VLWS02 Sakramente

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VLWS02 Sakramente
Prof. Dr. Thomas Ruster
Universität Dortmund
Katholische Theologie
Vorlesung im WS 2002/03
Theologie der Sakramente
Was bewirken Sakramente?
Nicht zitierfähiges Vorlesungsmanuskript.
Nur für den studentischen Gebrauch
Inhaltsverzeichnis
Literatur
2
I. Allgemeine Sakramentenlehre
3
Was sind Sakramente? 3 Warum braucht das Handeln Gottes in der Welt die Zeichen der Sakramente? 3 Was
haben die Sakramente mit der hl. Schrift und mit Jesus Christus zu tun? 3 Warum sind die Sakramente Zeichen
des Glaubens? 3 Womit können die Sakramente allzu leicht verwechselt werden? 4 Vor welchem
Missverständnis sind sie zu bewahren? 4 Sind die Sakramente so etwas wie Symbole? 4 Was tut Gott in den
Sakramenten? 5 Warum ist es heutzutage so schwer, die Wirklichkeit der Sakramente zu erschließen? 6 Wie
kann man sich das überhaupt vorstellen: dass Gott in der Welt handelt? 6 Was hat das Handeln Gottes mit der
Kirche zu tun? 7 Wie hat noch die Generation unserer Großeltern die Sakramente verstanden und praktiziert? 8
Welcher Zusammenhang besteht zwischen Sakramenten und biblischen Geschichten? (die Zeitlichkeit des
Sakraments) 9 Kommen die Sakramente bereits in der hl. Schrift vor? 10 Welche außerbiblische Bedeutung
hatte mysterion im Altertum noch, und welche Auswirkungen hatte das für die Sakramente? 10 Welchen
Einfluss hatte das platonische Bilddenken auf das Verständnis der Sakramente? 11 Was trug die Zeichentheorie
des Augustinus zum Verständnis der Sakramente bei? 12 Welche Umbrüche brachte das Mittelalter für die
Praxis und Theorie der Sakramente? 12 Was haben die Reformatoren an der katholischen Sakramentenpraxisund lehre kritisiert? 14 Welche Neuansätze gab es in der katholischen Theologie der Neuzeit und vor allem im
Umfeld des 2.Vatkanischen Konzils (1962-65)? 16 Wie können wir die Sakramente heute verstehen?
(Systematische Entfaltung) 16
II. Spezielle Sakramentenlehre
21
A. Die Initiationssakramente Taufe, Firmung und Erstkommunion
21
Biblische Schlüsselszenen: Joh 3; Röm 6 21 Theologie der Initiationssakramente 22 Aus der Geschichte von
Taufe, Firmung und Erstkommunion 22 Der Ritus der Kindertaufe 23 Der Ritus der Firmung 23 Die Elemente
der sakramentalen Zeichen 23 Ist die Kindertaufe zu rechtfertigen? 24 Ist die Taufe heilsnotwendig? 24
B. Das Sakrament der Eucharistie
25
Zum Verstehen der Eucharistie (Grundsätze) 25 Biblische Schlüsselszenen 25 Zur Theologie der Eucharistie 27
Aus der Geschichte der Eucharistie 28 Die Feier der Eucharistie 30 Die Elemente der Eucharistiefeier 30 Das
ökumenische Problem von Eucharistie- und Kirchengemeinschaft 31
C. Das Sakrament der Buße
32
Einfache, einführende Gedanken zur Krise der Beichte, zu Schuld und Vergebung 32 Biblische Schlüsselszenen
33 Zur Theologie der Buße 34 Zur Geschichte der Buße 35 Die heutige Ordnung der Buße 36 Zur Rolle des
Priesters 36 Zur Beichte der Kinder 36
D. Das Sakrament der Krankensalbung
37
Gedanken über Krankheit, Gesundheit und Heilung 37 Biblische Schlüsselszenen 37 Zur Theologie der
Krankensalbung 38 Zur Geschichte der Krankensalbung und der "letzten Ölung" Ritus und Element der
Krankensalbung 39 Spendung durch Priester oder durch Laien? 39 Krankensakrament oder Sterbesakrament?
39
E. Das Sakrament der Ordination (Weihe)
40
Probleme des Amtes in der katholischen Kirche 40 Biblische Schlüsselszenen; Ämter im Neuen Testament 40
Zur Theologie der Ordination 41 Zur Geschichte des Weihesakraments 43 Zum Ritus und den Zeichen der
Weihe 43 Zum Zölibat 44 Zur Frauenordination 44
F. Das Sakrament der Ehe
45
Schwierigkeiten der Ehen heute; die Tapferkeit in der Ehe 45 Biblische Schlüsselszenen 45 Zur Theologie der
Ehe (Die Sakramentalität der Ehe) 46 Zur Geschichte der Ehe 47 Zum Ritus der Ehe 48 Gescheiterte Ehen;
wiederverheiratete Geschiedene 48 Ehen getaufter Nichtchristen 48 Die Dispens von der Formpflicht und die
Frage des Spenders 48 Ehehindernisse nach dem Kirchenrecht 48
III. Sakramente im katholischen Glauben
49
IV. Anhang: Ein Vorschlag zur Reform des kirchlichen Amtes
50
Problemaufriss 50 Aufgabe und Wesen des Weiheamtes in der Kirche und das Verhältnis von priesterlichem
Dienst und Gemeindeleitung. Vorschlag: Entkoppelung von jurisdiktioneller Gemeindeleitung und Priesteramt
50 Zum Problem der unklaren Unterscheidung von Weiheamt und pastoralen Diensten von Laien. – Vorschlag:
Wiederbelebung der niederen Weihen und Dienste 51 Die Neuordnung des Amtes in der Kirche 52
Zulassungsbedingungen zu den Ämtern in der Kirche 52
1
Literatur:
Zur Begleitung und Vertiefung der Vorlesung und zur Prüfungsvorbereitung empfehle ich:
EVA-MARIA FABER, Einführung in die katholische Sakramentenlehre, Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft
2002. Dort auch gut gegliederte Hinweise auf weitere Literatur. Standardwerke zur Theologie der Sakramente:
- FRANZ-JOSEF NOCKE, Sakramentenlehre, in: Theodor Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik Bd. 2,
Düsseldorf: Patmos 1992, 188-376 [umfassende Darstellung];
- HERBERT VORGRIMLER, Sakramententheologie, Düsseldorf: Patmos 31992 [kompakte Einführung];
- JOSEF FINKENZELLER, Die Lehre von den Sakramenten im allgemeinen: Von der Schrift bis zur Scholastik,
Freiburg: Herder 1980; Von der Reformation bis zur Gegenwart, Freiburg: Herder 1981 (Handbuch der
Dogmengeschichte IV,1) [Theologiegeschichte];
- GÜNTHER KOCH (Hg.), Sakramentenlehre, 2 Bde., Graz: Styria 1991 (Texte zur Theologie. Dogmatik 9, 1/2)
[Quellensammlung];
- MICHAEL KUNZLER, Leben in Christus. Eine Laienliturgik zur Einführung in die Mysterien des Gottesdienstes,
Paderborn: Bonifatius 1999 [Liturgie, Ritus, Liturgiegeschichte]
- GÜNTER BORNKAMM: µυστηριον, in: Theol. Wörterbuch zum NT 4, 809-834 [biblische Grundlagen];
- GUNTHER WENZ, Einführung in die evangelische Sakramentenlehre, Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1988
[evangelische Lehre].
Über neuere Ansätze informiert:
REINHARD HEMPELMANN, Sakrament als Ort der Vermittlung des Heils. Sakramententheologie im evangelischkatholischen Dialog, Göttingen: Vandenhoek&Ruprecht 1992
LOTHAR LIES, Neue Elemente in der deutschsprachigen Sakramententheologie, in: Zeitschrift für Katholische
Theologie 119 (1997) 296-322. 415-433.
Ein innovativer Versuch aus der jüngsten Zeit:
HANS-JOACHIM HÖHN, spüren. Die ästhetische Kraft der Sakramente, Würzburg: Echter 2002 (Reihe
GlaubensWorte)
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I. Allgemeine Sakramentenlehre
1. Was sind Sakramente?
Sakramente sind zunächst einfach rituelle Vollzüge im Gottesdienst der Kirche. Zu ihnen
gehören bestimmte materielle Elemente (Wasser, Öl, Wein, Brot), Handlungsabläufe
(Handauflegung, Salben, Brechen des Brotes, Essen usw.) und gesprochene Worte (Gebete,
Lesungen aus der hl. Schrift, Versprechen, Formeln). Die Elemente, Handlungen und Worte
der Sakramente bilden zusammen das Sakrament als Zeichen.
Nach dem Glauben der Kirche ereignet sich in diesen Vollzügen etwas: Gott handelt an
Menschen. Sakramente sind also gottesdienstliche Vollzüge, in denen Gott in der Welt etwas
tut. Dass Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, der nicht zur Welt gehört, in der Welt
etwas tut, und zwar in der Bindung an die bestimmte Gestalt eines kirchlich-rituellen
Vollzugs, ist das Besondere und Einzigartige der Sakramente.
2. Warum braucht das Handeln Gottes in der Welt die Zeichen der Sakramente?
Gott ist kein Teil dieser Welt. Was er ist und tut, kann in der Welt nicht vorkommen. Alles,
was in der Welt vorkommt oder getan wird, ist nicht Gott. Die Welt hat keine Kategorien für
Gott und sein Handeln. Darum kann auf das Tun Gottes nur zeichenhaft verwiesen werden.
