Vom aufgeklärten Absolutismus zum modernen Verfassungsstaat

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Vom aufgeklärten Absolutismus zum modernen Verfassungsstaat
Kay Wünsche
Kompendium 1
Abiturwissen zum Thema:
Vom aufgeklärten Absolutismus
zum modernen Verfassungsstaat
Brandenburg-Preußen und Deutschland vom Ende des 18.
Jahrhunderts bis zur Entstehung der Weimarer Republik
© Rangsdorf 2001
Inhalt
Seite
Vorwort
1. Staats- und Verfassungstheorie
1.1. Der Begriff Staat
1.2. Staatsformen
1.3. Die Verfassung
4
4
5
2. Die alte Agrargesellschaft um 1800
2.1. Der aufgeklärte Absolutismus (am Beispiel Brandenburg-Preußens 1740-86)
2.2. Wirtschaft und Gesellschaft auf dem Lande
2.3. Die gewerbliche Produktion vor der Industrialisierung
2.4. Neue politische Entwicklungen und die Voraussetzungen der Industrialisierung
6
7
8
9
3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert
3.1. Wiener Kongress, Restauration und Vormärz
3.2. Beginn der Industrialisierung in Deutschland
3.3. Die Revolution von 1848/49 – ein Entwurf für ein modernes Deutschland
3.4. Moderne Antworten auf die soziale Frage
3.5. Das deutsche Kaiserreich
3.6. Modernisierte Arbeitswelt im Kaiserreich
3.7. Das Deutsche Reich zwischen Kontinentalpolitik und Weltpolitik
3.8. Die Novemberrevolution: Zwischen Kontinuität und Neubeginn
3.9. Der Weg zur Verfassungsordnung der Weimarer Republik
11
11
12
14
16
18
19
20
22
4. Historische Grundbegriffe
5. Anlagen
23
36
6. Literatur
37
2
Vorwort
1. Dieses Kompendium dient als Arbeits- und Lernhilfe für Schülerinnen und Schüler der
Sekundarstufe II. Es soll in komprimierter Form
• Substanz,
• Übersicht und
• Arbeitsmaterial
vereinen, welches den Nutzern den Weg zum Abitur erleichtern wird.
2. Keineswegs ersetzt dieses Kompendium das Studium von Lehrbüchern, Sekundärliteratur
oder gar die Mitarbeit im Unterricht. Das Anfertigen von Hausaufgaben bleibt ebenfalls ein
unabdingbares Begleitphänomen der Schülerarbeit.
3. Das Kompendium stellt die historische Substanz in wenigen Aussagen zusammen, ohne den
Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
4. Das Kompendium bietet Übersichten und Modelle zum besseren Verständnis historischer
Ereignisse und Prozesse an. Dabei ist zu beachten, dass das Vereinfachen von historischen
Abläufen immer die Gefahr der Pauschalisierung und Generalisierung in sich birgt und ein
differenzierendes Betrachten der Zusammenfassung stets notwendig macht.
5. Das Kompendium enthält eine Reihe von Übungsmaterialien, die so oder in anderer Form als
besondere Überprüfung (Test) oder Klausur bearbeitet werden könnten.
6. Die im Kompendium enthaltenen Definitionen sind als Diskussionsgrundlage und nicht als
Indoktrination zu verstehen. Genauso sollte die Darstellung der Geschichte nicht als alleiniges
Faktum begriffen werden sondern als eine Möglichkeit sie so zu deuten.
3
1. Staats- und Verfassungstheorie
Wesen des Staates (Theorien):
•
•
1. Staats- und
Verfassungstheorie
•
•
Gottesgnadentum als Legitimationsgrundlage
Staat als Macht und Herrschaftsapparat
(Machiavelli)
Vertrag
zwischen
Volk
und
Herrscher
(Rousseau)
Rechtssubjekt in Gestalt einer juristischen
Person
Zweck und Aufgaben des Staates:
1.1.Der Begriff Staat
lat. „status“ (Zustand, Ordnung, Verfassung)
Absolute
Staatszwecklehren:
a)
„Drei-Elementen-Lehre“ (Jellinek)
b)
Def.: Der Staat ist eine Einrichtung, durch die eine
Gesamtheit von Menschen auf einem bestimmten
Teil der Erdoberfläche unter einer hoheitliche Gewalt
in einer Gemeinschaft zur Verwirklichung von
Gemeinschaftszwecken mit einander verbunden ist.
Ein Staat ist als vorhanden anzusehen, wenn sich
eine Staatsgewalt über einem Staatsvolk und einem
Staatsgebiet endgültig militärisch und politisch
durchgesetzt hat, nach außen unabhängig ist und
dem Staat eine gewisse Ordnung gegeben hat.
c)
d)
Notwendige Elemente:
a)
b)
Staatsgebiet:
abgegrenzter
Teil
der
Erdoberfläche, der zum Aufenthalt von
Menschen
geeignet
ist.
(Frage
der
Beherrschbarkeit – Luftraum, Erdinneres,
Wasser
–
z.B.
Zwölfmeilenzone,
Wirtschaftszone 200 – 350 Seemeilen)
Staatsvolk:
Personenverband, rechtliche
und
politische
Schicksalsgemeinschaft,
Gesamtheit
der
Staatsangehörigen
>
Staatsangehörigkeit:
(z.B.
Sprache,
Rasse, Religion, Nationalität ...) Nicht alle
Menschen, die sich im Staatsgebiet aufhalten,
sind Staatsangehörige, diese haben Rechte
(z.B.
politische
Mitwirkung,
Wahlrecht,
Grundrechte ...) und Pflichten (z.B. Wehrpflicht
...).
Territorialprinzip
(England)
oder
Abstammungsprinzip (Deutschland)
ethische,
vorgegebene
sittliche und
moralische Ideen
durchsetzen
religiöse,
Verwirklichung des
Willen Gottes
wohlfahrtstheoretis
che, Staat für
Glück
verantwortlich –
Polizeistaat
liberale
rechtsstaatliche,
Wahrung der
Rechtsordnung,
„laissez faire“
Träger der
Staatsgewalt
Staatsoberhaupt
Staatsgebiet
Monokratie
Republik
Einheitsstaat
Monarchie
Bundesstaat
•
kann Anordnungen und Befehle erteilen und zur
Not zwangsweise durchsetzen,
Letztverantwortlichkeit und Unabhängigkeit >
von niemandem mehr kontrolliert
Selbstorganisationsfähigkeit
Unteilbarkeit der Trägerschaft
Bindung an Rechtsgrundsätze (rechtsstaatliche
Auffassung)
Demokratie
d)
e)
f)
Legalität
Souveränität
Legitimität
g)
Staatsformen
Aristokratie
Nicht notwendige Elemente (umstritten!):
f)
Förderung des
Gemeinwohls,
Herrschafts- und
Friedensfunktion
Ordnungsfunktio
n
Gestaltungsfunk
tion
Unterscheidung nach:
Staatsgewalt:
Herrschaftsmacht des Staates
über Land (Staatsgebiet>Gebietshoheit) und
Leute (Staatsvolk>Personalhoheit) Merkmale:
•
•
•
e)
1.2. Staatsformen (nach Katz)
c)
•
Relative
Staatszwecklehren:
Unmittel
-bar
Mittel
bar
Präsi
dial
Parla
ment
arisch
absolut
Konstitutionell
ständisch
Parlamentarisch
unitar
föderal
4
1. Staats- und Verfassungstheorie
20 Jahrhundert, Verlag Ferdinand Schönigh, Paderborn
1971,
UTB–Bestellnummer: 3-8252-0058-2
Staatenverbindungen:
Staatenbund (nach Jellinek)
Def.: Ein Staatenbund ist eine dauernde , auf
Vereinbarung beruhende Verbindung unabhängiger
Staaten zum Zweck des Schutzes des Bundesgebietes
nach außen und innerer Friedensbewahrung zwischen den
verbündeten Staaten.

es wird kein neuer Staat geschaffen !
Im Vergleich dazu:
Bundesstaat (nach Siegrist)
Def.: Ein Bundesstaat ist ein Staat in der Weise, dass
sowohl Gesamtgebilde als auch die Glieder Staaten sind.

es wird ein neuer Staat geschaffen
1.3. Die Verfassung (nach Katz)
Def.: Die Verfassung (Konstitution) eines Staates enthält
die
grundlegenden
Rechtsnormen
über
die
Entscheidungsstrukturen und die Organisation des
Staatsverbandes
sowie
die
Funktionsweise
des
Staatsgewalt.
Merkmale:
•
•
•
Vorrang
erschwerte Abänderbarkeit
erhöhte Bestandskraft
Verfassungsgeschichte:
•
•
•
•
•
•
•
Nordamerika 1776
Frankreich 1791
Paulskirchenverfassung 1848/49
Deutsche Reichsverfassung 1871
Verfassung der Weimarer Republik 1919
Verfassung der Bundesrepublik Deutschland
1949
Verfassung der Deutschen Demokratischen
Republik 1949/68
Aufgaben:
1.
Vergleichen
Sie
wesentliche
Merkmale
verschiedenen Verfassungen miteinander!
der
2. Versuchen Sie, alle theoretischen Aussagen mit
historischen bzw. aktuellen Beispielen zu belegen.
Literatur:
Katz, Alfred: Staatsrecht, Grundkurs im öffentlichen Recht, C.F.
Müller Verlag, Heidelberg 1996, ISBN 3-8114-3996-0
Hildebrandt Horst (Hrsg.): Die deutschen Verfassungen
im 19. und
5
1. Staats- und Verfassungstheorie
•
2. Die alte Agrargesellschaft
um 1800
•
2.1. Der aufgeklärte Absolutismus
in Brandenburg-Preußen
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
1740 bis 1786 unter Friedrich II.
Anpassung an neue
Entwicklungstendenzen in Europa
(Aufklärung)
Reaktion auf die modernen
wirtschaftlichen und weltanschaulichen
Einflüsse durch Übernahme bzw.
Abwandlung bgl. Auffassungen.
Lehre vom Gesellschaftsvertrag war
geeignet, eigene Herrschaft auf neue
Weise zu begründen, die eigene Macht
weiter zu sichern
Anpassung an die neuen Tendenzen in
Europa nur auf einigen wenigen
gesellschaftlichen Gebieten (Verwaltung,
Justiz, Kultur)
Grundtendenz des aufgeklärten
Absolutismus in Preußen konservativ,
teilweise durch Krieg motiviert
Abschaffung der Folter 1740
Justizreform ab 1745 (Vereinfachung der
Rechtsprechung und die formale
Gleichbehandlung, Einschränkungen bei
der Anwendung der Todesstrafe)
Verbot des „Bauernlegens“
Teilweise Aufhebung der Zensur für
nichtpolitische Zeitungen in Berlin
Wiederbelebung der Akademie der
Wissenschaften
Einrichtung des V. Departements des
Generaldirektoriums für die Förderung
von Handel und Gewerbe
Bildung eines besonderen Departements
für Militärökonomie
Einwanderungspolitik durch
Versprechen religiöser Freiheiten und
materieller Besserstellungen wie
Steuerprivilegien bzw.
Landvergabe durch Kultivierung weiter
Landesteile wie durch die Entwässerung
des Oderbruchs 1747 bis 1753 –
Rodungen
Steigerung der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit Preußens vor dem
Hintergrund zu erwartenden
außenpolitischen Kräftemessens
Militär verschlang 2/3 des Staatsetats
Lasten trug die Bevölkerung
(Kontributionen,Kavalleriegeld,Lebensmit
tellieferungen)
militärische Formen des Zusammenlebens
ins zivile Leben übertragen, Erziehung
eines an blinden Gehorsam gewöhnten
Menschen > sog. „preußische Tugenden“
wie: Disziplin, Pünktlichkeit, Gehorsam,
Treue, Pflichtbewusstsein,
Obrigkeitsglaube, Untertanengeist
Opposition des Adel wurde durch
Besetzung nahezu aller Funktionen im
Militär und Verwaltung unterdrückt >
Grund und Boden blieb Privileg des
Adels (siehe Allgemeines Preußisches
Landrecht von 1794)
Insgesamt blieb der Absolutismus in
Brandenburg-Preußen auf einige
aufklärerische Zutaten beschränkt, was
nicht zuletzt am Einvernehmen lag in der
sich große Teile der Bevölkerung mit dem
Staat befanden.
Funktionsweise des Systems
Politisches System
König
Gottesgntm.
Militär
geistlicher
A d e l
Beamte
weltlicher
Volk
bäuerliches
bürgerliches
Merkantilismus als Wirtschaftssystem
(Zollpolitik)
6
2. Die alte Agrargesellschaft um 1800
Zusammensetzung des Staatsetats
Preußischer Staatshaushalt
Einnahmen
indirekte
(Akzise)
Klerus,
Unternehmer,
Handwerker,
Bauern
Verwaltung
direkte
(Kontribution)
Unternehmer,
Handwerker,
Bauern)
Unternehmer)
Unternehmer)
Hofhaltung
(Gehälter, Pensionen)
•
•
•
•
2/3 Militär
Steuern:
•
Ausgaben
2.2. Wirtschaft und Gesellschaft
auf dem Lande
Subventionen
Siedlungspolitik
Zölle:
Infrastrukturpolitik
•
Ausfuhrzölle
•
Einführzölle
Gewinne:
aus Staatsbetrieben
(Bergbau,
Eisenerzeugung, Handel,
Banken > um 1800)
(Flotte)(Kolonien)
Staatsgüter
bzw. - betriebe
Aufgaben:
1. Worin bestehen Ihrer Meinung nach die Unterschiede
zur klassischen Form des Absolutismus?
2. Diskutieren Sie, ob und inwiefern
Wirtschaftsformen heute noch aktuell sind.
merkantile
3. Vergleichen Sie die Zusammensetzung des
Staatshaushaltes im Absolutismus mit der Etatstruktur
anderen Zeitepochen.
¾ der Gesellschaft auf dem Land
Produktionsüberschüsse der Landwirtschaft,
Freisetzung
von
Arbeitskräften
und
Entstehung eines Marktes für gewerbliche
Produkte waren Fortschrittsvoraussetzungen
Agrargesellschaft
war
bestimmend
(Susistenzwirtschaft),
Mehrheit
der
Bevölkerung an den Adel gebunden: Hörigkeit
und Leibeigenschaft überwiegend, westlich
der Elbe vorw. Grundherrschaften, östlich der
Elbe vorw. Gutsherrschaften
Def.:
Gutsherrschaft (nach Fedor Bochow),
Bezeichnung für die seit dem 15./16. Jahrhundert im
Osten Mitteleuropas übliche Form des Großgrundbesitzes;
sie war eine Fortentwicklung der mittelalterlichen
Grundherrschaft. Im Gegensatz zum grundherrlichen
Streubesitz zeichnete sich die Gutsherrschaft vor allem
durch die Geschlossenheit ihres Gebiets aus. Der
Gutsherr hatte neben den grundherrlichen Rechten auch
öffentliche Rechte wie etwa die Ortsherrschaft und die
Gerichtsherrschaft inne, auf deren Grundlage er über weit
reichende Gewalt über seine bäuerlichen Untertanen
verfügte. Die Gutsherren übten allerdings in engen
Grenzen auch Sozialfürsorge aus, setzten Pfarrer und
Lehrer ein. Die Bauern selbst waren an die Scholle
gebunden
und
zu
umfangreichen
Frondiensten
verpflichtet. Seit dem 16. Jahrhundert erweiterten die
Gutsherren ihren Gutsbesitz vielfach durch das
Bauernlegen.
Mit
der
Bauernbefreiung
im
18./19. Jahrhundert fand die politisch-rechtliche Seite der
Gutsherrschaft ein Ende; die Gutsherrschaften als
Wirtschaftseinheiten blieben in der Regel bestehen.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Gutsbezirke, die
seit
dem
19. Jahrhundert
den
Landgemeinden
gleichgestellt waren, per Gesetz fast vollständig aufgelöst.
Def.: Grundherrschaft, Bezeichnung für die
wirtschaftliche,
soziale
und
rechtliche
Organisationsform,
die
den
agrarischen
Großgrundbesitz vom frühen Mittelalter bis ins
19. Jahrhundert hinein prägte. Grundprinzip der
Grundherrschaft war die Vergabe von Herrenland an
unfreie, sesshafte Bauern (die Grundholden) zur
Nutzung, die dafür ihrem Grundherrn, zu dem sie in
unterschiedlicher
Abhängigkeit
standen,
zu
Frondiensten und Abgaben verpflichtet waren. Die
Grundherrschaften in Deutschland bestanden meist aus
Streubesitz; die Fronhöfe, d. h. die Höfe der
Grundherren bzw. deren Verwalter (Meier), bildeten das
Zentrum der grundherrschaftlichen Verwaltung. Zum
Fronhof gehörte in der Regel das Salland, derjenige Teil
des Grundbesitzes, der in der direkten Verfügung des
Grundherrn blieb. Ab dem Spätmittelalter wurde das
Salland aber häufig ebenfalls verpachtet. Das
Herrenland wurde nicht nach dem Lehnsrecht an die
Grundholden weiterverliehen; trotzdem bildeten die
unfreien Bauern als diejenigen, die die materiellen
Grundlagen für den Lebensunterhalt ihrer Herren
schufen, die Basis des feudalen Systems.
Die so genannte „ältere Grundherrschaft“ des
Frühmittelalters beschränkte sich nicht auf die
Herrschaft des Herrn über seinen Grund und Boden,
sondern schloss auch die Herrschaft über Land und
Leute ein, d. h. sie umfasste auch Herrschaftsrechte wie
die Gerichtsbarkeit über die Grundholden; außerdem
7
2. Die alte Agrargesellschaft um 1800
war der Grundherr zu Schutz und Schirm gegenüber
seinen Grundholden verpflichtet. Fortsetzung nächste
Seite!
Im
Spätmittelalter
bildete
sich
die
„jüngere
Grundherrschaft“ heraus, die nur noch die Herrschaft
über Grund und Boden umfasste. Gleichzeitig wurden
mit dem Aufkommen der Geldwirtschaft die Grundlasten
in Form von Naturalabgaben und Frondiensten mehr
und mehr in Geldabgaben umgewandelt. Die
Grundherrschaft wurde nun zu einer primär
wirtschaftlichen
Organisationsform,
während
Gerichtsbarkeit, Vogtei und ähnliche Herrschaftsrechte
von der Grundherrschaft getrennt wurden; die
Grundherren verloren Teile ihrer ursprünglichen
Herrschaftsrechte und damit auch an Verfügungsgewalt
über ihre Grundholden sowie an politischem Einfluss.
Die allmähliche Reduzierung des Verhältnisses
zwischen Grundherrn und Grundholden auf ein
vorwiegend wirtschaftliches ermöglichte es den
Grundholden in zunehmendem Maße, ihren Grundherrn
gegen Leistung einer Ablöse zu verlassen, um z. B. in
die Stadt umzusiedeln, oder – in seltenen Fällen – das
von ihnen bewirtschaftete Land zu erwerben.
Im Hoch- und Spätmittelalter war der Landesherr häufig
einer der größten bzw. der einzige Grundherr in seinem
Territorium,
was
in
der
Herausbildung
der
Landesherrschaften eine bedeutende Rolle spielte. Ab
dem 19. Jahrhundert ging die Grundherrschaft im
adeligen Großgrundbesitz auf.
Entwicklungen in der
Landwirtschaft
•
•
•
•
•
Dreifelderwirtschaft
wissenschaftliche
Verfahren
zur
Bodenverbesserung, systematische Zucht
von Tieren
Gründung von Dörfern
steigende Getreidepreise > Bodenspekulation
1794 „Allgemeines Landrecht“ in Preußen
1794 - Auszüge aus dem Allgemeinen Landrecht für
die preußischen Staaten
§ 1. Unter dem Bauerstande sind alle Bewohner des
platten Landes begriffen, welche sich mit dem
unmittelbaren Betriebe des Ackerbaues und der
Landwirtschaft beschäftigen, insofern sie nicht durch
adlige Geburt, Amt, oder besondere Rechte von diesem
Stande ausgenommen sind.
§ 2. Wer zum Bauerstande gehört, darf, ohne Erlaubnis
des Staats, weder selbst ein bürgerliches Gewerbe
treiben, noch seine Kinder dazu widmen.
§ 91. Nur die Besitzer von Rittergütern können in der
Regel Untertanen haben und herrschaftliche Rechte über
dergleichen ausüben.
§ 93.
Kinder untertäniger Eltern werden derjenigen
Herrschaft untertan, welcher die Eltern zur Zeit der Geburt
unterworfen waren.
§ 94. Waren die Eltern ungleichen Standes, so folgen,
auch in Ansetzung der Untertänigkeit eheliche Kinder dem
Vater, uneheliche aber der Mutter.
§ 96. Personen weiblichen Geschlechts, welche einen
untertänigen Mann heiraten, treten in die Untertänigkeit, zu
welcher dieser verpflichtet ist.
§ 97. Wenn während der Ehe der freie Mann sich in die
Untertänigkeit begibt, so kann die Frau, ihm dahin zu
folgen, in der Regel nicht gezwungen werden.
§ 98. Vielmehr ist sie auf Trennung der Ehe und dass der
Mann für den schuldigen Teil erkannt werde, anzufragen
berechtigt.
§ 122. Eine jede Gutherrschaft ist schuldig, sich ihrer
Untertanen in vorkommenden Notfällen werktätig
anzunehmen.
§ 125. Der Gutsherrschaft liegt besonders ob, für eine
gute und christliche Erziehung der Kinder ihrer Untertanen
zu sorgen.
Fortsetzung oben
§ 133. Untertanen sind ihrer Herrschaft Treue, Ehrfurcht
und Gehorsam schuldig.
§ 147. Untertanen werden, außer der Beziehung auf das
Gut, zu welchem sie geschlagen sind, in ihren Geschäften
und Verhandlungen als freie Bürger des Staates
angesehen.
§ 148. Es findet daher die ehemalige Leibeigenschaft, als
eine Art der persönlichen Sklaverei, auch in Ansehung der
untertänigen Bewohner des platten Landes nicht statt.
§ 149. Sie sind fähig, Eigentum und Rechte zu erwerben,
und dieselben gegen jedermann, auch gerichtlich zu
verteidigen.
§ 150. Sie dürfen das Gut, zu welchem sie geschlagen
sind, ohne Bewilligung ihrer Grundherrschaft nicht
verlassen.
§ 151. Sie können aber auch von der Herrschaft, ohne
das Gut, zu welchem sie gehören, nicht verkauft,
vertauscht oder sonst an einen Anderen wider ihren Willen
abgetreten werden.
§ 152. Wo es bisher zulässig gewesen, dass Untertanen,
mit ihren Stellen zugleich, von einer Gutsherrschaft an die
andere überlassen worden, da mag es zwar auch ferner
dabei sein Bewenden haben.
§ 155. Entwichene Untertanen kann die Herrschaft überall
und zu allen Zeiten aufsuchen und zur Rückkehr nötigen.
§ 172. Ohne ausdrückliche Erlaubnis der Gutsherrschaft
können sie zur Erlernung eines bürgerlichen Gewerbes
oder zum Studieren nicht gelassen werden.
§ 176. Wenn ein Kind, nach dem Befunde sachkundiger
Männer, zu einer Kunst oder Wissenschaft vorzügliche
Talente und die erforderlichen Hilfsmittel zu deren
Erlernung besitzt, so darf ihm auch dazu die Erlaubnis
nicht verweigert werden.
§ 227.
Faules, unordentliches und widerspenstiges
Gesinde kann die Herrschaft durch mäßige Züchtigungen
zu seiner Pflicht anhalten.
Zit. nach: Günther Franz (Hrsg.): Quellen zur Geschichte des deutschen
Bauernstandes in der Neuzeit. (Wissenschaftliche Buchgesellschaft)
Darmstadt 1976, S.324ff.
Die gewerbliche
Industrialisierung
•
•
Produktion
vor
der
„Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ im
europäischen
Maßstab
kann
auch
am
Nebeneinanderbestehen
verschiedener
Produktionsformen erkannt werden: Zunftwesen,
Verlagssystem, Manufakturen, Fabriken
in Deutschland > gewerbliche Produktion fast
nur städtisch > Zunftkontrolle
Die Zünfte waren wichtig im Leben der mittelalterlichen
Stadt, denn sie beeinflussten das wirtschaftliche
Wohlergehen sowohl der Handwerker als auch der
Verbraucher. Die Zunft versuchte den Handwerkern
hauptsächlich auf zwei Arten zu helfen: Sie schützte zum
einen vor dem Wettbewerb durch Handwerker aus
anderen Städten und zum anderen vor möglichem
Wettbewerb durch Bürger der Stadt, die in anderen
Geschäften des gleichen Handwerkszweiges arbeiteten.
