden.
2. Ablieferung und Abnahme im Besonderen. – a) Ablieferung und
Abnahme. Art. 371 Abs. 2 OR sieht nicht nur eine von Art. 371 Abs. 1 OR
i.V.m. Art. 210 Abs. 1 OR abweichende Verjährungsfrist vor, sondern auch
ein anderes fristauslösendes Ereignis. Die Verjährungsfrist beginnt nicht
mit der Ablieferung, sondern erst mit der Abnahme des Werks zu laufen.
Nach ganz herrschender Meinung handelt es sich dabei aber lediglich um
einen terminologischen und nicht einen inhaltlichen Unterschied270. Die
unterschiedliche Terminologie ergibt sich aus einer unterschiedlichen
Perspektive: „die Ablieferung erfolgt aus Sicht des Unternehmers, die
Abnahme aus der Sicht des Bestellers“271.
b) Ablieferung und Vollendung. „Ablieferung ist die mit der Absicht der
Vertragserfüllung erfolgende Übermittlung in die Verfügungsgewalt des
Bestellers.“272 Die Ablieferung setzt daher grundsätzlich die Vollendung
des Werks voraus (sog. Vollendungsprinzip; BGE 118 II 142 E. 4; 115 II
456 E. 4)273. Dieses Erfordernis ist erfüllt, sobald sämtliche vereinbarten
Arbeiten ausgeführt sind274. Das Vollendungsprinzip gilt jedoch aufgrund
267
Die Regelung von Abs. 2 gilt auch im Rahmen von Abs. 1 (BSK/ZINDEL/PULVER,
N 10 zu Art. 371 OR; ZK/BÜHLER, N 33 zu Art. 371 OR).
268
ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 7 zu Art. 371 OR.
269
GAUCH, Werkvertrag, N 2297.
270
TSCHÜTSCHER, N 243 m.w.H.
271
TSCHÜTSCHER, N 243.
272
BK/BECKER, N 2 zu Art. 367 OR; vgl. auch KOLLER, Nachbesserungsrecht, N 60;
GAUCH, Werkvertrag, N 87 m.w.H.
273
GAUCH, Werkvertrag, N 2253 und 101; BSK/ZINDEL/PULVER, N 12 zu Art. 371 OR.
A.A. KOLLER, Nachbesserungsrecht, N 62 ff.; TSCHÜTSCHER, N 246.
274
GAUCH, Werkvertrag, N 101 m.H. auf die Rechtsprechung.
57
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
von Treu und Glauben nicht uneingeschränkt275: Massgebend ist ebenfalls,
wie der Besteller eine entsprechende Handlung verstehen durfte und
musste276. Hat daher der Unternehmer das (unvollendete) Werk als
vollendet „abgeliefert“, und durfte der Besteller dies als Ablieferung
verstehen, gilt das Werk ebenfalls als abgeliefert277. Der Besteller kann
bereits ab diesem Zeitpunkt seine Mängelrechte geltend machen278,
weshalb es auch gerechtfertigt ist, dass die Verjährung ab diesem Zeitpunkt
zu laufen beginnt. Freilich kann sich der Besteller aber auch der
Ablieferung eines unvollendeten Werks widersetzen, ohne deshalb in
Annahmeverzug zu geraten. Die Verjährungsfrist beginnt in diesem Fall
noch nicht zu laufen.
Weiter stellt sich die Frage, ob die Ablieferung Mängelfreiheit voraussetzt279. Gemäss h.L.280 und Rechtsprechung (BGE 115 II 456 E. 4; 113 II
264 E. 2b) setzt die Ablieferung keine Mängelfreiheit voraus. Auch in diesem Fall hat der Besteller jedoch die Möglichkeit, die Abnahme zu verweigern und das Werk – ohne in Annahmeverzug zu geraten – zur Verbesserung an den Unternehmer zurückzuweisen281. Die Verjährungsfrist beginnt
wiederum noch nicht zu laufen.
c) Ablieferung und Genehmigung. Die Genehmigung ist die Erklärung
des Bestellers, das abgelieferte Werk als vertragsgemäss gelten zu lassen282.
Sie ist von der Ablieferung des Werks zu unterscheiden. Dass das Gesetz
Abnahme bzw. Ablieferung und Genehmigung nicht gleichsetzt, ergibt sich
bereits aus dem Wortlaut von Art. 370 Abs. 1 OR, wonach der Besteller das
abgelieferte Werk genehmigen kann283. Für den Beginn des Fristenlaufs ist
daher die Genehmigung des Werks nicht von Bedeutung (BGE 115 II 456
E. 4)284.
275
GAUCH, Werkvertrag, N 103 ff.
ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 2 zu Art. 367 OR; BK/BECKER, N 2 zu Art. 367 OR.
277
GAUCH, Werkvertrag, N 104.
278
GAUCH, Werkvertrag, N 104.
279
Vgl. BSK/ZINDEL/PULVER, N 12 zu Art. 371 OR.
280
ZK/BÜHLER, N 29 zu Art. 371 OR; BSK/ZINDEL/PULVER, N 12 zu Art. 371 OR;
GAUCH, Werkvertrag, N 2253; TSCHÜTSCHER, N 247.
281
TSCHÜTSCHER, N 247.
282
GAUCH, Werkvertrag, N 2070 m.w.H.
283
GAUCH, Werkvertrag, N 2253; BSK/ZINDEL/PULVER, N 12 zu Art. 371 OR; a.A.
BK/GAUTSCHI, N 4 zu Art. 370 OR.
284
BSK/ZINDEL/PULVER, N 12 zu Art. 371 OR; GAUCH, Werkvertrag, N 2253.
276
58
§ 10 Besondere gesetzliche Regelungen
d) Parteivereinbarungen. Die Parteien können den Zeitpunkt, an dem das
Werk als abgeliefert gelten soll, vertraglich vereinbaren285. So z.B. die vereinbarte Gesamtabnahme und die vereinbarte Teillieferung:
Erbringen mehrere Unternehmer Werkleistungen an einem Bauvorhaben,
besteht grundsätzlich für jede Werkleistung eine separates fristauslösendes
Ereignis, da grundsätzlich jede Werkleistung separat abgeliefert wird286.
Bei grösseren Bauprojekten wird daher häufig eine Gesamtabnahme vereinbart287. Die Ablieferung der Teilleistungen wird demnach solange hinausgeschoben, bis der letzte Nebenunternehmer seine Werkleistung erbracht hat und damit das Gesamtbauwerk vollendet ist288.
Auf der anderen Seite ist es aber auch möglich, dass die Parteien eine Teillieferung vereinbaren289. In diesem Fall beginnt die Verjährungsfrist für jeden Werkteil separat zu laufen (vgl. z.B. BGE 115 II 456)290.
3. Kein Fristenlauf vor der Forderungsentstehung. Der Verjährung unterliegen die einzelnen Mangelforderungen. Nach h.L. entstehen solche
Forderungen aber erst mit Ausübung des Wahlrechts nach Art. 368 OR
(BGE 107 III 106 E. 2; ZWR 1988, S. 346)291: „Was der Verjährung unterliegt, ist [z.B.] die Nachbesserungsforderung, die bei Ausübung des Nachbesserungsrechts entsteht.“292 Diese Ansicht hätte zur Folge, dass die Verjährungsfrist zu laufen beginnt (mit der Ablieferung), bevor die Forderung
überhaupt entstanden ist (mit Ausübung des Wahlrechts nach Art. 368 OR).
Wie aber dargelegt, kann eine Verjährungsfrist nicht zu laufen beginnen,
bevor die Forderung nicht entstanden ist. Daran ändert sich auch nichts,
wenn – wie hier – die Forderungsentstehung von einer Potestativbedingung
abhängt (oben S. 58 f.). Für die Annahme, die Forderungsentstehung sei
durch das Wahlrecht von Art. 368 OR aufgeschoben, besteht denn auch
kein Anlass293: Aufgrund des Wahlrechts nach Art. 368 OR besteht kein
285
GAUCH, Werkvertrag, N 107 f.
TSCHÜTSCHER, N 295. Etwas anderes gilt freilich bezüglich der Werkleistung des Generalunternehmers. Dessen Werkleistung kann aufgrund des Vollendungsprinzips gerade erst dann abgeliefert werden, wenn sämtliche Nebenleistungen vollendet wurden
(GAUCH, Werkvertrag, N 103).
287
TSCHÜTSCHER, N 295.
288
TSCHÜTSCHER, N 295.
289
GAUCH, Werkvertrag, N 108.
290
GAUCH, Werkvertrag, N 2466. A.A. BK/GAUTSCHI, N 27 zu Art. 371 OR.
291
GAUCH, Werkvertrag, N 1530 ff., 1611 ff. und 1700 ff.; BRÄNDLI, N 437; KOLLER,
Nachbesserungsrecht, N 111, 240; TSCHÜTSCHER, N 76.
292
KOLLER, Nachbesserungsrecht, N 386.
293
Vgl. ausführlich SEILER, S. 987 ff.; vgl. auch Staudinger/PETERS/JACOBY, N 35 zu
§ 634: „Der Anspruch [Nachbesserungsanspruch] des Bestellers wird fällig mit der
286
59
2. Kapitel: Der Verjährungsbeginn
Bedürfnis, die Entstehung der Schadenersatzforderung hinauszuschieben;
die Wahlmöglichkeit des Bestellers erfordert lediglich, dass die Erfüllbarkeit aufgeschoben wird294.
4. Keine Kenntnis des Mangels erforderlich. Wie beim Kaufvertrag
beginnt auch beim Werkvertrag die Verjährungsfrist unabhängig von der
Kenntnis oder der fahrlässigen Unkenntnis des Bestellers vom Mangel zu
laufen. Da für den Beginn des Fristenlaufs auch nicht auf die Fälligkeit
abgestellt wird, ist des Weiteren auch keine Klagbarkeit der
Schadenersatzforderung erforderlich. Die Verjährung beginnt also auch
dann zu laufen, wenn die Mangelhaftigkeit weder für den Besteller (vgl.
BGE 117 II 425 E. 2)295 noch einen Experten erkennbar war.
Dass die Verjährung unabhängig von der Kenntnis des Bestellers eintreten
kann, wird teilweise kritisiert. Einige Autoren296 versuchen daher,
„hiergegen mittels Anwendung von Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR Abhilfe zu
schaffen.“ (Pra 2005, S. 60 f. = BGE 130 III 362). Dies ist aus zwei
Gründen abzulehnen297: Zum einen würde dadurch die eindeutige
gesetzliche Regelung, die auf das Erfordernis der Kenntnis verzichtet hat,
umgangen. Zum anderen ist die subjektive Unmöglichkeit, die Forderung
geltend zu machen, nicht von Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR erfasst (vgl. unten
S. 75 ff.).
III. Frachtvertrag
Art. 454 Abs. 1 OR sieht für die Verjährung von Schadenersatzforderungen
des Auftraggebers gegenüber dem Frachtführer aus positiver Vertragsverletzung besondere Zeitpunkte für den Beginn des Fristenlaufs vor: Im Falle
des Untergangs, des Verlustes oder der verspäteten Ablieferung des Frachtgutes läuft die Verjährungsfrist „von dem Tage hinweg, an dem die Ablieferung hätte geschehen sollen“. Im Falle der Beschädigung des Frachtgutes
beginnt die Verjährungsfrist demgegenüber am Tag, „wo das Gut dem
Abnahme.“.
Anderes gilt im Rahmen der SIA-Norm 118, die einen Vorrang des Nachbesserungsrechts vorsieht (Art. 169) und daher die Nachbesserungsforderung mit der Abnahme
nicht nur entstanden und fällig, sondern auch erfüllbar sein muss (vgl. KOLLER, Verbesserung des mangelhaften Werks, N 230 ff.).
295
BasKurzK/LEHMANN, N 3 zu Art. 371 OR; TSCHÜTSCHER, N 136.
296
GAUCH, Werkvertrag, N 2259 ff.; BSK/ZINDEL/PULVER, N 15 zu Art. 371 OR;
ZK/BÜHLER, N 29 zu Art. 371 OR.
297
Gl.M. TSCHÜTSCHER, N 190.
294
60
§ 10 Besondere gesetzliche Regelungen
Adressaten übergeben worden ist“. Massgebend ist also entweder die hypothetische oder die effektive Übergabe des Frachtgutes.
Analog zum Kauf- oder Werkvertrag liegt dieser Regelung der Gedanke
zugrunde, dass grundsätzlich erst mit der Ablieferung (bei Beschädigung
oder teilweisem Untergang) bzw. am Ablieferungstermin (bei Totalverlust
oder verspäteter Ablieferung) festgestellt wird, ob gehörig erfüllt wurde298.
Da in der Regel erst ab diesem Zeitpunkt eine allfällige Schadenersatzforderung geltend gemacht wird, soll auch die Verjährungsfrist erst ab diesem
Zeitpunkt zu laufen beginnen299.
Im Gegensatz zum Kauf- oder Werkvertrag ist es jedoch möglich, dass das
Schadensereignis bereits vor der Ablieferung bzw. vor dem Ablieferungstermin eintritt und damit allfällige Schadenersatzforderungen schon vor der
Ablieferung fällig sind. Beginn des Fristenlaufs und Fälligkeit der Schadenersatzforderung fallen daher im Anwendungsbereich von Art. 454 OR
regelmässig auseinander.
Die Verjährungsfrist beginnt nach Art. 454 Abs. 1 OR unabhängig von der
Kenntnis des Schadensereignisses zu laufen300.
298
BK/GAUTSCHI, N 2a zu Art. 454 OR. Ob dies im konkreten Fall auch festgestellt
wurde bzw. festgestellt werden konnte, ist jedoch nicht relevant.
299
BK/GAUTSCHI, N 2a zu Art. 454 OR.
300
BSK/STAEHELIN, N 9 zu Art. 454 OR.
61
3. Kapitel:
Die Verjährungsfrist
§ 11. Die Verjährungsfristen im Allgemeinen
Wie gesehen, richtet sich die Verjährung von Schadenersatzforderungen
aus positiver Vertragsverletzung nach dem allgemeinen Verjährungsrecht
gemäss Art. 127 ff. OR, sofern nicht eine Spezialbestimmung (z.B. Art. 210
OR) (unmittelbar oder analog) zur Anwendung kommt. Die Verjährungsfrist von Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung beträgt demnach zehn Jahre (Art. 127 OR), sofern nicht ausnahmsweise die
fünfjährige Verjährungsfrist nach Art. 128 OR oder eine sonstige Spezialbestimmung zur Anwendung kommt. Im Folgenden sollen die Kriterien,
welche der Bemessung von Verjährungsfristen zugrunde liegen, dargestellt
werden.
1. Allgemeine Bemessungskriterien. Die Festsetzung der Verjährungsfristen basiert grundsätzlich auf derselben Interessensabwägung, die für die
Ausgestaltung der Verjährungsordnung im Allgemeinen massgebend ist. Zu
beachten ist auf der einen Seite, wie stark die von der Verjährung zu schützenden Interessen (vgl. dazu oben S. 4 ff.) gefährdet sind, und auf der anderen Seite, ob eine besondere Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit des Gläubigers besteht301.
Auf der einen Seite ist also z.B. von Bedeutung, wie leicht sich die Begründung und der Fortbestand einer Forderung abklären lassen302. So hat der
Gesetzgeber beispielsweise bei periodischen Leistungen eine kurze fünfjährige Verjährungsfrist vorgesehen, da der Schutz des (angeblichen) Schuldners vor Beweisnot als besonders dringend erscheint (vgl. BBl 1880 I,
S. 194; BGE 69 II 298 E. 3, vgl. unten S. 68 f.). Auf der anderen Seite ist
z.B. zu berücksichtigen, ob ein besonders schützenswertes Rechtsgut verletzt wurde. So ist beispielsweise ein Trend zu erkennen, bei Personenschäden eine besonders lange maximale Verjährungsfrist vorzusehen oder ganz
auf eine Höchstfrist zu verzichten, da in solchen Fällen aufgrund der Art
der verletzten Rechtsgüter eine besondere Schutzwürdigkeit des Gläubigers
besteht303.
301
Vgl. SPIRO I, S. 609 f.
SPIRO I, S. 609 f.
303
ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 893 ff.
302
62
§ 11 Die Verjährungsfristen im Allgemeinen
Ein Vergleich von Fristen kann freilich nicht unabhängig vom Beginn des
Fristenlaufs, der Verjährungshemmung und der Verjährungsunterbrechung
erfolgen304.
2. Die Bemessung von subsidiären Fristen im Besonderen. Bei der hier
im Zentrum stehenden Verjährungsfrist von Art. 127 OR handelt es sich um
eine subsidiäre Frist, die für „alle Forderungen [gilt], für die das Bundeszivilrecht nicht etwas anderes bestimmt“. Da die subsidiäre Verjährungsfrist
auf eine unbegrenzte Zahl verschiedener Arten von Forderungen anwendbar ist, und die Eingriffswirkung der Verjährung umso geringer ist, je länger die Frist dauert, liegt es nach KARL SPIRO nahe, „für diese ergänzende
Verjährung eine Frist zu wählen, nach deren Ablauf die Verjährung auf alle
Fälle gerechtfertigt scheint, also die längste Frist zur ordentlichen zu machen, innert deren alle Ansprüche spätestens verjähren“305. Diese ordentliche Verjährungsfrist solle aber weder durch Hemmung noch durch Unterbrechung „verlängert“ werden können306.
Dies ist nach der hier vertretenen Ansicht abzulehnen: Die Dauer der Verjährungsfrist ergibt sich, wie soeben gesehen, aufgrund einer Abwägung
entgegengesetzter Interessen. Wenn argumentiert wird, es sei die längste
Frist massgebend, damit auf alle Fälle die Verjährung gerechtfertigt ist,
kann umgekehrt mit gleicher Legitimation argumentiert werden, es sei die
kürzeste Frist massgebend, damit auf alle Fälle die Verjährungszwecke gewahrt werden. So führte beispielsweise § 195 a.F. BGB, der als subsidiäre
Verjährungsfrist die längste dem BGB bekannte Verjährungsfrist vorsah
(30 Jahre)307, dazu, dass in dessen Anwendungsbereich häufig eine Verwirkung des Anspruchs angenommen werden musste oder der Anwendungsbereich kürzerer Fristen extensiv interpretiert werden musste, um die Verjährungszwecke nicht zu gefährden308. Da für die Anwendungsfälle des Auffangtatbestandes weder gesagt werden kann, ob eine besondere Rücksicht
auf den Gläubiger gerechtfertigt ist, noch, ob die von der Verjährung geschützten Interessen besonders gefährdet sind, scheint es angemessener, eine vermittelnde Lösung zu treffen.
Die Regelung in der Schweiz entspricht der hier vertretenen Ansicht: Die
besonderen Verjährungsfristen sind meist kürzer (vgl. z.B. die soeben genannten), gelegentlich ist aber auch eine längere Verjährungsfrist vorgese-
304
SPIRO I, S. 608 f.
SPIRO I, S. 613.
306
SPIRO I, S. 614.
307
Staudinger/PETERS (2001), N 3 zu § 195 a.F. BGB.
308
Staudinger/PETERS (2001), N 4 zu § 195 a.F. BGB.
305
63
3. Kapitel: Die Verjährungsfrist
hen (z.B. verjähren nach Art. 59c Abs. 2 USG Schadenersatzansprüche aus
Schäden, die wegen des Umgangs mit pathogenen Organismen entstanden
sind, nach 30 Jahren). Zudem kann die subsidiäre Verjährungsfrist sowohl
gehemmt als auch unterbrochen werden.
§ 12. Unabänderbarkeit bestimmter Verjährungsfristen
Nach Art. 129 OR können „die in diesem Titel“ aufgestellten Verjährungsfristen, also diejenigen von Art. 127, 128 und 137 Abs. 2 OR (vgl. z.B.
BGE 132 III 226 E. 3.3.1 = Pra 2006 Nr. 146)309, „nicht abgeändert werden“. Im Folgenden soll zunächst aufgezeigt werden, dass von diesem
Wortlaut nicht abgewichen werden kann, dass es sich also um ein absolutes
Abänderungsverbot handelt (I.). In einem zweiten Teil wird auf verschiedene Einzelfragen in diesem Zusammenhang eingegangen (II.).
I.
Absolutes Abänderungsverbot
Der Wortlaut von Art. 129 OR lässt weder in zeitlicher noch in umfangmässiger Hinsicht Spielraum für eine Parteiabrede offen. Das Abänderungsverbot gilt also gemäss dem Wortlaut von Art. 129 OR sowohl vor als
auch nach Vertragsschluss und unabhängig vom Umfang (der Dauer) der
Abänderung310.
Gemäss neuer bundesgerichtlicher Rechtsprechung und Lehre ist Art. 129
OR jedoch „dahin auszulegen, dass eine Verlängerung der Verjährungsfristen nach Art. 127 und 128 OR lediglich bei Vertragsabschluss unzulässig
ist. Eine spätere Fristverlängerung ist […] insoweit zulässig, als die verlängerte Frist die Dauer von fünf (Art. 128 OR) bzw. zehn (Art. 127 OR) Jahren nicht übersteigt“311 (BGE 132 III 226 E. 3.3.7 = Pra 2006 Nr. 146312;
309
Vgl. ZK/BERTI, N 12 zu Art. 129/141 Abs. 1 OR m.w.H.
Vgl. z.B. KESSLER, S. 53 f., 85.
311
KOLLER, SJZ 2007, S. 194; vgl. auch BK/BECKER, N 3 zu Art 141 OR; SPIRO, Verzicht, S. 547 ff.; SPIRO I, S. 848 f.; BUCHER, Verjährung, S. 186 ff.; BSK/DÄPPEN,
N 3 zu Art. 129 OR und 3a zu Art. 141 OR; ZK/BERTI, N 50 zu Art. 129/141 Abs. 1
OR.
312
Das Bundesgericht spricht freilich nicht von der Fristverlängerung, sondern vom zeitlich begrenzten Verjährungsverzicht. Dieser ist nicht von Art. 141 Abs. 1 OR erfasst
und daher grundsätzlich zulässig. Da jedoch die Wirkung derjenigen einer Fristverlängerung entspricht, ist ein zeitlich beschränkter Verjährungsverzicht lediglich im
Rahmen von Art. 129 OR zulässig (unten S. 68). Im Folgenden wird daher nicht zwischen einer Verlängerung und einem zeitlich begrenzten Verzicht unterschieden.
310
64
§ 12 Unabänderbarkeit bestimmter Verjährungsfristen
anders demgegenüber BGE 99 II 185 E. 2b; 112 II 231 E. 3.e.bb = Pra 1987
Nr. 65; 132 III 285 E. 2; 4C.9/1998 E. 4a313 und 5C.42/2005 E. 2.2). Diese
neue Rechtsprechung ist nach der hier vertretenen Ansicht aus folgenden
Gründen abzulehnen314:
1. Verhältnis zu Art. 141 Abs. 1 OR. Nach Ansicht des Bundesgerichts
besteht erstens zwischen Art. 129 und 141 Abs. 1 OR „ein enges Verhältnis“ (Pra 2006, S. 1006). Zweitens könne man aus einer historische Auslegung von Art. 141 OR schliessen, „der Gesetzgeber habe lediglich gewollt,
dass ein Verzicht auf die Verjährung unzulässig ist, wenn er im Zeitpunkt
des Vertragsabschlusses erfolgt.“ (Pra 2006, S. 1010). Aufgrund dieser beiden Ansichten leitet das Bundesgericht ab, dass sich auch das Abänderungsverbot von Art. 129 OR lediglich auf die Zeit des Vertragsschlusses
beschränkt. Diese Berufung auf Art. 141 Abs. 1 OR ist nach der hier vertretenen Ansicht abzulehnen:
Wie PETER GAUCH überzeugend darlegt, ergibt eine historische Auslegung
von Art. 141 Abs. 1 OR, dass sich diese Bestimmung lediglich mit dem
Verzicht auf die Geltendmachung der eingetreten Verjährung befasst315.
Der Ausdruck „zum voraus“ bedeutet: „Nicht vor Vollendung der Verjährung.“316 Die beiden Bestimmungen betreffen demnach unterschiedliche
Tatbestände: „Im einen Fall geht es um die Entstehung der Verjährungseinrede, im anderen Fall um deren Untergang.“317 Gegen einen Zusammenhang spricht neben der historischen Auslegung von Art. 141 Abs. 1 OR
auch, dass sich die Bestimmungen an unterschiedlichen Stellen im Gesetz
und unter unterschiedlichen Marginalien finden318. Zudem sind die Bestimmungen unterschiedlich formuliert319.
2. Das Bundesgericht argumentiert, einer Fristverlängerung vor Eintritt der
Verjährung um den bereits abgelaufenen Teil der Verjährungsfrist kämen
dieselben Folgen wie einer Unterbrechung zu, weshalb Art. 129 OR einer
entsprechenden Fristverlängerung nicht entgegenstehen könne (BGE 132
III 226 E. 3.3.7 = Pra 2006 Nr. 146)320. Dieser Ansicht kann aus zwei
Gründen nicht gefolgt werden:
313
Abgedruckt bei KOLLER, AJP 2000, S. 247.
Gl.M. GAUCH, SJZ 2006, S. 533 ff., 561 ff.
315
GAUCH, SJZ 2006, S. 534 ff. Gl.M. GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, N 3376; KOLLER, SJZ 2007, S. 194.
316
GAUCH, SJZ 2006, S. 534.
317
KOLLER, SJZ 2007, S. 194.
318
KOLLER, SJZ 2007, S. 194.
319
KOLLER, SJZ 2007, S. 194.
320
Gl.M. BUCHER, Verjährung, S. 193.