Die Zeichen der Sakramente sind so zu verstehen, dass darin auf das nicht-weltliche Tun
Gottes verwiesen wird. Das ist etwas Einzigartiges und kann mit nichts anderem verglichen
werden! Die Elemente, Vollzüge und Worte der Sakramente sind, so sagt die Theologie, das
sichtbare Zeichen für eine unsichtbare Wirklichkeit. Weil aber in diesen Zeichen nicht nur auf
den außerweltlichen Gott verwiesen wird, also nicht nur aus der Welt hinausgewiesen wird,
sondern er in diesen Zeichen wirklich etwas tut, sind die Sakramente als Zeichen die
Wirklichkeit des Handelns Gottes in der Welt. Sie sind, so sagt die Theologie, wirksame
Zeichen, Zeichen, die bewirken, was sie bezeichnen.
3. Was haben die Sakramente mit der hl. Schrift und mit Jesus Christus zu tun?
Nur aus der hl. Schrift wissen wir, dass Gott, der nicht zur Welt gehört, in der Welt gehandelt
hat. Er hat den Mose berufen, hat das Volk Israel aus Ägypten herausgeführt, hat am Sinai das
Gesetz gegeben usw. Die hl. Schrift ist das einzige Dokument, dass das Handeln des
außerweltlichen Gottes in der Welt bezeugt. Darum haben alle Sakramente einen
konstitutiven Bezug auf die hl. Schrift. Sie zeigen an, dass Gott nicht nur damals gehandelt
hat, sondern auch heute noch handelt.
Für die Christen ist, im Unterschied zu den Juden, das Handeln Gottes in Jesus Christus das
wichtigste Handeln Gottes in der Welt. Denn durch Jesus Christus sind sie in das Volk und
die Bundesgemeinde Gottes aufgenommen worden. Ohne Jesus Christus könnten sie nicht
sagen, dass Gott auch an ihnen (nicht nur am Volk Israel) gehandelt hat und weiter handelt.
Darum erklärt die Theologie, dass alle Sakramente durch Jesus Christus eingesetzt worden
sind.
Diese Einsetzung durch Jesus Christus braucht nicht bei allen Sakramenten auf spezielle Einsetzungsakte Jesu
Christi zurückgeführt werden. Sie ist schon darin gegeben, dass die Christen ohne Jesus Christus vom Handeln
Gottes gar nicht betroffen wären und deshalb auch nicht daran glauben könnten.
4. Warum sind die Sakramente Zeichen des Glaubens?
Da Gott kein Teil der Welt ist und sein Handeln in den Kategorien der Welt nicht erkannt
werden kann, muss man glauben, dass Gott in der Welt gehandelt hat und weiter handelt. Das
heißt: Weltlich kann man erkennen (wenn man den Nachrichten der Bibel Glauben schenkt),
dass ein Mann Namens Mose sich berufen fühlte, die israelitischen Sklaven aus Ägypten
herauszuführen – aber man muss glauben, dass es wirklich Gott war, der ihn berufen hat (Ex
3). Man kann erkennen, dass die israelitischen Sklaven wirklich aus Ägypten
herausgekommen sind und dabei das Heer des Pharaos vernichtet worden ist – aber man muss
glauben, wenn es heißt: "Singen will ich Ihm, denn er ist hocherhaben, Ross und Reiter warf
er ins Meer" (Ex 15,1). Man kann das Gesetz vom Sinai für eine damals zeitgemäße
Sammlung von Vorschriften halten, die Israel zum großen Teil aus seiner Umwelt
3
übernommen hat – aber man muss glauben, wenn es heißt: "Nun redete Gott alle diese Worte"
(Ex 20,1). Und man kann Jesus für einen galiläischen Wanderprediger mit einer mehr oder
weniger beachtlichen Botschaft halten – aber man muss glauben, wenn er von sich sagt: "Wer
mich gesehen hat, hat den Vater gesehen" (Joh 14,9). Ebenso kann man sehen, dass in der
Eucharistie Brot und Wein gesegnet und zum Essen verteilt werden – aber man muss glauben,
wenn Jesus sagt: "Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird / Dieser Kelch ist der neue
Bund in meinem Blute, das für euch vergossen wird" (Lk 22,19-29).
Die Wirklichkeit, die sich in den Sakramenten anzeigt, ist also nur dem Glauben zugänglich.
Sie sind Zeichen für den Glauben oder einfach Zeichen des Glaubens.
Man sieht, dass der Glaube die Realität dessen, was geschieht und zu sehen oder zu hören ist, nicht verleugnet,
sondern voraussetzt. Diese Realität wird ihm eben zum Zeichen. Im Glauben wird etwas an den Dingen
wahrgenommen, was ohne Glauben nicht zu erkennen ist.
5. Womit können die Sakramente allzu leicht verwechselt werden? Vor
welchem Missverständnis sind sie zu bewahren?
Oben (unter 2.) wurde gesagt: Sakramente sind sichtbare Zeichen für eine unsichtbare
Wirklichkeit. Nun gibt es aber auch in der Welt unsichtbare Wirklichkeiten. Die hl. Schrift
und mit ihr die Theologie nennen den Teil der Welt, der unsichtbaren und unverfügbaren
Wirklichkeiten vorbehalten ist, den Himmel.
Vgl. das nizänische Glaubensbekenntnis: "Ich glaube an den einen Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des
Himmels und der Erde, des Sichtbaren und des Unsichtbaren." Das Unsichtbare ist also ein Teil der Schöpfung
bzw. der Welt.
Die Existenz unsichtbarer und unverfügbarer Wirklichkeiten in der Welt ist Realität, auch
wenn sie eben nicht sichtbar sind. Aber z.B. der Verlauf der Zeit, kosmische Kräfte, die
Vergangenheit, die Zukunft, die Wirkung kultureller Traditionen, die Macht der Liebe, die
Unentrinnbarkeit des Todes usw. sind Realitäten, wenn auch unsichtbare.
Auf den Himmel als den unsichtbaren Teil der Welt richten sich die Religionen. Judentum und Christentum, die
sich auf Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde beziehen, gehören darum im strengen Sinne nicht zu
den Religionen.
Weil es nun so schwer ist zu glauben, dass Gott wirklich in den Sakramenten handelt, kann
man leicht zu der Auffassung kommen, die unsichtbare Wirklichkeit, auf die die Sakramente
verweisen, sei die Wirklichkeit des Himmels. Auch dann wären sie ja noch unsichtbare
Zeichen unsichtbarer Wirklichkeit, und sie könnten sogar auch als religiöse Zeichen
verstanden werden.
Die Ähnlichkeit der sakramentalen Vollzüge mit Vollzügen in anderen Religionen gibt darüber hinaus zu dieser
Meinung Anlass.
Darum ist es so wichtig, auf das dritte Element der Definition der Sakramente zu achten:
1. sichtbares Zeichen – 2. unsichtbarer Wirklichkeit – 3. eingesetzt durch Jesus Christus. Erst
die Einsetzung durch Jesus Christus macht klar, dass es sich bei der unsichtbaren Wirklichkeit
nicht um himmlische Wirklichkeit, sondern um das Tun Gottes in der Welt handelt.
Der Begriff der unsichtbaren Wirklichkeit ist also vieldeutig und darum missverständlich. Unter Wirklichkeit
verstehen wir in der Regel etwas, das in der Welt vorkommt. Besser ist es darum, von der Gnade der Sakramente
zu sprechen. Gnade ist eine Gabe, die von Gott kommt, und nicht aus der Natur bzw. der Welt (Natur ist der
theologische Gegenbegriff zu Gnade).
Sakramente sind also äußere Zeichen für innere Gnade, eingesetzt durch Jesus Christus.
6. Sind die Sakramente so etwas wie Symbole?
Heute werden Sakramente gerne mit Symbolen zu verglichen oder gar einfach als Symbole
bezeichnet. Das ist aber falsch, denn Symbole sind eine bestimmte Kategorie weltlicher
Zeichen, die nur auf anderes in der Welt verweisen können. Gottes Tun kann in Symbolen
nicht bezeichnet werden.
Auf den ersten Blick haben Symbole viel mit den Sakramenten gemeinsam. Auch sie sind äußere Zeichen, die
auf eine von ihnen verschiedene Wirklichkeit, etwas Unsichtbares oder Nicht-Begriffliches, verweisen, und zwar
so, dass dieses Unsichtbare im Sichtbaren in gewisser Weise schon gegeben ist. Sie sind also nicht nur reine
Zeichen, die mit dem Bezeichneten keinen inneren Zusammenhang haben. Zu einem richtigen Symbol gehört,
dass man das Symbolisierte nicht erklären kann. Es ist etwas Nicht-Begriffliches, das nur in der Weise des
Symbols vergegenwärtigt werden kann. Symbole sind mehr als nur ins Bild gesetzte Begriffe. Will man sie
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erklären, zerstört man sie. Ein Kuss ist vielleicht ein Symbol für Liebe, ein Geschenk vielleicht für Dankbarkeit,
Brot vielleicht für herzliche Mahlgemeinschaft und Verbundenheit, ein Baum vielleicht für Lebenskraft und
Wachstum. Ohne das Symbol kann das Gemeinte nicht zureichend verdeutlicht werden. Wer sagt, dass er eine
Frau liebt, aber sie niemals küsst... Wer Dankbarkeit vorgibt, aber sich niemals dankbar erweist, der ist es wohl
auch nicht. Das vielleicht in diesen Beispielen deutet übrigens an, dass ein Symbol nicht in jedem Falle auf die
innere, unsichtbare Wirklichkeit verweisen muss; man kann auch küssen, ohne zu lieben (Judas!). Um
eindeutiger zu werden, sind auch die Symbole auf das Wort angewiesen. Jemand küsst und sagt Worte der Liebe
– dann ist die Sache klar, aber nur, wenn man den Worten glaubt. Es könnte ja auch eine Lüge sein. Also haben
die Symbole auch das mit den Sakramenten gemeinsam, dass sie auf eine bestimmte Art von Glauben
angewiesen sind.
