Teil 1.2 bis 1.4_DIM Lehrbuch 1

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Teil 1.2 bis 1.4_DIM Lehrbuch 1
1 Rechtsbewusstes Handeln
1.2 Arbeitsvertrag und Tarifvertrag
»Arbeitgeber« Verwendung finden, dann ist stets sowohl die weibliche als auch die männliche Form gemeint.
Es ist noch anzumerken, dass es gerade im Arbeitsrecht ständig neue Normen gibt, die
zu beachten sind – seien es tarifrechtliche oder gesetzliche Vereinbarungen. Gerade angesichts der Situation am Arbeitsmarkt bemühen sich Tarifpartner und Gesetzgeber um
flexiblere Regelungen, wie sie beispielsweise das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)
ermöglicht. Man muss stets »auf dem Laufenden« sein!
1.2.2
Wesen und Zustandekommen
des Arbeitsvertrages
1.2.2.1
Der Begriff des Arbeitnehmers
Das Arbeitsrecht dient dem Schutz des Arbeitnehmers, regelt die gegenseitigen Ansprüche aus der freiwilligen Vertragsbeziehung zum Arbeitgeber und findet stets Anwendung,
wenn eine Person in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer betroffen ist. Deshalb ist es erforderlich, zunächst diese Personengruppe näher zu bestimmen.
Arbeitnehmer sind
–
–
–
–
–
verpflichtet zur Erbringung von Diensten (privatrechtlicher Vertrag),
unselbstständig/fremdbestimmt,
rechtlich weisungsgebunden (Direktionsrecht des Arbeitgebers),
eingegliedert in die betriebliche Organisation des Arbeitgebers,
und (meist) existenziell abhängig.
Die Zahlung von Entgelt (Lohn, Provision, Vergütung sowie zusätzlich Zulagen, Prämien,
auch die Gewährung von Sachbezügen, Deputaten usw.) ist zwar üblich und notwendig,
doch auch der Praktikant – außer dem Schulpraktikanten –, der ohne Bezahlung ausgebildet wird, ist Arbeitnehmer. Darüber hinaus ist diese Abhängigkeit von der Vergütung
heute häufig nicht nur eine finanzielle, sondern beinhaltet auch soziale, gesellschaftliche
und psychische Aspekte.
Da die persönliche Abhängigkeit das entscheidende Kennzeichen für den Arbeitnehmer
und die Abgrenzung zwischen dem Selbstständigen und dem Unselbstständigen gelegentlich schwierig ist, greifen wir uns aus der Vielzahl der Verträge des bürgerlichen
Rechts die hierzu wichtigsten heraus:
Kaufvertrag
(§ 433 BGB):
geschuldet wird
die Lieferung
einwandfreier Ware
Dienstvertrag
(§ 611 BGB):
geschuldet wird
die Erbringung von
Diensten
durch den Selbstständigen,
z. B. Architekt oder
frei praktizierender Arzt
= Unternehmer
Werkvertrag
(§ 631 BGB):
geschuldet wird
der Erfolg einer zu
erbringenden Leistung
durch den Unselbstständigen,
z. B. Industriemeister oder
angestellter Krankenhausarzt
= Arbeitnehmer
Arbeitnehmerbegriff und Verträge des bürgerlichen Rechts
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1.2 Arbeitsvertrag und Tarifvertrag
1 Rechtsbewusstes Handeln
Nur der Dienstvertrag des Unselbstständigen ist ein Arbeitsvertrag. Typisch für den Unselbstständigen ist, dass er den Weisungen des Vertragspartners, also des Arbeitgebers,
unterworfen ist, z. B. in Bezug auf den Arbeitsauftrag, ja selbst die Art der Ausführung
sowie Arbeitsort, Arbeitszeit usw. werden durch den Arbeitsvertrag bestimmt. Dieser wird
ergänzt durch die betriebsüblichen Gepflogenheiten, die Betriebsübung, die bekannt ist
als einseitige Willenserklärung des Arbeitgebers (dieser kann beispielsweise den Arbeitnehmern Sonderzuwendungen gewähren, zu Weihnachten oder aus Anlass eines Dienstjubiläums; die Betriebsübung kann aber auch Pflichten bewirken für die Arbeitnehmer,
wenn Lücken im Vertrag bestehen oder der Vertragstext ausgelegt werden muss).
Zunehmend finden in der Praxis Arbeitsordnungen und Stellenbeschreibungen Anwendung, die dem Arbeitsvertrag von Anfang an beigefügt sind; hinzu kommen Betriebsvereinbarungen in allen Betrieben mit einem Betriebsobmann oder einem Betriebsrat und eben
Einzelanweisungen als einseitiges Gestaltungsrecht gegenüber dem abhängig Tätigen.
Typisch für den Arbeitnehmerbegriff ist auch, dass es sich nicht um einen einzelnen Auftrag handelt, der auszuführen ist, sondern jeder Arbeitsvertrag auf eine gewisse Dauer
hin angelegt ist, verbunden mit der Eingliederung des einen in den Betrieb des anderen.
Der Arbeitnehmerbegriff des Betriebsverfassungsgesetzes passt am besten zu dem
hier aufgezeigten, schließt aber die Gruppe der leitenden Angestellten aus, die zwar Arbeitnehmer sind, aber nicht unter das genannte Gesetz fallen. Die Organmitglieder von
Kapitalgesellschaften sind die oberste Gruppe der leitenden Angestellten, aber nach herrschender Meinung zählen sie im Arbeitsrecht nicht mehr als Arbeitnehmer, obgleich sie es
steuerrechtlich nun wieder sind.
Doch in einer arbeitsrechtlichen Beziehung haben sie die oberste Weisungsbefugnis und
üben damit Arbeitgeberfunktionen aus. Nicht verkannt werden soll damit, dass auch sie
wieder abhängig sind, nämlich vom Aufsichtsrat, aber die meisten arbeitsrechtlichen Gesetze gelten für sie nicht, z. B. die Arbeitszeitschutzvorschriften, vgl. § 18 Abs. 1 ArbZG.
Leitende Angestellte sind die, die bedeutende Arbeitgeberfunktionen, z. B. die selbstständige und eigenverantwortliche Leitung eines Betriebes, oder besonders qualifizierte
und für den Bestand und die Entwicklung des Betriebes bedeutsame Aufgaben ausüben
(§ 5 Absatz 3 BetrVerfG). Sie haben ein höheres Maß an Arbeitsleistung zu erbringen und
eine erweiterte Treuepflicht. Die Anforderungen an eine (außer)ordentliche Kündigung für
diese Arbeitnehmergruppe sind geringer. Auch im Mitbestimmungsrecht (vgl. Mitbestimmungsgesetz von 1976) haben sie eine Art Zwitterfunktion.
Einzelne arbeitsrechtliche Gesetze (vgl. z. B. § 2 BUrlG, § 5 ArbGG, § 5 BetrVerfG) weiten
den Arbeitnehmerbegriff auf Heimarbeiter und andere arbeitnehmerähnliche Personen
aus, die eigentlich Dauer und Lage der Arbeitszeit nach eigenem Ermessen bestimmen
können. Aber selbst derjenige, der als freier Mitarbeiter eingestellt ist, kann Arbeitnehmer,
oder zumindest doch arbeitnehmerähnliche Person sein, nämlich immer dann, wenn die
persönliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber besteht, insbesondere wirtschaftlich und
sozial. Hierzu rechnen in der Regel die für die Medien und Theater tätigen Journalisten,
Kameraleute, Musiker und Schauspieler.
Die Unterscheidung der Arbeitnehmer nach den Gruppen von Arbeitern und Angestellten
hat erheblich an Bedeutung verloren, weil die Aufgliederung nach der Verkehrsanschauung
– und diese ist maßgebend für die Zuordnung – nicht mehr zeitgemäß ist. Die meisten arbeitsrechtlichen Bestimmungen sind angenähert, auch die unterschiedlichen Kündigungsfristen sind gesetzlich aufgehoben; das Bundesverfassungsgericht hat sie für unvereinbar
mit dem Gebot des Grundgesetzes nach Gleichberechtigung erklärt (vgl. jetzt: § 622 Abs. 1
BGB). Auch die Mitbestimmungsgesetze sind entsprechen geändert.
Auch der Betriebsrat wird nicht mehr getrennt nach den beiden Gruppen gewählt, das
Gruppenprinzip ist im BetrVerfG ausdrücklich aufgehoben. Ebenso wenig gibt es heute in
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1 Rechtsbewusstes Handeln
1.2 Arbeitsvertrag und Tarifvertrag
der Sozialversicherung diese – historisch bedingte – Unterscheidung, sondern nur noch
die Deutsche Rentenversicherung. Vor über hundert Jahren, zu jener Zeit also, als mit der
Verkündung der Bismarck’schen Sozialgesetze das begann, was wir heute unter Arbeitsrecht verstehen, war die Abgrenzung des Arbeiters vom Angestellten eine der wichtigsten
Fragen überhaupt.
Ein einheitlicher Arbeitnehmerbegriff ist heute in den meisten Tarifverträgen zu finden,
beispielsweise im Bundesentgelttarifvertrag für die Chemische Industrie. Auch die Trennung zwischen Lohn- und Gehaltsgruppen und damit zwischen Löhnen und Gehältern
besteht nicht mehr, sondern es werden drei Tätigkeitsbereiche unterschieden, für die die
erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten im Vordergrund stehen:
– Entgeltgruppen E1 bis E5, das sind die ungelernten, angelernten und zweijährig ausgebildeten Arbeitnehmer;
– Entgeltgruppen E6 bis E8, der Verzahnungsbereich von Facharbeitertätigkeiten und solchen vergleichbarer Angestellter mit mindestens dreijähriger Ausbildung;
– Entgeltgruppen E9 bis E13, der Bereich der gehobenen Arbeitnehmer, insbesondere
mit Fachschul- oder FH-Abschluss (Fachhochschuldiplom).
Doch entscheidend für die Eingruppierung ist die konkret ausgeübte Tätigkeit, deren
Anforderungsmerkmale auf einer summarischen Arbeitsbewertung beruhen.
Dem Industriemeister, der sich aus dem Kreis der Facharbeiter emporgearbeitet hat, wird
in der Regel der Status eines Angestellten durch den Arbeitgeber »verliehen«, zumal
dann, wenn ihm andere Arbeitnehmer unterstellt sind, denen gegenüber er weisungsbefugt ist. Daher ist es für ihn auch erforderlich, mit arbeitsrechtlichen Fragen vertraut zu
sein und sich neuere Regelungen laufend zu erarbeiten.
Da die Arbeitnehmereigenschaft aufgrund einer arbeitsrechtlichen Beziehung vorliegt, ist
diese im Folgenden zu erläutern, zunächst als Arbeitsvertrag, dann als Arbeitsverhältnis.
1.2.2.2
Der Arbeitsvertrag
Nicht jeder Dienstvertrag ist ein Arbeitsvertrag, aber jeder Arbeitsvertrag ist ein Dienstvertrag, ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, ein Schuldverhältnis. Und wie jedes Schuldverhältnis bedarf auch der Abschluss eines Arbeitsvertrages zweier übereinstimmender Willenserklärungen der Partner, wobei sich der eine zur Leistung von Diensten, der andere zur
Zahlung einer Vergütung verpflichtet (§ 611 BGB).
Die (natürliche oder juristische) Person, die (mindestens) einen Arbeitnehmer beschäftigt,
nennen wir Arbeitgeber, der voll geschäftsfähig sein muss, während der Arbeitnehmer
ausnahmsweise auch Jugendlicher sein kann, sofern die Einwilligung bzw. Genehmigung
(§§ 107 f und 113 BGB) der gesetzlichen Vertreter vorliegt.
Gleichgültig ist, wer beim Zustandekommen den Antrag unterbreitet und wer die Annahme erklärt. Bewirbt sich beispielsweise ein Arbeitnehmer aufgrund einer Stellenanzeige,
werden in einem Gespräch die wesentlichen Vertragsbestimmungen diskutiert und
schließlich fixiert. Damit ist der Vertrag wirksam mündlich begründet, der Arbeitgeber
muss die wesentlichen Bedingungen aufgrund des Nachweisgesetzes später allerdings
schriftlich zusammenfassen.
Nur in den seltensten Fällen ist die Vereinbarung ohne Schriftform aber nichtig. Wenn in
einem Tarifvertrag oder Gesetz, so z. B. für den Ausbildungsvertrag im Berufsbildungsgesetz, die schriftliche Festlegung des ausgehandelten Vertrages verlangt wird (»Vertragsniederschrift«), geschieht dieses zur Klarstellung und jederzeitigen Beweisbarkeit – und
damit zur Vermeidung späterer Streitigkeiten.
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1.2 Arbeitsvertrag und Tarifvertrag
1 Rechtsbewusstes Handeln
Der Spielraum, den der Arbeitnehmer im Hinblick auf die Durchsetzung seiner Vorstellungen über den Vertragsinhalt hat, ist heutzutage in der Regel gering. Eine große Zahl von
Gesetzen und Betriebsvereinbarungen legt Einzelheiten fest, auch betriebsübliche Gepflogenheiten haben sich entwickelt, die eine Art von Gewohnheitsrecht darstellen.
Schließlich wird immer stärker die Forderung nach Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer
an den Arbeitgeber herangetragen und vom Betriebsrat, der Vertretung der Arbeitnehmer, überwacht, z. B. Frauen-Förderpläne im Rahmen der Personalplanung.
In Unternehmen (bisher: Betrieben) mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu unterrichten, ihm Auskunft über die Person des Bewerbers zu geben und die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen; bei begründeter
Besorgnis, dass diese Maßnahme die im Betrieb Tätigen benachteiligt, kann der Betriebsrat sogar seine Zustimmung verweigern (§§ 99 und 111 ff. BetrVerfG).
Durch die Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über einen zukünftigen
Arbeitsvertrag wird bereits ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis hergestellt, das
wechselseitige Pflichten begründet. Wird beispielsweise bei einem Bewerber die gerechtfertigte Annahme geweckt, es werde bestimmt zum Vertragsabschluss kommen, sodass
er seine Stelle kündigen könne, dann resultieren daraus bei einer späteren Ablehnung der
Einstellung durch den Arbeitgeber Schadenersatzansprüche gegen diesen.
Der (potenzielle) Arbeitgeber hat die ihm übersandten Bewerbungsunterlagen mit Sorgfalt
zu behandeln und dafür zu sorgen, dass unbefugte Personen keine Einsicht in die persönlichen Unterlagen erlangen. Nach Abschluss des Bewerbungsverfahrens sind diese, sofern
es nicht zur Einstellung kommt, zurückzusenden, evtl. gespeicherte Daten sind zu löschen.
Wird ein Bewerber für einen Arbeitsplatz vom Arbeitgeber zur Vorstellung aufgefordert, so
ist dieser verpflichtet, ihm die entstandenen Kosten (das sind zumindest die Fahrtkosten)
zu ersetzen, auch wenn kein Arbeitsvertrag zustande kommt (§ 670 BGB). Das gilt jedoch
nicht, wenn der Bewerber ohne Einladung erscheint.
Seine persönlichen Verhältnisse braucht der Bewerber von sich aus nur insoweit zu offenbaren, als diese unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis einwirken. Fragen des Arbeitgebers
bei der beabsichtigten Einstellung sind immer dann zulässig, wenn sie unmittelbar den zukünftigen Arbeitsplatz berühren. Die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft ist
grundsätzlich unzulässig, auch bei befristeten Arbeitsverträgen (Urteil des Europäischen
Gerichtshofes, daran anschließend das Bundesarbeitsgericht). Generell gilt, dass Fragen
nach persönlichen Merkmalen nur dann zulässig sind, wenn eine Differenzierung gerechtfertigt ist. Stellenausschreibungen sind neutral zu formulieren (§§ 11, 7 und 1 AGG).
Auch beim Kassierer ist die Frage nach begangenen Unterschlagungen, beim Kraftfahrer
die nach evtl. »verlorenem« Führerschein nur eingegrenzt zulässig, obwohl hier das Interesse des Arbeitgebers schutzwürdig ist. Entscheidend bei der Frage nach Vorstrafen ist
die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes; danach darf nach Vorstrafen auf vermögensrechtlichem oder auf verkehrsrechtlichem Gebiet gefragt werden, wenn der Arbeitsplatz
entsprechend ausgestaltet ist.
Fragen, die das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers verletzen, sind stets unzulässig.
Dazu gehört auch die Frage nach der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft. Allerdings ist
dieses für eine angestrebte Tätigkeit in einer Gewerkschaft wieder eine zulässige Frage,
was wohl verdeutlicht, dass die Begrenzung des Fragerechts eben nur für den Einzelfall
entschieden werden kann. Deshalb gibt es hierzu relativ viele Gerichtsentscheidungen,
die sich teilweise sogar widersprechen.
Dies verdeutlicht die Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen schutzbedürftigen Individualinteressen und betrieblichen Notwendigkeiten. Derartige Interessenkollisionen kennzeichnen aber das gesamte Arbeitsrecht.
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1.2 Arbeitsvertrag und Tarifvertrag
Das zentrale Benachteiligungsverbot in § 1 AGG besagt, dass Beschäftigte nicht
schlechter gestellt werden dürfen wegen Rasse/ethnischer Herkunft, Geschlechts, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alters oder sexueller Orientierung, und zwar weder durch den Arbeitgeber noch durch Kollegen oder Kunden des Arbeitgebers. Zulässig
hingegen ist eine Differenzierung, wenn sie aufgrund der Art der auszuübenden Tätigkeit
bzw. der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt ( § 8 AGG, vgl. aber auch §§ 9 und 10 AGG).
Insbesondere § 10 AGG verdeutlicht, dass ein Mindestalter, eine Mindestberufserfahrung
bei der Einstellung und auch eine Vereinbarung der Unkündbarkeit von Beschäftigten eines bestimmten Alters sowohl einzelvertraglich als auch kollektivrechtlich zulässig ist.
1.2.2.3
Das faktische Arbeitsverhältnis
Da kein Arbeitgeber verpflichtet ist, abgesehen vom Zeugnis, Auskünfte über jetzige oder
frühere Arbeitnehmer zu geben, kommt es häufiger vor, dass ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wird, obwohl der Arbeitnehmer dem neuen Arbeitgeber gegenüber eine für das
Arbeitsverhältnis wesentliche Tatsache – auch auf Befragen hin – verschweigt bzw. falsch
angibt. In aller Regel führt dies zur Anfechtbarkeit des Vertrages seitens des (neuen) Arbeitgebers, mit der Folge, dass der Vertrag durch die Anfechtung zunichte gemacht wird,
mithin ein vertragsloser Zustand vorliegt. Was gilt dann?
Zunächst sind die zwei Anknüpfungspunkte für eine Anfechtung zu nennen:
In solchen Fällen hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, nach Bekanntwerden der Tatsachen
den Vertrag wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) anzufechten. Das muss er aber
innerhalb der gesetzlichen Frist tun (§ 124 BGB). Ganz abgesehen davon wäre eine solche Anfechtung aber dann rechtsmissbräuchlich, wenn der Arbeitnehmer sich in seiner
neuen Aufgabe bewährt und damit bewiesen hat, dass die negativen Umstände der Vergangenheit erledigt sind.
Die zweite Möglichkeit ist die Anfechtung wegen Irrtums (§ 119 BGB); auch hierbei ist die
Anfechtungsfrist (§ 121 BGB) zu beachten. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass
stets zunächst die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung zu prüfen ist, weil sie dem Anfechtenden eine mögliche Schadenersatzpflicht (§ 122 BGB) erspart; bei Irrtum hat der
Anfechtende dem anderen nämlich den Schaden zu ersetzen, den er dadurch erleidet,
dass er auf die Gültigkeit der Willenserklärung vertraut hatte.
Eine besondere Rolle spielt im Arbeitsrecht der Eigenschaftsirrtum, der vorliegt, wenn bestimmte, bei Vertragsabschluss unbekannte Eigenschaften des einen Vertragspartners den
anderen bei objektiver Betrachtung zu einer Anfechtung berechtigen. Das kann der Arbeitnehmer tun, wenn er auf die (nicht vorhandene) Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers vertraut hatte oder der Arbeitgeber, der einen Kleptomanen als Kassierer eingestellt hatte.
Die Anfechtung bewirkt generell, dass der zustande gekommene Arbeitsvertrag nachträglich ungültig wird, so wie es ein Vertrag ist, der gar nicht erst gültig zustande kommen
kann, z. B. weil er gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder aber gegen die guten
Sitten (§ 138 BGB) verstößt. Als Beispiele für von vornherein ungültige (nichtige) Arbeitsverträge seien hier die Nichtbeachtung besonderer Beschäftigungsverbote für Kinder und
Jugendliche gemäß §§ 5, 7 JArbSchG und für Mütter entsprechend §§ 3, 4 MuSchG genannt und ein Vertrag, der unter Ausnutzung einer Notlage, von Leichtsinn oder Unerfahrenheit abgeschlossen wurde und bei dem Leistung und Gegenleistung in einem so krassen Missverhältnis zueinander stehen, dass von Wucher zu sprechen ist.
Handelt es sich dabei um Lohnwucher (wenn z. B. ein Facharbeiter laut Arbeitsvertrag bei
einer 36-Stunden-Arbeitswoche einen Bruttolohn von monatlich 300 € erhält), ist in der
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1.2 Arbeitsvertrag und Tarifvertrag
1 Rechtsbewusstes Handeln
Regel nicht der gesamte Vertrag nichtig, sondern nur dieser Teil, der es ihm unmöglich
macht, trotz angemessener Arbeitsleistung den notwendigen Lebensunterhalt zu verdienen. Dann ist von Teilnichtigkeit zu sprechen: die Nichtigkeit des gesamten Vertrages
würde ja den Arbeitnehmerschutz in sein Gegenteil verkehren, z. B. die Kündigungsschutzbestimmungen umgehen. Die nichtige Lohnvereinbarung wird in diesem Fall durch
den Tariflohn bzw. durch eine angemessene Vergütung ersetzt.
Der Unterschied zwischen der Möglichkeit der Anfechtung und der von vornherein gegebenen Nichtigkeit besteht nun darin, dass erstere die Wahl gestattet, anzufechten oder
den Anfechtungsgrund fallen zu lassen und damit den Irrtum zu heilen, letztere nicht.
Wird aber mit Erfolg angefochten, ist der Vertrag rückwirkend unwirksam. Das ist zwar relativ unproblematisch, wenn noch keine Arbeitsleistung erbracht wurde, der vereinbarte
Arbeitsbeginn noch nicht eingetreten ist. Ist die Arbeit aber bereits aufgenommen, würde
es zu einer unbilligen Konsequenz führen, wenn trotz der geleisteten Arbeit der Arbeitnehmer aufgrund der Ungültigkeit des Vertrages keinerlei Ansprüche hätte. Deshalb ist von
Rechtsprechung und Lehre das Rechtsinstitut des »faktischen Arbeitsverhältnisses«
entwickelt worden: per factum (tatsächlich) hat ein Arbeitsverhältnis bestanden, der nichtige oder angefochtene Vertrag wird für die Vergangenheit jedoch als voll wirksam behandelt. Demzufolge bestehen Ansprüche des Arbeitnehmers auf Lohn und sogar auf die Bezahlung von Mehrarbeit und auf die Abgeltung des erworbenen Urlaubsanspruches.
Für die Zukunft aber kann dieses faktische Arbeitsverhältnis durch einseitige Erklärung
sofort beendet werden, ohne dass etwaige Kündigungsschutzbestimmungen wirksam
werden – es sei denn, die Nichtigkeit war von vornherein bekannt.