Das erste Ziel erreichte die Zunft, indem sie den Handel
für diesen Bereich in der Stadt monopolisierte; d. h., sie
erlaubte nicht, dass Waren aus anderen Städten für den
Verkauf eingeführt wurden. Das zweite Ziel wurde dadurch
erreicht, dass für alle Geschäfte, die die gleichen Waren
herstellten, auch dieselben Öffnungszeiten galten und für
Arbeiter im gleichen Handwerksbereich einheitliche Löhne
8
2. Die alte Agrargesellschaft um 1800
gezahlt wurden. Damit kein Meister gegenüber einem
anderen einen Vorteil haben konnte, bestimmte die Zunft
einheitlich die Zahl der Angestellten, Werkzeuge und
Arbeitsstunden pro Geschäft sowie die Preise, die der
Meister für die fertigen Produkte verlangen durfte. Die
Zunft überwachte die Einhaltung ihrer Regeln durch
ständige und genaue Überwachung der Geschäfte. Kein
Meister durfte für seine Produkte werben, damit er nicht
mehr Geschäfte machte als ein anderer Meister. Jede
Verbesserung in der Herstellungstechnik, durch die ein
Geschäft seine Ware schneller und billiger als andere
hätte herstellen können, war gleichfalls verboten. Die
Zünfte wollten völlige Gleichheit unter den Mitgliedern
jeder der drei Klassen erreichen, in die sie unterteilt waren.
Die Verbraucher profitierten von der Existenz der Zünfte
besonders durch die hohen Qualitätsansprüche, die die
Zunft an das fertige Produkt stellte, obwohl ihnen
andererseits
billigere
Preise
durch
verbesserte
Herstellungsmethoden und durch den Wettbewerb beim
Verkauf vorenthalten wurden.
Der Aufstieg des Kapitalismus Die Hauptursache für den
Niedergang und das Ende der Zünfte ab dem
16. Jahrhundert war der Aufstieg des Kapitalismus als
neues Herstellungs- und Verteilungssystem. Dieses neue
Wirtschaftssystem maß der Massenproduktion von Gütern,
dem Wettbewerb der Märkte zwischen den Herstellern und
einer breiten Distribution (Verteilung) der Güter größte
Bedeutung zu. Da sich die Zünfte und Innungen gegen alle
drei Prinzipien sträubten, gründeten so genannte
Kapitalisten ihre Geschäfte im Allgemeinen in Zentren, wo
keine Zünfte bestanden. Die Zünfte waren nicht in der
Lage, selbst für ihren eigenen heimischen Markt Waren so
schnell und billig herzustellen wie die kapitalistischen
Unternehmen. Daher wurden sie allmählich aus dem
Wirtschaftsleben verdrängt.
•
•
•
•
•
Basis für den Unternehmer war Sach- und
Geldvermögen > Kapital
über Erfolge entschied der > Gewinn
marktorientierte
Produktionsweise
unter
Ausnutzung lohnabhängiger Arbeitskräfte >
„kapitalistisch“
West-Ost-Gefälle (Westen höher entwickelt)
(Agrarsektor
nördl.
Ostpreußen
87%,
Ostwestfalen 49%)
im Osten fehlen vor allem freie Arbeitskräfte
2.4. Neue politische Entwicklungen
und die Voraussetzungen der
Industrialisierung
•
1789 Beginn der Französischen Revolution
•
1799 Abschaffung der Gutsherrschaft auf den
Domänen des preußischen Königs
•
1803 Reichsdeputationshauptschluß
(Säkularisation
geistlicher
Fürstentümer,
Mediatisierung der meisten freien Reichsstädte –
außer Hamburg, Bremen, Lübeck, Frankfurt/M.,
Nürnberg und Augsburg)
•
1806 Niederlage Preußens gegen Frankreich
bei Jena und Auerstedt (Gebietsverlust 50%)
•
1807 Beginn der preußischen Reformen
(Agrarreform,
Städtereform,
Militärreform,
Verwaltungsreform,
Bildungsreform,
Judenemanzipation)
Die
Agrarreformen
Industrialisierung
•
•
•
•
•
Aufgaben:
1.
Beschreiben Sie Vor- und Nachteile von
Manufakturen
gegenüber
den
Zünften.
Diskutieren Sie diese in der Rolle Betroffener.
2.
Vergleichen
Sie
den
Entwicklungsstand
Preußens mit dem in England um 1800.
3.
Nennen Sie
Unterschiede.
4.
Welches waren die Haupthemmnisse für den
deutschen Fortschritt?
die
Hauptursachen
für
•
•
die
•
•
als
Basis
der
„Reform von oben“
Freiherr vom und zum Stein
Ansatzpunkte:
Aufhebung
zweier
alter
Sozialordnungen > Grund- und Gutsherrschaft
sowie Zünfte > Abschaffung der Ständeordnung
Wirkung: Entlassung von Millionen Menschen in
die Freiheit > Schaffung freier Arbeitskräfte und
Belebung des Marktes für Waren und Personen,
Aufhebung
des
Gewerbemonopols
und
Ansiedlung von Unternehmen,
Probleme: Bewahrung der politischen und
sozialen Macht des Adels (im Gegensatz zu
Frankreich), kein leistungsfähiges Kreditsystem,
Verteilung des Bodens nach wirtschaftlichen
Gesichtspunkten, Lösung für Ablösung von
Diensten, Entschädigung der Güter für Einkauf
neuer Arbeitskräfte, Bauernstellen müssen
leistungsfähig sein, um Ablöse zu bezahlen
Praxis: bis 1842 84 Gesetze zu Regelung,
Ablösezahlungen bis nach 1900, fast nur Bauern
mit eigenem Zugvieh,
Bilanz: keine rasche Abwanderung in die
Städte, Zunahme der Arbeitskräfte auf dem
Land durch Intensivierung (Futterpflanzen,
Chemie), immer wieder Missernten (1847 >
Ausbruch
der
Revolution
1848),
Bevölkerungszuwachs bis 1848 um 60% ohne
nennenswerte Hungersnöte
Inkonsequenzen: keine Demokratisierung auf
dem Land > Gutsbezirke bleiben bestehen >
Gutherr hat Judikative und Exekutive bis
1848/51
Folgen: Auswanderung, Verschuldung >
Außenpolitik nachhaltig beeinflusst
1810 – Gesindeordnung für die
Provinzen der preußischen
Monarchie (Auszug)
9
2. Die alte Agrargesellschaft um 1800
Von den Rechten und Pflichten der Herrschaften und des
Gesindes.
auf eine bestimmte Zeit, sowie der andere zu einer dafür
zu gebenden bestimmten Belohnung sich verpflichtet.
§ 9. Dienstboten, welche schon vermietet gewesen,
müssen bei dem Antritte eines neuen Dienstes die
rechtmäßige
Verlassung
der
vorigen
Herrschaft
nachweisen.
§ 64. Das Gesinde ist schuldig, seine Dienste treu, fleißig
und aufmerksam zu verrichten.
§ 70. Auch außer seinen Diensten ist das Gesinde
schuldig, der Herrschaft Bestes zu befördern, Schaden
und Nachteil aber, so viel an ihm ist, abzuwenden.
§ 71. Bemerkte Untreue des Nebengesindes ist es der
Herrschaft anzuzeigen verbunden.
§ 74. Ohne Vorwissen und Genehmigung der Herrschaft
darf es sich auch in eigenen Angelegenheiten vom Hause
nicht entfernen.
§ 76. Die Befehle der Herrschaft und ihre Verweise muß
das Gesinde mit Ehrerbietung und Bescheidenheit
annehmen.
§ 77.
Reizt das Gesinde die Herrschaft durch
ungebührliches Betragen zum Zorn, und wird in selbigem
von ihr mit Scheltworten oder geringen Tätlichkeiten
behandelt, so kann es dafür keine gerichtliche
Genugtuung fordern.
§ 79.
Außer dem Falle, wo das Leben oder die
Gesundheit des Dienstboten durch Mißhandlungen der
Herrschaft in gegenwärtige und unvermeidliche Gefahr
gerät, darf er sich der Herrschaft nicht tätlich widersetzen.
§ 82. Die Herrschaft ist schuldig, dem Gesinde Lohn und
Kleidung zu den bestimmten Zeiten ungesäumt zu
entrichten.
§ 83. Ist auch Kost versprochen worden, so muß selbige
bis zur Sättigung gegeben werden.
Offenbar der
Gesundheit nachteilige und ekelhafte Speisen kann das
Gesinde anzunehmen nicht gezwungen werden.
§ 1. Das Verhältnis zwischen Herrschaft und Gesinde
gründet sich auf einem Vertrage, wodurch der eine Teil zur
Leistung gewisser häuslicher oder wirtschaftlicher Dienste
§ 84. Die Herrschaft muß dem Gesinde die nötige Zeit zur
Abwartung des öffentlichen Gottesdienstes lassen und
dasselbe dazu fleißig anhalten.
§ 86. Zieht ein Dienstbote sich durch den Dienst oder bei
Gelegenheit desselben eine Krankheit zu, so ist die
Herrschaft schuldig, für seine Kur und Verpflegung zu
sorgen.
§ 167. Gesinde, welches vor Ablauf der Dienstzeit ohne
gesetzmäßige Ursache den Dienst verläßt, muß durch
Zwangsmittel zu dessen Fortsetzung angehalten werden.
Zit. nach: Günther Franz (Hrsg.): Quellen zur Geschichte des deutschen
Bauernstandes in der Neuzeit. (Wissenschaftliche Buchgesellschaft)
Darmstadt 1976, S. 359
Voraussetzungen
der Industrialisierung im
Wirkungszusammenhang
10
3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert
1. Die Veränderungen auf
dem Weg ins 20.
Jahrhundert
•
1819 Karlsbader Beschlüsse (Reaktion der
Konservativen > Verbot der Burschenschaften,
Zensur, Kontrolle über Universitäten
•
Folge:
biedermeierlicher
Rückzug
der
Gesellschaft
in
Haus,
Garten
und
Privatgesellschaft bis in die 40er Jahre >
Lesegesellschaften, Vereinswesen
•
Auswirkungen der französischen Julirevolution
von 1830: Opposition in den Landtagen >
Reformdruck, neue Zeitungen, verbesserte
Verfassungen (Kurhessen, Sachsen, Hannover
...)
•
Hambacher Fest 1830 als Höhepunkt der
Oppositionsbewegung, 1841 „Deutschlandlied“,
„Göttinger Sieben“
3.1. Wiener Kongreß, Restauration
und Vormärz
•
1813 Befreiungskriege
•
1815 Wiener Kongreß – Neuordnung Europas
nach dem Sturz Napoleons
(Deutscher
Bund
>
Staatenbund
zur
Durchführung der Restauration und Heilige
Allianz > Militärbündnis zur Wiederherstellung
der Pentarchie in Europa entstehen) >
Einbeziehung Frankreichs in die Verhandlungen
(vgl. Versailler Vertrag 1919)
•
1817 Wartburgfest (seit 1815 gegründete
liberal
und
nationale
gesonnene
Burschenschaften fordern politische Einheit
Deutschlands, Abschaffung der Privilegien,
Meinungsfreiheit und Volksvertretung)
•
1818/19 frühkonstitutionelle Verfassungen im
Baden, Württemberg und Bayern
Aufgaben:
1. Welche Folgen hatten die Ergebnisse des Wiener
Kongresses auf die Entwicklung des deutschen
Nationalstaats?
2. Welche gesellschaftlichen Widersprüche entstehen
besonders in Preußen?
3. Erläutern Sie die Redewendung „Gleichzeitigkeit des
Ungleichzeitigen“ anhand politischer Entwicklungen im
Vormärz!
3.2. Der Beginn der
Industrialisierung in Deutschland
•
•
•
•
bis in die 40er bestimmte die Landwirtschaft die
deutsche Wirtschaft
nach
Aufhebung
der
französischen
Kontinentalsperre war die deutsche Wirtschaft
der Konkurrenz des Auslandes ausgesetzt >
Mangel an Arbeitsplätzen
rücksichtslose Ausbeutung der Arbeitskräfte >
Pauperismus > massives Entwicklungshemmnis,
da Massenkaufkraft fehlt > Aufstand der
schlesischen Weber 1844
Mangel an Kapital begünstigt Verlagssystem
> Eingriff des Staates:
•
•
•
•
•
•
•
1818 Abbau der Zollgrenzen in Preußen
Verbesserung der Infrastruktur
Staat als Unternehmer (Bergbau, Rüstung,
Maschinenbau ... Eisenbahn)
Modernisierung
des
Schulsystems
>
Gewerbeschulen
Kreditvergabe und Subventionen
1834 Deutscher Zollverein
1843 neues Handelsgesetzbuch und Aktienrecht
Staatsorgane in der badischen Verfassung von 1818
11
3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert
3.3. Die Revolution von 1848/49 –
ein Entwurf für ein modernes
Deutschland
> Rolle der Eisenbahn als Leitbranche
Landwirtschaft
Maschinenbau
Eisenbahnen
Hoch- und
Tiefbau
Die Ursachen
Eisen- und
Stahlindustrie
Bergbau
Nachfrage der Eisenbahnen
Nachfrage der Eisenbahnen
von Eisenbahnen ausgelöste Nachfrage
durch Eisenbahn ausgelöste Nachfrage
Nachfrage nach Transport
Nachfrage nach Eisenbahntransport
permanente Nachfrage nach Arbeitskräften!
Permanente Nachfrage nach Arbeitskräften!
•
•
•
•
Bilanz:
•
•
•
•
1835 erste deutsche Eisenbahn
ab 1840 geht die Hälfte aller Investitionen in
Verkehrswirtschaft > Eskalation der Nachfrage
fortschreitende Arbeitsteilung > Rationalisierung
> Verbilligung der Produktion
Entstehung von Leitregionen: Ruhrgebiet,
Berlin, Sachsen, Oberschlesien
1847 letzte Wirtschaftskrise, die durch eine
Missernte ausgelöst wurde
Rückschläge
durch
Schwankungen
der
Konjunktur lassen neben dem allgemeinen
Optimismus in Wirtschaft und Gesellschaft auch
Kritik entstehen > Auswanderung, Marxismus
Kurz nach 1871 sinkt der im Agrarbereich
beschäftigte Anteil der Erwerbspersonen unter
50%.
Deutschland ist Industriestaat !
wirtschaftliche Nöte:
•
Strukturprobleme
durch
rapiden
Bevölkerungszuwachs
>
Überschuss
an
Arbeitskräften > geringe Löhne > extensive
Arbeitszeiten > Pauperismus > Aufstände
•
Teuerungsraten infolge von Missernten
•
Existenznot und Unzufriedenheit
Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels:
•
viele Kleinbauern sanken auf das Niveau von
Tagelöhnern, da sie den marktwirtschaftlichen
Anforderungen nicht gewachsen waren
•
Gesellen und Kleinmeistern in den Städten
drohte sozialer Abstieg durch Wegfall der
Zunftabsicherung
>
Wanderschaft
>
überdurchschnittliche Politisierung
Legitimation des politischen Systems:
•
Bildungsund
Besitzbürgertum
zweifelte
zunehmend an der Fähigkeit der fürstlicharistokratischen Regierungen, soziale und
wirtschaftliche Probleme zu lösen
•
verstärktes politisches Selbstbewusstsein >
Forderung nach Teilhabe an der Macht
•
Monarchen halten am Gottesgnadentum fest
Die Märzereignisse 1848 und ihre Folgen
Februar
1848
März
1848
Aufgaben
3. Diskutieren Sie ob und inwieweit eine industrielle
Revolution heute in den Ländern der Dritten Welt
wiederholbar wäre!
•
•
•
1. Beurteilen Sie inwieweit sich die Industrialisierung in
Deutschland als ein vorhersehbarer und planbarer
Prozess erwies!
2. Vergleichen Sie die tatsächlichen Entwicklungen mit
den Vorhersagen und Erwartungen in der Theorie von
Adam Smith!
Sturz des Königs
Louis Philippe und
Ausrufung der Republik
in Frankreich als Anstoß
•
•
•
April
1848
Mai
1848
Umsturzversuch in Baden
•
•
Juni
1848
Märzforderungen (Reform
des Wahlrechts, Presseund Versammlungsfreiheit,
Volksbewaffnung,
Geschworenengerichte,
Errichtung
eines
gesamtdeutschen
Nationalstaates)
Märzministerien
Revolution in Wien, Sturz
Metternichs
Revolution in Berlin
Vorparlament in Frankfurt
•
Wahlen
zur
Nationalversammlung
Zusammentritt
der
Nationalversammlung
in
der Frankfurter Paulskirche
Erfolge Österreichs bei der
Niederschlagung nationaler
Erhebungen
12
3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert
•
NV
wählt
Erzherzog
Johann
zum
„Reichsverweser“ – vorläufiges
Staatsoberhaupt
Oktober
1848
Rückeroberung des aufständischen
Wiens
November
1848
Belagerung Berlins
Dezember
1848
Auflösung der preußischen NV,
Oktroyierung der ersten preußischen
Verfassung
kleindeutsche Lösung
Zusammensetzung der Nationalversammlung
•
•
•
•
ca. 812 Abgeordnete
Rechte + rechtes Zentrum (Mehrheit): hohe
Staatsbeamte,
Richter,
Hochschullehrer,
Grundbesitzer, Großkaufleute
linkes Zentrum: freie Berufe, Mittelschichten,
Grundbesitzer, Kaufleute, Beamte 50:50
Linke:
freiberufliche
Intelligenz,
untere
Mittelschichten
großdeutsche Lösung
Ergebnisse der Paulskirchenversammlung
März
1849
NV beschließt Erbkaisertum und
wählen Friedrich Wilhelm IV. von
Preußen zum Kaiser
April
1849
Friedrich Wilhelm lehnte ab
Mai
1849
Verlagerung der NV nach Stuttgart
Juni
1849
Württembergische Truppen sprengen
das Rumpfparlament
Diskussionen und Probleme
•
provisorische Regierung hat keine exekutive
Macht, außer von USA nicht anerkannt
•
Grundrechtsdebatte: weitgehende Einigkeit
über Freiheit der Person, Zugang zu allen
Ämtern, Wehrpflicht, Versammlungsfreiheit,
Lehrfreiheit, Beschwerderecht, Eigentumsrecht,
Schulaufsicht des Staates
•
Grenzdebatte: groß- oder kleindeutsche Lösung
Großösterreich (70 Mio.)
•
Entscheidung über das Staatsoberhaupt: mit
4 Stimmen Mehrheit – Erbkaisertum
•
unitarische (Außenpolitik, Militär, Schifffahrt,
Post, Eisenbahn, Zoll, Maße, Münzen, Gewichte
•
und föderative Elemente: Zweikammersystem
für die anderen Gesetze
•
Wahlrecht:
wegen
der
Stimmen
zum
Erbkaisertum stimmen liberale Kräfte für,
allgemeines, gleiches, direktes und geheimes
Wahlrecht
•
konstitutionelles
Regierungssystem
im
Verfassungsentwurf
von
1849:
siehe
Übersicht nächste Seite
13
3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert
Aufgaben
1. Diskutieren Sie die Interdependenzen zwischen
Niederlage der 48er Revolution in Deutschland und der
sog. „Revolution von oben“.
2. Arbeiten Sie heraus, welche revolutionäre Strömung
welche Forderungen hatte.
3. Nennen Sie Gründe, weshalb sich die Paulskirche so
und nicht anders entschied.
3.4. Moderne Antworten auf die
Soziale Frage
Ursachen für das Scheitern der Revolution
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Vielstaaterei
Grenzfrage
Spaltung in unterschiedliche Interessensgruppen, die mit unterschiedlicher Dynamik
arbeiten
unterschiedliche Modernitätsvorstellungen
keine Schwächung der Aristokratie
keine Lösung der sozialen Probleme
keine Schaffung des Nationalstaates
Folgen:
•
•
•
•
•
viele Zugeständnisse werden rückgängig
gemacht
Verfassungen nach dem Willen der Obrigkeit
entstehen
Einigung Deutschlands wird „von oben“ gelenkt
das
deutsche
bürgerliche
demokratische
Selbstbewusstsein schindet zugunsten eines
romantisch verklärten Blicks auf die Wohlfahrt
bringende Allmacht des Staates
die entferntesten Folgen sind die „verspätete
Nation“ mit wahnwitzigem Imperialismusstreben,
1. Weltkrieg, der Erfolg und die Niederlage
Hitlers und die Spaltung Deutschlands in dessen
Folge
Soziale Frage (nach Fedor Bechow), mit dem bereits im
19. Jahrhundert geprägten Begriff „Soziale Frage“ werden
die gesamten sozialpolitischen Probleme umschrieben, die
im Zuge der industriellen Revolution entstanden: Der
einsetzende wirtschaftliche Aufschwung war begleitet von
zahlreichen sozialen Missständen; wenigen wohlhabenden
Kapitalisten standen zahlreiche verarmte Proletarier
(Landarbeiter, Kleinbauern, Handwerker) gegenüber.
Im Industriezeitalter setzten enorme gesellschaftliche
Veränderungen ein. Die feudale Agrargesellschaft
wandelte sich in eine kapitalistische Industriegesellschaft.
Wegen sich auflösender Großfamilien und der fehlenden
Absicherung durch die Grundherren, wegen der
Bevölkerungsexplosion und der einsetzenden Landflucht
kam es zu großen sozialen Schwierigkeiten. Das Angebot
an Arbeitskräften in den Industriezentren stieg – nicht
zuletzt aufgrund zahlreicher Arbeitsloser –, was wiederum
die Löhne sinken ließ. Die Existenz hing von der Arbeit
mehrerer Familienmitglieder ab. Frauen und sogar Kinder
mussten zum Unterhalt der Familie beitragen.
Arbeitszeiten von 15 Stunden pro Tag waren nicht
ungewöhnlich, Nacht- und Sonntagsarbeit durchaus
üblich. Die Wohnverhältnisse waren oft katastrophal
(Mietskasernen, in denen mehrere Menschen pro Zimmer
leben
mussten),
die
Arbeitsverhältnisse
äußerst
bedenklich (ungenügende Sicherheitsmaßnahmen). In
Folge davon traten vermehrt körperliche und psychische
Schäden auf, und die Lebenserwartung sank; des
Weiteren konnte man einen eklatanten Bildungsmangel
und moralischen Verfall feststellen. Erste staatliche
Maßnahmen wurden Anfang des 19. Jahrhunderts in
Großbritannien (Fabrikgesetze ab 1833), seit 1839 dann in
Preußen (Arbeitsverbot für Kinder unter neun Jahren zur
regelmäßigen Arbeit in Hüttenwerken) ergriffen. Um die
Missstände zu bekämpfen, wurden diverse kirchliche und
weltliche Organisationen – von denen nur wenige die
bestehende Ordnung verändern wollten – ins Leben
gerufen: Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (1863 von
Ferdinand
Lassalle
begründet),
Internationale
Arbeiterassoziation (1864 von Karl Marx ins Leben
gerufen), Verein für Socialpolitik (1872 von Gustav
Schmoller mitbegründet), Rauhes Haus (1833 von Johann
Wichern gegründet), Bethel (ab 1872 durch Friedrich von
Bodelschwingh geführt), Katholischer Gesellenverein
(1846 von Adolf Kolping gegründet). Auch die Sozialpolitik
Otto von Bismarcks – Einführung der gesetzlichen
Kranken- (1883), Unfall- (1884) und Invaliditäts/Altersversicherung (1889) – war eine Reaktion auf die
Probleme, sollte aber gleichzeitig gemeinsam mit dem
Sozialistengesetz (1878 in Kraft getreten, bis 1890 gültig)
der immer mächtiger werdenden Sozialdemokratie und
14
3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert
ihren Forderungen den Boden entziehen und diese von
der Arbeiterschaft trennen.
•
erste unternehmerische Hilfen:
Betriebskranken- und Pensionskassen
•
Hilfe christliche Kirchen:
kirchliche Sozialarbeit (Wichern, Ketteler,
Kolping), christliche Gewerkschaften, 1891
Sozialenzyklika von Papst Leo XIII. > „Lohn
muss über Existenzsicherung hinaus gehen“
•
revolutionärer Sozialismus (Marxismus)
Marxismus, von Karl Marx und Friedrich Engels
begründete Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie. Der
Begriff Marxismus entstand als abwertend gemeinte
Bezeichnung anarchistischer Theoretiker gegen die
Lehren und die Politik von Marx und seinen Anhängern
und wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts auch
Selbstbezeichnung der sich an Marx orientierenden
sozialistischen Gruppierungen. Unter Marxismus
versteht man im heutigen Sprachgebrauch auch die
Weiterentwicklungen und Interpretationen der Lehren
von Marx (siehe Revisionismus, Leninismus, Maoismus,
Frankfurter Schule, Kritische Theorie). Im folgenden
Artikel wird Marxismus im engeren Sinn als die
Gesamtheit der Lehren von Karl Marx verstanden.