314
65
3. Kapitel: Die Verjährungsfrist
a) Zum einen hätte diese Ansicht zur Folge, dass sich das Änderungsverbot
von Art. 129 OR nur mehr auf Verkürzungen bezieht, „was weder dem
Wortlaut noch dem Sinn der Regel entspricht“321. Zwar sind einseitig zwingende Abänderungsverbote durchaus möglich. Aus dem Gesichtspunkt der
Verjährungszwecke – insbesondere des Schuldnerschutzes – sinnvoll ist jedoch lediglich der umgekehrte Fall. Im internationalen Vergleich findet
sich denn auch eher Bestimmungen, welche ausschliesslich Verlängerungen verbieten (vgl. z.B. § 225 Abs. 2 a.F. BGB; § 1502 ABGB)322.
b) Zum anderen ist zwischen Unterbrechungstatbestand und Unterbrechungswirkung zu unterscheiden: Damit es zu einer Unterbrechungswirkung kommen kann, muss ein Unterbrechungstatbestand vorliegen, der diese Wirkung rechtfertigt. An die Unterbrechungstatbestände werden daher
strenge Anforderungen gestellt (vgl. unten S. 84 ff.). Eine Verlängerungsvereinbarung, mit der die Verjährungsfrist um den bereits abgelaufenen
Teil verlängert werden soll, ist daher nicht ohne Weiteres (also bereits aufgrund ihrer Wirkung) zulässig, sondern nur dann, wenn sie die Unterbrechungswirkung tatsächlich zu rechtfertigen vermag. Dies ist i.d.R. nicht der
Fall: Gemäss Bundesgericht (BGE 132 V 404 E. 4.1 = Pra 2007 Nr. 145)
und Lehre323 ist die gesetzliche Aufzählung der Unterbrechungsgründe insofern abschliessend, als die Parteien keine weiteren Unterbrechungsgründe
vereinbaren können. Offensichtlich gehen Bundesgericht und h.L. davon
aus, dass eine blosse Parteivereinbarung die Unterbrechungswirkung nicht
zu rechtfertigen vermag324. Tatsächlich ist nicht ersichtlich, wie durch jede
noch so beiläufige und floskelhafte Vereinbarung, die Verjährungsfrist um
den bereits abgelaufenen Teil zu verlängern, der (angebliche) Schuldner vor
Beweisnot geschützt und Klarheit bezüglich der Rechtslage geschaffen
werden soll, was die Unterbrechungswirkung rechtfertigte.
3. Weiter wird aus der Möglichkeit, dass eine Verlängerung für Fristen
ausserhalb des dritten Titels zulässig ist, abgeleitet, dies müsse entgegen
dem klaren Wortlaut von Art. 129 OR auch für die Verjährungsfristen von
Art. 127, 128 und 137 Abs. 2 OR gelten (vgl. z.B. BGE 132 III 226 E. 3.3.3
= Pra 2006 Nr. 146). Dass eine Verlängerung von Verjährungsfristen au-
321
GAUCH, SJZ 2006, S. 562.
Vgl. VON BAR/ZIMMERMANN, S. 795 f. Z.T. lassen gewisse Rechtsordnungen Abänderungen der Verjährungsfrist in beide Richtungen zu (z.B. § 202 Abs. 2 BGB); einseitige Verkürzungsverbote existieren demgegenüber im europäischen Rechtsraum –
soweit ersichtlich – nicht.
323
CHK/KILLIAS, N 2 zu Art. 135 OR; ZK/BERTI, N 180 f. zu Art. 135 OR;
BSK/DÄPPEN, N 1 zu Art. 135 OR; a.A. KOLLER, SJZ 2007, S. 196.
324
Vgl. SPIRO I, S. 847 ff.
322
66
§ 12 Unabänderbarkeit bestimmter Verjährungsfristen
sserhalb des dritten Titels zulässig ist, ändert nichts an der Tatsache, dass
durch eine blosse Verlängerungsvereinbarung die Interessen des Schuldners
sowie die Interessen des Rechtsverkehrs nicht ausreichend geschützt sind.
Wird eingewendet, es bestehe kein Grund, die Verjährungsfristen je nachdem, ob sie sich innerhalb oder ausserhalb des dritten Titels des Obligationenrechts befinden, unterschiedlich zu behandeln, müsste daher – wenn
schon – das Abänderungsverbot auf sämtliche Verjährungsfristen ausgedehnt werden, wie es andere Rechtsordnungen tun (§ 225 a.F. BGB; § 1502
ABGB; Art. 2936 CCit)325.
4. Schlussendlich wird die Zulässigkeit einer Fristverlängerung mit dem
praktischen Bedürfnis gerechtfertigt. Nach der hier vertretenen Ansicht ist
vor Eintritt der Verjährung weder ein unbeschränkter Verzicht auf die Verjährungseinrede (Art. 141 Abs. 1 OR) noch eine Verlängerung der Verjährungsfrist oder ein zeitlich begrenzter Verjährungsverzicht möglich, sofern
es sich um eine Frist des dritten Titels handelt (Art. 129 OR). Dadurch wird
dem Schuldner die Möglichkeit genommen, einer auf Verjährungsunterbrechung zielenden Betreibung oder Klage durch eine blosse Verlängerungsvereinbarung zu entgehen. Dieser Einwand reicht jedoch nicht aus, um die
Geltung von Art. 129 OR ausser Kraft zu setzen326.
II. Einzelfragen
1. Es hat sich gezeigt, dass eine unmittelbare Abänderung der Verjährungsfristen des dritten Titels unzulässig ist. Nach der ratio legis müssen jedoch
auch mittelbare Abänderungen der Verjährungsfristen unter das Abänderungsverbot von Art. 129 OR fallen327. In Betracht kommen insbesondere
Vereinbarungen bezüglich des Verjährungsbeginns (vgl. oben § 9)328.
Zulässig sind demgegenüber Vereinbarungen, die „auf einen rechtlichen
Erfolg gerichtet sind, der eine Verlängerung der Verjährungsfrist lediglich
als Nebenfolge mit sich bringt“329. Zulässig ist daher insbesondere eine
Vereinbarung bezüglich der Fälligkeit der Schadenersatzforderung, auch
wenn dadurch der Beginn des Fristenlaufs und damit der Eintritt der Verjährung hinausgeschoben wird (Art. 130 Abs. 1 OR).
325
Vgl. auch VON BÜREN, S. 439 f.
GAUCH, SJZ 2006, S. 540.
327
KOLLER, SJZ 2007, S. 195 f.
328
ZK/BERTI, N 7 zu Art. 130 OR.
329
MünchK/GROTHE (2001), N 4 zu § 225 a.F. BGB; KOLLER, SJZ 2007, S. 196.
326
67
3. Kapitel: Die Verjährungsfrist
2. Von der Verlängerungsvereinbarung ist der zeitlich begrenzte Verjährungsverzicht zu unterscheiden (vgl. BGE 99 II 185). Ein zeitlich begrenzter Verzicht ist nicht von Art. 141 Abs. 1 OR erfasst und daher grundsätzlich auch vor Eintritt der Verjährung zulässig330. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu Verlängerungsvereinbarungen müssen jedoch solche Verzichtsvereinbarungen im Anwendungsbereich von Art. 129 OR ebenfalls unzulässig
sein. Sofern eine Verjährungsfrist nicht verlängert werden kann, „ist auch
ein vorzeitiger [zeitlich begrenzter] Verzicht auf die Erhebung der Verjährungseinrede ausgeschlossen“331.
3. Verlängerungsvereinbarung als Unterbrechungshandlung. Wie gesehen, gilt das Abänderungsverbot von Art. 129 OR für die Verjährungsfristen des dritten Titels absolut. Dies hat zur Folge, dass vor Eintritt der Verjährung weder auf die Geltendmachung der Verjährungseinrede ganz
(Art. 141 Abs. 1 OR) oder teilweise (Art. 129 OR analog) verzichtet noch
die Verjährungsfrist verlängert (Art. 129 OR) werden kann.
Nach der hier vertretenen Ansicht kann jedoch einer Abänderungsvereinbarung, die mit dem ausschliesslichen Zweck geschlossen wurde, eine Unterbrechungshandlung nach Art. 135 Ziff. 2 OR zu vermeiden, verjährungsunterbrechende Wirkung zukommen (ausführlich unten S. 86 f.). Dies gilt unabhängig davon, was konkret vereinbart wurde. Es kann also nicht nur einer
eigentlichen (grundsätzlich unzulässigen) Unterbrechungsvereinbarung,
sondern auch einer (unzulässigen) Verlängerungs- oder Verzichtsvereinbarung unterbrechende Wirkung zukommen, und zwar unabhängig von der
Dauer der vereinbarten Verlängerung.
§ 13. Besondere Verjährungsfristen
I.
Art. 128 OR
Art. 128 OR sieht für bestimmte Forderungen eine fünfjährige Verjährungsfrist vor. Diese Verkürzung der Verjährungsfrist kann mit verschiedenen
Argumenten begründet werden: Erstens handelt es sich um Forderungen,
die, entweder wegen ihrer Periodizität (z.B. die Miet-, Pacht- und Kapitalzinsen) oder weil es Geschäfte des täglichen Lebens sind (z.B. Lieferung
von Lebensmitteln), häufig vorkommen und daher schnell der Überblick
über den Forderungsbestand verloren gehen kann. Diese Gefahr verstärkt
330
331
68
KOLLER, OR AT, § 71 N 15 ff. A.A. GAUCH, SJZ 2006, S. 538.
KOLLER, OR AT, § 71 N 15.
§ 13 Besondere Verjährungsfristen
sich noch dadurch, dass es sich jeweils um ähnliche Geschäfte (z.B. Kleinverkauf von Waren) handelt und die einzelne Forderung schnell in der
Masse untergeht. Dem Schuldnerschutz (insbesondere dem Schutz vor Beweisnot) als Verjährungszweck kommt daher bei diesen Geschäften besondere Bedeutung zu332. Zweitens besteht ein Zweck der kürzeren Verjährungsfrist darin, den Schuldner davor zu schützen, dass sich die „kleinen
Schulden“ unerwartet zu einem beträchtlichen Betrag aufsummieren, der
vom Schuldner nicht mehr getragen werden kann333. Drittens handelt es
sich regelmässig um Forderungen, die den Lebensunterhalt des Gläubigers
abdecken (z.B. die Forderungen von Ziff. 3). Eine schnelle Geltendmachung der Forderung ist dem Gläubiger daher im Besonderen zumutbar334.
Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern die fünfjährige Verjährungsfrist von Art. 128 OR für Schadenersatzforderungen aus positiver
Vertragsverletzung von Bedeutung ist.
1. Periodische Leistungen. Unter Art. 128 Ziff. 1 OR fallen alle „regelmässig wiederkehrenden Leistungen“335. Zu erwähnen sind insbesondere
Schadenersatzrenten nach Art. 43 Abs. 2 OR336. Die einzelnen Rentenleistungen unterliegen daher einer fünfjährigen Verjährungsfrist, die mit Fälligkeit der einzelnen Teilleistung zu laufen beginnt. Demgegenüber unterliegt das „Forderungsrecht im Ganzen“ der zehnjährigen Verjährungsfrist
(vgl. BGE 132 V 15 E. 3 = Pra 2007 Nr. 62; BGE 124 III 449 E. 3b = Pra
1999 Nr. 53; 111 II 501).
2. Forderungen aus Handwerksarbeiten, ärztlicher Besorgung oder aus
Berufsarbeiten von Anwälten. Eine Forderung aus positiver Vertragsverletzung entsteht insbesondere dann, wenn aufgrund einer mangelhaften Tätigkeit eines Handwerkers, Arztes, Anwalts etc. ein Schaden entsteht. Solche Forderungen sind jedoch nicht von Art. 128 Ziff. 3 OR erfasst. Von
Art. 128 Ziff. 3 OR erfasst sind lediglich Forderungen von und nicht gegen
die genannten Personen (BGE 23 1160 E. 5)337. Auf entsprechende Schadenersatzforderungen ist daher i.d.R. die zehnjährige Verjährungsfrist nach
Art. 127 OR anwendbar (vgl. z.B. BGE 87 II 155).
332
Staudinger/PETERS (2001), N 1 zu § 196 a.F. BGB; VON TUHR/ESCHER, S. 214.
BK/BECKER, N 2 zu Art. 128 OR.
334
BK/BECKER, N 2 zu Art. 128 OR.
335
VON TUHR/ESCHER, S. 214.
336
ZK/BERTI, N 19 zu Art. 128 OR; KOLLER, OR AT, § 68 N 42.
337
BK/BECKER, N 7 zu Art. 128 OR; ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 7 zu Art. 128 OR;
KOLLER, OR AT, § 68 N 50; BSK/DÄPPEN, N 1a zu Art. 128 OR.
333
69
3. Kapitel: Die Verjährungsfrist
3. Forderungen von Arbeitnehmern aus dem Arbeitsverhältnis. Nach
Art. 128 Ziff. 3 OR unterliegen Forderungen von Arbeitnehmern aus dem
Arbeitsverhältnis der fünfjährigen Verjährungsfrist. Es stellt sich die Frage,
ob darunter auch Schadenersatzforderungen des Arbeitnehmers gegenüber
dem Arbeitgeber fallen. Der überwiegende Teil der Lehre geht davon aus,
dass lediglich Forderungen, welche die erbrachte Arbeit entgelten, von
Art. 128 Ziff. 3 OR erfasst sind338. Unter solche Forderungen fällt auch der
Ferienanspruch, der eine Lohnkomponente enthält (BGE 136 III 94 E. 4.1).
Demgegenüber ist eine Mindermeinung der Ansicht, auch allfällige Schadenersatzforderungen aus einer Sorgfaltspflichtverletzung seien von
Art. 128 Ziff. 3 OR erfasst339. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts ist
uneinheitlich (zehnjährige Verjährungsfrist angenommen in BGE 106 II
134 E. 2d = Pra 1980 Nr. 284; fünfjährige Verjährungsfrist angenommen in
BGE 4C.175/2004 E. 3; offen gelassen in BGE 130 III 202 E. 3.4).
Nach der hier vertretenen Ansicht ist der h.L. zuzustimmen und auf Schadenersatzforderungen des Arbeitnehmers die zehnjährige Verjährungsfrist
anzuwenden: Erstens stellt Art. 128 OR gegenüber Art. 127 OR eine Ausnahmebestimmung dar und ist daher restriktiv auszulegen (vgl. BGE 116 II
428 E. 1b; 109 II 112 E. 2b = Pra 1983 Nr. 202). Zweitens ergibt sich dieses Ergebnis aus einer historischen Auslegung von Art. 128 Ziff. 3 OR. Bis
1972 galt Art. 128 Ziff. 3 OR für „Forderungen aus Arbeit von Angestellten, Dienstboten, Tagelöhnern und Arbeitern“340, die Bestimmung beschränkte sich also ausdrücklich auf Lohnforderungen341. Mit der redaktionellen Änderung wollte man davon nicht abweichen342. Drittens ergibt sich
dieses Resultat aus einer teleologischen Auslegung. Die kürzeren Verjährungsfristen von Art. 128 OR sind insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil
aufgrund der Art und der Häufigkeit der Rechtsgeschäfte der Schutz des
(angeblichen) Schuldners vor zeitlich bedingter Beweisnot besondere Bedeutung hat und weil vom Gläubiger in diesen Fällen erwartet werden darf,
dass er die Forderungen besonders schnell geltend macht. Inwiefern diese
Argumente auf Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung
im Allgemeinen und solchen aus einem Arbeitsverhältnis im Besonderen
zutreffen, ist jedoch nicht ersichtlich.
338
STREIFF/VON KAENEL, N 8 zu Art. 341 OR; REHBINDER, § 9 N 261; BSK/DÄPPEN,
N 13 f. zu Art. 128 OR; KOLLER, OR AT, § 68 N 57; SPIRO I, S. 649 f.;
BK/REHBINDER, N 30 f. zu Art. 341 OR; VON TUHR/ESCHER, S. 216.
339
ZK/BERTI, N 61 f. zu Art. 128 OR.
340
Hervorhebung durch den Autor.
341
Vgl. BK/BECKER, N 15 zu Art. 128 a.F. OR.
342
BSK/DÄPPEN, N 13 zu Art. 128; KOLLER, OR AT, § 68 N 57.
70
§ 13 Besondere Verjährungsfristen
II. Weitere besondere Verjährungsfristen
Für verschiedene Forderungen sind besondere Verjährungsfristen vorgesehen343. Von Interesse sind in dieser Arbeit lediglich diejenigen für Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung. Einige Bestimmungen, die für Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung besondere Verjährungsfristen vorsehen, sollen im Folgenden dargestellt werden:
− Art. 210 Abs. 1 OR: „Klagen auf Gewährleistung wegen Mängel der
[Kauf-]Sache verjähren mit Ablauf eines Jahres nach deren Ablieferung
an den Käufer“. Die kurze Verjährungsfrist gilt für sämtliche Forderungen auf Ersatz des Schadens, der dem Käufer aufgrund des Mangels entstanden ist, insbesondere Schadenersatzansprüche nach Art. 208 Abs. 2
und 3 OR. Soweit solche Schäden zusätzlich nach Art. 97 Abs. 1 OR geltend gemacht werden können, gilt die kurze Verjährungsfrist auch für
solche Schadenersatzansprüche. Ist der Schaden nicht auf einen Mangel,
also die Verletzung der Hauptleistungspflicht, sondern auf die Verletzung einer sonstigen (Neben-)Pflicht zurückzuführen, ist Art. 210 Abs. 1
OR nicht anwendbar, womit die zehnjährige Verjährungsfrist nach
Art. 127 OR zur Anwendung kommt (BGE 96 II 115 E. 2)344. Die kürzere Verjährungsfrist wird damit gerechtfertigt, dass die Gefährdung des
Rechtsverkehrs in diesen Fällen als besonders stark erachtet wird (BGE
102 II 97 E. 2b = Pra 1976 Nr. 183).
− „Die Pflicht zur Gewährleistung für die Mängel eines Gebäudes verjährt
mit dem Ablauf von fünf Jahren, vom Erwerb des Eigentums an gerechnet.“ (Art. 219 Abs. 3 OR). Auch diese Bestimmung ist gemäss Wortlaut lediglich auf Schadenersatzforderungen, die durch „Mängel eines
Gebäudes“ entstanden sind, anwendbar345.
− Gemäss Art. 371 i.V.m. 210 OR verjähren „Ansprüche des Bestellers
wegen Mängel des Werkes [...] gleich den entsprechenden Ansprüchen
des Käufers“, also ein Jahr ab Ablieferung. Diese Bestimmung gilt nicht
für Schadenersatzansprüche, „die der Besteller gegen den Unternehmer,
Architekten oder Ingenieur aus einer Vertragsverletzung ableitet, die
keinen Mangel i.S.v. Art. 368 [OR] bewirkt hat“346 (vgl. BGE 111 II
343
Vgl. für einen Überblick z.B. BSK/DÄPPEN, N 10 ff. zu Art. 127 OR.
BK/GIGER, N 24 zu Art. 210 OR; CHK/MÜLLER-CHEN, N 3 zu Art. 210 OR.
345
Vgl. BK/GIGER, N 85 zu Art. 219 OR.
346
BSK/ZINDEL/PULVER, N 6 zu Art. 371 OR; vgl. auch TSCHÜTSCHER, N 100;
GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER N 3289; KOLLER, Nachbesserungsrecht, N 384 f.
344
71
3. Kapitel: Die Verjährungsfrist
170; 102 II 413 = Pra 1977 Nr. 87). Fügt der Unternehmer beispielsweise
bei der Erstellung des Werks dem Besteller einen weiteren Schaden zu,
unterliegt die entsprechende Schadenersatzforderung der zehnjährigen
Verjährungsfrist nach Art. 127 OR (vgl. BGE 111 II 170).
− „Die Ersatzklagen gegen den Frachtführer verjähren mit Ablauf eines
Jahres [...].“ (Art. 454 Abs. 1 OR). Umstritten ist, ob Art. 454 OR für
sämtliche Schadenersatzansprüche gegenüber dem Frachtführer gilt oder
nur für jene nach Art. 447 f. OR347.
− „Wird durch den Betrieb eines Motorfahrzeuges ein Mensch getötet oder
verletzt oder Sachschaden verursacht, so haftet der Halter für den Schaden.“ (Art. 58 Abs. 1 SVG). Darunter fallen auch Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung, „ohne dass, falls zwischen dem
Geschädigten und dem Halter ein Vertrag besteht, vertragliches Schadenersatzrecht heranzuziehen wäre“348. Entsprechende Schadenersatzforderungen „verjähren in zwei Jahren vom Tag hinweg, an dem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit dem Ablauf von zehn Jahren vom
Tag des Unfalles an“ (Art. 83 Abs. 1 SVG). Die Bestimmung weist zu
Art. 60 OR eine gewisse Nähe auf349, da im Anwendungsbereich von
Art. 83 Abs. 1 SVG in der Regel eine deliktische Haftung vorliegt. In
denjenigen Fällen, wo zwischen Halter und Geschädigtem eine Sonderverbindung besteht, ist sie daher unpassend (vgl. oben S. 13 ff.).
347
Vgl. ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 2 zu Art. 454 OR; BK/BECKER, N 2 zu Art. 454
OR; BK/GAUTSCHI, N 1a zu Art. 454 OR.
348
OFTINGER/STARK II/2, § 25 N 71.
349
OFTINGER/STARK II/2, § 25 N 762.
72
4. Kapitel:
Die Verjährungshemmung
Von Anlaufshemmung spricht man, wenn der ordentliche Beginn des Fristenlaufs hinausgeschoben wird; von Fortlaufshemmung, wenn der bereits
begonnene Fristenlauf vorübergehend stillsteht350. Im Folgenden wird in
den Fällen der Anlaufs- oder Fortlaufshemmung allgemein von Hemmung
gesprochen351; diese wird zunächst behandelt (§ 14). Von der Anlaufs- und
der Fortlaufshemmung ist die Ablaufshemmung zu unterscheiden. Diese
wird in der Regel erst mit Ablauf der Verjährungsfrist relevant und verlängert die ordentliche Verjährungsfrist um eine kurze Nachfrist (§ 15)352.
§ 14. Anlaufs- und Fortlaufshemmung
Die wichtigsten Hemmungsgründe sind in Art. 134 Abs. 1 OR aufgezählt.
Daneben finden sich im Gesetz verstreut weitere Hemmungsgründe (z.B.
Art. 1166 Abs. 3 OR, Art. 454 Abs. 3, 586 Abs. 2 ZGB)353. Diese gesetzliche Aufzählung der Hemmungsgründe ist grundsätzlich abschliessend (vgl.
z.B. BGE 28 II 360 E. 3; 30 II 82 E. 4; 100 II 339 E. 4 = Pra 1975 Nr. 89;
5A_708/2007 E. 3)354. Ausgeschlossen ist daher, dass ein Hemmungsgrund
durch Parteivereinbarung geschaffen wird355. Zudem können nicht „nach
Gutfinden“ weitere Hemmungsgründe angenommen werden356. Trotzdem
„bleibt eine vernünftige Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen geboten und ebenso ihre analoge Anwendung, wo sie auf einem allgemeinen
Gedanken beruhen und kein Grund der Beschränkung ersichtlich ist.“357
(vgl. z.B. BGE 123 III 213 E. 3; 130 III 202 E. 3.2 und 3.3; vgl. für einen
weiteren Anwendungsfall unten III.).
350
KOLLER, OR AT, § 67 N 36 f.
Dies entspricht der von der h.L. verwendeten Terminologie (vgl. KOLLER, OR AT,
§ 70 N 1).
352
KOLLER, OR AT, § 67 N 37; SPIRO I, S. 191 ff.; ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 3 zu
Art. 134 OR; ZK/BERTI, N 1 zu Art. 139 OR; KBB/DEHN, N 1 zu § 1494 ABGB.
353
Vgl. auch ZK/BERTI, N 34 ff. zu Art. 134 OR; BSK/DÄPPEN, N 12 zu Art. 134 OR.
354
BK/BECKER, N 2 zu Art. 134 OR; ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 5 zu Art. 134 OR;
CHK/KILLIAS, N 2 zu Art. 134 OR; ZK/BERTI, N 37 zu Art. 134 OR; SCHNEIDER/FICK, N 1 zu Art. 153 aOR.
355
ZK/BERTI, N 37 zu Art. 134 OR; CHK/KILLIAS, N 2 zu Art. 134 OR.
356
SPIRO I, S. 152.
357
SPIRO I, S. 152; vgl. auch KOLLER, OR AT, § 70 N 12.
351
73
4. Kapitel: Die Verjährungshemmung
Im Folgenden soll zunächst dargelegt werden, weshalb die Hemmungsgründe nach der hier vertretenen Ansicht an einem Rechtfertigungsdefizit
leiden, was verschiedene Konsequenzen für das Hemmungsrecht hat (I.).
Danach wird genauer auf den Hemmungsgrund von Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6
OR eingegangen (II.). Schlussendlich wird die arglistige Täuschung als
Hemmungsgrund genauer dargestellt (III.).
I.
Rechtfertigungsdefizit der Hemmungsgründe
Die Verjährung ergibt sich aus einer Abwägung der Gläubigerinteressen
auf der einen und den von der Verjährung zu schützenden Interessen auf
der anderen Seite. Insbesondere ergibt sich aus dieser Abwägung eine bestimmte Verjährungsfrist, in welcher der Gläubiger die Möglichkeit haben
soll, den Eintritt der Verjährung zu verhindern. Die Hemmung wird nun
primär damit gerechtfertigt, dass es in jenen Fällen, in denen es dem Gläubiger nicht möglich oder zumutbar ist, die Forderung gerichtlich geltend zu
machen, unbillig wäre, die Verjährung gegen ihn laufen zu lassen358. Die
ihm aufgrund der Abwägung der verschiedenen Interessen zugestandene
Verjährungsfrist, in der er die Möglichkeit haben soll, den Eintritt der Verjährung zu verhindern, würde ansonsten verkürzt.
