Unfallakte - Fliegermagazin
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20741_074_075_Unfallakte.QXD 06.04.2006 8:16 Uhr Seite 74 Unfallakte Rechts vor links, Segler vor Motorflugzeug – die Ausweichregeln der Luftverkehrsordnung bieten eigentlich Schutz vor Kollision … ie vier Fallschirmspringer haben sich rausgestürzt. Jetzt nichts wie landen, das spart Zeit und somit Geld. Vor gut 20 Minuten war der 44jährige Pilot mit seiner Cessna D mulusbewölkung, deren Untergrenze bei 5000 bis 7000 Fuß MSL liegt – da geht einem Segelflieger das Herz auf! Richtung Westen führt der Weg des Seglers mit Heimweg- mit einem Steuerkurs von etwa 120 Grad, sieht der Motorpilot plötzlich den Ventus auf sich zukommen. Für Ausweichen bleibt keine Zeit, Cessna und Segler krachen ineinander. Der für Absetzpiloten vorgeschriebene Fallschirm erweist sich als Lebensversicherung: Die Einmot ist nach dem Crash nicht mehr steuerbar, und so entschließt sich ihr Pilot zum Notabsprung. Nahezu unversehrt überlebt er das Unglück. Weniger Glück hat der andere Pilot. Zwar hat er sich vor dem Start auch einen Fall- rer als Luft sind … Segelflugzeugen …« Bloß: Diese Ausweichregeln gehen davon aus, dass Piloten das jeweils andere Luftfahrzeug erkennen. Bereits daran hakte es beim Zusammenstoß der Cessna mit dem Motorsegler. Denn nach einem Gutachten des Deutschen Wetterdienstes halten es die Untersucher für gut möglich, dass der Cessna-Pilot den Motorsegler schlichtweg nicht sehen konnte: Bei seinem Sinkflug von FL 113 auf 50 versperrten zeitweise Cumuluswolken die Sicht auf den darunter Segelflugzeug versus Motormaschine: Nachdem die Cessna Fallschirmspringer abgesetzt hatte, wollte ihr Pilot wieder landen. Beim Sinkflug tauchte plötzlich die Ventus unter einer Wolke auf – eine Kollision war unvermeidbar (hier zwei baugleiche Maschinen) F-182P und den vier Springern an Bord vom Flugplatz CalwMuckberg gestartet. Heute ist Topwetter, jeder will in die Luft. Auch der Pilot eines Ventus CT nutzt diesen Augusttag.Am kleinen Flugplatz BartholomäAmalienhof, nordwestlich von Heidenheim, hat sich der 30Jährige am Mittag per Winde in den Himmel schleppen lassen. Störungsfreies, sommerliches Hochdruckwetter mit horizontalen Sichten am Boden zwischen 20 und 50 Kilometer, dazu zwei bis fünf Achtel Cu- 74 5/2006 hilfe. In der Gegend von Oberreichenbach, nahe des Absprunggeländes Calw, tankt der Ventus mit eingeklapptem Triebwerk Höhe. Das Unheil kommt von oben: Nach dem Absetzen der Springer erhält der Cessna-Pilot (er ist im kontrollierten Luftraum E unterwegs) von einem Lotsen die Sinkfreigabe auf 5000 Fuß MSL. Radaraufzeichnungen belegen, dass der Hochdecker zuerst nach Nordwesten, dann über die linke Fläche nach Osten kurvt. In dieser Phase, schirm umgeschnallt, doch der Mann schafft es nicht mehr aus dem Cockpit – wie so oft beim Versuch eines Notausstiegs. Er stirbt beim Aufprall. Unter der Überschrift Ausweichregeln ist im Paragraph 13 der Luftverkehrsordnung festgelegt: »Kreuzen sich die Flugrichtungen zweier Luftfahrzeuge in nahezu gleicher Höhe, so hat das Luftfahrzeug, das von links kommt, auszuweichen. Jedoch haben stets auszuweichen: 1. motorgetriebene Luftfahrzeuge, die schwe- kreisenden Ventus. Wie groß dessen vertikaler und horizontaler Abstand zur Wolke war, konnte nicht ermittelt werden. Nur: Müssen Motorflieger an Tagen mit so einem Wetter nicht zwangsläufig mit reichlich Segelflugzeugen rechnen? Und zwar unter Cumuluswolken. Für Segelflugpiloten sind diese Wolken wie Saugglocken, die begehrten Höhengewinn versprechen. Nicht von ungefähr kommt der Fliegerspruch: »Heute ist die Luft voller Plastik!