Geschichte und Theorieansätze Die Marx’sche
Gesellschaftstheorie entstand, als sich Marx und andere
so genannte Junghegelianer kritisch mit der
Religionsphilosophie
Hegels
auseinanderzusetzen
begannen. Marx entwickelte dabei in Negation des
philosophischen
Idealismus
Hegels
seine
materialistische Weltanschauung, hielt aber an der von
Hegel entwickelten dialektischen Methode fest.
Entscheidenden Einfluss auf Marx und Engels übte
auch das Gedankengut der europäischen Aufklärung
aus,
vor
allem
deren
Vernunftund
Fortschrittsgläubigkeit, wie sie zu Lebzeiten Marx’ vor
allem in den Utopien der englischen und französischen
Frühsozialisten formuliert wurden. Die materialistischen
Studien zur historischen Entwicklung erforderten eine
immer intensivere Auseinandersetzung Marx’ mit den
Schriften
der
Klassiker
der
englischen
Nationalökonomie, so dass die Kritik der politischen
Ökonomie, wie sie Marx in seinem dreibändigen
Hauptwerk Das Kapital (1867-1894) entwickelte, als
Kernstück seiner Theorie anzusehen ist.
Der Marxismus lässt sich in vier miteinander
zusammenhängende Theorieansätze gliedern: Erstens
den dialektischen Materialismus (DIAMAT), als der
Theorie von den allgemeinen Bewegungs- und
Entwicklungsgesetzen der Natur und der Welt; zweitens
den historischen Materialismus (HISTOMAT), der sich
mit
den
Entwicklungsgesetzen
der
„Menschengesellschaft“ befasst; drittens der politischen
Ökonomie, als der Wissenschaft von den Gesetzen, die
die sozioökonomischen Grundlagen menschlicher
Gesellschaften beschreiben; und viertens dem
wissenschaftlichen
Sozialismus,
einer
Revolutionstheorie, die als theoretischer Ausdruck der
politischen Kämpfe der Arbeiterbewegung den
Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus und
schließlich
zum
Kommunismus
erfassen
und
vorantreiben soll. Mit Marx gesprochen handelt es sich
bei diesem Prozess um den „… Sprung der Menschheit
aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der
Freiheit“.
Kritik der politischen Ökonomie Marx wollte die der
Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise
innewohnenden Gesetzmäßigkeiten aufdecken. Jede
geschichtliche Epoche war nach seiner Auffassung
durch
eine
spezifische
Produktionsweise
gekennzeichnet, die ihrerseits einer jeweils spezifischen
Machtkonstellation
zugrunde
lag.
Diese
Machtkonstellation wiederum zeichnete sich dadurch
aus, dass sich eine ökonomisch herrschende Klasse in
ständigem offenem oder verborgenem Konflikt mit einer
anderen, unterdrückten Klasse befand.
In der kapitalistischen Gesellschaftsformation basiert die
Grundbeziehung
zwischen
den
Klassen,
die
Lohnbeziehung, auf einem Vertrag zwischen rechtlich
gleichgestellten Parteien, die sich aber in gänzlich
unterschiedlichen
ökonomischen
Ausgangslagen
befinden. Die Besitzer des Kapitals (die Kapitalisten)
bezahlen den Arbeitern (dem Proletariat) Löhne für eine
vereinbarte Zahl von Arbeitsstunden, aber nicht für die
erstellten Produkte. Die Kapitalisten eignen sich in
diesem Prozess also das gesamte Arbeitsprodukt der
Arbeiter an, welche als historisches Charakteristikum
der kapitalistischen Produktionsverhältnisse weder über
die Produktionsmittel noch über das von ihnen
geschaffene Produkt verfügen können, sondern
„… darauf angewiesen sind, ihre Arbeitskraft zu
verkaufen, um leben zu können“. In der Produktion
schaffen die Arbeiter aber einen Wert, der ihren Lohn
übersteigt, den so genannten Mehrwert. Dieser
Mehrwert, d. h. die im Mehrprodukt vergegenständlichte
Mehrarbeit des Lohnarbeiters, bildet die Quelle des
Reichtums der bürgerlichen Klasse, die sich diesen als
Eigentümerin der Produktionsmittel aneignet. Dem so
genannten Mehrwertgesetz zufolge ist die permanente
Produktion von Mehrwert das eigentliche Ziel der
kapitalistischen Produktion. Während sich der Reichtum
der besitzenden Klasse durch das rasche Wachstum
des Kapitals beständig vermehrt, wächst aufseiten der
Arbeiter
Leistungsdruck,
Arbeitshetze
und
Existenzunsicherheit. Marx ging davon aus, dass die
Organisation der Arbeiter der Tendenz zur Verelendung
entgegenwirken kann, konstatierte aber ein Anwachsen
der Unsicherheit der Existenz, denn der Ersatz von
immer mehr Arbeitern durch Maschinen (Gesetz des
tendenziellen
Falls
der
Profitrate)
führt
zu
Massenarbeitslosigkeit und zur Entstehung einer
industriellen Reservearmee. Marx behauptete, der Lohn
zwinge die Arbeiter dazu, lebenslänglich für die
Kapitaleigentümer verfügbar zu sein, wobei allerdings
weder der Lohn noch der Arbeitsplatz garantiert seien.
Die historische Aufgabe der organisierten, sich ihrer
selbst bewussten Arbeiterklasse bestand für Marx darin,
die
aus
ökonomischer
Notwendigkeit
zyklisch
wiederkehrenden ökonomischen und politischen Krisen
dazu zu nutzen, im revolutionären Klassenkampf die
Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft zu überwinden.
Marx führte dazu aus: „[Das Proletariat] kann seine
eigenen Lebensbedingungen nicht aufheben, ohne alle
unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen
Gesellschaft,
die
sich
in
seiner
Situation
zusammenfassen, aufzuheben“; und weiter: „Das
Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die
Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum. Aber
damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es
alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf
und damit auch den Staat als Staat.“ Im Verlauf der
weiteren historischen Entwicklung markiert somit die
Diktatur des Proletariats nur eine Übergangsphase.
Eigentliches
Ziel
ist
die
Überführung
der
Produktionsmittel in die Hände der unmittelbaren
Produzenten (Arbeiter), was zugleich Voraussetzung für
das „Absterben der Staatsgewalt“ ist, die nach Marx nur
in Klassengesellschaften notwendig ist. Am Ende läuft
15
3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert
der historische Prozess nach der Marx’schen
Überzeugung
auf
eine
klassenlose,
d. h.
kommunistische Gesellschaft zu, in der jeder nach
seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen leben kann.
gewerkschaftliche
Entscheidung zufalle – Heeresreform ohne
Zustimmung des Parlaments – Protest –
Auflösung
Einigung: nach Sieg gegen Österreich 1866 mit
Indemnitätsvorlage (vom Parlament nachträglich
zugebilligte Straflosigkeit für Regierung) –
Kanzler erkennt das Budgetrecht nachträglich an
1863 Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (ADAV)
unter Ferdinand Lassalle (allgemeines und direktes
Wahlrecht, Reform innerhalb des bestehendes
Staates, Gegner von Marx)
Die machtstaatliche Einigung Deutschlands
unter Führung Preußens („Eisen und Blut“)
•
politische
und
Arbeiterbewegung:
1869 Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP)
unter August Bebel und Wilhelm Liebknecht (vertritt
Ziele der marxistischen internationalen ArbeiterAssoziation) revolutionär
•
•
•
1875 Vereinigung der beiden Parteien zur
Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP)
•
•
Gewerkschaften (Tarifverträge)
•
Eingreifen des Staates: Sozialgesetze unter
Bismarck ab 1883 (Kranken- , Unfall-,
Rentenversicherung)
•
Aufgaben
1. Fassen Sie die Ursachen für die Entstehung des
Pauperismus in Thesen zusammen.
•
2.
Diskutieren
Sie,
welche
Rolle
theoretische
Beeinflussung der Bevölkerung bei der tatsächlichen
Entwicklung spielte.
3. Erarbeiten Sie die Etappen des politischen Konzepts
der Sozialdemokratie vom 19. Jahrhundert bis zum Beginn
der Weimarer Republik.
Auseinandersetzungen um die Hegemoniefragen in Deutschland zwischen Preußen und
Österreich
Streit um Schleswig und Holstein: – deutsch
- dänischer - Krieg 1864 > Abtretung der
Herzogtümer an Preußen und Österreich zur
gemeinsamen Verwaltung
Krieg gegen Österreich: Bismarck schürt
Differenzen
in
der
Besatzungspolitik
>
Einmarsch
preußischer
Truppen
>
Mobilmachung des Deutschen Bundes gegen
Preußen > Königgrätz 1866 Sieg Preußens
1867 Norddeutscher Bund: alle 22 nördlich der
Mainlinie
liegenden
deutschen
Staaten
schlossen sich zum N.B. zusammen >
Führungsmacht Preußen > Bismarck versucht,
gegen den Widerstand Frankreichs und
Österreichs süddeutsche Staaten zum Beitritt zu
bewegen
1870/71
deutsch-französischer
Krieg:
Erbfolgestreit um spanischen Thron – Verzicht
der Hohenzollern – Napoleon III. verlangte
zusätzliche Garantien von Preußen – Bismarck
kürzt die Antwort Wilhelms („Emser Depesche“)
und die Zeitungsveröffentlichung beleidigt
Frankreich – Kriegserklärung Frankreichs im Juli
1870 – 2. September 1870 Kapitulation
Frankreichs bei Sedan
 Gebietsabtretungen (Elsass und Teile
Lothringens)
 Reparationen von 5 Mrd. Franc in
Gold
 dauerhafte
Krise
zwischen
Deutschland
und
Frankreich
geschaffen !
3.5. Das deutsche Kaiserreich
Die Reichsproklamation
Deutsche Politik nach der Revolution von
1848/49
•
•
•
•
1850 Preußen gibt die Nationalstaatspläne auf –
der Deutsche Βund wird wiederhergestellt
1851 – 1859 der restaurierte Bundestag hob die
Grundrechte von 1848 wieder auf
•
unter
Drohungen,
Gewährung
von
Sonderrechten für Bayern stimmen die
deutschen Staaten am 18. Januar 1871 in
Versailles für den deutschen Nationalstaat
preußischer König ist zugleich Deutscher
Kaiser
nationale Idee wandelt sich von der liberalen
zur konservativen Komponente !
Heeres- und Verfassungskonflikt in Preußen
•
•
•
•
seit 1861 Prinz Wilhelm König
wollte Wehrdienstzeit auf drei Jahre erhöhen –
liberale Mehrheit im Abgeordnetenhaus war
dagegen – es ging um das Prinzip des
Budgetrechts, das auf Militärhaushalt wirkte und
von der Regierung bestritten wurde
1862 wird Otto von Bismarck Ministerpräsident
Lückentheorie: für den Fall einer Kontroverse
zwischen König und Parlament sah die
Verfassung keine ausdrückliche Regelung vor –
Bismarck interpretierte, dass dem König die
Aufgaben
1. Erläutern Sie die Wandlung des Nationalismus von
einer liberalen Idee hin zu einer konservativen Strömung.
2. Bewerten Sie die Reichsgründung innerhalb der
Entwicklungslinien Demokratisierung und Liberalisierung.
16
3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert
•
Die Verfassung des Kaiserreichs
•
Deutscher Kaiser
(Erbmonarchie für den König von Preußen)
Streitkräfte
Reichskanzler
Staatssekretäre
Bundesrat
kontrolliert Verwaltung,
Vetorecht ab
14 Stimmen
25 Landesregierungen
entsenden 58 Vertreter,
davon 17 aus Preußen
Länderparlamente
nach unterschiedlichem
Wahlrecht gewählt
siehe auch Anlagen!
Aufgaben:
1. Vergleichen Sie die föderalen Strukturen des
Kaiserreiches mit denen der Weimarer Republik und der
Bundesrepublik Deutschland!
übereinstimm
ende
Mehrheitsbeschlüsse
Reichstag
2. Untersuchen Sie die Reichsverfassung nach dem
Vorhandensein von Grundrechten!
3. Beurteilen Sie die Reichverfassung hinsichtlich ihrer
Wirkung auf die alten Eliten und das Bürgertum!
§
Wahlberechtigte
männliche Bevölkerung
über 25 Jahre,
allgemeines, direktes,
geheimes Wahlrecht
mit absoluter
Mehrheitsabstimmung
Obrigkeitsstaat
und
(„Zuckerbrot und Peitsche“)
•
•
Das Reich
•
•
•
Bundesstaat
starke föderale Strukturen (eigene diplomatische
Vertretungen, Eisenbahn, Post, Finanzhoheit,
alle direkten Steuern
das reich ist „Kostgänger bei den Ländern“
Staatsoberhaupt
•
•
•
•
•
•
König von Preußen
ernannte Reichskanzler und Reichsbeamte
völkerrechtliche Vertretung
Entscheidung über Krieg und Frieden
Ausfertigung der Reichsgesetzte
Auflösung des Reichstages mit Zustimmung des
Bundesrates
Regierungschef
•
•
•
•
Abstimmungsrecht über Gesetzesvorlagen mit
dem Erfordernis der Übereinstimmung mit dem
Bundesrat
397 Wahlkreise – pro WK ein Abgeordneter –
Mehrheitswahlrecht – auf 100.000 Einwohner
(war auf Dauer nicht zu halten)
•
•
•
•
Kaiserreich
Parteien waren für Bismarck „Verbündete auf
Zeit“
„Tendenzpolitik“: anfangs Kooperation mit
Nationalliberalen,
dann
liberale
Fortschrittspartei, später Bruch mit den Liberalen
wegen Interventionismus in der Wirtschaft,
Staatstragende
Parteien:
konservative
Gruppierungen
diejenigen, die Kanzlerpolitik nicht teilten >
„Reichsfeinde“ > politischer Katholizismus >
Sozialdemokratie
1871-1887 Kulturkampf: Auseinandersetzung
zwischen Staat und römisch-katholischer Kirche
1883 Sozialgesetzgebung
1878-1890
Sozialistengesetz
zur
Unterdrückung
von
Arbeiterparteien
und
Gewerkschaften
Aufgabe
Informieren Sie sich über die Hintergründe der politischen
Änderungen in der bismarckschen Politik.
verantwortlich für die Politik des Reiches
ausschließlich dem Kaiser rechenschaftspflichtig
Vorsitz im Bundesrat
preußischer Ministerpräsident
Bundesrat
•
•
•
•
•
58 Mitglieder, Preußen mit 17 Stimmen
Vetorecht ab 14 Stimmen
erlässt in Übereinstimmung mit dem Reichstag
die Reichsgesetze
Ratifikation völkerrechtlicher Verträge und von
Kriegserklärungen
Vorsitz durch Reichskanzler
Reichstag
•
•
Haushaltsbewilligungsrecht
Initiativrecht
17
3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert
3.6. Modernisierte Arbeitswelt im
Kaiserreich
2. Erläutern Sie die Zusammenhänge zwischen
Konzentration, Investition und Wirtschaftswachstum.
Integrative und spaltende Tendenzen im
deutschen Nationalstaat
„Gründerboom“ und „Gründerkrach“
•
•
hohe Erwartungen nach der Reichsgründung
durch Gebietszuwachs und Reparationen
gefördert > Eskalation der Konjunktur >
Überkapazitäten entstanden > über 500 neue
Aktiengesellschaften > Arbeitslosigkeit fast
beseitigt > „Marx schien widerlegt“
•
•
•
•
•
•
•
Mitte 1873 Kursstürze > Preisverfall >
Lohnverfall > Produktionsrückgang > Anstieg der
Arbeitslosigkeit > Tiefpunkt 1879 > „Marx war
wieder aktuell“ > „Interventionismus“ des
Staates durch Schutzzollpolitik
•
•
Nationalbewegung hatte ihr wesentliches Ziel
erreicht > Nationalstaat mit Segnungen der
Technik und erfolgversprechender Zukunft
1873 Reichsmark
1900 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Kaiserkult
inoffizielle
Nationalhymne
„Heil
dir
im
Siegerkranz“
Nationalfeiertag „Sedantag“ 2. September
Militarisierung der Gesellschaft Armee als „Staat
im Staate“
nationale
Überheblichkeit
(Deutsche
Kolonialgesellschaft, Alldeutscher
Verband,
Deutscher Flottenverein) > Einteilung der Welt in
gut und böse
Antisemitismus, Frauenemanzipation und
soziale Differenzen als spaltende Elemente
Aufgabe
Vergleichen Sie die konjunkturelle Entwicklung mit der
gesellschaftlichen Entwicklung.
Die zweite Phase der Industrialisierung
•
•
•
•
•
•
•
•
•
ab 1879 bis ca. 1895 schwaches wirtschaftliches
Wachstum
Zusammenschluss von Interessensverbänden
der Arbeitnehmer (s.o.) und Arbeitgeber (1876
Centralverband Deutscher Industrieller, 1893
Bund der Landwirte, 1895 Bund der
Industriellen)
Mitte 90er Jahre neue „Leitsektoren“ der
Industrie: Maschinen- und Motorenbau (DaimlerBenz), Chemieindustrie (Bayer, Hoechst, BASF),
optische
und
feinmechanische
Industrie,
Elektroindustrie (Siemens)
staatliches Schul- und Hochschulwesen
Konzentration des Kapitals in horizontaler und
vertikaler Richtung > Kartellen > Syndikate >
Monopole
Bedeutung der Banken steigt (seit 1870
mehrere Großbanken gegründet: Deutsche
Bank, Commerzbank, Dresdner Bank ...)
Verschmelzung von Banken und Industrie
Staat gerät immer mehr in Abhängigkeit vom
wirtschaftlichen Erfolg der Großunternehmen
Außenpolitik
im
Interesse
der
eigenen
Wirtschaft,
deren
Vertreter
vielfach
in
gehobenen Positionen des Staates sitzen >
Personalunion
>
Kolonialismus
>
Imperialismus (Lenin: staatsmonopolistischer
Kapitalismus)
Aufgaben
1. Erläutern Sie, welche Funktion der Kult um den Kaiser
hatte. Vergleichen Sie diesen Kult mit aktuellen
Phänomenen.
2. Finden Sie Beispiele für antisemitisches Verhalten im
19. Jahrhundert in Deutschland. Nennen Sie Motivationen
für die Ausgrenzung.
Aufgaben
1. Erläutern Sie, in welchen wirtschaftlichen und
politischen Zwängen sich das Kaiserreich befand und
inwiefern diese die Politik beeinflussten.
18
3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert
3.7. Das Deutsche Reich zwischen
Kontinental- und Weltpolitik
Die außenpolitische Konzeption Bismarcks
•
•
•
Europa befürchtet ein expansives Deutschland
Bismarcks Verdienst ist das Zurückdrängen
dieser Ängste
nach 1871 existieren drei Grundrivalitäten, in
deren Rahmen Bismarck Außenpolitik gestalten
muss:
1.
2.
3.
Russland gegen England (Asien)
Russland gegen Österreich (Balkan)
Deutschland
gegen
Frankreich
Lothringen)

B. verzichtet auf provokante außenpolitische
Maßnahmen („das Reich ist saturiert“)
vermeidet jede neue Eskalation gegen
Frankreich aus Frucht vor Gegnerschaft anderer
(„Krieg-in-Sicht- Krise“ 1875)
versucht
Gegensätze
zwischen
anderen
Mächten zu nutzen und sie für gute
Beziehungen zu Deutschland zu gewinnen


(Elsass-
1873
Dreikaiserabkommen
(D-Ö/U-R)
1878
Berliner Kongress
(Bismarck „makelt“ zwischen
Interessen aller Großmächte >
Verschlechterung der Beziehungen zu
Russland)
1879
Zweibund
(D-Ö/U) gegen Russland
1882/83
Dreibund
mit Italien
1887
Rückversicherungsvertrag
mit Russland
Deutschlands Einstieg in die Weltpolitik
•
•
•
•
•
•
1884/85 erste Kolonien in Neuguinea
1890 Wilhelm II. drängte Bismarck aus dem
Amt > beansprucht „Platz an der Sonne“ > „ich
führe euch herrlichen Zeiten entgegen“ >
Steigerung
des
Kolonialismus
zum
Imperialismus
Verschlechterung der Beziehungen zu anderen
Großmächten
(durch
Kapitalexport
wie
Bagdad-Bahn, Flottenrüstung, ...)
> 1904 Bildung der „Entente Cordiale“
zwischen
Großbritannien
und
Frankreich
(Vertiefung dieses Bündnisses durch MarokkoKrise 1904/05 und 1911)
1907 Beitritt Russlands zur „Triple-Entente“
Handlungsspielräume Deutschlands wurden
geringer („Einkreisung“ > Hochrüstungspolitik >
„Schlieffenplan“)
1914 Beginn des 1. Weltkrieges
1917 Eintritt der USA in den Krieg
1918 Ende des 1. Weltkrieges am 11. November
19
3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert
Nationale
3.8.
Die Novemberrevolution:
Zwischen Kontinuität und
Neubeginn
•
•
•
•
•
Nazis
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Eingeständnis der Niederlage durch OHL im
Oktober 1918
letzter vom Kaiser ernannter Kanzler Prinz Max
von
Baden
musste
Waffenstillstand
organisieren > 11. November („Dolchstoßlegende“)
parallel
dazu
Verfassungsreform
>
Deutschland wird parlamentarische Monarchie
Massenkundgebungen und Meuterei, Bildung
von Arbeiter- und Soldatenräten
9. November 1918 Abdankung Wilhelms
10. November Rat der Volksbeauftragten
übernimmt die Regierung
Bündnis Ebert - Groener
Ausrufung
der Republik
durch Philipp
Scheidemann in Berlin (zwei Stunden später
durch Karl Liebknecht sozialistische Republik)
Friedrich Ebert SPD durch revolutionäre
Ereignisse legitimiert – stärkste Fraktion im
Reichstag – überlässt die Entscheidung über die
zukünftige
Staatsform
einer
gewählten
Nationalversammlung > Termin 19. Januar
1919
Der Kampf um die Umsetzung unterschiedlicher
politischer Vorstellungen
•
•
•
•
•
•
•
politische
Gruppe
Kommunisten
Außenpolitik
•
•
•
Sozialdemokraten
•
•
•
•
•
•
Zentrumsanhänger
•
•
politische
Gruppe
Kommunisten
Sozialdemokraten
Innenpolitik
•
•
•
•
•
Zentrumsanhänger
•
•
•
Liberale
Konservative
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Sozialismus
Zerschlagung des alten
Machtapparates
Rätedemokratie
parlamentarische
Demokratie
Dezentralisierung des
Staates
weltliche Schulen
gegen gewaltsamen
Umsturz
Vereinheitlichung der
Verwaltung
Unparteilichkeit der Justit
Bekenntnisschule
Demokratie
Liberalismus
Volksstaat
Gleichheit
kommunale
Selbstverwaltung
gesetzmäßig aufgerichtetes
Kaisertum
verantwortliche Mitarbeit
der Volksvertretung
Stärkung der Familie gegen
Fremdstämmige
nationale Einheitsschule
Liberale
Konservative
•
•
•
•
•
•
•
Nationale
•
•
•
Nazis
•
•
•
•
•
politische
Gruppe
über den Parteien
stehende Monarchie
starkes Preußen
Mitwirkung der
Volksvertretung bei
Gesetzgebung
starke Exekutive
Berufsbeamtentum
starkes deutsches
Volkstum (antisemitisch)
rassisches
Staatsbürgerschaftsrecht
antiparlamentarisch
starke Zentralgewalt
antiföderal
antipluralistisch
antikommunistisch
Annullierung aller
internationalen Schulden
und Reparationen
politisches und
wirtschaftliches Bündnis mit
der UdSSR
Selbstbestimmungsrecht
aller Nationen
antiimperialistisch
demokratisch sozialistisch
friedlich
Selbstbestimmungsrecht
Abrüstung
europäische
Wirtschaftseinheit
Gleichberechtigung
Deutschlands
Prüfung der
Kriegsschuldfrage
keine Gebietsbesetzungen
gerechte Friedensverträge
Selbstbestimmungsrecht
Gleichberechtigung
Deutschlands
Nationalitätenprinzip
Völkerversöhnung, nur,
wenn Ehre Deutschlands
beachtet wird
Vereinigung Deutschlands
und Österreichs
gerechte Friedensverträge
gegen Zwangsfrieden
Volksgemeinschaft mit
allen Deutschen im
Ausland
Selbstbestimmungsrecht
Zusammenschluss aller
Deutschen auf Grundlage
des
Selbstbestimmungsrechts
gegen Zwangsfrieden
Kolonialismus
gegen Ausländer
Wirtschaft
20
3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert
Kommunisten
•
•
•
•
Sozialdemokraten
•
•
•
•
•
Zentrumsanhänger
•
•
Liberale
•
•
•
•
•
•
•
Konservative
•
•
•
•
Nationale
•
•
Nazis
•
•
•
•
•
entschädigungslose
Enteignung der Industrie,
des Großgrund- und des
großen Hausbesitzes
Übergabe von Grund und
Boden an landlose Bauern
Abschaffung der
Unternehmensprofite
Plan- und Zentralverwaltungswirtschaft
Volkseigentum
wirtschaftliches
Rätesystem
Kartellkontrolle
Förderung der
Genossenschaften
Verstaatlichung von Grund
und Boden
Gewährleistung des Rechts
auf Privatunternehmen und
Genossenschaften
Verstaatlichung gegen
Entschädigung
Schutz des Mittelstandes
Kartellkontrolle
gegen Vergesellschaftung
der Produktionsmittel
Privatwirtschaft
gegen Monopole
Aufteilung des
Großgrundbesitzes
Schutz von Handwerk und
Kleinhandel
Privateigentum
nur bedingte
Verstaatlichung gegen
Entschädigung
Genossenschaftswesen
Förderung der
Landwirtschaft und des
Mittelstandes
Privateigentum
Förderung der
Landwirtschaft und des
Mittelstandes
Verstaatlichung aller
bereits vergesellschafteten
Betriebe
Gewinnbeteiligung an
Großbetrieben
gesunder Mittelstand
Bodenreform
Kommunalisierung der
Großwarenhäuser
1917 verwirklicht. Auf deutschem Gebiet versuchte nach
dem 1. Weltkrieg u. a. die USPD, Räterepubliken zu
errichten. Im März 1919 wurde in München die
Räterepublik ausgerufen, die bis Anfang Mai bestand;
eine gleichzeitig von Béla Kun in Ungarn errichtete
Räterepublik hielt sich bis August.