1.2.3
Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis
1.2.3.1
Überblick über Haupt- und Nebenpflichten
Wie bei jedem Schuldverhältnis bestehen auch bei der arbeitsrechtlichen Beziehung
wechselseitige Ansprüche, deren Grundlagen zunächst im BGB geregelt sind und die sich
aufgliedern in
– Hauptpflichten, resultierend aus § 611 BGB, als
– Dienstleistungspflicht des Arbeitnehmers und
– Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers;
– Nebenpflichten, insbesondere nach §§ 242 und 618 BGB, als
– Treuepflicht des Arbeitnehmers und
– Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.
Generell bilden die Pflichten der einen Seite eine Art Spiegelbild mit den Rechten der anderen. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Lohn ergibt sich aus der Verpflichtung des
Arbeitgebers, Lohn zahlen zu müssen. Diese wiederum besteht aber nur, wenn der Arbeitnehmer auch seiner Leistungspflicht nachgekommen ist. Die Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag stehen in einem Austauschverhältnis zueinander.
Die Nebenpflichten hingegen bestehen unabhängig davon, ob der andere Vertragspartner
seine korrespondierende Pflicht erfüllt. Sie lassen sich am besten als Interessenwahrungspflichten kennzeichnen: Der eine Vertragspartner hat sich für die Interessen des
anderen einzusetzen. Damit wird der Grundsatz von Treu und Glauben in das Arbeitsrecht
übernommen.
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1.2 Arbeitsvertrag und Tarifvertrag
Ein Beispiel: Der Arbeitgeber kommt nach Ansicht des Arbeitnehmers seiner Verpflichtung
nicht nach, ihn ausreichend vor Dämpfen und Lärm am Arbeitsplatz zu schützen. Dennoch bleibt die Pflicht des Arbeitnehmers, die Interessen des Arbeitgebers zu wahren und
Schaden abzuwenden, in vollem Umfang für ihn erhalten.
Damit wird deutlich, dass diese Pflichten aus dem Arbeitsvertrag stets beiderseitig und
unabhängig voneinander zu erfüllen, und sie auch nicht weniger wichtig sind, obwohl sie
die insoweit irreführende Bezeichnung »Nebenpflichten« tragen.
Neben dem Bürgerlichen Gesetzbuch sind die rechtlichen Grundlagen für die gegenseitigen Ansprüche in einer breit gestreuten Vielzahl von Normen zu finden. Beispielhaft sind
zu nennen: einige Artikel des Grundgesetzes, Bestimmungen in Gewerbeordnung,
Arbeitsstättenverordnung und Arbeitszeitgesetz, das Arbeitnehmererfindungsgesetz, Gerätesicherheitsgesetz und Betriebsverfassungsgesetz, die Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Unfallverhütungsvorschriften sowie jeder Einzelarbeitsvertrag.
1.2.3.2
Die Dienstleistungspflicht des Arbeitnehmers
Die Hauptpflicht des Arbeitnehmers ist in § 611 BGB verankert: Durch den Arbeitsvertrag
wird derjenige, der weisungsgebundene Arbeit zusagt, nämlich der Arbeitnehmer, zur
Leistung der versprochenen Arbeit verpflichtet. Art und Umfang dieser versprochenen Arbeit werden in der Regel durch den Arbeitsvertrag festgelegt. Da er jedoch nicht alle Einzelheiten festlegen kann, wird er durch Stellenbeschreibungen, Betriebsvereinbarungen,
mündliche Absprachen und einseitige Weisungen des Arbeitgebers ergänzt.
Das Weisungs- oder »Direktionsrecht« kann der Arbeitgeber auch an andere Arbeitnehmer delegieren. So hat der Industriemeister als Vorgesetzter
– gegenüber seinem Arbeitgeber die Pflicht, die vereinbarte Arbeitsleistung nach besten
Kräften zu erbringen und den ihm unterstellten Mitarbeitern Ziele zu setzen und sie zu
motivieren;
– gegenüber diesen Mitarbeitern das Recht, ihnen Einzelanweisungen im Rahmen ihres
Arbeitsvertrages zur Durchführung der betrieblich notwendigen Aufgaben zu geben.
Seine Grenzen findet das Weisungsrecht aber nicht nur im Einzelarbeitsvertrag, sondern
in allen Normen des Arbeitsrechts bis hin zum Strafgesetzbuch. Nur im Notfall ist der Arbeitnehmer wie jeder Bürger verpflichtet zu helfen, also im Betrieb Aufgaben auszuführen,
die nicht im Rahmen des Arbeitsvertrages liegen.
Ein solcher Notfall ist aber nur dann gegeben, wenn sich der Arbeitgeber in einer Zwangslage befindet, die er in keiner anderen, für ihn zumutbaren Art – und das ganz objektiv betrachtet – beseitigen kann, und darüber hinaus diese Notlage nur eine vorübergehende
ist. So fällt darunter ein drohender Schaden am Eigentum des Arbeitgebers, der nur durch
unmittelbaren Einsatz des Arbeitnehmers auch über seine Arbeitszeit hinaus verhindert
oder doch zumindest erheblich gemindert werden könnte (nicht dazu gehört jedoch z. B.
ein möglicher Auftragsverlust).
Weiterhin dürfen die Grenzen des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber kurzfristig überschritten werden, wenn Arbeiten auszuführen sind, für die keine besonderen Arbeitskräfte
eingestellt werden, z. B. Urlaubs- oder Krankheitsvertretung in zumutbarem Umfang, auch
Inventuraufgaben rechnen dazu. Aber stets ist neben der Frage der Zumutbarkeit die der
Verhältnismäßigkeit der Mittel zu prüfen – d. h. die Anordnung zur Erreichung des legitimen Zweckes muss geeignet und angemessen dafür sein – und eine Entscheidung ist
nur im Einzelfall möglich.
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1.2 Arbeitsvertrag und Tarifvertrag
1 Rechtsbewusstes Handeln
Überschreitet eine Anweisung des Arbeitgebers die Grenzen seines Direktionsrechts, ist
die Weisung für den Arbeitnehmer unverbindlich und braucht von ihm nicht befolgt zu werden. Dem Arbeitgeber ist es auch nicht möglich, durch Ausübung des Direktionsrechts
den bisherigen Arbeitsvertragsinhalt (z. B. hinsichtlich der Art der zu erbringenden Arbeitsleistung oder über die Höhe des Arbeitsentgeltes) einseitig abzuändern.
Ein Arbeitnehmer aber, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat,
kann verlangen, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit verringert oder auch verlängert wird (§§ 8 und 9 TzBfG), wobei Tendenzen bestehen, diesen Anspruch auf familiäre Gründe zu beschränken (Kinder, Pflegebedürftige u. a.).
Die Arbeitsleistung ist höchstpersönlich zu erbringen (§ 613 BGB), der Arbeitnehmer
kann sich nicht durch einen anderen, vielleicht arbeitslosen Freund vertreten lassen. Auch
der Arbeitgeber darf seinen Anspruch nicht auf einen Dritten übertragen, es sei denn, dieses ist vertraglich vereinbart, so beispielsweise bei Arbeitsplatzteilung oder bei gewerblicher Arbeitnehmerüberlassung (»Leiharbeit«), oder aber der Inhaber des Unternehmens
wechselt (dann hat der neue Inhaber in vollem Umfang die Rechte und Pflichten aus den
bestehenden Arbeitsverhältnissen zu übernehmen – § 613 a BGB).
Die Dienstleistungspflicht umfasst auch die Verpflichtung zur Mehrarbeit, allerdings stark
eingeschränkt durch Arbeitsvertrag, Tarifvertrag und möglicherweise Betriebsvereinbarungen sowie öffentlich-rechtliche Schutznormen, insbesondere das Arbeitszeitgesetz,
das die werktägliche Arbeitszeit (§ 3 ArbZG) beschränkt und Mindest-Ruhezeiten vorschreibt (§ 5 ArbZG – bei Jugendlichen nach Jugendarbeitsschutzgesetz). Wird die betriebliche Regelarbeitszeit, die möglicherweise erst über einen längeren Zeitraum hinaus
erreicht wird, überschritten, liegen Überstunden vor. Hier sind in der Praxis heute sehr individuelle Betriebsvereinbarungen oder Absprachen anzutreffen; allgemeingültige Aussagen sind nicht (mehr) möglich. Ganz gleich, welche betrieblichen Regelungen getroffen
werden: Immer sind alle Normen aus dem pyramidenmäßigen Stufenaufbau, insbesondere die zwingenden gesetzlichen Regelungen zur Höchstarbeitszeit einzuhalten.
Es ist im Einzelfall zu entscheiden, ob die Grenzen der gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen oder der Betriebsvereinbarungen, auch der so genannten »betrieblichen
Übungen«, überschritten sind, weil in diesen die wesentlichen Fragen zur Dienstleistungspflicht geregelt sind, nämlich
–
–
–
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die Art der Arbeitsleistung (das, was der Arbeitnehmer zu tun hat),
der Ort der Leistungserbringung (der Betrieb und seine Umwelt),
die Arbeitszeit (ihrer Lage nach mit Verteilungsmöglichkeiten),
der Umfang der Arbeitsleistung (Dauer, Tempo, Ruhepausen).
Als Beispiel für einen solchen Streitpunkt sei hier die Frage der Versetzung eines Arbeitnehmers im Rahmen seiner Dienstleistungspflicht und die möglichen Grenzen dafür aufgezeigt, verbunden mit dem Hinweis, dass solche Fragen durch neue Grundsatzurteile, die
der Fortentwicklung des Rechts dienen, auch einmal anders entschieden werden können.
Bei der Frage der Versetzung ist zunächst einmal unklar, ob hier der inhaltliche oder der
örtliche Aspekt einer Tätigkeit gemeint ist. Eine Definition des Begriffes ist in § 95, Absatz 3
BetrVerfG zu finden: »...Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die
Dauer von einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist.« Doch klarer ist der Begriff wohl
damit auch kaum, sodass nur die Möglichkeit bleibt, Grundsatzurteile heranzuziehen.
Diese verdeutlichen, dass eine Versetzung vorliegt, wenn
– eine erhebliche Änderung der Tätigkeitsart eintritt oder
– neben der Änderung der Tätigkeitsart gleichzeitig eine andere Einordnung in die Organisation des Betriebes erfolgt oder
– ein Ortswechsel, also ein Umzug des Arbeitnehmers, erforderlich ist.
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1.2 Arbeitsvertrag und Tarifvertrag
Bezogen auf die Dauer lässt sich allgemein nur formulieren, dass eine Versetzung nicht
gegeben ist, wenn dieser Umstand kürzer als einen Monat besteht, aber sicherlich vorliegt
bei einer zeitlichen Dauer von mehr als sechs Monaten. Über die Zeit dazwischen kann
nur im Einzelfall und unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers entschieden werden.
Ändert sich jedoch der konkrete Arbeitsplatz, nicht aber der Ort und die Art der Tätigkeit, so
liegt nur eine Umsetzung vor, die in der Regel nach dem Arbeitsvertrag möglich sein wird.
1.2.3.3
Die Treuepflicht des Arbeitnehmers
Wem dieser Begriff das erste Mal begegnet, dem mag er überholt erscheinen, und das ist
auf den ersten Blick hin auch nicht verkehrt, wie zahlreiche Diskussionen um die Rechtsausdrücke von Treu und Glauben zeigen. Doch wichtig ist, diese Treuepflicht des Arbeitnehmers, die sich aus dem Vertragsverhältnis ergibt, zeitgemäß zu verstehen; denn das
Arbeitsverhältnis entwickelt sich angesichts moderner Führungsmethoden und hochwer tiger maschineller Einrichtungen immer mehr zu einem Vertrauensverhältnis.
Heute ist es unstreitig, dass der Arbeitnehmer neben seiner Arbeitspflicht alles zu tun hat,
um einerseits Schaden von seinem Arbeitgeber und dessen Einrichtungen abzuwenden
und um andererseits die betrieblichen Interessen zu fördern, soweit ihm dieses möglich
und zumutbar ist. Unter Abwägung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat
er sich aufgrund der personenrechtlichen Beziehung für den Betrieb einzusetzen, und
zwar um so mehr, je ausgeprägter diese Beziehung, also je höher seine Stellung im Betrieb oder Unternehmen ist.
Für einen Industriemeister beispielsweise ist diese Verpflichtung daher sehr viel umfangreicher als für einen ungelernten Arbeiter, der vielleicht sogar nur einen befristeten Arbeitsvertrag hat.
Wichtigste Bereiche der Treuepflicht sind die folgenden:
– Anknüpfend an die besprochene Arbeitspflicht hat der Arbeitnehmer die Verpflichtung,
den Weisungen seines Arbeitgebers zu folgen, sofern diese nicht gegen bestehende
Gesetze oder gegen die guten Sitten verstoßen (häufig als »Gehorsamspflicht« bezeichnet). Selbst hat er dazu beizutragen, ein Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber
aufzubauen bzw. dieses weiter zu verbessern.
– Der Arbeitnehmer hat auf Ziele und Aktivitäten des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen
und diese soweit wie möglich zu fördern, und zwar – wie gesagt – umso mehr, je höher
seine Stellung ist – und umso mehr reicht diese Verpflichtung auch in die Freizeit des
Arbeitnehmers hinein.
– Dazu gehört auch die Vermeidung von Rufschädigungen der Firma, z. B. durch negatives Auftreten als Betriebsangehöriger (der dort Vorgesetzter ist) in der Öffentlichkeit,
die ihrerseits daraus Rückschlüsse auf den Betrieb ziehen könnte.
– Ebenso hat der Arbeitnehmer die Pflicht, Betriebsgeheimnisse zu wahren (vgl. auch
§ 17 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und § 79 BetrVerfG) sowie den
Arbeitgeber über bekannt gewordene negative Gerüchte zu informieren (diese letzte
Pflicht stellt ein Handeln dar, während die meisten Bereiche der Treuepflicht durch ein
Nicht-Handeln, ein Unterlassen, auszufüllen sind).
– Er hat schon von sich aus Maßnahmen zu ergreifen, die Schäden an Maschinen, Material und Einrichtungen des Betriebes verhindern oder zumindest mindern, auch über die
Arbeitszeit hinaus, wenn dadurch einer Ausweitung solcher wesentlicher Schäden entgegengewirkt werden kann.
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1.2 Arbeitsvertrag und Tarifvertrag
1 Rechtsbewusstes Handeln
– Der Arbeitnehmer hat den Betriebsfrieden zu wahren, sich kooperativ zu verhalten,
Streitereien und parteipolitische Aktivitäten im Betrieb zu unterlassen, auch wenn er
Mitglied einer politischen Partei ist und sich in seiner Freizeit stark engagiert.
– Ebenfalls darf er in der Regel ohne Zustimmung seines Arbeitgebers keine Nebentätigkeit ausüben und erst recht nicht in Wettbewerb zu seinem Arbeitgeber treten, beispielsweise die betrieblich erlangten Kontakte zum eigenen Vorteil und zum Nachteil des
Arbeitgebers ausnutzen. Soll dieses Wettbewerbsverbot über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus wirken, muss es aber schriftlich gesondert mit entsprechender Entschädigungsklausel, einer so genannten Karenzentschädigung, für die Dauer von bis
zu zwei Jahren vereinbart werden, vgl. § 74 HGB (verstößt der Arbeitnehmer dagegen,
hat der Arbeitgeber Anspruch auf Unterlassung und Schadenersatz).
Neuere Entscheidungen gestatten Nebentätigkeiten, wenn die Haupttätigkeit dadurch
nicht belastet wird. In der Regel enthalten Arbeitsverträge aber Klauseln, die eine Genehmigung solcher Nebentätigkeiten, wenn sie nennenswert sind, durch den Arbeitgeber
erfordern. Durch die Verpflichtung zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen bei
geringfügig Beschäftigten (§ 8 SGB IV) ist eine Anzeigepflicht für solche Nebentätigkeiten
gegeben.
Die Treuepflicht endet zwar grundsätzlich mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses, aber
Kenntnisse über betriebliche Produktionsmethoden oder andere Betriebsinterna unmittelbar nach dem Ausscheiden an Konkurrenzunternehmen weiterzutragen, stellt zweifelsfrei
eine nachvertragliche Verletzung der Treuepflicht dar, woraus sich – auch ohne vereinbartes Wettbewerbsverbot – zivilrechtliche Schadenersatzansprüche des bisherigen Arbeitgebers ergeben können.
1.2.3.4
Die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers
Der Anspruch auf Arbeitsentgelt, auf Vergütung in Form von Lohn, Gehalt oder Heuer –
möglicherweise zuzüglich Provision, Tantieme, Gratifikation, Sachbezüge in Form von
Verpflegung und Deputat in Form von Naturalien – ergibt sich als Gegenleistung für die
Arbeit ebenfalls aus § 611 BGB. Es ist die Pflicht des Arbeitgebers, diese Entgeltung der
geleisteten Arbeit nachträglich – in der Regel am Monatsende (§ 614 BGB) – in Euro bar
oder bargeldlos zu leisten.
Üblicherweise ist der Arbeitsvertrag – häufig in Verbindung mit einem Tarifvertrag – die
entscheidende Grundlage für die Lohnhöhe, die zusätzlich durch das bestimmt wird, was
im Betrieb üblich ist. Dieses gilt insbesondere dann, wenn der Vertrag die genaue Lohnhöhe nicht regelt (was sehr selten sein dürfte). Eine solche betriebsübliche Vergütung oder
ein Tarifmindestlohn für eine entsprechende Tätigkeit oder eine Bezahlung aufgrund von
Auskünften Sachverständiger hat immer dann zu erfolgen, wenn die Arbeitsleistung den
Umständen nach nur gegen eine Bezahlung zu erwarten ist (§ 612 BGB). Gegebenenfalls
gilt eine solche auch als stillschweigend vereinbart.
Dieser Lohn für geleistete Arbeit ist auch zu zahlen, wenn die Leistung unzureichend war.
Der Arbeitnehmer schuldet keinen Erfolg, sondern eine vereinbarte Tätigkeit zur vereinbarten Arbeitszeit. Es ist müßig, darüber zu diskutieren, welche Möglichkeiten der Arbeitgeber hat, wenn der Arbeitnehmer an seinem Arbeitsergebnis absolut uninteressiert ist,
von praktischer Bedeutung ist hier einzig und allein das Kündigungsrecht, das noch zu behandeln ist.
Zur Steigerung der Leistung wird im industriellen Bereich neben dem reinen Zeitlohn,
bei dem das Entgelt nur nach der Arbeitszeit bemessen wird, der Prämienlohn oder der
Akkordlohn verwendet. Hierbei erhöht sich der Arbeitslohn proportional mit der Zahl der
geleisteten Arbeitseinheiten. Bei Normalleistung ergibt sich der Normallohn bzw. Tariflohn.
74
Der Industriemeister Lehrbuch 1 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
1 Rechtsbewusstes Handeln
1.2 Arbeitsvertrag und Tarifvertrag
Ein Absinken unter den (vereinbarten) Tariflohn wird oftmals durch Verdienstsicherungsklauseln in Tarifverträgen verhindert. Andererseits bietet der Akkord dem Arbeitnehmer
die Möglichkeit, mehr zu verdienen als im Zeitlohn. Wichtig dafür ist eine sorgfältige Ermittlung der Vorgabezeit, des Zeitbedarfes also, der für eine Normalleistung erforderlich
ist. Dazu werden arbeitswissenschaftliche Methoden genutzt, die auf einer intensiven und
detaillierten Beobachtung des Arbeitsablaufes beruhen (z. B. das deutsche REFA-System
oder das amerikanische MTM-System – Measuring-Time-Methods).
Die sinnvolle, d. h. leistungssteigernde Anwendung der Akkordentlohnung herkömmlicher
Art findet allerdings dort ihre Grenze, wo die Ausbringungsmenge nicht mehr bzw. kaum
noch durch den Arbeitnehmer beeinflussbar ist. Dies gilt in zunehmendem Umfang für teilbzw. vollautomatisierte Fertigungsabläufe.
In jüngerer Zeit ist wieder verstärkt die Frage aufgetaucht, in welchen Fällen der Arbeitslohn auch bei fehlender Arbeitsleistung fortzuzahlen ist. Diese Entscheidung ist im Einzelfall zu treffen aufgrund der Regelungen im Arbeitsvertrag und im zugehörigen Tarifvertrag,
wo häufig die entsprechenden Tatbestände aufgelistet sind. Ist für den zu entscheidenden
Einzelfall ein solcher Tarifvertrag gültig, so ist zu prüfen, ob beispielsweise ein notwendiger Arztbesuch angeführt ist. Wenn das der Fall ist, muss der Lohn dafür fortgezahlt werden, wenn nicht, besteht eine solche Pflicht seitens des Arbeitgebers nicht. Der Tarifvertrag kann die gesetzliche Regelung »Vergütungspflicht trotz vorübergehender
Arbeitsverhinderung« (§ 616 BGB) näher ausgestalten.
Gesetzlich zwingend ist die Entgeltfortzahlung nur für den Mindesturlaub (§ 3 BUrlG) sowie für die ersten sechs Wochen einer Krankheit – nach vierwöchiger ununterbrochener
Dauer des Arbeitsverhältnisses – (§ 3 Entgeltforzahlungsgesetz – EntgeltFG) oder z. B.
für Feiertage (§ 2 EntgeltFG), für die Teilnahme an einem Ausbildungslehrgang für Unfallverhütung.
Liegt keine gesetzliche oder tarifliche Regelung für die Entgeltfortzahlung in Einzelfällen
vor, ist grundsätzlich immer dann fortzuzahlen, wenn der einzelne Arbeitnehmer kurzfristig
aufgrund unverschuldeter persönlicher Gründe an der Arbeitsleistung gehindert ist, z. B.
–
–
–
–
–
–
–
unaufschiebbare Behördengänge, die nur während der Arbeitszeit möglich sind,
plötzliche, schwer wiegende Erkrankung des nächsten Angehörigen,
Ladung vor Gericht als Zeuge oder Tätigkeit als Laienrichter,
bedeutsame familiäre Ereignisse (Geburt, Hochzeit, Beerdigung),
Umzug oder Stellungssuche (zu letzterer vgl. § 629 BGB),
Unfall auf dem Weg zur Arbeit,
verspätetes Erscheinen aufgrund der Verkehrssituation.
Gerade im letzten Fall kommt es entscheidend auf die individuelle Verhinderung an: Fallen
nämlich – beispielsweise infolge eines Naturereignisses – sämtliche Verkehrsmittel aus,
und ist es damit allen Arbeitnehmern nicht mehr möglich, (rechtzeitig) am Arbeitsplatz zu
erscheinen, wäre der Arbeitgeber überfordert, allen den Lohn weiterzahlen zu müssen.
Betrifft es aber nur einen oder wenige Arbeitnehmer, so liegt eine persönliche Verhinderung im Sinne des Gesetzes vor. Dann ist der Lohn fortzuzahlen, so hat die Rechtsprechung entschieden, es sei denn, dies ist aus anderen Gründen unzumutbar.
Kommt aber eine Störung des betrieblichen Ablaufes aus dem Bereich des Arbeitgebers,
z. B. durch Rohstoffmangel, Maschinenausfall, auch Blitzschlag, so ist dies sein Betriebsrisiko, das er nicht auf seine Arbeitnehmer abwälzen darf. Deshalb hat er die Arbeitnehmer in solchen Fällen weiterhin zu entlohnen (§ 615 BGB) – es sei denn, der Bestand des
Unternehmens würde dadurch nachweislich ernsthaft gefährdet.