Damit kann jedoch die Hemmungswirkung nur teilweise gerechtfertigt
werden, denn diese Argumentation berücksichtigt einzig die Gläubigerinteressen. Demgegenüber behalten die Verjährungszwecke unabhängig von
einem Hemmungsgrund ihre Rechtfertigung359. Sowohl die Interessen des
Schuldners als auch die öffentlichen Interessen sind daher durch die Hemmung in hohem Masse gefährdet. Die Interessen des Gläubigers scheinen in
Art. 134 Abs. 1 OR ungleich stärker gewichtet zu sein, als die von der Verjährung zu schützenden Interessen. Dies gilt insbesondere in jenen Fällen,
in denen die Geltendmachung der Forderung grundsätzlich möglich wäre,
dem Gläubiger jedoch eine „Störung des Pietätverhältnisses“360 nicht zugemutet wird (so in den Fällen von Art. 134 Abs. 1 Ziff. 1–4 OR).
Aufgrund dieses Rechtfertigungsdefizits müssen die Hemmungsgründe
nach Art. 134 Abs. 1 OR eng ausgelegt werden. Dasselbe gilt für die analoge Anwendung, die nur mit grosser Zurückhaltung ausgeübt werden darf
(vgl. für einen Anwendungsfall der analogen Anwendung unten III.). De
358
ZK/BERTI, N 1 zu Art. 134 OR; SPIRO I, S. 182; CHK/KILLIAS, N 1 f. zu Art. 134
OR; vgl. auch Staudinger/PETERS/JACOBY, N 1 zu § 209 BGB.
359
Vgl. SPIRO I, S. 182.
360
BK/BECKER, N 4 zu Art. 134 OR.
74
§ 14 Anlaufs- und Fortlaufshemmung
lege ferenda wäre zu fordern, dass eine maximale Hemmungsdauer eingeführt wird (vgl. z.B. Art. 14:307 PECL). Denkbar wäre beispielsweise, dass
die maximale Hemmungsdauer der ordentlichen Verjährungsfrist entspricht; die ordentliche Verjährungsfrist könnte damit maximal verdoppelt
werden. Dadurch könnte ein besserer Ausgleich zwischen den Interessen
des Gläubigers auf der einen Seite und den Interessen des Schuldners sowie
den öffentlichen Interessen auf der anderen Seite erreicht werden.
II. Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR im Besonderen
Für Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung ist insbesondere der Hemmungsgrund von Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR von Bedeutung. Danach ist die Verjährung gehemmt, „solange eine Forderung vor einem schweizerischen Gericht nicht geltend gemacht werden kann“361. Die
Bedeutung dieser Bestimmung ist umstritten. Nach der hier vertretenen Ansicht ist für eine Hemmung i.S.v. Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR erforderlich,
dass jede rechtliche Geltendmachung der Forderung ausgeschlossen ist
(Ziff. 1), es sich dabei um eine objektive Unmöglichkeit handelt (Ziff. 2)
und die Unmöglichkeit für den Schuldner erkennbar ist (Ziff. 3).
1. Nach der hier vertretenen Ansicht wird die Verjährung erst dann gehemmt, wenn die Forderung auf keine Weise rechtlich geltend gemacht
werden kann, also weder mittels Klage oder Einrede vor einem Gericht
oder Schiedsgericht noch mittels Betreibung oder Schlichtungsgesuch362.
Nach Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR wird die Verjährung also nur dann gehemmt, wenn eine Verjährungsunterbrechung durch den Gläubiger nach
Art. 135 Ziff. 2 OR gänzlich ausgeschlossen ist363.
Gegen diese Auslegung spricht der Wortlaut von Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6
OR, wonach die Verjährung bereits gehemmt wird, wenn die Geltendmachung auf dem Klageweg („vor einem [...] Gericht“) ausgeschlossen ist.
Für diese Auslegung spricht demgegenüber erstens die Tatsache, dass der
Anwendungsbereich der Hemmungstatbestände – wie soeben festgestellt
wurde – eng zu fassen ist. Zweitens ist nicht einzusehen, weshalb der Gläubiger geschützt werden sollte, wenn er die Möglichkeit hat, die Verjährung
anders als durch Klage zu unterbrechen, dies jedoch unterlässt. Dass die
Verjährung nicht bereits dann gehemmt sein kann, wenn lediglich die Kla361
Hervorhebung durch den Autor.
Gl.M. SPIRO I, S. 155 f.; KOLLER, OR AT, § 70 N 14. A.A. wohl ZK/BERTI, N 16 ff.
zu Art. 134 OR.
363
SPIRO I, S. 155 f.
362
75
4. Kapitel: Die Verjährungshemmung
ge ausgeschlossen ist, ergibt sich drittens aus der Tatsache, dass sowohl die
Eidgenössische Zivilprozessordnung (Art. 197 ff. E-ZPO) als auch viele
frühere kantonale Prozessordnungen (z.B. Art. 134 Abs. 1 ZPO-SG) für das
Anhängigmachen der Klage einen Schlichtungsversuch vor einer Schlichtungsbehörde voraussetzen364. Geht man davon aus, die Verjährung sei bereits dann gehemmt, wenn die Geltendmachung auf dem Klageweg ausgeschlossen ist, wäre die Verjährungsfrist in solchen (nicht seltenen) Fällen,
wo die Klagemöglichkeit von einem vorgängigen Schlichtungsversuch abhängt, bis zur Durchführung des Schlichtungsverfahrens gehemmt. Dies
kann offensichtlich nicht der Zweck von Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR sein.
Viertens sprachen sowohl die Entwürfe von Munzinger als auch die Entwürfe des OR in allgemeiner Weise davon, dass die Verjährung gehemmt
sei, solange es dem Gläubiger nicht möglich ist, „den Schuldner zu belangen“365. Aus den genannten Materialien ergibt sich, dass insbesondere der
Fall gemeint war, wo sich der Schuldner im Ausland aufhält366. Dies wollte
man durch den Zusatz „vor einem schweizerischen Gerichte“ klarstellen.
Die Betonung liegt also auf „schweizerisch“ und nicht „Gericht“.
2. Weiter ist umstritten, wann Unmöglichkeit i.S.v. Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6
OR vorliegt. Nach herrschender Rechtsprechung (BGE 134 III 294 E. 1.1
m.w.H.) und Lehre367 fällt lediglich die objektive Unmöglichkeit unter den
Anwendungsbereich. Dem ist nach der hier vertretenen Ansicht zuzustimmen: „Das Gesetz sagt nicht, die Verjährung sei gehemmt, «solange der
Gläubiger seine Forderung vor einem schweizerischen Gerichte nicht geltend machen kann», sondern braucht die Wendung: «solange eine Forderung vor einem schweizerischen Gerichte nicht geltend gemacht werden
kann.»“ (BGE 90 II 428, 437). Zudem ist Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR aufgrund des Rechtfertigungsdefizits der Hemmungsgründe eng auszulegen
und daher auf die objektive Unmöglichkeit zu beschränken.
Die Verjährung wird daher beispielsweise nicht gehemmt, wenn der Gläubiger wegen Handlungsunfähigkeit die Verjährung der Forderung nicht unterbrechen kann. Namentlich erwähnt sei, dass die Unkenntnis der Anhaltpunkte, welche die begründete Vermutung zulassen, dass ein Schaden eintreten wird, die Verjährung nicht hemmt (BGE 106 II 134 E. 2a = Pra 1980
Nr. 284; 130 III 362 E. 4.2 = Pra 2005 Nr. 7; anders, wenn die Unkenntnis
auf einer Täuschung durch den Schuldner beruht, vgl. dazu unten III.).
364
Vgl. STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, § 20 N 2.
Vgl. z.B. für Art. 160 des Entwurfs von 1879 FASEL, S. 1075.
366
SCHNEIDER/FICK, N 7 zu Art. 153 aOR.
367
KOLLER, OR AT, § 70 N 14; BSK/DÄPPEN, N 7 zu Art. 134 OR; ZK/BERTI, N 16 zu
Art. 134 OR; CR/PICHONNAZ, N 9 zu Art. 134 OR.
365
76
§ 14 Anlaufs- und Fortlaufshemmung
Nach einem Teil der Lehre soll dann etwas anderes gelten, wenn die subjektive Unmöglichkeit des Gläubigers, die Verjährung zu unterbrechen,
durch höhere Gewalt verursacht wurde368. Gemeint sind damit Fälle, bei
denen die subjektive Unmöglichkeit durch ein unvorhersehbares, aussergewöhnliches und unabwendbares Ereignis entsteht (vgl. unten S. 81 f.). Diese Ansicht ist jedoch mit dem Bundesgericht abzulehnen (BGE 90 II 428
E. 7–9)369. Die Begründung, weshalb die subjektive Unmöglichkeit grundsätzlich keine Hemmung bewirken kann, gilt unabhängig davon, ob die
subjektive Unmöglichkeit verschuldet oder unverschuldet ist. Dass eine
subjektive Unmöglichkeit, auch wenn sie auf höherer Gewalt beruht, keine
Anlaufshemmung bewirkt, ist auch international unbestritten. Bei kriegerischen Verhältnissen, wie sie von den Befürwortern der höheren Gewalt als
Hemmungsgrund vorgebracht werden370, ist immerhin denkbar, dass eine
objektive Unmöglichkeit vorliegt. Zudem kann die subjektive Unmöglichkeit, die auf höherer Gewalt beruht, zu einer Ablaufshemmung führen (unten S. 81 f.)371.
3. Schlussendlich ist nach der Auffassung des Bundesgerichtes erforderlich,
dass die Unmöglichkeit für den Schuldner leicht erkennbar ist (BGE 90
II 428 E. 9; 124 III 449 E. 4a; 134 III 294 E. 2.1; 5A_708/2007 E. 3), was
nicht bei jeder objektiven Unmöglichkeit automatisch zutrifft. Dies ist nach
der hier vertretenen Ansicht aus folgenden Gründen richtig: Damit die Verjährungszwecke nicht durch die Hemmung unterlaufen werden, darf die
Verjährung „nur in bestimmten Sonderfällen, deren Vorhandensein der
Schuldner leicht erkennen und denen er daher Rechnung tragen kann, gehemmt werden“ (BGE 90 II 428, 438). Insbesondere ist es aus Gründen des
Schuldnerschutzes erforderlich, dass der Schuldner die Möglichkeit hat,
Beweise zu sammeln. Bei den Hemmungsgründe der Ziff. 1–5 handelt es
sich denn auch um solche Tatbestände, die „für den Schuldner zutreffendenfalls ohne weiteres als gegeben erkennbar“ sind (BGE 90 II 428, 439;
134 III 294 E. 2.1). Dies muss auch für den Hemmungsgrund nach Art. 134
Abs. 1 Ziff. 6 OR gelten.
368
BK/BECKER, N 9 zu Art. 134 OR; FICK, S. 181 f.; BLOCH, S. 353 ff.
Gl.M. ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 12 zu Art. 134 OR; KOLLER, OR AT, § 70
N 13 f.; BSK/DÄPPEN, N 7 zu Art. 134 OR; VON TUHR/ESCHER, S. 224.
370
Vgl. BLOCH, S. 353 ff.; FICK, S. 181 f.
371
Vgl. z.B. SPIRO I, S. 214.
369
77
4. Kapitel: Die Verjährungshemmung
III. Arglistige Täuschung als Hemmungsgrund
Wie erwähnt, sind die gesetzlichen Hemmungsgründe grundsätzlich abschliessend. „Immerhin bleibt [...] ihre analoge Anwendung, wo sie auf einem allgemeinen Gedanken beruhen und kein Grund der Beschränkung ersichtlich ist.“372 Ein bedeutender Anwendungsfall einer solchen analogen
Anwendung stellt die Situation dar, wo es dem Gläubiger aufgrund einer
arglistigen Täuschung durch den Schuldner nicht möglich ist, seine Ansprüche rechtlich geltend zu machen (vgl. z.B. auch Art. 2941 Abs. 8 CCit
oder Art. 3:321 (1) lit. f NBW)373.
1. Der Hemmungsgrund der arglistigen Täuschung ergibt sich aus einer
analogen Anwendung von Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR (BGE 76 II 113
E. 5). Es hat sich gezeigt, dass eine Hemmung nach dieser Bestimmung
grundsätzlich nur dann eintritt, wenn die Unmöglichkeit, die Forderung
rechtlich geltend zu machen, eine objektive ist und für den Schuldner leicht
erkennbar ist. Denn nur wenn die Hemmung auf „bestimmte Sonderfälle,
deren Vorhandensein der Schuldner leicht erkennen und denen er daher
Rechnung tragen kann“ (BGE 90 II 428, 438), beschränkt wird, werden die
Verjährungszwecke, insbesondere der Schuldnerschutz, ausreichend berücksichtigt. Diese Beschränkungen des Anwendungsbereiches von
Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR zugunsten des Schuldnerschutzes können dann
entfallen, wenn der Schuldner den Gläubiger arglistig durch eine Täuschungshandlung daran hindert, sein Recht geltend zu machen374; nicht allein deshalb, weil die Berufung des Schuldners auf die Verjährung rechtsmissbräuchlich ist (Art. 2 Abs. 2 ZGB), sondern auch deshalb, weil dem
Schuldner bei Arglist immer die Unmöglichkeit der rechtlichen Geltendmachung bekannt ist und er daher der Hemmung „Rechnung tragen kann“.
„Der Schuldner muss daher nicht nur hinnehmen, dass der Gläubiger die
Forderung noch geltend machen kann, sondern die Verkürzung der Verjährungsfrist ausgleichen durch eine Hemmung entsprechender Dauer.“375 Ist
die Berufung des Schuldners auf die Verjährung demgegenüber „bloss“
rechtsmissbräuchlich (so z.B. bei einer nicht arglistigen Täuschung), rechtfertigt sich keine (Anlaufs- oder Fortlaufs-)Hemmung, sondern lediglich
eine Ablaufshemmung (vgl. unten S. 82 f.).
372
SPIRO I, S. 152; vgl. auch KOLLER, OR AT, § 70 N 12.
SPIRO I, S. 178 ff.
374
Vgl. SPIRO I, S. 178 f.
375
SPIRO I, S. 178 f.
373
78
§ 15 Ablaufshemmung
Schlussendlich entspricht dieser Hemmungsgrund dem allgemeinen Grundgedanken des schweizerischen Rechts, dass eine Willensäusserung für den
Getäuschten nicht verbindlich ist (Art. 28 OR). Wenn es aber eine Willensäusserung nicht ist, kann es auch ein Schweigen nicht sein376.
2. Unterlassene Aufklärung als Täuschungshandlung. Die Täuschung
kann nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch eine unterlassene
Aufklärung erfolgen. Unter besonderen Umständen kann der Schuldner dazu verpflichtet sein, den Gläubiger über den Bestand der Forderung oder
den Lauf der Verjährung zu informieren377. Aufklärungspflichten sind insbesondere im Rahmen von Verträgen anzunehmen, die sich durch ein besonderes Vertrauensverhältnis und ein Informationsgefälle auszeichnen378.
Eine Täuschung durch unterlassene Aufklärung kommt daher insbesondere
bei Arzt- oder Arbeitsverträgen379 in Betracht, ist aber auch bau Kaufverträgen denkbar. So ist beispielsweise davon auszugehen, dass der Arbeitgeber, der die Schädlichkeit eines Produktionsvorganges bemerkt, dies dem
Arbeitnehmer mitteilen muss, oder dass der Arzt den Patienten über allfällige Komplikationen einer Operation zu informieren hat. Ansonsten unterliegt die Verjährung – solange der Geschädigte keine Kenntnis vom Schadensereignis hat – jeweils einer Anlaufshemmung.
§ 15. Ablaufshemmung
1. Begriff (vgl. zum Begriff der Ablaufshemmung schon vor § 14). Im Gegensatz zur Anlaufs- oder Fortlaufshemmung wird im Falle der Ablaufshemmung nicht der Eintritt der Verjährung um die Dauer des Hemmungsgrundes hinausgeschoben. Die Verjährungsfrist kann daher auch bei Vorliegen eines solchen Hemmungsgrundes ablaufen. Besteht jedoch im Zeitpunkt des Ablaufs der Verjährungsfrist ein Grund für eine Ablaufshemmung, kann der Eintritt der Verjährung gehindert sein. Die Verjährung tritt
dann erst nach Wegfall des Hemmungsgrundes plus einer zusätzlichen,
kurzen Frist ein. Diese Wirkung der Ablaufshemmung kann anhand der allgemeinen Regelung der Ablaufshemmung in Art. 161 des Entwurfs von
1879 veranschaulicht werden380:
376
SPIRO I, S. 178.
SPIRO I, S. 179 f. Vgl. für die Täuschung durch Verschweigen von Tatsachen im
Rahmen von Art. 28 OR z.B. BSK/SCHWENZER, N 8 ff. zu Art. 28 OR.
378
BSK/SCHWENZER, N 9 zu Art. 28 OR; BasKurzK/BLUMER, N 4 zu Art. 28 OR.
379
SPIRO I, S. 180 Fn 10.
380
Welche Tatbestände genau eine Ablaufshemmung bewirken, ist noch zu untersuchen.
377
79
4. Kapitel: Die Verjährungshemmung
„Fällt das Ende der Verjährungsfrist in eine Zeit, in welcher der Gläubiger an der
Geltendmachung seiner Forderung ohne eigenes Verschulden gehindert ist, so wird
die Verjährungsfrist erstreckt bis zur Beseitigung des Hindernisses und noch sechzig
Tage darüber hinaus“381.
2. Zweck. Ein Grundgedanke des Verjährungsrecht besteht darin, dass die
Verjährung grundsätzlich erst dann eintreten soll, wenn der Gläubiger eine
„faire Chance“ hatte, den Eintritt der Verjährung zu verhindern382. An einer
solchen „fairen Chance“ kann es jedoch dann fehlen, wenn der Gläubiger
darauf vertrauen darf, seinen Anspruch bis kurz vor dem Verjährungseintritt unterbrechen zu können, jedoch vor diesem Zeitpunkt Umstände eintreten, die ihn an der Unterbrechung hindern und daher die Verjährungsfrist
abläuft. Es geht demnach um den Schutz des berechtigten Vertrauens des
Gläubigers.
Ziel ist es also nicht, wie bei der Anlaufs- oder der Fortlaufshemmung, dem
Gläubiger die ordentliche Dauer, in der ihm die Geltendmachung der Forderung ohne Vorliegen eines Hemmungsgrundes möglich und zumutbar
wäre, wiederherzustellen, sondern lediglich, den Gläubiger in seinem Vertrauen, die Verjährung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt unterbrechen zu
können, zu schützen. Es ist deshalb ausreichend, wenn die Verjährungsfrist
bis zur Beseitigung des Hindernisses und lediglich noch eine kurze Frist
(z.B. 60 Tage, vgl. den aufgehobenen Art. 139 OR) darüber hinaus erstreckt
wird. Aus diesem Zweck der Ablaufshemmung ergibt sich auch, dass Fälle,
bei denen die Unterbrechung der Verjährung schon von Anfang an unmöglich ist, nicht mittels der Ablaufshemmung zu lösen sind. Als Einflussmöglichkeiten kommen der Beginn des Fristenlaufs und die (Anlaufs-)
Hemmung in Betracht.
Ausdrücklich zu erwähnen ist daher, dass die schuldlose Unkenntnis der Anhaltpunkte, welche die begründete Vermutung zulassen, dass ein Schaden eintreten wird, kein
Tatbestand der Ablaufshemmung darstellt: Die Unkenntnis solcher Anhaltspunkte
kann naturgemäss nur von Anfang an bestehen. Nicht möglich ist also, dass eine
schuldlose Unkenntnis eines möglichen Anspruchs ganz unverhofft vor Ablauf der
Verjährungsfrist eintritt und es dem Gläubiger verunmöglicht, seine Rechte geltend
zu machen. Es kann daher bei einer schuldlosen Unkenntnis nie ein Tatbestand der
Ablaufshemmung vorliegen, bei dem der Gläubiger in seinem Vertrauen, er könne
die Verjährung bis kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist unterbrechen, zu schützen
ist.
381
382
80
Abgedruckt in FASEL, S. 1075.
Vgl. ausführlich SPIRO, FS Lewald, S. 585 ff.; ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 872;
PICHONNAZ, S. 80 ff.; SCHNAUFER, S. 21.
§ 15 Ablaufshemmung
3. Keine abschliessende gesetzliche Regelung. Das Gesetz sieht an verschiedener Stelle einzelne Tatbestände der Ablaufshemmung vor383. Demgegenüber haben die Entwürfe zum OR die Ablaufshemmung noch in allgemeiner Weise geregelt (vgl. z.B. Art. 161 Entwurf von 1879). Dass der
Gesetzgeber auf die zunächst geplante Bestimmung verzichtet hat, bedeutet
jedoch nicht, dass die gesetzlichen Tatbestände als abschliessend zu sehen
sind384. Rechtsprechung und Lehre haben denn auch die Tatbestände der
Ablaufshemmung auf vielfältige Weise erweitert385.
Welche Umstände eine Ablaufshemmung rechtfertigen, kann nicht abstrakt
gesagt werden. Immerhin kann zweierlei festgehalten werden: Aufgrund
der früheren gesetzlichen Regelung einer Ablaufshemmung im aufgehobenen Art. 139 OR ergibt sich zum einen, dass auch schuldhaft eingetretene
Umstände eine Ablaufshemmung rechtfertigen können386. Der Gläubiger
muss also nicht zwingend ohne eigenes Verschulden gehindert sein, seine
Forderung geltend zu machen (anders demgegenüber noch die Entwürfe
zum OR). Zum anderen ergibt sich aus dem Zweck der Ablaufshemmung
die Voraussetzung, dass der Gläubiger jeweils darauf vertrauen durfte, die
Verjährung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt unterbrechen zu können.
Dazu ist es i.d.R. nicht ausreichend, wenn der Umstand lediglich ungewöhnlich war, da dem Gläubiger ansonsten der Vorwurf gemacht werden
kann, er hätte auch mit dem Ungewöhnlichen rechnen und die Verjährung
schon früher unterbrechen müssen. Es ist deshalb zusätzlich erforderlich,
dass es sich um ein unvorhersehbares Ereignis handelt.
4. Im Folgenden sollen zwei Tatbestände der Ablaufshemmung genauer
dargestellt werden:
a) Ablaufshemmung bei höherer Gewalt. Wie ausgeführt, rechtfertigt die
subjektive Unmöglichkeit des Gläubigers, die Verjährung zu unterbrechen,
die Hemmung nicht, und zwar unabhängig davon, ob die subjektive Unmöglichkeit auf höherer Gewalt beruht oder nicht (oben S. 76 f.). Allerdings kann die subjektive Unmöglichkeit, wenn sie auf höherer Gewalt be-
383
Vgl. z.B. KOLLER, OR AT, § 70 N 28 ff., 47 ff.
Vgl. SPIRO I, S. 214; KOLLER, OR AT, § 70 N 36.
385
Vgl. z.B. KOLLER, OR AT, § 70 N 36 ff.
386
Art. 139 OR wurde mit der Einführung der E-ZPO aufgehoben. Mit der Streichung
von Art. 139 OR ist der Gesetzgeber jedoch nicht von diesem Grundsatz abgewichen.
Die Streichung ergibt sich lediglich dadurch, dass die Regel von Art. 139 OR inhaltlich Eingang in die E-ZPO gefunden hat. Kritisch zur Aufhebung STACHER/WEHRLI,
S. 92 ff.
384
81
4. Kapitel: Die Verjährungshemmung
ruht und bei Ablauf der Verjährungsfrist noch anhält, zu einer Ablaufshemmung führen (vgl. z.B. auch Art. 14:303 PECL; § 206 BGB)387.
„Als höhere Gewalt wird ein zu grosser Intensität gesteigerter Zufall verstanden.“388 Damit das Erfordernis der höheren Gewalt erfüllt ist, muss das
Ereignis, welches den Gläubiger an der Unterbrechung der Verjährung hindert, unvorhersehbar, aussergewöhnlich und unabwendbar sein (vgl. BGE
102 Ib 257 E. 5 m.w.H.)389. Tritt vor Ablauf der Verjährungsfrist ein solches Ereignis ein, bedeutete dies für den Gläubiger eine ungerechtfertigte
Härte, welche eine Ablaufshemmung rechtfertigt: Ist das Ereignis ungewöhnlich, darf der Gläubiger grundsätzlich darauf vertrauen, die Forderung
bis kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist unterbrechen zu können. Ist das
Ereignis zudem unvorhersehbar, kann vom Gläubiger auch nicht erwartet
werden, dass er die Forderung schon weit vor Ablauf der Verjährungsfrist
hätte unterbrechen sollen, weil er auch mit dem Ungewöhnlichen hätte
rechnen müssen. Ist das Ereignis schlussendlich unabwendbar, konnte er
den Ablauf der Verjährungsfrist nicht verhindern.
Fälle der höheren Gewalt sind nach dem Gesagten eher selten390. Höhere
Gewalt „dürfte nur bei Erdbeben und nicht vorhersehbaren kriegerischen
Ereignissen vorliegen“391.
b) Ablaufshemmung bei rechtsmissbräuchlicher Berufung auf die Verjährungseinrede. Wie gesehen, ist die Verjährung gehemmt, solange der
Schuldner den Gläubiger durch arglistige Täuschung davon abhält, die Verjährung zu unterbrechen (oben S. 78 f.). Wird der Gläubiger demgegenüber
durch eine nicht arglistige Handlung des Schuldners davon abgehalten, die
Verjährung zu unterbrechen, und läuft in der Zwischenzeit die Verjährungsfrist ab, kommt immerhin eine Ablaufshemmung in Betracht; dann nämlich, wenn die Berufung auf die Verjährungseinrede rechtsmissbräuchlich
wäre (Art. 2 Abs. 2 ZGB)392.
387
Vgl. weitere Hinweise bei VON BAR/ZIMMERMANN, S. 769 f. Bei den Tatbeständen
von Art. 14:303 PECL und § 206 BGB handelt es sich freilich um eine Mischung
zwischen einer Ablaufshemmung und einer „normalen“ Hemmung. Es tritt wohl eine
„normale“ Hemmungswirkung ein, aber nur „sofern der Hinderungsgrund innerhalb
der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist entsteht oder fortdauert“ (Art. 14:303
Abs. 2 PECL).
388
ROBERTO, N 183.