•
•
•
Bildung von Freikorps
Januar 1919 Gründung der Kommunistischen
Partei Deutschland (KPD) > Spartakusaufstand
> Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa
Luxemburg
die Versuche, Räterepubliken zu gründen
scheitern am Widerstand der Regierung und der
Freikorps
Aufgaben:
1. Arbeiten Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede in
den Politikvorstellungen der o.g. Gruppen heraus.
2. Überlegen Sie, für welche Interessensverbände
innerhalb Deutschlands und im Ausland welche politische
Gruppierung unterstützenswert erscheint.
Rätesystem, auch Rätedemokratie, Regierungssystem,
in dem die bisher unterprivilegierte Schicht durch
unmittelbare Demokratie über Räte die Macht ausüben
soll. Die auf unterster Ebene (Gemeindeebene) direkt
gewählten,
weisungsgebundenen
Räte
üben
richterliche, ausführende und gesetzgebende Gewalt
aus. Das Rätesystem lehnt eine Gewaltenteilung ab,
und stellt sich damit gegen das System der
repräsentativen, parlamentarischen Demokratie. Die
direkt vom Volk beauftragten Räte wählen wiederum
Bevollmächtigte für die nächsthöhere Ebene. An der
Spitze des Staates steht der Zentralrat. Einen Vorläufer
hatte das Rätesystem in der Pariser Kommune von
1871. Es wurde theoretisch weiterentwickelt u. a. von
Karl Marx, Friedrich Engels und Lew Trotzkij, die durch
das Rätesystem die Selbstbestimmung der Massen in
der „Diktatur des Proletariats“ durchsetzen wollten. Das
Rätesystem wurde bereits in der Russischen Revolution
von 1905 angestrebt und in der Oktoberrevolution von
21
3. Die Veränderungen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert
3.9. Der Weg zur
Verfassungsordnung der
Weimarer Republik
•



Parteien, die sich zur Wahl stellten:
o
Deutsche Demokratische Partei
(DDP)
o
Deutsche Volkspartei (DVP)
o
Unabhängige
Sozialdemokratische Partei
(USPD)
o
Kommunistische Partei
Deutschland (KPD)
o
Deutschnationale Volkspartei
(DNVP)
o
Zentrum
o
andere
Wahlergebnis: Mehrheit für bgl. Parteien
gegen Rätesystem, 76,1% für Weimarer
Koalition (SPD, DDP,
Zentrum)
>
Zweidrittelmehrheit
Zusammentreten der NV am 6. Februar
1919 in Weimar
Aufgaben:
1. Schaffung
einer
vorläufigen
Reichsgewalt > Friedrich Ebert
zum Reichspräsidenten gewählt,
Philipp
Scheidemann
mit
Regierungsbildung beauftragt
2. Ausarbeitung einer Verfassung
(Hugo Preuss)
Annahme und Verkündung der Verfassung
im Juli/August 1919
Die Verfassung der Weimarer Republik
•
1.
2.
zwei Hauptteile:
Aufbau und Aufgaben des Reiches (1-108)
Grundrechte und Grundpflichten des
Deutschen (109-165)
•
Souverän ( Die Staatsgewalt geht vom
Volke aus [Art. 1] )
Willen durch Reichstag (RT) verkörpert
wählt den Reichspräsidenten (RP) direkt
Möglichkeit von Volksentscheiden
•
•
•
•
Parlament
•
•
•
•
Parteien
in
der
Verfassung
nicht
ausdrücklich erwähnt
Aufgabe: Organisation der Wahlen
Wahlrecht: allgemein, gleich, direkt und
geheim für Männer und Frauen über 20
Jahre
Verhältniswahlrecht ohne Sperrklauseln
RT ist zentrale Legislative
Gesetzesinitiative in normalen Zeiten
Kontrolle der Regierung
Entscheidung über Krieg und Frieden
Länderkammer
•
Reichsrat
Vetorecht
besitzt
nur
suspensives
Reichsregierung
•
schwache Stellung
•
vom Vertrauen des RT und RP abhängig
Grundrechte
•
nachstaatlich
•
Grundrechte nach Maßgabe der Gesetze
eingeräumt
Siehe auch Anlagen!
Aufgaben:
1. Vergleichen Sie die Verfassung der Weimarer Republik
mit der der Bundesrepublik Deutschland! Versuchen Sie
die Veränderungen zu begründen!
2. Untersuchen Sie, welche verfassungsrechtlichen
Entwicklungen es von der Paulskirchenverfassung bis zur
Verfassung der Weimarer Republik gegeben hat!
3. Beurteilen Sie die Weimarer Verfassung im Hinblick auf
andere Verfassungen zur damaligen Zeit.
Das Volk
•
•
•
Reich und Länder
•
Staaten des Kaiserreichs heißen Länder
•
Länderregierungen und Landtage
•
über Reichsrat an der Gesetzgebung
beteiligt > aber: „Reichsrecht bricht
Landesrecht“ (Art. 13)
•
das Reich zieht alle wichtigen Bereiche an
sich
Staatsoberhaupt
•
RP = „Ersatzkaiser“
•
höchster Repräsentant
•
an Gesetzgebung beteiligt (Art. 48)
•
kann RT auflösen (Art. 25)
•
kontrolliert die Regierung (Art. 53) durch
Ernennung und Entlassung von Ministern
•
Oberbefehlshaber der Streitkräfte
•
Diktator auf Zeit (Art. 48) > Recht zur
Reichexekution
•
für 7 Jahre gewählt, ohne Wiederwahlbeschränkung
Parteien und Wahlen
22
4. Historische Grundbegriffe
4. Historische Grundbegriffe
Absolutismus, die Staatsform, in der die Herrschaftsgewalt im Staat weitgehend beim Monarchen liegt; auch die
Bezeichnung für die durch die absolutistische Staatsform charakterisierte Epoche der europäischen Geschichte (vom
16. Jahrhundert bis zur Französischen Revolution 1789 bzw. in seiner Spätphase bis zur Revolution von 1848/49). Der
Begriff Absolutismus ist eine Neuschöpfung des 19. Jahrhunderts und geht auf die von den Staatsdenkern Jean Bodin und
Thomas Hobbes im 16. und 17. Jahrhundert wieder aufgenommene römische Rechtsformel princeps legibus solutus
(lateinisch „der von den Gesetzen losgelöste Fürst“) zurück, die besagt, dass des Herrschers Wille als oberstes Gesetz
absolut gilt. Der Begriff steht also für eine Regierungsform, in der der Herrscher seinen Willen mit Hilfe einer von ihm
abhängigen Bürokratie, einer ihm ergebenen Armee und einer ihm unterstehenden obersten Gerichtsbarkeit durchsetzt, in
der er ohne die Mitwirkung einer Volksvertretung wie der Stände und ohne Kontrollorgan regiert und die ungeteilte
Herrschaftsgewalt in seinen Händen vereint. Von der Willkürherrschaft z. B. eines Despoten unterscheidet sich der
Absolutismus insofern, als sich der absolutistische Monarch auf das Gottesgnadentum beruft, d. h. er beansprucht für sich,
aus göttlichem Recht zu regieren, und sich dem überkommenen menschlichen Recht verpflichtet sieht. Oberste Maximen des
absolutistischen Herrschers sind die Souveränität und die Staatsraison, also die Unabhängigkeit des Monarchen nach innen
und nach außen sowie das auf die Wahrung und Mehrung des Nutzen des Staates ausgerichtete Handeln.
Formen:
Frühabsolutismus (Friedrich II. von Stauffen) Die mangelnde Ordnungskraft der feudalen Ständestaaten erklärt das
Aufkommen der frühen absolutistischen Regierungsformen in Europa bis Ende des 15. Jahrhunderts.
Konfessioneller Absolutismus (Philipp II. von Spanien, Elisabeth I. von England) Die Erschütterung von Staat und
Gesellschaft im Zuge der Glaubenskriege des 16. Jahrhunderts forcierte das Entstehen starker Zentralgewalten. Als Modell
des konfessionellen Absolutismus steht u.a. die Herrschaft Heinrichs IV. in Frankreich. Er schuf im durch die
Hugenottenkriege zerrütteten Frankreich eine straffe Verwaltung und stärkte die königliche Zentralgewalt; zudem, und das ist
bis auf wenige Ausnahmen kennzeichnend für den Absolutismus, zeigte er zugunsten des inneren Friedens und im Sinne der
Staatsraison Toleranz gegenüber konfessionellen Minderheiten.
Klassischer Absolutismus, höfischer oder Hochabsolutismus (Ludwig XIV. von Frankreich, Friedrich Wilhelm I. von
Preußen, Peter der Große von Russland) Ludwig XIV. führte in Frankreich den absolutistischen Machtstaat unter dem Motto
„L’état c’est moi“ (französisch, „Der Staat bin ich“) im 17. Jahrhundert zu seinem Höhepunkt. In England dagegen konnte sich
das Parlament endgültig 1688 gegen absolutistische Tendenzen der Krone durchsetzen, und im Heiligen Römischen Reich
scheiterten im 16. und 17. Jahrhundert die Versuche der Kaiser, das Reich im Sinne einer Stärkung der Zentralgewalt
umzugestalten, am Widerstand der Landesfürsten; in einzelnen deutschen Territorialstaaten dagegen gelang die Errichtung
absolutistischer Herrschaften. Charakteristisch für den absolutistischen Staat war die weitgehende politische Entmachtung der
Stände und die Zurückdrängung des Adels und des Klerus (wobei die ständische Sozialordnung bestehen blieb) und, im
Gegenzug, die Heranziehung des gebildeten und des Handel treibenden Bürgertums als loyale, nur dem König verpflichtete
Beamtenschicht und als bedeutende Wirtschaftskraft. Das weisungsgebundene Beamtentum war das wichtigste Instrument
des absolutistischen Monarchen zur Durchsetzung der Zentralgewalt im Inneren; das stehende, nur dem Herrscher
unterstehende Heer sein wichtigstes Instrument zur Verteidigung der Souveränität des Staates nach außen. Der straffen
Zentralisierung und der Schaffung rationaler Verwaltungsorgane entsprach im Bereich der Wirtschaft die Etablierung von
Organisationsformen wie Merkantilismus und Kameralismus zur Regulierung der Wirtschaft und zur Sicherung der
Staatsfinanzen. Ein weiteres wesentliches Merkmal des Absolutismus ist – trotz der Berufung auf das Gottesgnadentum – die
Enttheologisierung des Staatswesens und die Aufhebung der weltlichen Herrschaftsbefugnisse der Kirche.
Aufgeklärter Absolutismus (Friedrich II. von Preußen, Joseph II. von Österreich, Katharina II. von Russland) Die Aufklärung
brachte auch in der Staatstheorie einen Wandel. Der aufgeklärte Fürst wie etwa Friedrich II. von Preußen oder Joseph II. von
Österreich definierte sich nunmehr als „erster Diener des Staates“ und als primär dem Gemeinwohl verpflichtet. Im Sinne einer
humanitären Staatsidee führte der aufgeklärte absolutistische Monarch das Gemeinwohl fördernde Reformen durch, leitete
z. B. mit umfangreichen Rechtskodifikationen wie dem „Allgemeinen Landrecht“ in Preußen oder dem „Bürgerlichen
Gesetzbuch“ in Österreich erste Schritte auf dem Weg zur Rechtsstaatlichkeit ein, schaffte Folter und Leibeigenschaft ab und
führte die allgemeine Schulpflicht ein. Seine Legitimation bezog der aufgeklärte Herrscher aus der Erfüllung der aus der
Verpflichtung auf das Gemeinwohl erwachsenden Aufgaben, der bloße Verweis auf das Gottesgnadentum war nun nicht mehr
hinreichend.
Spätabsolutismus (Napoleon, Friedrich Wilhelm III. und IV. von Preußen) Der absolutistische Herrscher stützte sich zwar in
Verwaltung und Wirtschaft in großem Umfang auf das aufstrebende Bürgertum, versagte ihm aber die entsprechende
politische Repräsentanz im Staatswesen. Diese Spannung entlud sich dann in den Revolutionen von 1789 bzw. 1848. Auf der
anderen Seite wurden z. B. mit der beginnenden Nivellierung der mittelalterlichen Sozialstrukturen, mit der Rechtskodifikation
und mit der Schaffung durchschaubarer Verwaltungsstrukturen in der Zeit des Absolutismus wichtige Schritte in Richtung
Modernisierung und Demokratisierung des Staates getan.
Adel (von althochdeutsch adal: „Geschlecht“, „Abstammung“), durch Geburt, Besitz oder Leistung sozial, rechtlich und politisch
privilegierte Klasse. Der Adel ist ein in allen Kulturen und Epochen zu beobachtendes Phänomen.
Mit dem Ende des alten Reiches 1806 wurden die geistlichen Fürstentümer in Deutschland säkularisiert und die Gebiete der
Reichsritter und der kleineren Reichsfürsten und -grafen mediatisiert, d. h. größeren Fürstentümern eingegliedert. Die
mediatisierten Fürsten behielten zunächst ihre Rechtsstellung als Mitglieder des Hochadels und ihre Privilegien; 1848 verloren
sie allerdings einen großen Teil ihrer Standesvorrechte. Mit dem Deutschen Bund kam 1815 der Briefadel auf, d. h. der per
Adelsbrief von einem Fürsten verliehene, nicht ererbte Adel, und im Laufe des 19. Jahrhunderts verschwanden alle zunächst
noch bestehenden Unterschiede zwischen dem mediatisierten Adel und dem Briefadel. In Deutschland behielt der Adel bis
1918 seine gesellschaftlich und politisch führende Stellung, trotz der Verluste seiner Privilegien und der fortschreitenden
Nivellierung der ständisch gegliederten Gesellschaft. 1918 wurden sämtliche noch verbliebenen Privilegien des Adels
aufgehoben und durch die Weimarer Verfassung von 1919 der Adelsstand an sich abgeschafft; der Adelstitel durfte als Teil
des bürgerlichen Namens weitergeführt werden. In Österreich wurde ebenfalls 1919 der Adelsstand inklusive Privilegien und
Titeln aufgehoben; das Führen eines Adelsprädikats ist seitdem gesetzlich untersagt.
Arbeiter (nach Roland Detsch), unselbständig oder abhängig Beschäftigte, die ihre überwiegend körperlich ausgeführte
Arbeitskraft dem Arbeitgeber gegen Entgelt zur Verfügung stellen. Man unterscheidet einerseits zwischen ungelernten Arbeitern
(Hilfsarbeitern) und angelernten, die über keine berufliche Qualifikation verfügen, und andererseits gelernten Arbeitern oder
Facharbeitern, die sich durch langjährige Berufserfahrung bzw. eine geregelte Berufsausbildung auszeichnen. Im Zuge des
wirtschaftlichen Wandels und technischen Fortschritts hat die Zahl der Arbeiter in den Industrieländern kontinuierlich
abgenommen. Gleichzeitig stieg die Zahl der Angestellten vor allem im Dienstleistungsbereich stetig an. Der moderne Arbeiter
zeichnet sich weniger durch bloße Handfertigkeit aus als durch Kontrollfertigkeit im Umgang mit Maschinen. Die Rolle und
soziale Stellung der Arbeiter hat sich im Laufe der Geschichte stark verändert. In der Antike gab es neben den unbezahlten
Sklavenarbeitern bereits Lohnarbeiter, die von den Landbesitzern beschäftigt wurden (griechisch: Theten, römisch: Proletarii).
Im Mittelalter dominierten Wanderarbeiter auf Zeit, die im Merkantilismus (18. Jahrhundert) von Tagelöhnern abgelöst wurden,
die sich in den Manufakturen verdingten. Im Frühkapitalismus des 19. Jahrhunderts entwickelte sich ein Proletariat, das den
unmenschlichen Gesetzmäßigkeiten der ungeregelten Marktwirtschaft unterworfen war. Erst durch die Solidarisierung in der
Arbeiterbewegung konnte es eine Verbesserung seiner sozialen Situation erzwingen. Im 20. Jahrhundert wurden die Arbeiter
zunehmend wirtschaftlich und gesellschaftlich integriert.
Bauernbefreiung zusammenfassende Bezeichnung für die Neuordnung der bäuerlichen Verhältnisse im 18. und
19. Jahrhundert in Europa und die damit verbundene Herauslösung der Bauern aus ihren feudalen
Abhängigkeitsverhältnissen. Die Bauernbefreiung verlief in den einzelnen Territorien je nach historischen und rechtlichen
Voraussetzungen in unterschiedlicher Weise und zeitlicher Abfolge. Sie umfasste im Wesentlichen folgende rechtliche
Vorgänge: 1. die Aufhebung der persönlichen Unfreiheit der Bauern (Leibeigenschaft, Erbuntertänigkeit), 2. die Übertragung
des Grundeigentums an die Bauern, die den Boden bewirtschafteten (Auflösung der Grundherrschaft oder Gutsherrschaft),
3. die Ablösung der mit der Grund- oder Gutsherrschaft verbundenden Gerichtsrechte (Patrimonialgerichtsbarkeit) sowie der
bäuerlichen Verpflichtungen zu Abgaben (siehe Zehnten) und Leistungen (Frondienst).
Mit Ausnahme Frankreichs, wo die Bauernbefreiung auf revolutionärem Wege erfolgte, wurde sie meist im Zuge staatlicher
Reformen „von oben“ durchgeführt. Die ehemaligen Grund- oder Gutsherren erhielten dabei für die Ablösung der früheren
Rechte Entschädigungen durch Land oder Geld.
Erste Schritte zur Bauernbefreiung in Brandenburg-Preußen unternahm bereits ab 1718 Friedrich Wilhelm I. Die Aufhebung
der Leibeigenschaft wurde zwar 1763 von Friedrich II. befohlen, ließ sich aber gegen den Adel noch nicht durchsetzen. In
Österreich ergriff Maria Theresia erste Maßnahmen zur Bauernbefreiung; unter Joseph II. wurde 1781 die Leibeigenschaft
aufgehoben und 1783 die Ablösung der Frondienste ermöglicht. In Baden erfolgte 1783 die Aufhebung der Leibeigenschaft.
Von erheblichem Einfluss auf die Bauernbefreiung in Deutschland war die Französische Revolution, die in Frankreich die
feudalen Abhängigkeiten beseitigte. Im Zuge der Preußischen Reformen, zu denen die Niederlage Preußens gegen Napoleon
in der Schlacht von Jena/Auerstedt (14.10.1806) den Anlass gab, verschaffte das „Oktoberedikt“ von 1807 sämtlichen Bauern
ab dem Martinitag 1810 die Freiheit von der Gutsherrschaft. Spätere Edikte von 1811 und 1816 regelten die Entschädigungen
für die Gutsbesitzer. Auch in den französisch gewordenen deutschen Gebieten und den mit Frankreich verbündeten Staaten
des Rheinbundes wurden verschiedene Maßnahmen zur Bauernbefreiung durchgeführt; sie wurden aber – mit Ausnahme der
Abschaffung der Leibeigenschaft – im Zuge der Restauration nach dem Wiener Kongress (1814/15) zum Teil wieder
rückgängig gemacht. Weitere Impulse für die Bauernbefreiung gingen 1830 von der französischen Julirevolution aus. Die
deutsche Märzrevolution von 1848 vollendete die Bauernbefreiung in allen Staaten des Deutschen Bundes.
Die Bauernbefreiung war einerseits eine wichtige Voraussetzung für den Abbau der Standesschranken und die Entstehung
eines allgemeinen und gleichen Staatsbürgertums. Andererseits führte sie dort, wo die bäuerlichen Anwesen nach Abzug der
Entschädigungsleistungen für die ehemaligen Grundherren den Lebensunterhalt der Bauern und ihrer Familien nicht mehr
sichern konnten, oft zur Verarmung oder Aufgabe der Hofstellen. Vor allem in Gebieten, wo die Gutsherrschaft dominierte – so
in Deutschland östlich der Elbe –, bedeutete die Bauernbefreiung eine tief greifende gesellschaftliche Umwälzung. Viele der
sozial entwurzelten ehemaligen Bauern fanden als Landarbeiter bzw. ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auch als
Industriearbeiter Beschäftigung oder wanderten aus.
Bauernlegen, Bezeichnung für das Einziehen – durch Auskaufen bzw. Abmeierung oder Vertreibung bzw. Eviktion – von
Gütern abhängiger Bauern durch adlige Grund- oder Gutsherren. Seinen Ursprung hatte das Bauernlegen im
15./16. Jahrhundert in England; die Grundherren erweiterten auf diese Weise ihr Weideland (siehe Einhegungen). In
Deutschland wurde das Bauernlegen vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg bis ins 18. Jahrhundert hinein betrieben. In
Preußen war das Bauernlegen seit 1709 verboten; das Verbot wurde allerdings wenig beachtet.
Bourgeoisie, zunächst Bezeichnung für die freien Einwohner europäischer Städte. Später wurde der Begriff Bourgeoisie ein
Synonym für Bürgertum.
Im 17. Jahrhundert wandte sich das Bürgertum entschieden gegen das so genannte Gottesgnadentum und die mit diesem
verbundenen Privilegien des Herrschers und des Adels. So führten die Bourgeoisie die Englische Revolution im
17. Jahrhundert und die Amerikanische und Französische Revolution Ende des 18. Jahrhunderts an. In diesen Revolutionen
wurden politische Rechte und persönliche Freiheiten für alle Bürger erkämpft.
Bourgeoisie und marxistische Theorie Die aufkommende industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts brachte bedeutende
Veränderungen der Wirtschaft mit sich: die Entwicklung der mechanischen Antriebskraft führte zur Einführung des
24
Fabriksystems und über dieses zur Entstehung großer Industriestädte. Das Bürgertum spaltete sich in die alte Bourgeoisie –
die Kapitalisten – und die ständig anwachsende Gruppe der Kleinbürger. Zu dieser Zeit entwickelte Karl Marx seine Theorie
des Klassenkampfes. Marx betrachtete die bürgerliche Kapitalistenklasse – d. h. die Unternehmer – als reaktionäre Kraft, die
ihre Vormachtstellung aufrechterhielt, indem sie die Arbeiterklasse, das Proletariat, ausbeutete. Er sagte voraus, dass das
Proletariat sich eines Tages erheben werde, um die Bourgeoisie als ökonomische Klasse zu ersetzen, und zwar durch
Übernahme der Produktionsmittel.
Heute wird der Begriff Bourgeoisie außer von Wirtschaftshistorikern kaum mehr in seinem ursprünglichen Sinn verwendet.
Seine deutsche Übersetzung Bürgertum ist austauschbar mit dem Begriff der Mittelschicht. In der modernen Gesellschaft
besteht diese Gruppe aus gut ausgebildeten Fachleuten und Angestellten.