Die Rechtsprechung hat für die Prüfung der Entgeltfortzahlung die »Sphärentheorie«
entwickelt: Kommt die Betriebsstörung aus der Sphäre (dem Bereich) des Arbeitgebers
(z. B. Überschwemmung der Betriebsstätte, was durch vorbeugende Maßnahmen hätte
verhindert werden können), so hat der Arbeitgeber den Schaden zu tragen und damit
auch den Lohn fortzuzahlen.
Der Industriemeister Lehrbuch 1 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
75
1.2 Arbeitsvertrag und Tarifvertrag
1 Rechtsbewusstes Handeln
Dazu gehören auch die Verschlechterung der Wirtschaftslage und Auftragsmangel. Wenn
aber die Betriebsstörung auf das Verhalten der Arbeitnehmer zurückzuführen ist (z. B.
Streik), rechnet sie zur Sphäre der Arbeitnehmer, für die damit der Lohnanspruch entfällt.
Im Falle einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit besteht Entgeltfortzahlungspflicht –
gesetzlich in Höhe des regelmäßigen Arbeitsentgelts – bis zum Ablauf der 6. Woche der
Erkrankung; danach erhält der Arbeitnehmer Krankengeld von seiner Krankenkasse.
Nimmt der Arbeitgeber die Krankheit zum Anlass, das Arbeitsverhältnis zu kündigen,
dann mag zwar im Einzelfall die Kündigung das Arbeitsverhältnis rechtswirksam beenden,
an der sechswöchigen Lohnfortzahlungspflicht ändert dies aber nichts. Jede neue Erkrankung lässt den Fortzahlungsanspruch neu entstehen, es sei denn, dass zu einer bestehenden Krankheit eine neue Krankheitsursache hinzutritt (z. B. ein für zwei Wochen infolge einer Grippe krankgeschriebener Arbeitnehmer bricht sich nach drei Tagen ein Bein);
dann ist der Anspruch auf jeden Fall auf 6 Wochen insgesamt begrenzt.
Wichtig ist, dass der erkrankte Arbeitnehmer unverzüglich dem Arbeitgeber die Krankheit
meldet und spätestens nach drei Tagen durch ein ärztliches Attest nachweist; denn ohne
Meldung fehlt er unentschuldigt. Der Arbeitgeber kann die Leistung verweigern, bis er die
Bescheinigung, die er auch schon vor dem dritten Tag verlangen kann, erhält (§§ 5 und 7
EntgeltFG). Weiterhin darf der Arbeitnehmer die Erkrankung nicht schuldhaft herbeigeführt
haben (§ 617 i.V.m. § 276 BGB). Ist durch Verschulden eines Dritten – z. B. durch einen Verkehrsunfall – die Arbeitsunfähigkeit eingetreten, geht der Schadenersatzanspruch des
Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber über bis zur Höhe des Bruttoentgelts (§ 6 EntgeltFG).
Die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers besteht auch dann, wenn er eine angebotene
Arbeitsleistung nicht annimmt, obwohl der Arbeitsvertrag besteht, bzw. wenn er notwendige Arbeitsräume oder Werkzeuge nicht bereitstellt (nach §§ 615, 293 BGB befindet er sich
im Annahmeverzug). Ebenso besteht die Verpflichtung zur Zahlung des Lohnes, wenn dem
Arbeitnehmer nach erfolgter ordentlicher Kündigung Hausverbot erteilt wird oder wenn
gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitsauflagen, die zur Weiterarbeit zwingend sind, nicht
erfüllt werden, obwohl der Arbeitnehmer sie – mit Fristsetzung – angemahnt hat.
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Arbeitgeber für regelmäßige Messungen und Schutzmaßnahmen zu sorgen hat, wenn das Auftreten von gefährlichen Stoffen (wie Asbest) in der Luft am Arbeitsplatz nicht sicher auszuschließen ist. Beschäftigte
haben das Recht, die Arbeit zu verweigern, wenn die Toleranzwerte überschritten werden
und eine unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit besteht. Die Grenzwerte in der
Luft am Arbeitsplatz einzuhalten, kann aber auch schon zur Fürsorgepflicht gerechnet
werden, ganz abgesehen davon, dass hier eine öffentlich-rechtliche Norm vorliegt, also eine Verpflichtung auch gegenüber dem Staat (씮 Abschn. 1.5 und 1.6).
Ebenfalls in den Übergang zum Bereich der Fürsorgepflicht gehört die Beschäftigungspflicht bzw. der Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Tätigkeit, entwickelt
vom Bundesarbeitsgericht in Ansehung des Grundrechtes der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG). Ausnahmen: der Arbeitnehmer ist freigestellt wegen schwerer Verletzung des Betriebsfriedens, wegen Verstoßes gegen grundlegende Betriebsinteressen
mit erheblichem Umfang oder wegen Arbeitsmangels.
1.2.3.5
Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Als gesetzliche Pflicht trifft den Arbeitgeber die Sorge für den Arbeitnehmer, für sein Leben und seine Gesundheit (§ 618 BGB). Auch diese Fürsorgepflicht reicht – wie die Treuepflicht – nur so weit, dass deshalb nicht die berechtigten Interessen der anderen Seite
vernachlässigt werden dürfen. So überholt auch die Begriffe sein mögen, ihr Inhalt wird
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2 Betriebswirtschaftliches Handeln
2.1 Ökonomische Handlungsprinzipien ...
Die Zurechnung eines Gutes zu den Konsum- oder zu den Produktionsgütern setzt also
voraus, dass man ihren Verwendungsbereich kennt.
Die Gliederung nach dem Verwendungsbereich hat zugleich den praktischen Zweck, Produktions- und Konsumgüter für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung statistisch
eindeutig erfassbar zu machen.
Zu c) Gebrauchs- und Verbrauchsgüter
Die Konsumgüter werden untergliedert in Gebrauchsgüter und Verbrauchsgüter.
Das Kennzeichen der Verbrauchsgüter ist, dass man sie nur einmal nutzen kann (Lebensmittel, Schreibpapier, alle Dienstleistungen).
Kennzeichen der Gebrauchsgüter ist dementsprechend, dass man sie mehr als einmal
nutzen kann; es können kurzlebige Güter (wie z. B. Feinstrumpfhosen) oder langlebige
(wie z. B. Möbel) sein.
Eine ähnliche Aufgliederung kann man für die Produktionsgüter vornehmen.
Die Beziehungen zwischen den erläuterten Gütergruppen lassen sich wie folgt darstellen:
Gliederung der wirtschaftlichen Güter
2.1.1.2.3
Beispiele für Güterknappheit
Der erste Grund der Knappheit ist ein Bedürfnis. Ein seltenes Gut z. B. ist nicht knapp,
wenn kein Bedürfnis nach ihm besteht. Es ist dann kein wirtschaftliches Gut.
Die Seltenheit allein bestimmt also nicht den Wert eines Gutes. Aber ebensowenig bestimmen die Kosten den Wert, den ein Gut hat. Ein zu teuer gefertigtes Gut wird niemand
zum Kostenpreis kaufen.
Nur der Marktpreis ist der Gradmesser der Knappheit eines Gutes; aber nur der tatsächlich am Markt nach Angebot und Nachfrage gezahlte Marktpreis, nicht etwa der vom Verkäufer geforderte oder der vom Käufer gewünschte oder gar ein gesetzlich vorgeschriebener Preis.
Jedes wirtschaftliche Gut ist ein Beispiel für Güterknappheit: ein »Cent-Bonbon«, ein teurer Pkw, Kleidung, kostbare Möbel, Gold als schmückender und industrieller Werkstoff,
das tägliche Brot.
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17
2.1 Ökonomische Handlungsprinzipien ...
2 Betriebswirtschaftliches Handeln
Bei Preiserhöhungen, die für den Konsumenten eine Verknappung bedeuten (durch Verknappung seiner Kaufkraft), wird weniger gekauft. Bei Preissenkung steigt der Absatz. Der
Grad der Knappheit ändert sich. Das Gut bleibt ein knappes Gut.
2.1.2
Wirtschaften – Inhalt und Maßstäbe
2.1.2.1
Was heißt Wirtschaften?
Es ist unmöglich, die zur Bedürfnisbefriedigung nötigen Güter zu freien Gütern, also in beliebiger Menge kostenlos verfügbar zu machen und dadurch die Knappheit der Güter zu
überwinden.
Deshalb besteht der Inhalt wirtschaftlichen Handelns darin, die Güterknappheit nach Kräften zu mindern.
Wirtschaften ist zielbewusstes Handeln zur Befriedigung wirtschaftlicher Bedürfnisse mit knappen Mitteln.
2.1.2.2
Das ökonomische Prinzip
Um dem Ziel des Wirtschaftens möglichst nahe zu kommen, müssen die Betriebe stets
dem Wirtschaftlichkeitsprinzip (dem ökonomischen Prinzip) folgen: sie müssen mit den
vorhandenen Mitteln das mögliche Maximum an Gütern erzeugen (Maximalprinzip) oder
ein bestimmtes Gut mit einem Minimum an Kosten herstellen (Minimalprinzip oder Sparprinzip).
Maximalprinzip und Minimalprinzip sind die beiden Varianten des Wirtschaftlichkeitsprinzips. Sie enthalten je eine feste Vorgabe und eine wirtschaftliche Aufgabe.
Die Begrenztheit der eigenen Kraft und der verfügbaren Mittel bringen den Menschen als
vernunftbegabtes Wesen dazu, beim Wirtschaften grundsätzlich das ökonomische Prinzip
anzuwenden. Durch unwirtschaftliches Handeln (Vergeudung) würde er seiner eigenen
Zielsetzung entgegenwirken.
Das Wirtschaftlichkeitsprinzip (oder ökonomische Prinzip) ist das Grundprinzip des
Wirtschaftens.
2.1.2.3
Unternehmenskennzahlen als Maßstäbe
Die Leistungserstellung der Volkswirtschaft vollzieht sich in Betrieben. Deshalb muss hier,
am Ort des Geschehens, auf Wirtschaftlichkeit geachtet werden. Um die Einhaltung des
ökonomischen Prinzips beurteilen zu können, bedienen sich die Betriebe einer Reihe von
Kennzahlen. Zu unterscheiden sind dabei vor allem:
1. Verhältniszahlen:
– Beziehungszahlen,
– Gliederungszahlen,
– Messzahlen;
2. Indexzahlen.
Beziehungszahlen zeigen die Beziehung zwischen zwei der Art ihres Inhalts nach
verschiedenen Größen. Sinnvoll sind Beziehungszahlen nur, wenn zwischen den in Beziehung gesetzten Größen ein gewisser Wirkzusammenhang besteht.
18
Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
2 Betriebswirtschaftliches Handeln
2.1 Ökonomische Handlungsprinzipien ...
Beispiel:
Die produzierte Stückzahl soll in Beziehung zur aufgewendeten Zeit gesetzt werden. Wenn
64.000 Stück in 8 Stunden gefertigt werden, lautet die Beziehungszahl: 64.000 Stück /
8 Stunden; gekürzt: 8.000 Stück / Stunde.
Gliederungszahlen gliedern eine Menge auf.
Das Gesamtkapital einer Unternehmung in Höhe von 1.000.000 Euro bestehe aus
600.000 Euro Eigenkapital und 400.000 Euro Fremdkapital. Gliederungszahlen sind hier:
– Eigenkapital / Gesamtkapital = 6 : 10
– Fremdkapital / Gesamtkapital = 4 : 10
Messzahlen geben an, wie sich zwei gleichartige, jedoch räumlich oder zeitlich verschiedene Merkmalswerte zueinander verhalten. Die Vergleichbarkeit wird dadurch erreicht,
dass alle Werte auf eine Basisperiode bezogen werden.
Die Umsatzzahlen der Produkte A und B sollen für die letzten drei Monate miteinander
verglichen werden. Für die beiden Zeitreihen A und B
A: 2.400 (Mai); 2.800 (Juni); 3.300 (Juli)
B: 1.100 (Mai); 1.250 (Juni); 1.420 (Juli)
wird der Monat Mai als Basismonat jeweils mit 100 festgesetzt; die Folgewerte drücken jeweils (auf ganze Zahlen gerundet) die Relation zu 100 aus:
A: 100 (Mai); 117 (Juni); 138 (Juli)
B: 100 (Mai); 114 (Juni); 129 (Juli)
Jetzt wird erkennbar, dass die Umsatzentwicklung von B hinter derjenigen von A zurückgeblieben ist.
Indexzahlen geben eine Veränderung an gegenüber einer Ausgangsbasis, die gleich 100
gesetzt wird.
Haben sich Bronzebleche gegenüber einem Basisjahr um 12 % verteuert, dann ist der
Preisindex jetzt 112.
Produktivitäts-, Wirtschaftlichkeits-, Rentabilitäts- und Liquiditätszahlen sind besonders
wichtige Indikatoren für das betriebliche Geschehen bzw. den betrieblichen Erfolg.
Produktivität
Die Produktivität kennzeichnet die technische Ergiebigkeit von Einsatzmengen. Produktivitätsmesszahlen geben ein Mengenverhältnis an, das Verhältnis von Ausbringungs- zu
Einsatzmenge (Output zu Input).
Beispiele:
Bei Gießverfahren:
In der Porzellanbrennerei:
t Ausbringung
Verwertbare Stückzahl
t Einsatz
Charge an eingebrachten Rohteilen
Stets wird die technische Ergiebigkeit eines Einsatzfaktors gemessen, also diejenige
– einer Arbeitsleistung,
– eines Betriebsmittels (Maschine, Anlage usw.) oder
– eines Werkstoffes.
Da man weder verschiedene Güter noch verschiedene Maßeinheiten vergleichen kann,
lassen sich Produktivitätskennzahlen im Betrieb nur sehr begrenzt für Teilbereiche zu Vergleichen verwenden, z. B. für gleichartige Arbeitsplätze oder gleichartige Werkstätten.
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2.1 Ökonomische Handlungsprinzipien ...
2 Betriebswirtschaftliches Handeln
Wirtschaftlichkeit
Bewertet man Output und Input mit Geldeinheiten (Euro), dann wird aus einem Mengenverhältnis ein Wertverhältnis. Damit verlässt man die Gruppe der Produktivitätsmesszahlen und kommt zu den Wirtschaftlichkeitsmesszahlen.
Die Wirtschaftlichkeit gibt ein Wertverhältnis an zwischen dem Wert einer Ausbringungsmenge und dem Wert einer Einsatzmenge; es wird der Wert einer Leistung zu ihren Kosten ins Verhältnis gesetzt.
Wirtschaftlichkeit =
Wert der Leistung in €
Kosten der Leistung in €
Die Bewertung von Kosten und Leistungen mit Geldeinheiten ermöglicht die Addition von
zusammengesetzten Kosten und von zusammengesetzten Leistungen. Dadurch lässt sich
die Wirtschaftlichkeit ermitteln, wo man verschiedenartige Mengen nicht addieren kann.
Die Anwendungsmöglichkeiten der Wertrelationen als Wirtschaftlichkeitsmesszahlen sind
so vielfältig, dass sie neben den absoluten Zahlen die Hauptrolle bei der Auswertung des
betrieblichen Rechnungswesens spielen.
Rentabilität
Während sich Produktivität und Wirtschaftlichkeit auf den Innenbereich der Betriebe beziehen, zeigt die Rentabilität die relative Unternehmensleistung im Markt.
Rentabilität ist der Prozentsatz, um den sich risikotragendes Betriebskapital im Jahr vermehrt. Risikotragendes Betriebskapital ist das am Jahresanfang eingesetzte Eigenkapital.
Endkapital – Anfangskapital = Gewinn
Rentabilität =
Gewinn € · 100
eingesetztes Eigenkapital €
=x%
Beispiele:
Rentabilität =
8.000 € Gewinn · 100
=
100.000 € einges. Eigenkapital
8 · 100
=8%
100
oder:
Rentabilität =
8.000 € Gewinn · 100
80.000 € einges. Eigenkapital
=
8 · 100
80
= 10 %
oder:
Rentabilität =
160.887 € Gewinn · 100
1.340.276 € einges. Eigenkapital
= 0,12 · 100 = 12 %
Wenn der Fremdkapitalzins niedriger ist als die Eigenkapitalrentabilität, kann man zumeist
durch Fremdkapitaleinsatz die Rentabilität des Eigenkapitals noch steigern.
Zwischen Produktivität, Wirtschaftlichkeit und Rentabilität bestehen Zusammenhänge.
Entscheidend für eine Unternehmung ist letztlich die Rentabilität. Im Leben eines Unternehmens gibt es gute und schlechte Zeiten. Ist ein Jahresergebnis schlecht, so ist die
Rentabilität gering, wenn nicht sogar ein Verlust vorliegt. Auf längere Sicht muss aber die
Rentabilität den Einsatz des Kapitals höher belohnen als seinen Einsatz in einer anderen
Verwendung. Sonst wird das Kapital aus der Unternehmung abgezogen.
20
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2 Betriebswirtschaftliches Handeln
2.1 Ökonomische Handlungsprinzipien ...
Voraussetzung hoher Rentabilität ist hohe Wirtschaftlichkeit aller Einzelprozesse, die zur
Leistungserstellung im Betrieb beitragen. Innerhalb wirtschaftlicher Prozesse kann die
Steigerung der Produktivität die Wirtschaftlichkeit und damit die Rentabilität erhöhen,
wenn dadurch eine Harmonisierung des Fertigungsprozesses im Sinne einer Leistungsabstimmung der Teilkapazitäten erfolgt: Engpässe beheben, Überkapazitäten nicht mit
Kapitaleinsatz noch produktiver machen. Eine Erhöhung der Produktivität ist demnach
nicht immer wirtschaftlich. Immer ist jedoch die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit Voraussetzung für die Erhöhung der Rentabilität. Ein durch mangelnde Nachfrage unrentabler Betrieb kann jedoch auch durch höchste Wirtschaftlichkeit nicht rentabel werden: Veraltete
Produkte werden nicht gekauft, selbst wenn sie höchst wirtschaftlich erzeugt wurden.
Liquidität
Liquide sein heißt flüssig, zahlungsfähig sein. Liquidität ist die Zahlungsfähigkeit einer
Unternehmung. Eine Unternehmung, die nicht zahlungsfähig ist, wird nicht mehr beliefert,
Kredite werden abgezogen, die Existenz des Unternehmens ist gefährdet. Andererseits ist
zuviel Liquidität unwirtschaftlich. Ein Produktionsbetrieb ist keine Bank und sollte seine
Rentabilität aus seiner Produktionsleistung beziehen. Mehr Geld in der Kasse als zur Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen nötig ist, bedeutet Zinsverlust und mindert die Rentabilität. Der schmale Grat der richtigen Liquidität erfordert ihre laufende Überwachung und
Steuerung. Diese erfolgt durch einen täglich fortgeschriebenen Zahlungsmittelplan im
kaufmännischen Rechnungswesen, in Großbetrieben in einer eigenen Finanzabteilung.
Man unterscheidet verschiedene Grade der Liquidität.
Liquidität 1. Grades ist die Barliquidität: Geld, das bar oder auf Giro- oder Forderungskonten sofort für Zahlungen verfügbar ist.
Liquidität 2. Grades umfasst geldwerte Bestände, die kurzfristig verkauft und so zu Geld
gemacht werden können.
Liquidität 3. Grades umfasst Bestände an Sachvermögen, das erst längerfristig in Geld
umgewandelt werden kann.
Diese Beträge müssen aber noch zu den Fristen der Zahlungsverpflichtungen in Beziehung gesetzt werden, um festzustellen, inwieweit ein Unternehmen seine Zahlungsverpflichtungen termingerecht erfüllen kann.
Zur Kontrolle und Abstimmung können folgende oder ähnliche Kennzahlen dienen:
Liquidität 1. Grades =
Liquidität 2. Grades =
Liquidität 3. Grades =
flüssige Mittel (= Bankguthaben, Kasse, Besitzwechsel, Schecks)
kurzfristiges Fremdkapital
flüssige Mittel + Forderungen
kurzfristiges Fremdkapital
· 100
· 100
gesamtes Umlaufvermögen (Flüssige Mittel, Forderungen,
Roh-, Hilfs- u. Betriebsstoffe, Halb- u. Fertigfabrikate)
kurz- und mittelfristiges Fremdkapital
· 100
Andere, ähnliche Messzahlen unterscheiden Liquidität 1. bis 4. Grades.
Ist das Ergebnis größer oder gleich 1, dann können die Verpflichtungen termingerecht erfüllt werden. Liegt das Ergebnis unter 1, dann muss die Liquidität durch Umschuldung
oder Umbau der Vermögensstruktur verbessert werden.
Die fristgerechte Erfüllung aller Zahlungsverpflichtungen ist Ziel der Liquiditätssicherung.
Nur ausnahmsweise sollte zur Verhinderung einer Zahlungsstockung ein (teurer!) Überbrückungskredit aufgenommen werden müssen.
Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
21
2.1 Ökonomische Handlungsprinzipien ...
2 Betriebswirtschaftliches Handeln
2.1.2.4
Der Produktionsprozess als Faktorkombination
2.1.2.4.1
Die volkswirtschaftlichen Produktionsfaktoren
Im Jahre 1775 veröffentlichte der Engländer Adam SMITH sein Buch »Untersuchung über
die Natur und die Ursachen des Reichtums der Nationen«. Arbeitslohn, Kapitalgewinn und
Grundrente (Pachteinnahmen) sind danach die Quellen finanziellen Wohlstands. Dementsprechend wurden die menschliche Arbeit, Kapital und Boden als die Faktoren bezeichnet, aus denen sich der Wohlstand entwickeln lässt.
Spätere Systematiker haben die Reihenfolge geändert und Arbeit und Boden als die ursprünglichen (originären) Produktionsfaktoren vorangestellt und das Kapital den abgeleiteten Produktionsfaktor genannt; abgeleitet, weil er erst durch Kombination der originären
Faktoren Arbeit und Boden entsteht.
Kapital in diesem Sinne sind Sachgüter (!), die nicht für Konsum verbraucht wurden; es
sind die Produktionsgüter (씮 Abschn. 2.1.1.2.2). Die Leistung von Arbeitstieren oder Maschinen ist nicht Arbeits-, sondern Kapitaleinsatz. In diesem Sinne sind die klassischen
volkswirtschaftlichen Produktionsfaktoren
Arbeit, Boden und Kapital.
Da es ohne die primäre Tätigkeit des Menschen keine Gütererzeugung gäbe, ist nur der
Mensch der Träger des Produktionsfaktors Arbeit.
Der volkswirtschaftliche Produktionsfaktor Boden umfasst die drei Nutzungsarten: Abbau,
Anbau und Bebauung.
Zum Boden gehört alles, was schon vor dem Menschen vorhanden war. Zum Abbauboden gehören die Bodenschätze, die Fischbestände im Meer, in Flüssen und Seen, alle
Wildtiere, Urwälder, die Wasserkraft, Wind und Sonnenenergie. Zum Anbauboden gehören alle Anpflanzungen, Zuchttiere, einschließlich der Fischzucht. Bebauungsboden
schließlich ist der Boden für jegliche Bauwerke.
Produziert der Mensch in einer Periode mehr Güter, als ihm in der Produktionsperiode als
Konsumgüter zur Bedürfnisbefriedigung zufließen, dann schafft er bekanntlich Produktionsgüter, sei es in Form von Vorräten oder als Produktionsmittel zur Verbesserung von
Produktionsprozessen. Aus den ursprünglichen Produktionsfaktoren Arbeit und Boden
entsteht der Faktor Kapital. Nur diese vorproduzierten Güter, nicht etwa Geldkapital, bilden den volkswirtschaftlichen Produktionsfaktor Kapital.