389
HONSELL, Haftpflichtrecht, § 3 N 39 f.; REY, Haftpflichtrecht, N 574 ff.
390
ROBERTO, N 183.
391
ROBERTO, N 183. Im Falle von kriegerischen Ereignissen könnte freilich sogar eine
objektive Unmöglichkeit vorliegen, was u.U. eine Hemmung nach Art. 134 Abs. 1
Ziff. 6 OR bewirkte (vgl. oben S. 83).
392
SPIRO I, S. 241; KOLLER, OR AT, § 70 N 41 f.
82
§ 15 Ablaufshemmung
Rechtsmissbräuchlich ist die Berufung auf die Verjährung dann, wenn der
Schuldner „ein Verhalten gezeigt hat, das den Gläubiger bewogen hat, während der Verjährungsfrist rechtliche Schritte zu unterlassen, und das seine
Säumnis auch bei objektiver Betrachtungsweise als verständlich erscheinen
lässt“ (BGE 131 III 430, 437; 89 II 256 E. 4; 69 II 102 E. 4 m.w.H.). Als
eine solche Handlung in Betracht kommt insbesondere das Führen von
Vergleichsverhandlungen über den Ablauf der Verjährungsfrist hinaus.
Führt also der Schuldner in ernsthafter Weise Vergleichsverhandlungen
über den Ablauf der Verjährungsfrist hinaus, erscheint die Berufung auf die
Verjährungseinrede rechtsmissbräuchlich (AGVE 1973, S. 34 ff.; vgl. BGE
88 I 190 E. 4b für Verwirkungsfristen). Es ist daher in solchen Fällen eine
Ablaufshemmung anzunehmen (so z.B. auch Art. 14:304 PECL)393.
393
Gl.M. SPIRO I, S. 245 ff.; SPIRO, Mélanges Assista, S. 221 f.; KOLLER, HVT 1993,
S. 25 f.; KOLLER, OR AT, § 70 N 44. Offengelassen in ZWR 1990, S. 273 f. und BJM
1971, S. 284 f. Dass der Gläubiger in solchen Fällen durch eine Ablaufshemmung geschützt werden muss, ist in Österreich und Deutschland weitgehend anerkannt (für
Österreich z.B. OGH SZ 1975 Nr. 33; für Deutschland z.B. BGHZ 93, 64; weitere
Hinweise bei VON BAR/ZIMMERMANN, S. 771 f.).
83
5. Kapitel:
Die Verjährungsunterbrechung
§ 16. Unterbrechungshandlungen des Gläubigers
Die Unterbrechungshandlungen des Gläubigers sind insbesondere in
Art. 135 Ziff. 2 und 138 Abs. 1 und 2 OR geregelt. Im Folgenden ist zunächst aufzuzeigen, dass die gesetzliche Aufzählung der Unterbrechungshandlungen des Gläubigers nicht abschliessend ist, sondern jede rechtliche
Geltendmachung der Schadenersatzforderung unterbrechende Wirkung hat
(I.). Danach sind die wichtigsten Unterbrechungshandlungen des Gläubigers im Einzelnen darzulegen (II.). Schlussendlich ist auf einige Einzelfragen einzugehen (III.).
I.
Jede rechtliche Geltendmachung der Forderung als
Unterbrechungshandlung
Das Gesetz sieht insbesondere in Art. 135 Ziff. 2 OR sowie in Art. 138
Abs. 2 OR Unterbrechungshandlungen des Gläubigers vor. Die gesetzliche
Aufzählung ist insofern abschliessend, als die Parteien grundsätzlich keine
weiteren Unterbrechungsgründe vereinbaren können (BGE 132 V 404
E. 4.1 = Pra 2007 Nr. 145)394. Dennoch handelt es sich dabei nicht um
sämtliche Unterbrechungshandlungen des Gläubigers. „Überblickt man die
möglichen Unterbrechungshandlungen des Gläubigers, so ergibt sich, dass
nach Sinn und Zweck des Gesetzes jede rechtliche Geltendmachung der
Forderung durch den Gläubiger verjährungsunterbrechende Wirkung haben
soll.“395 Dazu Folgendes:
1. Rechtfertigung der Unterbrechungshandlungen des Gläubigers. Die
Verjährungszwecke verlieren an Bedeutung, wenn der Gläubiger seine behaupteten Rechte auf qualifizierte Weise geltend macht396. So müssen mit
der Geltendmachung allfällige Beweise gesichert werden, was vor Beweisnot schützt. Zudem kann dem Gläubiger, der dem Schuldner seinen Rechtsverfolgungswillen kundtut, kein widersprüchliches Verhalten vorgeworfen
394
CHK/KILLIAS, N 2 zu Art. 135 OR; ZK/BERTI, N 180 f. zu Art. 135 OR.
KOLLER, OR AT, § 69 N 13 f.; vgl. auch CHK/KILLIAS, N 34 zu Art. 135 OR;
BK/BECKER, N 12, 20 zu Art. 135 OR; vgl. zudem die unter Ziff. 2 aufgeführte
Rechtsprechung.
396
SPIRO I, S. 286; Staudinger/PETERS (2001), N 1 zu § 209 a.F. BGB.
395
84
§ 16 Unterbrechungshandlungen des Gläubigers
werden. Schlussendlich wird durch die Geltendmachung Klarheit bezüglich
der Rechtslage geschaffen, was im Interesse des Rechtsverkehrs liegt. Die
Unterbrechungswirkung ist daher gerechtfertigt. An die Geltendmachung
sind freilich gewisse (strenge) Anforderungen zu stellen.
2. Diese Rechtfertigung kommt nicht nur in dem vom Gesetz in Art. 135
Ziff. 2 und 138 Abs. 2 OR ausdrücklich genannten Fällen zum Tragen,
sondern bei jeder rechtlichen Geltendmachung der Forderung397. Vorausgesetzt ist also zweierlei: Es muss erstens eine rechtliche Handlung sein
(a.), die zweitens auf Durchsetzung des Anspruchs gerichtet ist (b.).
a) Rechtlich ist eine Unterbrechungshandlung dann, wenn der Gläubiger für
die Durchsetzung seiner Forderung „den staatlichen Zwangsapparat in Anspruch“398 nimmt. Der Grund für das Erfordernis einer rechtlichen Handlung ist darin zu sehen, dass i.d.R. lediglich bei Inanspruchnahme des staatlichen Zwangsapparates die notwendige Rechtssicherheit geschaffen wird,
welche die Unterbrechungswirkung rechtfertigt399: Die Unterbrechungswirkung rechtfertigt sich nur dann, wenn der Schuldner gewarnt ist, „dass von
ihm jetzt die Abwehr der Forderung erwartet wird“400. An eine solche Warnung sind allerdings gewisse formale Anforderungen zu stellen. Würde jede
noch so beiläufige Erwähnung des Gläubigers, er halte an einer Forderung
fest, eine Verjährungsunterbrechung bewirken, wäre der Schuldner nur unzureichend geschützt; die Unterbrechungswirkung könnte nicht gerechtfertigt werden.
Aus diesem Grund haben beispielsweise auch Arrestbegehren verjährungsunterbrechende Wirkung (BGE 41 III 315), obwohl sie nicht ausdrücklich
vom Gesetz genannt werden401. Keine verjährungsunterbrechende Wirkung
haben demgegenüber rein privatrechtliche Massnahmen, wie beispielsweise
eine Mahnung (BJM 1966, S. 235), eine blosse Mitteilung, man halte an der
Forderung fest (vgl. demgegenüber BGE 4C.9/1998 E. 4c)402 oder eine (erlaubte) Selbsthilfe403.
397
Vgl. z.B. KOLLER, OR AT, § 69 N 13; BK/BECKER, N 12 zu Art. 135 OR.
GAUCH/SCHLUEP/EMMENEGGER, N 3344.
399
Vgl. BSK/DÄPPEN, N 5 zu Art. 135 OR.
400
Staudinger/PETERS (2001), N 1 zu § 209 a.F. BGB.
401
KOLLER, OR AT, § 69 N 14; vgl. auch SPIRO I, S. 298 ff. für weitere Unterbrechungshandlungen.
402
ZK/BERTI, N 42 zu Art. 135 OR; BSK/DÄPPEN, N 5 zu Art. 135 OR; BK/BECKER,
N 20 zu Art. 135 OR.
403
BSK/DÄPPEN, N 5 zu Art. 135; ZK/BERTI, N 43 zu Art. 135 OR.
398
85
5. Kapitel: Die Verjährungsunterbrechung
b) Zudem müssen solche Massnahmen, damit ihnen unterbrechende Wirkung zukommt, auf die Geltendmachung, also die Durchsetzung der Forderung, gerichtet sein404. Denn nur wenn eine Massnahme auf Durchsetzung
des Anspruches gerichtet ist, wird die notwendige Klarheit bezüglich eines
geltend gemachten Anspruchs geschaffen und damit den Bedürfnissen des
Rechtsverkehrs Rechnung getragen. Keine verjährungsunterbrechende
Wirkung hat daher beispielsweise eine vorsorgliche Beweisaufnahme (BGE
131 III 61 E. 3.1.2 = Pra 2005 Nr. 121).
3. Parteivereinbarungen, die eine Unterbrechungshandlung nach
Art. 135 Ziff. 2 OR ersetzen sollen. Wie bereits erwähnt, sind die Unterbrechungsgründe nach Rechtsprechung und Lehre insofern abschliessend,
als die Parteien weder weitere Unterbrechungsgründe vereinbaren, noch eine Unterbrechungswirkung unmittelbar mittels Vereinbarung herbeiführen
können. Dies ist nach der hier vertretenen Ansicht grundsätzlich richtig, da
anderenfalls den Verjährungszwecken, insbesondere dem Schuldnerschutz
sowie dem Schutz des Rechtsverkehrs, nur ungenügend Rechnung getragen
würde: Auf der einen Seite besteht die Gefahr, dass solche Unterbrechungsvereinbarungen zur beiläufigen und wenig beachteten Floskel werden405. In solchen Fällen ist aber der Schuldner nicht gewarnt, dass von ihm
jetzt die Abwehr der Forderung erwartet wird. Auf der anderen Seite besteht Gefahr, dass durch solche Vereinbarungen die Klärung der Rechtslage
weiter aufgeschoben wird, was den Interessen des Rechtsverkehrs zuwiderläuft.
Eine Ausnahme ist jedoch dann zu machen, wenn eine Parteivereinbarung
mit dem ausschliesslichen Zweck geschlossen wurde, eine Unterbrechungshandlung nach Art. 135 Ziff. 2 OR zu ersetzen406. Solchen Vereinbarungen kann nach der hier vertretenen Ansicht eine Unterbrechungswirkung
zukommen, und zwar unabhängig davon, was konkret vereinbart wurde. Es
kann daher nicht nur einer eigentlichen Unterbrechungsvereinbarung, sondern auch einer (im Anwendungsbereich von Art. 129 und 141 Abs. 1 OR
unzulässigen) Verlängerungs- oder Verzichtsvereinbarung, verjährungsunterbrechende Wirkung zukommen (vgl. bereits oben S. 68), sofern sie mit
dem einzigen Zweck geschlossen wurde, eine Unterbrechungshandlung
nach Art. 135 Ziff. 2 OR zu ersetzen. Dies ergibt sich deshalb, weil eine
solche Vereinbarung in ihrer Wirkung einer rechtlichen Geltendmachung
der Forderung entspricht407:
404
KOLLER, OR AT, § 69 N 14.
Vgl. SPIRO I, S. 847 ff.
406
Vgl. auch KESSLER, S. 90.
407
Vgl. auch BUCHER (OR AT, S. 448), der allerdings eine Unterbrechung im Sinne von
405
86
§ 16 Unterbrechungshandlungen des Gläubigers
Zum einen handelt es sich zwar nicht um eine Geltendmachung mittels Inanspruchnahme des staatlichen Zwangsapparates, doch genügt eine solche
Geltendmachung dennoch den Anforderungen an die Rechtssicherheit: Da
es sich um ein zweiseitiges Geschäft handelt, besteht nicht wie bei einer
einseitigen privatrechtlichen Massnahme des Gläubigers, z.B. einer Mahnung (vgl. BJM 1966, S. 235), die Gefahr, dass dem Schuldner bei jeder
noch so beiläufigen Bemerkung bezüglich einer (angeblichen) Forderung
unterstellt wird, er hätte gewarnt sein müssen und Beweise sichern sollen.
Es besteht aber auch nicht die Gefahr, dass eine solche Vereinbarung zu einer wenig beachteten Floskel verkommt, die den Schuldner nur ungenügend warnt408. Einer Vereinbarung, die mit dem einzigen Zweck geschlossen wird, eine Unterbrechungshandlung nach Art. 135 Ziff. 2 OR zu vermeiden, geht immer eine ernsthafte Androhung einer solchen Zwangsmassnahme durch den Gläubiger voraus. Nur aufgrund dieser Drohung wird
überhaupt eine solche Vereinbarung geschlossen. Es handelt sich daher
nicht um eine „schonendere“409 oder „mildere“410 Unterbrechungshandlung.
Dem Gläubiger muss im selben Masse wie bei einer rechtlichen Geltendmachung bewusst sein, dass von ihm jetzt die Abwehr der Forderung erwartet wird und er daher Beweise sichern muss. Dem Verjährungszweck
des Schuldnerschutzes wird daher in demselben Masse Rechnung getragen.
Zum anderen sind solche Vereinbarungen immer auch auf Durchsetzung
des Anspruchs gerichtet, da sie an die Stelle einer Unterbrechungshandlung
nach Art. 135 Ziff. 2 OR treten. Ziel einer solchen Vereinbarung ist es, anders als durch die Möglichkeiten von Art. 135 Ziff. 2 OR, Klärung bezüglich Bestand und Umfang einer Forderung zu erhalten, weshalb durch eine
entsprechende Vereinbarung auch die Interessen des Rechtsverkehrs ausreichend gewahrt sind.
Insgesamt kann also festgehalten werden, dass durch eine Parteivereinbarung, die mit dem einzigen Zweck geschlossen wurde, eine Zwangsmassnahme nach Art. 135 Ziff. 2 OR zu ersetzen, die Verjährungszwecke im
selben Masse gesichert werden, wie bei einer rechtlichen Geltendmachung
der Schadenersatzforderung. Es ist daher gerechtfertigt, auch solchen Vereinbarungen verjährungsunterbrechende Wirkung zukommen zu lassen.
Art. 135 Ziff. 1 OR annimmt. Diese Ansicht ist jedoch problematisch, wird doch bei
solchen Vereinbarungen i.d.R. ausdrücklich erwähnt, sie gelte nicht als Schuldanerkennung.
408
Vgl. SPIRO I, S. 847 ff.
409
Vgl. BERTI, Die Verjährung vertraglicher Schadenersatzforderungen, S. 25.
410
Vgl. BSK/DÄPPEN, N 5 zu Art. 135 OR.
87
5. Kapitel: Die Verjährungsunterbrechung
II. Einzelne Unterbrechungshandlungen des Gläubigers
1. Eine zentrale Unterbrechungshandlung stellt die Klage dar. Damit ist jede prozesseinleitende oder vorbereitende Handlung gemeint, mit welcher
der Gläubiger zum ersten Mal in der gesetzlich vorgeschriebenen Form den
Schutz des Richters anruft (BGE 42 II 98 E. 4; 101 II 77 E. 2a; 118 II 479
E. 3)411. Als Klage i.S.v. Art. 135 Ziff. 2 OR gilt auch eine Feststellungsklage. Eine solche Klage auf Feststellung der grundsätzlichen Schadenersatzpflicht unterbricht die Verjährung in Bezug auf die ganze Ersatzleistung, deren Umfang sich erst später ergibt (BGE 119 II 339 E. 1.c.aa = Pra
1994 Nr. 138; BGE 133 III 675 E. 2.3.2 = Pra 2008 Nr. 65)412, was im
Rahmen der Schadenseinheit von besonderer Bedeutung ist. Voraussetzung
ist, dass die Klage beim zuständigen Richter (BGE 130 III 202 E. 3.2 = Pra
2004 Nr. 161) und in der vorausgesetzten Form (BGE 85 II 504 E. 3b) eingereicht wird413.
2. Unterbrechung durch Schlichtungsgesuch. Der „amtliche Sühneversuch“ (Art. 135 Ziff. 2 a.F. OR) stellte bereits vor Inkrafttreten der E-ZPO
einen Begriff des Bundesrechts und nicht des kantonalen Zivilprozessrechts
dar (BGE 4C.218/2003 E. 3.3)414. Allerdings bestimmte das kantonale Zivilprozessrecht, wann die Durchführung eines Sühneversuchs erforderlich
bzw. zulässig war (vgl. z.B. Art. 134 ff. ZPO-SG)415. Die E-ZPO sieht neu
in den Art. 197 ff. ein Schlichtungsverfahren vor. Entsprechend wurde mit
Inkrafttreten der E-ZPO die „Ladung zu einem amtlichen Sühneversuch“
als Unterbrechungshandlung durch das „Schlichtungsgesuch“ ersetzt.
3. Gemäss altem Art. 138 Abs. 1 OR wurde die Verjährung während dem
Prozess mit „jeder gerichtlichen Handlung der Parteien und mit jeder Verfügung oder Entscheidung des Richters“ unterbrochen. Da die Rechtshängigkeit eines Verfahrens die Verjährung nicht hemmt, war es nach altem
Recht möglich, dass eine Forderung während der Rechtshängigkeit verjährt
(vgl. z.B. BGE 123 III 213 E. 3 m.w.H.)416. Diesen Unterbrechungshandlungen kam daher eine wichtige Bedeutung zu. Mit der E-ZPO wurde
411
KOLLER, OR AT, § 69 N 39; BSK/DÄPPEN, N 7 zu Art. 135 OR.
SPIRO I, S. 395; ZK/BERTI, N 172 zu Art. 135 OR; BSK/DÄPPEN, N 20 zu Art. 135
OR; GRÄMIGER, S. 25.
413
KOLLER, OR AT, § 69 N 42 ff.; BSK/DÄPPEN, N 7 zu Art. 135 OR; ZK/BERTI,
N 70 ff. zu Art. 135 OR.
414
ZK/BERTI, N 45 zu Art. 135 OR; BSK/DÄPPEN, N 17 zu Art. 135 OR.
415
ZK/BERTI, N 45 zu Art. 135 OR.
416
Vgl. z.B. KOLLER, OR AT, § 69 N 16. In anderen Rechtsordnungen ist der Lauf der
Verjährung demgegenüber während eines gerichtlichen Verfahrens gehemmt (vgl.
z.B. Art. 14:302 PECL).
412
88
§ 16 Unterbrechungshandlungen des Gläubigers
Art. 138 Abs. 1 OR dahingehend abgeändert, dass die durch Schlichtungsgesuch, Klage oder Einrede unterbrochene Verjährung erst von Neuem zu
laufen beginnt, „wenn der Rechtsstreit vor der befassten Instanz abgeschlossen ist“. Für Unterbrechungshandlungen während dem Prozess bestand damit kein Bedürfnis mehr.
III. Einzelfragen
1. Die Unterbrechungshandlung muss nicht vom Gläubiger vorgenommen werden. Nach einer wörtlichen Auslegung des französischen Gesetzestextes ergibt sich, dass die Geltendmachung durch den Gläubiger zu erfolgen hat („lorsque le créancier fait valoir ses droits“). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist dies jedoch kein Erfordernis für eine Unterbrechungswirkung (BGE 4C.363/2006 E. 4.2; BGE 4C.185/2005). Dies ist
nach der hier vertretenen Ansicht richtig, denn für ein solches Erfordernis
besteht dann kein Bedürfnis, wenn „der Schuldner nach dem Vertrauensprinzip erkennen kann, um welche Forderung es geht“ (BGE 4C.363/2006
E. 4.2). „Auch in diesem Fall hat der Schuldner nämlich die Möglichkeit,
sich auf die Situation einzustellen [...].“ (BGE 4C.185/2005 E. 3.2).
2. Gelegentlich wird ausgeführt, die Unterbrechungshandlungen des Gläubigers erforderten kein Zutun der Behörde, insbesondere keine Mitteilung an den Schuldner (z.B. BGE 114 II 261)417. Die Unterbrechung
rechtfertigt sich allerdings erst dann, wenn der Schuldner von der qualifizierten Geltendmachung Kenntnis hat. Denn erst mit Kenntnis der Unterbrechungshandlung ist der Schuldner gewarnt, dass von ihm die Abwehr
der Forderung erwartet wird und er daher allfällige Beweise sichern muss,
was die Unterbrechungswirkung überhaupt erst rechtfertigt. Die Möglichkeit der Kenntnisnahme der rechtlichen Geltendmachung der Forderung
durch den Schuldner sollte daher Voraussetzung für die Unterbrechungswirkung sein. Nur so kann auch die soeben erwähnte Rechtsprechung erklärt werden, wonach der Schuldner für eine Unterbrechungswirkung nach
dem Vertrauensprinzip erkennen können muss, um welche Forderung es
geht. Infolgedessen sind die Unterbrechungshandlungen des Schuldners
nach der hier vertretenen Ansicht u.U. von einem Zutun der Behörde – insbesondere einer Mitteilung an den Schuldner – abhängig.
417
Z.B. BSK/DÄPPEN, N 5 zu Art. 135 OR.
89
5. Kapitel: Die Verjährungsunterbrechung
§ 17. Unterbrechungshandlungen des Schuldners
1. Die Verjährung wird „durch Anerkennung der Forderung von seiten
des Schuldners“ (Art. 135 Ziff. 1 OR) unterbrochen418. Diesem Unterbrechungsgrund liegt der Gedanke zugrunde, dass ein wesentlicher Verjährungszweck, nämlich der Schutz des (angeblichen) Schuldners vor Beweisnot, bei Anerkennung der Schuld wegfällt419. Dazu folgende Präzisierungen:
a) Auf welche Schuld sich die Anerkennung bezieht und wie weit die Anerkennung geht, ist eine Auslegungsfrage420. Es gilt somit das Vertrauensprinzip, wenn der Gläubiger den Anerkenntiswillen nicht richtig erkannt
hat421.
b) Umstritten ist, ob lediglich eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung
oder auch eine blosse Wissensmitteilung die Verjährung zu unterbrechen
vermag422. Eine rechtsgeschäftliche Erklärung liegt dann vor, wenn sie auf
die Herbeiführung von Rechtsfolgen (z.B. eine Verjährungsunterbrechung)
gerichtet ist. Demgegenüber liegt eine Wissensmitteilung vor, wenn der
Schuldner lediglich mitteilt, er halte sich in einem bestimmten Umfang
verpflichtet423. Ob das eine oder das andere vorliegt, ist mittels Auslegung
zu ermitteln424.
Nach Ansicht des Bundesgerichts reicht eine blosse Wissensmitteilung für
eine Verjährungsunterbrechung (vgl. z.B. BGE 57 II 583; 119 II 368
E. 7b)425. Erforderlich ist lediglich, dass sich der Schuldner der Forderung
bewusst ist und dieses Bewusstsein zum Ausdruck bringt. Dementsprechend setzt „eine Anerkennungshandlung nach Art. 135 Ziff. 1 OR [...] keinen auf Unterbrechung der Verjährung gerichteten Willen“ voraus (BGE
134 III 591, 594).
2. Im Verlauf des Rechtstreites stellen Betreibungsakte des Schuldners
Unterbrechungshandlungen dar (Art. 138 Abs. 2 OR). Ein Betreibungsakt
418
Vgl. dazu ausführlich KRAUSKOPF, Schuldanerkennung, N 275 ff.
KRAUSKOPF, Schuldanerkennung, N 277.
420
KOLLER, OR AT, § 69 N 70; ZK/BERTI, N 173 zu Art. 135 OR; BSK/DÄPPEN, N 20a
zu Art. 135 OR.
421
KOLLER, OR AT, § 69 N 70.
422
Vgl. SPIRO I, S. 351 f. Fn 2 und 3.
423
KOLLER, OR AT, § 24 N 9 ff.
424
KOLLER, OR AT, § 24 N 16.
425
Gl.M. KRAUSKOPF, Schuldanerkennung, N 279; KOLLER, OR AT, § 69 N 71;
ZK/BERTI, N 13 ff. zu Art. 135 OR; BSK/DÄPPEN, N 2 zu Art. 135 OR; a.A.
BK/BECKER, N 2 zu Art. 135 OR.
419
90
§ 18 Wirkungen der Unterbrechung
des Schuldners stellt beispielsweise der Rechtsvorschlag dar. Dennoch soll
gemäss Bundesgericht dem Rechtsvorschlag keine verjährungsunterbrechende Wirkung zukommen (BGE 81 II 135 E.1 = Pra 1955 Nr. 164). Dieser Schluss ergibt sich jedoch weder aus dem Wortlaut, noch besteht ein
Grund für eine solche Ungleichbehandlung426.
§ 18. Wirkungen der Unterbrechung
Die Wirkung der Verjährungsunterbrechung ist in Art. 137 f. OR und verschiedenen Sonderbestimmungen geregelt. Wie bereits erwähnt, beginnt
mit der Unterbrechung eine neue Verjährungsfrist zu laufen. Es stellt sich
daher die Frage nach dem Umfang der Unterbrechungswirkung (I.), nach
dem Beginn des neuen Fristenlaufs (II.) und der Dauer der neuen Verjährungsfrist (III.). Ein Sonderproblem der Unterbrechungswirkung, das in
Art. 136 OR eine spezielle Regelung erfahren hat, stellt die Wirkung der
Unterbrechung bei der Solidarschuld dar. Diesbezüglich kann auf das oben
in S. 50 f. Gesagte verwiesen werden.
I.