Demokratie (nach Fuchs/ Raab), griech. , Volksherrschaft, Die Demokratie unterscheidet sich nach der klassischen Dreiteilung
der Staatsformen (Aristoteles) als Herrschaft aller vor der Herrschaft eines Einzelnen (Monarchie, Tyrannis), ebenfalls von der
Herrschaft weniger (Aristokratie, Oligarchie). Verwirklicht war die klassisch-antike Form der Demokratie in einer Anzahl von
Stadtstaaten Alt-Griechenlands, z.B. Athen; sie beruhte auf der Gleichheit der Staatsbürger. Allerdings waren nicht alle
Einwohner Staatsbürger, da breite Schichten (Sklaven, Heloten) keine politischen Rechte besaßen. So stellten die
vollberechtigten Einwohner stets eine Minderheit dar. Im republikanischen Rom vermochten sich nur einzelne demokratische
Einrichtungen durchzusetzen.
Wohl galten gleiche Rechte und gleiche Pflichten innerhalb des Stammesverbandes bei den Germanen; die daher noch von
Montesquieu vertretene Auffassung, dass bei ihnen der Ursprung der D. zu suchen sei , erscheint aber nicht haltbar. Die urspr.
Gleichheit der germanischen Freien wurde durch das erstarkende Königtum und die Durchbildung des Lehnswesens mehr und
mehr verdrängt. Das MA kann als das Zeitalter des monarchischen und aristokratischen Ständestaates betrachtet werden; sein
Wesen wird durch Vor- und Sonderrechte (Privilegien) geprägt; zudem überwog bald die Herrschaftsgewalt des Landesherrn.
Auch dort wo in der mittelalterlichen Staatstheorie der Gedanke der Volkssouveränität vertreten wird, wird ein ständisch
gegliedertes Volk vorausgesetzt. Echte demokratische Zielsetzungen zeigen sich in den Fällen, in denen die "niederen Stände"
Anteil an der politischen Gewalt fordern und sich mit ihren Forderungen durchsetzen können. Speziell in den Urkantonen der
Schweizer Eidgenossenschaft entstand seit dem 13. Jh. eine bäuerliche D. auf der Grundlage der Genossenschaft. In den
europäischen Städten kommt es zum Kampf der Handwerkerzünfte um die Gleichberechtigung mit den herrschenden Ständen.
Als ersten großen Durchbruch der religiösen D. kann man die engl. Revolution des 17. Jh. betrachten. Durch die Auswanderer
kamen die Vorstellungen von der religiösen D. nach Amerika; sie fanden ihren Ausdruck in der "Erklärung der Menschen- und
Bürgerrechte" sowie schließlich in der Unabhängigkeitserklärung der USA 1776.
Neben den im religiösen Bereich entwickelten Gedanken wurden philosophisch-naturwissenschaftliche wirksam, welche
bereits im Altertum (Stoa) vorgebildet waren. Die Aufklärungsphilosophie in England und in Frankreich hat den Gedanken,
dass der Staat die Pflicht habe, die Freiheit aller anzuerkennen und zu sichern sowie jedem einen gleichen Anteil an der
Staatsgewalt zuzugestehen, zur Überzeugung derjenigen Kreise gemacht, aus denen schließlich die Franz. Rev. 1789
hervorging. Von bedeutendem Einfluss dabei waren die Theorien von Montesquieu und Rousseau. Während die Lehren
Montesquieus zum liberalen Staat mit starken Freiheitssicherungen (Gewaltenteilung) hinführten, bekannte sich Rousseau zu
einer schrankenlosen Allmacht der "volonté generale". Wie die Erfahrungen der Franz. Rev. zeigen, kann diese leicht in die
Diktatur umschlagen.
Außerdem wurde die D. auch wirtschaftlich-sozial begründet. Schon während der ma. Städterevolutionen und der
Bauernaufstände wurde der Anspruch auf unbeeinträchtigte Lebensbetätigung, auf die Achtung der Menschenwürde sowie auf
wahres Recht und auf ausreichende Nahrung für jeden erhoben.
Unter der Einwirkung der Verfassung der USA sowie der Franz. Rev. setzten sich demokratischen Grundsätze in der
Gesetzgebung und der Verwaltung sowohl in Deutschland wie auch in anderen europäischen Staaten durch, die sich, teilweise
in heftigen Verfassungskämpfen, zu konstitutionellen Monarchien wandelten. Hierbei war das engl. Vorbild von nicht zu
unterschätzendem Einfluss.
Im allg. darf man von einer ständigen Ausbreitung und Verstärkung der demokratischen Einrichtungen bis zum Ersten
Weltkrieg sprechen. Die Ursache hierfür lag in der Gewaltigen Bevölkerungsvermehrung in Europa sowie in dem Streben der
Massen nach sozialem Aufstieg und Mitbeteiligung an der politischen Verantwortung. Die Fortbildung des demokratischen
Ideengutes vollzieht sich seit dem 19. Jh. in der Auseinandersetzung mit den sozialistischen Theorien.
Obwohl sich die D. im 20. Jh., insbes. auch unter nicht-europäischen Völkern, stark ausbreitet, kann man von einer Bedrohung
ihrer geistigen Voraussetzungen wie auch ihrer Existenz und Durchführung sprechen. In zahlreichen Staaten modernen
Staaten haben sich die Gegensätzen der Interessen und Weltanschauungen verschärft. Das freie Spiel der politischen
Meinungen ist nicht mehr entscheidend. Interessenblöcke und ideologische Fronten lassen eine Diskussion kaum mehr zu. Der
Individualismus, die Grundlage der überlieferten D., ist bereits weitgehend durch einen Kollektivismus verdrängt worden, in
dem Massenführer die Möglichkeit erhalten, mit demokratischen Methoden an die Macht zu gelangen. Andererseits ist der
Wille zu demokratischen Lebensformen durch die Erfahrungen in den modernen Diktaturen gestärkt worden.
Dreiklassenwahlrecht (nach Wieland Eschenhagen), allgemeines, indirektes, ungleiches, an die Steuerleistung der Wähler
gebundenes Wahlrecht. Das Dreiklassenwahlrecht galt von 1849 bis 1918 für die Wahl zum Abgeordnetenhaus und der
Stadtverordneten in Preußen. Die Steuer zahlende Bevölkerung (Urwähler) jedes Wahlkreises wurde in drei Klassen aufgeteilt,
die jede ein Drittel des Aufkommens an direkten Steuern des Kreises erbrachten. Da jede Klasse die gleiche Anzahl von
Wahlmännern stellte, die den Abgeordneten wählten, ergab sich ein extrem ungleiches Stimmgewicht der Urwähler zugunsten
der reichen, hoch besteuerten Bürger. Bei den ersten Wahlen nach diesem System im Jahr 1849 fielen auf die erste Klasse,
die Hochbesteuerten, 4,7 Prozent, auf die zweite 12,6 Prozent, auf die dritte, die Gering- oder Nicht Besteuerten, 82,6 Prozent
der Wähler. 1896 wurde das Dreiklassenwahlrecht modifiziert in Sachsen eingeführt. Die Abschaffung des
Dreiklassenwahlrechts, eine der zentralen Forderungen der SPD, erfolgte 1918.
Emanzipation (nach Wolfram Schellberger) (lateinisch: Befreiung), Befreiung aus einer sozialen Abhängigkeit. Die heute
vorherrschende Begriffsbedeutung setzt ein modernes Verständnis des sich in freier Selbstbestimmung verwirklichenden
Menschen voraus. In der Französischen Revolution wurde diese moderne Forderung nach Emanzipation erstmals von breiten
Bevölkerungsschichten erhoben. Gleichheit und Freiheit aller und die Abschaffung der ökonomischen, sozialen und politischen
Ungleichheiten galten als erste Ziele der Revolution.
Die bürgerlichen Emanzipationsbewegungen des 18. und des 19. Jahrhunderts strebten die Befreiung ihrer sozialen Klasse
aus den Abhängigkeitsverhältnissen der monarchischen Herrschaft an. In diesem Sinne heißt Emanzipation: Aufhebung von
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Fremdbestimmung als Abschaffung der Bedingungen, die Selbstbestimmung verhindern. Damit hat sich der ursprüngliche
Wortsinn in sein Gegenteil verkehrt. Im Römischen Reich verstand man unter Emanzipation die Freigabe eines Kindes aus der
(allumfassenden) Gewalt des Vaters. Über den Zeitpunkt der Emanzipation entschied der Vater. Sie war eine rechtlich und
sozial verankerte Form des Generationenwechsels.
In der marxistischen Terminologie hat man unter Emanzipation den Prozess der Zurückführung der „menschlichen
Verhältnisse auf den Menschen selbst“ zu verstehen (siehe auch Entfremdung).
Emanzipatorische Bestrebungen heute fordern die Herstellung von Chancengleichheit. In diesem Sinn hat vor allem die
Frauenbewegung argumentiert, der wohl die Popularisierung des Emanzipationsbegriffs in erster Linie zu verdanken ist.
Emanzipatorische Ansätze fanden seit Ende der sechziger Jahre vor allem in den Erziehungswissenschaften ihren
Niederschlag. Pädagogisches Leitbild war die Erziehung zur (kritischen) Mündigkeit. Es löste das Ziel einer erfolgreichen –
d. h. reibungslosen – Integration des Kindes in die bestehende Sozialstruktur ab.
Feudalismus (nach Mechthild Weißer), Bezeichnung für die hoch- und spätmittelalterliche Gesellschaftsordnung, die auf dem
Lehnswesen gründete und sich dadurch auszeichnete, dass der Monarch eine freie, adelige Oberschicht durch das Lehnsrecht
mit Grundherrschaften und verschiedenen Hoheitsrechten ausstattete. Die lehnsrechtlich bestimmte Gesellschaft war streng
hierarchisch gegliedert und wurde durch gegenseitige Treuebeziehungen zusammengehalten. Der Begriff „Feudalismus“
entstand im 17. Jahrhundert in Frankreich (französisch féodalité) und kommt vom mittellateinischen Wort feudum, der
Bezeichnung für das vasallische Lehen.
(nach Helmut Assing), Feudalismus ist ein Produktionsverhältnis zwischen Bodeneigentümern und Bauern, denen der Boden
zwecks Bearbeitung gegen eine Rente (Abgaben und/oder Dienste) überlassen oder verblieben ist.
Das Lehnswesen Das Lehnswesen ging als Synthese aus der römischen clientela und dem germanischen
Gefolgschaftswesen hervor. Es entwickelte sich mit der Änderung der Wehrverfassung im 7./8. Jahrhundert im Frankenreich:
Das Aufgebot aller Freien im Volksheer wurde abgelöst durch ein ständig verfügbares, besser ausgerüstetes Reiterheer aus
Berufskriegern. Die Reiter bzw. Ritter wurden vom König oder einem anderen mächtigen Grundbesitzer, dem Lehnsherrn,
materiell ausgestattet, um sich Ausbildung, Ausrüstung und ritterlichen Lebensstil leisten zu können. In der Regel erhielten sie
Land, oft auch Ämter oder Rechte, die Erträge abwarfen, zur dauernden Nutzung. Als Gegenleistung für diese Ausstattung, die
Lehen, waren die Lehnsnehmer, die Vasallen (vom keltischen Wort für „Diener“), ihren Herrn gegenüber zu Treue, Gehorsam
und Dienstleistung verpflichtet. Die Treuepflicht war gegenseitig und galt auch für den Herrn gegenüber den Vasallen. Die
Dienstpflicht bestand vor allem aus dem Ritterdienst und der Heerfahrt, wobei letzteres insbesondere die Romfahrt, d. h. den
Zug zur Kaiserkrönung nach Rom, beinhaltete.
An der Spitze der lehnsrechtlich organisierten Gesellschaft stand der König. Er vergab Grund bzw. Grundherrschaften und
Ämter als Lehen an die Kronvasallen, die im Gegenzug die ihnen anvertrauten Ämter auszufüllen und Kriegsdienst zu leisten,
d. h. Ritter zu stellen hatten. Die Kronvasallen, in der Regel Herzöge, Grafen, Bischöfe und Reichsäbte, rekrutierten sich aus
dem Hochadel. Diese wiederum gaben Land und Ämter an Aftervasallen zu Lehen weiter, die dafür ebenfalls ihren Herren
Amts- und Kriegsdienst zu leisten hatten. Die Aftervasallen gehörten dem niederen Adel an, waren Ritter, Dienstmannen und
Äbte und gaben ihrerseits Land zur Bearbeitung an unfreie, hörige Bauern weiter, die dafür Naturalabgaben und Arbeitsdienste
leisten mussten. Zu den Unfreien bestanden keine lehnsrechtlichen Beziehungen. Die Lehnsgesellschaft war pyramidenförmig
aufgebaut: Die breite Basis bildete die Masse der unfreien Bauern, darüber kam die schmalere Schicht der Aftervasallen,
gefolgt von der noch kleineren Gruppe der Kronvasallen. An der Spitze der Pyramide stand der Herrscher.
Im Laufe des Hochmittelalters bildete sich in Deutschland eine differenziertere Struktur in der Lehnshierarchie heraus, die
Heerschildordnung, die die Lehnsfähigen, d. h. diejenigen, die Lehen vergeben oder annehmen konnten, sieben Stufen
zuordnete: An der Spitze stand wieder der König bzw. Kaiser, auf der zweiten Stufe folgten die geistlichen Fürsten, auf der
dritten die weltlichen Fürsten, auf der vierten Grafen und Freiherren; die fünfte Stufe bildeten die Ministerialen (Dienstmannen),
die sechste deren Mannen, die siebte und unterste die übrigen ritterbürtigen Mannen, die als Einzige des Heerschildes nicht
die aktive Lehnsfähigkeit besaßen, d. h. selbst keine Lehen vergeben, sondern nur annehmen konnten. Die „Schildbürtigen“,
also alle Angehörigen des Heerschildes, konstituierten den mittelalterlichen Adel und bildeten gegenüber der Masse der
Unfreien eine relativ dünne, elitäre Herrenschicht.
Das Lehnsrecht Lehnsfähig waren zunächst nur Ritterbürtige, d. h. Freie, die waffenfähig und im Vollbesitz ihrer Ehre sein
mussten; im Spätmittelalter konnten auch unfreie Ministerialen in den Ritterstand aufsteigen. Begründet wurde das
Lehnsverhältnis durch einen symbolischen Akt, der Vertragscharakter hatte: Der Vasall leistete, indem er seine gefalteten
Hände in die des Lehnsherrn legte, Mannschaft bzw. Gefolgschaft (hominium, homagium) und den Treueid (fidelitas). Der
Lehnsherr investierte durch die Übergabe von Herrschaftssymbolen wie Schwert, Ring, Zepter oder Handschuh seinen
Vasallen mit dem Lehen (investitura). Mit dem Lehnsverhältnis ging der Herr zugleich auch die Verpflichtung zu Schutz und
Unterhalt gegenüber dem Vasallen ein.
Der Lehnsdienst bestand in erster Linie in Heerfahrt, also Kriegsdienst, und in Hoffahrt, also der Anwesenheit des Vasallen
beim Herrn, um ihm Rat und Hilfe zu leisten. Aus der Hoffahrt entwickelten sich ab dem Spätmittelalter zum Teil die Land- und
Reichstage sowie die lehnsrechtlich geprägte Stellung der Reichsfürsten. Das Lehnsgut – Land oder Amt – wurde dem
Vasallen zunächst lediglich zur Nutzung überlassen. Später bildete sich für die Seite des Vasallen der Status eines
Untereigentümers des Lehens heraus, wobei der Herr der Obereigentümer blieb, und schließlich entwickelte sich mit der
Vererbbarkeit der Lehen ein Anspruch der Erben des Vasallen auf Wiederbelehnung. Eigentümer blieb jedoch weiterhin der
Herr.
Der Feudalstaat Die mittelalterlichen europäischen Staaten waren in ihrer Herrschaftsstruktur in unterschiedlichem Maße durch
das Lehnswesen geprägt. Nicht nur Grund und Boden mit allen zugehörigen Rechten, sondern auch Ämter, wie Grafschaften
und Vogteien, und königliche Hoheitsrechte (Regalien), wie Zollrecht und Gerichtsbarkeit, wurden vom König als Lehen
vergeben. Die zentrale Herrschaftsgewalt verblieb zwar theoretisch weiterhin beim König, wurde aber durch die Delegation an
eine Vielzahl von Personen, die die Ämter und Hoheitsrechte in Eigenverantwortung ausübten, de facto zersplittert und
geschwächt.
Als problematisch erwies sich zudem, dass die Kronvasallen Ämter und Rechte vielfach an Aftervasallen weitergaben. Ein
unmittelbares Herrschaftsverhältnis bestand somit nur zwischen dem König und den Kronvasallen. Dies galt zumindest für die
deutschen Länder, wo die Aftervasallen dem König nicht zur Treue verpflichtet waren. Außerdem konnten die Kronvasallen
durch Weiterbelehnung und die damit verbundenen Treueverpflichtungen eigene Herrschaften aufbauen, die zur Königsgewalt
in Konkurrenz treten konnten. In den deutschen Ländern kam erschwerend hinzu, dass der König nur über einen Teil des
Grundes mit den zugehörigen Herrschaftsrechten verfügte; der andere Teil war Eigengut des Adels, das nicht in den
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Lehnsverband eingegliedert war und daher zur Grundlage für die Errichtung vom König unabhängiger Adelsherrschaften
werden konnte.
Um ein Gegengewicht zu dem sich verselbständigenden Adel zu schaffen, stützte sich der König im hochmittelalterlichen
Deutschen Reich zunächst auf die Reichskirche, der er in großem Umfang Grund und Privilegien zukommen ließ (ottonischsalisches Reichskirchensystem). Nach dem Investiturstreit suchte das Königtum, die Reichskirche enger in den
Reichslehnsverband einzubinden, u. a. indem es Bischöfe und Reichsäbte mit der weltlichen Herrschaftsgewalt belehnte. Die
staufischen Könige schließlich bemühten sich, sowohl das adelige Eigengut in vom König abhängige Lehen umzuwandeln als
auch die Reichsverwaltung auf der Basis einer lehnsrechtlich vom König abhängigen Reichsministerialität zu zentralisieren.
Der staufische Versuch scheiterte jedoch. Die spezifische Ausprägung des Lehnswesens in Deutschland führte zum Zerfall der
Herrschermacht und zur Territorialisierung des Reiches.
In Frankreich dagegen und in den normannisch dominierten Staaten England und Sizilien sowie in den französischnormannischen Kreuzfahrerstaaten nahm das Lehnswesen eine andere Entwicklung: Hier waren auch die Aftervasallen dem
König zu Treue und Gefolgschaft verpflichtet, zudem unterstand der Großteil des Bodens mit all seinen Rechten der Verfügung
des Herrschers, so dass sich – im hochmittelalterlichen England und in den Kreuzfahrerstaaten mehr noch als in Frankreich –
weitgehend feudalisierte, zentralisierte, straff durchorganisierte einheitliche Staatswesen herausbilden konnten.
Gilde, Vereinigung von Personen, die gleiche Interessen innerhalb eines Kunsthandwerks, eines Handwerks, in der Wirtschaft
oder innerhalb eines Berufs haben. Zweck der Vereinigung sind gegenseitige Hilfe und Schutz. Man verwendet den Begriff
besonders für zwei Arten dieser Vereinigung, die in Europa während des Mittelalters ihre Blütezeit hatten: die Kaufmannsgilden
und die Handwerkszünfte, die man manchmal auch Handelsgilden oder Handwerksinnung nannte.
Die Kaufmannsgilden Diese Gilden entstanden in Kontinentaleuropa im 11. Jahrhundert, die Anfänge reichen aber bis ins
Fränkische Reich (8. Jahrhundert) zurück. In Britannien entstanden sie im 10. Jahrhundert nach der normannischen Eroberung
Englands. Sie bildeten sich, weil sowohl der Handel als auch die städtischen Gemeinschaften in jenem Jahrhundert wuchsen.
Kaufleute reisten in fremden Ländern von Markt zu Markt. Um sich gegenseitig zu schützen, reisten Kaufmannsgruppen aus
derselben Stadt oft zusammen in einer Karawane. Die Mitglieder einer solchen Karawane wählten einen Führer und erstellten
Regeln, die alle befolgen mussten. Diese Regeln enthielten nicht nur Vorschriften zur Verteidigung bei körperlichen Angriffen,
sondern sie verpflichteten die Mitglieder auch, einander in Rechtsstreitigkeiten beizustehen. In den germanischen Ländern
Europas nannte man diese Karawanen Gilde oder Hansa. In den Ländern mit romanischem Sprachgebrauch nannte man sie
Caritas oder Fraternitas. Häufig blieben die Mitglieder einer Hansa oder Fraternitas nach der Rückkehr von der Reise in ihren
Städten in enger Verbindung miteinander. Solche Verbindungen beanspruchten dann allmählich Rechte und Privilegien
hinsichtlich des Handels in der Stadt oder Gemeinde. Diese Rechte wurden von einem Feudalherrn bzw. später in Städten
ohne Feudalherrschaft von der Stadt selbst verliehen.
Mit der Zeit erlangten die Kaufmannsgilden ein Monopol über den gesamten Handel und die Industrie einer Stadt; sie
überwachten die verschiedenen Handwerke und verkauften im Groß- und Einzelhandel alle in der Stadt hergestellten Waren.
Kaufleute, die kein Mitglied einer Gilde waren, durften zwar auch Waren verkaufen, jedoch nur im Großhandel; ihre
Geschäftstätigkeit unterlag auch vielen besonderen Einschränkungen, von denen die Mitglieder der Gilde befreit waren. So
musste beispielsweise ein Nichtmitglied spezielle Abgaben an den Feudalherrn oder die Stadt zahlen. Für Mitglieder einer
Gilde zahlte dagegen einmal jährlich die Gilde die Abgaben; außerdem waren sie von anderen städtischen Steuern befreit. Die
Kaufmannsgilden bestanden normalerweise aus den reichsten Kaufleuten der Stadt, und sie erlangten beträchtlichen
politischen Einfluss. Man übertrug ihnen oft die Verwaltungsmacht über einige der Stadtfunktionen. Manchmal gewährten die
Kaufmannsgilden Kaufleuten aus anderen Städten die Mitgliedschaft; daraus entstanden gelegentlich Gilden, die den Handel
mehrerer Städte monopolisierten.
Niedergang der Kaufmannsgilden Die Kaufmannsgilden verloren nach und nach an Bedeutung, und zu Beginn des
14. Jahrhundert gab es praktisch keine mehr. Hauptursache für ihr Verschwinden aus dem Wirtschaftsleben war die
Entstehung von Handwerkszünften. Deren Mitglieder übten ein bestimmtes Handwerk aus, und sie monopolisierten die
Herstellung und den Verkauf eines bestimmten Produkts innerhalb der Stadt, in der sie ihre Zunft hatten. In dem Maße, wie die
verschiedenen Handwerker einer Stadt sich in Handwerkszünften organisierten, nahm die Macht der Kaufmannsgilden zur
Steuerung des Handels in der Stadt bis zur Bedeutungslosigkeit hin ab. Dort wo Kaufmannsgilden stark mit einer
Stadtverwaltung verflochten waren, kamen sie auch in Konflikt mit den erstarkten Regierungen der Nationalstaaten, die gegen
Ende des Mittelalters entstanden, und häufig ging ihre Macht auf diese über.
Die Handwerksgilden Etwa zu Beginn des 12. Jahrhunderts entstanden Organisationen, die die Briten Craft Guild nannten,
die Franzosen Corporation de Métier, die Italiener Arte und die Deutschen Zunft oder Innung. Normalerweise entstanden diese
Zünfte, wenn sich eine Gruppe von Handwerkern, dem Beispiel der Kaufmannsgilden folgend, zum gegenseitigen Wohl
zusammenschloss. In einigen Fällen entstanden zunächst Gruppen als religiöse Bruderschaften, die nur aus Handwerkern
eines Handwerksbereichs bestanden. Diese verlagerten mit der Zeit ihr Schwergewicht von religiösen Fragen hin zur
Wirtschaftshilfe für ihre Mitglieder. Allmählich wurden sie dann vollwertige Handwerkszünfte. Bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts
gab es in allen Teilen Westeuropas Handwerkszünfte oder Innungen. In einigen Städten hatte der einzelne Handwerker das
Recht, sich der Innung anzuschließen oder selbständig zu bleiben. In anderen Städten kauften die Zünfte von den
Stadtverwaltungen oder der königlichen Regierung das Recht, ihren Handwerkszweig zu kontrollieren. In diesen Fällen musste
jeder, der in dieser Stadt seinem Handwerk nachgehen wollte, Mitglied der Handwerkszunft werden. Die Mitglieder einer Zunft
waren in drei Klassen unterteilt: Meister, Apprentices (Lehrlinge) und Gesellen. Der Meister, der ein Kleinunternehmer war,
besaß das Rohmaterial und die Werkzeuge und verkaufte die in seinem Laden gefertigten Waren zu seinen Gunsten. Die
Lehrlinge und Gesellen lebten in seinem Haus. Die Lehrlinge waren Berufsanfänger und erlernten beim Meister ihr Handwerk.