In der heutigen Industriegesellschaft hat Kapital entscheidende Bedeutung. Denn beim
Faktor Arbeit lässt sich die Menge (Mannstunden pro Jahr) kaum vergrößern, nur die
Qualität durch Ausbildung verbessern. Der Faktor Boden ist als Abbauboden, Anbauboden und als Standort zumindest bei uns nicht vermehrbar. Er wird zu knapp, sogar für
Wohngebiete, Bewegungsflächen und Abfallbeseitigung. Kapital ist dagegen der Produktionsfaktor, bei dem sich Quantität und Qualität (durch Hochleistungsmaschinen, Roboter,
Computer) steigern lassen.
Kapital gibt Nutzungen ab, durch deren Kombination mit den ursprünglichen Faktoren Arbeit und Boden sich deren Ergiebigkeit erhöhen lässt.
Quantität und Qualität des Kapitals bestimmen die Leistungsfähigkeit der Industriewirtschaft. Selbst im Dienstleistungssektor ist erheblicher Kapitaleinsatz zur Rationalisierung
unabdingbar: Im Transportwesen durch Bahnen, Lkw, Schiffe und Flugzeuge, in Banken
und Versicherungen durch elektronische Datenverarbeitung, in medizinischen Praxen und
Freizeiteinrichtungen durch teure Geräte, usw.
22
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2 Betriebswirtschaftliches Handeln
2.1 Ökonomische Handlungsprinzipien ...
Die Bedeutung des Kapitals als Produktionsfaktor hat in der Industriegesellschaft zwei Seiten. Die eine ist die Humanisierung der Arbeitswelt dadurch, dass Maschinen dem Menschen Schwerarbeit und die Monotonie repetitiven Arbeitsvollzugs abnehmen. Außerdem
werden dem Konsumenten mehr Güter ohne mehr menschliche Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt. Die andere Seite ist die Starrheit der Kapitalbindung in industriellen Produktionsapparaten. Sie erschwert eine Anpassung der Produktion an Nachfrageveränderungen. Die Folge von Änderungen der Nachfragestruktur sind Krisen, die besonders
kapitalintensiv arbeitende Unternehmungen bzw. Wirtschaftszweige treffen. Insolvenzen
treten zunächst dort und anschließend durch den nachfolgend allgemeinen Nachfragerückgang in anderen Wirtschaftsbereichen ein. Das ist die Kehrseite der industriellen Fertigung.
2.1.2.4.2
Die Minimalkostenkombination als Ziel
Es gibt Produktionsprozesse, bei denen, naturwissenschaftlich oder technisch bedingt,
nur eine bestimmte Kombination von Produktionsfaktoren das Erzeugnis ergibt (z. B. bei
zahlreichen chemischen Verbindungen).
Es gibt aber auch Fertigungsprozesse, bei denen in gewissen Grenzen ein Produktionsfaktor durch einen anderen ersetzt (substituiert) werden kann; z. B. kann menschliche
Arbeitsleistung durch Kapital (Maschinen, Roboter) substituiert werden oder umgekehrt.
Dann ist es sinnvoll, die Kombinationsmöglichkeiten der Produktionsfaktoren durchzurechnen, um für eine angestrebte Erzeugnismenge die günstigste Faktorkombination zu
ermitteln.
Allerdings sind nicht die Mengenverhältnisse (die Produktivität) ausschlaggebend. Welcher Faktoreinsatz »am günstigsten« ist, hängt von den Kosten ab. Man wird versuchen,
jeweils den teureren der Produktionsfaktoren so weit durch den billigeren zu ersetzen, bis
die Faktorkombination insgesamt die Minimalkostenkombination ergibt. Je nach der gestellten Aufgabe bzw. der herzustellenden Stückzahl kann z. B. der Faktor Arbeit (Lohn)
billiger oder teurer sein als der Faktor Kapital (Maschinenkosten). Die kostengünstigste
Faktorkombination, das heißt das kostengünstigste Herstellungsverfahren, muss errechnet werden. Die Minimalkostenkombination wird jeweils eine andere sein bei Einzel-, bei
Serien- und bei Massenfertigung.
2.1.2.5
Zielkonkurrenz
Obwohl nicht nur rationale Gründe das Hauptziel einer Unternehmung bestimmen, kann
doch in der Regel das Gewinnstreben als wichtigste langfristige Zielsetzung angesehen
werden. Das Gewinnstreben setzt voraus, dass zunächst Nebenziele erreicht werden, um
kontinuierlich eine gesunde wirtschaftliche Basis zu schaffen. Jedenfalls gilt das für alle
erwerbswirtschaftlich tätigen Unternehmen, die auf Dauer angelegt sind.
Eine Zielhierarchie (Zielrangfolge) als Grundlage für das Handeln im Betrieb ist erheblich
von innerbetrieblichen und außerbetrieblichen Bedingungen (Konkurrenz, Umwelterfordernisse, Preisentwicklung für Produkte, Werkstoffe, Löhne und Geldmittel – Zins – u. a.)
abhängig. In vielen Punkten ergibt sich eine Zielkonkurrenz. Hinzu kommt, dass die Vielzahl der äußeren Einflüsse sich jederzeit ändern kann.
Man kann zwar die Leitgrundsätze nach (übergeordneten) Haupt- und (untergeordneten)
Nebenzielen unterscheiden. Aber die Veränderungen, die im Zeitablauf eintreten, machen eine dauerhafte Festlegung, insbesondere der Nebenziele, gänzlich unmöglich. Je
nach den Änderungen des Datenkranzes, der den Betrieb umgibt, sind Zielkorrekturen erforderlich.
Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
23
2.1 Ökonomische Handlungsprinzipien ...
2 Betriebswirtschaftliches Handeln
Eine andere Unterscheidung der Ziele als in Haupt- und Nebenziele ist die in
a) konkurrierende,
b) komplementäre und
c) indifferente Ziele.
Zu a) Konkurrierende Ziele
Konkurrieren die Ziele miteinander, dann nennt man sie auch konfliktäre Ziele (HEINEN),
weil man bei der Entscheidung vor einem Zielkonflikt steht. Zum Beispiel kann ein verfügbarer Geldbetrag entweder für einen Lieferwagen oder für eine Sortiermaschine ausgegeben werden. Beide werden benötigt. Eines der beiden Ziele muss aufgegeben werden.
Ein anderes Beispiel: Zur Verbesserung des Ergebnisses konkurrieren die beiden Ziele
Absatzmengenerhöhung und Verkaufspreiserhöhung. Beides zugleich wird nicht möglich
sein. Entweder wird eines der beiden Ziele aufgegeben oder jedes der Ziele kann nur zum
Teil verwirklicht werden.
Zu b) Komplementäre Ziele
Andere Ziele können sich ergänzen. Dann begünstigt die Verwirklichung des einen Ziels
die Durchsetzung des anderen. Man nennt sie komplementäre (sich ergänzende) Ziele.
So kann z. B. das Ziel Umsatzsteigerung dem Ziel Gewinnerhöhung dienen. Kostensenkung dient den meisten anderen wirtschaftlichen Zielen.
Zu c) Indifferente Ziele
Indifferente Ziele berühren sich nicht. Beispiel: Die Absicht, den Kantinenkoch zu wechseln, berührt nicht das Ziel, eine zu geringe Kapazitätsausnutzung zu beheben.
2.1.2.6
Leitgrundsätze
Neben dem Ökonomischen Prinzip und dem Ziel der Minimalkostenkombination der Produktionsfaktoren bestimmen unterschiedliche Grundsätze das Leiten einer Unternehmung.
Zunächst ergeben sich solche Grundsätze aus dem Gründungszweck.
Öffentliche Betriebe sollen vorrangig einer gesicherten öffentlichen Funktion dienen
(Gas-, Wasser-, Stromversorgung, Müllabfuhr u. ä.). Nicht erwerbswirtschaftliche Gründe
sind Anlass ihrer Tätigkeit. Bedarfsdeckung und Gemeinnützigkeit sollen die Leitgrundsätze sein. Gewinnerzielung öffentlicher Betriebe ist ein Verstoß gegen den Grundsatz,
dass niemand wegen Nutzung öffentlicher Leistungen zur Finanzierung anderer Zwecke
herangezogen werden darf.
Privatunternehmungen werden in der Regel aus erwerbswirtschaftlichen Gründen betrieben. Zumeist steht deshalb das Gewinnstreben als Leitprinzip im Vordergrund. Dazu
muss man wissen, dass Gewinnmaximierung nur auf lange Sicht möglich ist und nur über
den Weg kurzfristig angemessener, den Marktbedingungen angepasster Gewinne. Werden kurzfristig im Markt zu hohe Gewinnzuschläge verlangt, dann gibt man der Konkurrenz die Chance zunehmender Marktanteile.
Daneben gibt es eine Reihe irrationaler Ziele, die sich nicht rechnerisch begründen lassen. Sie sind weitgehend durch den Charakter des Unternehmers bestimmt. Beispiele sind
– Prestigestreben,
– Machtstreben,
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Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
2 Betriebswirtschaftliches Handeln
–
–
–
–
2.1 Ökonomische Handlungsprinzipien ...
Expansionsstreben,
Unabhängigkeitsstreben,
Qualitätsstreben,
ethische und soziale Ziele.
Unternehmensführung erfordert, im Zweifelsfall rationalen (= durch Vernunft bestimmten)
Zielen, die sich in Zahlen ausdrücken lassen, Vorrang vor emotionalen Zielen zu geben:
–
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–
–
–
Liquiditätssicherung,
Existenzsicherung,
Substanzerhaltung,
Kapazitätsausnutzung,
Vollbeschäftigung,
Kostensenkung,
Umsatzstabilisierung oder -steigerung,
Erhaltung oder Erhöhung des Marktanteils,
Wachstumssicherung.
Diese Ziele müssen erläutert werden.
Liquiditätssicherung ist ein Ziel, das in guten Zeiten der Unternehmung nur dem Finanzchef bewusst ist. In schlechten Zeiten bekommt es Vorrang vor allen anderen Zielen, wenn
Gewinnerzielung weiterhin möglich bleiben soll. Liquiditätssicherung ist lückenlos notwendig.
Zur Existenzsicherung gehören Maßnahmen, die je nach dem Einzelfall festgelegt werden müssen. Es können z. B. Maßnahmen vertraglicher Absicherung oder technischer
Vorsorge oder des Zugewinns von Marktanteilen sein.
Substanzerhaltung ist ein – besonders bei Preissteigerungen – betriebswirtschaftlich
schwerwiegendes Problem. Die in Produktionsbetrieben ständig durch Verkauf und Wiederbeschaffung »gewälzten« Bestände werden, auch wenn ihre Menge nicht größer wird,
in Zeiten mit steigenden Preisen mit ständig höheren Werten ausgewiesen. Rechnerisch
entstehen Gewinne, die besteuert oder ausgeschüttet werden, was häufig durch Substanzverkauf finanziert werden muss. Infolge der nominellen Wertsteigerung bleibt der
reale Substanzverlust oft unbemerkt, bis es zu spät ist.
Kapazitätsausnutzung bedeutet, dass die technisch mögliche Auslastung des Produktionsapparates in wirtschaftlich günstigem Maß anzustreben ist. Eine zu hohe Kapazitätsausnutzung bringt übermäßigen Verschleiß und andere überproportional zur Ausnutzung
zunehmende Kosten mit sich. Aber nichts ist teurer als ungenutzte Kapazität! Sie muss
fortlaufend bezahlt werden, ohne Nutzen zu bringen.
Als Vollbeschäftigung einer Unternehmung wird ein Beschäftigungsstand bezeichnet,
bei dem die Ausbringungsleistung nicht mehr dauerhaft gesteigert werden kann, ohne
dass die Kapazität erhöht würde. Unter Kostengesichtspunkten liegt Vollbeschäftigung
vor, wenn die technische Kapazität wirtschaftlich optimal (nicht maximal) genutzt wird.
Kostensenkung ist kein selbstständiges Ziel. Sie ist eine Voraussetzung der meisten anderen Ziele. Zumeist kann der Marktpreis nicht vom Unternehmen beeinflusst werden. Mithalten oder ihn unterbieten zu können, um Stabilisierung oder Expansion zu erreichen,
setzt Selbstkosten voraus, die hinreichend unter dem Marktpreis liegen. Der Wettbewerb
wird größtenteils durch Kostensenkung entschieden.
Umsatzstabilisierung bedeutet, dass man seine Verkaufszahlen möglichst gleichmäßig
erhalten will, z. B. um mit einem kleinen Fertigfabrikatelager bei gleichmäßiger Kapazitätsausnutzung auszukommen.
Umsatzsteigerung kann zur Gewinnerhöhung oder wegen unzureichender Kapazitätsausnutzung oder wegen zu hoher Lagerbestände angestrebt werden.
Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
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2.1 Ökonomische Handlungsprinzipien ...
2 Betriebswirtschaftliches Handeln
Erhaltung oder Erhöhung des Marktanteils bezieht sich auf ein Produkt, eine Produktgruppe oder den Gesamtumsatz der Unternehmung. Beurteilt werden muss der jährliche
prozentuale Anteil am Produkt-, Produktgruppen- oder Gesamtumsatz der Branche.
Wachstumssicherung kann Ausdruck in einer Rücklage finden, die aus nichtausgeschütteten Gewinnen gebildet und in der Bilanz als Teil des Eigenkapitals ausgewiesen
wird. Wachstumssicherung kann auch darin bestehen, statt quantitativen (= mengenmäßigen) Wachstums qualitatives, durch Verbesserungen gekennzeichnetes Wachstum anzustreben. Dafür sind in der Regel Forschung und Entwicklung notwendig.
In der Praxis ist es ungewöhnlich, von Leitgrundsätzen zu sprechen. Man spricht eher von
»Unternehmensphilosophie«, in welcher der Geist und die Prinzipien für die Führung eines Unternehmens festgelegt sind. Ein Beispiel: In der weltweit tätigen Siemens AG ist die
Unternehmensphilosophie unter dem Begriff »Leitbild« veröffentlicht und den Mitarbeitern
unterbreitet worden. Dadurch soll die Zielsetzung und das Erscheinungsbild des Unternehmens weltweit von einheitlichen Prinzipien bestimmt werden.
2.1.2.7
Die betriebswirtschaftlichen Produktionsfaktoren
Die volkswirtschaftliche Betrachtungsweise bedient sich für die Beurteilung der Gütererzeugung des Modells der Kombination der Produktionsfaktoren. Die dabei benutzten Produktionsfaktoren, Arbeit, Boden und Kapital, sind sehr abstrakte Faktoren, die dadurch ermöglichen, jede Art Betrieb modellartig zu erfassen und gesamtwirtschaftliche
Zusammenhänge zu erklären.
Die betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise hat diese Modellbildung im Prinzip übernommen, verwendet aber für die Bezeichnung der Produktionsfaktoren Begriffe, die konkret im Betriebsgeschehen vorkommen.
In der Betriebswirtschaftslehre werden in Anlehnung an E. GUTENBERG (1951) unterschieden:
Der Faktor Arbeit, gegliedert in
– dispositive Arbeit und
– objektbezogene Arbeit.
Die Faktoren Boden und Kapital werden zusammengefasst , dann aber unterteilt in
– Betriebsmittel (Grundstücke, Gebäude, Anlagen, Maschinen, maschinelle Anlagen,
Einrichtungen) und
– Werkstoffe (Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe) – nicht zu verwechseln mit dem REFA-Begriff
»Werkstoffe«; wir befinden uns hier im wirtschaftlichen, nicht im technischen Bereich.
Im Laufe der Zeit wurden immer wieder andere Produktionsfaktoren für betriebswirtschaftliche Modelle genannt. Die Faktoren wurden differenziert und dadurch vermehrt. Das mag
für einzelne Untersuchungen sinnvoll sein, bringt aber für das Grundlagenverständnis keinen erkennbaren Nutzen.
Beispielsweise wird in neuerer Zeit häufig die Information als betriebswirtschaftlicher Produktionsfaktor genannt. Andere nennen weitere nicht quantifizierbare Faktoren, wie Geistkapital oder Erfahrung als Produktionsfaktoren. Inwieweit sich aus einer Differenzierung
der Faktoren neue Erkenntnisse ergeben, muss jeweils geprüft werden.
Information, um bei diesem Beispiel zu bleiben, war jedenfalls, seit gewirtschaftet wird, immer eine Grundlage ökonomischen Handelns. Sie ist im dispositiven Faktor enthalten. Entsprechend lassen sich andere »neue« Produktionsfaktoren den oben genannten zuordnen.
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Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
2 Betriebswirtschaftliches Handeln
2.1 Ökonomische Handlungsprinzipien ...
2.1.3
Der Produktionsfaktor »Arbeit«
2.1.3.1
Formen und Bedingungen der menschlichen
Arbeitsleistung im Arbeitssystem
Die menschliche Arbeit hat in Form des
– dispositiven Faktors
die Aufgabe, die Elementarfaktoren
– objektbezogene Arbeit,
– Betriebsmittel und
– Werkstoffe
möglichst optimal zu einem Fertigungsprozess zu kombinieren.
Der dispositive Faktor umfasst Betriebs- und Geschäftsleitung, Planung, Organisation
und Kontrolle, also die Dispositionsaufgaben im Betrieb.
Die objektbezogene Arbeit hat folgende Formen:
– manuelle objektbezogene Arbeit, wie Arbeit am Werkstück,
– geistige objektbezogene Arbeit, wie Entwurfs-, Konstruktions- und Einrichtungsarbeit,
– operative Arbeit, die teils geistige und teils manuelle Tätigkeiten umfasst, wie Verwaltungs-, Vorbereitungs-, Bereitstellungs- und Verwertungsarbeiten (Verkauf).
Die menschliche Arbeit ist unersetzlich, da weder Betriebsmittel und Werkstoffe ohne den
dispositiven Faktor zum Zusammenwirken gebracht werden können, noch die objektbezogene Arbeit ohne den Menschen verrichtet werden kann.
Die menschliche Arbeitsleistung hängt von zahlreichen Faktoren ab, die das Arbeitssystem (씮 Abschn. 2.2.5.3) ausmachen:
a) von den Voraussetzungen, die der Arbeitende erfüllt,
b) von den Voraussetzungen, die der Arbeitsplatz und
c) von den Voraussetzungen, die das Umfeld erfüllt.
Zu a) Voraussetzung für die optimale Erfüllung einer Arbeitsaufgabe sind Fachkenntnis,
Begabung, Erfahrung, Leistungsfähigkeit (körperliche und geistige) und Leistungsbereitschaft.
Zu b) Eine quantitativ und qualitativ optimale Arbeitsleistung wird durch die Gestaltung
des Arbeitsplatzes ermöglicht und begrenzt. Gestaltung des Arbeitsplatzes bedeutet zuerst, ergonomische Anpassung an die Körpermaße bei bequemer Arbeitshaltung, so dass
der Arbeitsplatz eine fließende Arbeitsausübung ermöglicht, ohne zusätzliche, arbeitsplatzbedingte Anstrengung.
Zu c) Zur Optimierung des Arbeitsplatzes gehört auch ein arbeitsförderndes Umfeld, wie
geeignete Beleuchtung, Farbgebung, Temperatur am Arbeitsplatz, Freiheit von Zugluft,
Strahlung, Lärm, Vibration und unzuträglicher Luftfeuchtigkeit.
Weiterhin haben Einfluss auf die Arbeitsleistung
– das Betriebsklima (Führungsstil und Kollegialität) und
– die organisatorische Zuverlässigkeit des Systems, in dem die Arbeit stattfindet.
Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
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2.1 Ökonomische Handlungsprinzipien ...
2.1.3.2
2 Betriebswirtschaftliches Handeln
Beurteilungsmerkmale des menschlichen Leistungsgrades
Die Beurteilung des Leistungsgrades eines Ausführenden (Leistungsgrad = Verhältnis zwischen Ist-Leistung und erwarteter Leistung) ist nie ganz ohne subjektive Wertung möglich.
Für die Leistungsgradschätzung ist es notwendig, dass der Arbeitende für die Arbeit geeignet, motiviert und trainiert ist. Eine Leistungsgradschätzung ist deshalb nicht vor Ablauf einer
Einarbeitungszeit mit hinreichender Einübung der erforderlichen Handgriffe vertretbar.
Andererseits muss der Beurteilende ein möglichst hohes Maß an Erfahrung für die Leistungsgradschätzung, ausgehend von der Vorstellung einer Normalleistung in Ansehung
des Arbeitenden, besitzen.
Eine besondere Variante von Arbeitsleistungen ergibt sich aus der Gruppenarbeit.
Bei der Gruppenarbeit gibt es zwei Möglichkeiten der Arbeitsteilung, die Art- und die Mengenteilung.
– Mengenteilung liegt vor, wenn jedes Gruppenmitglied die gleiche Arbeit verrichtet, sodass die Gruppenleistung gleich der Summe der gleichartigen Einzelleistungen ist.
– Artteilung liegt vor, wenn jedes Gruppenmitglied eine andere Arbeit an einem gemeinsamen Erzeugnis verrichtet. Um Gleichmäßigkeit der Belastung zu erreichen, kann dabei
ein regelmäßiger Platzwechsel erfolgen, so dass jeder im Wechsel jede Arbeit verrichtet.
Der Leistungsgrad wird bei Gruppenarbeit durch die Gruppenmitglieder untereinander
vorgegeben. Bei der Aufgabenteilung nach Tätigkeitsarten bestimmt dagegen der zeitlängste Vorgang das Gruppentempo und damit die Gruppenleistung.
Mit zunehmender technischer Entwicklung nimmt zwar die Menge der menschlichen Arbeit in der Warenerzeugung ab, die Anforderungen an die Fähigkeiten hinsichtlich Systemverständnis, Steuerungs- und Überwachungsaufgaben nehmen aber erheblich zu.
Mit der Reduzierung des Faktors Arbeit im Bereich der industriellen Warenerzeugung geht
demnach eine Funktionsverschiebung von objektbezogener (ausführender) zu dispositiver Arbeit einher.
Obgleich auch in manchen Branchen des Dienstleistungssektors die Effizienzsteigerung
menschlicher Arbeit durch Kapitalgüter immens ist – man denke für Transportleistungen
an Lkw, Bahnen, Schiffe und Flugzeuge oder im Bankwesen an den Einsatz von Automaten –, nimmt der Anteil der Beschäftigten in diesem Sektor zu.
Der Trend, dass sich die Produktionsfaktoren »dispositive Arbeit« und »objektbezogene
Arbeit« von der Warenerzeugung zum Dienstleistungssektor verschieben, kann sich
angesichts der technischen Entwicklung, die den Produktionsfaktor Betriebsmittel in der
relativ stetigen Warenerzeugung zur Reife bringt und verbilligt, nicht umkehren.
2.1.4
Die Bedeutung des Produktionsfaktors
»Betriebsmittel«
2.1.4.1
Soziale, technische und wirtschaftliche Wirkungen
Der oben dargestellte Trend zur Abnahme menschlicher Arbeit in der Produkterzeugung
unterstreicht zugleich die Bedeutung des Produktionsfaktors »Betriebsmittel«. Er steigert
die Effizienz des Faktors »Arbeit« in solchem Maße, dass trotz zunehmender Warenerzeugung immer weniger Menschen dafür arbeiten müssen.
28
Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
3.2 Planung und Analyse
3 Information, Kommunikation und Planung
Folgende Aspekte verdienen in der Planung besondere Aufmerksamkeit.
– Die Datenbasis: Langfristige Planungen verlangen nach einer besonders sorgfältigen
informationellen Fundierung. Häufig wird es erforderlich sein, über längere Zeiträume
gesammelte Vergangenheitsdaten auszuwerten und auf einen weit in der Zukunft liegenden Planungshorizont hin fortzuschreiben.