Umfang der Unterbrechung
Eine Unterbrechungshandlung wirkt nur gegenüber jenen Forderungen,
hinsichtlich welcher die Unterbrechung stattgefunden hat (vgl. BGE 133 III
675 E. 2.3.2 = Pra 2008 Nr. 65)427. Bei einer Feststellungsklage wird die
Verjährung in Bezug auf die ganze Ersatzleistung, deren Umfang sich erst
später ergibt, unterbrochen (BGE 119 II 339 E. 1.c.aa = Pra 1994 Nr. 138;
BGE 133 III 675 E. 2.3.2 = Pra 2008 Nr. 65)428. Bezüglich sog. „genetisch
akzessorischen Nebenrechten“429 (Ziff. 1), Forderungen, die zueinander in
Anspruchskonkurrenz stehen (Ziff. 2), sowie Unterbrechungshandlungen
im Rahmen von Art. 136 OR (Ziff. 3), sind Präzisierungen zu machen:
1. Bei genetisch akzessorischen Nebenrechten besteht zwischen dem
Hauptanspruch und dem Nebenrecht eine Akzessorietät in dem Sinne, dass
das Nebenrecht „in seiner Entstehung vom Bestand der Forderung abhängig
426
KOLLER, OR AT, § 69 N 17; SPIRO I, S. 348 Fn 29.
KOLLER, OR AT, § 69 N 23 f.; SPIRO I, S. 395 f., 411.
428
SPIRO I, S. 395; ZK/BERTI, N 172 zu Art. 135 OR; BSK/DÄPPEN, N 20 zu Art. 135
OR; GRÄMIGER, S. 25..
429
VON BÜREN, S. 500.
427
91
5. Kapitel: Die Verjährungsunterbrechung
ist“430. „Aber mit dieser genetischen Verknüpfung ist die Abhängigkeit erschöpft.“431
Es handelt sich also um zwei selbständige Ansprüche, weshalb die Geltendmachung des Hauptanspruchs (als Unterbrechungshandlung des Gläubigers) nicht auch die akzessorischen Nebenansprüche umfasst432, und die
Geltendmachung des Nebenanspruchs nicht auch den Hauptanspruch (BGE
4C.139/2006 E. 2.2433)434. Aus diesem Grund ergeben sich für den Fall,
dass der Gläubiger eine Unterbrechungshandlung vornimmt, keine Besonderheiten bei genetisch akzessorischen Nebenrechten435.
Demgegenüber bewirken Unterbrechungshandlungen des Schuldners bezüglich des Hauptanspruchs grundsätzlich auch eine Unterbrechung der
Verjährung der Nebenansprüche und umgekehrt436: Der Schuldner kann die
Verjährung durch Anerkennung der Forderung unterbrechen. In diesem Fall
ist mittels Auslegung der Anerkennungshandlung zu ermitteln, ob die akzessorische Nebenforderung von der Anerkennung – und damit von der Unterbrechung – erfasst ist oder nicht (vgl. oben S. 90)437. In der Regel ist anzunehmen, dass auch die Nebenforderung von der Unterbrechung erfasst
ist, denn wer die Hauptforderung anerkennt, anerkennt grundsätzlich auch
ein allfälliges Nebenrecht, da dieses „in seiner Entstehung [einzig] vom Bestand der [Haupt-]Forderung abhängig ist“438. Umgekehrt bewirkt eine Unterbrechungshandlung bezüglich eines Nebenanspruchs immer auch die
Unterbrechung des Hauptanspruchs, denn der Nebenanspruch kann nie isoliert anerkannt werden. Das Gesetz hat dies für einen Fall ausdrücklich vorgesehen: Anerkennt der Schuldner seine Nebenforderung, indem er eine
Zinszahlung tätigt, wird gleichzeitig die Hauptforderung unterbrochen
(Art. 135 Ziff. 1 OR).
430
SCHÖBI, S. 11.
VON BÜREN, S. 500; vgl. auch ZK/AEPLI, N 20 zu Art. 114 OR.
432
Vgl. FRANK/STRÄULI/MESSMER: „Ohne Antrag des Klägers können auch keine Nebenansprüche wie Zinsen oder Kosten zugesprochen werden.“ (N 17 zu § 54 ZPOZH).
433
Das Bundesgericht hat in BGE 4C.139/2006 ausgeführt: „Verjährungsunterbrechend
wirkt die Klage auf Leistung einer fälligen Zinsforderung nur für diese, nicht auch für
das Kapital, wie die Vorinstanz zutreffend darlegt.“ (E. 2.2).
434
A.A. SPIRO I, S. 396 f.
435
Vgl. SCHÖBI, S. 96; ZK/BERTI, N 173 zu Art. 135 OR; BSK/DÄPPEN, N 20a zu
Art. 135 OR.
436
SPIRO I, S. 412.
437
Vgl. KOLLER, OR AT, § 69 N 70; ZK/BERTI, N 173 zu Art. 135 OR; BSK/DÄPPEN,
N 20a zu Art. 135 OR.
438
SCHÖBI, S. 11.
431
92
§ 18 Wirkungen der Unterbrechung
2. Anspruchskonkurrenz besteht, wenn ein bestimmter Schaden unter
verschiedenen Titeln ersatzfähig ist439. Konkurrierende Ansprüche decken
sich also in ihrem Inhalt440. Bezieht sich daher eine Unterbrechungshandlung lediglich auf den Inhalt des Anspruchs – den Schaden – und nicht auf
eine konkrete Anspruchsgrundlage, umfasst die Unterbrechung grundsätzlich sämtliche konkurrierenden Forderungen (vgl. BGE 96 II 181 E. 3b =
Pra 1970 Nr. 160)441.
Bei Unterbrechungshandlungen des Schuldners ergibt sich mittels Auslegung der Anerkennung, hinsichtlich welcher Forderungen die Unterbrechung gilt. Es ist z.B. möglich, dass sich eine Schuldanerkennung nur auf
eine deliktische, nicht auch auf eine vertragliche Haftung, bezieht442.
Unterbrechungshandlungen des Gläubigers sind demgegenüber grundsätzlich von der Anspruchsgrundlage unabhängig. Wird die Verjährung durch
eine Schuldbetreibung, eine Eingabe im Konkurs oder ein Schlichtungsgesuch unterbrochen, bezieht sich die Unterbrechungshandlung regelmässig
auf den Inhalt und nicht die Anspruchsgrundlage443. Die Angabe einer Anspruchsgrundlage kann bei diesen Unterbrechungshandlungen auch nicht
verlangt werden, „werden sie doch oft von Laien verfasst und sind auch
dem Juristen nicht ohne weiteres weitausgreifende Vorbereitungen und Abklärungen zuzumuten“444. Der Gläubiger ist daher beispielsweise nicht verpflichtet, „im Betreibungsbegehren den Titel anzugeben, kraft dessen die
Forderung fällig ist“ (BGE 95 III 33, Regeste). Bei einer Klage ergibt sich
dasselbe aufgrund des Grundsatzes der richterlichen Rechtsanwendung (iura novit curia)445. „In diesem Rahmen hat der Richter zu prüfen, ob sich die
geltend gemachte Forderung aufgrund der behaupteten Tatsachen auf eine
andere Rechtsgrundlage stützen lässt, wenn die vorgetragene Rechtsgrundlage nicht zum Erfolg führt: So ist zum Beispiel die unerlaubte Handlung
zu prüfen, wenn eine behauptete Vertragsverletzung nicht gegeben ist
[...].“446 Einer allfälligen Beschränkung auf eine bestimmte Anspruchsgrundlage kommt daher keine Bedeutung zu.
439
KOLLER, OR AT, § 47 N 6.
VON TUHR/ESCHER, S. 109.
441
KOLLER, OR AT, § 69 N 24; vgl. ZK/BERTI, N 171 zu Art. 135 OR.
442
KOLLER, OR AT, § 69 N 24.
443
SPIRO I, S. 401 f.
444
SPIRO I, S. 402.
445
ZK/BERTI, N 171 zu Art. 135 OR. Vgl. zum Grundsatz „iura novit curia“ VOGEL/SPÜHLER, 6 N 59 ff.; GULDENER, S. 155 ff.
446
LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, N 2b zu Art. 78 ZPO-SG.
440
93
5. Kapitel: Die Verjährungsunterbrechung
3. Schlussendlich gilt der Grundsatz, dass eine Unterbrechungshandlung
nur gegenüber jenen Forderungen wirkt, hinsichtlich welcher die Unterbrechung stattgefunden hat, im Anwendungsbereich von Art. 136 OR nicht
(vgl. dazu oben S. 45 f.).
II. Beginn des Fristenlaufs
Der Beginn des neuen Fristenlaufs ist primär in Art. 138 OR geregelt447.
Dazu Folgendes:
1. Art. 138 Abs. 1 OR. Nach altem Recht hat die Verjährungsfrist grundsätzlich am Tag nach der Vornahme der Unterbrechungshandlung zu laufen
begonnen (Art. 132 Abs. 1 OR)448. So z.B. bei der Unterbrechung durch
Klage oder Einrede. Mit der E-ZPO wurde Art. 138 Abs. 1 OR dahingehend abgeändert, dass die durch Schlichtungsgesuch, Klage oder Einrede
unterbrochene Verjährung erst dann von Neuem zu laufen beginnt, „wenn
der Rechtsstreit vor der befassten Instanz abgeschlossen ist“. Dadurch wurde die frühere Gefahr, dass eine Forderung während der Rechtshängigkeit
mangels Hemmung verjährt (vgl. z.B. BGE 123 III 213 E. 3 m.w.H.)449, beseitigt. Es bestand auch kein Bedürfnis mehr für die früher in Art. 138
Abs. 1 OR enthaltenen Unterbrechungshandlungen während dem Prozess,
die mit der Einführung der E-ZPO gestrichen wurden. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Lösung nicht zu einer gewissen „überschiessenden Wirkung“ führt und daher eine Hemmung während der Rechtshängigkeit de lege ferenda vorzuziehen gewesen wäre450.
2. Anerkennung unter Abwesenden. Gemäss Bundesgericht ist für die
Unterbrechungswirkung im Rahmen einer Anerkennungshandlung nach
Art. 135 Ziff. 1 OR nicht erforderlich, dass der Schuldner einen tatsächlichen Annerkennungs- bzw. Unterbrechungswille hat. „Als Anerkennung
mit Unterbrechungswirkung gilt jedes Verhalten des Schuldners, das vom
Gläubiger nach Treu und Glauben im Verkehr als Bestätigung seiner rechtlichen Verpflichtung aufgefasst werden darf.“ (BGE 134 III 591 594; BGE
119 III 368 E. 7b; BGE 4A_276/2008, E. 4)451. Dies bedeutet aber umge447
ZK/BERTI, N 166 zu Art. 135 OR; SPIRO I, S. 377 ff.; KOLLER, OR AT, § 69 N 30.
ZK/BERTI, N 166 zu Art. 135 OR; SPIRO I, S. 377 ff.; KOLLER, OR AT, § 69 N 30.
449
Vgl. z.B. KOLLER, OR AT, § 69 N 16. In anderen Rechtsordnungen ist der Lauf der
Verjährung demgegenüber während eines gerichtlichen Verfahrens gehemmt (vgl.
z.B. Art. 14:302 PECL).
450
Vgl. z.B. Staudinger/PETERS/JACOBY, N 2 zu § 204 BGB; VON BAR/ZIMMERMANN,
S. 763 f.
451
Es kann daher auch einer blossen Wissensmitteilung verjährungsunterbrechende Wir448
94
§ 18 Wirkungen der Unterbrechung
kehrt, dass die Anerkennung ihre Unterbrechungswirkung nur dann entfalten kann, wenn sie zur Kenntnis des Gläubigers gelangt452. Der Zeitpunkt
des Wirksamwerdens der Unterbrechungshandlung wird demgegenüber auf
den Zeitpunkt der Äusserung der Anerkennung – bzw. den Tag danach
(vgl. Art. 132 Abs. 1 OR) – zurückbezogen453.
Dies ist nach der hier vertretenen Ansicht richtig: Dadurch werden auf der
einen Seite die Interessen des Gläubigers gewahrt, ohne dass auf der anderen Seite der Schuldner benachteiligt wird454. Denn der Schuldner hat die
Forderung für den Zeitpunkt, in dem er die Erklärung abgegeben hat, anerkannt, und nicht erst für den späteren (zufälligen) Zeitpunkt, in dem der
Gläubiger von der Anerkennung Kenntnis erhält455.
3. Unterbrechung durch den Gläubiger. Im Gegensatz zu den Unterbrechungshandlungen des Schuldners ist bei jenen des Gläubigers für deren
Wirksamkeit gemäss Rechtsprechung (BGE 2C_426/2008 E. 6.6.1; 114 II
261) und einem Teil der Lehre456 nicht erforderlich, dass der Schuldner davon Kenntnis erlangt. Die Unterbrechungswirkung tritt daher nach dieser
Ansicht bereits mit der Postaufgabe (z.B. des Schlichtungsgesuchs) ein
(vgl. z.B. BGE 132 V 404 E. 4.1 = Pra 2007 Nr. 145; 2C_426/2008
E. 6.6.1; 4C.218/2003 E. 3.3; 114 II 261)457.
„Das ist nicht unbedenklich.“458 Die Unterbrechungswirkung rechtfertigt
sich nur dann, wenn der Schuldner gewarnt ist, „dass von ihm jetzt die Abwehr der Forderung erwartet wird“459, und er daher Beweismittel sichern
kann. Dies ist erst mit Kenntnis der Geltendmachung der Fall. Nur so kann
auch die Rechtsprechung, wonach es bei einer Geltendmachung durch einen Dritten für die Unterbrechungswirkung darauf ankommt, dass „der
Schuldner nach dem Vertrauensprinzip erkennen kann, um welche Forderung es geht“ (BGE 4C.363/2006 E. 4.2; BGE 4C.185/2005; vgl. oben
S. 89.), erklärt werden. Nach der hier vertretenen Ansicht sollte daher eine
kung zukommen (vgl. oben S. 97).
SPIRO I, S. 355; ZK/BERTI, N 21 zu Art. 135 OR; vgl. auch Staudinger/PETERS/JACOBY, N 31 zu § 212 BGB; MünchK/GROTHE, N 7 zu § 212 BGB.
453
SPIRO I, S. 379; ZK/BERTI, N 21 zu Art. 135 OR; KRAUSKOPF, Schuldanerkennung,
N 302; vgl. auch Staudinger/PETERS/JACOBY, N 31 zu § 212 BGB; MünchK/GROTHE,
N 7 zu § 212 BGB.
454
Vgl. Staudinger/PETERS/JACOBY, N 31 zu § 212 BGB.
455
SPIRO I, S. 379.
456
Z.B. BSK/DÄPPEN, N 5 zu Art. 135 OR.
457
Z.B. CHK/KILLIAS, N 13, 20, 32 zu Art. 135 OR.
458
Z.B. ZK/BERTI, N 44, 51 ff., 157 f. zu Art. 135 OR.
459
Staudinger/PETERS (2001), N 1 zu § 209 a.F. BGB.
452
95
5. Kapitel: Die Verjährungsunterbrechung
Unterbrechungshandlung des Gläubigers erst mit Zugang460 (z.B. einer entsprechenden Mitteilung) beim Schuldner Wirkung entfalten461.
III. Dauer der neuen Verjährungsfrist
Die neue Verjährungsfrist entspricht bezüglich der Dauer grundsätzliche
der bisherigen (vgl. z.B. BGE 4C.258/2001 E. 4.1.2 m.w.H.)462, was beispielsweise in Art. 1071 Abs. 2 OR ausdrücklich vorgesehen ist463. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass durch eine Unterbrechungshandlung das
Schuldverhältnis nicht verändert wird. So macht beispielsweise die Anerkennung eine deliktische Forderung nicht zu einer vertraglichen, in dem
Sinne, dass ihr früherer Grund bedeutungslos und nur noch die allgemeine
Verjährungsfrist gelten würde464.
Von diesem Grundsatz wird abgewichen für den Fall, dass „die Forderung
durch Ausstellung einer Urkunde anerkannt oder durch Urteil des Richters
festgestellt“ wird (Art. 137 Abs. 2 OR). In diesen Fällen „ist die neue Verjährungsfrist stets die zehnjährige“ (Art. 137 Abs 2 OR). Die Rechtfertigung der zehnjährigen Verjährungsfrist besteht darin, dass diesen Unterbrechungshandlungen eine besondere Beweiskraft zukommt und daher die von
der Verjährung geschützten Interessen weniger stark gefährdet sind465. Ziel
dieser Bestimmung war also eine Verlängerung der Verjährungsfrist, weshalb in jenen Fällen, in denen die ordentliche Verjährungsfrist zehn Jahre
übersteigt, und diese längere Frist durch Ausstellung einer Urkunde anerkannt oder durch Urteil des Richters festgestellt wird, diese längere Frist
von neuem zu laufen beginnen muss.
Ebenfalls abgewichen wird von diesem Grundsatz, wenn die aufgrund von
Art. 60 Abs. 2 OR auf den Zivilanspruch anwendbare strafrechtliche Verjährungsfrist durch eine zivilrechtliche Unterbrechungshandlung unterbrochen wird. In diesem Fall beginnt nicht die strafrechtliche, sondern die ursprüngliche, zivilrechtliche Verjährungsfrist von neuem zu laufen (vgl. unten S. 103 f.).
460
Auf die tatsächliche Kenntnisnahme kann demgegenüber nicht abgestellt werden, da
es der Schuldner ansonsten in der Hand hätte die Unterbrechung zu vereiteln.
461
Vgl. auch ZK/BERTI, N 44, 51 f., 157 f. zu Art. 135 OR; MünchK/GROTHE, N 20 zu
§ 212 BGB.
462
KOLLER, OR AT, § 69 N 27; SPIRO I, S. 380; ZK/BERTI, N 7 zu Art. 137 OR m.w.H.
463
Vgl. ZK/BERTI, N 7 zu Art. 137 OR; KOLLER, OR AT, § 69 N 27.
464
SPIRO I, S. 380.
465
SPIRO I, S. 381; ZK/BERTI, N 9 zu Art. 137 OR.
96
6. Kapitel:
Positive Vertragsverletzung und
strafrechtliche Verantwortlichkeit
Art. 60 Abs. 2 OR verweist für die Verjährung des Zivilanspruchs auf die Verjährungsregelung im Strafrecht, falls der Zivilanspruch „aus einer strafbaren
Handlung hergeleitet“ wird und „das Strafrecht eine längere Verjährung vorschreibt“. Im Folgenden stellt sich die Frage, ob, wann und inwieweit die
strafrechtlichen Verjährungsbestimmungen im Rahmen der positiven Vertragsverletzung anzuwenden sind (§ 19) und welche Abweichungen sich dadurch im Vergleich zur sonst geltenden Verjährungsregelung ergeben (§ 20).
§ 19. Anwendbarkeit von Art. 60 Abs. 2 OR
In diesem Paragraphen soll untersucht werden, ob, wann und inwieweit
aufgrund von Art. 60 Abs. 2 OR bei einer positiven Vertragsverletzung das
strafrechtliche Verjährungsrecht Anwendung findet. Dazu ist in einem ersten Schritt in allgemeiner Weise zu untersuchen, ob der Tatbestand der positiven Vertragsverletzung vom Anwendungsbereich von Art. 60 Abs. 2 OR
erfasst ist (I.). Danach ist zu untersuchen, wann die Tatbestandsvoraussetzung von Art. 60 Abs. 2 OR, das Vorliegen einer strafbaren Handlung, bei
der positiven Vertragsverletzung erfüllt ist (II.). Schlussendlich ist zu untersuchen, inwieweit die strafrechtliche Verjährungsordnung zur Anwendung
kommt (III.).
I.
Anwendung von Art. 60 Abs. 2 OR auf den Tatbestand
der positiven Vertragsverletzung
Art. 60 Abs. 2 OR befindet sich im Abschnitt über die Entstehung von Obligationen aus Delikt. Es stellt sich daher die Frage, ob diese Regelung auch
auf die vertragliche Haftung aus positiver Vertragsverletzung anzuwenden
ist. Nach der h.L. ist der Verweis von Art. 60 Abs. 2 OR analog auf die vertragliche Schadenshaftung anzuwenden466. Dies ergibt sich insbesondere
466
BRUNNER, N 404 ff.; VOSER, S. 124 f.; SPIRO I, S. 696. Freilich dürften in denjenigen
Fällen, in denen die positive Vertragsverletzung eine strafbare Handlung darstellt,
gleichzeitig die Voraussetzungen für eine Deliktshaftung gegeben sein, da die Verletzung einer Strafnorm als Schutznorm die Rechtswidrigkeit (auch im Falle von reinen
97
6. Kapitel: Positive Vertragsverletzung und strafrechtliche Verantwortlichkeit
aus einer teleologischen Auslegung von Art. 60 Abs. 2 OR: Der Sinn von
Art. 60 Abs. 2 OR besteht in einer Angleichung der zivilrechtlichen und der
strafrechtlichen Verjährung, „weil es unbefriedigend wäre, wenn der Täter
für die schädigende Handlung noch bestraft, aber die Gutmachung des
Schadens infolge Verjährung nicht mehr erzwungen werden könnte“467.
Dieser Zweck gilt für sämtliche zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche468.
Zudem muss die durch Art. 60 Abs. 2 OR bezweckte Haftungsverschärfung
insbesondere dann gelten, wenn zwischen den Parteien eine Sonderverbindung besteht, aufgrund dessen dem Geschädigten eine besondere Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit zukommt (vgl. oben S. 13 ff.)469.
II. Tatbestandsvoraussetzung: Strafrechtliche
Verantwortlichkeit
Tatbestandsvoraussetzung von Art. 60 Abs. 2 OR ist, dass sich „die Klage
[aus positiver Vertragsverletzung] aus einer strafbaren Handlung herleitet“.
Diese Voraussetzung ist erst dann erfüllt, wenn der Vertragspartner tatsächlich strafrechtlich belangt werden kann (Ziff. 1). An die strafrechtliche Verantwortlichkeit sind allerdings höhere Anforderungen gestellt als an die zivilrechtliche (Ziff. 2).
1. Aus dem Zweck von Art. 60 Abs. 2 OR, wonach verhindert werden soll,
dass „der Täter für die schädigende Handlung noch bestraft, aber die Gutmachung des Schadens infolge Verjährung nicht mehr durchgesetzt werden
kann“470, ergibt sich, dass diese Bestimmung erst dann erfüllt ist, wenn der
schädigende Vertragspartner auch tatsächlich strafrechtlich belangt werden kann. Erforderlich ist also, dass mit der positiven Vertragsverletzung
sämtliche Strafbarkeitsvoraussetzungen471 gegeben sind. Insbesondere
reicht es für die Anwendung von Art. 60 Abs. 2 OR nicht aus, dass die positive Vertragsverletzung einen objektiven Straftatbestand erfüllt (BGE
4C.156/2005 E. 3.3)472.
2. Im Folgenden soll daher untersucht werden, wann diese Strafbarkeitsvoraussetzungen bei Vorliegen einer positiven Vertragsverletzung erfüllt sind.
Insgesamt wird sich zeigen, dass die Anforderungen an die strafrechtliche
Vermögensschäden) begründet (vgl. ROBERTO, N 254).
BK/BREHM, N 67 zu Art. 60 OR m.H. auf die Rechtsprechung.
468
BRUNNER, N 405.
469
BRUNNER, N 405.
470
BK/BREHM, N 67 zu Art. 60 OR.
471
Vgl. dazu z.B. SEELMANN, S. 32 ff.
472
REY, Haftpflichtrecht, N 1664; STEINER, Verjährung, S. 43 ff.
467
98
§ 19 Anwendbarkeit von Art. 60 Abs. 2 OR
Verantwortlichkeit höher sind als an die zivilrechtliche. Damit eine positive Vertragsverletzung gleichzeitig zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit führt, müssen verschiedene Hürden überwunden werden: Erstens erfüllt nicht jede Pflichtverletzung auch einen Straftatbestand (a.). Zweitens erfordern die meisten Straftatbestände in subjektiver Hinsicht Vorsatz. Demgegenüber spielt der Vorsatz für die zivilrechtliche Verantwortlichkeit bloss
eine untergeordnete Rolle (b.). Drittens beurteilt sich die Fahrlässigkeit im
Strafrecht – im Gegensatz zum Zivilrecht – nach subjektiven Kriterien. Es
kann daher vorkommen, dass lediglich in zivilrechtlicher Hinsicht Fahrlässigkeit vorliegt, nicht jedoch in strafrechtlicher (c.). Viertens bestehen im
Strafrecht weitergehende Schuldausschlussgründe als im Zivilrecht (d.). Diese vier Hürden sollen im Folgenden genauer dargestellt werden:
a) Eine erste Hürde besteht darin, dass die positive Vertragsverletzung einen objektiven Straftatbestand erfüllen muss. Während grundsätzlich eine unendliche Anzahl von Tatbeständen eine zivilrechtliche Verantwortlichkeit begründen kann, sind die Straftatbestände begrenzt. Aufgrund des
Legalitätsprinzips kann „eine Strafe [...] nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt“ (Art. 1 StGB). Nach
dem Gesagten stellt nicht jeder Tatbestand einer positiven Vertragsverletzung auch einen objektiven Straftatbestand dar. Im Folgenden sollen einige
objektive Straftatbestände dargestellt werden, bei denen ein besonders enger Zusammenhang zu den Tatbeständen der positiven Vertragsverletzung
besteht:
− In Fällen, wo die Verletzung einer vertraglichen Pflicht oder einer
Schutzpflicht im Rahmen der Vertragsdurchführung zu einem Personenschaden führt, können die objektiven Straftatbestände der Körperverletzung (Art. 122–126 StGB) erfüllt sein. Die Tathandlung besteht bei
sämtlichen Tatbeständen in einer Beeinträchtigung der körperlichen oder
gesundheitlichen Integrität, wobei unter die Gesundheit nicht nur die
physische, sondern auch die geistige Gesundheit fällt473. Insbesondere ist
zu erwähnen, dass ärztliche Eingriffe immer den objektiven Tatbestand
der (schweren oder einfachen) Körperverletzung erfüllen474.