Sie erhielten im Allgemeinen nur Unterkunft und Verpflegung für ihre Tätigkeit. Hatte ein Lehrling seine Lehre beendet, wurde
er Geselle und erhielt einen festen Lohn für seine Arbeit. Mit der Zeit konnte der Geselle Meister werden. Da es für jene, die
bereits Meister waren, von Vorteil war, ihre eigene Zahl nicht zu erhöhen, waren die Bedingungen, unter denen ein Geselle
Meister werden konnte, sehr schwer zu erfüllen. Nach dem 14. Jahrhundert wurden die Anforderungen so streng, dass es
praktisch keinem Gesellen mehr möglich war, Meister zu werden.
Im 14., 15. und 16. Jahrhundert schlossen sich die Gesellen in eigenen Vereinigungen zusammen. Ihr Ziel war es, bessere
Löhne und Arbeitsbedingungen von ihren Meistern zu erhalten. In England waren solche Vereinigungen bekannt als
Journeyman oder Yeoman Guild; in Frankreich nannte man sie Compagnonnages und in Deutschland Gesellenbruderschaft.
Sie erreichten manchmal durch Streiks eine leichte Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen und des Lohnes, doch insgesamt
verbesserten sie den wirtschaftlichen Status ihrer Klasse nicht sonderlich. Aufgrund ihrer Verteidigung der Arbeitsrechte, ihrer
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strengen Kontrolle über die Mitglieder und der angebotenen Leistungen betrachtet man die Gesellenbruderschaften als
Vorläufer der modernen Gewerkschaft.
Die Zünfte waren wichtig im Leben der mittelalterlichen Stadt, denn sie beeinflussten das wirtschaftliche Wohlergehen sowohl
der Handwerker als auch der Verbraucher. Die Zunft versuchte den Handwerkern hauptsächlich auf zwei Arten zu helfen: Sie
schützte zum einen vor dem Wettbewerb durch Handwerker aus anderen Städten und zum anderen vor möglichem Wettbewerb
durch Bürger der Stadt, die in anderen Geschäften des gleichen Handwerkszweiges arbeiteten. Das erste Ziel erreichte die
Zunft, indem sie den Handel für diesen Bereich in der Stadt monopolisierte; d. h., sie erlaubte nicht, dass Waren aus anderen
Städten für den Verkauf eingeführt wurden. Das zweite Ziel wurde dadurch erreicht, dass für alle Geschäfte, die die gleichen
Waren herstellten, auch dieselben Öffnungszeiten galten und für Arbeiter im gleichen Handwerksbereich einheitliche Löhne
gezahlt wurden. Damit kein Meister gegenüber einem anderen einen Vorteil haben konnte, bestimmte die Zunft einheitlich die
Zahl der Angestellten, Werkzeuge und Arbeitsstunden pro Geschäft sowie die Preise, die der Meister für die fertigen Produkte
verlangen durfte. Die Zunft überwachte die Einhaltung ihrer Regeln durch ständige und genaue Überwachung der Geschäfte.
Kein Meister durfte für seine Produkte werben, damit er nicht mehr Geschäfte machte als ein anderer Meister. Jede
Verbesserung in der Herstellungstechnik, durch die ein Geschäft seine Ware schneller und billiger als andere hätte herstellen
können, war gleichfalls verboten. Die Zünfte wollten völlige Gleichheit unter den Mitgliedern jeder der drei Klassen erreichen, in
die sie unterteilt waren. Die Verbraucher profitierten von der Existenz der Zünfte besonders durch die hohen
Qualitätsansprüche, die die Zunft an das fertige Produkt stellte, obwohl ihnen andererseits billigere Preise durch verbesserte
Herstellungsmethoden und durch den Wettbewerb beim Verkauf vorenthalten wurden.
Die Handwerkszünfte waren zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert eine wichtige Kraft im Wirtschaftsleben Europas. In
Frankreich und in Flandern drohten sie im 12. und 13. Jahrhundert sogar häufiger die Stadtobrigkeiten zu beherrschen. Um die
Zünfte zu schwächen, entzogen ihnen einige Städte viele Privilegien, darunter das Recht zur Regulierung der Gewerbe.
Dennoch begannen die Zünfte im 14. Jahrhundert mit den reichen Kaufleuten der Städte um die Regierungsgewalt zu streiten.
In einigen Städten gelang es den Zünften tatsächlich, die Verwaltung der Stadt völlig zu übernehmen. So bestand
vergleichsweise in Lüttich im Jahr 1384 der Rat der Stadt vollständig aus Vertretern der 32 Handwerksgilden der Stadt.
Der Aufstieg des Kapitalismus Im 15. Jahrhundert jedoch fing die Macht der Zünfte zu schwinden an. Sie kämpften mit den
bereits geschilderten internen Spannungen zwischen Meistern und Gesellen. Auch waren sie starker Kritik und teilweise auch
Aktionen der Obrigkeit ausgesetzt, weil sie industrielle Produktionsweisen und die Freiheit der Arbeit einschränkten. Um den
Zunftzwang aufzuweichen, ernannten Landesherren und Städte z. B. so genannte Freimeister, die ohne Zugehörigkeit zu einer
Zunft arbeiten durften. Die Hauptursache für den Niedergang und das Ende der Zünfte im 16. Jahrhundert war der Aufstieg
des Kapitalismus als neues Herstellungs- und Verteilungssystem. Dieses neue Wirtschaftssystem maß der Massenproduktion
von Gütern, dem Wettbewerb der Märkte zwischen den Herstellern und einer breiten Distribution (Verteilung) der Güter größte
Bedeutung zu. Da sich die Zünfte und Innungen gegen alle drei Prinzipien sträubten, gründeten so genannte Kapitalisten ihre
Geschäfte im Allgemeinen in Zentren, wo keine Zünfte bestanden. Die Zünfte waren nicht in der Lage, selbst für ihren eigenen
heimischen Markt Waren so schnell und billig herzustellen wie die kapitalistischen Unternehmen. Daher wurden sie allmählich
aus dem Wirtschaftsleben verdrängt. Im Jahr 1776 schaffte Anne Robert Jacques Turgot, Generalkontrolleur der Finanzen
König Ludwigs XVI. von Frankreich, bis auf vier Zünfte alle anderen ab, damit die Arbeiter ihre Dienste den Arbeitgebern frei
anbieten konnten. Während der Französischen Revolution wurden alle Zünfte abgeschafft. Preußen und andere deutsche
Staaten schafften die deutschen Zünfte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ab. Die Handwerksgilden, die in Großbritannien noch
bestanden, wurden durch Beschlüsse des Parlaments in den Jahren 1814 und 1835 abgeschafft. Als neue Formen des
beruflichen Zusammenschlusses entstanden die Innungen.
Der Begriff Gilde wird heute immer noch gebraucht. Er wird für verschiedene Arten von Vereinigungen verwendet, z. B. bei
Vereinen für Wohlfahrtsarbeit und Organisationen zur Förderung verschiedener kultureller Aktivitäten, wie Musik und
Schauspiel, außerdem für einige Arbeitsorganisationen. Er diente auch zur Bezeichnung einer modernen Idee des
Sozialismus, nämlich des Gildensozialismus.
Grundrechte (nach Helmut W. Müller), unantastbare, unverletzliche und unveräußerliche Rechte des Einzelnen gegenüber
dem Staat, die in der Regel in den Verfassungen der Staaten als Elementarrechte festgehalten sind. Bestimmte Grundrechte
wie z. B. die Menschenwürde, die Gleichheit und die Freiheit (Menschenrechte) sind aus naturrechtlicher Sicht überstaatlich
und aus diesem Grund auch von allen Staaten anzuerkennen.
Geschichte Schon in der Antike ist der naturrechtliche Gedanke von Menschen- und Bürgerrechten entstanden. Durch die
Scholastik und die Naturrechtslehre des 17. und 18. Jahrhunderts wurden die Menschenrechte philosophisch und politisch
weiterentwickelt und erstmals verfassungsrechtlich in der Habeaskorpusakte und der Bill of Rights gewährleistet. Während der
Französischen Revolution erfolgte die berühmte Déclaration des Droits de l’homme et du citoyen (1789), in der die Ideen von
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zum Ausdruck kamen. Im 19. Jahrhundert wurden Grundrechtskataloge fast in alle
europäischen Verfassungen aufgenommen. Nach modernen Theorien des Völkerrechtes sind die Grundrechte auch
völkerrechtlich unantastbar und unverletzlich. Unter dem Eindruck der Menschenrechtsverletzungen während des
2. Weltkrieges entstand die Europäische Menschenrechtskonvention, der die Bundesrepublik Deutschland am 7. August 1952
beigetreten ist. Im Grundgesetz der BRD sind die Grundrechte vor allem in Art. 1-19 gewährleistet, in Österreich gilt noch das
Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, in der Schweiz sind die
Grundrechte insbesondere in der Bundesverfassung von 1874 festgehalten.
Allgemeines Aufgrund ihrer historischen Entwicklung sind die Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat, d. h.,
sie schützen die Freiheitssphäre des Einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt. Dieses Grundrechtsverständnis, das aus
einem als dualistisch begriffenen Verhältnis von Staat und Gesellschaft entstanden ist, ist in den modernen demokratischen
Staaten einem Wandel unterworfen. So leitet man aus den Grundrechten heute auch die Verpflichtung des Staates ab, diese
Rechte aktiv zu schützen und zu fördern. Die Grundrechte sind von bloßen Abwehrrechten des Bürgers zu Leistungs- und
Teilhaberechten geworden.
Die Grundrechte binden unmittelbar die Gesetzgebung, die Exekutive und die Judikative. Sie gelten unmittelbar nur im
Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Immer wichtiger wird die so genannte Drittwirkung der Grundrechte. Darunter versteht
man die Wirkung der Grundrechte gegenüber nichtstaatlichen Gewalten. So ist z. B. im Arbeitsrecht im Verhältnis zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG angeordnet. Außerdem sind die Wertentscheidungen
der Grundrechte auch bei der Auslegung im Privatrecht anzuwenden, wenn das Gesetz unbestimmte Rechtsbegriffe oder
Generalklauseln wie z. B. „Treu und Glauben“ verwendet.
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Man unterscheidet Grundrechte, die nur für Deutsche gelten (Bürgerrechte) und solche, die für jedermann gelten
(Menschenrechte). So gilt z. B. das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) für alle Menschen,
während die Berufsfreiheit, die u. a. die Freiheit der Berufswahl garantiert, nur für Deutsche gilt. Im Fall der Verletzung von
Grundrechten durch den Staat kann Verfassungsbeschwerde erhoben werden.
Einzelne Grundrechte Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist
Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Unter Menschenwürde versteht man den inneren und zugleich sozialen Achtungs- und
Wertanspruch, der dem Menschen als Träger höchster geistiger und sittlicher Werte zukommt. Der Mensch darf daher keiner
Behandlung ausgesetzt werden, die ihn zum bloßen Objekt staatlichen Handelns degradiert. Typische Fälle der Verletzung der
Menschenwürde sind z. B. Sklaverei, Folter, Menschenversuche oder die Vernichtung so genannten lebensunwerten Lebens.
Eng mit der Menschenwürde verwandt ist das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das in Art. 2 GG niedergelegt
ist. Als allgemeines Menschenrecht wird die freie Entfaltung der Persönlichkeit für jedermann garantiert. Geschützt ist die
Selbstverwirklichung des Menschen nach seinen eigenen Vorstellungen. Darunter fallen z. B. die Freiheit, Verträge zu
schließen, die Wettbewerbsfreiheit, die Ausreisefreiheit, die freie geschlechtliche Betätigung etc. Aufgrund der Weite des
geschützten Freiheitsrechtes und der Gemeinschaftsgebundenheit des Menschen setzt das Grundgesetz der freien Entfaltung
der Persönlichkeit Schranken, die in den Rechten anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Sittengesetz begründet
sind.
Der allgemeine Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG fordert die Gleichbehandlung aller Menschen vor dem Gesetz. Darunter ist
aber keine schematische Gleichbehandlung zu verstehen. Vielmehr ist eine Unterscheidung aus sachlichen Gesichtspunkten
zulässig, wohingegen die Willkür verboten ist. So hat das Bundesverfassungsgericht kürzere Kündigungsfristen für Arbeiter als
für Angestellte als Verstoß gegen den Gleichheitssatz angesehen. Als zulässig wird aber die Ungleichheit der Besteuerung von
Beamtenpensionen und Renten angesehen. Einen Spezialfall der Gleichbehandlungsgrundsatzes bildet Art. 3 Abs. 2, der
bestimmt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. In Anwendung dieses Grundsatzes der Gleichberechtigung wurden
viele Gesetze erlassen, durch die die Gleichstellung der Frau im Arbeitsleben (Arbeitsrecht), in der Familie (siehe Eherecht)
und in der Gesellschaft vorangetrieben wurde.
Die Glaubens-, Bekenntnis- und Gewissensfreiheit in Art. 4 GG gewährleistet jedermann die Möglichkeit, seine innersten
religiösen und weltanschaulichen Anschauungen frei zu bilden und auch frei zu bekennen und zu äußern. Sie wird ergänzt
durch die Freiheit der Religionsausübung (siehe Religionsfreiheit).
Nach Art. 5 Abs. 1 GG hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich
aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Gleichzeitig wird auch die Pressefreiheit garantiert. Das
Grundrecht der Meinungsfreiheit findet aber seine Grenzen in den allgemeinen Gesetzen, den Gesetzen zum Schutz der
Jugend und im Recht der persönlichen Ehre. So sind z. B. die Beleidigung oder Verleumdung nicht durch die Meinungsfreiheit
geschützt.
Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistet die Freiheit von Kunst und Wissenschaft. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter
dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Damit ist jede Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen und von
Familienmitgliedern gegenüber Nicht-Familienzugehörigen grundsätzlich verboten. Wichtig ist der Schutz der Familie auch im
Asylrecht. So ist z. B. dem Ehegatten und den minderjährigen Kindern eines Asylberechtigten ein Bleiberecht zu gewähren,
damit die Familiengemeinschaft fortgesetzt werden kann.
Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG ist das Recht aller Deutschen, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne
Waffen zu versammeln. Die Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel sind im Versammlungsgesetz näher geregelt.
Durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit wird die kollektive Meinungsbildung und Meinungsäußerung geschützt.
Die Vereins- und Koalitionsfreiheit, die in Art. 9 GG geregelt ist, gibt das Recht, sich zu Vereinen oder Gesellschaften
zusammenzuschließen, aber im Gegenzug auch das Recht, einem Verein oder einer Vereinigung fernzubleiben.
Art. 11 GG gibt allen Deutschen das Recht, sich ungehindert an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes aufzuhalten oder zu
wohnen.
Nach Art. 12 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, Beruf und Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.
Geschützt sind alle Arten von Berufen. Das Grundrecht garantiert allerdings nicht, dass man in einem gewünschten Beruf auch
tatsächlich unterkommt. Berufswahl und Berufsausübung können durch Gesetze beschränkt werden, allerdings nur unter
engen Voraussetzungen. So kann z. B. nicht aus Gründen des Konkurrentenschutzes eine Taxikonzession versagt werden.
Zulässig ist dagegen, aus Gründen der Volksgesundheit die Zulassung zum Beruf des Arztes oder Heilpraktikers von
bestimmten Prüfungen und Ausbildungsnachweisen abhängig zu machen.
Art. 14 Abs. 1 garantiert das Eigentum und das Erbrecht. Gleichzeitig fordert aber Art. 14 Abs. 2 GG die am Gemeinwohl
orientierte Nutzung des Eigentums durch das Postulat „Eigentum verpflichtet“.
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG regelt das Asylrecht.
Industrialisierung, ein Prozess, der eine Volkswirtschaft so umgestaltet, dass die Industrie im Verhältnis zu Landwirtschaft
und Handwerk zunehmend an Bedeutung gewinnt. Aus einer Agrargesellschaft wird im Verlauf der Industrialisierung eine
Industriegesellschaft. Bei einer erfolgreichen Industrialisierung steigen das Pro-Kopf-Einkommen und die Produktivität einer
Volkswirtschaft.
Die Industrialisierung der Erde begann Ende des 18. Jahrhunderts mit der industriellen Revolution in Großbritannien.
Kapitalismus, Bezeichnung für die den Feudalismus ablösende Epoche der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, deren
Wirtschaftssystem durch Privateigentum an Produktionsmitteln und die marktförmige Steuerung des Wirtschaftsgeschehens
gekennzeichnet ist. Im Allgemeinen unterscheidet man – wie bereits Werner Sombart – drei Phasen des Kapitalismus: 1. den
Frühkapitalismus (ab dem 15. Jahrhundert), 2. den liberalen Hochkapitalismus (ab dem 18. Jahrhundert, auch „ManchesterLiberalismus“) und 3. den Spätkapitalismus (ab Ende des 19. Jahrhunderts). Entscheidende Impulse für die Entwicklung des
kapitalistischen Wirtschaftssystems gingen von der Industrialisierung (industrielle Revolution), d. h. der mit ihr einhergehenden
Entwicklung des Fabriksystems aus, das umgekehrt aber kein kapitalistisches Wirtschaftssystem voraussetzt.
Die klassische Wirtschaftstheorie betrachtet den Kapitalismus als ein Wirtschaftssystem, das sich durch Angebot und
Nachfrage selbst reguliert. Wesentlich ist also die Abwesenheit einer zentralen staatlichen Planungsinstanz. Staatliche
Eingriffe beschränken sich innerhalb des kapitalistischen Gesellschaftssystems auf die Setzung von Rahmenbedingungen.
Adam Smith behauptete in An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776), dem Klassiker der
kapitalistischen Theorie, das durch den Kapitalismus geförderte individuelle Gewinnstreben stehe nicht nur nicht im Gegensatz
zur allgemeinen Wohlfahrt, sondern sei im Gegenteil unabdingbare Voraussetzung für den Wohlstand einer Nation.
Privateigentum und Wettbewerb würden wie „von einer unsichtbaren Hand“ zum Wohl der Gesellschaft gelenkt. Staatliche
29
Einflussnahme und Lenkung seien dagegen der Wohlfahrt abträglich. Die Entscheidungen der einzelnen Wirtschaftssubjekte
orientieren sich am Marktgeschehen und sind dabei vom Konkurrenzprinzip und dem Ziel der Gewinnmaximierung geleitet.
Auftretende soziale Verteilungsprobleme sollen nach der heute vorherrschenden Theorie der sozialen Marktwirtschaft durch
sozialpolitische Eingriffe des Staates gemildert werden. Max Weber hat die spezifische Rationalität des Kapitalismus und deren
Dynamik einer psychologischen Deutung unterzogen und verortete den Geist und die Antriebskräfte des Kapitalismus in der
protestantischen Ethik – der Kapitalismus ist geprägt durch den Typus des freien Unternehmers, der seine Antriebskraft aus
einer religiös bestimmten Askese und Heilserwartung bezieht.
Bei Karl Marx steht kapitalistische Produktionsweise für den auf Ausbeutung basierenden Industrialisierungsprozess der
bürgerlichen
Gesellschaft
und die
mit ihm verbundenen Krisenerscheinungen. In
der kapitalistischen
Gesellschaftskonstellation, in der die Verfügungsmacht über die Produktionsmittel bei den Unternehmern liegt, muss der
Arbeiter zur Selbsterhaltung seine Arbeitskraft gegen Lohn verkaufen. Diese Zwangssituation führt zur Ausbeutung der
Arbeiterklasse (Proletariat) durch die besitzende bürgerliche Klasse (Bourgeoisie) während des Produktionsprozesses. Der
Kapitalist mehrt mit Hilfe des von seinen Beschäftigten produzierten Mehrwertes sein Kapital: Aufgrund des Eigentums
gehören ihm nicht nur die Produktionsmittel, sondern auch die hergestellten Arbeitsprodukte. Nach der marxistischen Theorie
führt der kapitalistische Produktionsprozess zu Armut, Arbeitslosigkeit und Gesundheitsschädigungen, damit zu einer
Zuspitzung des Klassenkampfes und zu periodischen Konjunkturschwankungen bzw. Krisen (Vernichtung gesellschaftlichen
Reichtums). Die Dynamik des Kapitalismus führt letzten Endes zu seiner Aufhebung durch die Arbeiterklasse und zum
Übergang in eine sozialistische Wirtschaftsform. Für Marx werden in der sozialistischen Gesellschaft die Voraussetzungen für
ein Absterben des Staates geschaffen, da Marx den Staat als gewaltsame Klammer von Klassengesellschaften begreift. Ziel ist
eine klassenlose Gesellschaft, in der die Kennzeichen des Kapitalismus (Ware, Geld, Eigentum) zugunsten einer rein
gebrauchswertorientierten Produktion aufgehoben sind (siehe Marxismus, Kommunismus).
Klasse, im weiteren Sinn ein Begriff der Soziologie, der soziale Schichten in menschlichen Gesellschaften bezeichnet, die sich
nach Kasten, nach Besitz oder Status voneinander unterscheiden. Jede Klasse definiert Einzelpersonen und Gruppen danach,
was sie tun, wen sie heiraten können und welche rituellen Rechte und Pflichten sie in Bezug auf andere Schichten haben.
Außerdem wird jedes dieser Systeme vor allem durch einen besonderen Prozess stabilisiert, der regelnd oder
normenerhaltend wirkt: Die Kaste wird durch die Religion, der Besitz durch das Gesetz und der Status durch die Gesellschaft
sanktioniert.
Im engeren Sinn definiert der Begriff Klasse eine soziale Schicht über ihre wirtschaftliche Stellung in der Gesamtgesellschaft.
Dieser gebräuchlichere Klassenbegriff soll im Folgenden näher erläutert werden.
Kaste, Besitz und Status sind historisch älter als das soziale Phänomen Klasse. Klassen bilden sich erst in arbeitsteiligen
Gesellschaften aus, in denen der Wirtschaft entscheidende Bedeutung zukommt. Daher erschienen Klassen in Europa erstmals
mit der beginnenden Industrialisierung. Karl Marx gilt als der Autor, der die Klassenterminologie maßgeblich begründete,
wenngleich auch Max Weber einen bedeutenden Beitrag zur Klärung der einschlägigen Begriffe geleistet hat.
Marx verband seine Klassenterminologie, besonders die „Bourgeoisie“ und das „Proletariat“, mit einer Geschichtstheorie, die
den Standpunkt vertrat, dass materielle Interessen die wesentlichen menschlichen Antriebskräfte seien. Die Klassenteilung der
Gesellschaft würde durch die Produktion und den Austausch ihrer Produkte bestimmt. Sie sei als Folge einer unterentwickelten
Produktion geschichtlich notwendig, würde aber mit zunehmender Entfaltung der Produktivkräfte im Kommunismus historisch
überflüssig. Nach Marx entsteht eine Klasse durch die objektiven Gemeinsamkeiten ihrer wirtschaftlich determinierten
Existenzbedingungen. Klassenbewusstsein entwickle sich in politischer Organisation im Kampf gegen andere Klassen. Die
Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft führten ihre Kämpfe um die Produktionsmittel (die Mittel, um der Natur den
Lebensunterhalt abzuringen); diese Kämpfe sind Klassenkampf. Auf der Grundlage dieser Theorie sah Marx eine Revolution
durch die ausgebeuteten Proletarier voraus, der eine Periode der Diktatur des Proletariats folge und dieser schließlich das Ende
allen Krieges und aller Spezialisierung in einer klassenlosen Gesellschaft.
Die Bedeutung der Klasse als grundlegender Determinante für die Lebenschancen von Einzelpersonen und Gruppen ist nicht
zu leugnen, gleichgültig, ob man sie von einem nichtmarxistischen oder vom marxistischen Standpunkt aus betrachtet. In den
meisten Ländern sind die Ungleichheiten von Kapital, Einkommen, Gesundheit und Ausbildung auch heute noch dramatisch.
Die Klassenanalyse bleibt weiterhin eine wichtige Aufgabe. Es gibt anhaltende Ungleichheiten im Gesundheits- und
Ausbildungsstand, die die Sozialpolitik in reichen Ländern nicht erheblich ändern konnte und die eng mit der Klassenposition
verbunden sind. Eine Klasse wird definiert als Gruppe mit gemeinsamen Beziehungen zu Arbeit oder Kapitalmärkten. Die
Gliederung der Klassen hängt von der Beschäftigungsstruktur eines Landes ab. Das bedeutet, dass Klassen unterschiedlichen
und gewöhnlich ungleichen Zugang zu Privilegien, Vorteilen und Chancen haben. Sowohl der Markt als auch die
Arbeitsbedingungen verschiedener Klassen sind typischerweise ungleich. In den Gesellschaften unserer Zeit finden wir
beispielsweise Direktoren großer Unternehmen mit Jahresgehältern von 1,5 Millionen DM, während Empfänger von Sozialhilfe
oder Renten nicht selten weniger als 12 500 DM erhalten. Sicherlich haben die Kinder dieser Eltern völlig unterschiedliche
Lebenschancen. Das ist die nach wie vor bestehende Realität der Klassengesellschaft. Dennoch sind heute die Chancen auf
soziale Mobilität ungleich größer als je zuvor in der Geschichte. Im Gegensatz etwa zur Kastenordnung, die über 5 000 Jahre
in Indien bestand, bindet die Klasse eine Person nicht an den Beruf, dem ihr Vater nachging, noch verpflichtet sie die
Menschen, innerhalb der Kaste ihrer eigenen Geburt zu heiraten.