– Die Bedingungen der Unternehmungsumwelt, die gekennzeichnet ist von
– Komplexität: Es gibt nicht die Umwelt, sondern eine Fülle von Umweltbedingungen
und unterschiedlichen Abhängigkeiten zwischen diesen;
– Diskontinuität: Die Umweltbedingungen verändern sich unregelmäßig. Anstelle kontinuierlicher Trends (stetiges, gleichmäßiges Wachstum) sind in vielen Bereichen
nichtperiodische Schwankungen zu beobachten (z. B. Konjunkturentwicklung);
– Dynamik: Insbesondere die technologische Entwicklung vollzieht sich mit zunehmender Geschwindigkeit;
– Unsicherheit: Zeitpunkt, Richtung und Intensität von Veränderungen entziehen sich
häufig jeder Vorhersagbarkeit.
Die Schwierigkeit eines Unternehmens, sich seiner veränderlichen Umwelt anzupassen
und in ihr nicht nur zu überleben, sondern wirtschaftlich erfolgreich zu sein, wird in der Literatur als Adaptationsproblematik bezeichnet. Zu ihrer Bewältigung reicht es nicht aus,
wie etwa noch in den fünfziger Jahren, Daten über die Vergangenheit zu sammeln und
mittels simpler Extrapolation (Fortschreibung eines Trends unter der Annahme der Stetigkeit und Sicherheit) in die Zukunft fortzuschreiben. Vielmehr gilt es, die Entwicklungen der
verschiedensten Faktoren der Unternehmensumwelt ständig und systematisch zu beobachten und ein »Frühwarnsystem« zu installieren, das Veränderungen signalisiert, die eine Gefahr darstellen, aber auch mögliche Chancen.
– Sachlogische Zusammenhänge, wie sie etwa in der Reihenfolgeplanung mittels Netzplantechnik (씮 Abschn. 3.2.4.4) zu beachten sind.
– Fristen und Termine.
3.2.4
Methoden der Planung und Analyse
In Lehrbuch 2 war ist bereits ausführlich von Planung die Rede. Dort wurden unterschiedliche Planungsbegriffe definiert und zahlreiche betriebliche Felder aufgeführt, in denen
Planung eine Rolle spielt. Hier soll nun auf bisher nicht oder nicht ausführlich behandelte
Methoden der Planung und Analyse eingegangen werden.
3.2.4.1
Systemgestaltung nach der 6-Stufen-Methode
Was unter einem System zu verstehen ist, wurde bereits ausführlich in Lehrbuch 2 dargelegt. Dort wurde die »Gestaltung von Systemen zur Erfüllung von Daueraufgaben« als Kernaufgabe der Organisation bezeichnet. Ein System, das der Gestaltung bedarf, ist z. B. das
bereits in Lehrbuch 2 begrifflich eingeführte Arbeitssystem, wobei Wirtschaftlichkeit und
Humanität als Hauptkriterien zu beachten sind.
Nach REFA erfolgt die Gestaltung von Systemen in einer Planungssystematik (herkömmliche Bezeichnung: 6-Stufen-Schema) mit folgenden Stufen, die hier in Hinblick auf
ein zu gestaltendes Arbeitssystems beschrieben werden sollen. Die folgende Abbildung
soll als roter Faden, als Überblick dienen.
48
Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
3 Information, Kommunikation und Planung
1. Ist-Zustand
analysieren
3.2 Planung und Analyse
– Schwerpunkte festlegen
– Ist-Zustandsanalyse
– durchführen
– Ergebnisse darstellen
Können Ziele festgelegt und
Aufgaben abgegrenzt werden?
ja
2. Ziele festlegen,
Aufgaben
abgrenzen
– Quantitative und qualitative
Ziele festlegen
– Muss- und Kann-Ziele nennen
– Systemgrenzen festlegen
– Schnittstellen beschreiben
Müssen die Schwerpunkte
neu festgelegt werden?
ja
nein
3. Grobplanung des
Arbeitssystems
– Produkte oder Gruppen
benennen
– Arbeitsabläufe planen
– Personal planen
– Kapazitäten planen
– Varianten erarbeiten
und bewerten
Können die Zielvorgaben
erreicht werden?
nein
ja
4. Feinplanung des
Arbeitssystems
– Betriebsmittel planen
– Personal planen
– Einführung planen
Freigabe des Arbeitssystems
zur Ausführung
nein
ja
5. Planung des
Arbeitssystems
ausführen
– Betriebsmittel beschaffen
– Personal beschaffen
– Arbeitssystem aufbauen
– Arbeitssystem erproben
– Daten ermitteln
Erprobung zufriedenstellend?
nein
ja
6. Freigabe des
Arbeitssystems
– Abschlussbericht erstellen
– Zielkontrolle durchführen
Die Vorgehensweise bei der Systemgestaltung nach der REFA-Planungssystematik (6-Stufen-Methode)
Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
49
3.2 Planung und Analyse
3 Information, Kommunikation und Planung
Stufe 1: Analyse des Ist-Zustandes
Im Rahmen der Arbeitsgestaltung haben Ist-Zustandsanalysen im Allgemeinen folgende
Ziele:
– Abgrenzung des zu gestaltenden Systems von seiner Umwelt und anderen Systemen,
– Erkennen der Mängel des Ist-Zustandes,
– Beschaffung relevanter Daten und Informationen.
Um Mängel im Ist-Zustand aufzuspüren, kann es hilfreich sein, Fragen zu stellen, zu beantworten und danach zu hinterfragen, ob diese Antworten tatsächlich befriedigend sind.
Mögliche Fragen sind z. B.:
– Was ist der Zweck des Arbeitssystems?
– Was will man mit dem Arbeitsablauf erreichen?
– Sind die einzelnen Arbeitsvorgänge erforderlich?
– Sind die einzelnen Ablaufabschnitte nötig?
Eine Ist-Zustandanalyse sollte so durchgeführt werden, dass man alle wichtigen Mängel
erkennt. Ziel einer Arbeitsgestaltung ist es, den Ist-Zustand durch einen Soll-Zustand zu
ersetzen.
Die Ergebnisse der Ist-Zustandsanalyse sollen zu konkreten Aussagen und Empfehlungen zusammengefasst werden. Die Präsentation der Ergebnisse kann mit verschiedenen
Mitteln erfolgen. Sie reichen vom einfachen Bericht mit Tabellen und Diagrammen über
Skizzen, Zeichnungen und Bilder bis hin zu dreidimensionalen Modellen.
Erst wenn es möglich ist, Ziele zu formulieren und Aufgaben abzugrenzen, soll die nächste Stufe begonnen werden, andernfalls muss die Stufe 1 so lange weiter bearbeitet werden, bis eine brauchbare Lösung vorliegt.
Stufe 2: Ziele festlegen und Aufgaben abgrenzen
Aus den Ergebnissen der Stufe 1 sind Teilziele zu formulieren. Dabei ist auf Übereinstimmung mit den allgemeinen Unternehmenszielen zu achten.
Grundsätzlich sind wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche Ziele zu unterscheiden:
Die wirtschaftlichen Ziele sind erfolgsorientiert. Im Zusammenhang mit der Gestaltung
von Arbeitssystemen verfolgen sie vor allem Maßnahmen zur Kostensenkung.
Ausprägungen wirtschaftlicher Ziele sind
– organisatorische Ziele: Ausschussverminderung, bessere Ausnutzung der vorhandenen Betriebsmittel, Minimierung von Durchlauf-, Unterbrechungs- und Liegezeiten usw.;
– technische Ziele wie Qualitätsverbesserung, Verbesserung der Arbeitsplatzgestaltung,
Optimierung der Arbeitsabläufe, Erhöhung der Arbeitssicherheit usw.;
– Terminziele, also die Ausrichtung an bestimmten Fertigstellungsdaten, möglichst ergänzt um Termine, bis zu denen bestimmte Zwischenergebnisse vorliegen sollen.
Die nichtwirtschaftlichen Ziele sind an den menschlichen Bedürfnissen orientiert, etwa
– die Verminderung der Belastung des Menschen,
– die Erhöhung der Arbeitssicherheit,
– die Schaffung neuer Formen der innerbetrieblichen Zusammenarbeit,
– die Befreiung der Mitarbeiter von monotonen und gesundheitsschädigenden Arbeiten
durch Einführung von Arbeitswechsel und Aufgabenerweiterung,
50
Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
3 Information, Kommunikation und Planung
3.2 Planung und Analyse
– Maßnahmen zur Verbesserung der menschlichen Zusammenarbeit und des Betriebsklimas.
Auch diese Ziele können zur Kostensenkung beitragen, wobei es aber in der Regel nicht
möglich ist, den Kosteneinsparungseffekt vorweg zu beziffern.
Grundsätzlich gilt:
– Ziele können als Muss- oder Kann-Ziele betrachtet werden. Die Zuordnung von Mussund Kann-Zielen richtet sich nach der Aufgabenstellung. Diese Zielzuordnung kann
noch weiter in kostenquantifizierbare Ziele und in nicht kostenquantifizierbare Ziele gegliedert werden.
– Die festgelegten Ziele sollen in eine Zielordnung (»Zielhierarchie«) gebracht und gewichtet werden. Auf diese Weise kann der Grad der Aufgabenerfüllung bzw. die Eignung
von Handlungsalternativen besser beurteilt werden.
– Die Gestaltungsaufgabe soll abgegrenzt werden. Es besteht sonst die Gefahr, dass eine angefangene Aufgabe ständig durch Einbeziehung benachbarter Systeme erweitert
wird.
Die Beschreibung der Schnittstellen zu benachbarten Systemen muss sehr exakt erfolgen, denn durch die Neugestaltung eines Arbeitssystems können sich auch Veränderungen in vor- und nachgelagerten Systemen ergeben. Auf die Beschreibung der Ein- und
Ausgaben des zu betrachtenden Systems ist dabei besonders zu achten.
Stufe 3: Grobplanung
In der Grobplanung geht es darum, wie der vorgefundene und analysierte Ist-Zustand in
den angestrebten Soll-Zustand überführt werden kann.
Zur Grobplanung gehören folgende Schritte:
– Alle in dem geplanten System zu bearbeitenden Produkte, Produktgruppen, Dienstleistungen oder Büroaufgaben sind zu benennen. Daraus lassen sich Vorgaben für die weitere Planung ableiten.
– Für das zu gestaltende Arbeitssystem wird unter Berücksichtigung des Material-, Informations- und Belegflusses ein Soll-Ablaufplan erstellt, der die zuvor definierten Ziele
umsetzt und die Schnittstellen zu anderen Bereichen beachtet.
– Der Gesamtablauf wird in Ablaufabschnitte unterteilt; durch das Zusammenlegen von
Ablaufabschnitten ergeben sich Anhaltspunkte für die Zuordnung von Arbeitsinhalten zu
Stellen.
– Die vorangegangenen Schritte erlauben jetzt auch die Inangriffnahme der Personalplanung:
– Aus den Arbeitsinhalten lassen sich die dabei zu beachtenden Qualifikationen der
einzusetzenden Arbeitnehmer ableiten. Erforderliche Qualifizierungsmaßnahmen
sind in die Planung einzubeziehen.
– Die Anzahl der Arbeitspersonen kann erst nach der Kapazitätsplanung bestimmt
werden. Sie richtet sich nach der zu fertigenden Menge und der Anzahl der zu besetzenden Arbeitsplätze und hat den in der Zieldefinition festgelegten Grad der Mechanisierung oder Automatisierung zu beachten.
Anhand der getroffenen Festlegungen können nun Varianten des Arbeitssystems und
des Arbeitsablaufes erarbeitet werden, die mit den Zielvorgaben zu vergleichen und mit
geeigneten Methoden, z. B. der Nutzwertanalyse (씮 Abschn. 3.2.2.5), zu bewerten sind.
Bei der Entscheidung für die Umsetzung einer Lösung muss darauf geachtet werden,
dass diese den gesetzlichen und tariflichen Normen entspricht.
Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
51
3.2 Planung und Analyse
3 Information, Kommunikation und Planung
Stufe 4: Feinplanung
An die Auswahl einer Lösung zum Ende der 3. Stufe schließt sich die Feinplanung an. Sie
beinhaltet zum einen die weitere Präzisierung der Personalplanung, zum anderen die Planung der Betriebsmittel. Außerdem geht sie bereits auf die Planung der Eingliederung des
neuen Systems in die bestehende Organisation (Einführungsplanung) ein.
– Personalplanung: Qualifikationsanforderungen können definiert, konkrete Maßnahmen zur Personalbeschaffung oder Personalentwicklung geplant und terminiert werden.
– Betriebsmittelplanung: Die Anforderungen an die Betriebsmittel sind nebeneinander
Bestandteile der Inhalte von Lastenheften und Pflichtenheften (씮 vergl. Abschn. 3.5.3.3).
– Bei der Planung von Montagearbeitsplätzen sind die ergonomischen Gesichtspunkte
besonders zu beachten. Die Gestaltung von Vorrichtungen sind gemeinsam mit der Vorrichtungskonstruktion und dem Industriemeister der entsprechenden Abteilung zu besprechen.
– Aufgabe der Einführungsplanung ist eine problemlose Eingliederung eines neuen
Systems in die bestehende Organisation. Je nach Art und Größe des Vorhabens kann
ein Umzugsplan (bei örtlicher Verlagerung eines Systems) oder ein Umstellungsplan
(bei Umstellung von einem alten auf ein neues Verfahren) erforderlich sein. Bei Verfahrensumstellung sind folgende Varianten möglich:
– Parallelbetrieb: In der Übergangsphase müssen möglicherweise alte und neue Verfahren parallel betrieben werden; hieraus resultiert Doppelarbeit, die in der Planung
des Arbeitskräfte- und Betriebsmitteleinsatzes berücksichtigt werden muss. Der Vorteil des Parallelbetriebs liegt darin, dass er Testläufe erlaubt, die Aufgabenerfüllung
während der Umstellungsphase sichergestellt ist und die letztendliche Umstellung
durch »Ausschleichen« des alten Verfahrens erfolgen kann.
– Umstellung zum Stichtag: Oft ist ein Parallelbetrieb aus räumlichen, personellen
oder sonstigen organisatorischen Gründen nicht möglich. Bei vollständiger Umstellung zu einem Stichtag muss sichergestellt sein, dass das neue System die vom
bisherigen System wahrgenommenen und nach wie vor notwendigen Aufgaben
störungs- und verzögerungsfrei übernehmen kann. Mehrarbeit kann anfangs oft nicht
vermieden werden; Testläufe und »Ausschleichen« wie beim Parallelbetrieb sind nicht
möglich.
Stufe 5: Geplantes System ausführen
Nach Genehmigung der Planung und Freigabe der Investitionsmittel kann mit der Ausführung der Planung begonnen werden. Diese umfasst (in Abhängigkeit von der Aufgabe)
– die Beschaffung der Betriebsmittel: Einholung von Angeboten (ggf. nach Ausschreibung), Angebotsvergleich (in den ggf. auch die Kosten bei Eigenherstellung einzubeziehen sind) und Auswahl nach den Zielvorgaben;
– die Beschaffung von Personal durch externe und/oder interne Stellenausschreibung,
Bewerberauswahl und Einstellung;
– die Durchführung von Schulungs- und sonstigen Qualifizierungsmaßnahmen mit
vorhandenem Personal;
– den Aufbau des geplanten Arbeitssystems mit eigenem oder externem Personal, wobei
zur Überwachung der einzelnen Arbeiten in sachlicher und zeitlicher Hinsicht Netzpläne
und Checklisten genutzt werden;
52
Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
3 Information, Kommunikation und Planung
3.2 Planung und Analyse
– den Probebetrieb des neu installierten Arbeitssystems, um das Zusammenwirken der
Systemkomponenten beobachten und die Zielerfüllung kontrollieren zu können. Abweichungen und Störungen können erkannt und abgestellt und die Belastbarkeit, Sicherheit und Zuverlässigkeit des Systems getestet werden. Die Dauer des Probebetriebes
hängt von den jeweiligen Gegebenheiten ab. Bei der Erprobung sind Protokolle zu führen, die alle Punkte des Lasten- und Pflichtenheftes beinhalten.
Stufe 6: Freigabe des Arbeitssystems
Im Anschluss an den Probebetrieb kann das System für den Regelbetrieb freigegeben
werden. Das System muss aber nach seiner Einführung über einen längeren Zeitraum einer Überwachung unterliegen, die nicht nur prüft, ob die vorgesehene Leistungen erbracht
werden, sondern sich auch auf die Einhaltung der Arbeitsverfahren und -methoden erstreckt. Sofern sich hierbei, auch durch Anregungen der Mitarbeiter, Verbesserungsvorschläge ergeben, sollte kurzfristig geprüft werden, ob diese umgesetzt werden können,
und diese Umsetzung dann auch erfolgen.
Wesentlicher Bestandteil der Überprüfung ist aber die Zielerfüllung. Wird diese ganz oder
teilweise verfehlt, müssen die Ursachen gesucht und daraus – je nach Umfang und der
Bedeutung der Abweichungen mehr oder weniger dringlich – Maßnahmen für künftige
Verbesserungen abgeleitet werden. In einem Abschlussbericht sind alle wesentlichen
Daten festzuhalten, wobei auch Schwierigkeiten und aufgetretene Probleme vermerkt
sein sollen: Sie geben wertvolle Hinweise für Folgeprojekte.
Bei allen Arbeitsgestaltungsmaßnahmen hat der Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz ein Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht.
In Abschnitt 3.5.2.2 wird in Zusammenhang mit dem Projektmanagement noch näher auf
die Systemanalyse eingegangen werden.
3.2.4.2
Grundzüge der Wertanalyse
Nach dem zweiten Weltkrieg begann Larry D. MILES, Einkaufsleiter der General Electric
Company, USA, mit Untersuchungen über das Verhältnis von Kosten zu Funktionen von
Produkten, die sich entweder bereits in Fertigung oder noch in Entwicklung befanden. Im
Zuge dieser Untersuchungen entwickelte Miles ein systematisches und praktikables
Verfahren, das sich seither unter der Bezeichnung Wertanalyse (»value analysis«) durchgesetzt und zum »value management« weiterentwickelt hat.
Die Wertanalyse, die im Folgenden in ihren Grundzügen vorgestellt werden soll, kann sowohl auf gegenständliche Objekte als auch auf Dienstleistungen oder Verfahren angewendet werden und sich sowohl auf schon vorhandene als auch auf noch zu schaffende Objekte beziehen. Sie ist eine in inzwischen zahlreichen Unternehmen praktisch erprobte
Methode zur Steigerung des Wertes von Produkten, Leistungen und Abläufen. Ihre
Grundgedanken sind ein entscheidungsorientierter Ablauf, die systematische Analyse
von Funktionen und die Nutzung von Kreativitätspotenzialen.
MILES selbst beschreibt die Wertanalyse als »eine organisierte Anstrengung, die Funktionen eines Produktes mit den niedrigsten Kosten zu erstellen, ohne dass die erforderliche
Qualität, Zuverlässigkeit und Marktfähigkeit des Produktes negativ beeinflusst werden«.
Die Funktionsanalyse als Kernstück der Wertanalyse, von MILES als »Mittel zur Überwindung der psychischen Trägheit im Erfindungsprozess« begründet, folgt strikten Sprachregeln: Der Untersuchungsgegenstand wird durch Wort-Paar-Begriffe (»Funktionen«)
beschrieben, auf die sich die weitere Entwicklung konzentriert. Jedes Paar umfasst ein
Verb und ein Substantiv.
Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
53
3.2 Planung und Analyse
3 Information, Kommunikation und Planung
Mittels Funktionsanalyse sollen »nützliche« Funktionen erkannt und »schädigende«
Funktionen aufgedeckt werden.
Vorrangige Ziele der Wertanalyse sind
– die Senkung bestehender (konstruktions- oder organisationsstrukturbedingter) Kosten,
– die Vermeidung weiterer (durch unnötige Funktionen bedingter) Kosten,
– die marktgerechte Leistungsgestaltung durch Erkennen und Verwirklichung des Kundennutzens.
Letztlich dient die Wertanalyse also der Steigerung des Unternehmenserfolgs.
Sie wird vor allem bei der Entwicklung neuer (»Wertgestaltung«) oder der Überarbeitung
bereits vorhandener Produkte (»Wertverbesserung«) eingesetzt und soll dabei zur Verkürzung der Entwicklungszeiten beitragen, innovative Ideen anregen, Produktfunktionen
und -qualität verbessern und zugleich unternehmensintern organisationsentwickelnd
wirken.
Verfahren und Begriffe der Wertanalyse sind in der EU-Norm EN 12973 festgeschrieben,
die die bisherige Norm nach DIN 69910 ersetzt. Außerdem ist sie Gegenstand der VDIRichtlinien 2801 und 2802.
Folgende Merkmale kennzeichnen die Wertanalyse:
– Betrachtung des Gesamtnutzens des Betrachtungsgegenstandes: Die Wertanalyse betrachtet nicht nur den Nutzen für den Hersteller, sondern den Gesamtnutzen für Hersteller und Abnehmer. Im Vordergrund der Betrachtung steht daher nicht das Produkt oder
die Dienstleistung, sondern die hierdurch erfüllten Funktionen.
– Funktionsbezogene Objektbeschreibung: Funktionen werden identifiziert und in schematisierter Weise benannt.
– Wesentliches wird von Unwesentlichem getrennt: Funktionen werden in Haupt- und
Nebenfunktionen eingeteilt.
– Quantifizierung des Aufwands und Nutzens: Kosten und Nutzen können einzelnen
Funktionen zugeordnet werden.
– Kreativität und Teamarbeit werden gefördert: Auf diese Weise entstehen bereichsübergreifende, von »Betriebsblindheit« unbeeinflusste Lösungen.
– Systematisches Vorgehen: Der Wertanalyse-Arbeitsplan wird konsequent und lückenlos
durchlaufen.
– Ganzheitliche Betrachtung des Objektes, etwa in Bezug auf Anforderungen, Material,
Konstruktion, Fertigung usw.
Das Bemerkenswerte an der Wertanalyse ist sicherlich, dass sie einerseits Kreativitätspotenziale nutzt und durch die starke Erfordernis von Teamarbeit die bereichsübergreifende
Kommunikation und Kooperation im Betrieb in außerordentlicher Weise stärkt, andererseits aber durch die strikte Verfolgung eines vielschrittigen Arbeitsplans sehr strukturiert
vorgeht und zu gewissermaßen schematisiertem Denken und Handeln in Regelkreisen
aus Überprüfung, Kritik, Verbesserung und neuerlicher Überprüfung zwingt.
Der Arbeitsplan der Wertanalyse wird häufig (so auch in der bisherigen DIN 69910) in
sechs Grundschritte und zahlreiche Teilschritte gegliedert. DIN EN 12973 unterscheidet
zehn Arbeitsschritte, wobei das Vorgehen jedoch im Kern kaum verändert ist.
Nachfolgend wird eine sechsschrittige Gliederung vorgestellt.