Da Symbole auch (und meistens) außerhalb der Sakramente vorkommen, können Sakramente
nicht einfach nur Symbole sein. Nichts in der Welt kann von sich aus Gottes tun anzeigen.
Symbole verweisen von etwas Sichtbarem in der Welt auf etwas Unsichtbares in der Welt,
Sakramente dagegen auf das Tun Gottes, das nicht von dieser Welt ist, aber in dieser Welt
stattfindet. Das Glaubensgeheimnis der Sakramente ist einzigartig und kann deswegen mit
nichts anderem verglichen werden. Vergleicht man es mit dem Symbolischen, unterläuft allzu
leicht die oben genannte Verwechslung von Gott und Himmel.
Die theologisch präzisen Fragen zum Verhältnis von Symbol und Sakrament lauten: Wie kommt die Kraft des
Symbolischen in den Sakramenten vor? Und: Wie werden die symbolischen Gehalte der sakramentalen Zeichen
im Sakrament verwendet und umgedeutet, um das Einzigartige zu bezeichnen, um das es im Sakrament geht?
Literatur zum Verhältnis von Symbol und Sakrament: H.-J. HÖHN, spüren (s.o.), 43-53; MICHAEL MEYER-BLANK,
Vom Symbol zum Zeichen, in: Ev. Theologie 55 (1995) 337-351; THOMAS ZEILINGER, Zwischen-Räume –
Theologie der Mächte und Gewalten, Stuttgart: Kohlhammer 1999, 115-143.
7. Was tut Gott in den Sakramenten?
Der Begriff, der das Tun Gottes in den Sakramenten am besten bezeichnet, ist Verwandlung.
Schauen wir uns das für die einzelnen Sakramente kurz an:*
Taufe: Ein Mensch, der unter der Herrschaft von Sünde, Tod und Teufel steht, wird in einen
freien Menschen verwandelt, der diesen Mächten nicht mehr unterworfen ist.
Firmung: Ein Mensch, der nicht anders kann als in allem die eigene Selbsterhaltung zu
betreiben, wird verwandelt in jemandem, dem die Ehre Gottes das Wichtigste im Leben ist
und der deshalb das Gute tun kann.
Eucharistie: Eine Gemeinschaft von Menschen, die nicht anders wissen als dass der Tod die
letzte Macht im Leben ist, wird verwandelt in eine Gemeinschaft, die den Sieg des Lebens
über den Tod zur Grundlage ihres Lebens macht (d.h. sie erfährt sich als die Gemeinschaft der
Getauften).
Buße: Ein Mensch, der wegen der in der Vergangenheit angehäuften Schuld nicht frei ist, das
Gute zu tun, wird verwandelt zu einem, der neu anfangen kann.
Krankensalbung: Ein Mensch, der körperliche, psychische oder geistige Beeinträchtigungen
hat und deshalb vor der Welt als krank gilt, also aus dem Bereich der Gesunden ausgegrenzt
wird, wird verwandelt in jemanden, den die Gemeinde als gesund ansieht, dessen
Beeinträchtigungen ihn also nicht aus dem Bereich der Gesunden ausgrenzen.
Ordination: Ein Mensch wie jeder andere wird verwandelt in jemanden, der vor der
Gemeinde in Namen Gottes auftreten und handeln kann.
Ehe: Eine menschliche Zweck- und (wenn überhaupt) Gefühlsgemeinschaft wird in eine
lebenslange Gemeinschaft selbstloser Liebe verwandelt.
Wie man sieht, überschneiden sich die Wirkungen der Sakramente teilweise. Das
hängt damit zusammen, dass das Tun Gottes in den Sakramenten auf unterschiedliche
Lebenssituationen bezogen ist. Im Kern geht es in allen Sakramenten um das Gleiche: Die
Verwandlung eines dem Tod verfallenen Lebens, in dem notwendig das Gesetz der
Selbsterhaltung gilt, in ein Leben, das von der Sorge um sich selbst befreit ist und damit die
Fähigkeit gewinnt, das Gute zu tun.
*
Näheres in der Speziellen Sakramentenlehre.
5
Wir werden noch genauer hören, dass die Wirkungen der Sakramente von Gott her
unfehlbar eintreten, auf Seiten der Menschen aber des Glaubens bedürfen, um ankommen zu
können. Dies geht schon aus 4. hervor.
8. Warum ist es heutzutage so schwer, die Wirklichkeit der Sakramente zu
erschließen?
Zweifellos leben wir in einer Zeit, in der die Leute kaum mehr verstehen können, was die
Sakramente sind, und deswegen auch wenig Zugang zu ihnen haben. Dies hat (mindestens)
folgende Gründe:
a) Die Art, wie die Kirche in der Vergangenheit die Sakramente verwaltet hat, gab zu
schweren Missverständnissen und bei nicht wenigen zur Abwendung von den Sakramenten
Anlass (s. dazu 9.).
b) Theologie und Verkündigung wissen oft selbst nicht mehr recht zwischen Gott und
Himmel zu unterscheiden (s.o. 5.). Fasst man aber Sakramente als Symbole oder Zeichen auf,
die nur auf Himmlisches verweisen, werden sie um ihren eigentlichen Sinn gebracht. Und
man kann sich dann fragen, ob es nicht andere Symbole gibt, die die Funktion als
Himmelszeichen viel besser erfüllen als die Sakramente. Warum nicht Drogen, mystische
Ekstasen usw.?
c) Es gehört sehr viel dazu, Gott zuzutrauen, mitten im alten Leben das neue Leben zu
schaffen (s.o. 7.). Dieses Zutrauen zu Gott ist in der Neuzeit durch das Zutrauen zum Handeln
der Menschen (Wissenschaft, Technik usw.) weitgehend ersetzt worden. Wo aber die
menschliche Weltgestaltung scheitert(e), stell(t)en sich gerade Zweifel an Gott ein. Die
Katastrophen des 20. Jhds. haben das Gottvertrauen stark beeinträchtigt.
9. Wie kann man sich das überhaupt vorstellen: dass Gott in der Welt handelt?
Wir haben gesagt (s. 1.): In den Sakramenten tut Gott etwas in der Welt. Unter 7. habe ich
versucht, kurz zu sagen, was Gott in den einzelnen Sakramenten tut. Und unter 8. wurde
deutlich, dass die Schwierigkeit der Sakramente heute darin besteht, zu glauben, dass Gott
etwas in der Welt tut (dass Menschen ihm das zutrauen!). Darum ist jetzt die Frage wichtig,
wie man sich das denken kann: Gott handelt in der Welt?
Bei der Beantwortung dieser Frage unterscheiden sich die Theologien der verschiedenen
Epochen. Sie ist vielleicht die schwierigste Frage der Theologie und sicherlich die
schwierigste Frage für die Gläubigen. Schon in einigen späten Schriften der Bibel
(Danielbuch, Johannesapokalypse) kam der Glauben an das Eingreifen Gottes in die
Geschichte offenbar in die Krise, und die Erwartung seines rettenden Eingreifens verschob
sich auf das Ende der Zeiten (und wirkte von daher aber auf die Gegenwart zurück!). In der
Jesusbotschaft ist dagegen der Glaube an das Handeln Gottes ganz frisch und lebendig: Gott
hat Jesus in die Welt gesandt; er hat ihn von den Toten auferweckt. Aber wie soll man das
erklären?
In der Alten Kirche wurde oft so gedacht: Gott handelt in der Welt, indem er von der Welt
befreit. Er tut das, indem er den Menschen als das höchste geistige Gut, als die höchste Idee
erscheint. Die Erfahrung in dieser Zeit war, dass die Welt schlecht ist, voller Machtkämpfe
und irdisch-materieller Begierden. Die Philosophie der Zeit (Platonismus/Neuplatonismus,
aber auch die Gnosis) stellte das Begriffspaar Materie/Geist zur Verfügung, und die
Sehnsucht ging dahin, von der Herrschaft der materiellen Begierden befreit zu werden zur
reinen Wirklichkeit des Geistes. Die Kirche verkündete nun Gott als das höchste geistige Gut.
Wer ihn kennt, wer sich von ihm ergreifen lässt, wird aus dem Bereich des Materiellen
herausgelöst und gewinnt Anteil am Geistig-Göttlichen. Die Sakramente galten
dementsprechend als irdische Zeichen für eine geistige Wirklichkeit, als Wegzeichen aus
dieser Welt heraus.
