Unfallakte - Fliegermagazin

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Unfallakte - Fliegermagazin
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06.04.2006
8:16 Uhr
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Unfallakte
Rechts vor links, Segler vor Motorflugzeug –
die Ausweichregeln der Luftverkehrsordnung
bieten eigentlich Schutz vor Kollision …
ie vier Fallschirmspringer
haben sich rausgestürzt.
Jetzt nichts wie landen,
das spart Zeit und somit Geld.
Vor gut 20 Minuten war der 44jährige Pilot mit seiner Cessna
D
mulusbewölkung, deren Untergrenze bei 5000 bis 7000 Fuß
MSL liegt – da geht einem
Segelflieger das Herz auf!
Richtung Westen führt der
Weg des Seglers mit Heimweg-
mit einem Steuerkurs von etwa
120 Grad, sieht der Motorpilot
plötzlich den Ventus auf sich
zukommen. Für Ausweichen
bleibt keine Zeit, Cessna und
Segler krachen ineinander. Der
für Absetzpiloten vorgeschriebene Fallschirm erweist sich als
Lebensversicherung: Die Einmot ist nach dem Crash nicht
mehr steuerbar, und so entschließt sich ihr Pilot zum Notabsprung. Nahezu unversehrt
überlebt er das Unglück.
Weniger Glück hat der andere Pilot. Zwar hat er sich vor
dem Start auch einen Fall-
rer als Luft sind … Segelflugzeugen …«
Bloß: Diese Ausweichregeln
gehen davon aus, dass Piloten
das jeweils andere Luftfahrzeug
erkennen. Bereits daran hakte
es beim Zusammenstoß der
Cessna mit dem Motorsegler.
Denn nach einem Gutachten
des Deutschen Wetterdienstes
halten es die Untersucher für
gut möglich, dass der Cessna-Pilot den Motorsegler schlichtweg
nicht sehen konnte: Bei seinem
Sinkflug von FL 113 auf 50 versperrten zeitweise Cumuluswolken die Sicht auf den darunter
Segelflugzeug versus Motormaschine: Nachdem die Cessna Fallschirmspringer abgesetzt hatte, wollte ihr Pilot wieder landen. Beim Sinkflug
tauchte plötzlich die Ventus unter einer Wolke auf – eine Kollision war unvermeidbar (hier zwei baugleiche Maschinen)
F-182P und den vier Springern
an Bord vom Flugplatz CalwMuckberg gestartet. Heute ist
Topwetter, jeder will in die Luft.
Auch der Pilot eines Ventus
CT nutzt diesen Augusttag.Am
kleinen Flugplatz BartholomäAmalienhof, nordwestlich von
Heidenheim, hat sich der 30Jährige am Mittag per Winde
in den Himmel schleppen lassen. Störungsfreies, sommerliches Hochdruckwetter mit horizontalen Sichten am Boden
zwischen 20 und 50 Kilometer,
dazu zwei bis fünf Achtel Cu-
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hilfe. In der Gegend von Oberreichenbach, nahe des Absprunggeländes Calw, tankt der
Ventus mit eingeklapptem
Triebwerk Höhe. Das Unheil
kommt von oben: Nach dem
Absetzen der Springer erhält
der Cessna-Pilot (er ist im kontrollierten Luftraum E unterwegs) von einem Lotsen die
Sinkfreigabe auf 5000 Fuß
MSL. Radaraufzeichnungen
belegen, dass der Hochdecker
zuerst nach Nordwesten, dann
über die linke Fläche nach
Osten kurvt. In dieser Phase,
schirm umgeschnallt, doch der
Mann schafft es nicht mehr aus
dem Cockpit – wie so oft beim
Versuch eines Notausstiegs. Er
stirbt beim Aufprall.
Unter der Überschrift Ausweichregeln ist im Paragraph
13 der Luftverkehrsordnung
festgelegt: »Kreuzen sich die
Flugrichtungen zweier Luftfahrzeuge in nahezu gleicher
Höhe, so hat das Luftfahrzeug,
das von links kommt, auszuweichen. Jedoch haben stets
auszuweichen: 1. motorgetriebene Luftfahrzeuge, die schwe-
kreisenden Ventus. Wie groß
dessen vertikaler und horizontaler Abstand zur Wolke war,
konnte nicht ermittelt werden.
Nur: Müssen Motorflieger an
Tagen mit so einem Wetter
nicht zwangsläufig mit reichlich Segelflugzeugen rechnen?
Und zwar unter Cumuluswolken. Für Segelflugpiloten sind
diese Wolken wie Saugglocken,
die begehrten Höhengewinn
versprechen. Nicht von ungefähr kommt der Fliegerspruch:
»Heute ist die Luft voller Plastik!«.