54
Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
3 Information, Kommunikation und Planung
3.2 Planung und Analyse
Schritt 1
Projekt
vorbereiten
Moderator benennen
Auftrag übernehmen, Grobziel mit
Bedingungen festlegen
Einzelziele setzen
Untersuchungsrahmen abgrenzen
Projektorganisation festlegen
Projektablauf planen
Schritt 2
Objektsituation
analysieren
Objekt- und Umfeld-Informationen beschaffen
Kosteninformationen beschaffen
Funktionen ermitteln
Lösungsbedingte Vorgaben ermitteln
Kosten den Funktionen zuordnen
Schritt 3
Sollzustand
beschreiben
Informationen auswerten
Soll-Funktionen festlegen
Lösungsbedingte Vorgaben festlegen
Kostenziele den Soll-Funktionen zuordnen
Schritt 4
Lösungsideen
entwickeln
Vorhandene Ideen sammeln
Neue Ideen entwickeln
Schritt 5
Lösungen
festlegen
Bewertungskriterien festlegen
Lösungsideen bewerten
Ideen zu Lösungsansätzen verdichten
und darstellen
Lösungsansätze bewerten
Lösungen ausarbeiten
Lösungen bewerten
Entscheidungsvorlage erstellen
Entscheidungen herbeiführen
Schritt 6
Lösungen
verwirklichen
Realisierung im Detail planen
Realisierung einleiten
Realisierung überwachen
Projekt abschließen
Sechsschrittiger Arbeitsplan für die Durchführung einer Wertanalyse
Vorbereitung: Wertanalyse wird häufig als Projekt aufgefasst (씮 Abschn. 3.5) und dementsprechend vorbereitet, d. h. es wird ein Projektteam aus Mitgliedern der verschiedenen
betrieblichen Arbeitsbereiche berufen, ein Moderator benannt und die Projektorganisation
festgelegt. In Bezug auf die zu erfüllende Aufgabe werden die Grobziele und die Bedingungen der durchzuführenden Analyse festgelegt und zu Einzelzielen weiterverarbeitet;
der Rahmen der Untersuchung wird abgegrenzt und der Ablauf des anstehenden Projekts
geplant.
Die genannten Aktivitäten wurden im Einzelnen bereits im Zusammenhang mit der 6-Stufen-Methode behandelt und werden an späterer Stelle, wenn es um Systemanalyse und
Projektmanagement geht, wiederum aufgegriffen.
Ist-Zustand ermitteln: Zunächst wird der gegenwärtige Zustand des Untersuchungsgegenstandes ermittelt und dokumentiert. Dazu werden alle das Objekt und sein Umfeld
betreffenden technischen und wirtschaftlichen Informationen zusammengetragen (im Falle
eines erst in Planung befindlichen Produktes werden diese den Stand der Information,
Forschung, ggf. Mitbewerberangebote, betreffen), wozu auch möglichst detaillierte Informationen über die Kosten gehören.
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55
3.2 Planung und Analyse
3 Information, Kommunikation und Planung
Kernstück der Ist-Zustands-Ermittlung ist die Ermittlung und Ausformulierung der Funktionen, auf die unten noch näher eingegangen werden wird, und die anschließende Zuordnung der Kosten zu den einzelnen gefundenen Funktionen.
Ist-Zustand prüfen, Soll-Zustand beschreiben: Im Sinne einer Ist-Analyse (씮 Abschn. 3.5)
erfolgt die Betrachtung und Beurteilung des vorgefundenen Ist-Zustands anhand der ermittelten Informationen. Die Identifizierung »schädlicher« oder wenigstens unnützer Funktionen
führt zur Beschreibung und Festlegung des künftige Soll-Zustands bzw. der Soll-Funktionen,
denen einzelne Kostenziele zugeordnet werden.
Lösungsvorschläge entwickeln: In dieser Phase wird nach allen denkbaren Lösungen
gesucht. Dabei werden sowohl schon vorhandene Ideen zusammengetragen als auch –
unter Einsatz von Kreativitätsmethoden – neue Ideen entwickelt. Dabei wird zunächst
noch nicht auf Realisierbarkeit geachtet.
Lösungen prüfen und auswählen: Um die gefundenen Ideen bewerten zu können,
müssen zunächst Bewertungskriterien festgelegt und eine Bewertungsmethode ausgewählt werden. Die Bewertung wird sich dabei nicht nur auf die technische Umsetzbarkeit
einer Idee erstrecken, sondern auch wirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtigen. Als
Methode wird häufig die Nutzwertanalyse eingesetzt. Ideen, die aussichtsreich erscheinen, werden zu Lösungsansätzen verdichtet, die wiederum bewertet werden müssen.
Dieser – möglicherweise mehrschrittige – Prozess soll in die Erstellung einer Entscheidungsvorlage münden, auf deren Basis letztlich die Entscheidung für die Verwirklichung
eines Lösungsvorschlags getroffen wird.
Lösung verwirklichen: Die Vorgehensweise bei der Realisierung der gefundenen und
verabschiedeten Lösung muss wiederum im Detail geplant werden. Wie sich eine Projektdurchführung vollzieht, was dabei zu beachten ist und welche begleitenden Kontrollen und
Dokumentationen erforderlich sind, wird ausführlich in Abschnitt 3.5.6.1 dargestellt.
Wie bereits erwähnt, kommt der Beschreibung und Bewertung einzelner Funktionen große Bedeutung zu, die, wie ebenfalls erwähnt, im Rahmen der Wertanalyse mit einem Subjekt und einem Prädikat umschrieben werden, wobei das Subjekt quantifizierbar sein soll.
Durch diesen Zwang zum verbalen Ausdruck soll eine voreilige Fixierung auf bestimmte
technische Realisierungsmöglichkeiten vermieden werden. Derart ausgedrückte Funktionen sind etwa »Energie abgeben«, »Uhrzeit anzeigen«, »Personen befördern« usw.
Die so umschriebenen Funktionen können weiter unterteilt werden in Funktionsarten:
– Gebrauchsfunktionen, die zur technischen und wirtschaftlichen Nutzung des Objektes
erforderlich sind, und
– Geltungsfunktionen, die Geschmacks- oder Prestigeansprüche erfüllen.
Man unterscheidet ferner in Funktionsklassen:
– Hauptfunktionen, die den eigentlichen Zweck des Produktes bzw. der Dienstleistung
kennzeichnen, und
– Nebenfunktionen, die dienenden oder ergänzenden Charakter aufweisen und gegebenenfalls verzichtbar sind.
Zu den Begriffen der Funktionsarten und der Funktionsklassen im Sinne der Wertanalyse
folgt noch eine Abbildung:
56
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3 Information, Kommunikation und Planung
3.2 Planung und Analyse
Funktionen
Nebenfunktion
Hauptfunktion
Nebenfunktion
Hauptfunktion
Funktionsklassen
Geltungsfunktion
Gebrauchsfunktion
Funktionsarten
unerwünschte
Funktion
Funktionsarten und -klassen im Sinne der Wertanalyse
Beispiel:
Hauptfunktion einer Armbanduhr ist zweifellos »Uhrzeit anzeigen«. Dabei handelt es sich
um eine Gebrauchsfunktion, denn hierin liegt der eigentliche Nutzen einer Uhr. Daneben
ist die Armbanduhr aber auch ein modisches Accessoire, das seinen Besitzer schmückt
und gegebenenfalls auch seine Prestigebedürfnisse erfüllt. Hierbei handelt es sich um
Nebenfunktionen, die zugleich Geltungsfunktionen sind.
Die Übersicht zeigt Funktionsbeschreibungen, Funktionsarten und Funktionsklassen
diverser Produkte.
Funktionsart
Produkt
Wecker
Armbanduhr
Schraube
Ohrring
Gebrauchs- Geltungsfunktion
funktion
x
x
x
x
x
x
Funktionsklasse
Funktionsart
Hauptfunktionen Gebrauchs- GeltungsSubjekt
Prädikat
funktion
funktion
Zeit
Signal
Zeit
Teile
Träger
anzeigen
abgeben
anzeigen
verbinden
schmücken
x
x
Funktionsklasse
Nebenfunktionen
Subjekt
Prädikat
Träger
Lösen
schmücken
ermöglichen
Neben den obengenannten Funktionskategorien kennt die Wertanalyse den Begriff der
»funktionsbedingten Eigenschaften«. Hierunter ist die Art und Weise der Aufgabenerfüllung zu verstehen, d. h. »in Bemessungsdaten ausgedrückte auf die Funktionen bezogene quantitative und qualitative Anforderungen«.
Funktionsbedingte Eigenschaften geben an, wie lange, wie häufig, mit welcher Wirkung,
unter welchen Bedingungen und mit welcher Qualität eine Funktion erfüllt wird oder erfüllt
werden soll. Damit grenzen sie die Lösungsmöglichkeiten ein.
Aus der Zusammenfassung von Funktionseigenschaften entsteht ein funktionales
Gesamtbild (auch als Funktionsgliederung bzw. Funktionsstruktur bezeichnet), das im
Falle der Neugestaltung eines Produktes als Soll-Struktur zu erstellen, im Falle der Wertverbesserung eines bereits vorhandenen Objektes zu überprüfen ist. Im letzteren Falle
kann eine Überprüfung zu der Erkenntnis führen, dass einzelne Funktionen unnötig sind,
weil sie weder der Erfüllung anderer, wesentlicher Funktionen dienen noch einen selbstständigen Nutzen für den Abnehmer darstellen.
Zweckmäßigerweise werden die funktionsbedingten Eigenschaften in zwingend notwendige Eigenschaften (die das Objekt etwa aufgrund von Sicherheitsbestimmungen unbedingt aufweisen muss) und wahlfreie Eigenschaften unterschieden.
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57
3.2 Planung und Analyse
3 Information, Kommunikation und Planung
Funktionsgliederungen nennen nicht nur die nach Funktionsklassen in Haupt- und Nebenfunktionen unterschiedenen funktionsbedingten Eigenschaften, sondern untergliedern jede Hauptfunktion in Nebenfunktionen, indem, ausgehend von der Hauptfunktion, jeweils
nach dem »Wie« gefragt wird, während die nachrangigen Stufen ihre »Daseinsberechtigung« jeweils aus der Frage nach dem Dienst für die Hauptfunktion (»Warum?«) ableiten.
Gegenstand der Betrachtung ist ein Füllfederhalter.
Hauptfunktionen
1. Rangstufe
Papier beschreiben
Nebenfunktionen
2. Rangstufe
Tinte bereithalten
Tinte aufnehmen
Tinte abgeben
Tinte dosieren
Tinte zurückhalten
Eintrocknen verhindern
usw.
3. Rangstufe
Tank bereithalten
Kolben aufdrehen
Feder füllen
Feder verjüngen
Feder druckentlasten
Feder abdichten
usw.
Derartige Funktionsgliederungen bieten Orientierungshilfen zur Produktgestaltung bzw.
ihrer Verbesserung und damit zur Ermittlung der Kosten und des Marktnutzens. Indem jeder einzelnen Funktion die auf sie entfallenden Kosten zugeordnet werden, wird ein Vergleich der Kosten für einzelne Funktionen mit den Kosten für Alternativlösungen sowie mit
den Kosten anderer Funktionen ermöglicht. Hieraus resultieren Anregungen für kostengünstigere Funktionslösungen, Hinweise auf Einsparpotenziale bei Verzicht auf als unnötig erkannte Funktionen und Grundlagen für die Ermittlung der Kosten für solche Funktionen, deren Hinzufügung erwogen wird.
Die Beurteilung der gefundenen Lösungen/Ideen orientiert sich in technischer Hinsicht
vor allem an der Qualität, in der sich die Funktionstüchtigkeit eines Produktes und die
Tauglichkeit der bei der Herstellung angewandten Verfahren ausdrückt, und in wirtschaftlicher Hinsicht am erwarteten Gewinn. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Aktualität der
Lösung, also in wie weit sie den Marktgegebenheiten – Mode, besondere Verbraucherbedürfnisse, saisonale Bedingungen – entgegenkommt.
Diese Wertmaßstäbe sind nicht isoliert zu betrachten; vielmehr ergibt sich der Wert des
Produktes aus ihrer einheitlichen Betrachtung. Daher bietet sich ein Amalgamationsansatz wie die Nutzwertanalyse zur Durchführung von Bewertungen an, zumal diese Methode unterschiedliche Gewichtungen der verschiedenen Kriterien zulässt.
Während die Gebrauchs- und Geltungsfunktionen auf diese Weise in die Bewertung einfließen, bleiben solche Werte, die lediglich für die Unternehmung bedeutsam sind – etwa
Image, Know-how oder Tradition – unberücksichtigt. Ergibt die Bewertung eine Rangreihung der möglichen Alternativen, so wird die höchstrangige Lösung realisiert.
Teile der Fachliteratur kritisieren die Wertanalyse insofern, als die detaillierte Analyse der
Funktionen die Gefahr des Versinkens in Detailbetrachtungen unter Aufgabe der ursprünglichen Absicht der ganzheitlichen Betrachtung birgt. Die Folge, so die Kritiker, ist
das Auffinden und die Verwirklichung von Insellösungen unter Vernachlässigung übergreifender, möglicherweise wirtschaftlicherer Lösungsmöglichkeiten. Dennoch ist allgemein
unbestritten, dass die Wertanalyse wichtige Beiträge zur Aufdeckung und Beseitigung von
Unwirtschaftlichkeiten zu leisten vermag. Zahlreiche Unternehmen setzen das Instrument
der Wertanalyse praktisch ein und berichten über zum Teil beträchtliche Kosteneinsparungseffekte.
Häufig werden diejenigen Produkte oder Leistungen, denen eine besondere wirtschaftliche Bedeutung zukommt und die deshalb regelmäßigen Wertanalysen unterzogen werden sollen, vorab mittels einer ABC-Analyse identifiziert. Diese wurde bereits in Abschnitt
3.2.2.3 vorgestellt.
58
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3 Information, Kommunikation und Planung
3.2.4.3
3.2 Planung und Analyse
Ursachen-, Nutzwert- und ABC-Analyse
Zu den Planungs- und Analysemethoden sind unbedingt auch die Ursachenanalyse, die
Nutzwertanalyse und die ABC-Analyse zu zählen.
Ursachenanalyse: Die Ursachenanalyse wird häufig vorbeugend durchgeführt, um möglichen Störungen eines Prozesses oder angestrebten Erfolges von vornherein entgegenzuwirken. Ausgehend von Ursachengruppen (Mensch, Methode, Technik...) werden
Haupt- und Nebenursachen identifiziert; die Betrachtung verästelt vom Allgemeinen zum
Besonderen und verfolgt, analog zur Philosophie des Qualitätsmanagements, das Ziel,
Fehler »erst gar nicht entstehen zu lassen«.
Eine ausführlichere Darstellung eines in der Ursachenanalyse weit verbreiteten Instruments, des Ishikawa-Diagramms, erfolgte bereits in Abschnitt 3.2.2.3.
Nutzwertanalyse: Die Nutzwertanalyse ist ein so genannter Amalgamationsansatz:
Durch sie können verschiedene Einflussfaktoren, die insgesamt den Nutzen eines
Betrachtungsobjektes ausmachen, zu einer einen Vergleich ermöglichenden Größe verschmolzen werden. Die Kriterien, die in die Beurteilung einfließen, können dabei sowohl
quantifizierbar (Größe, Gewicht, Kosten...) als auch nicht-quantifizierbar (Qualität, Design,
Geschmack...) sein.
Ein Beispiel für eine Nutzwertanalyse enthält Abschnitt 3.2.2.5.
ABC-Analyse: Die ABC-Analyse hilft, Wichtiges von Nebensächlichem zu trennen, indem
sie die Gegenstände der Betrachtung (häufig Produkte, Materialien, Werkzeuge) auf ihre
Bedeutung hin untersucht, also etwa der Frage nachgeht, welchen Anteil des gesamten
Lagerwertes ein bestimmter Artikel ausmacht.
In Abschnitt 3.2.2.3 wurde ein Beispiel für eine ABC-Analyse gezeigt, in dem Tätigkeiten
nach ihrer zeitlichen Bedeutung in A-, B- und C-Tätigkeiten geordnet wurden.
3.2.4.4
Netzplantechnik
Betriebliche Abläufe sind häufig komplex und nicht ohne weiteres überschaubar. Viele Projekte, z. B. die Erledigung eines umfangreichen Kundenauftrages, die Umstellung einer
Produktionsanlage oder die Errichtung und der Bezug eines neuen Betriebsgebäudes, sind
so vielschichtig, dass die Frage, wann welcher Arbeitsschritt beginnen kann und wann das
Projekt abgeschlossen sein wird, häufig nicht ohne weiteres beantwortet werden kann.
Ein wirksames Verfahren, mit dem komplizierte Abläufe strukturiert und zugleich visualisiert und damit operationalisiert (»handhabbar gemacht«) werden können, ist die Netzplantechnik.
Bei Anwendung der Netzplantechnik wird ein Ablauf zunächst in Vorgänge zerlegt. Anschließend werden die Abhängigkeiten zwischen den Vorgängen untersucht: Gibt es Vorgänge, die erst beginnen können, wenn andere Vorgänge abgeschlossen sind? Gibt es
andererseits Vorgänge, die völlig unabhängig von den anderen Vorgängen durchgeführt
werden können? Auf diese Weise können jedem abhängigen Vorgang seine Vorgänger
zugeordnet werden.
Schließlich ist noch die Frage zu beantworten, wie viel Zeit jeder einzelne Vorgang in Anspruch nimmt. Dem entsprechend werden den Vorgängen Zeitbedarfe – je nach Art des
Projektes in Minuten, Stunden, Fabriktagen, Wochen usw. – zugeordnet.
Aus der Auflistung der Vorgänge, Vorgänger und Zeitbedarfe resultiert eine Vorgangsliste.
Die nachfolgende Abbildung zeigt eine Vorgangsliste am – bewusst vereinfachten – Beispiel eines Neubaus.
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3.2 Planung und Analyse
3 Information, Kommunikation und Planung
Projekt: Bau des Verwaltungsgebäudes
Nr.
Vorgang
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Erdarbeiten
Fundament
Rohbau
Dachstuhl
Dacheindeckung
Installationen
Fenster, Türen
Außenverklinkerung
Innenputz
Malerarbeiten
Außenanlagen
Einzug
Vorgangsliste
Dauer
(Wochen)
Unmittelbarer
Vorgänger
2
3
10
2
2
8
1
4
3
3
6
2
1
2
3
4
3
4
7
5,7
9
7
6, 8, 10, 11
Vorgangsliste »Neubau eines Verwaltungsgebäudes«
Ein – nicht unbedingt erforderlicher, aber empfehlenswerter – Zwischenschritt auf dem
Weg von der Vorgangsliste zum Netzplan ist die Erstellung eines Balkendiagramms
(Gantt-Diagramms). Mit seiner Hilfe können Gesamtdauer und Endtermin eines jeden Vorgangs wie auch des gesamten Projektes bestimmt werden. Zugleich werden parallel ablaufende Vorgänge sichtbar. Das Gantt-Diagramm zeigt die Umsetzung der Vorgangsliste.
Vorgang
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
5
10
15
20
25
Wochen
Gantt-Diagramm »Neubau eines Verwaltungsgebäudes«
Im Anschluss kann die Umsetzung in einen Netzplan erfolgen.
Netzpläne weisen als Elemente Knoten und Linien auf. Durch Pfeile werden jeweils zwei
Knoten miteinander verbunden.
60
Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
3 Information, Kommunikation und Planung
3.2 Planung und Analyse
Es gibt verschiedene Formen von Netzplänen, die hier aber nicht alle beschrieben werden
sollen; vielmehr wird im Folgenden ein gängiger »knotenorientierter« Netzplan vorgestellt.
Hierbei wird jeder Vorgang durch einen Knoten repräsentiert, der zunächst die Vorgangsnummer, die Vorgangsbezeichnung und den Zeitbedarf (Dauer) anzeigt. Während der
sukzessiven Entwicklung des Netzplans, die die Vorgänger-Nachfolger-Beziehungen berücksichtigt, ergibt sich für jeden einzelnen Vorgang ein frühester Anfangszeitpunkt und,
durch Verrechnung der bekannten Dauer des Vorgangs, ein frühester Endzeitpunkt.
Aus dem fertigen Netzplan lassen sich durch Rückwärtsrechnung ein spätester End- und
Anfangszeitpunkt für jeden Vorgang und ggf. Pufferzeiten, also Zeiten, um die sich ein Vorgang verzögern darf, ohne dass hieraus eine Verzögerung des Endzeitpunkts des Gesamtprojektes resultiert, errechnen.
FAZ
FEZ
Vorgangsnummer
Vorgangsbezeichnung
SAZ
SEZ
Dauer in
Wochen
Pufferzeit
Aufbau eines Knotens in einem knotenorientierten Netzplan
Die Verbindung zwischen den Knoten wird durch Linien geschaffen. Diese sind eindeutig
gerichtet. Dabei kann jeder Knoten mit Ausnahme der Anfangs- und Endknoten sowohl
mehrere Vorgänger als auch mehrere Nachfolger haben.
Im Gegensatz zu Datenflussplänen oder Struktogrammen (die in Abschnitt 3.6.6.2.4
dargestellt werden und Netzplänen in vieler Hinsicht ähneln), sind in Netzplänen Rückführungen (Schleifen) und Verzweigungen (»wenn...dann...sonst«) nicht erlaubt: Ihr Ziel
ist ja gerade die Abbildung einer eindeutigen Zeitabfolge.
In Fortführung des Beispiels ergibt sich in der Vorwärtsrechnung folgender Netzplan:
Netzplan »Neubau eines Verwaltungsgebäudes« (Vorwärtsrechnung)
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61
3.2 Planung und Analyse
3 Information, Kommunikation und Planung
In Rückwärtsrechnung wird nun, ausgehend vom errechneten Endzeitpunkt , für jeden
Vorgängerknoten ein »spätester Endzeitpunkt« errechnet. Die Differenz zwischen »frühestem Anfangszeitpunkt« und »spätestem Anfangszeitpunkt« (die natürlich der Differenz
zwischen »frühestem Endzeitpunkt« und »spätestem Endzeitpunkt« entspricht) ist die
Pufferzeit. Bei der Ausnutzung von Pufferzeiten muss aber natürlich beachtet werden,
dass diese in einer Reihe aufeinanderfolgender Knoten dem einzelnen Knoten häufig nur
dann zur Verfügung steht, wenn sie nicht schon von einem Vorgängerknoten aufgezehrt
worden ist. Manche Darstellungen weisen dementsprechend gesondert die »freien Pufferzeiten« aus, die von einem einzelnen Knoten unabhängig ausgeschöpft werden können.
Die Folge der Knoten ohne Puffer wird als »kritischer Weg« bezeichnet.
2
0
0
FAZ
0
FEZ
Vorgangsnummer
0
0
0
0
1
3
0
Vorgangsbezeichnung
SAZ
Dauer in
Wochen
SEZ
1
Pufferzeit
Netzplan »Neubau eines Verwaltungsgebäudes« (inkl. Rückwärtsrechnung)
Im obigen Beispiel wird jede Teilaufgabe durch einen Knoten dargestellt, während die
Anordnungsbeziehungen durch Linien repräsentiert werden. Eine andere Möglichkeit der
Darstellung ist die Zuweisung von Vorgängen zu Pfeilen, während die durch die Vorgänge
geschaffenen Ereignisse oder Tatbestände durch Knoten abgebildet werden.
Die wichtigsten Methoden der Netzplantechnik sind
– CPM (Critical Path Method): Diese Methode bildet Vorgänge als Pfeile ab und stellt
Ende-Anfang-Beziehungen dar (Vorgang B kann nicht beginnen, bevor nicht Vorgang A
abgeschlossen ist).
– PERT (Program Evaluation and Review Technique): Knoten repräsentieren Ereignisse;
die Darstellung verdeutlicht Ende-Ende-Beziehungen (Ereignis B folgt auf Ereignis A).
– MPM (Metra Potential Method): MPM erzeugt Vorgangsknoten-Netzpläne und bildet
Anfang-Anfang-Beziehungen ab (Vorgang B kann erst beginnen, wenn A begonnen
hat).