«. Markus Wunderlich 20741_074_075_Unfallakte.QXD 06.04.2006 s klang nach einem relaxten Ausflug mit Kumpels, der am 13. Juli 2003 auf dem Programm eines 33-jährigen Schweizers stand. Von Locarno aus, in der Südschweiz, am Lago Maggiore, sollte es nach Trento und zurück gehen. Frühmorgens traf er sich mit drei Freunden. Die konnten schon ein wenig staunen, was ihr Kamerad zustande gebracht hatte. Von Dezember 2002 bis Januar 2003 zog der junge Mann die fliegerische Ausbildung in den Vereinigten Staaten durch und erwarb den US-PPL. Zurück in der Schweiz, schrieb er sich in einer Flugschule ein, um seine FAA- in eine JAR-Lizenz umwandeln zu lassen. Im April meisterte er auch diese Hürde. Eine Woche lang hatte der Mann den Flug nach Trento geplant.Am Vortag erschien er bereits am Airport, um die Flugvorbereitung zu erledigen. Am nächsten Morgen brauchte er nur noch den Flugplan aufzugeben und die Zollformulare auszufüllen. Seine Cessna R182RG ließ er mit über 233 Litern volltanken. Der Blick in den Himmel verriet traumhaftes Wetter. Ein Hochdruckgebiet bestimmte das Wetter im Alpenraum, die Sicht betrug über 30 Kilometer, lediglich ein bis drei Achtel Cumuli standen am Himmel. Aus Nord bis Nordost wehte ein Wind mit vier,in Spitzen bis acht Knoten, das QNH betrug 1015 Hektopascal. Um 8.35 Uhr hob der Hochdecker von der »08L« ab. Der Kurs der Einmot führte Richtung Osten in ein Tal, an dessen Ende es den Passo del San Jorio auf einer Höhe von 2012 Meter zu nehmen galt. Mehrere Augenzeugen verfolgten die Einmot auf ihrem Flug entlang der nördlichen Talseite. Das sonore Brummen des Lycoming O-540 wurde immer leiser, je weiter sich die Cessna von ihnen entfernte. Niemand nahm mehr sonderlich Notiz von der Maschine – bis Explosionen die Luft erschütterten. Ein sofort alarmierter Rettungshub- 8:16 Uhr Seite 75 E schrauber, der kurz vor neun Uhr an der Absturzstelle eintraf, fand nur noch ein brennendes Wrack vor.Alle vier jungen Männer kamen ums Leben. Untersucher des Büros für Flugunfalluntersuchungen rechneten nach: Die Leermasse der Cessna betrug inklusive Öl und 15 Liter nicht ausfliegbaren Sprits rund 890 Kilogramm. Vollgetankt, mit vier Insassen samt Gepäck, lag die maximale Abflugmasse von rund 1406 Kilo am Limit oder sogar leicht darüber. Zudem erwies sich die gewählte Talseite als unvorteilhaft: Durch den Der Blick in Flugrichtung auf den Pass (oben). Kurz davor steigt das Gelände steil an. Vermutlich zog der junge Pilot unbewusst am Höhenruder, die Speed ging zurück – als er in einer Umkehrkurve zu entkommen versuchte, stallte die Cessna. Mit fatalen Folgen (unten) Nordostwind musste der Pilot am Nordhang und im Talzentrum mit Abwinden rechnen. Die hohen Temperaturen erleichterten der Cessna mit Einziehfahrwerk nicht gerade das Steigen. Nur mit maximaler Leistung und entlang des Südhangs hätte es die Einmot über den Pass geschafft. In welcher Gefahr sich die Vier befanden, war dem Pilot vermutlich bis zum letzten Moment nicht bewusst: Morgendunst und tiefstehende Sonne erschwerten die Sicht. Im Steigflug nach Osten könnte für Ortsunkundige der falsche Eindruck entstehen, dass das Tal links und rechts je eine seitliche Ausflugsmöglichkeit biete. Das allmählich ansteigende Tal verändert die Horizontalreferenz schleichend. Unbewusst ziehen Piloten am Höhenruder, die Fahrt schmilzt unbemerkt. Folgt dann eine Umkehrkurve, wird die Stallspeed unterschritten. So kam es vermutlich zum Absturz. Dabei war sich der Pilot durchaus der Gefahren, die beim Fliegen in Bergen auftreten können, bewusst: Obwohl bei der LizenzUmschreibung nicht vorgeschrieben, absolvierte der Mann einen Ausbildungsflug im Gebirge. Markus Wunderlich 5/2006 75 Fotos: Büro für Flugunfalluntersuchungen (2), Peter F. Selinger, Werkfoto Volles Flugzeug, hohe Temperaturen, unerfahrener Pilot – da »stimmen« alle Zutaten für einen riskanten Flug im Gebirge