Im Mittelalter (scholastische Theologie) wurde unter dem Einfluss des Aristoteles der Begriff
der Ursache wichtig. Gott wurde verstanden als die erste und höchste Ursache (prima causa),
der hinter allen in der Welt zu beobachtenden Wirkungen steht, wobei er meistens durch
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weltliche Zweitursachen (causae secundae) wirkt, d.h. die in der Welt zu beobachtenden
Ursachen von Wirkungen. Im Hintergrund steht ein Weltverständnis, das die Welt als eine
gute und geordnete Wirklichkeit begreift. Gott ist, als erste Ursache, zugleich der Urheber der
Ordnung der Welt. Die Sakramente galten dementsprechend als von Gott bewirkte Ursachen
für das Heil der Menschen. Sie sind vor allem dann nötig, wenn Menschen die göttliche
Weltordnung durch ihre Sünde gestört haben und sie wiederhergestellt werden muss.
In der Neuzeit mit ihrem naturwissenschaftlich-mechanistischen Weltverständnis wurde der
Begriff Gottes als erste Ursache immer mehr entbehrlich. Die Wissenschaft versuchte, die
Welt als Naturordnung, also aus sich selbst heraus, zu erklären; sie brauchte zur Erklärung der
Dinge immer weniger auf Gott zurückzugreifen (Nur bei der Frage, woher denn das alles
kommt, dachte man noch gelegentlich an Gott – Gott als Lückenbüßer). Die Theologie musste
sich diesem naturwissenschaftlichen Weltverständnis immer mehr beugen und beharrte nur
noch darauf, dass Gott von außen in die Naturordnung eingreifen kann. Die Frage nach Gottes
Handeln in der Welt konzentrierte sich deshalb auf die Frage nach der Möglichkeit von
Wundern (s. Lourdes usw.). Das Vorstellungsmodell war: Gott greift so in die Naturordnung
ein wie der absolute Souverän in die Rechtsordnung (dieses Modell ist mit der
Demokratisierung vergangen). Die Sakramentenlehre löste sich von der Frage nach dem
Handeln Gottes in der Welt, die Sakramente wurden mehr als persönliche Gemüts- und
Frömmigkeitserlebnisse verstanden (so vor allem im Protestantismus).
Wie können wir uns nun heute das Handeln Gottes in der Welt erklären? Ich schlage
folgendes Denkmodell vor: Gott handelt dadurch, dass er ist, und dass er so ist, wie er ist. Das
heißt: Wenn man Gott kennt, dann weiß man auch, dass er der Heilige ist, dass ihm
Herrlichkeit und Ehre (doxa, gloria) zukommen, und dann kann man gar nicht mehr anders als
sagen: Ehre sei Gott in der Höhe! An Gott glauben bedeutet, ihm die Ehre und Herrlichkeit zu
geben, ihn zu loben und zu preisen (z.B. zu beten: Vater unser im Himmel, geheiligt werde
dein Name). So entsteht aus dem Glauben an Gott ein Raum in der Welt, in dem er im
Mittelpunkt steht, in dem er das Wichtigste ist – und nicht die Menschen in ihrer natürlichen
Selbsterhaltung, in der sie sich stets selbst das Wichtigste sind. Denn Gott die Ehre zu geben,
ihn zu loben und zu preisen usw. bedeutet, nicht sich selbst die Ehre zu geben. Der Raum, der
durch die Anerkennung von Gottes Dasein und Sosein entsteht, ist ein Raum, in dem
menschliche Selbsterhaltung und Selbstbehauptung und die Sorge um sich selbst nicht mehr
das letzte Ziel des Handelns sind. Dass das geschieht, ist das Wunder des Handelns Gottes in
der Welt. Die Naturordnung, die nichts anderes als Selbstbehauptung und Selbstbewahrung
kennt, ist hier außer Kraft gesetzt.
10. Was hat das Handeln Gottes mit der Kirche zu tun?
Der Raum, der durch die Anerkennung von Gottes Dasein und Sosein entsteht, ist die Kirche.
Kirche ist die Gemeinschaft der Gläubigen, d.h. der Menschen, die Gottes Herrlichkeit
anerkennen und ihm vor allem anderen, vor allem vor sich selbst, die Ehre geben.
Man kann es sich am Doppelsinn von Kirche – als Gemeinschaft der Gläubigen und als Gebäude – klarmachen.
Geht man in eine Kirche, dann sieht man: Hier wird Gott die Ehre gegeben. Dieses Gebäude existierte gar nicht,
wenn da nicht Menschen wären, die der Ehre Gottes in ihrem Leben Raum geben. Und dieser Raum ist die
Kirche.
In den Sakramenten vollzieht sich das, was Kirche ist. Sakramente sind, so kann man mit Karl
Rahner sagen, der Grundvollzug von Kirche (vgl. dazu FABER, 52). Indem die Kirche das tut,
was sie in den Sakramenten tut, weist sie den Raum aus, in dem Gottes Herrlichkeit anerkannt
wird, in dem es also um ihn und nicht um die natürliche Selbsterhaltung der Menschen geht,
und dabei entsteht sie als Kirche. Das II. Vatikanum sagt deswegen zu Recht: "Die Kirche ist
ja in Christus gleichsam selbst das Sakrament" (Lumen Gentium, Dogmatische Konstitution
über die Kirche, Nr. 1).
In jeder Eucharistiefeier entsteht Kirche von Neuem. Die Gemeinde versammelt sich im Namen des Herrn. Sie
bekennt ihre Sünden: dass die Gläubigen sich selbst und nicht Gott die Ehre gegeben haben (Kyrie). Sie preist
die Ehre Gottes (Gloria). Sie vergegenwärtigt sich die Geschichte Gottes mit den Menschen
(Lesung/Evangelium) und lässt sich aufs Neue in diese Geschichte hineinziehen (Predigt). So kann sie sich zu
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ihrem Glauben bekennen (Glaubensbekenntnis). Sie ist nun bereit, ihre Gaben nicht für sich sondern für Gott
darzubringen (Gabenbereitung). Sie bekennt die Herrlichkeit Gottes und seine Überlegenheit über alle Mächte
und Gewalten (Sanctus). Sie betet den großen Lobgesang von der Herrlichkeit und den Taten Gottes in Christus
(Hochgebet). Dabei verwandelt sich ihr die Welt und ihre Elemente zu Zeichen der Gegenwart Gottes in Christus
(Wandlung/Realpräsenz). Sie kann nun in das Gebet Jesu einstimmen, das Gott die Ehre gibt und um die
Erfüllung seines Willens bittet (Vater unser). Sie weiß nun, dass die Welt das Erbarmen Gottes nötig hat und
bittet darum (Agnus Dei). Sie versammelt sich erneut zur Mahlgemeinschaft des Herrn und erfährt, dass sie aus
eine Ansammlung je um ihre Selbsterhaltung besorgter Individuen zur Gemeinschaft der Liebe verwandelt
worden ist (Kommunion). Dafür dankt sie Gott im Schlussgebet. – Darum erklärt die "Konstitution über die
heilige Liturgie 'Sacrosanctum Concilium'" des II. Vatikanums, Nr. 10: "... die Liturgie ist der Höhepunkt, dem
das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt."
Wenn man von der Kirche als Sakrament oder den Sakramenten als Grundvollzug der Kirche
spricht, darf das nicht so verstanden werden, als seien die Sakramente das Werk der Kirche.
Zwar feiert die Gemeinde die Sakramente, und ohne sie geht es nicht, aber sie kann das nur
tun, weil Gott der ist, der er ist, und weil er sich uns als dieser offenbart hat. Gott ist also der
Urheber der Sakramente.
Man kann den Zusammenhang von kirchlichem und göttlichem Handeln in den Sakramenten
auch so beschreiben: Die Sakramente sind das, was noch zu tun ist, wenn die Herrlichkeit
Gottes anerkannt ist. Sie sind das Handeln in dem Raum, der durch den Glauben an Gott
entstanden ist. Nämlich: Menschen aus der Herrschaft der Mächte und Gewalten befreien,
Schuld vergeben, Krankheit nicht mehr als Ausgrenzung definieren, sich auf eine lebenslange
Bindung einlassen usw. (s. oben 7.). Dass solches Tun möglich ist, d.h. dass überhaupt
Sakramente begangen werden können, ist das Heil oder die Gnade der Sakramente.
Lit. zum Zusammenhang von Kirche und Sakrament: THOMAS FREYER, 'Sakrament'- was ist das?, in: Theol.
Quartalschrift [ThQ] 178 (1998) 39-51 [etwas kompliziert aber lesenswert]
Die Gewichtung des göttlichen und menschlichen/kirchlichen Anteils bei den Sakramenten ist bei Katholiken
und Protestanten verschieden. Evangelische Theologie befürchtet, im katholischen Verständnis würde das Tun
Gottes verdunkelt, es würde der Eindruck erweckt, die Kirche bewirke und erzeuge durch ihr Tun das Heil.
Diese Befürchtung war vor allem für die Vergangenheit nicht unberechtigt, vgl. unten 11. Ökumenische
Verständigung hat hier allerdings für Klärung gesorgt. Vgl. dazu FABER, 51f, und zum Stand des ökumenischen
Gesprächs: A. BIRMELÉ, TH. RUSTER, Sind wir unseres Heiles Schmied? (Arbeitsbuch Ökumene 2),
Würzburg/Göttingen: echter/Vandenhoek&Ruprecht 1987.
11. Wie hat noch die Generation unserer Großeltern die Sakramente verstanden
und praktiziert?