Nach groben Schätzungen ist eine Korrelation zwischen der Klasse der Eltern und der der Kinder von 0,35 typisch für moderne
Industriegesellschaften, wobei 0 eine vollkommen flexible Beziehung zwischen den Generationen anzeigen würde und 1 eine
starre Kastengesellschaft.
Schließlich hat es, besonders im 20. Jahrhundert, große Veränderungen der Klassenstruktur in allen Teilen der industriellen
Welt gegeben, weil das Produktivsystem der Gesellschaft fast ständig Umwälzungen erfährt.
Konzentration (Wirtschaft) (nach Joachim Seng), Zustand oder Prozess einer Zusammenballung wirtschaftlicher Größen
(Umsatz, Vermögen, Einkommen) in den Händen von Unternehmen oder Personen. Allgemein wird unter wirtschaftlicher
Konzentration vor allem das interne und externe Wachstum eines Unternehmens verstanden, mit dem sich dessen
wirtschaftliche Macht erhöht. Wegen der Bedeutung der wirtschaftlichen Konzentration für die Wettbewerbspolitik, wird der
Konzentrationsprozess (bei Unternehmen, Vermögen oder der Verfügungsmacht über Kapital) analysiert und überwacht
(kartellrechtliche Fusionskontrolle). So kann z. B. eine Konzentrationsanalyse die Veränderung der Zahl von
30
Wirtschaftseinheiten innerhalb einer bestimmten Branche (absolute Konzentration) bestimmen, oder die Veränderung der
Größe der Wirtschafteinheiten und der Verteilung ihrer Merkmalswerte (Beschäftigung, Umsatz usw.) in Bezug auf die
unterstellte Gleichverteilung messen (relative Konzentration). Für eine wirtschaftliche Konzentration können technische
Faktoren (Automatisierung, optimale Betriebsgröße) oder betriebswirtschaftliche Überlegungen (steuerliche Faktoren,
Risikominderung) die Ursache sein.
Legalität (nach Holger Krause), bedeutet Gesetzmäßigkeit, also die Übereinstimmung von staatlichen oder privaten
Handlungen und Maßnahmen mit dem geltenden Recht.
Im Rahmen einer verfassungsstaatlichen Ordnung muss das staatliche Handeln durch die Verfassung gesetzlich ermächtigt,
gewöhnliche Gesetze müssen mit der Verfassung konform sein.
Legitimität, die Rechtfertigung der staatlichen Macht durch die Erfüllung der als allgemein verbindlich geltenden Normen
staatlichen Handelns. Mit der Legitimität ist die Frage nach der ethisch-rechtlichen Rechtfertigung staatlicher Herrschaft
angesprochen. Die Grundnormen und die Rangfolge der Grundnormen, die die politische Ordnung legitimieren, sind zu
unterschiedlichen Zeiten und von Kultur zu Kultur verschieden. In ihnen spiegeln sich das jeweilige Zielkonzept der Institution
Staat und die tatsächlich in der Bevölkerung mehrheitlich anzutreffenden Wertvorstellungen und Rechtfertigungsgründe. Die
Legitimität wird von den Politikwissenschaften aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick genommen. So fragt die
Politische Theorie nach den Rechtfertigungsgründen für legitimitätsstiftende Normen und die Politische Psychologie danach,
wie sich solche Normen in der Bevölkerung entwickeln, durchsetzen und verändern. Die soziologisch-deskriptive Annäherung
an den Legitimitätsbegriff geht auf Max Weber zurück. Weber untersuchte die Legitimität von Herrschaft auf der Grundlage der
typischen Gehorsamsmotivationen der der Herrschaft Unterworfenen. Solche Legitimitätsgründe sind etwa: der Glaube an die
Tradition oder das Charisma eines Herrschers sowie die Übereinstimmung mit der von den Herrschenden verfolgten
Wertordnung. Im modernen Staat lässt sich Herrschaft nicht durch einige wenige Legitimitätsgründe rechtfertigen. Der Staat
muss sich in einem weiten Netzwerk von Aufgaben bewähren und die Gefolgschaft seiner Bürger immer wieder neu gewinnen.
Auch bestehen zwischen den einzelnen Traditionen und Schulen der Politikwissenschaft und Staatsrechtslehre gehörige
Unterschiede in der Gewichtung der dem Staat zugeschriebenen Aufgaben und seine Herrschaft begründenden Normen. Doch
über die Zeit hat sich ein Kanon von legitimitätsstiftenden Kernelementen herauskristallisiert, über den ein weitgehender
Konsens besteht. Zentralmotiv aller gesellschaftsvertraglichen Staatsmodelle ist die Abwehr der Gefahr, die Sicherung des
Lebens. Wenn der Staat die sich daraus ergebende Schutzfunktion nicht erfüllt, verliert er seine Legitimität. Und weil die
Schutzfunktion in den westlichen Demokratien zumeist auch verfassungsrechtlich normiert ist, steht in dem Fall, dass der Staat
bei der Erfüllung dieser Pflicht versagt, auch die Legalität seines Herrschaftsanspruchs auf dem Spiel.
Leibeigenschaft, im Spätmittelalter aufgekommene Bezeichnung für ein bestimmtes, durch Unfreiheit geprägtes
Abhängigkeitsverhältnis vor allem des bäuerlichen Untertanen zu seinem Herrn. Die Leibeigenschaft unterschied sich
grundsätzlich von der Sklaverei; der Leibeigene war durch persönliche Bande mit seinem Herrn verbunden, nicht durch eine
Gebundenheit an Grund und Boden; er war in der Regel zur Zahlung einer Kopfsteuer und/oder zu Dienstleistungen
verpflichtet, war aber auch zumindest eingeschränkt rechtsfähig und durfte über Eigentum verfügen.
Leibeigenschaft in Deutschland Die bäuerliche Unfreiheit entsprang zum einen germanischen Rechtstraditionen; zum
anderen entstanden in der Spätantike und dem Frühmittelalter u. a. durch Unterwerfung fremder Stämme oder auch dadurch,
dass sich in Not geratene aus freiem Willen in Schuldknechtschaft begaben, neue Schichten Unfreier. Je nach der Art ihrer
Arbeit und der Stellung ihres Herrn gab es vielfältige Abstufungen innerhalb der Masse der Leibeigenen: Die servi casati, die
behausten Eigenleute, hatten ein Bauerngut zur Leihe gegen die Zahlung einer Kopfsteuer und die Leistung von Diensten; die
servi in domo bzw. servi in perpetuo servitio, d. h. die eigentlichen Leibeigenen auf dem Hof ihres Herrn, wurden als
Handwerker und Taglöhner zu unbeschränkter Dienstleistung in Haus und Hof herangezogen und standen in sehr enger
persönlicher Abhängigkeit zu ihrem Herrn; die servi quotidiani verfügten über einen kleinen Besitz, waren zu Dienstleistungen
verpflichtet, hatten aber keine Kopfsteuer zu zahlen. Ab dem Hochmittelalter waren die Unfreien nicht mehr unbedingt an den
Grund ihres Herrn gebunden; sie konnten sich in einer anderen Grundherrschaft oder als Handwerker in der Stadt
niederlassen, blieben aber weiterhin zur Zahlung der Kopfsteuer an ihren Leibherrn verpflichtet; sozialer Aufstieg gelang den
Leibeigenen durch Freilassung, durch den Aufstieg im persönlichen Dienst zum Ministerialen und in den niederen Adel oder, in
späterer Zeit, durch Loskauf.
Im 12. Jahrhundert verwischten sich in Deutschland die Grenzen zwischen Leib- und Grundherrschaft; damit verbunden war
eine Lockerung der Leibeigenschaft. Diese Lockerung äußerte sich u. a. in der Ablösung der zum Teil unbeschränkten
Frondienste durch festgelegte Zinszahlungen und die Einbeziehung der Leibeigenen in die ordentliche Gerichtsbarkeit, d. h.
sie wurden der willkürlichen Gerichtsbarkeit ihrer Herren entzogen; positiv zugunsten einer Lockerung der Leibeigenschaft
seitens der Leibherren wirkte sich auch die Ostkolonisation aus, die den Bauern einen freien Status in Aussicht stellte, sowie
die Abwanderung der Landbevölkerung in die Städte.
Im Zuge einer allgemeinen Agrarkrise und der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Bauern kam es im
15. Jahrhundert in einigen deutschen Ländern wieder zu einer Verschärfung der Leibeigenschaft. Eine wichtige Rolle spielten
dabei auch landesherrliche Interessen sowie die zunehmende Abwanderung der Landbevölkerung in die Städte –während
zuvor die Leibeigenschaft gelockert worden war, um die bäuerlichen Unfreien zum Bleiben zu animieren, wurde sie nun wieder
verschärft, um sie am Abwandern zu hindern. In den seit dem 14. Jahrhundert immer wieder ausbrechenden
Bauernerhebungen, die 1524/26 in den Bauernkriegen gipfelten, war die Aufhebung der Leibeigenschaft eine zentrale
Forderung; allerdings bezogen sich die Forderungen der Bauern in erster Linie auf eine Verbesserung ihrer rechtlichen
Stellung, weniger auf die Reduzierung oder gar Abschaffung der Abgaben und Dienste.
Seit dem 18. Jahrhundert wurde die Leibeigenschaft in Deutschland zunehmend gelockert und seit dem frühen
19. Jahrhundert nach und nach in allen deutschen Staaten abgeschafft.
31
Liberalismus (von lateinisch liberalis: die Freiheit betreffend), freiheitliche Gesinnung und politisch-philosophische Lehre. Der
Liberalismus steht für den Versuch, sich von überlieferten Dogmen zu emanzipieren. Im Zentrum seiner politischen Philosophie
steht die individuelle Freiheit. Sie ist nach liberaler Überzeugung die Grundnorm der menschlichen Gesellschaft, auf die hin der
Staat und seine politische wie wirtschaftliche Ordnung auszurichten sind. Die Freiheit des Einzelnen markiert die Schranken
der öffentlichen Gewalt, sie endet jedoch zugleich dort, wo die Freiheit eines anderen beeinträchtigt würde. Der Liberalismus
steht zu allen Formen absoluter Herrschaft ebenso in Gegnerschaft wie zu radikaldemokratischen oder anarchistischen
Auffassungen. Wenngleich seine besondere Aufmerksamkeit auf die Abwehr der Freiheitsbeschränkung durch den Staat
gerichtet ist, stellt er die Notwendigkeit des Staates selbst und sein Gewaltmonopol nicht in Frage. Ein zentrales Element
liberaler Staatsmodelle ist die besondere Betonung der Rechtsstaatlichkeit, zu der Glaubens- und Meinungsfreiheit ebenso
gehören wie eine umfassende Freiheit zur politischen und auch wirtschaftlichen Betätigung. Die Verfassung der USA ist
ebenso von den Grundüberzeugungen des Liberalismus geprägt worden wie die französische Verfassung von 1791. Die Idee
des liberalen Rechtsstaates ist seither unauflösbar verknüpft mit der Sicherung der Grundrechte durch eine unabhängige
richterliche Gewalt und eine umfassende Rechtswegegarantie. Auf Montesquieu vor allem geht das für den Verfassungsstaat
konstitutive Element der Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative (richterliche Gewalt) zurück. Seine
Wurzeln hat der Liberalismus im Individualismus der Renaissance sowie in der Philosophie der Aufklärung und des Idealismus.
Zu seinen prominentesten Vertretern zählen die Engländer John Locke, Francis Hutchinson, Jeremy Bentham und John Stuart
Mill, die Franzosen Montesquieu, Emmanuel Joseph Sieyès sowie die Enzyklopädisten. Für Deutschland ist insbesondere
Immanuel Kant zu nennen. Für die besondere Ausprägung des Wirtschaftsliberalismus im 19. Jahrhundert stehen die Namen
Adam Smith und David Ricardo, die jede Einmischung des Staates in das Wirtschaftsgeschehen grundsätzlich ablehnten und
völlige Gewerbefreiheit forderten sowie die Abschaffung aller den freien Welthandel behindernden Zollschranken. Nicht
einmischen sollte sich der Staat auch in die Beziehung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Die soziale Frage zu lösen
sei nicht die Aufgabe des Staates, sondern der Betroffenen selbst. Lediglich ein verbessertes Bildungswesen könne hierzu
einen sinnvollen Beitrag leisten.
Markt (von lateinisch mercatus: Handel, Messe), im engeren Sinne ein Ort, an dem sich Käufer und Verkäufer treffen, um
wirtschaftliche Güter gegen Geld zu tauschen. Im weiteren Sinne ist ein Markt jedes Zusammentreffen von Angebot und
Nachfrage, unabhängig davon, ob er geographisch oder zeitlich eindeutig bestimmbar ist, wie beispielsweise ein
Wochenmarkt, oder ob er ein weltweiter Markt ist wie der Markt für Investitionsgüter (Maschinen u. a.). Auch ist es gleichgültig,
unter welchen Umständen Angebot und Nachfrage zusammentreffen. Beim Devisenmarkt beispielsweise einigen sich Käufer
und Verkäufer am Telefon.
In der klassischen volkswirtschaftlichen Theorie bildet sich als Ergebnis des Zusammenwirkens von Angebot und Nachfrage
der Marktpreis: Er ist ein Gleichgewichtspreis und liegt im Schnittpunkt zwischen Nachfrage- und Angebotskurve (bei den
meisten wirtschaftlichen Gütern steigt die Nachfrage mit sinkendem Preis, während das Angebot mit dem Preis steigt). Zum
Marktpreis kann die größtmögliche Gütermenge abgesetzt werden; er räumt den Markt, d. h., es gibt weder einen Angebotsnoch einen Nachfrageüberhang. Der Marktpreis zeigt die Knappheit eines Gutes an: Je knapper das Angebot eines begehrten
Gutes ist, desto eher kann man den Preis anheben, z. B. für Äpfel nach einem schlechten Erntejahr. Umgekehrt sinkt der Preis
für ein Gut, wenn das Angebot größer ist als die Nachfrage.
Der Marktpreis kann sich nur frei bilden, wenn auf einem Markt ein vollkommener Wettbewerb herrscht: Keiner unter den
Anbietern und Nachfragern darf so viel Macht haben, dass er den Preis beeinflussen kann. Der vollkommene Wettbewerb ist
die theoretische Grundvoraussetzung für eine freie Marktwirtschaft. Realisiert wird solch ein vollkommener Markt in der Praxis
am ehesten an der Börse.
Marktformen Man kann die Märkte, die in einer Volkswirtschaft bestehen, nach dem Umfang des Wettbewerbs auf Angebotsund Nachfrageseite einteilen in Polypole, Oligopole und Monopole. Im Polypol konkurrieren viele relativ kleine, ungefähr gleich
starke Wirtschaftseinheiten miteinander. Im Oligopol stehen einige mittlere, in etwa gleich starke Wirtschaftseinheiten in
Konkurrenz zueinander. Im Monopol gibt es nur einen großen Anbieter bzw. Nachfrager.
Merkantilismus, Wirtschaftspolitik der absolutistischen Staaten im 16. bis 18. Jahrhundert. Oberstes Ziel der
merkantilistischen Wirtschaftspolitik war es, Geld für die Staatskasse zu beschaffen, um so die Macht des Staates zu stärken.
Denn für Söldnerheere und Berufsbeamtentum benötigten die Staaten viel Geld. Sie strebten eine aktive Handelsbilanz an,
d. h. mehr Export als Import, um möglichst viel Gold und Silber ins Land zu holen. Die Exportindustrie (Manufakturen) wurde
durch Privilegien gefördert. Der Export von Rohstoffen wurde gehemmt, ebenso der Import von Fertigprodukten. Das
Bevölkerungswachstum wurde begünstigt, da dem Produktionsfaktor Arbeit große Bedeutung zugemessen wurde. Kolonien
wurden gegründet und ausgebeutet, um die Mutterländer mit Edelmetallen zu versorgen und mit Rohstoffen, von denen die
Exportindustrien abhingen.
In den einzelnen europäischen Ländern war der Merkantilismus unterschiedlich ausgeprägt, z. B. in Deutschland als
Kameralismus, der u. a. eine großzügige Einwanderungspolitik (Peuplierungspolitik) verfolgte; oder als Colbertismus in
Frankreich, wo die Entwicklung des Gewerbes durch den Staat im Vordergrund stand; in England konzentrierte sich der Staat
auf die Förderung der Nachfrage nach Produkten der einheimischen Textilindustrie und auf die Kolonialpolitik. Im
18. Jahrhundert wurde der Merkantilismus in England von der klassischen Nationalökonomie abgelöst, in Frankreich von der
physiokratischen Lehre. In Deutschland bestimmte er noch im 19. Jahrhundert die Wirtschaftspolitik.
Nationalismus, zum Teil neutral, meist eher kritisch bis abwertend verwendete Bezeichnung für auf die Interessen der
eigenen Nation fixierten, teilweise auch zur Militanz neigenden Ideologien. Nationalistische Ideologien sind darauf ausgerichtet,
den als etwas Besonderes empfundenen Nationalcharakter zu bewahren, zu stärken und gegen andere abzugrenzen. Diese
auf Festigung der inneren Einheit gerichtete Abgrenzung nach außen richtet sich dabei auch gegen Minderheiten im eigenen
Land. Nationalistische Ideologien können eine je nach historischen, politischen und sozioökonomischen Hintergründen
32
unterschiedliche Ausprägung annehmen. In der politikwissenschaftlichen Forschung unterscheidet man etwa u. a. zwischen
kulturellem, politischem, ökonomischem und religiösem Nationalismus.
Allen Nationalismen ist eine übersteigerte Wertschätzung der eigenen Nation und das Empfinden der eigenen Besonderheit
als Überlegenheit gegenüber anderen Völkern oder nationalen Minderheiten sowie ein Sendungsbewusstsein gemeinsam.
Dabei wird in wirtschaftlichen und territorialen Fragen (häufig offen rassistisch) für die eigenen Interessen ein Rechtsvorrang
behauptet. Im Chauvinismus wird das nationale Eigeninteresse häufig zum alleinigen, obersten Maßstab für die Politik.
Geschichte Die Entstehung des Nationalismus hängt eng zusammen mit der Herausbildung der Nationalstaaten. Wesentliche
Impulse für die Entwicklung nationalistisch orientierter Grundhaltungen gingen von der Französischen Revolution aus, deren
Kampflied, die spätere französische Nationalhymne, mit den für die neue, auch emotionale Bedeutung der Nation – des
Vaterlandes – kennzeichnenden Worten beginnt: „Allons enfants de la patrie“ (Marschieren wir los, Kinder des Vaterlandes).
Die Idee der Nation war zugleich verbunden mit der Idee der Souveränität, der Grundlage des Nationalstaatsprinzips. Erst die
Ausbildung der modernen Nation ließ ein sozialintegratives, auch ideologiefähiges Bewusstsein der Zugehörigkeit zu der im
Staat organisierten sozialen Großgruppe entstehen. Im 19. Jahrhundert suchten nationalistische Bewegungen u. a. in
Deutschland, Griechenland, Italien und Ungarn, auf der Grundlage der historischen, sprachlichen und kulturellen
Verbundenheit eine auch politische, auf einen souveränen Nationalstaat gerichtete, nationale Identität zu stiften. In
bestehenden Nationalstaaten wurde der zunehmende Nationalismus bewusst sowohl zur Festigung der nationalen Einheit als
auch zur Durchsetzung von Macht- und Territorialinteressen eingesetzt. In der schärfer werdenden Konkurrenz zwischen den
europäischen Staaten um Rohstoffressourcen und Absatzmärkte wurde der Nationalismus zum Ausgangspunkt
kolonialistischen und imperialistischen Vormachtstrebens.
Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung im 1. Weltkrieg. Die sich danach in Italien und Deutschland entwickelnden
Extremformen des Nationalismus, der Faschismus und der Nationalsozialismus, sowie die von ihnen errichteten totalitären
Diktaturen waren gekennzeichnet von einer schrankenlosen Aggressivität nach außen, die sich u. a. in rücksichtslosen
Angriffskriegen manifestierte.
Erneut zum Problem wurde der militante Nationalismus im Europa der neunziger Jahre mit dem Aufbrechen des Ostblocks und
den revolutionären Umwälzungen in den Staaten des früheren Warschauer Paktes sowie ganz besonders auf dem Balkan
nach dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens.
In Afrika, Asien und Ozeanien wirkte der sich im Zuge der Entkolonialisierung entfaltende Nationalismus sozialintegrativ und
trug zur inneren Stabilisierung ebenso bei wie zur Überwindung der Abhängigkeit von den früheren Kolonialherren. Enorme
militärische Kraft entfaltete dieser neue Nationalismus u. a. im Indochina- und im Vietnamkrieg durch sozialrevolutionäre
Guerillabewegungen.
Eine erhebliche Bedrohung für den Frieden im arabischen Raum geht weiterhin von dem religiösen Nationalismus der
islamischen Fundamentalisten aus.
Nationalstaat (nach Mathias Boxleitner), ein Staat, in dem alle Angehörigen einer Nation (gemeinsame Merkmale z. B.:
Abstammung, Sprache, Religion, Kultur, Geschichte) zusammenleben, im Gegensatz zu dem aus mehreren Nationen
bestehenden Vielvölkerstaat (Nationalitätenstaat).
Die Nationalstaatsbewegung im frühen 19. Jahrhundert hoffte, mit der Errichtung von Nationalstaaten freiheitliche,
demokratische Verfassungsstaaten zu schaffen. Sie richtete sich gegen die Ordnung des Wiener Kongresses für Europa, da
die Trennung von Kulturnationen in verschiedene Staaten als unnatürlich empfunden wurde. Dem multinationalen Staat,
geführt von einer dynastischen Regierung, wurde die Legitimität abgesprochen. Die Gliederung der Gesellschaft in Stände
sollte abgelöst werden durch ein Staatswesen mit politisch gleichberechtigten Bürgern. Aber die Nationalstaaten entwickelten
sich nicht immer in diese Richtung, manche erhielten nicht demokratische, sondern monarchische oder diktatorische
Regierungen. Auch das Ziel, alle Angehörigen einer Nation in einem Staat zusammenzufassen, wurde oft nur unvollkommen
erreicht.
Die europäische Nationalstaatsbildung vollzog sich in mehreren Etappen. Die westeuropäischen Nationalstaaten Frankreich,
Spanien und Großbritannien hatten sich durch jahrhundertlange politische Tradition und innerstaatliche Revolutionen bereits
im 18. Jahrhundert herausgebildet. Dennoch handelt es sich nicht im engeren Sinne um Nationalstaaten, da sich die
Bevölkerung einiger Regionen (Waliser, Schotten, Bretonen, Korsen, Basken) als eigene Nation empfand. Die Nationalstaaten
Mitteleuropas, Deutschland und Italien, entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts durch den Zusammenschluss von Teilstaaten
(Einheitsbewegungen), in denen die Angehörigen einer sich als zusammengehörig empfindenden Kulturnation lebten. Gegen
Ende des 1. Weltkrieges zerfielen die multinationalen Großreiche in Osteuropa (Österreich-Ungarn, Russland und das
Osmanische Reich) und schufen somit die Grundlage für die Entstehung einer Reihe von Nationalstaaten (Finnland,
Griechenland).
Auch außerhalb Europas versuchte man, Nationalstaaten zu errichten. Alle im Prozess der Dekolonisation entstandenen
Staaten berufen sich auf das Prinzip des Nationalstaats, ohne seiner Definition gerecht zu werden. Die Grenzen der neuen
Staaten, besonders in Afrika, gehen auf die Grenzen der europäischen Kolonialreiche zurück und berücksichtigen nicht die
traditionelle Zusammengehörigkeit der Bevölkerung in Stammesstrukturen. Angesichts der oftmals aggressiven Ausprägung
des Nationalismus im Europa des 20. Jahrhunderts und neuer, globaler Probleme wie Umweltzerstörung und Wirtschaftskrisen
gibt es Bestrebungen, das Nationalstaatsprinzip durch die Gründung von internationalen Organisationen (z. B. der
Europäischen Union) zu ersetzen.