Markus Wunderlich
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s klang nach einem relaxten Ausflug mit Kumpels,
der am 13. Juli 2003 auf
dem Programm eines 33-jährigen Schweizers stand. Von Locarno aus, in der Südschweiz,
am Lago Maggiore, sollte es
nach Trento und zurück gehen.
Frühmorgens traf er sich mit
drei Freunden. Die konnten
schon ein wenig staunen, was
ihr Kamerad zustande gebracht hatte. Von Dezember
2002 bis Januar 2003 zog der
junge Mann die fliegerische
Ausbildung in den Vereinigten
Staaten durch und erwarb den
US-PPL. Zurück in der
Schweiz, schrieb er sich in einer Flugschule ein, um seine
FAA- in eine JAR-Lizenz umwandeln zu lassen. Im April
meisterte er auch diese Hürde.
Eine Woche lang hatte der
Mann den Flug nach Trento geplant.Am Vortag erschien er bereits am Airport, um die Flugvorbereitung zu erledigen. Am
nächsten Morgen brauchte er
nur noch den Flugplan aufzugeben und die Zollformulare auszufüllen. Seine Cessna R182RG
ließ er mit über 233 Litern volltanken. Der Blick in den Himmel verriet traumhaftes Wetter.
Ein Hochdruckgebiet bestimmte das Wetter im Alpenraum, die
Sicht betrug über 30 Kilometer,
lediglich ein bis drei Achtel
Cumuli standen am Himmel.
Aus Nord bis Nordost wehte ein
Wind mit vier,in Spitzen bis acht
Knoten, das QNH betrug 1015
Hektopascal.
Um 8.35 Uhr hob der Hochdecker von der »08L« ab. Der
Kurs der Einmot führte Richtung Osten in ein Tal, an dessen
Ende es den Passo del San Jorio auf einer Höhe von 2012
Meter zu nehmen galt. Mehrere Augenzeugen verfolgten die
Einmot auf ihrem Flug entlang
der nördlichen Talseite. Das sonore Brummen des Lycoming
O-540 wurde immer leiser, je
weiter sich die Cessna von ihnen entfernte. Niemand nahm
mehr sonderlich Notiz von der
Maschine – bis Explosionen
die Luft erschütterten. Ein sofort alarmierter Rettungshub-
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schrauber, der kurz vor neun
Uhr an der Absturzstelle eintraf, fand nur noch ein brennendes Wrack vor.Alle vier jungen
Männer kamen ums Leben.
Untersucher des Büros für
Flugunfalluntersuchungen
rechneten nach: Die Leermasse der Cessna betrug inklusive
Öl und 15 Liter nicht ausfliegbaren Sprits rund 890 Kilogramm. Vollgetankt, mit vier
Insassen samt Gepäck, lag die
maximale Abflugmasse von
rund 1406 Kilo am Limit oder
sogar leicht darüber. Zudem
erwies sich die gewählte Talseite als unvorteilhaft: Durch den
Der Blick in Flugrichtung auf den Pass (oben). Kurz davor steigt das
Gelände steil an. Vermutlich zog der junge Pilot unbewusst am
Höhenruder, die Speed ging zurück – als er in einer Umkehrkurve zu
entkommen versuchte, stallte die Cessna. Mit fatalen Folgen (unten)
Nordostwind musste der Pilot
am Nordhang und im Talzentrum mit Abwinden rechnen.
Die hohen Temperaturen erleichterten der Cessna mit
Einziehfahrwerk nicht gerade
das Steigen. Nur mit maximaler Leistung und entlang
des Südhangs hätte es die Einmot über den Pass geschafft.
In welcher Gefahr
sich die Vier befanden,
war dem Pilot vermutlich bis zum letzten Moment nicht bewusst:
Morgendunst und tiefstehende Sonne erschwerten die Sicht. Im
Steigflug nach Osten
könnte für Ortsunkundige der falsche Eindruck entstehen, dass
das Tal links und rechts
je eine seitliche Ausflugsmöglichkeit biete.
Das allmählich ansteigende Tal verändert die
Horizontalreferenz
schleichend.
Unbewusst ziehen Piloten am
Höhenruder, die Fahrt
schmilzt unbemerkt.
Folgt dann eine Umkehrkurve, wird die
Stallspeed unterschritten. So kam es vermutlich zum Absturz.
Dabei war sich der
Pilot durchaus der Gefahren, die beim Fliegen in Bergen auftreten
können, bewusst: Obwohl bei der LizenzUmschreibung nicht
vorgeschrieben, absolvierte der Mann einen
Ausbildungsflug im Gebirge.
Markus Wunderlich
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Fotos: Büro für Flugunfalluntersuchungen (2), Peter F. Selinger, Werkfoto
Volles Flugzeug, hohe Temperaturen, unerfahrener Pilot – da
»stimmen« alle Zutaten für
einen riskanten Flug im Gebirge