Netzpläne können dahingehend erweitert werden, dass sie Wartezeiten (etwa zwischen
dem Aushärten eines Werkstoffes und dem nächsten Bearbeitungsschritt) berücksichtigen oder zur Planung von Kapazitäten (Personal-, Material-, Betriebsmittelbedarf) herangezogen werden können. Ein Beispiel für die Weiterverarbeitung der in einem Netzplan
identifizierten Zusammenhänge zwischen Vorgängen in einer Kapazitätenplanung enthält
Abschnitt 3.5.5.3.
62
Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
2 Situationsaufgaben
2.2.11
2.2 Aufgabenbeispiele
»Kostenrechnung zur Selbstprüfung«
Als angehender Meister versetzen Sie sich bitte gedanklich in die Situation, dass Sie den
Meister vertreten müssen. Ihr Wissen ist dabei aus allen Gebieten erforderlich, über die
Sie bisher unterrichtet wurden. Selbst aus der Volkswirtschaftslehre sind einige Grundkenntnisse nötig, um wirtschaftliches Handeln im Gesamtzusammenhang richtig einzuschätzen (denken Sie z. B. an die Minimalkostenkombination der Produktionsfaktoren).
Ebenfalls aus diesem Gebiet stammt die Erkenntnis, dass es letztlich in der Wirtschaft immer um Güter geht. Das industrielle Rechnungswesen stellt das Ergebnis einer Abrechnungsperiode deshalb nicht nach Einnahmen und Ausgaben, sondern nach bewerteter
Gutsmehrung (Erträgen) und bewertetem Gutsverbrauch (Aufwendungen) fest.
Um nicht nur einen Beispielfall herauszugreifen, sondern um zu Ihrer Sicherheit Ihr Wissen und Ihre Fähigkeit darauf gerichtet zu überprüfen, ob sie verschiedenartige praktische
Fälle mit denen ein Meister konfrontiert werden kann, beherrschen würden, ist das Ziel
der folgenden Selbstprüfungsaufgaben.
2.2.11.1
Aufgabe 1
Kreuzen Sie von folgenden Aufwendungen eines Apparatebau-Unternehmens diejenigen
an, die als Zweckaufwendungen der Abrechnungsperiode bezeichnet werden und daher
als Grundkosten in die Kosten- und Leistungsrechnung eingehen.
1□
2□
3□
4□
5□
6□
7□
8□
9□
10 □
Fertigungsmaterial
Personalaufwendungen im Fertigungsbereich
Steuernachzahlung für Vorjahr
Spende für eine Hilfsorganisation
Verlust aus Wertpapierverkäufen
Kontoführungsgebühren
Verwarnungsgeld für falschparken von Dienstwagen der Außenmontage
Aufwendungen für Werbedrucke
Instandsetzung eines unversicherten Feuerschadens
Maschinenwartung
Schreiben Sie nun die Ziffern der Positionen untereinander, die Sie nicht angekreuzt haben, und begründen Sie knapp hinter jeder Ziffer, warum die Position nicht zu den Kosten
gehört! (Sie lehnen die Belastung Ihrer Kostenstelle ab.)
2.2.11.2
Aufgabe 2
Kreuzen Sie von folgenden Erträgen die Betriebserträge (Zuwächse durch betriebliche
Leistungen) an.
1 □ Erträge einer Unternehmung (Autoherstellung) aus Beteiligung an
Wohnbauten
2 □ Zinserträge aus der Anlage überschüssiger Kassenbestände
3 □ Zinserträge aus Bundesschatzbriefen
4 □ Umsatzerlöse
5 □ Rückerstattung verauslagter Instandsetzungsaufwendungen durch die
Versicherung
6 □ Bestandserhöhung an halbfertigen Erzeugnissen
7 □ Inbetriebnahme einer Krananlage aus Eigenbau
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83
2.2 Aufgabenbeispiele
2 Situationsaufgaben
a) Schreiben Sie nun die Ziffern der Positionen untereinander, die Sie nicht angekreuzt
haben, und begründen Sie knapp hinter jeder Ziffer, warum die Position nicht zu den
Betriebserträgen, sondern zu den neutralen Erträgen gehört!
b) Schreiben Sie danach die Ziffern der Positionen untereinander, die Sie angekreuzt haben, und begründen Sie knapp hinter jeder Ziffer, warum die Position zu den Betriebserträgen gehört!
2.2.11.3
Aufgabe 3
Alle Dienststellen einer Unternehmung für Apparatebau sind in einem Organigramm (siehe die folgende, ganzseitige Abbildung) aufgeführt.
Geben Sie im Organigramm jeder Dienststelle im freien Kästchen über deren Namen eine
aus vier Ziffern bestehende Kostenstellennummer, die es ermöglicht, in der Kosten- und
Leistungsrechnung daraus
einerseits den Ort der Kostenentstehung zu erkennen und
andererseits mit Hilfe des Nummernsystems Zusammenfassungen von Stellenkosten
zu Bereichs-, Abteilungs- und schließlich Gesamtkosten eines Zeitraumes vorzunehmen.
Ordnen Sie die Ziffern in den Nummern so an, dass sowohl daran erkennbar ist, auf welcher Stufe der Hierarchie die Dienststelle angeordnet ist, als auch bei den jeweils nachgeordneten Kostenstellen die Abteilungszugehörigkeit eindeutig erkennbar ist.
Erstellen Sie nun ein Kostenstellenverzeichnis, indem Sie die Kostenstellennummern
dem Organigramm entnehmen, sie zahlenmäßig geordnet untereinander schreiben und
jeder Nummer die Bezeichnung der Kostenstelle hinzufügen.
Es ist wichtig für Sie, dass Sie erst nach Fertigstellung Ihrer Lösung diese mit dem Lösungsvorschlag vergleichen. Bei prinzipiellen Differenzen überprüfen Sie die Ursache.
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2 Situationsaufgaben
Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
2.2 Aufgabenbeispiele
85
2.2 Aufgabenbeispiele
2.2.11.4
2 Situationsaufgaben
Aufgabe 4
Welche beiden wichtigen Dienststellen der Abteilung Materialwirtschaft fehlen im von Ihnen erstellten Kostenstellenverzeichnis wie auch im Organigramm der Aufgabe 3?
2.2.11.5
Aufgabe 5
Ordnen Sie die Ziffern der drei folgenden Arbeitsschritte in der kleinen Tabelle je einem
Bereich der Betriebsabrechnung zu.
1. Verteilung der Gemeinkosten einer Periode auf die Orte der Kostenentstehung
2. Geordnete Erfassung aller im Laufe einer Periode angefallenen Kosten
3. Ermittlung der Herstell- und der Selbstkosten für die in der Periode erstellten Güter
Betriebsabrechnung
Kostenartenrechnung
2.2.11.6
Kostenstellenrechnung
Kostenträgerrechnung
Aufgabe 6
Entwerfen Sie einen Materialentnahmeschein, der für alle Bezüge aus einem Lager
(Materiallager, Lager halbfertiger Erzeugnisse, Fertigfabrikatelager) geeignet sein soll.
Überlegen Sie zuvor, welche Angaben ein solcher Bezugszettel enthalten muss und wo
die Angaben nach Ihrer Einschätzung zweckmäßig auf dem Formular angeordnet sein
sollten.
2.2.11.7
Aufgabe 7
Entwerfen Sie einen Betriebsabrechnungsbogen zur monatlichen Ermittlung der Ist-Gemeinkosten und zur Errechnung der erforderlichen Ist-Zuschlagsätze, damit diese mit den
vorgegebenen Normal- oder Planzuschlagsätzen verglichen werden können.
Die kleine Unternehmung hat folgende Kostenstellen:
Allgemeine Kostenstelle
Fertigungshilfsstelle
Werkstätten A, B und C
Materiallager
Verwaltungskostenstelle
Vertriebskostenstelle
An Gemeinkostenarten sind die folgenden zu berücksichtigen:
Hilfslöhne
Sozialkosten
Werkzeuge
Energiekosten
Kapitalkosten
Sonstige Gemeinkosten
86
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2 Situationsaufgaben
2.2.11.8
2.2 Aufgabenbeispiele
Aufgabe 8
Für ein Unternehmen als Ganzes seien gegeben:
Anlagevermögen
Umlaufvermögen
5.000.000 €
3.000.000 €
Betriebsnotwendig sind lt. Einzelaufnahme:
Anlagevermögen
Umlaufvermögen
Eigenkapital
Fremdkapital zu 10 % Zinsen
Landesüblicher Zins 8 %
4.000.000 €
2.000.000 €
5.000.000 €
3.000.000 €
Wählen Sie die Zahlen aus, die man zur Berechnung der kalkulatorischen Zinsen benötigt. Errechnen Sie daraus die monatlichen kalkulatorischen Zinsen für das Unternehmen!
2.2.11.9
Aufgabe 9
Wer eine Kostenstelle leitet, muss sich auch um die anfallenden Stellengemeinkosten
kümmern. Zur Übung und Überprüfung dieser Fähigkeit nehmen Sie sich aus dem Stellenkostenblatt Ihrer Dienststelle zwei Kostenarten vor:
Die erste soll Gemeinkosten enthalten, die auf Grund von Belegen, die vom Stellenleiter
ausgestellt wurden, angefallen sind; also z. B. die Kostenart Putzlappen oder Büromaterial oder eine GK-Lohn-Art.
Als zweite Kostenart überprüfen Sie die kalkulatorischen Zinsen. Sehen Sie anhand des
Kostenstellenblattes Ihrer Dienststelle nach, wie viel kalkulatorische Zinsen der Kostenstelle monatlich belastet werden.
Prüfen Sie für beide Kostenarten, ob die Kostenstelle korrekt belastet wurde!
2.2.11.10
Aufgabe 10
Errechnen Sie mit folgenden aus einem BAB entnommenen Zahlen die Zuschlagsätze
(gerundet auf eine Stelle hinter dem Komma) für Mat.-GK, F.-GK der Werkstätten und
Verwaltungs-GK.
54.998 €
90.025 €
130.875 €
93.494 €
Gemeinkosten des Materialbereichs
Gemeinkosten der Werkstatt A
Gemeinkosten der Werkstatt B
Gemeinkosten des Verwaltungsbereichs
Zuschlagsbasen:
Fertigungsmaterial
Fertigungslöhne in Werkstatt A
Fertigungslöhne in Werkstatt B
Herstellkosten
1.099.957 €
47.360 €
95.850 €
bitte selbst errechnen!
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87
2.2 Aufgabenbeispiele
2.2.11.11
2 Situationsaufgaben
Aufgabe 11
Errechnen Sie in Ihrem Betrieb den Ist-Zuschlagsatz des letzten Abrechnungsmonats Ihrer Dienststelle, um ihn mit dem vorgegebenen Normalsatz zu vergleichen.
Wodurch entstehen Abweichungen? In welchen Fällen kann der Meister Abhilfe versuchen? Welche Maßnahmen kommen in Betracht?
2.2.11.12
Aufgabe 12
Für ein Unternehmen, das nur eine Sorte Zement herstellt, führen Sie bitte eine Kalkulation zur Selbstkostenermittlung durch. Folgende Zahlen liegen vor:
Im abgelaufenen Monat sind 863.250 € an Gesamtkosten entstanden. Davon waren
690.600 € Einzelkosten.
Erzeugt wurden im gleichen Zeitraum 345.300 t Zement.
Errechnen Sie mit Hilfe der Divisionskalkulation die Höhe der Einzelkosten je t, die Höhe
der Gemeinkosten und die Selbstkosten je t Zement!
2.2.11.13
Aufgabe 13
Im Zementwerk werden drei Zementsorten hergestellt:
A) Naturzement
B) Portlandzement
C) Trasszement
Bekannt sind:
die Gesamtkosten des abgelaufenen Monats in Höhe von 1.401.300 €
die erzeugten Mengen: A = 200.000 t, B = 500.000 t, C = 100.000 t
die Äquivalenzziffern für A = 0,9, B = 1,0 und C = 1,3
Errechnen Sie mit Hilfe einer Äquivalenzziffernkalkulation die Selbstkosten je t für die
Zementsorten A, B und C.
Führen Sie zu diesem Zweck die drei Schritte durch:
1. Ermittlung der rechnerischen Erzeugnismenge
2. Ermittlung der Kosten je Recheneinheit
3. Ermittlung der Selbstkosten je t für jede Sorte
2.2.11.14
Aufgabe 14
Ein Erzeugnis erfordert:
Fertigungsmaterial lt. Stückliste: 1.200,00 €
Fertigungslöhne: 20 Stunden zu je 20,00 €
Die Zuschlagsätze sind:
Mat.-GK
5%
F.-GK
200 %
Verwalt.-GK
6%
Vertriebs-GK
4%
Stellen Sie hierfür zunächst das Schema für eine Zuschlagskalkulation auf, setzen Sie
danach die Zahlen ein und errechnen Sie die Selbstkosten des Erzeugnisses!
88
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2 Situationsaufgaben
2.2.11.15
2.2 Aufgabenbeispiele
Aufgabe 15
Ein Erzeugnis durchläuft zu seiner Herstellung die Werkstätten A, B und C. Für die Kalkulation liegen folgende Zahlen vor:
Fertigungsmaterial lt. Stückliste
Fertigungslöhne in Werkstatt A
in Werkstatt B
in Werkstatt C
1.500,00 €
500,00 €
400,00 €
200,00 €
Die Zuschlagsätze sind:
Mat.-GK
4%
FGK in Werkstatt
A 100 %
in Werkstatt
B 150 %
in Werkstatt
C 200 %
Verwaltungs-GK
10 %
Vertriebs-GK
5%
Entwickeln Sie das Kalkulationsschema hierfür und errechnen Sie danach die Selbstkosten des Erzeugnisses!
2.2.11.16
Aufgabe 16
In einem Apparatebau-Unternehmen sollen die Selbstkosten für einen Auftrag ermittelt
werden. Es sind folgende Gemeinkosten-Zuschlagsätze anzuwenden:
Materialbereich
15 %
Fertigungsbereich
110 %
Verwaltungsbereich
10 %
Vertriebsbereich
5%
Fertigungsmaterial ist in Höhe von 60,00 € anzusetzen,
Fertigungslöhne in Höhe von 250,00 €.
Errechnen Sie die Selbstkosten!
2.2.11.17
Aufgabe 17
In einer Kostenstelle, in der das Fertigungsverfahren überwiegend Spezialmaschinen in
Anspruch nimmt, wurden für die maschinelle Anlage die nachfolgend aufgeführten maschinenabhängigen Kosten ermittelt. Errechnen Sie daraus den Maschinenstundensatz!
Anschaffungswert der maschinellen Anlage
Lineare Abschreibung über
Kalkulatorischer Zins
Werkzeugkosten/Jahr
Wartung und Instandhaltung/Jahr
Benötigte Arbeitsfläche
Quadratmeter-Verrechnungssatz p. a.
Energiekosten je kWh
Durchschnittlich benötigte Leistung
Veranschlagte Jahreslaufzeit
2.2.11.18
200.000,00 €
4 Jahre
10 %
24.000,00 €
30.000,00 €
50 m2
500,00 €
0,20 €
4 kW
1.800 Stunden
Aufgabe 18
Sie haben die Aufgabe, für ein Erzeugnis die Menge MG zu errechnen, deren Absatz notwendig ist, um aus dem Verlustbereich heraus die Gewinnschwelle (den break even point)
zu erreichen.
Lösen Sie die Aufgabe nur formelmäßig, ohne Zahlen einzusetzen!
Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
89
2.2 Aufgabenbeispiele
2.2.11.19
2 Situationsaufgaben
Aufgabe 19
Für ein Erzeugnis können am Markt 14,00 €/Stück erzielt werden. Die Herstellung verursacht pro Stück folgende Kosten:
Fertigungsmaterial
4,00 €
Fertigungslohn
2,00 €
Variable Gemeinkosten 3,00 €
Errechnen Sie den Fixkostendeckungsbeitrag (db), den das Erzeugnis je Produkteinheit erbringt!
2.2.11.20
Aufgabe 20
Ermitteln Sie die Gewinnschwellenmenge für ein Erzeugnis, dessen Deckungsbeitrag
pro Stück 5,00 € beträgt. Die Gesamtfixkosten Kf betragen 100.000 €.
2.2.11.21
Aufgabe 21
Die folgende Tabelle enthält die Gesamtkosten verschiedener Erzeugungsmengen eines
Produktes. Der Verkaufspreis pro Stück beträgt bei jeder Absatzmenge 1,65 €.
Wie können Sie aus diesen Angaben ermitteln, bei welcher Menge das Gewinnmaximum liegt?
Produktmenge
씮
0
10.000
20.000
30.000
40.000
50.000
60.000
70.000
80.000
90.000
100.000
Gesamtkosten
€
70.000
75.000
80.000
85.000
89.000
93.000
96.000
103.000
115.000
140.000
170.000
2.2.11.22
Aufgabe 22
Aus der Kostenrechnung einer Maschinenbau-GmbH liegen folgende Zahlen vor:
Absatz der Periode
Erlös pro Stück(e)
Variable Kosten pro Stück (kv)
Fixkosten der Periode (Kf)
8.000 Stück
57,50 €
45,00 €
110.000,00 €
1. Berechnen Sie den Fixkostendeckungsbeitrag pro Stück (db) und insgesamt (DB)!
2. Berechnen Sie die Gewinnschwellenmenge (MG)!
3. Berechnen Sie das Periodenergebnis!
Sollte die Fertigung angesichts dieser Zahlen bei unveränderlichen Stückerlösen herabgesetzt, heraufgesetzt oder eingestellt werden? Begründen Sie Ihr Urteil!
90
Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
2 Situationsaufgaben
2.2.11.23
2.2 Aufgabenbeispiele
Aufgabe 23
Die Selbstkosten für ein Erzeugnis wurden mit 15,00 € ermittelt.
Die variablen Stückkosten betragen:
9,00 €
Da die Unternehmung unterbeschäftigt ist, wird versucht, durch Preisherabsetzung einen Zusatzauftrag zu bekommen.
a) Welcher Stückpreis sollte mindestens angestrebt werden?
b) Bis zu welchem Stückpreis darf man äußerstenfalls heruntergehen?
2.2.11.24
Aufgabe 24
Zwei maschinelle Anlagen stehen zur Auswahl:
Die Anlage A hat höhere Fixkosten, ermöglicht aber durch einen höheren Automationsgrad eine Einsparung an variablen Kosten, wie z. B. Fertigungslohn.
Die Anlage B hat dagegen geringere Fixkosten, aber höhere variable Kosten pro Stück.
Welche Anlage würden Sie anschaffen? (Unterschiedliche Anschaffungspreise kommen
in den Abschreibungskosten zum Ausdruck, die in den Jahresfixkosten enthalten sind.)
Anlage A:
Anlage B:
2.2.11.25
Jahresfixkosten
Variable Kosten je Erzeugniseinheit
100.000 €
80.000 €
10,00 €
12,00 €
Aufgabe 25
Errechnen Sie die Jahresgesamtkosten für die Erzeugung von 70.000 Stück, und zwar
a) die auf der Anlage A entstehen
b) die auf der Anlage B entstehen
Anlage A:
Anlage B:
Jahresfixkosten
Variable Kosten je Erzeugniseinheit
100.000 €
80.000 €
10,00 €
12,00 €
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91
3 Betriebliche Situationsaufgaben
3.2 Aufgaben
3.2
Die Aufgaben
3.2.1
Einstellung eines Facharbeiters
Sie sollen als Industriemeister bei der Einstellung eines Facharbeiters mitwirken und ihn
auf seine Eignung zum Vorarbeiter (als Ihren ständigen Vertreter) hin beurteilen, da diese
Position im nächsten Jahr neu zu besetzen ist und im Betrieb z. Z. kein anderer Mitarbeiter hierfür in Frage kommt.
Ihre Aufgabe:
1. Führen Sie mit dem Bewerber ein Einstellungsgespräch mit folgenden Zielen:
a)Gewinnen von Informationen, die aus dem Lebenslauf nicht hervorgehen, insbesondere über seine beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen und über Hinweise auf seine Eignung zum Vorarbeiter (und Meisterstellvertreter);
b)Unterrichten des Bewerbers über die zu besetzende Position, die damit verbundenen
Funktionen im Betrieb sowie über seine zukünftigen Vorgesetzten, Kollegen und unterstellten Mitarbeiter;
c) Beantworten von Fragen des Bewerbers hinsichtlich der Arbeitszeit- und Lohnregelungen, der Sozialleistungen, der Stellung der Produkte des Betriebes im Markt und
der Ziele des Unternehmens;
Bemühen Sie sich dabei um eine wirklichkeitsnahe Darstellung der Gegebenheiten
und verhindern Sie falsche Erwartungen des Bewerbers.
Lebenslauf
Name:
Hans-Georg Niemeyer
Geboren am:
26. 03. 1974 in Hannover
Staatsangehörigkeit: deutsch
Familienstand:
verheiratet, ein Kind
Schulbildung:
1980 – 1989, Hauptschule Weberstr. in Hannover
Berufsausbildung:
1989 – 1992, Lehre als Maschinenschlosser,
Fa. Behrens & Wagner, Hannover, mit Facharbeiterprüfung
Bundeswehr:
April 1993 – September 1994, Tätigkeit vor allem in
einer Panzerreparaturwerkstatt
Berufliche Tätigkeit: April 1992 – März 1993, Maschinenschlosser bei
der Lehrfirma
November 1994 – Mai 1997, Betriebsschlosser bei
Chemische Werke AG, Hannover
Juni 1999 – Dezember 2000, Betriebsschlosser bei
Union Tief- und Hochbau AG, Frankfurt/Main
Januar 2001 – bis heute, Betriebsschlosser bei
Volkswagenwerk AG, Hannover
Seit 2005 Kolonnenführer
Seit 2008 Vorarbeiter in der Instandhaltung
Hannover, den 04. März 2010
Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
137
3.2 Aufgaben
3 Betriebliche Situationsaufgaben
2. Tragen Sie die im Gespräch gewonnenen Eindrücke in den Beobachtungsbogen für
Bewerber ein.
Zu einem sorgfältig geführten Einstellungsgespräch gehören Notizen über wichtige
Sachverhalte und Beobachtungen, vor allem dann, wenn mehrere Gespräche unmittelbar aufeinander folgen, weil sich sonst viele Eindrücke verwischen oder verloren gehen
können. Als Hilfe dient Ihnen dieser Beobachtungsbogen, in dem Sie das Zutreffende
ankreuzen und/oder mit kurzen Bemerkungen versehen sollen.
Beobachtungsbogen
Äußere Erscheinung
ungepflegt
lässig
쏔
쏔
unauffällig
normal 쏔
gepflegt
쏔
übertrieben
쏔
Ausprägung der Merkmale
Merkmal
gering
mit kleinen
Mängeln
deutlich
positiv
herausragend
Kontaktfähigkeit
sprachlicher Ausdruck
Selbstbewusstsein
Fachkenntnisse
Erfahrungen als
Vorgesetzter
Bereitschaft zur
Zusammenarbeit
sachbezogenes Interesse
an der neuen Tätigkeit
Auffälligkeiten
Gesamteindruck
ungenügend
ausreichend
쏔
쏔
138
befriedigend
쏔
gut
쏔
ausgezeichnet
쏔
Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
3 Betriebliche Situationsaufgaben
3.2.2
3.2 Aufgaben
Wer leistet Mehrarbeit?
In Ihrer Abteilung ist um 14.50 Uhr kurz vor Arbeitsende an einem Freitagnachmittag eine
unvorhergesehene Arbeit von einem Mitarbeiter zu verrichten, die erst zwei Stunden nach
Feierabend (also gegen 17 Uhr) beendet sein wird.