Bis zum 2. Vatikanischen Konzil (1962-65) finden wir in der katholischen Kirche eine
ungebrochene Sakramentenpraxis. Das Verständnis der Sakramente war damals gebunden an
die Auffassung der Kirche als Heilsanstalt. Dem lag folgendes theologisches Modell
zugrunde (hier sehr grob, ich beziehe mich auf den Glauben des Volkes):
- Gott ist der Urheber aller Gnade.
- Christus hat durch seine Menschwerdung und seinen Opfertod die Gnade Gottes erworben
oder verdient.
- Christus hat dann die Kirche begründet, ihr die Verwaltung der Gnade übertragen und die
Sakramente als Mittel zur Verteilung der Gnade eingesetzt.
- Die Kirche teilt die Gnade durch die Sakramente, und zwar mittels der kirchlichen
Amtsträger, aus. Es handelt sich um amtliche Gnadenvermittlung.
Die Kirche galt hier also als Heilsanstalt, an die man sich in Sachen Gnade ebenso zu wenden hatte wie an die
Krankenanstalt in Sachen Krankenbehandlung oder an das Finanzamt in Sachen Steuern – ganz unabhängig von
der Qualität dieser Anstalten oder Ämter.
Literatur dazu: FRANZ DIEKAMP, Katholische Dogmatik, Münster: Aschendorff 1922, Bd. III: "Die Lehre von den
Sakramenten", 2-64 [dies ist eine vorkonziliare neuscholastische Dogmatik, die das traditionelle kath.
Sakramentenverständnis umfassend darlegt –kann bei mir ausgeliehen werden];
MICHAEL EBERTZ, Deinstitutionalisierungsprozesse im Katholizismus. Die Erosion der 'Gnadenanstalt', in: F.-X.
Kaufmann, A. Zingerle (Hgg.), Vaticanum II und Modernisierung, Paderborn: Schöningh 1996, 375-399.
Die Stärke dieses Modells war, dass es die Leute dazu anhielt, zur Kirche zu gehen und die Sakramente zu
empfangen. Es machte klar: Gnade ist etwas, das wir von Gott erhalten müssen und das wir in der Kirche
empfangen können. Das Gnadengeschehen war hier gleichsam objektiviert (abgelöst von den subjektiven
Gegebenheiten der Spender und der Empfänger).
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Die Schwäche des Modells war, dass es die Gnade vergegenständlichte, so als wäre sie etwas, das die Kirche hat
und weitergeben kann. Und es stellte die Amtskirche als Spenderin den Gläubigen als Empfängern der Gnade
gegenüber, es errichtete ein Gefälle zwischen Kirche und Gläubigen. Es ließ kaum erkennen, dass die Feier der
Sakramente ein Geschehen der ganzen Kirche/Gemeinde ist und dass Gott allein der Urheber der sakramentalen
Gnade ist.
Das 'amtliche' und obrigkeitliche Kirchenverständnis, das das frühere Sakramentenverständnis
trug, ist heute vergangen und nicht mehr wiederherstellbar. Also müssen wir uns um ein neues
Verständnis der Sakramente bemühen, und zwar eines, das man den Leuten auch vermitteln
kann.
12. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Sakramenten und biblischen
Geschichten? (die Zeitlichkeit des Sakraments)
Die Einseitigkeit des vorkonziliaren Modells kann sicher überwunden werden, wenn wir uns
über den Zusammenhang der Sakramente mit den biblischen Geschichten klar werden. In
jedem Sakrament scheinen viele biblische Geschichten auf. Ich nenne nur einige:
- in der Taufe der Durchzug durchs Schilfmeer/die Taufe des Johannes/die Taufe Jesu/die
Taufe, die die Jünger an Heiden spendeten
- in der Firmung die Mitwirkung des Geistes bei der Schöpfung/die Geistausgießung an
Richter und Propheten/die Geistverheißung für ganz Israel/die Geistsendung bei der Taufe
Jesu/das Pfingstereignis
- in der Eucharistie die Schöpfung aus dem Nichts/das Pascha-Ereignis/die Opfer im
Tempel/die Mahlzeiten Jesu/das letzte Abendmahl/Tod und Auferstehung Jesu/die
Verheißung des himmlischen Hochzeitsmahles
- in der Buße die Sühneopfer/das Ritual des Versöhnungstages/die Befreiung Israels aus dem
Exil/die Sündenvergebungen und Dämonenaustreibungen Jesu/der Tod Jesu ("gestorben für
unsere Sünden")/der Neuanfang der JüngerInnen nach der Auferstehung
- in der Krankensalbung die Heilungen im Alten Testament/die Krankenheilungen Jesu/die
Fürsorge in den frühen Gemeinden
- in der Ordination die Berufung von Männern und Frauen zu Priestern, Propheten und
Königen im Alten Testament/die Berufung Jesu selbst/die Berufung und Sendung der
JüngerInnen/die Ämter und Dienste in der Urgemeinde
- in der Ehe die Ehen Abrahams, Isaaks und Jakobs/das Bundes- und Liebesverhältnis
zwischen Gott und seinem Volk Israel/die Treue Gottes zu seinem Bund/die Liebenden im
Hohelied der Liebe/die Beziehung von Maria und Josef/die Hochzeit des Lammes mit seiner
Braut.
Die Sakramente sind dicht in das Netz der biblischen Geschichten hineingewoben. Sie sind
dazu da, diese Geschichten zu erinnern und zu vergegenwärtigen. Zugleich werden damit ihre
unabgegoltenen Verheißungen für die Zukunft erneuert. Sakramente haben also damit zu tun,
dass Geschichten der Vergangenheit nicht vergangen bleiben. Die Sakramente wiederholen
diese Geschichten so, dass sie nicht noch einmal erlebt werden müssen und doch wieder
Gegenwart (für die Feiernden) werden können (die Theologie nennt diese Art der
Wiederholung repraesentatio). Sakramente setzen die Vergänglichkeit außer Kraft.
Die Zeitlichkeit der Sakramente hat ihren biblischen Ursprung in der israelitischen und späteren jüdischen
Paschafeier. Das Paschafest soll laut Ex 12,14 ein Gedenktag sein, den die Israeliten so begehen sollen, als seien
sie gerade selbst aus Ägypten befreit worden. Jesus nimmt darauf Bezug, wenn er beim Abendmahl sagt: Tut
dies zu meinem Gedächtnis" (Lk 22,19). Gedächtnis heißt griechisch anamnesis; wir sprechen vom
anamnetischen Charakter der Sakramente.
THOMAS VON AQUIN sagt sehr richtig: Das Sakrament ist ein signum rememorativum, ein signum demonstrativum
und ein signum prognosticum (Summa Theologiae III, qu 60, art 3). Das Zeichen des Sakraments erinnert die
Geschichten aus der Vergangenheit, demonstriert sie für die Gegenwart und lässt die Zukunft in ihnen sichtbar
werden.
Literarischer Literaturhinweis: Viele Erzählungen des Bandes NUR WENN ICH LACHE. NEUE JÜDISCHE PROSA (hg. von
Olga Mannheimer und Ellen Pressler, dtv 2002) lassen erkennen, dass nach dem Holocaust geborene Juden eine
Art Sakrament für den Holocaust suchen: Sie wollen den Schrecken nicht in der Vergangenheit versinken lassen,
denn er gehört zu ihrer jüdischen Identität, aber sie wollen ihn natürlich auch nicht noch einmal erleben. Sie
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suchen das, was die kath. Dogmatik in Bezug auf die Eucharistie die "unblutige Wiederholung des [Kreuzes]Opfers" nennt. S. besonders die Erzählungen von Thomas Gunzig, Alain Finkielkraut, Melvin Jules Bukiet.
13. Kommen die Sakramente bereits in der hl. Schrift vor?
Damit sind wir bei der Beziehung der Sakramente zur hl. Schrift.
[Hinweis: Ich werde in den nächsten Abschnitten so vorgehen, dass ich von der Schrift aus das
Sakramentenverständnis durch die Jahrhunderte der Kirche verfolge. Am Ende können wir dann besser sehen,
welche Elemente aus Schrift und Tradition für ein heutiges Sakramentenverständnis unverzichtbar sind.]
In der Bibel kommt das Wort 'Sakrament' nicht vor. Das erklärt sich zunächst recht einfach:
Das Wort kommt aus der römischen Rechtssprache und war in biblischen Zeiten noch nicht
bekannt. Aber auch der Sache nach ist klar, dass Sakramente im kirchlichen Sinne in der
Bibel noch nicht vorkommen können. Sakramente dienen ja der Vergegenwärtigung der
biblischen Ereignisse und Geschichten in späteren Zeiten. Sie setzen also einen zeitlichen
Abstand zu den Ereignissen selbst voraus. Wenn Jesus da ist, braucht man nicht an ihn zu
erinnern...
Sachlich auf die Sakramente weist, wie gesagt, die Institution des Gedächtnisses (zikkaron, anamnesis) im Alten
Testament voraus. Vereinfachend kann man sagen: Biblische Menschen erinnern sich an die Geschichten, die für
nachbiblische Menschen im Sakrament vergegenwärtigt werden. Das Sakrament ist eine Form der Erinnerung an
Geschichten, die ursprünglich nicht unsere eigenen sind. Im Sakrament erinnert sich die Kirche aus Juden und
Heiden an die ihr fremde Geschichte Israels und der Jesusbewegung.