− Führt die positive Vertragsverletzung zu einem Sachschaden, kann der
objektive Tatbestand der Sachbeschädigung nach Art. 144 StGB erfüllt
sein. Danach ist haftbar, „wer eine fremde Sache, an der ein fremdes Eigentums-, Gebrauchs- oder Nutzniessungsrecht besteht, beschädigt, zerstört oder unbrauchbar macht“ (Art. 144 Abs. 1 StGB). Als Tatobjekt
473
474
BSK/ROTH/BERKEMEIER, N 11 ff. vor Art. 122 ff. StGB.
BSK/ROTH/BERKEMEIER, N 25 vor Art. 122 ff. StGB, N 33 zu Art. 122 StGB.
99
6. Kapitel: Positive Vertragsverletzung und strafrechtliche Verantwortlichkeit
gelten sowohl bewegliche als auch unbewegliche Sachen475. Fremd ist
die Sache nicht nur dann, wenn sie in fremdem Eigentum steht, sondern
auch dann, wenn ein fremdes Gebrauchs- oder Nutzungsrecht an der Sache besteht476. Es ist daher beispielsweise auch der Besitz im Rahmen
eines Mietvertrages von Art. 144 StGB geschützt477. An die Tathandlung
sind keine hohen Anforderungen gestellt. Als Beschädigung gilt „jedes
Herbeiführen einer mehr als nur belanglosen Mangelhaftigkeit der Sache“478. Der objektive Tatbestand der Sachbeschädigung ist beispielsweise erfüllt, wenn der Handwerker infolge unsorgfältiger Verrichtung
der Arbeit die Abwasserleitung des Bestellers verstopft (vgl. z.B. BGE
128 IV 250 und BGE 93 II 317).
− Liegt ein Vertragsverhältnis vor, in dessen Rahmen einem Vertragspartner eine „Vermögensfürsorgepflicht“479 für fremdes Vermögen zukommt, die Vermögensverwaltung der typische und wesentliche Inhalt
des Rechtsgeschäfts darstellt480, der „Geschäftsführer“ eine gewisse
Selbständigkeit hat481 und es um Vermögensinteressen von einem bestimmten Gewicht geht482, kommt bei einer allfälligen positiven Vertragsverletzung insbesondere der objektive Tatbestand der ungetreuen
Geschäftsbesorgung nach Art. 158 Abs. 1 StGB in Betracht. Danach
wird haftbar, „wer aufgrund [...] eines Rechtsgeschäfts damit betraut ist,
Vermögen eines andern zu verwalten oder eine solche Vermögensverwaltung zu beaufsichtigen, und dabei unter Verletzung seiner Pflichten
bewirkt oder zulässt, dass der andere am Vermögen geschädigt wird“.
Diese Voraussetzungen können insbesondere bei einem Vermögensverwaltungsvertrag gegeben sein. So z.B. wenn ein selbständiger Vermögensverwalter die Retrozessionen nicht dem Auftraggeber herausgibt483.
Weiter können die Voraussetzungen bei einem Vertrag mit einem Steuerberater, einem Treuhänder oder einem Makler erfüllt sein. Hingegen
fehlt es am Erfordernis des wesentlichen Inhalts des Rechtsgeschäfts,
wenn z.B. ein Architekt lediglich Aufklärungspflichten verletzt und der
Vertragspartner dadurch einen Vermögensschaden erleidet484.
475
BSK/WEISSENBERGER, N 3 ff. zu Art. 144 StGB.
BSK/WEISSENBERGER, N 9 ff. zu Art. 144 StGB.
477
BSK/WEISSENBERGER, N 16 zu Art. 144 StGB.
478
BSK/WEISSENBERGER, N 21 zu Art. 144 StGB.
479
STRATENWERTH/WOHLERS, N 3 zu Art. 158 StGB.
480
BSK/NIGGLI, N 46 zu Art. 158 StGB.
481
BSK/NIGGLI, N 16 ff. zu Art. 158 StGB.
482
BSK/NIGGLI, N 47 zu Art. 158 StGB.
483
WEBER/ISELI, N 391 ff.
484
BSK/NIGGLI, N 46 zu Art. 158 StGB.
476
100
§ 19 Anwendbarkeit von Art. 60 Abs. 2 OR
− Verletzt der Arbeitgeber, der verpflichtet ist, Lohnabzüge vorzunehmen,
um sie für Rechnung des Arbeitnehmers zu verwenden, diese Pflicht,
und wird der Arbeitnehmer dadurch in seinem Vermögen geschädigt, ist
nicht nur eine positive Vertragsverletzung gegeben, sondern u.U. auch
der objektive Straftatbestand von Art. 159 StGB erfüllt. Erfasst sind von
diesem Tatbestand jedoch lediglich Beträge, die vom Arbeitnehmer geschuldet sind. Nicht erfasst sind solche, die der Arbeitgeber schuldet, wie
z.B. AHV-Beiträge oder Quellensteuern485.
− Verletzt ein Arbeitnehmer seine vertragliche Geheimhaltungspflicht, ist
u.U. nicht nur eine positive Vertragsverletzung, sondern auch der objektive Tatbestand von Art. 162 Abs. 1 StGB erfüllt. Danach macht sich
strafbar, „wer ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis, das er infolge
einer gesetzlichen oder vertraglichen Pflicht bewahren sollte, verrät“.
− Lässt jemand im Rahmen der Vertragsdurchführung anerkannte Regeln
der Baukunde ausser Acht und entsteht dem Vertragspartner dadurch ein
Schaden, ist u.U. nicht nur eine positive Vertragsverletzung, sondern
auch der objektive Tatbestand von Art. 229 StGB gegeben.
b) Im Zivilrecht spielt die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit eine untergeordnete Rolle486. Insbesondere besteht eine Haftung aus
positiver Vertragsverletzung unabhängig davon, ob die Pflichtverletzung
fahrlässig oder vorsätzlich erfolgte. Demgegenüber verlangen die Straftatbestände in subjektiver Hinsicht in der Regel Vorsatz (so ausdrücklich
Art. 12 Abs. 1 StGB)487, worin eine zweite Hürde zu sehen ist.
c) Daneben bestehen jedoch auch – in geringerem Umfang – fahrlässige
Delikte. Dabei ist insbesondere die fahrlässige Körperverletzung nach
Art. 125 StGB sowie das fahrlässige Ausserachtlassen der Regeln der Baukunde nach Art. 229 Abs. 2 StGB zu erwähnen. Da sich jedoch die Fahrlässigkeit im Strafrecht – im Gegensatz zum Zivilrecht – nach subjektiven
Kriterien beurteilt, muss nicht in jedem Fall, wo der Schädiger in zivilrechtlicher Hinsicht fahrlässig gehandelt hat, auch in strafrechtlicher Hinsicht
Fahrlässigkeit vorliegen:
In zivilrechtlicher Hinsicht liegt Fahrlässigkeit vor, wenn eine Verhaltenspflicht nicht mit Wissen und Willen verletzt wird, sondern entweder weil
485
BSK/NIGGLI, N 11 ff. zu Art. 159 StGB.
KOLLER, OR AT, § 48 N 45.
487
Art. 12 Abs. 1 StGB: „Bestimmt es das Gesetz nicht ausdrücklich anders, so ist nur
strafbar, wer ein Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich begeht.“ Vgl. auch TRECHSEL/NOLL, S. 94.
486
101
6. Kapitel: Positive Vertragsverletzung und strafrechtliche Verantwortlichkeit
sich die eine Vertragspartei der Verhaltenspflicht nicht bewusst war (sog.
unbewusste Fahrlässigkeit) oder weil sie davon ausging, die Pflichtverletzung führe nicht zu einem Schadensereignis (sog. bewusste Fahrlässigkeit)488. Welche Sorgfalt eine Vertragspartei aufzubringen hat, mithin der
Umfang der Verhaltenspflichten, richtet sich dabei nach objektiven Kriterien489.
Regelmässig wird ausgeführt, Fahrlässigkeit bedeute „das Ausserachtlassen der im
Verkehr geforderten Sorgfalt“490. Da jedoch nach der hier vertretenen Ansicht bereits
die Verhaltenspflichten objektiviert sind491, stellt jede Pflichtverletzung ein solches
„Ausserachtlassen“ dar492. Fraglich ist lediglich, ob die Sorgfaltspflicht vorsätzlich
oder fahrlässig ausser Acht gelassen wurde.
Demgegenüber ergibt sich im Strafrecht die geforderte Sorgfalt aus den
konkreten Umständen und den persönlichen Verhältnissen493. Dies geht bereits aus Art. 12 Abs. 3 StGB hervor: „Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist.“ Zu
den persönlichen Verhältnissen zählen „namentlich die geistigen Anlagen,
die Bildung, die berufliche Erfahrung“. „Es frägt sich daher [...] [jeweils],
ob [...] [der schädigenden Person] nach den Umständen und den persönlichen Verhältnissen die objektiv gebotenen Vorsichtsmassnahmen zumutbar
waren.“ (BGE 69 IV 228, 232). Dies wurde beispielsweise verneint in BGE
99 IV 63, 99 IV 127 und 122 IV 145. Es ist daher möglich, dass ausschliesslich in zivilrechtlicher Hinsicht eine fahrlässige Pflichtwidrigkeit
vorliegt, nicht jedoch in strafrechtlicher Hinsicht. Beispiel:
Angenommen ein Arzt ist aus positiver Vertragsverletzung haftbar, weil er fahrlässigerweise eine (objektive) Sorgfaltspflicht verletzt hat, wodurch dem Patienten ein
Schaden entstanden ist. Auch wenn der objektive Tatbestand der Körperverletzung
gegeben ist und der Arzt in zivilrechtlicher Hinsicht fahrlässig gehandelt hat, ist nicht
ohne Weiteres der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung nach Art. 125 StGB
gegeben. Denn die strafrechtliche Fahrlässigkeit kann aufgrund der persönlichen
Verhältnisse des Arztes ausgeschlossen sein (vgl. z.B. BGE 69 IV 228).
488
KOLLER, OR AT, § 48 N 52.
Vgl. dazu KOLLER, OR AT, § 48 N 14 ff. Immerhin hat ein Schuldner, der überdurchschnittliche Fähigkeiten, Kenntnisse oder Eigenschaften aufweist, diese auch einzusetzen (KOLLER, OR AT, § 48 N 18 ff.). Insofern werden die subjektiven Verhältnisse
auch im Rahmen der positiven Vertragsverletzung beachtet.
490
Vgl. z.B. SCHWENZER, N 22.14.
491
Vgl. KOLLER, OR AT, § 48 N 46.
492
KOLLER, OR AT, § 48 N 52 f.; vgl. auch ROBERTO, N 216 ff.
493
Vgl. dazu BSK/JENNY, N 79 ff. zu Art. 12 StGB.
489
102
§ 19 Anwendbarkeit von Art. 60 Abs. 2 OR
d) Eine vierte Hürde ergibt sich aus den Schuldausschlussgründen im
Strafrecht: Im Rahmen einer positiven Vertragsverletzung handelt eine Person immer dann schuldhaft, „wenn sie im Zustand der Urteilsfähigkeit eine
vertragliche Verhaltenspflicht verletzt“494, unabhängig davon, ob diese Verletzung fahrlässigerweise oder vorsätzlich erfolgt. Es steht demnach im Zivilrecht ein Schuldausschlussgrund, die Urteilsunfähigkeit, im Vordergrund.
Demgegenüber kennt das Strafrecht weitere Schuldausschlussgründe495.
Neben der Schuldunfähigkeit (Art. 19 Abs. 1 StGB) kennt das Strafrecht
den entschuldbaren Notstand (Art. 18 Abs. 2 StGB), die entschuldbare
Notwehr (Art. 16 Abs. 2 StGB) und den Irrtum über die Rechtswidrigkeit
(Verbotsirrtum, Art. 21 StGB). Diese Schuldausschlussgründe werden nicht
auf das Zivilrecht übernommen496. Es kann daher vorkommen, dass wohl
der schädigende Vertragspartner zivilrechtlich aus positiver Vertragsverletzung haftet, in strafrechtlicher Hinsicht jedoch kein Verschulden gegeben
ist. Beispiel:
Muss ein Sicherheitsbeauftragter (z.B. ein Leibwächter) um sein eigenes Leben
fürchten und verletzt er daraufhin seine Pflichten aus dem Bewachungsvertrag, in
dem er sich „aus dem Staub macht“, kann der Auftraggeber den Beauftragten bei einem allfälligen Schaden zivilrechtlich belangen. In strafrechtlicher Hinsicht könnte
allerdings ein Schuldausschlussgrund, ein entschuldbarer Notstand nach Art. 18
Abs. 2 StGB, vorliegen.
III. Rechtsfolge: Längere strafrechtliche Verjährung
Führt die positive Vertragsverletzung gleichzeitig zu einer strafrechtlichen
Verantwortlichkeit (Tatbestandsvoraussetzung), ist eine allfällig längere
strafrechtliche Verjährung auf die Schadenersatzforderung aus positiver
Vertragsverletzung anwendbar (Rechtsfolge).
Nach der hier vertretenen Ansicht ist in solchen Fällen im Zeitpunkt der ersten (zivilrechtlichen497) Unterbrechungshandlung zu prüfen, ob die zivilrechtliche Verjährung unter Anwendung des zivilrechtlichen Verjährungsbeginns, der zivilrechtlichen Verjährungsfrist und der zivilrechtlichen Ver494
KOLLER, OR AT, § 48 N 38.
Vgl. z.B. TRECHSEL/NOLL, S. 163 ff.
496
KOLLER, OR AT, § 48 N 39.
497
Mit der Revision der Verfolgungsverjährung sind die Hemmungs- und Unterbrechungsgründe im Strafrecht weggefallen (Trechsel/TRECHSEL, N 4 vor Art. 97 StGB;
JOSITSCH/SPIELMANN, S. 190).
495
103
6. Kapitel: Positive Vertragsverletzung und strafrechtliche Verantwortlichkeit
jährungshemmung bereits eingetreten ist. Ist dies der Fall, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, ob auch die strafrechtliche Verjährung unter
Anwendung des strafrechtlichen Verjährungsbeginns und der strafrechtlichen Verjährungsfrist bereits eingetreten ist. Es ist also das strafrechtliche
Verjährungsrecht insgesamt zur Anwendung zu bringen. Insbesondere kann
man nicht einfach die zivilrechtliche Verjährungsfrist durch die strafrechtliche ersetzen (BGE 77 II 314 E. 3b). Ist die strafrechtliche Verjährung noch
nicht eingetreten, führt die (zivilrechtliche) Unterbrechungshandlung der
(strafrechtlichen) Verjährungsfrist dazu, dass die zivilrechtliche Verjährungsfrist von neuem zu laufen beginnt.
Die Dauer der neuen Verjährungsfrist im Falle der (zivilrechtlichen) Unterbrechung der (strafrechtlichen) Verjährungsfrist ist umstritten. Rechtsprechung und h.L. gehen davon aus, dass durch die Unterbrechungshandlung
die längere strafrechtliche Verjährungsfrist von neuem zu laufen beginnt
(BGE 6B_134/2009 E. 4; 131 III 430 E. 1.2; 127 III 538 E. 4c und 4d)498.
Dies ist jedoch nach der hier vertretenen Ansicht aus teleologischen Gesichtspunkten abzulehnen499: Art. 60 Abs. 2 OR soll lediglich gewährleisten, dass die zivilrechtlichen Ansprüche mindestens solange geltend gemacht werden können, wie der Schädiger strafrechtlich belangt werden
kann. Dieser Zweck wird bereits erfüllt, wenn der Gläubiger die Möglichkeit hat, die Verjährung bis zum Eintritt der strafrechtlichen Verjährung
(durch eine zivilrechtliche Unterbrechungshandlung) zu verhindern. Um
„weiter zu gehen […] besteht keinerlei Grund“500.
§ 20. Die strafrechtliche Verjährungsordnung
Es hat sich gezeigt, dass im Anwendungsbereich von Art. 60 Abs. 2 OR auf
die Verjährung einer Schadenersatzforderung aus positiver Vertragsverletzung der strafrechtliche Beginn des Fristenlaufs (I.) und die strafrechtliche
Verjährungsfrist (II.) anzuwenden sind. Im Folgenden sollen diese Elemente der strafrechtlichen Verjährung dargestellt werden.
Die strafrechtliche Verjährungsordnung wurde im Rahmen der Reform des allgemeinen Teils des StGB erheblich vereinfacht. Für Taten, die vor dem 1.10.2002 begangen worden sind, ist jedoch grundsätzlich noch das alte Verjährungsrecht anwendbar
(Art. 389 StGB). Im Folgenden wird lediglich das neue Verjährungsrecht dargestellt.
498
REY, Haftpflichtrecht, N 1682; BK/BREHM, N 93 zu Art. 60 OR.
Gl.M. HAUSHEER/JAUN, S. 60; VON BÜREN, S. 427; SPIRO I, S. 199.
500
SPIRO I, S. 199.
499
104
§ 20 Die strafrechtliche Verjährungsordnung
I.
Der strafrechtliche Beginn des Fristenlaufs
1. Ordentlicherweise ist für den Beginn des Fristenlaufs auf den Zeitpunkt
der Tathandlung, d.h. denjenigen Zeitpunkt, in dem der Täter die strafbare
Tätigkeit ausgeführt oder unterlassen hat, abzustellen (Art. 98 lit. a
StGB)501. Dieser Zeitpunkt liegt dann, wenn sich die strafbare Handlung
aus einer positiven Vertragsverletzung herleitet, in der Pflichtverletzung im
zivilrechtlichen Sinn, während für den Beginn der zivilrechtlichen Verjährungsfrist die blosse Pflichtverletzung (noch) keine Klagbarkeit und damit
Fälligkeit der Schadenersatzforderung begründet (vgl. oben § 6). Durch die
Anwendung von Art. 60 Abs. 2 OR wird die Verjährungsfrist daher dem
Grundsatz nach502 zeitlich vorverlegt.
2. Diese Regelung führt dazu, dass Erfolgsdelikte (z.B. die Körperverletzung oder die Sachbeschädigung) verjähren können, bevor der Taterfolg
eingetreten ist503. Dies ist insbesondere bei fahrlässigen Erfolgsdelikten
(z.B. der fahrlässigen Körperverletzung nach Art. 125 StGB oder dem fahrlässigen Ausserachtlassen der Regeln der Baukunde nach Art. 229 Abs. 2
StGB) problematisch: Während bei einem vorsätzlichen Erfolgsdelikt zum
Zeitpunkt des Verjährungsbeginns, also zum Zeitpunkt der Tathandlung,
immerhin ein strafbarer Versuch vorliegt (vgl. Art. 22 Abs. 1 StGB), „ist
bei fahrlässigen Erfolgsdelikten zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal die
Strafbarkeitsgrenze erreicht“504.
In der Lehre wurde daher verschiedentlich eine „berichtigende Auslegung“
von Art. 98 lit. a StGB gefordert, wonach die Verjährungsfrist grundsätzlich mit dem Erfolgseintritt505 oder zumindest mit der Strafbarkeit506 zu laufen beginnen soll.
Das Bundesgericht hat jedoch schon in BGE 101 IV 20 (= Pra 1975
Nr. 106) festgehalten, die Verjährungsfrist beginne auch in solchen Fällen
bereits mit der Tathandlung zu laufen. Diese Rechtsprechung wurde in
BGE 134 IV 297 bestätigt. Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass die
Problematik bereits unter Art. 71 a.F. StGB bekannt war, der Gesetzgeber
jedoch bei der Revision des allgemeinen Teils des StGB an dieser Regelung
501
BSK/MÜLLER, N 1 zu Art. 98 StGB.
Klagbarkeit und Verhaltenspflichtverletzung können sich freilich überlagern.
503
Vgl. die in BGE 134 IV 297 E. 4.2 zitierten Autoren.
504
JOSITISCH/SPIELMANN, S. 192; TRACHSEL, S. 82 ff. Ein fahrlässiger Versuch ist nicht
möglich (vgl. z.B. BSK/JENNY, N 2 zu Art. 22 StGB).
505
WALDER, zit. nach TRACHSEL, S. 83.
506
JOSITSCH/SPIELMANN, S. 189 ff., S. 194.
502
105
6. Kapitel: Positive Vertragsverletzung und strafrechtliche Verantwortlichkeit
festgehalten hat, dürfte in Zukunft für eine abweichende Auslegung kein
Raum mehr bestehen (BGE 134 IV 297 E. 4.1).
Dass die Verjährung vor Eintritt des Taterfolgs eintreten kann, hat das
Bundesgericht neuerdings in BGE 8C_470/2009 E. 7.4 in allgemeiner Weise bestätigt: „Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass gemäss konstanter Rechtsprechung sowohl bei Haftungsansprüchen nach VG, wie auch im
Bereich des Strafrechts und des ausservertraglichen Haftpflichtrechts für
den Beginn der Frist der absoluten Verjährung/Verwirkung entsprechend
dem Wortlaut der jeweiligen Bestimmung auf den Zeitpunkt der schädigenden Handlung, nicht auf denjenigen des Eintritts des Schadens bzw. Erfolgs abgestellt wird [...].“ (E. 7.5).
3. Sowohl beim echten als auch beim unechten Unterlassungsdelikt beginnt die Verjährungsfrist mit dem Tag, an dem oder bis zu welchem der
Täter hätte handeln sollen, zu laufen507. Demgegenüber beginnt bei der positiven Vertragsverletzung die Verjährungsfrist erst dann zu laufen, wenn
das Unterlassen zu Anhaltspunkten geführt hat, welche die begründete
Vermutung zulassen, dass ein Schaden eintreten wird. Auch in diesen Fällen wird demnach durch die Anwendung von Art. 60 Abs. 2 OR der Beginn
des Fristenlaufs dem Grundsatz nach zeitlich nach vorne verschoben (Beispiel 1). Die Regel dürfte allerdings sein, dass bis zur zivilrechtlichen Fälligkeit eine Handlungspflicht bestanden hat und der zivilrechtliche und der
strafrechtliche Beginn des Fristenlaufs zusammenfallen (Beispiel 2)
Beispiel 1: Ein Arzt weigert sich, den Patienten P. gegen die Grippe zu impfen508.
Einige Zeit später erkrankt P. an der Grippe, worauf ihm ein Erwerbsausfall entsteht.
Die strafrechtliche Verjährungsfrist beginnt im Zeitpunkt der unterlassenen Impfung;
die zivilrechtliche demgegenüber erst mit der Erkrankung. – Beispiel 2: Hält der
Verantwortliche den Betrieb einer fehlerhaften Seilbahn aufrecht, obwohl er Kenntnis vom technischen Problem hat, so beginnt (auch) die strafrechtliche Verjährung
erst mit dem Unfalltag zu laufen (BGE 122 IV 62)509.
4. Art. 98 lit. c StGB regelt den Beginn des Fristenlaufs bei Dauerdelikten.
Ein solches liegt vor, wenn der Täter den rechtswidrigen Zustand nicht nur
herbeiführt, sondern ihn aufrecht erhält510. Ein typisches Dauerdelikt stellt
beispielsweise die Freiheitsberaubung nach Art. 183 StGB dar511. Es ist je507
TRACHSEL, S. 89 f.; Trechsel/TRECHSEL, N 3 zu Art. 98 StGB; BSK/MÜLLER, N 7 zu
Art. 98 StGB; Donatsch/HUG, N 3 zu Art. 98 StGB.
508
Beispiel nach Trechsel/TRECHSEL, N 3 zu Art. 98 StGB.
509
Beispiel nach Trechsel/TRECHSEL, N 3 zu Art. 98 StGB.
510
Statt aller BSK/MÜLLER, N 20 zu Art. 98 StGB.
511
Z.B. STRATENWERTH, § 12 N 10.
106
§ 20 Die strafrechtliche Verjährungsordnung
doch nicht erforderlich, dass die Perpetuierung Gegenstand des Straftatbestandes ist. Es können daher auch Straftatbestände, bei denen sich das strafrechtlich relevante Unrecht in der Herbeiführung eines bestimmten Zustandes erschöpft, wie z.B. die Körperverletzung, Dauerdelikte darstellen512.
Nach Art. 98 lit. c StGB beginnt die Verjährungsfrist in diesen Fällen mit
dem Tag, an dem das Verhalten aufhört, zu laufen.
Leitet sich die strafbare Handlung aus einer positiven Vertragsverletzung
ab, liegt ein Dauerdelikt im Falle einer Dauerstörung vor. Bei einer Dauerstörung beginnt die zivilrechtliche Verjährungsfrist frühestens mit Ende der
Störung zu laufen (oben S. 48 ff.).
5. Von den Dauerdelikten zu unterscheiden ist der Fall, wo „der Täter die
strafbare Tätigkeit zu verschiedenen Zeiten ausführt“ (Art. 98 lit. b
StGB513). Diese Unterscheidung entspricht im Zivilrecht der Unterscheidung zwischen der Dauerstörung und der wiederholten Störung (vgl. oben
S. 48 ff.). Ergibt sich demnach die Haftung aus positiver Vertragsverletzung aus einer wiederholten Störung, und liegt gleichzeitig ein Anwendungsfall von Art. 60 Abs. 2 OR vor, ist auf den Verjährungsbeginn Art. 98
lit. b StGB anwendbar.
Gemäss dieser Bestimmung beginnt die Verjährungsfrist „mit dem Tag, an
dem [der Täter] die letzte Tätigkeit ausführt“. Diese Regelung wurde jedoch in der Lehre zunehmend kritisiert, da sie „weder gerecht noch kriminalpolitisch sinnvoll“ erscheint514. Problematisch ist, dass der Beginn der
Verjährungsfrist durch diese Bestimmung in unverhältnismässiger Weise
hinausgezögert wird, und dadurch die Verjährungszwecke gefährdet werden515, ohne dass diese Wirkung kriminalpolitisch notwendig erscheint.
Angesichts dieser Kritik hat das Bundesgericht in seiner neueren Rechtsprechung die Figur der verjährungsrechtlichen Einheit weitgehend aufgegeben (BGE 131 IV 83 E. 2.4; 132 IV 49 E. 3.1 = Pra 2007 Nr. 12; 133 IV
256 E. 4.5.3; 6B_396/2008 E. 4.4) und den Tatbestand von Art. 98 lit. b
StGB stark eingeschränkt.