Für diese Tätigkeit kommen auf Grund ihrer Ausbildung und Erfahrung nur drei Mitarbeiter
in Frage:
A ist gutmütig und übernimmt derartige zusätzliche Aufgaben auf Aufforderung ohne Widerspruch, muss jedoch in letzter Zeit aus gesundheitlichen Gründen auf ärztlichen Rat
seine Freizeit verstärkt zur Erholung und zum Ausgleich seiner beruflichen Beanspruchung nutzen, um seine Leistungsfähigkeit zu erhalten.
B gilt als »schwierig«, weil er zusätzliche Arbeit ständig verweigert, auch wenn er sie aus
arbeitsrechtlicher Sicht nicht ablehnen kann.
C hat regelmäßig freitagnachmittags als Übungsleiter eines Sportvereins das Training der
Jugendlichen zu beaufsichtigen.
Ihre Aufgaben:
Welchen Mitarbeiter werden Sie mit der dringenden Aufgabe beauftragen, welchen nicht?
Was spricht für, was gegen folgende Lösung: Sie führen die Arbeit selbst aus?
Welche Folgen können aus der von Ihnen getroffenen Entscheidung für Ihr Verhältnis zu
den drei Mitarbeitern, zu den übrigen Mitarbeitern, zu Ihren Vorgesetzten und zu Ihren
Meisterkollegen entstehen?
Führen Sie ein Gespräch mit dem ausgewählten Mitarbeiter.
3.2.3
Drei Mitarbeiter müssen versetzt werden
Durch Anschaffung von neuen automatischen Maschinen und organisatorische Maßnahmen sind in Ihrer Abteilung drei Mitarbeiter freigesetzt worden.
Eine weitere Verwendung in Ihrer Abteilung ist nicht möglich, sodass nur ein Einsatz an
anderer Stelle des Werkes in Betracht kommt.
Ihre Aufgaben:
Die Betriebsleitung hat Ihnen den Auftrag erteilt, die zu versetzenden Mitarbeiter zu benennen und ihnen ihre Versetzung mitzuteilen.
Legen Sie dem Betriebsleiter Ihre Auswahlkriterien dar und führen Sie das Versetzungsgespräch mit den betroffenen Mitarbeitern.
Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
139
3.2 Aufgaben
3.2.4
3 Betriebliche Situationsaufgaben
Streit im Betriebsalltag
Zwei Handwerker einer Fremdfirma streiten sich laut mit drei Ihrer Mitarbeiter darüber, wer
für das Umstürzen eines großen Schmierölbehälters und die Beseitigung der umfangreichen Öl-Lache verantwortlich ist. Die Angelegenheit droht in Tätlichkeiten auszuarten.
Ihre Aufgaben:
Was tun Sie?
Wie schreiten Sie ein?
Wie sprechen Sie die Beteiligten an?
Was sagen Sie ihnen?
3.2.5
Spannungen zwischen Mitarbeitern
In einer der Ihnen unterstellten Arbeitsgruppen ist ein/e ältere/r Mitarbeiter/in mit der Abschlusskontrolle der Produktion beauftragt. Über viele Jahre hin haben sich hier nie
Schwierigkeiten ergeben.
Seit einigen Wochen jedoch sind Spannungen zwischen diesem/r kontrollierenden Mitarbeiter/in und einigen jungen Mitarbeitern/innen zu erkennen.
Inzwischen diskutieren in den Pausen und außerhalb des Betriebes auch Nicht-Betroffene
über diese Vorfälle und äußern darüber hinaus zahlreiche Verdächtigungen gegen die beteiligten Personen.
Ihre Aufgaben:
Führen Sie ein Gespräch mit den betroffenen »Parteien« (jede »Partei« wird durch einen
Prüfer vertreten), um zu einem Abbau der Spannungen zu gelangen.
Bringen Sie Ihre Auffassung dabei deutlich zum Ausdruck.
Überlegen Sie, inwieweit Sie diese Spannungen hätten vorhersehen bzw. vermeiden können.
Begründen Sie Ihre Überlegungen und Ihr Vorgehen.
3.2.6
Beschwerde über zu wenig gezahlten Lohn
Einer Ihrer Mitarbeiter kommt zu Ihnen und beschwert sich über zu wenig gezahlten Lohn.
Ihre Aufgabe:
Wie verhalten Sie sich?
140
Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
3 Betriebliche Situationsaufgaben
3.2.7
3.2 Aufgaben
Der behinderte Mitarbeiter in welche Gruppe?
Ihre Firma hat für Ihre Abteilung einen körperlich behinderten Mitarbeiter eingestellt (hier
kann u. U. verzweigt werden: der im Betrieb einen schweren Unfall erlitt oder von Geburt
an gehbehindert und auf seinen Rollstuhl angewiesen ist).
Ihre Aufgabe:
Wie gehen Sie in diesem Falle vor?
3.2.8
Änderungen im Urlaubsplan
Durch eine Reihe unglücklicher Umstände (Lieferanten- und Kundenwünsche, Auftragsstau, Veränderung der Nachfrage) kann der nach langen Diskussionen mühsam ausgehandelte Urlaubsplan Ihrer Abteilung in den Sommermonaten nicht eingehalten werden.
Andernfalls wären die Produktion und damit die Absatzsituation Ihrer Firma grundlegend
gefährdet; viele Mitbewerber auf dem Markt mussten schon Kurzarbeit einführen bzw. die
Produktion einstellen. Dies kann durch verstärkten Einsatz während der Sommermonate
für Ihre Firma vermieden werden.
Ihre Aufgaben:
Sie müssen kurzfristig eine weitreichende Änderung des Urlaubsplanes durchführen, zu
der der Betriebsrat grundsätzlich sein Einverständnis erklärt hat (nur für Einzelfälle hat er
sich seine Zustimmung vorbehalten).
Wie führen Sie diese Aufgabe durch?
Welche Gespräche führen Sie mit den betroffenen Mitarbeitern?
3.2.9
Beschwerde eines Ihnen unterstellten Mitarbeiters
Ein/e seit vielen Jahren in Ihrer Abteilung arbeitende/r Mitarbeiter/in kommt zu Ihnen mit
der Beschwerde, der/die dort in der vorhergehenden Schicht tätige Kollege/in hinterlasse
die Betriebsmittel (Werkzeug) in schmutzigem und teilweise defektem Zustand. Hinweise
und Bitten hätten nichts bewirkt.
Ihre Aufgabe:
Wie reagieren Sie auf den/die Beschwerdeführer/in?
(Rollenspiel oder Schilderung des eigenen Vorgehens)
Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
141
3.2 Aufgaben
3.2.10
3 Betriebliche Situationsaufgaben
Behebung von Transportschäden
Im innerbetrieblichen Transport von Abteilung zu Abteilung treten Schäden auf, die von
den Beteiligten als Transportschäden bezeichnet werden.
Ihre Aufgabe:
Sie erhalten den Auftrag, die möglichen Ursachen zu ermitteln und Vorschläge für die Abhilfe vorzulegen.
3.2.11
Arbeitszeitänderung
Aus Verkehrsgründen wird erwogen, den Beginn der Arbeitszeit am Morgen zu verändern.
Es sprechen viele Gründe für, aber einige gegen eine solche Änderung.
Ihre Aufgabe:
In einer Diskussion mit Befürwortern und Gegnern aus den Reihen der Betroffenen und
mit einem Vertreter des Betriebsrates soll eine alle zufriedenstellende Lösung gefunden
werden.
(Rollenspiel)
3.2.12
Meinungsverschiedenheiten zwischen Meistern
Versetzen Sie sich in folgende Situation:
Zwischen Ihnen und einem Ihrer Meisterkollegen kommt es zu Meinungsverschiedenheiten über angeblich zu wenig gelieferte Teile für die Weiterbearbeitung.
Ihre Aufgabe:
Es muss sofort ein klärendes Gespräch darüber geführt werden. Wie gehen Sie vor? Diskutieren Sie (mit einem Kollegen) den Fall.
3.2.13
Leistungsmangel eines Facharbeiters
Ein kürzlich zu Ihnen versetzter Facharbeiter kommt offenbar mit der von ihm zu bedienenden Maschine nicht zurecht, lehnt aber sowohl die angebotene Hilfe des Vorarbeiters
als auch der Kollegen brüsk ab.
Ihre Aufgabe:
Da es sich um wichtige Teile mit hoher Maßgenauigkeit handelt, die dort bearbeitet werden, müssen Sie eingreifen.
Überlegen Sie sich Ihr Vorgehen und spielen Sie es in einem Rollenspiel in allen Einzelheiten durch.
142
Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
3 Betriebliche Situationsaufgaben
3.2.14
3.2 Aufgaben
Probleme mit einem Auszubildenden
Ein Ihnen zugewiesener Auszubildender im 3. Ausbildungsjahr verhält sich unangepasst,
lehnt die zumutbare Arbeit ab und äußert sich außerdem negativ über den ihn betreuenden Facharbeiter.
Ihre Aufgabe:
Führen Sie ein Gespräch mit dem Jugendlichen; entscheiden Sie sich, ob Sie auch den
Facharbeiter hinzuziehen, wenn ja, sprechen Sie auch mit ihm. Begründen Sie Ihr Vorgehen nach diesen Gesprächen im Einzelnen.
3.2.15
Übernahme einer Führung durch den Betrieb
Wegen plötzlicher Verhinderung Ihres Betriebsleiters müssen Sie eine Gruppe von Besuchern (eine Schulklasse mit Lehrer oder interessierte Laien oder langjährige Kunden Ihres Hauses) durch Ihren Betriebsbereich und auch durch andere Teile Ihrer Firma führen.
Ihre Aufgabe:
Sie erfahren dies etwa eine Stunde vorher und sind mit den örtlichen und technischen Gegebenheiten voll vertraut.
Wie bereiten Sie sich vor, und was sagen und zeigen Sie den Besuchern beim Rundgang?
3.2.16
Gratulation eines langjährigen Mitarbeiters
Nach Rückkehr eines langjährigen Mitarbeiters von einer Kur nach vorherigem langen
Krankenlager möchten Sie ihn zu Schichtbeginn kurz begrüßen und ihm nachträglich zur
Silberhochzeit und zum 50. Geburtstag gratulieren.
Ihre Aufgabe:
Halten Sie eine kurze Ansprache »im Pausenraum«.
3.2.17
Beinahe-Unfall eines Mitarbeiters
Durch Zufall werden Sie Zeuge eines Beinahe-Unfalls eines Ihrer erfahrensten Mitarbeiter, der sehr folgenschwer hätte enden können.
Ihre Aufgabe:
Schildern Sie Ihr Vorgehen im Einzelnen und begründen Sie, was in einem solchen Fall zu
bedenken ist.
Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
143
1 Rechtsbewusstes Handeln
1.2
Arbeitsvertrag und Tarifvertrag
1.2.1
Rechtsgrundlagen des Arbeitsrechts
4 Gebundene Fragen
Was beinhaltet das Arbeitsrecht?
31
a) Es umfasst alle im BGB verankerten Normen für das Arbeitsverhältnis und ist
deshalb nur privatrechtlich.
b) Es beinhaltet als typisches Kennzeichen alle Ansprüche des Arbeitnehmers an
den Arbeitgeber.
c) Es enthält nur die auf der Grundlage der Vertragsfreiheit im Arbeitsvertrag
verankerten gegenseitigen Ansprüche.
d) Es beinhaltet öffentlich-rechtliche Schutznormen sowie privatrechtliche
Vereinbarungen.
Was stellt individuelles Arbeitsrecht dar?
32
a) Es sind Regelungen im Rahmen von der und für die freiwillige Vertragsbeziehung
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
b) Darunter sind alle Gesetze und Rechtsverordnungen, die vom Einzelnen
(individuell) ausgewählt werden können, zu verstehen.
c) Individuelles Arbeitsrecht umfasst alle Rechte (Ansprüche), die der Einzelne an
das Arbeitsleben stellen kann.
d) Damit sind alle gesetzlichen Regelungen, die für das Einzelarbeitsverhältnis
herangezogen werden können, gemeint.
Was sind kollektive Vereinbarungen?
33
a) Das sind Arbeitsverträge aufgrund von Mustervordrucken
(wie Mietvertragsformulare im Papierwarenhandel erhältlich).
b) Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen sind kollektive Normen des
Arbeitsrechts.
c) Damit sind vertragliche Vereinbarungen zwischen den Gewerkschaften und
ihren Mitgliedern gemeint.
d) Das sind individuelle Regelungen in einer Betriebsgemeinschaft (Kollektiv)
aufgrund der Koalitionsfreiheit.
Was bedeutet das Günstigkeitsprinzip?
34
a) Bestimmte Arbeitnehmergruppen können, wenn sie wollen, auch Tätigkeiten
ausüben, die gesetzlich für sie nicht zulässig sind.
b) Die für die Allgemeinheit (Gemeinwohl!) günstigere Regelung muss der
Arbeitnehmer akzeptieren.
c) Abweichungen zwischen arbeitsrechtlichen Normen (Gesetz, Tarif, Vertrag)
gelten, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger sind.
d) Der Arbeitgeber kann auch bei zwei sich widersprechenden Regelungen die
für ihn günstigere auswählen.
206
Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
4 Gebundene Fragen
1.2.2
1 Rechtsbewusstes Handeln
Wesen und Zustandekommen des Arbeitsvertrages
Wer ist Arbeitnehmer?
35
a) Jede Person, die im Auftrag eines anderen Dienste auf Grund einer vertraglichen
Vereinbarung erbringt
b) Jemand, der ein bestimmtes vertraglich vereinbartes Arbeitsergebnis zu
erzielen hat
c) Jede Person, die im Auftrag eines anderen zu weisungsgebundener Tätigkeit
verpflichtet ist
d) Jemand, der für eine geleistete Arbeit von einem Betrieb Entgelt fordern kann
Was ist ein Arbeitsvertrag?
36
a) Ein Rechtsgeschäft, das zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch zwei
übereinstimmende Willenserklärungen zu stande kommt
b) Jeder Dienstvertrag im Sinne von § 611 BGB, sofern er schriftlich zwischen den
Vertragspartnern vereinbart wird
c) Ein Dienstverhältnis, bei dem auf der einen Seite eine natürliche oder juristische
Person fungiert
d) Jedes schriftliche Schuldverhältnis, das kein Aushilfs- oder Probearbeitsverhältnis
ist
In welchem Fall kann ein Arbeitgeber den Arbeitsvertrag anfechten?
37
a) Wenn die Frau nach der Probezeit sagt, sie sei im fünften Monat schwanger,
der Arbeitgeber aber bei der Einstellung vergaß, danach zu fragen
b) Wenn der Betriebsrat mitteilt, er habe vergessen, rechtzeitig der Einstellung des
neuen Mitarbeiters zu widersprechen
c) Wenn der vor gut zwei Jahren als Kraftfahrer eingestellte Arbeitnehmer erzählt,
nun habe er seinen Führerschein gerade ein Jahr wieder
d) Wenn der Bewerber auf die Frage nach der bevorstehenden Einberufung zur
Bundeswehr bewusst falsch geantwortet hat
Was bedeutet der Begriff »faktisches Arbeitsverhältnis«?
38
a) Ein Arbeitsverhältnis ohne schriftlichen Vertrag, bei dem aber mehr als 325 €
Vergütung monatlich verabredet sind
b) Ein Arbeitsverhältnis ohne (gültigen) Arbeitsvertrag, das jederzeit beendet
werden kann, mit Ansprüchen für die geleistete Arbeit
c) Ein staatlich genehmigtes Arbeitsverhältnis, bei dem faktisch (tatsächlich) Arbeit
geleistet wird, auch mit Überstunden
d) Ein Arbeitsverhältnis, bei dem aufgrund der durch Anfechtung bewirkten
Nichtigkeit des Vertrages keine zurückliegenden Ansprüche bestehen
Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
207
1 Rechtsbewusstes Handeln
1.2.3
4 Gebundene Fragen
Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis
Was sind Hauptpflichten in einem Arbeitsvertrag?
39
a) Hauptpflichten sind die Pflichten des Arbeitgebers, weil hauptsächlich die Rechte
des Arbeitnehmers verwirklicht werden müssen.
b) Hauptpflichten sind die Arbeitsleistungspflicht des Arbeitnehmers und die
Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers.
c) Hauptpflichten sind die Pflichten, welche in der Hauptsache zu verwirklichen sind
(beiderseitige Interessenwahrung und Rücksichtnahme).
d) Hauptpflichten sind die Pflichten, welche für die Mehrzahl der Arbeitnehmer eines
Betriebes Hauptsache sind.
Wodurch unterscheiden sich Haupt- und Nebenpflichten im Arbeitsverhältnis?
40
a) Hauptpflichten sind im BGB (§ 611) verankert, Nebenpflichten in weniger
bekannten Gesetzen und Unfallverhütungsvorschriften.
b) Hauptpflichten sind die Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber,
Nebenpflichten sind die von Betriebsrat und Gewerkschaften.
c) Hauptpflichten sind die wichtigen Pflichten aus dem Arbeitsvertrag,
Nebenpflichten die weniger wichtigen.
d) Hauptpflichten stehen in einem Austauschverhältnis zueinander, Nebenpflichten
existieren unabhängig voneinander.
Was bedeutet das Direktionsrecht des Arbeitgebers?
41
a) Er kann der Direktion das Recht übertragen, Art und Umfang der Arbeitsleistung
auszuweiten.
b) Er kann jede Weisung ohne Berücksichtigung der Interessen des Arbeitnehmers
erteilen.
c) Er kann dem Arbeitnehmer die im Rahmen des Arbeitsvertrages und der
gesetzlichen Schutznormen liegenden Arbeiten zuweisen.
d) Er kann das Weisungsrecht nur delegieren, darf es selber aber nicht ausüben.
Was ist unter der Treuepflicht des Arbeitnehmers zu verstehen?
42
a) Sie verpflichtet den Arbeitnehmer zum Festhalten an der eingegangenen
Bindung und zu ständiger Arbeitsbereitschaft.
b) Sie umfasst die ständige Sorge für den Arbeitgeber und seine Angehörigen,
deren Leben und Gesundheit usw. (§ 618 BGB).
c) Sie ist die Pflicht zur Wahrung der Arbeitgeberinteressen, z. B. SchmiergeldAnnahmeverbot, Verschwiegenheit, Schadenabwendung.
d) Sie ist der Teil der Arbeitsleistung, der mit einer Treueprämie abgegolten wird
(steuerfrei).
208
Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg
4 Gebundene Fragen
1 Rechtsbewusstes Handeln
Wie lange besteht die Treuepflicht des Arbeitnehmers aus einem
Arbeitsverhältnis?
43
a) Nur solange und soweit sie vertraglich vereinbart ist, also ohne Wettbewerbsverbot höchstens bis Vertragsende
b) Nur während der regelmäßigen Arbeitszeit und wenn Überstunden oder
Mehrarbeit geleistet werden
c) Bei der Vertragsanbahnung, während der Laufzeit und einige Zeit über dessen
Ende hinaus
d) Immer dann, wenn der Arbeitgeber und der Betrieb ein solidarisches Verhalten
gegenüber dem Arbeitnehmer zeigen
Wie ist die Beziehung zwischen Leistung und Lohn?
44
a) Die gegenseitigen Verpflichtungen sind zweifelsfrei im Arbeitsgesetzbuch (ArbGB)
niedergelegt.
b) Die Lohnansprüche des Arbeitnehmers sind die Gegenleistung für die erbrachte
Arbeitsleistung.
c) Da die Vergütung nach Zeitabschnitten zu bemessen ist (§ 614 BGB), kann der
Arbeitgeber monatlich zwischen Geld- und Naturallohn wählen.
d) Die Lohnansprüche des Arbeitnehmers ergeben sich aus der vereinbarten
Treuepflicht des Arbeitgebers.
In welchem Fall entfällt die Lohnzahlungspflicht?
45
a) Eine innerbetrieblich verursachte Stromstörung führt zum Produktionsstillstand,
die Arbeitnehmer werden an dem Tag nach Hause geschickt.
b) Der Arbeitgeber nimmt die angebotene Arbeitsleistung nicht an, weil der
Arbeitnehmer einen Tag krankgefeiert hat.
c) Die Arbeitsräume sind zum Ende des Betriebsurlaubs nicht fertig, die
Arbeitnehmer werden noch einen Tag freigestellt.
d) Die Arbeitnehmer sind infolge einer Überschwemmungskatastrophe für drei
Tage nicht in der Lage, die Arbeitsplätze zu erreichen.
Was bedeutet die Sphärentheorie für die Lohnfortzahlung?
46
a) Die Erkenntnis, dass der Macht- und Einflussbereich des Arbeitgebers den
Arbeitnehmer in vollem Umfang erfasst
b) Die Vorstellung, dass biorhythmische Einflüsse das Betriebsklima und die
Leistungsfähigkeit bestimmen
c) Der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass derjenige, der die
Betriebsstörung verursacht, den Schaden zu tragen hat
d) Die Meinung der Sozialgerichte, dass der Staat bei Betriebsstörungen aus der
Sphäre der Arbeitgeber letztere zu schützen hat
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209
1 Rechtsbewusstes Handeln
4 Gebundene Fragen
Was kennzeichnet die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers?
47
a) Sozialer Schutz, zusätzliche Sozialleistungen und (bei Unternehmen ab 100
Arbeitnehmer) betriebliche Altersversorgung für alle Mitarbeiter
b) Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit, soziale Vorsorge und
Förderung von Vertrauen und Betriebsklima
c) Humane Arbeitsplätze nach neuesten Erkenntnissen, Berücksichtigung der
familiären Bindungen, Freizeitgestaltung
d) Alles, was einzelvertraglich als Fürsorge vereinbart ist, alles andere unterliegt
der Gewerbeaufsicht
Wovon hängt der Umfang der Arbeitnehmer-Haftung ab?
48
a) Da mit jeder Tätigkeit eine Gefahrenneigung verbunden ist, ist ihr Umfang
alleiniger Maßstab.
b) Ihr Umfang hängt ab von der vertraglichen Regelung – unter Berücksichtigung
der Position – in Verbindung mit § 611c BGB.
c) Insbesondere vom eigenen Verschulden bzw. Mitverschulden – also, wenn der
Arbeitnehmer missachtet zu tun oder zu unterlassen, was jedem sofort einleuchtet
d) Da der Arbeitgeber sein Betriebsrisiko in der Regel ausreichend versichert,
haftet der Arbeitnehmer persönlich nicht.
Wirkt etwas in die Haftungsquote des Arbeitnehmers zusätzlich hinein?
49
a) Wie bei der Fürsorgepflicht ist es die Dauer der Betriebszugehörigkeit des
Arbeitnehmers.
b) Neben dem Verschuldensgrad ist es die Höhe seines Monatseinkommens.
c) Die Haftung des Betriebes ist – aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes –
nicht eingeschränkt.
d) Die Haftungsquote haben die Gerichte auf 2/3 für den Arbeitnehmer, bei dessen
persönlicher Überforderung auf 50 % festgelegt.
1.2.4
Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen
Hat der Tod des Arbeitgebers Einfluss auf bestehende Arbeitsverhältnisse?
50
a) Er hat keinerlei Einfluss, da die Erben in die Rechtsnachfolge des Arbeitgebers
eintreten.
b) In diesem Fall besteht ausnahmsweise das Recht zur fristlosen Kündigung durch
die Erben (§ 626 BGB).
c) Da die personenrechtliche Beziehung nicht mehr existiert, wird es automatisch
zum Ablauf des Monats aufgehoben.
d) Da der Tod zur Liquidation führt, endet es drei Wochen nach dem
nächstmöglichen Quartalsende.
210
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