Wenn Jesus und die JüngerInnen 'sakramentale' Handlungen begehen (taufen, Mahl halten, Kranke heilen usw.),
dann sind das noch keine Sakramente, sondern das, was in den Sakramenten erinnert wird.
Lateinische Bibelübersetzungen des 3. Jhds. übersetzten mit sacramentum* einen biblischen
Begriff, der im Neuen Testament 28mal vorkommt: mysterion. Die Bedeutung von mysterion
ist vielschichtig: das Geheimnis des Reiches Gottes, das den JüngerInnen offenbart wird (Mk
4,11); Gottes Plan mit der Welt, der seit ewigen Zeiten besteht, aber jetzt durch Christus
offenbar wird (1 Kor 2; Eph 1,3-14; Eph 3,1-13); Christus selbst, der den Gläubigen an
seinem Leib und Leben Anteil gibt (Kol 1,27); der Inhalt der Verkündigung (1 Kor 2,1.7). In
einem Wort: das ganze Heilsgeschehen, das von Gott her in Christus geschieht und in das die
Kirche einbezogen ist, wird mysterion genannt. Die Übersetzung dieses Wortes mit
sacramentum trifft das Richtige: In den Sakramenten wird dieses Heilsgeschehen insgesamt
vergegenwärtigt, und zwar so, dass die Glaubenden in es einbezogen sind und eine
Verpflichtung auf sich nehmen, dem in ihrem Tun zu entsprechen. Vgl. dazu FABER, 26-28.
- Wir halten fest: Vom Neuen Testament her geht es in den Sakramenten um die
Vergegenwärtigung des gesamten göttlichen Heilsgeschehens, das für Christen in Jesus
Christus kulminiert und an dem sie beteiligt sind.
Vgl. Eph 1,9-12: "Denn er [Gott] tat uns kund das Geheimnis [mysterion] seines Willens ... zur Verwirklichung
der Fülle der Zeiten, nämlich das All in Christus wieder unter ein Haupt zu fassen, das Himmlische [!] und das
Irdische. Ja, in ihm sind wir auch zu Erben eingesetzt worden ... Wir sollen zum Lobpreis seiner Herrlichkeit
dienen [!].": Gott handelt – in Christus – am Himmlischen und Irdischen – Christen sind daran beteiligt – durch
das Lob von Gottes Herrlichkeit.
14. Welche außerbiblische Bedeutung hatte mysterion im Altertum noch, und
welche Auswirkungen hatte das für die Sakramente?
In der hellenistischen Zeit (7. Jhd. v. Chr. bis 4. Jhd. n. Chr.) gab es die weitverbreitete
Religion der sog. Mysterienkulte. Die wichtigsten: Eleusis – Dionysos – Isis – Kybele –
Mithras. Sie waren eine Form privater Frömmigkeit (im Unterschied zu den öffentlichen
Polis- und Reichskulten) und dienten der Heilsvergewisserung des einzelnen. Die Teilnehmer
mussten sich einem Initiationsritus unterwerfen (Herkunft aus der Knabeninitiation) und
waren zur Geheimhaltung verpflichtet (µυειν = den Mund verschließen). Dann wurde das
Schicksal der Kultheroen gefeiert und intensiv mitvollzogen: Vereinigung mit dem Schicksal
der Götter. Inhaltlich ging es meist um Verlust und Wiederfinden, um den Übergang vom Tod
zum Leben gemäß dem jahreszeitlichen Rhythmus.
*
sacramentum ist in der römischen Rechtssprache der Fahneneid eines Soldaten, die feierliche
Selbstverpflichtung auf das Regiment.
10
So der attische Eleusis-Kult: Die Fruchtbarkeits-Göttin Demeter verliert ihre Tochter Kore, im Frühling wird
diese aber wiedergeboren.
Lit.: GÜNTER BORNKAMM, Art. µυστηριον; Art. MYSTERIEN/MYSTERIENRELIGION, in: RGG4, Bd. 5, 1637-1643.
Die christlichen Kulte Taufe und Eucharistie, die aus jüdischen Formen heraus entstanden
waren, zeigten eine gewissen Ähnlichkeit mit den Mysterienkulten. Schon der Begriff
mysterion ermutigte zu Übernahmen. Auch hier ging es um Initiation und um den Mitvollzug
des Todes und der Auferstehung, auch hier gab es Geheimhaltung (Arkandisziplin). Justin
(+160) hielt die Mysterienkulte für eine dämonische Nachäffung der kirchlichen Liturgie.
Aber durch die Ähnlichkeit mit den Mysterienkulten konnten sich die Sakramente auch
Eingang in die heidnische Welt verschaffen, sie knüpften an etwas Vertrautes an. So
übernahmen die Sakramente auch inhaltliche Elemente der Mysterien. An die Stelle des
jüdischen Gedächtnisses trat die Vereinigung mit der Kultgottheit, an die Stelle der Erwartung
und Verwirklichung des Reiches Gottes dessen kultische Vergegenwärtigung und
Vorwegnahme. Der Bezug der Sakramente auf konkrete Geschichte und ihre Bedeutung für
die Verwandlung der Welt konnte dabei verlorengehen. Mysterienkulte denken zeitlosvertikal, Sakramente zeitbezogen-horizontal. Auch die starke Innen/Außen- bzw.
Sakral/Profan-Unterscheidung der Mysterienkulte färbte auf die Sakramente ab.
Die Mysterienkulte kamen in erster Linie dem "Wunsch nach ritueller Bekräftigung der positiven
Selbsteinschätzung" (RGG, 1640) entgegen – dass sollen Sakramente niemals tun!
Eine Äußerung Theodors von Mopsuestia (+428) zeigt, wie mysterienhaftes und sakramentales Denken
ineinanderfließen konnten: "Wir lassen uns taufen in der Erwartung der Teilhabe an seinem Tod und in der
Hoffnung darauf, auch daran teilzuhaben: in derselben Weise, wie auch er erstanden ist, von den Toten zu
erstehen. Deshalb empfange ich, sobald ich mich taufen lasse, indem ich mein Haupt untertauche, den Tod
unseres Herrn Jesus Christus und sein Begräbnis, das auf mich zu nehmen ich Verlagen trage. Und dabei
bekenne ich wirklich die Auferstehung unseres Herrn. Beim Aussteigen aus dem Wasser halte ich mich
sinnbildhaft für bereits auferstanden." (Homilia catechetica 14, 5, zit. nach FABER, 32).
- Was passiert, wenn das biblische Zeugnis von Gott in die Welt der Völker und ihrer
Religionen eintritt? Am Verhältnis von Mysterienkulten und Sakramenten kann man
paradigmatisch sehen: Es gibt Affinitäten, Vermischungen, wechselseitige Umdeutungen, und
es muss sie geben, denn das Evangelium soll unter die Völker kommen. Setzt sich das
Heidnische durch, wird das Biblische trotz bestehender äußerlicher Kontinuität in den Formen
um sein Eigentliches gebracht (hier: Das Neue des Gottesreiches gegenüber dem
Bestehenden). Die Kirche muss es dagegen schaffen, die heidnischen Formen von innen
heraus umzuschaffen und mit biblischem Sinn zu erfüllen. – Das gilt auch für die im
Folgenden aufgeführten Stationen der christlich-heidnischen Verschwisterung in den
Sakramenten.
15. Welchen Einfluss hatte das platonische Bilddenken auf das Verständnis der
Sakramente?
Die biblischen Sakramente konnten auch an das bei den Gebildeten der Antike
vorherrschende platonische Bilddenken anknüpfen. Diesem galt das Sichtbare als Abbild des
Unsichtbaren, das Vergängliche als Abbild des Unvergänglichen. Christliche Theologen
griffen das auf: Sakramente sind Abbilder (typos; eikon [Bild]) einer höheren Wirklichkeit –
das konnten die Heiden verstehen. Aber die Theologie deutete den Platonismus um: Nicht
mehr das Ewige, Unvergängliche wird im Bild bezeichnet, sondern das geschichtliche
Geschehen um Israel und Jesus. Sakramente leiten an zu Nachahmung (mimesis) des Lebens
Jesu. Der welt- und geschichtsverachtende Platonismus war damit von innen her umgedreht,
sein Dualismus überwunden. Das Schicksal des kleinen Volkes Israel und des gekreuzigten
Wanderpredigers Jesus ist jetzt die höhere Wirklichkeit, auf die die Sakramente verweisen.
Und dann sind sie nicht mehr nur Bild, sondern Anleitung zur Nachfolge/zum Tun. (Aber
haben das alle in die Kirche strömenden Heiden auch verstanden? Gab es nicht auch eine
platonische Umdeutung des christlichen Glaubens? Das Risiko kultureller Übernahmen kann
in der Kirche aber nie vermieden werden, auch heute nicht! Man muss nur wissen, dass und
worin es besteht.)
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16. Was trug die Zeichentheorie des Augustinus zum Verständnis der
Sakramente bei?
Augustinus (354-430), der überragende Kirchenvater des Westens, steht gleichsam immer auf dem Grat
zwischen christlicher und heidnisch-philosophischer Weltdeutung, er ist immer ambivalent – aber er hätte seinen
großen Namen nicht, wenn nicht schlußendlich das Christliche bei ihm den Ausschlag geben würde. Das gilt
auch für sein Sakramentenverständnis.