512
STRATENWERTH, § 12 N 10.
Hervorhebung durch den Autor.
514
STRATENWERTH, § 19 N 16; vgl. weiter die bei BSK/MÜLLER, N 17 zu Art. 98 StGB
zitierte Literatur. Insbesondere Donatsch/HUG (2004), der vor der Praxisänderung des
BGE die Frage aufwarf, ob mit der Revision des StGB nicht auf die verjährungsrechtliche Einheit verzichtet werden könne (S. 150 f.).
515
STRATENWERTH, § 19 N 16. Vgl. z.B. BGE 72 IV 179, wo der Verjährungseintritt für
eine passive Bestechung um mehr als 20 Jahre hinausgeschoben wurde und zwar
bloss deshalb, weil der Täter dasselbe Delikt später nochmals begangen hatte.
513
107
6. Kapitel: Positive Vertragsverletzung und strafrechtliche Verantwortlichkeit
Die neue bundesgerichtliche Rechtsprechung führt zu einer Angleichung
mit der Rechtslage im Zivilrecht: Im Zivilrecht werden bei einer wiederholten Störung grundsätzlich ebenfalls mehrere Schadenersatzansprüche mit
einer individuellen Verjährung angenommen516.
II. Die strafrechtliche Verjährungsfrist
Die Dauer der strafrechtlichen Verjährungsfrist ist in Art. 97 StGB geregelt.
Nach dem hier interessierenden Abs. 1 gilt Folgendes:
1. Massgebend für die Dauer der Verjährungsfrist ist die höchste im gesetzlichen Tatbestand angedrohte Strafe (BGE 136 IV 117 E. 4.3.3).
Strafschärfungs- oder Strafminderungsgründe des Allgemeinen Teils
(Art. 47 ff. StGB) werden nicht berücksichtigt517. Berücksichtigt wird freilich, wenn bei Strafnormen des besonderen Teils qualifizierte oder privilegierte Tatbestände bestehen (wie z.B. bei der Köperverletzung). In diesem
Fall ist das Strafmass jenes Tatbestandes massgebend, dessen der Täter beschuldigt wird518.
2. Umstritten ist jedoch die Rechtslage, wenn die Strafnorm des besonderen
Teils in pauschaler Weise Strafschärfungsgründe vorsieht, „so dass bei
der Beantwortung der Frage, ob ein solcher Schärfungsgrund [...] vorliegt,
der richterlichen Subsumption ein besonderes Gewicht zukommt“519 (z.B.
Art. 144 Abs. 3 StGB: „grosser Schaden“520; Art. 273 Abs. 3 StGB: „in
schweren Fällen“).
Wird davon ausgegangen, dass es sich dabei um blosse Strafzumessungskriterien handelt, muss für die Festsetzung der Verjährungsfrist immer vom
Grundtatbestand ausgegangen werden. Werden diese Strafverschärfungsgründe hingegen wie qualifizierte Tatbestände des besonderen Teils behandelt, ist eine entsprechende Qualifikation verjährungsrechtlich relevant. Ein
Teil der Lehre vertritt die Ansicht, bei solchen Strafschärfungsgründen
handle es sich grundsätzlich um Strafzumessungskriterien521. Ein anderer
516
KOLLER, OR AT, § 71 N 45; VON BAR II, N 551.
Trechsel/TRECHSEL, N 1 zu Art. 97 StGB; Donatsch/HUG, N 5 zu Art. 97 StGB;
BSK/MÜLLER, N 10 zu Art. 97 StGB.
518
Trechsel/TRECHSEL, N 1 zu Art. 97 StGB; Donatsch/HUG, N 5 zu Art. 97 StGB;
BSK/MÜLLER, N 11 ff. zu Art. 97 StGB.
519
BSK/MÜLLER, N 12 zu Art. 97 StGB.
520
Auch in diesem Fall kommt der richterlichen Subsumption ein besonderes Gewicht
zu (a.A. STRATENWERTH, § 6 N 7).
521
In diesem Sinne STRATENWERTH, § 6 N 9 f. Vgl. für weitere Nachweise Trechsel/TRECHSEL, N 2 zu Art. 97 StGB.
517
108
§ 20 Die strafrechtliche Verjährungsordnung
Teil der Lehre522 sowie das Bundesgericht (z.B. BGE 108 IV 42) vertreten
demgegenüber die gegenteilige Ansicht.
3. In denjenigen Fällen, bei denen zwischen objektivem Tatbestand und
dem Tatbestand der positiven Vertragsverletzung ein besonders enges Verhältnis besteht, beträgt die Verjährungsfrist i.d.R. sieben Jahre:
− Die schwere Körperverletzung nach Art. 122 StGB unterliegt einer Verjährungsfrist von 15 Jahren. Im Falle der einfachen oder fahrlässigen Körperverletzung (Art. 123 oder 125 StGB) kommt demgegenüber lediglich eine Verjährungsfrist von sieben Jahren zur Anwendung.
− Im Falle einer Sachbeschädigung nach Art. 144 StGB dauert die Verjährungsfrist
in den Fällen von Abs. 1 und 2 sieben Jahre. Hat der Täter jedoch einen „grossen
Schaden“ verursacht, kann die Verjährungsfrist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch 15 Jahre betragen.
− Bei der ungetreuen Geschäftsbesorgung nach Art. 158 StGB dauert die Verjährungsfrist je nach Tatbestand sieben oder 15 Jahre.
− Der Missbrauch von Lohnabzügen nach Art. 159 StGB unterliegt einer siebenjährigen Verjährungsfrist.
− Die Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses nach Art. 162
StGB unterliegt einer siebenjährigen Verjährungsfrist.
− Im Falle einer Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde nach
Art. 229 StGB kommt einer Verjährungsfrist von sieben Jahren zur Anwendung.
522
Trechsel/TRECHSEL, N 2 zu Art. 97 StGB.
109
7. Kapitel:
Teilweiser Reformbedarf
Das geltende Verjährungsrecht für Schadenersatzforderungen aus positiver
Vertragsverletzung wird teilweise kritisiert. Dabei stehen insbesondere
zwei Punkten im Vordergrund523: Zum einen wird vorgebracht, dass das
Verjährungsrecht für sämtliche Schadenersatzforderungen – also z.B. auch
für solche aus positiver Vertragsverletzung und aus Delikt – vereinheitlicht
werden soll. Zum anderen wird eine „Neuregelung der ordentlichen Verjährung nach dem Konzept der doppelten Fristen“524 gefordert. Nach der hier
vertretenen Ansicht muss ein gerechtes Verjährungssystem differenzieren.
Insbesondere ist an der verjährungsrechtlichen Unterscheidung zwischen
vertraglichen Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung
und ausservertraglichen Schadenersatzforderungen aus Delikt festzuhalten
(§ 21). Demgegenüber bestehen gute Gründe, das System der doppelten
Fristen auch für das allgemeine Verjährungsrecht zu übernehmen (§ 22).
§ 21. Keine Vereinheitlichung des Verjährungsrechts
Das schweizerische Recht sieht ein differenziertes Verjährungsrecht vor,
das z.B. nach dem Inhalt, dem Rechtsgrund oder den Parteien der Forderung unterscheidet. Demgegenüber wird teilweise von einem internationalen Trend in Richtung einer Vereinheitlichung des Verjährungsrechts gesprochen525. Als „Beweis“ dafür wird regelmässig die Schuldrechtsreform
in Deutschland erwähnt526. Nach der hier vertretenen Ansicht muss jedoch
ein gerechtes und den praktischen Bedürfnissen entsprechendes Verjährungssystem differenzieren (Ziff. 1). Die durch die Differenzierung entstehenden Probleme sind grundsätzlich in Kauf zu nehmen und wiegen bei
näherer Betrachtung nicht schwer (Ziff. 2). Dass um eine Differenzierung
nicht herumzukommen ist, zeigt schlussendlich ein Blick auf die Rechtslage in Deutschland nach der Schuldrechtsreform (Ziff. 3).
523
Vgl. z.B. PICHONNAZ, S. 71 ff.; LOSER, S. 223 f.; LOSER-KROGH, S. 197 ff.; KRAUSKOPF, HAVE 2009, S. 277; BERTI, Die Verjährung vertraglicher Schadenersatzforderungen, S. 27 f.; GAUCH, Verjährungsunsicherheiten, S. 251 f.
524
LOSER-KROGH, S. 200.
525
Z.B. ZIMMERMANN, S. 89 ff.; ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 867; PICHONNAZ,
S. 79 f.; LOSER-KROGH, S. 197 ff.; KRAUSKOPF, HAVE 2009, S. 277; GAUCH, Verjährungsunsicherheiten, S. 251 f.
526
So z.B. PICHONNAZ, S. 79.
110
§ 21 Keine Vereinheitlichung des Verjährungsrechts
1. Ein gerechtes System muss differenzieren. Sofern eingewendet wird,
es sei stossend, vertragliche und deliktische Schadenersatzansprüche einem
unterschiedlichen Verjährungsregime zu unterstellen, „en dépit d’une justification de la prescription identique“527, kann dem nicht gefolgt werden:
Die Verjährung ergibt sich aus einer Abwägung zwischen den Gläubigerinteressen auf der einen Seite und den von der Verjährung zu schützenden Interessen auf der anderen Seite. Es ist zwar richtig, dass diese Interessen
grundsätzlich dieselben sind, unabhängig vom Rechtsgrund, der Art der
Forderung oder den konkreten Umständen. Die Interessen sind jedoch in
den einzelnen Fällen unterschiedlich zu gewichten. So kann es auf der einen Seite vorkommen, dass aufgrund der konkreten Verhältnisse dem
Gläubiger eine besondere Schutzbedürftigkeit oder -würdigkeit zukommt
(z.B. bei der positiven Vertragsverletzung, vgl. oben S. 13 ff.). Auf der anderen Seite ist es aber auch denkbar, dass die von der Verjährung zu schützenden Interessen aufgrund der konkreten Verhältnisse besonders gefährdet
sind (z.B. bei der deliktischen Haftung, oben S. 21 f.). Die Verjährung beruht daher „auf einer komplexen Abwägung widerstreitender Interessen“528,
die sich von Fall zu Fall unterschiedlich präsentieren. Eine Einheitslösung
wird diesen unterschiedlichen Interessenlagen und damit letztendlich den
praktischen Bedürfnissen, die an das Verjährungsrecht gestellt werden,
nicht gerecht529. „Ein gutes, und das heisst immer auch gerechtes Verjährungssystem kann [daher] nicht einfach sein, sondern muss in vielfältiger
Weise differenzieren.“530
Eine solche Differenzierung drängt sich beispielsweise zwischen der Verjährung von
Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung und der Verjährung von
Schadenersatzforderungen aus Delikt auf, da sich sowohl die Gläubigerinteressen als
auch die von der Verjährung zu schützenden Interessen völlig unterschiedlich präsentieren (oben S. 20 ff.).
Aufgrund des Gesagten kann es nicht nur vorkommen, dass unterschiedliche Sachverhalte mit unterschiedlichen Interessenslagen ungerechtfertigterweise verjährungsrechtlich gleich behandelt werden, sondern auch, dass
die verjährungsrechtliche „Unterschiedlichkeit [...] nicht immer hinreichend
gerechtfertigt [ist]“531.
527
PICHONNAZ, S. 79.
ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 868.
529
ZÖLLNER, S. 166; ANDREWS, S. 596 f.
530
ZÖLLNER, S. 171.
531
Staudinger/PETERS (2001), N 45 vor Art. 194 ff. a.F. BGB.
528
111
7. Kapitel: Teilweiser Reformbedarf
2. Die durch die Differenzierung entstehenden Schwierigkeiten sind in
Kauf zu nehmen. Zum Teil wird zwar anerkannt, dass Differenzierungen
im Verjährungsrecht grundsätzlich gerechtfertigt sind. Eine Vereinheitlichung dränge sich jedoch auf, um Abgrenzungsschwierigkeiten zu verhindern532. Aufgrund solcher Abgrenzungsschwierigkeiten wird sogar teilweise von einer „systemsprengenden Kraft“533 eines differenzierenden Verjährungssystems gesprochen. Nach der hier vertretenen Ansicht sind Abgrenzungsschwierigkeiten grundsätzlich in Kauf zu nehmen (a.). Zudem wiegen
die vorgebrachten Schwierigkeiten bei näherer Betrachtung nicht schwer
(b.).
a) Drängt sich eine Differenzierung aus Gesichtspunkten der Gerechtigkeit
und der Bedürfnisse, die an ein Verjährungsrecht gestellt werden, auf,
scheint es problematisch, wenn darauf verzichtet wird, bloss um schwierigen Abgrenzungsfragen aus dem Weg zu gehen. Vielmehr sind solche Abgrenzungsfragen grundsätzlich in Kauf zu nehmen. Statt auf jegliche Differenzierung zu verzichten, sollte versucht werden, klare Abgrenzungen zu
finden, welche die divergierenden Interessen optimal berücksichtigen.
b) Es ist offensichtlich, dass auch bei aller Anstrengung nicht immer griffige Abgrenzungskriterien ersichtlich sind534. Die dadurch entstehenden Probleme sind jedoch weniger gravierend als dargestellt. Die (angeblich) „systemsprengende Kraft“535 eines differenzierenden Verjährungsrechts ist bei
näherer Betrachtung „nicht mehr als eine pompöse Floskel“536.
Zunächst wird eine Gefahr darin gesehen, dass vom Gläubiger versucht
wird, auf einen längerfristig verjährenden Anspruch auszuweichen und dadurch die der strengeren Verjährungsregelung zugrunde liegende Wertung
unterlaufen werde537. Diese Gefahr kann jedoch durch eine entsprechende
Rechtsprechung verhindert werden. So kommen beispielsweise nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts die Schadenersatzansprüche nach
Art. 97 Abs. 1 OR neben der Sachmängelgewährleistung konkurrierend zur
Anwendung. Dabei sind jedoch alle Besonderheiten des Sachmängelrechts
(insbesondere die Verjährung) auf den Anspruch aus Art. 97 Abs. 1 OR zu
532
ZIMMERMANN, S. 80 f.; ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 868; PETERS/ZIMMERMANN,
S. 196 ff., 290 ff.; ZIMMERMANN/LEENEN/MANSEL/ERNST, S. 684 ff.; vgl. auch KESSLER, S. 10: „Die Differenzen [...] mögen zwar sachlich erklärbar sein, bereiten den
Parteien in der Praxis aber zuweilen Abgrenzungsprobleme.“.
533
ZIMMERMANN/LEENEN/MANSEL/ERNST, S. 684.
534
PETERS/ZIMMERMANN, S. 290.
535
ZIMMERMANN/LEENEN/MANSEL/ERNST, S. 684.
536
ZÖLLNER, S. 167.
537
PETERS/ZIMMERMANN, S. 197.
112
§ 21 Keine Vereinheitlichung des Verjährungsrechts
übertragen538. Die kurze Verjährungsfrist von Art. 210 OR und die ihr
zugrundeliegende Wertung können aufgrund dieser Rechtsprechung nicht
unterlaufen werden. Zudem scheint die Argumentation der Befürworter eines einheitlichen Verjährungsrechts widersprüchlich, wenn eigenwendet
wird, es müsse auf eine Wertung (und die damit verbundene Differenzierung539) verzichtet werden, da bei einem differenzierenden (wertenden) System die Gefahr bestehe, dass die dem System zugrundeliegenden Wertungen unterlaufen würden540.
Weiter wird vorgebracht, dass durch ein differenzierendes Verjährungsrecht
die Gefahr „heraufbeschworen“ werde, „dass die Systematik des materiellen Rechts durch Verjährungsfragen beeinflusst wird“541. Dieser Einfluss
des Verjährungsrecht kann sich jedoch in gewissen Fällen als Chance und
nicht als Gefahr für die Rechtsordnung erweisen. So beispielsweise im Falle der Culpa-Haftung: Die Forderung der Befürworter eines vereinheitlichten Verjährungsrechts, dass solche „Entwicklungen [...] durch die materiellen Problemstellungen bestimmt werden, nicht durch Verjährungsfragen“542, scheint im Falle der Culpa-Haftung nicht erfüllt zu sein. Wahrscheinlicher ist, dass diese „dogmatische Hilfsfigur“ geschaffen wurde, um
die Unzulänglichkeiten des Deliktsrechts (insbesondere die Verjährung) zu
umgehen543. Dennoch handelt es sich heute um ein Institut, das „fest etabliert“544 ist.
Schlussendlich wird von den Befürwortern eines einfachen Verjährungsrechts vorgebracht, ein solches System diene dem „sozialen Frieden“545 und
führe zu einer Entlastung der Gerichte. Es ist jedoch zu bezweifeln, ob ein
Verjährungsrecht, das die unterschiedlichen Interessen in keiner Weise berücksichtigt (beispielsweise das besondere Vertrauen des Vertragspartners,
vgl. oben S. 13 ff.), dem sozialen Frieden dienlich ist. Sozialer Friede wird
eher durch ein gerechtes, also ein differenzierendes System und nicht durch
ein einfaches System erreicht. Dass sich die Gerichte möglicherweise intensiv mit Verjährungsfragen beschäftigen müssen, ist zwar richtig, jedoch
538
HONSELL, OR BT, S. 109 f. m.H. auf die Rechtsprechung.
Bei einem einheitlichen Verjährungsrecht wird die wertende Abwägung zwischen den
divergierenden Interessen gerade nicht vorgenommen.
540
ZÖLLNER, S. 167.
541
PETERS/ZIMMERMANN, S. 291; vgl. auch PICHONNAZ, S. 80.
542
PETERS/ZIMMERMANN, S. 291.
543
GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, N 978 ff. Dieser „Wunsch“ hat sich freilich bezüglich der
Verjährung nicht erfüllt, da das Bundesgericht auf die Culpa-Haftung Art. 60 OR anwendet (GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, N 971 f.).
544
BSK/BUCHER, N 69b zu Art. 1 OR.
545
Vgl. z.B. PICHONNAZ, S. 78, 80.
539
113
7. Kapitel: Teilweiser Reformbedarf
kein Argument für eine Vereinheitlichung des Verjährungsrechts. Die Entlastung der Gerichte ist kein Zweck der Verjährung, sondern höchstens ein
positiver Nebeneffekt (oben S. 8).
3. Der „Beweis“ als „Gegenbeweis“. Es hat sich gezeigt, dass nicht um
ein differenzierendes Verjährungsrecht herumzukommen ist und die (angeblich) „systemsprengende Kraft“546 eines differenzierenden Verjährungsrechts bei näherer Betrachtung „nicht mehr als eine pompöse Floskel“547
ist. Dies zeigt auch ein Blick auf die Rechtslage in Deutschland nach der
Schuldrechtsreform, die regelmässig als „Beweis“ für eine internationale
Entwicklung in Richtung eines einheitlichen Verjährungsrechts aufgeführt
wird. Der „Beweis“ ist bei näherer Betrachtung ein „Gegenbeweis“548.
Die Vereinheitlichung des Verjährungsrechts war erklärtes Ziel der Schuldrechtsreform549. Dieses Ziel hat der Gesetzgeber jedoch selbst desavouiert,
indem unzählige Differenzierungen vorgesehen wurden550: § 195 BGB
sieht eine „regelmässige Verjährungsfrist“ von drei Jahren vor. Signifikante
Abweichungen davon sind jedoch beispielsweise in § 197 BGB enthalten,
der aufgrund „unterschiedlicher Gesichtspunkte“551 für spezielle Forderungen eine dreissigjährige Verjährungsfrist vorsieht. In § 196 BGB ist z.B. für
„Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück“ aus
praktischen Gründen552 immerhin eine zehnjährige Verjährungsfrist vorgesehen. In § 199 BGB, der den Beginn des Fristenlaufs regelt, wird für die
Maximalfrist unterschieden, ob die Schadenersatzansprüche auf einer Verletzung „des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen“ oder nicht. Je nachdem beträgt die Maximalfrist zehn oder 30 Jahre.
Eine spezielle Regelung bezüglich des Beginns des Fristenlaufs haben zudem Forderungen erfahren, „die auf einem Erbfall beruhen“. Ansprüche,
die nicht von § 195 BGB erfasst sind, unterliegen in der Regel ebenfalls einer eigenständigen Regelung, was den Beginn des Fristenlaufs anbelangt553.
546
ZIMMERMANN/LEENEN/MANSEL/ERNST, S. 684.
ZÖLLNER, S. 167.
548
Vgl. dazu ausführlich ZÖLLNER, S. 167 ff.
549
Staudinger/PETERS/JACOBY, N 58 vor § 194 BGB; MünchK/GROTHE, N 30 ff. vor
§ 194 ff. BGB; ZÖLLNER, S. 166; vgl. auch das Gutachten von PETERS/ZIMMERMANN.
550
ZÖLLNER, S. 167 ff. Eine weitere Vereinheitlichung wurde durch das „Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts“ vom 9.12.2004 erreicht (vgl. dazu MüchK/GROTHE, N 33 vor § 194 BGB).
551
Staudinger/PETERS/JACOBY, N 2 zu § 197 BGB (Hervorhebung durch den Autor).
552
Vgl. z.B. Staudinger/PETERS/JACOBY, N 1 zu § 196 BGB.
553
Staudinger/PETERS/JACOBY, N 1 zu § 200 BGB.
547
114
§ 22 System der doppelten Fristen
Diese Liste von Differenzierungen der Verjährungsordnung könnte beliebig
fortgesetzt werden554.
Angesichts dieser feinen Differenzierungen kann aufgrund der Schuldrechtsreform in Deutschland nicht von einem Trend gesprochen werden,
dass unterschiedliche Interessenlagen und praktische Gründe in Zukunft für
die Ausgestaltung des Verjährungsrechts unbeachtlich sind. Dass durch die
Schuldrechtsreform möglicherweise eine gewisse Vereinheitlichung des
Verjährungsrechts erreicht wurde, soll nicht bestritten werden. Dies ändert
jedoch nichts am grundsätzlichen Festhalten an einem differenzierten Verjährungsrecht, ist doch bei einem solchen System nicht nur die Frage zu
stellen, ob sich eine Differenzierung aufdrängt, sondern auch, ob eine bestehende Differenzierung möglicherweise ungerechtfertigt ist und daher eine gewisse Vereinheitlichung notwendig ist (oben S. 111).
§ 22. System der doppelten Fristen
Auf der einen Seite besteht Einigkeit darüber, dass die Verjährung grundsätzlich erst dann eintreten soll, wenn der Gläubiger eine „faire Chance“
hatte, den Lauf der Verjährung zu unterbrechen555. Auf der anderen Seite
ist für den Eintritt der Verjährung grundsätzlich eine Maximalfrist zu setzen, will man die Verjährung nicht ihrer Funktion berauben556. Diese entgegengesetzten Anforderungen an das Verjährungsrecht haben dazu geführt, dass in verschiedenen Rechtsordnungen eine Kombination von relativen und absoluten Fristen eingeführt wurde557. Im Folgenden wird zunächst
auf die einzelnen Fragen im Zusammenhang mit der Ausgestaltung des absoluten und des relativen Systems genauer eingegangen (I. und II.). Danach
wird das allgemeine Verjährungsrecht unter diesen Gesichtspunkten betrachtet (III.).
554
Vgl. ZÖLLNER, S. 167 ff.
Vgl. ausführlich SPIRO, FS Lewald, S. 585 ff.; ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 872;
PICHONNAZ, S. 80 ff.; ZIMMERMANN, S. 92 ff.; SCHNAUFER, S. 21.
556
ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 867; ZIMMERMANN, S. 99 ff.
557
Vgl. z.B. ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 867; LEENEN, S. 552 f.; LOSER-KROGH,
S. 197 ff.
555
115
7. Kapitel: Teilweiser Reformbedarf
I.
Ausgestaltung des relativen Systems
Die Verjährung soll grundsätzlich erst dann eintreten, wenn der Gläubiger
eine „faire Chance“ hatte, den Verjährungseintritt zu verhindern558. Der
Ablauf der relativen Frist ist davon abhängig zu machen. Fraglich ist daher,
wann diese Chance gegeben ist (Ziff. 1), was die Wirkungen sind, wenn es
an einer solchen Chance fehlt (Ziff. 2) und wie lange die relative Frist zu
bemessen ist (Ziff. 3).
1. Am weitestgehendsten ist das Erfordernis einer „fairen Chance“ zur
Verhinderung des Verjährungseintritts verwirklicht, wenn auf die tatsächliche Kenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Tatsachen
abgestellt wird. Es hat sich daher zunehmend die Ansicht etabliert, dass die
relative Verjährungsfrist erst bei tatsächlicher Kenntnis der Schadenersatzforderung ablaufen kann. Der „Gesichtspunkt der Kenntnisabhängigkeit
[ist] auf eine wachsende Zahl von Ansprüchen erstreckt worden“559. Der
tatsächlichen Kenntnis wird in der Regel fahrlässige Unkenntnis gleichgesetzt560. Zudem besteht „offenbar weitgehend Einigkeit darüber, dass die
Umstände, auf denen der Anspruch beruht und die Identität des Schuldners
die beiden zentralen Punkte sind“, auf die sich die Kenntnis des Gläubigers
beziehen muss561.
2. Solange es an der Kenntnis oder zumindest an der fahrlässigen Unkenntnis fehlt, soll die relative Verjährungsfrist nicht ablaufen. Es sind grundsätzlich zwei Lösungen denkbar, wie ein solches System ausgestaltet werden kann: Verschiedene Rechtsordnungen machen den Beginn des Fristenlaufs von der Kenntnis oder der fahrlässigen Unkenntnis abhängig (so z.B.
Art. 60 Abs. 1 OR oder § 199 BGB). Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass die Verjährungsfrist gehemmt ist, solange keine Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis vorliegt (so z.B. Art. 14:301 PECL562)563.
558
Vgl. ausführlich SPIRO, FS Lewald, S. 585 ff.; ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 872;
SCHNAUFER spricht von einer „reellen Chance“ (S. 21).