Pauperismus (zu lateinisch pauper: arm), Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene Bezeichnung für die Massenarmut, die in
Europa vor und zu Beginn der Industrialisierung auftrat. Durch die Auflösung von traditionellen Bindungen und Rechten der
vorindustriellen Gesellschaft, wie z. B. von Zünften, verlor ein großer Teil der ständig anwachsenden Bevölkerung jegliche
soziale und ökonomische Absicherung und war gezwungen, von der Unterstützung durch Wohltätigkeitsorganisationen oder
von Bettelei zu leben.
In der Marx’schen Theorie bezeichnet Pauperismus die in Folge kapitalistischer Ausbeutung entstandene Massenarmut. Die
der kapitalistischen Produktionsweise innewohnende Tendenz zu einer ständigen Rationalisierung der Produktion führt zur
Arbeitslosigkeit von immer mehr Arbeitern und damit zur Herausbildung einer industriellen Reservearmee, die zunehmend
verelendet.
Verelendung (nach Jutta Brusis) Begriff der marxistischen Theorie, der die Verschlechterung der gesamten, d. h. der
materiellen, sozialen, kulturellen und psychischen, Lage der Arbeiterklasse bezeichnet. Die Herausbildung einer industriellen
Reservearmee und die immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen den Besitzenden (Kapitalisten) und den nicht
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besitzenden Arbeitern (Proletariat), haben materielle und dadurch bedingt soziale Verelendung zur Folge. Nach Marx
entspricht die „Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ... also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei,
Unwissenheit, Brutalität und moralischer Degradation auf dem Gegenpol“ , der vom Proletariat gebildet wird. Die Lage der
Arbeiterschaft kann sich dabei trotz steigendem Arbeitslohn sozial verschlechtern, da ihr Anteil am Nationaleinkommen sinkt.
Diesen Verelendungstendenzen könnte nach Ansicht von Karl Marx die (gewerkschaftliche) Organisierung der Arbeiter
entgegenwirken.
Preußische Reformen (nach Marion Pausch), unter dem Eindruck der Französischen Revolution und der napoleonischen
Eroberungen von Freiherr vom Stein, Friedrich Freiherr von Hardenberg, Wilhelm Freiherr von Humboldt und August
Gneisenau in Gang gesetzte Reformen im sozialen, wirtschaftlichen, bildungspolitischen und militärischen Bereich. Ab Oktober
1807 begann Stein in seiner etwas über einjährigen Amtszeit mit der Reform der Staatsverwaltung, indem er ein Kabinett
unabhängiger, verantwortlicher Minister mit klar umrissenen Ressorts an die Stelle der Zentralregierung setzte. Das von Stein
erlassene Oktober-Edikt von 1807 schaffte die Erbuntertänigkeit der Bauern ab; einen Monat später beschloss er die
Selbstverwaltung der Gemeinden und befreite sie vom Zunftzwang. Hardenberg, der nach Steins Sturz von 1810 bis 1822 das
Amt des Staatskanzlers innehatte, setzte das begonnene Werk mit eigenen Akzenten fort. Von besonderer Bedeutung war die
unter Gneisenau und Scharnhorst in Angriff genommene Heeresreform. Zwar ließ sich eine allgemeine Wehrpflicht nicht
durchsetzen, doch entstand neben einer 120 000 Mann starken Landwehr eine Berufsarmee, die sich dank einer kurzen
Wehrdienstdauer permanent erneuerte („Krümpersystem“) und daher im Ernstfall eine hohe Zahl ausgebildeter Reservisten
heranzuziehen vermochte. Gleichzeitig musste der Adel fortan denselben militärischen Ausbildungsgang durchlaufen wie die
Bürger. Die von Humboldt initiierte Bildungsreform, die das gesamte Unterrichtswesen der staatlichen Aufsicht unterstellte,
verfolgte parallel dazu das Ziel, im zivilen Bereich ein eigenverantwortliches, hochqualifiziertes Personal heranzubilden. Hierzu
sollten die ab 1809 neu gegründeten humanistischen Gymnasien ebenso beitragen wie noch weiterführende
Bildungseinrichtungen, etwa die ebenfalls neu entstandene staatliche Universität von Berlin (Humboldt-Universität). Obgleich
konservative Kräfte, insbesondere der Adel, die Reformen zu bremsen versuchten, ließ sich die Neustrukturierung des
preußischen Staates nicht aufhalten. Dabei teilten Politiker wie Stein oder Hardenberg keineswegs die Ideale der
Französischen Revolution, sondern versuchten vielmehr im Gegenteil, sich von ihr „inspirieren zu lassen, um ihr besser
Widerstand leisten zu können“.
Reichsdeputationshauptschluss (nach Wieland Eschenhagen), Beschluss der letzten außerordentlichen Reichsdeputation
(25. Februar 1803), der eine territoriale Neuordnung des Heiligen Römischen Reiches nach sich zog.
Nach den Koalitionskriegen zwischen dem revolutionären Frankreich und den anderen europäischen Mächten (1791-1797,
1798-1801) war die Annexion linksrheinischer deutscher Gebiete durch Frankreich im Frieden von Lunéville 1801
völkerrechtlich bestätigt worden. Zur Ausarbeitung einer Entschädigungsregelung für die von der Abtretung betroffenen
Reichsfürsten setzte der Reichstag 1801 einen Ausschuss (Deputation) ein, dessen Vorschlag er 1803 akzeptierte. Für ihre
verlorenen Gebiete erhielten die früheren Eigentümer, im Wesentlichen Österreich und Preußen sowie die mittleren
Landesherrschaften Bayern, Württemberg, Hannover, Hessen und Sachsen, rechtsrheinische Territorien. Diese wurden durch
die Einziehung der meisten katholischen Gebiete (Säkularisation) und die Aufhebung der Reichsunmittelbarkeit von 41 freien
Reichsstädten (Mediatisierung) gewonnen. Zugleich erhielten die Fürsten von Salzburg, Württemberg, Baden und HessenKassel die Kurfürstenwürde der erloschenen linksrheinischen Kurfürstentümer Köln, Trier und Kurpfalz.
Die Umgestaltung kam den Vorstellungen Frankreichs und Russlands, den neuen Ordnungsmächten in Europa, entgegen. Sie
milderte die Zersplitterung Deutschlands zugunsten Preußens, das Österreich ebenbürtig wurde, und der mittelgroßen Staaten.
Letztere gewannen an Gewicht, ohne sich aber dem Einfluss Frankreichs entziehen zu können. Die Auflösung des Heiligen
Römischen Reiches 1806 war damit vorgezeichnet. Für die katholische Kirche bedeutete der Reichsdeputationshauptschluss
den größten Verlust seit der Reformation.
Restauration (nach Wieland Eschenhagen), Wiederherstellung von Grundzügen einer alten Herrschaftsordnung nach einer
gesellschaftlichen Umwälzung oder politischen Revolution. Speziell bezeichnet dieser Begriff folgende historische Phasen:
1. Rückkehr der durch den Englischen Bürgerkrieg vertriebenen Dynastie der Stuarts nach England (1660). Das Oberhaus
wurde wieder eingeführt, die anglikanische Kirche setzte wieder Bischöfe ein.
2. Wiedereinsetzung der Bourbonen-Dynastie in Frankreich unter Ludwig XVIII. Im Jahr 1814 nach der Französischen
Revolution und dem Kaiserreich Napoleons I. (unter Beibehaltung wesentlicher Errungenschaften, z. B. Code Napoléon). Der
emigrierte Adel kehrte zurück und wurde entschädigt. Der Versuch Karls X., zum Absolutismus zurückzukehren, führte zur JuliRevolution 1830.
3. Die Epoche zwischen dem Wiener Kongress 1814/15 und der Julirevolution 1830 in Europa (in Deutschland und Österreich
bis 1848). Sie war von dem Bestreben geprägt, die Ergebnisse der Französischen Revolution wieder rückgängig zu machen.
Hauptinstrument war das vom österreichischen Kanzler durchgesetzte reaktionäre „System Metternich“, in dessen Zentrum die
Heilige Allianz der konservativen Großmächte Europas zur Unterdrückung der liberalen und nationalrevolutionären
Bewegungen stand. In Deutschland versuchte der Deutsche Bund mit den Karlsbader Beschlüssen gegen die
Burschenschaften und mit den Demagogenverfolgungen revolutionärer Bestrebungen Herr zu werden. Die Forderungen nach
deutscher Nationalstaatlichkeit und demokratischen Freiheiten ließen sich jedoch auf Dauer nicht unterbinden (Hambacher
Fest, 1832). Die Märzrevolution 1848 beendete die Restauration. In Deutschland und Österreich prägte sie weitgehend das
kulturelle Leben und bezeichnet daher auch die vorwiegend konservative Grundstimmung und Stilrichtung der Kunst, Literatur
und Philosophie dieser Zeit.
Revisionismus, im weiteren Sinn das Streben nach Veränderung eines politischen Programms. In einem engeren Sinn wird
unter Revisionismus eine Strömung innerhalb der Sozialdemokratie um die Jahrhundertwende verstanden, die einige der
zentralen Annahmen des Marxismus revidieren wollte. Im Grund ging es um die Angleichung der Lehre an die praktizierte
Politik. Daher standen Fragen der (partei-)politischen Strategie im Vordergrund; so etwa das Problem, ob eine sozialistische
Gesellschaftsordnung durch Revolution oder allmählich mittels Reformen herbeizuführen sei. Damit hängen Entscheidungen
zugunsten der parlamentarischen Demokratie sowie gegen die Verstaatlichung von Privatunternehmen aufs engste
zusammen. Wichtigste Vertreter des Revisionismus waren Eduard Bernstein und Karl Kautsky.
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Revolution, im weitesten Sinn die grundlegende Umwälzung einer bestehenden Ordnung oder einer bislang gültigen
Glaubens- oder Wissenschaftsdoktrin. Im engeren Sinne steht der Begriff Revolution für den Bruch mit einer überkommenen
politisch-sozialen Ordnung, insbesondere für die gewaltsame Umwälzung der staatlichen Machtstruktur. Eine politisch-soziale
Revolution zeichnet sich in der Regel durch vier Merkmale aus: 1. Findet sie unter Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten
und unter Ausbruch offener Gewalt in einem konzentrierten Zeitrahmen statt; 2. bewirkt eine Revolution eine tiefgreifende
Umwälzung des sozialen Systems mit Schwerpunkt auf der politischen Ordnung; 3. erschöpft sich eine Revolution nicht allein
im Austausch der Führungsgruppe an der Staatsspitze wie etwa beim Staatsstreich, sondern eröffnet anderen Schichten als
den bisherigen Eliten den Zugang zur Macht; 4. folgt dem revolutionären politischen Umbruch eine Neuorientierung hinsichtlich
der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung.
Souveränität, die allumfassende und nicht abgeleitete Hoheitsgewalt des modernen Staates nach innen und nach außen, die
lediglich vom Völkerrecht und von den Grundrechten begrenzt werden kann.
Souveränität nach außen bedeutet die Unabhängigkeit eines Staates von anderen sowie die rechtliche Gleichstellung aller
souveräner Staaten. Der souveräne Staat ist gleicher und freier Akteur; er hat einen Anspruch auf Nichteinmischung in seine
inneren Angelegenheiten, in der Gestaltung seiner Außenpolitik ist er frei. Das Völkerrecht sowie die zunehmende Bedeutung
internationaler Verträge setzten einer ungehemmten, absoluten Souveränität nach außen jedoch Grenzen; supranationale
Organisationen wie etwa die UNO, die EU und die NATO schränken die Souveränität ihrer Mitgliedsstaaten ebenfalls ein, bzw.
die Mitgliedsstaaten übertragen diesen Organisationen Souveränitätsrechte. Souveränität nach innen meint das Recht zur
freien und unabhängigen Gestaltung der Staats- und Gesellschaftsordnung, der Verfassung und des Rechtssystems. Träger
der Souveränität ist in parlamentarisch-demokratischen Systemen das Volk.
Zuvor lediglich im Zusammenhang mit bestimmten obersten Jurisdiktionsrechten gebraucht, wurde der Begriff der Souveränität
mit der Entstehung der modernen Nationalstaaten zu einem Schlüsselbegriff der Staatslehre, insbesondere bei Jean Bodin,
der die Fürsten als Träger der Souveränität definierte. Gegen diese Fürstensouveränität wurde bereits seit dem Mittelalter auch
die Forderung nach Volkssouveränität laut; einer der Hauptvertreter dieser Richtung war Jean-Jacques Rousseau.
Sozialismus, im 19. Jahrhundert mit dem Aufkommen der sozialen Frage entstandene politische, zunächst vor allem von der
Arbeiterbewegung getragene Bewegung, deren wesentliche Ziele Gleichheit, Solidarität, Gerechtigkeit, soziale Sicherheit und
die Überwindung des Kapitalismus waren. Die Entstehung des Sozialismus war eine Reaktion auf die negativen Auswüchse
des Kapitalismus im Zuge der industriellen Revolution, insbesondere auf die Verelendung der Arbeiterschaft in den großen
Städten. Das Spektrum sozialistischen Veränderungswillens reicht heute von Konzepten zur Reform der kapitalistischen
Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bis zur Revolution mit dem Ziel einer grundlegenden Umverteilung bzw. Verstaatlichung
des Eigentums, der Abschaffung von Zins und Grundrente sowie einer Beschränkung des Erbrechts.
Der u. a. mit den Namen Etienne Cabet und François Babeuf verbundene Frühsozialismus war von den Idealen der Aufklärung
geprägt und wird häufig als utopischer Sozialismus bezeichnet. Auch dem deutschen Frühsozialisten Wilhelm Weitling haftet
dieses Etikett an. Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und sozialer Verfassung wurde zuerst von Claude de SaintSimon erkannt. Genossenschaftliche Wirtschaftsmodelle entwarfen u. a. der französische Sozialphilosoph Charles Fourier und
der britische Unternehmer Robert Owen (siehe Genossenschaftsbewegung).
Karl Marx und Friedrich Engels, Begründer eines wissenschaftlichen Sozialismus, sahen gegenüber den
menschenverachtenden frühkapitalistischen Zuständen ihrer Zeit einen Umsturz der kapitalistischen Ordnung im Rahmen einer
proletarischen Revolution als unausweichlich an. Der radikale Marxismus wurde von Lenin weiterentwickelt und als MarxismusLeninismus grundlegende Ideologie des Bolschewismus (siehe auch Kommunismus). Um die Wende vom 19. zum
20. Jahrhundert spaltete sich von der marxistischen Bewegung eine gemäßigte Richtung ab, der so genannte Revisionismus,
für den u. a. der Name Eduard Bernstein steht. Der Revisionismus leitete die Abkehr der Sozialdemokratie vom revolutionären
Sozialismus zu einer auf die Reform von Staat und Gesellschaft gerichteten evolutionären Politik ein. Aber auch innerhalb der
deutschen Sozialdemokratischen Partei (SPD) gab es weiterhin einen linken, revolutionären Flügel, der sich 1916 als
Spartakusbund von der SPD abspaltete und mit den Namen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verbunden ist. Rosa
Luxemburg entwarf 1918 das Programm für die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), zu deren Mitbegründern auch
Liebknecht gehörte.
Durch die zum Teil menschenverachtenden Auswüchse des so genannten real existierenden Sozialismus in den Ländern
Osteuropas und der Dritten Welt sowie den letztendlichen flächendeckenden Zusammenbruch sozialistischer
Herrschaftssysteme in jüngster Zeit wurde die Idee des Sozialismus als solche weitgehend diskreditiert; entsprechende
Denkmodelle, soweit sie sich nicht im Rahmen eines demokratischen Sozialismus bewegen, scheinen ihre Blütezeit bis auf
weiteres hinter sich zu haben.
Stände (nach Wieland Eschenhagen), soziale Schichten in einem hierarchisch gegliederten Gesellschaftssystem
(Ständegesellschaft), deren Angehörige jeweils den gleichen sozialen Rang und bestimmte, daraus abgeleitete Rechte,
Privilegien und Pflichten hatten. Die Zugehörigkeit zu einem Stand ergibt sich aus Herkunft (Ebenbürtigkeit), Beruf
(Berufsstand, z. B. Zünfte, Bauern) oder gesellschaftliche Rolle (Geistlichkeit) und wird von ihren Mitgliedern durch ihre
moralischen Werte, ihre Lebensführung und ihren gesellschaftlichen Umgang (Standesbewusstsein) bekräftigt. Die
Ständeordnung des Mittelalters nahm die grundsätzliche Trennung zwischen Freien und Unfreien, zwischen Herrschenden und
Dienenden als gottgegeben an. Auf dieser Basis bildeten sich – in der Regel dreigliedrige – Ständesysteme heraus, die aus
Klerus (1. Stand), Adel (2. Stand), Stadtbürgertum (3. Stand) und in einzelnen Fällen freien Bauern aufgebaut war. Die
staatstragenden Stände (auch Landstände bzw. im Heiligen Römischen Reich Reichsstände, in Frankreich Generalstände, in
den Niederlanden Generalstaaten genannt) traten in repräsentativ beschickten Landtagen bzw. Reichstagen (in England:
Ständeparlament) zusammen, wo sie mitbestimmende, die Macht des Landesherrn bzw. Königs oder Kaisers mehr oder
weniger einschränkende Kompetenzen besaßen. Die Bewilligung von Steuern, auf die der Landesherr angewiesen war, wenn
er die Kosten für die Kriegsführung nicht mehr aus eigenen Mitteln bestreiten konnte, bildete sich früh als wichtigstes Recht
und Druckmittel der Ständeversammlungen gegenüber dem Herrscher heraus. Während des Absolutismus überwand die
fürstliche Zentralgewalt Ständeschranken (in England und Holland behaupteten sich in Bürgerkriegen die noch ständischen
Parlamente, in der Französischen Revolution machte sich der bürgerliche 3. Stand zum alleinherrschenden Faktor). Die sich
mit der industriellen Revolution seit dem 18. Jahrhundert herausbildende Arbeiterklasse stellte einen neuen, unterprivilegierten
„4. Stand“ dar, der den Rahmen der Ständegesellschaft sprengte.
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5. Anlagen
Zur Charakterisierung der Reichsverfassung von 1871 (Dittmar Friedrich)
Zur Charakterisierung der Reichsverfassung von 1871 gibt es eine Reihe unterschiedlicher Interpretationen der
Geschichtswissenschaft, von denen drei in verkürzter Darstellung vorgestellt werden.
1. Traditioneller Konstitutionalismus mit Übergewicht der Exekutive
Eine wissenschaftliche Ausrichtung sieht in der Reichsverfassung eine Realisierung des traditionellen Konstitutionalismus,
allerdings verändert durch die Erfahrungen Bismarcks im Verfassungskonflikt von 1862-66. Konstitutionalismus meint das
Gegenüber von Regierung und Parlament. Das Parlament ist beschränkt auf seine legislative Funktion und hat keinen Einfluss
darauf, wie die Regierung personell zusammengesetzt ist. Im Prinzip ist die Regierung darauf angewiesen, dass das Parlament
(der Reichstag) die gesetzgeberische Voraussetzung für das Regierungshandeln schafft. Wenn das Parlament die Zustimmung
zu Gesetzesinitiativen der Regierung verweigert, entsteht ein Konflikt. Bismarck war bemüht, diese Konfliktzonen zu
minimieren. Dazu gehört z.B. die Tatsache, dass wesentliche Teile des Etats, die Ausgaben für das Heer, der jährlichen
Bewilligung des Parlaments entzogen war. Durch gegenseitiges Ausspielen der Verfassungsorgane sollte das Übergewicht der
monarchisch geleiteten Exekutive erhalten bleiben.
2. Konstitutionalismus mit veränderter sozialer Grundlage
Traditioneller Konstitutionalismus basiert auf dem Dualismus von monarchisch-konservativer Exekutive und bürgerlicher
liberaler Legislative. Grundlage dieses Systems ist ein Zensus-Wahlrecht für das Legislativ-Organ, dass politische
Mitbestimmung an den (steuerlichen) Beitrag der Wähler bindet. Diejenigen, mit geringem bzw. keinem Steueraufkommen
waren damit weitgehend von der Einflussnahme auf politische Entscheidungen ausgeklammert, Mit der Veränderung des
Wahlrechts vom preußischen Drei-Klassen-Wahlrecht zum allgemeinen wahlrecht wird nicht einfach nur eine Wahlrechtsreform
durchgesetzt, sonder auch die politischen Möglichkeiten der Arbeiterschaft erheblich verbessert (bei allen sonstigen
Manipulationsmöglichkeiten). Damit ist auch die Vorherrschaft der bürgerlich - liberalen Bewegung gefährdet und kann
jederzeit gegen die Interessen der Arbeitnehmerschaft ausgespielt werden. Damit werden die „Spielregeln des
Konstitutionalismus nachhaltig verändert, weil nicht mehr nur ein Dualismus, sondern ein machtpolitischer „Trialismus“
entsteht. Damit ist die Verfassung des Kaiserreichs nicht einfach nur eine Variante des Konstitutionalismus, sondern
kennzeichnet einen Übergangszustand zum modernen Parlamentarismus.
3. Die Reichsverfassung - Ermöglichung von Bismarcks- Bonapartismus
Eine weitere Interpretation sieht die Verfassung eher als eine politische Struktur, die Bismarck auf seine Bedürfnisse und seine
spezielle Herrschaftstechniken zugeschnitten hätte. Diese Analyse geht davon aus, dass das politische System dadurch
funktionierte, dass die politischen Institutionen (Reichstag - Bundesrat. Parteien) gegeneinander ausgespielt wurden. und dies
unter Einbeziehung gewisser Formen plebiszitärer Elemente: Reichstagsauflösung mit Wahlen und massiver
Wahlbeeinflussung; Manipulation der öffentlichen Meinung; Pressepolitik etc). Diese Form des Regierens würde Bismarck eine
überragende Position im gesamten Verfassungsgefüge garantieren und die Bezeichnung „Bonapartismus“ (= Herrschaftsform)
Elemente der Weimarer Verfassung (Dittmar Friedrich)
Demokratisch- plebiszitäre Elemente
Parlamentarische Elemente
Präsidentielle Elemente
Art.109ff: Sicherung von Grundrechten
Art. 21: freies Abgeordnetenmandat
Art. 17: Allgemeines, gleiches freies,
unmittelbares, gleiches Wahlrecht
Art.22: Wahl des Reichstags
Art. 41: Wahl des Reichspräsidenten
Art. 73: Volksbegehren, Volksentscheid
Art.: 76 Verfassungsänderung
Art. 32 Mehrheitsprinzip
Art. 53:Einsetzung des Kanzlers und der
Minister
Art: 46: Einsetzung der Beamten und
Offiziere
Art. 47: Oberbefehl über die Reichswehr
Art. 25: Auflösung des Reichstages
Art. 48: Notverordnungsrecht
Art. 73:Einleitung Volksentscheid
Kombination von Befugnissen der Wähler
Art 48: Zustimmung zu Notverordnungen
Art. 54: Misstrauensvotum
Art. 68: Gesetzesbeschluss
Art.43: Beschluss zur Abwahl des
Reichspräsidenten
Kombination von Befugnissen des Reichstags
Art. 41 + Art 73 + Art 76
weitgehende Ausschaltung des
parlamentarischen Elements
Art. 68+Art 54+Art 43
weitgehende Ausschaltung des
Reichspräsidenten
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Kombination von Befugnissen des
Präsidenten
Art.53+Art.48+ Art.25+ Art.73
weitgehende Ausschaltung des Parlaments
6. Literatur
Autorenkollektiv: Deutsche Geschichte Zwischen 1800 und 1933 – Geschichte der Supermächte, C.C. Buchners Verlag,
Bamberg 1998
Autorenkollektiv: Kursbuch Geschichte, Von der Antike bis zur Gegenwart, Cornelsen Verlag / Volk und Wissen Verlag, Berlin
2001
Görtemarker, Manfred: Deutschland im 19. Jahrhundert, Entwicklungslinien, Leske Verlag, Opladen 1983
Hildebrandt Horst (Hrsg.): Die deutschen Verfassungen im 19. und 20. Jahrhundert, Verlag Ferdinand Schönigh,
Paderborn 1971,
Katz, Alfred: Staatsrecht, Grundkurs im öffentlichen Recht, C.F. Müller Verlag, Heidelberg 1996
Mickel, Wolfgang W.(Hrsg.): Geschichte, Politik und Gesellschaft, Von der Französischen Revolution bis zum Ende des Ersten
Weltkrieges, Cornelsen Verlag Hirschgraben, Frankfurt/M. 1988
Microsoft: Encarta 1998
Prohasky, Herbert: Das Zeitalter der Industrialisierung, Das deutsche Beispiel 1815 – 1914, Verlag Ferdinand Schöningh,
Paderborn 1988
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