Augustinus geht vom philosophischen Zeichenbegriff aus. Er unterscheidet zwischen Sache
(res) und Zeichen (signum). Sachen verweisen in der Regel nur auf sich selbst. Aber es gibt
auch Sachen, die von sich aus auf anderes verweisen, wie der Rauch auf das Feuer. Sie
werden dann zu natürlichen Zeichen (signa naturalia) [Heute nennen wir das Symbole].
Davon sind zu unterscheiden die gegebenen oder gesetzten Zeichen (signa data). Bei diesen
wird einem Ding eine ganz bestimmte Bedeutung zugewiesen. Das beste Beispiel dafür sind
Worte: ein Lautgebilde hat aufgrund von Übereinkunft eine Bedeutung [unser heutiger
Begriff von Zeichen im Unterschied zu Symbolen].
Beim Sakrament kommen nun beide Arten des Zeichens zusammen. Es ist ein natürliches
Zeichen in seinem Element (Wasser...) und zugleich ein gegebenes Zeichen in seinem Wort,
das über das Element gesprochen wird (Ich taufe dich im Namen des Vaters...). Wie wirken
aber nun beide Arten des Zeichens zusammen? Für Augustinus macht erst das Wort das
Element zum Sakrament:
"Warum sagt er (Jesus Christus) nicht: Ihr seid rein wegen der Taufe, mit der ihr gewaschen worden seid,
sondern sagt: 'Wegen des Wortes, das ich zu euch gesprochen habe', außer weil auch im Wasser das Wort
reinigt? Nimm das Wort weg, und was ist das Wasser als eben Wasser? Es tritt das Wort zum Element, und es
wird das Sakrament, auch dieses gleichsam ein sichtbares Wort [accedit verbum ad elementum et fit
sacramentum, etiam tamquam visibile verbum]. ... Die Reinigung also würde keineswegs dem fließenden und
verfließenden Element zugeschrieben werden, wenn nicht hinzugefügt würde: 'im Wort'." (Traktat über das
Johannesevangelium 80,3).
In dieser Definition ist unklar: Wie verhält sich das gegebene Zeichen zum natürlichen Zeichen? Verstärkt das
Wort die natürliche Zeichenhaftigkeit, nimmt es sie nur um Anlass, oder dreht es sie sogar gegen ihren Sinn um
[kann denn das Untertauchen unter Wasser, also das Ersäufen, Leben bezeichnen?]? Diese Unklarkeit ist in
Augustins Platonismus angelegt: Materielles, Sinnliches ist für ihn sehr eng mit der Realität der Sünde
verknüpft, es kann das Göttliche nicht oder nur sehr unvollkommen anzeigen. Es muss erst von der Sünde
gereinigt werden. Augustinus denkt nicht inkarnatorisch (=Gott nimmt das Fleisch als Ausdruck seiner selbst
an).* [Aber es ist gut, dass Augustinus diese Frage offen gelassen hat, denn jede Zeit muss sie auf's Neue
beantworten: Wie verhält sich das natürliche Zeichen zum Wort der Verkündigung, wie die Natur zur Gnade,
wie die vorfindliche Welt zum Reich Gottes?!]
Aus Augustins Definition "...das Wort macht das Sakrament" folgt noch etwas anderes: dass
die gnadenhafte Wirkung des Sakraments allein aus dem Wort des Glaubens kommt – und
nicht aus der Würdigkeit des Spenders oder dem Glauben des Empfängers.
"Dieses Wort des Glaubens vermag so viel in der Kirche Gottes, dass es durch den Glaubenden, Darbringenden,
Segnenden, Benetzenden auch ein so kleines Kind reinigt, obwohl es noch nicht imstande ist, mit dem Herzen zu
glauben zur Gerechtigkeit und mit dem Munde zu bekennen zum Heil" (aaO.).
Augustinus rechtfertigte damit die Kindertaufe ebenso wie er den Kampf gegen die
Donatisten führen konnte, die bestritten, dass die von einem Ketzer oder Häretiker gespendete
Taufe gültig ist, vgl. dazu FABER, 36-38. Die spätere kirchliche Lehre, dass die Sakramente ex
opere operato (aus dem vollzogenen Werk) und nicht ex opere operantis (aus Tun des
Vollziehenden) wirken, dass also, wenn das Sakrament richtig vollzogen wird, seine Wirkung
von Gott her unfehlbar eintritt, ist hier vorgebildet.
- Von Augustinus behalten wir: Zum Sakrament gehören das natürliche Zeichen und das Wort
des Glaubens. Ihr Zueinander ist in jeder Zeit nur zu klären. Die Wirkung des Sakraments
kommt allein von Gott her und nicht vom Tun und Glauben der Menschen.
17. Welche Umbrüche brachte das Mittelalter für die Praxis und Theorie der
Sakramente?
*
Für Augustinus ist auch der irdische Jesus nur Zeichen für das Mysterium des göttlichen Christus – des
Christus, der zu allen Zeiten präsent war und sein wird. Insofern stellt die Menschwerdung für Augustinus nicht
wirklich etwas Neues in der Heilsgeschichte dar!
12
Etwa ab dem 12. Jhd. tragen drei Faktoren zu einer Umbildung des sakramentalen Tuns und
Denkens bei:
1. Der Einfluss des germanischen, magisch-dinglichen Denkens. Es steht in der Gefahr, in den
Sakramenten geheimnisvoll magische Kräfte zu sehen, die aus sich heraus wirken. Die
Theologie wehrt das ab – und übernimmt zugleich einiges davon (s. gleich zu 3.)
2. Die Verrechtlichung und Codifizierung der Sakramente und ihrer Verwaltung. Sakramente
waren die Haupteinnahmequelle der Kirche und sicherten den Unterhalt der Kleriker. Man
will nun genau wissen, wer unter welchen Bedingungen die Sakramente spenden darf;
Kirchen- und Sakramentenrecht entstehen (dabei spielt auch die Übernahme des römischen
Rechtsdenkens eine Rolle).
Als ordentliche Spender der Sakramente gelten jetzt in der Regel die Priester. Der Priester ist minister
secundarius oder instrumentalis (stellvertretender Spender; Ausnahmen: Taufe, Ehe), Christus der minister
primarius oder principalis (der eigentliche oder Hauptspender); der Priester handelt in persona Christi (als
Stellvertreter/Repräsentant). Die Gültigkeit der Sakramente ist nicht abhängig von der Rechtgläubigkeit und
Integrität des Spenders, er muss nur das tun wollen, was die Kirche tut (cum intentione faciendi quod facit
ecclesia). Das Konzil von Florenz (1438-1445) erklärt zur Gültigkeit der Sakramente: "Alle diese Sakramente
werden in drei Stücken vollzogen: durch den dinglichen Vollzug als materia, durch die Worte als forma**, durch
die Person des Spenders, der das Sakrament erteilt in der Absicht, zu tun, was die Kirche tut. Wenn eines von
diesen drei Stücken fehlt, so wird das Sakrament nicht vollzogen" (DH 1310-1313). Das ist auch heute noch so.
Es wird auch erstmals die Siebenzahl der Sakramente festgelegt (amtlich im Konzil von Lyon
1274); vorher schwankte man zwischen zwei (Taufe, Eucharistie) und 12 Sakramenten
(Abtweihe, Königssalbung, Fußwaschung...).
Über die Bedeutung der Siebenzahl ist später viel spekuliert worden; ein reiches Feld für Zahlensymbolik. Die
Festlegung erfolgt jedoch eher aus pragmatischen Erwägungen.
3. Die Rezeption der aristotelischen Philosophie in der Theologie und damit die Dominanz
des kausalen Denkens. Man versteht die Welt als ein Gefüge aus Ursachen und Wirkungen
und fragt sehr genau: Was ist Ursache, was ist Wirkung, wie bewirkt die Ursache ihre
Wirkung? Sakramente wurden als die Ursache (causa) des Heils verstanden.
Dabei ist klar, dass Gott die causa principalis der sakramentalen Gnade ist, die Sakramente selbst nur die causa
instrumentalis, und zwar in der Hand dessen, der das Werkzeug gebraucht. Damit wird die Lehre vom opus
operatum (s.o. 17) definiert: Das Sakrament wirkt durch die Kraft Gottes, nicht durch das, was Menschen tun.
Der Anteil der Empfänger besteht darin, die Sakramente an sich wirken zu lassen. Er darf der Gnade keinen
Riegel vorsetzen (non-obex-Lehre; darum auch Spendung an Unmündige und Bewusstlose), und er soll die
Gnade im Glauben und im Leben fruchtbar werden lassen (das ist sein opus operantis). Das Bild ist: Die
Sakramente sind wie eine Arznei gegen die Sünde, sie wirken, aber nur, wenn man sie richtig anwendet.
Bei der Frage, wie die Sakramente von Gott her auf die Menschen wirken, gab es verschiedene Theorien:
a) dispositive Wirkung: sie bereiten den Menschen auf den Empfang der Gnade vor, die Gott dann in Freiheit
gibt; b) moralische Wirkung: Gott oder Christus werden durch die Sakramente bewogen, die Gnade zu geben;
c) Vertragstheorie: Gott verspricht, seine Gnade immer dann wirken zu lassen, wenn Sakramente gespendet
werden; d) physische Wirkung: Die Gnade kommt unmittelbar aus der Kraft der Zeichen, die Gott verliehen hat.