559
VON BAR/ZIMMERMANN, S. 758. Vgl. ausführlich zum „Aufstieg des Erkennbarkeitskriteriums“ VON BAR/ZIMMERMANN, S. 761 f.; ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 867;
VON BAR I, N 395.
560
ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 876; VON BAR I, N 395; VON BAR II, N 554 ff.
561
VON BAR/ZIMMERMANN, S. 759.
562
Vgl. dazu VON BAR/ZIMMERMANN, S. 757 ff. Demgegenüber stellt Art. 134 Abs. 1
Ziff. 6 OR, wie ausführlich dargelegt wurde, keinen solchen Hemmungsgrund dar
(oben S. 82 f.).
563
ZIMMERMANN, S. 104 ff.
116
§ 22 System der doppelten Fristen
Die zweite Variante ist wohl aus Gründen der Beweislastverteilung vorzuziehen564: Geht man davon aus, dass der Schuldner den Eintritt der Verjährung zu beweisen hat (z.B. BGE 5A_563/2009 E. 3)565, hat er bei der ersten
Lösung auch die Kenntnis bzw. die fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers
als Voraussetzung für die Verjährung zu beweisen. Ist die Kenntnis oder
die fahrlässige Unkenntnis Voraussetzung für den Beginn des Fristenlaufs,
ist der Schuldner demnach streng genommen mit der „unzumutbar schwierigen Aufgabe konfrontiert“566, zu beweisen, was der Gläubiger wusste
oder hätte wissen müssen. Demgegenüber hat der Gläubiger zu beweisen,
dass die Verjährung aufgrund eines Hemmungsgrundes ausnahmsweise
nicht eingetreten ist567. Bei der zweiten Lösung hat demnach der Gläubiger
zu beweisen, weshalb er die anspruchsbegründenden Tatsachen weder
kannte noch hätte kennen müssen.
3. Dauer der relativen Frist. Da die Kenntnis oder die fahrlässige Unkenntnis Voraussetzung für den Ablauf der relativen Verjährungsfrist ist,
kann für die Verjährungsfrist eine kurze Dauer gewählt werden. Denn sobald dem Gläubiger die Umstände, auf denen der Anspruch beruht, sowie
die Identität des Schuldners bekannt sind bzw. bekannt sein müssen, kann
erwartet werden, dass er die Schadenersatzforderung geltend macht. Der
Aufstieg des Erkennbarkeitskriteriums ist daher eng mit einem Trend zu
kürzeren Fristen verbunden568.
Verjährungsordnungen, die den Ablauf der relativen Verjährungsfrist zumindest von der fahrlässigen Unkenntnis abhängig machen, sehen in der
Regel eine dreijährige Verjährungsfrist vor (so z.B. Art. 14:201 PECL oder
§ 195 BGB). Wird tatsächliche Kenntnis verlangt, kann die Verjährungsfrist sogar noch kürzer bemessen werden569, so z.B. die einjährige Verjährungsfrist von Art. 60 Abs. 1 OR570. Dennoch führt die kurze einjährige
Verjährungsfrist auch bei tatsächlicher Kenntnis in der Praxis häufig zu
Problemen und wird daher als zu kurz empfunden571. Die Verjährungsord564
VON BAR/ZIMMERMANN, S. 760 f.; ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 906 m.w.H.
So z.B. ZK/OSER/SCHÖNENBERGER, N 2 zu Art. 142 OR. SPIRO führt aus, dass dieser
Grundsatz nicht absolut gilt, da beispielsweise nicht der Schuldner zu beweisen hat,
dass kein Hemmungsgrund vorliegt, sondern der Gläubiger, dass ein solcher gegeben
ist (SPIRO I, S. 870 Fn 8).
566
VON BAR/ZIMMERMANN, S. 760.
567
BSK/DÄPPEN, N 14 zu Art. 134 OR.
568
VON BAR/ZIMMERMANN, S. 758.
569
ZIMMERMANN, S. 76.
570
„Kenntnis“ heisst nicht „Kennenmüssen“ (BK/BREHM, N 59 ff. zu Art. 60 OR).
571
KOLLER, OR AT, § 28 N 39; LOSER, S. 219 f.; REY, Haftpflichtrecht, N 1605;
CR/WERRO, N 10 zu Art. 60 OR; KUONEN, N 1710.
565
117
7. Kapitel: Teilweiser Reformbedarf
nung nach Art. 60 Abs. 1 OR wird daher im Vergleich zu derjenigen nach
Art. 127 OR i.V.m. Art. 130 Abs. 1 OR als die strengere gesehen572.
II. Ausgestaltung des absoluten Systems
Neben der relativen Verjährungsfrist wird regelmässig eine Maximalfrist
vorgesehen, ab deren Ablauf „die Parteien die Angelegenheit als unzweifelhaft erledigt betrachten können“573. Denn die Verjährung kann nicht ohne Weiteres auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben werden, soll sie nicht
ihrer Funktion beraubt werden574. Es stellt sich daher die Frage, wann diese
absolute Frist zu laufen beginnt (Ziff. 1), wie lange die Maximalfrist sein
muss (Ziff. 2) und schlussendlich, ob die absolute Frist gehemmt oder unterbrochen werden kann (Ziff. 3).
1. Beginn des Fristenlaufs mit schädigender Handlung. Soll die absolute
Verjährungsfrist eine Maximalfrist darstellen, darf der Beginn der Verjährungsfrist nicht von einem relativen Tatbestand abhängig gemacht werden,
dessen Eintritt auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben sein kann575. Als
„europäischer Standard“576 scheint sich zu etablieren, dass die absolute
Verjährungsfrist mit der schädigenden Handlung zu laufen beginnt (so z.B.
Art. 60 Abs. 1 OR, § 199 Abs. 2 BGB, Art. 14:203 (1) PECL, Art. 3:310
(1) NBW). Dabei handelt es sich um einen absoluten Tatbestand, der nicht
auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben sein kann, da es sich dabei um den
„Ausgangspunkt“ einer Schadenersatzforderung handelt.
2. Für die Dauer der absoluten Verjährungsfrist kommen zehn bis dreissig Jahre in Betracht, wobei eine dreissigjährige Frist als allgemeingültige
Maximalfrist weitgehend als zu lang empfunden wird577. Für die schweizerische Rechtsauffassung scheint eine zehnjährige Frist (so Art. 60 Abs. 1
OR) angemessen578.
Häufig differenzieren die Rechtsordnungen für die Dauer der Maximalfrist
zwischen den einzelnen Arten von Schadenersatzforderungen. Insbesondere
bei Personenschäden wird teilweise die Ansicht vertreten, es müssten län572
Z.B. GAUCH, ZSR 1997 I, S. 315; ROBERTO, N 338; HUGUENIN, N 1172; TOGNELLA,
S. 159; SCHWENZER, N 48.05; LÜCHINGER, SJZ 2006, S. 201; LOSER, S. 219 f.
m.w.H.
573
ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 867.
574
Vgl. z.B. ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 867.
575
ZIMMERMANN, S. 109 ff.
576
ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 907.
577
ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 867.
578
LOSER-KROGH, S. 200 Fn 366.
118
§ 22 System der doppelten Fristen
gere Maximalfristen vorgesehen werden (so z.B. Art. 14:307 PECL und
§ 199 BGB)579. In den Niederlanden sieht Art. 3:310 (2) NBW in Abweichung von Art. 3:310 (1) NBW für Umweltschäden eine dreissigjährige
Maximalfrist vor580. Für Personenschäden wird in Art. 3:310 (5) NBW sogar gänzlich auf eine Maximalfrist verzichtet581. Die Sonderbehandlung der
Personenschäden ist nach der hier vertretenen Ansicht aus folgendem
Grund berechtigt: Bei der körperlichen Integrität handelt es sich um ein besonders schützenswertes Rechtsgut. Vergegenwärtigt man sich die Begründung der Verjährung als Abwägung der Gläubigerinteressen auf der einen
Seite und den von der Verjährung zu schützenden Interessen auf der anderen Seite, ist diese Sonderbehandlung von Personenschäden gerechtfertigt,
da in diesen Fällen die Gläubigerinteressen besonders stark zu gewichten
sind582. Probleme können sich jedoch in Ausnahmefällen bei der Abgrenzung von Sach- und Personenschäden ergeben583.
Hingegen kann die Sonderbehandlung von Personenschäden nicht damit begründet
werden, längere Latenzperioden würden eher bei Körper- oder Gesundheitsschädigungen auftreten584. Lange Latenzperioden können zwar dazu führen, dass der Gläubiger erst spät von den anspruchsbegründenden Tatsachen Kenntnis erlangt und es
ihm daher an einer „reelle Chance“ fehlte, die Verjährung zu unterbrechen. Diese
„reelle Chance“ ist jedoch lediglich im Rahmen des relativen Verjährungssystems zu
beachten und gerade nicht im Rahmen des absoluten. Zudem sind lange Latenzperioden ohne Weiteres auch bei anderen Schäden, z.B. bei Baumängeln, denkbar.
3. Schlussendlich stellt sich die Frage, ob die absolute Frist unterbrochen
werden kann oder nicht, denn durch die Möglichkeit einer Unterbrechung
verliert die absolute Verjährungsfrist die Funktion einer absoluten Höchstdauer, während der die Forderung geltend gemacht werden kann. Nach
wohl herrschender Auffassung müssen auch Maximalfristen unterbrochen
werden können585. Dies ist nach der hier vertretenen Ansicht richtig, denn
durch den Unterbrechungstatbestand verlieren die Verjährungszwecke an
579
ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 893 ff.; VON BAR/ZIMMERMANN, S. 778 ff.; LOSERKROGH, S. 204.
580
Ebenfalls für eine Sonderbehandlung von Umweltschäden: LOSER-KROGH, S. 204.
581
Gleich in anderen Rechtsordnungen (vgl. die Nachweise bei ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 895 ff.).
582
ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 893; VON BAR/ZIMMERMANN, S. 778.
583
Vgl. ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, Fn 194 m.w.H.
584
Z.B. VON BAR/ZIMMERMANN, S. 778.
585
Vgl. für die Schweiz: BGE 112 II 231 E. 3e.aa (= Pra 1987 Nr. 65); REY, Haftpflichtrecht, N 1633; LOSER-KROGH, S. 213. Für das deutsche Recht: MünchK/GROTHE,
N 43 zu § 199 BGB; Palandt/ELLENBERGER, N 39 zu § 199 BGB. A.A. PICHONNAZ,
S. 91 f.
119
7. Kapitel: Teilweiser Reformbedarf
Bedeutung. So bedarf beispielsweise der Schuldner, der den Anspruch anerkennt, des Schutzes nicht, den die Verjährung ihm gewährt. Dies rechtfertigt auch eine Unterbrechung der absoluten Verjährungsfrist.
Diese Möglichkeit dürfte freilich praktisch keine Bedeutung haben: Im Falle einer Unterbrechungshandlung, also im Wesentlichen im Falle einer Klage durch den Gläubiger oder einer Anerkennung durch den Schuldner (vgl.
Art. 135 OR), liegt wohl immer Kenntnis oder zumindest fahrlässige Unkenntnis vor, was den Lauf der (kürzeren) relativen Verjährungsfrist begründet. Im Falle einer Unterbrechungshandlung beginnt daher nicht nur
die absolute Verjährungsfrist von neuem zu laufen, sondern in der Regel
auch die (kürzere) relative Frist.
III. Teilweiser Reformbedarf in der Schweiz
Es hat sich gezeigt, dass nur ein System aus relativen und absoluten Verjährungsfristen den divergierenden Anforderungen, die an ein Verjährungssystem gestellt werden, nachkommen kann. Demgegenüber ist im schweizerischen Recht für die Verjährung von Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung lediglich ein relatives System vorgesehen: Das allgemeine Verjährungsrecht nach Art. 127 ff. OR kennt lediglich eine Verjährungsfrist ab Fälligkeit der Schadenersatzforderung, also ab dem Zeitpunkt, ab dem genügend Anhaltspunkte vorliegen, welche die begründete
Vermutung zulassen, dass ein Schaden in bestimmtem Umfang eintreten
wird. Dieses Verjährungssystem berücksichtigt lediglich die Anforderungen, die an ein relatives Verjährungssystem gestellt werden (Ziff. 1). Hingegen werden die Anforderungen, die an ein absolutes Verjährungssystem
gestellt werden, vom allgemeinen Verjährungsrecht nach Art. 127 ff. OR
nicht berücksichtigt (Ziff. 2). Es ist daher eine „Neuregelung der ordentlichen Verjährung nach dem Konzept der doppelten Fristen“ zu fordern586.
1. Berücksichtigung der Bedürfnisse für ein relatives System. Wie gesehen, soll das relative System gewährleisten, dass die Verjährung nur dann
eintritt, wenn der Gläubiger eine „faire Chance“ hatte, den Verjährungseintritt zu verhindern. Am weitestgehendsten ist dieses Erfordernis verwirklicht, wenn auf die tatsächliche Kenntnis des Gläubigers vom Schuldner
und den anspruchsbegründenden Tatbeständen abgestellt wird (so z.B.
Art. 60 Abs. 1 OR). Nach einhelliger Ansicht ist dieses Erfordernis aber
auch dann noch erfüllt, wenn für den Ablauf der Verjährungsfrist auf die
586
LOSER-KROGH, S. 200; vgl. auch PICHONNAZ, S. 80 ff.; KRAUSKOPF, HAVE 2009,
S. 277; BERTI, Die Verjährung vertraglicher Schadenersatzforderungen, S. 27 f.
120
§ 22 System der doppelten Fristen
fahrlässige Unkenntnis abgestellt wird (so z.B. Art. 14:301 PECL; § 199
BGB)587. Dabei scheint es eine zunehmende Verlagerung von der tatsächlichen Kenntnis zur fahrlässigen Unkenntnis zu geben588.
Das Erfordernis der „fairen Chance“ ist jedoch auch dann noch erfüllt,
wenn – wie im Anwendungsbereich von Art. 130 Abs. 1 OR – für den Ablauf der Verjährungsfrist Fälligkeit der Schadenersatzforderung verlangt
wird589: Fälligkeit setzt zwar nicht voraus, dass der Gläubiger den Schuldner und die anspruchsbegründenden Tatsachen kannte oder hätte kennen
müssen, aber immerhin, dass er die Tatsachen hätte kennen können (vgl.
oben S. 31 ff.). Freilich ist das System, das für den Verjährungseintritt auf
die tatsächliche Kenntnis des Gläubigers abstellt, für den Gläubiger am
günstigsten und dasjenige, das lediglich auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme abstellt, am ungünstigsten. Diese Unterschiede können jedoch durch
unterschiedliche Verjährungsfristen kompensiert werden. „Es ist deshalb
nicht überraschend, dass der Aufstieg des Erkennbarkeitskriteriums in engem Zusammenhang stand mit dem allgemeinen Trend zu kürzeren Verjährungsfristen.“590: Wird auf die tatsächliche Kenntnis abgestellt, wird zum
Teil eine einjährige Frist vorgesehen (z.B. Art. 60 Abs. 1 OR). Wird auf das
„Kennenmüssen“ abgestellt, wird regelmässig eine dreijährige Verjährungsfrist festgesetzt (z.B. Art. 14:201 PECL i.V.m. Art. 14:301 PECL;
§ 195 BGB i.V.m. § 199 BGB). Im Anwendungsbereich von Art. 130
Abs. 1 OR, wo für den Beginn des Fristenlaufs auf die Möglichkeit der
Kenntnisnahme abgestellt wird, ist eine zehnjährige Frist vorgesehen
(Art. 127 OR).
Insgesamt kann daher nicht gesagt werden, die Interessen des Gläubigers
würden durch das System von Art. 130 Abs. 1 OR beeinträchtigt. Im Gegenteil stellt die Kombination von Fälligkeit und zehnjähriger Frist nach
allgemeiner Ansicht591 eine Besserstellung des Gläubigers im Vergleich zu
Art. 60 Abs. 1 OR dar.
Die Auslegung des Bundesgerichts und eines Teils der Lehre, wonach die Verjährungsfrist im Anwendungsbereich von Art. 130 Abs. 1 OR bereits mit der Pflichtverletzung zu laufen beginnt (oben S. 37 f.), genügte demgegenüber den Anforderungen,
die an das relative Verjährungssystem gestellt werden, nicht.
587
ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 867; VON BAR I, N 395; VON BAR II, N 554 ff.
VON BAR/ZIMMERMANN, S. 758.
589
ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 872 ff.
590
VON BAR/ZIMMERMANN, S. 758.
591
Das allgemeine Verjährungsrecht wird regelmässig als das im Vergleich zu Art. 60
OR günstigere bezeichnet (vgl. z.B. GAUCH, ZSR 1997 I, S. 315; ROBERTO, N 338;
HUGUENIN, N 1172; TOGNELLA, S. 159).
588
121
7. Kapitel: Teilweiser Reformbedarf
2. Ungenügende Berücksichtigung der Bedürfnisse für ein absolutes
System. Im Anwendungsbereich von Art. 130 Abs. 1 OR beginnt die Verjährungsfrist dann zu laufen, wenn Anhaltspunkte vorliegen, welche die
begründete Vermutung zulassen, dass ein Schaden in bestimmtem Umfang
eintreten wird. Solche Anhaltspunkte können erst unbestimmte Zeit nach
der Pflichtverletzung eintreten. Der Verjährungsbeginn – und damit der
Verjährungseintritt – kann daher im Anwendungsbereich von Art. 130
Abs. 1 OR auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben sein, womit den Bedürfnissen für ein absolutes Verjährungssystem im Anwendungsbereich des allgemeinen Verjährungsrechts nur ungenügend Rechnung getragen wird. Es
fehlt eine Maximalfrist, ab deren Ablauf „die Parteien die Angelegenheit
als unzweifelhaft erledigt betrachten können“.
Immerhin wird der Schuldnerschutz als eine Aufgabe der Verjährung teilweise dadurch gewahrt, dass sich mit dem Zeitablauf auch die Beweismöglichkeiten des Gläubigers verschlechtern592. Aufgrund dieser Überlegung
wird in anderen Rechtsordnungen teilweise – insbesondere (aber nicht nur)
bei Personenschäden – gänzlich auf eine Maximalfrist verzichtet593.
592
Staudinger/PETERS/JACOBY, N 89 zu § 199 BGB: „Das [das Hinausschieben des Verjährungsbeginns auf unbestimmte Zeit] könnte an sich weithin hingenommen werden,
denn mit einem jahrelangen Zeitablauf verschlechtern sich auch die Beweismöglichkeiten des Gläubigers [...].“.
593
Zum Verzicht auf eine Maximalfrist bei Personenschäden vgl. ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 895 ff. m.w.H. Zum Verzicht auf Maximalfristen insgesamt
vgl. ZIMMERMANN/KLEINSCHMIDT, S. 898 ff. m.w.H.
122
Zusammenfassung
1. Positive Vertragsverletzung. Nach der hier vertretenen Ansicht fällt unter den Tatbestand der positiven Vertragsverletzung nicht nur die Nichterfüllung von vertraglichen Obligationen, soweit es sich weder um Unmöglichkeits- noch um Verzugstatbestände handelt, sondern auch die Nichterfüllung einer allgemeinen Pflicht zum Schutz der Rechtsgüter des Vertragspartners (sog. Schutzpflicht) im Rahmen der Vertragserfüllung.
Dies ergibt sich insbesondere aus folgender Überlegung: Mit der Trennung
von vertraglicher und deliktischer Haftung trägt der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung, dass – im Gegensatz zum reinen Zufallskontakt bei der deliktischen Schädigung – durch den Vertrag eine gewisse Sonderbeziehung
zwischen den Vertragspartnern geschaffen wird, was eine gesteigerte
Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit des Vertragspartners bewirkt. Diese
besondere Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit besteht jedoch unabhängig
davon, ob der Vertragspartner im Rahmen der Vertragserfüllung eine vertragliche Pflicht oder eine (allgemeine) Schutzpflicht verletzt. Die Trennung zwischen vertraglichen Pflichten und (allgemeinen) Schutzpflichten
entspricht nicht dem gesetzgeberischen Gedanken, welcher der Trennung
von vertraglicher und deliktischer Haftung zugrunde liegt. Die vertragliche
Haftung ist daher nicht auf die Verletzung von vertraglichen Pflichten beschränkt, wie auch ein Blick auf Haftungsbestimmungen des besonderen
Teils des OR zeigt.
2. Anwendbares Verjährungsrecht. Die Verjährung von Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung richtet sich subsidiär nach
dem allgemeinen Verjährungsrecht gemäss Art. 127 ff. OR, sofern nicht eine spezielle Verjährungsbestimmung unmittelbar oder analog anwendbar
ist.
Besonders zu erwähnen ist, dass insbesondere Art. 60 Abs. 1 OR weder
unmittelbar noch analog auf Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung anwendbar ist: Art. 60 Abs. 1 OR wäre dann unmittelbar
auf die Tatbestände der positiven Vertragsverletzung anwendbar, wenn
die Verjährungsbestimmungen unter das „Mass der Haftung“ gemäss
Art. 99 Abs. 3 OR fallen würden; dies ist jedoch nicht der Fall. Art. 60
Abs. 1 OR ist auch nicht analog auf Schadenersatzforderungen aus positiver Vertragsverletzung anwendbar, da diese Verjährungsbestimmung nicht
auf solche Schadenersatzforderungen passt. Denn die Tatbestände der positiven Vertragsverletzung zeichnen sich – im Gegensatz zum Delikt – einer123
Zusammenfassung
seits durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit des Gläubigers und andererseits durch eine geringere Gefährdung der durch die Verjährung zu schützenden Interessen aus. Da sich die Verjährung aus der Abwägung der Gläubigerinteressen auf der einen Seite und den von der Verjährung zu schützenden Interessen auf der anderen Seite ergibt, spricht beides gegen die Anwendung von Art. 60 Abs. 1 OR und für die Anwendung
der gläubigerfreundlicheren, allgemeinen Verjährungsordnung nach
Art. 127 ff. OR.
3. Verjährungsbeginn. Untersucht wurde primär der Verjährungsbeginn
gemäss allgemeinem Verjährungsrecht nach Art. 127 ff. OR, wobei von
denjenigen Tatbeständen der positiven Vertragsverletzung ausgegangen
wurde, bei denen die Verletzung einer vertraglichen Pflicht oder einer
Schutzpflicht zu einer Beeinträchtigung vorhandener Rechtsgüter des Geschädigten führt; entweder weil unmittelbar das Integritätsinteresse beeinträchtigt ist oder weil sich Erfüllung- und Integritätsinteresse inhaltlich
überlagern.
Die Ergebnisse können folgendermassen zusammengefasst werden: Schadenersatzforderungen im Allgemeinen und solche aus positiver Vertragsverletzung im Besonderen unterliegen einem selbständigen Verjährungsbeginn. Im Anwendungsbereich des allgemeinen Verjährungsrechts nach
Art. 127 ff. OR ist daher für den ordentlichen Verjährungsbeginn die Fälligkeit der in Frage stehenden Schadenersatzforderung massgebend
(Art. 130 Abs. 1 OR). Fällig ist eine Schadenersatzforderung dann, wenn
sie das erste Mal gerichtlich geltend gemacht werden kann. Dies ist dann
der Fall, wenn Anhaltpunkte bestehen, welche die begründete Vermutung
zulassen, dass ein Schaden in bestimmtem Umfang eintreten wird. Dazu
folgende Präzisierungen: (1) Ein Schaden im Sinne einer unfreiwilligen
Vermögensverminderung ist keine Fälligkeitsvoraussetzung. (2) Für die
Fälligkeit ist lediglich vorausgesetzt, dass die Anhaltspunkte zumindest in
(z.B. medizinischen) Fachkreisen erkannt werden können und zu der begründeten Vermutung führen können, dass ein Schaden in einem bestimmten Umfang eintreten wird. Die subjektive Unkenntnis des Geschädigten
hindert die Fälligkeit nicht. (3) Die Vermutung, dass ein Schaden eintreten
wird, muss begründet sein; der künftige Schaden muss also höchst wahrscheinlich und nicht bloss möglich erscheinen.
Aufgrund der Schadenseinheit beginnt die Verjährungsfrist in denjenigen
Fällen, wo die Schadenersatzforderung zumindest teilweise fällig ist, für
die gesamte Schadenersatzforderung zu laufen, sofern die künftigen, noch
nicht fälligen Schadensposten aufgrund der vorliegenden Anhaltspunkte
zwar nicht höchst wahrscheinlich, aber immerhin möglich erscheinen.
124
Zusammenfassung
4. Teilweiser Reformbedarf. Den entgegengesetzten Anforderungen, die
an ein Verjährungssystem gestellt werden, kann mit einer Kombination von
relativen und absoluten Fristen nachgekommen werden. Im Anwendungsbereich von Art. 130 Abs. 1 OR kann der Verjährungsbeginn – und damit
der Verjährungseintritt – auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben sein, womit den Bedürfnissen für ein absolutes Verjährungssystem im Anwendungsbereich des allgemeinen Verjährungsrechts nur ungenügend Rechnung getragen wird. Es fehlt eine absolute Maximalfrist, ab deren Ablauf
die Parteien die Angelegenheit als unzweifelhaft erledigt betrachten können. Es besteht daher ein Bedürfnis für eine „Neuregelung der ordentlichen
Verjährung nach dem Konzept der doppelten Fristen“594.
594
LOSER-KROGH, S. 200.
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Lebenslauf
Geburtsdatum:
28. Mai 1984
Geburtsort:
Heiden, AR
05/2010 – 07/2011
Anwaltspraktikum bei Bär & Karrer AG, Zürich
09/2008 – 06/2011
Doktorandenstudium an der Universität St. Gallen
04/2007 – 12/2009
Assistent am Lehrstuhl von Prof. Dr. Alfred Koller
10/2006 – 08/2008
Masterstudium an der Universität St. Gallen
10/2003 – 10/2006
Bachelorstudium an der Universität St. Gallen
2003
Matura an der Kantonsschule Trogen, AR
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