Die letzte Theorie, die von Thomas von Aquin stammt, hat sich durchgesetzt – sie war die theologisch
einsichtigste, und zugleich am meisten dem magischen Missverständnis ausgesetzt. Alle Theorien wollen aber
die Freiheit Gottes gegen seine Bindung an die Sakramente abwägen, sie wollen erklären, wie er sich in Freiheit
gebunden hat.
Wir halten fest: Am reichen und begrifflich genauen Denken der Scholastik zu den
Sakramenten kann keine spätere Sakramententheologie vorübergehen; es bildet auch heute
noch den Rahmen. Seine Schlagseiten, die in der Praxis hervorgetreten sind, müssen aber
vermieden werden, nämlich: die Konzentration auf die amtlich-priesterliche
Gnadenverwaltung, die ein unzulässiges Gefälle zwischen Amtskirche und Gläubigen
entstehen lässt; die Vorstellung, die Kirche habe die Gnade von Gott erhalten und könne über
sie verfügen; überhaupt eine gewisse dinglich-materielle Vorstellung von Gnade (die der
späteren Verwechslung von Gnade und Geld vorgearbeitet hat); die Fixierung auf den
gültigen Vollzug der Sakramente, die das Tun der Kirche in den Vordergrund und das Wort
**
Man hatte definiert: Das Sakrament besteht aus dem äußeren Zeichen (signum visibile) und der inneren Gnade
(res sacramenti: gratia invisibilis). Das Zeichen besteht aus materia (Element, Handlung) und forma (dem Wort).
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des Glaubens in den Hintergrund treten lässt; eine im Sinne der Magie falsch verstandene
Lehre von der Selbstwirksamkeit der Sakramente (opus operatum). Genau an diesen
Schlagseiten wird die Kritik der Reformatoren ansetzen.
18. Was haben die Reformatoren an der katholischen Sakramentenpraxis- und
lehre kritisiert?
Hierzu ist sehr viel zu sagen, das ergäbe eine eigene Vorlesung. Das Wesentliche aber ist:
Die Reformatoren kritisieren, dass das Tun der Kirche sich vor Gott schiebt und seine
Wirksamkeit im Wort des Glaubens verdeckt. Die Kirche tut so, als habe sie die sakramentale
Gnade in ihrem Besitz und könne nach Gutdünken darüber verfügen (Bsp. Ablassstreit). Sie
macht sich praktisch selbst zur Quelle der Gnade.
Die Reformatoren betonen deshalb: Nicht aus dem Tun der Kirche kommt die Wirkung der
Sakramente, sondern aus Gottes Gnade (sola gratia = allein aus der Gnade). Sakramente sind
kein Werk, das die Kirche tut, sondern Geschenk Gottes, das im Glauben angenommen sein
will (sola fide = allein aus dem Glauben). Nicht aus dem amtlich-richtigen Vollzug des
sakramentalen Ritus kommt die Gnade, sondern aus dem göttlichen Wort, das auf den
einzelnen und seinen Glauben zielt (solo verbo = allein aus dem Wort). Deshalb kann nicht
die Tradition und Lehre der Kirche darüber entscheiden, was ein Sakrament ist und wie es
wirkt, sondern nur die hl. Schrift (sola scriptura = allein aufgrund der Schrift).
Weil sie nur Taufe und Abendmahl, vielleicht auch die Buße in der Schrift begründet sehen, nehmen die
Protestanten auch nur diese Sakramente an.
Martin Luthers Theologie der Sakramente stand in einer doppelten Frontstellung: Er wandte sich zum einen
gegen die katholische Veräußerlichung und Verdinglichung der Sakramente und betonte den inneren Glauben;
zum anderen aber hielt er gegen die "Schwärmer" (und dann auch gegen Zwingli) die Bedeutung der äußeren
Zeichen fest. Das Sakrament ist für ihn der Ort, wo Christus sich gewiss finden und greifen lässt: "Es ist etwas
anderes, wenn Gott da ist und wenn er dir da ist. Dann aber ist er dir da, wenn er sein Wort dazutut und bindet
sich damit an und spricht: hier sollst du mich finden. Wenn du nun das Wort hast, so kannst du ihn gewisslich
greifen und haben und sagen: hier habe ich dich" (M. Luther, Daß diese Worte Christi 'Das ist mein Leib' noch
feststehen, 1527).
Der Kern der evangelischen Kritik am katholischen Sakramentenverständnis besteht in dem
Vorwurf: Die Sakramente bilden eine eigene Instanz der Vermittlung des Heils – so als wenn
dem Heilswerk Jesu Christi noch etwas hinzugefügt werden müsste. Damit wird die
Alleingenügsamkeit des Heils in Christus in Frage gestellt, und die Kirche beansprucht eine
eigene Mitwirkung an der Heilsvermittlung. Somit gibt es in der katholischen Kirche zwei
Vermittlungen des Heils: die durch Christus selbst und die durch die Kirche.
Die frühere katholische Theologie fühlte sich von diesem Vorwurf insofern nicht getroffen, als sie die Kirche als
mystischen Leib Christi verstand. Es war demnach der fortlebende Christus selbst, der durch die Kirche in den
Sakramenten handelt. Nachdem aber diese Theologie des mystischen Leibes aus verschiedenen Gründen nicht
mehr weitergeführt worden ist, ist der Vorwurf der evangelischen Theologie wieder sehr ernst zu nehmen – vor
allem, wenn man von den Sakramenten als Grundvollzügen der Kirche und der Kirche als dem Grundsakrament
spricht.
Nach evangelischem Verständnis braucht es keine zweite Instanz der Heilsvermittlung. Es ist
das Wort Gottes, das, wenn es im Glauben angenommen wird, das Heil und alle Gnade mit
sich bringt (vgl. Luthers Rede vom "Testament": Im Neuen Testament steht, dass wir Gnade,
Vergebung der Sünden und Seligkeit geerbt haben. Das wird uns im Wort der Verkündigung
– eine Art Testamentseröffnung – gesagt. Wenn man es glaubt, hat man es: "Glaubst du, so
hast du".
Der konsequenteste Vertreter der evangelischen Theologie in dieser Hinsicht ist der reformierte Theologe Karl
Barth (1886-1968). Er hat in seinem Spätwerk den Begriff der Sakramente ganz aufgegeben, auch Taufe und
Abendmahl sind für ihn keine Sakramente mehr. Er wollte mit allen Mitteln das Problem der doppelten
Heilsvermittlung vermeiden. -–Aber die Frage ist ja immer: Wie kommt denn das durch Christus erworbene Heil
in andere Zeiten und bis zu uns heute?
Vgl. zur evangelisch-katholischen Kontroverse das ausgezeichnete Buch von REINHARD HEMPELMANN, Sakrament
als Ort der Vermittlung des Heils. Sakramententheologie im evangelisch-katholischen Dialog, Göttingen:
Vandenhoek&Ruprecht 1992.
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Die ökumenischen Dialoge der vergangenen Jahrzehnte haben in Bezug auf die Sakramente allzusehr das
Verbindende zwischen den Konfessionen gesucht und die bleibenden Differenzen dabei aus dem Blick verloren.
Darum haben sie auch zu keinem Erfolg geführt. Vgl. zur ökumenischen Verständigung das Dokument der
Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK Taufe, Eucharistie und Amt ("Lima-Erklärung"),
1982; das Dokument der kath. und ev. Kirche in Deutschland Lehrverurteilungen –kirchentrennend? (Bd. I-III,
1986-1990). Zahlreiche Dokumente sind gesammelt in Dokumente wachsender Übereinstimmung, hg. von H.
Meyer u.a., 1983. Dazu auch A. BIRMELE, TH. RUSTER, Arbeitsbuch Ökumene, 4 Bde., Göttingen/Würzburg 19861988.
19. Welche Neuansätze gab es in der katholischen Theologie der Neuzeit und vor allem
im Umfeld des 2.Vatkanischen Konzils (1962-65)?
Das Konzil von Trient (1545-1563) hatte die katholische Sakramentenlehre im Wesentlichen
unverändert gelassen und sie nur die gegen die Angriffe der Reformatoren präzisiert. In der
Neuzeit hat sich dann im Allgemeinen das Sakramentenverständnis durchgesetzt, das ich oben
unter 11. skizziert habe. Ein Sakrament wird jetzt (im CATECHISMUS ROMANUS) definiert als
eine "sinnenhafte Sache, die aufgrund göttlicher Einsetzung die Kraft hat, die Heiligkeit und
Gerechtigkeit sowohl zu bezeichnen als auch zu bewirken."
Im 20. Jahrhundert gibt es zahlreiche Neuansätze:
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Die Mysteriendimension der Sakramente wird neu entdeckt. Odo Casel (1886-1948) findet in den
antiken Mysterienkulten das Grundmodell der Sakramente: Ganzheitlicher Mitvollzug des PaschaMysteriums Jesu Christi. Damit hat er das 2. Vatikanum sehr beeinflusst. Zur Darstellung und Kritik
Casels s. TH. RUSTER, Die verlorene Nützlichkeit der Religion, Paderborn u.a. 21997, 247-267. Wichtig und
weiterführend ist hierbei, dass die Sakramente als gemeinschaftliche Feier der Gemeinde und nicht
als Heilserwerb des einzelnen verstanden werden.
Überhaupt wird die Dimension der Kirche bei den Sakramenten ganz neu herausgestellt.
Sakramente gelten jetzt als die Ausfaltungen des Grund- oder Wurzelsakraments Kirche. Kirche
ist selbst die Einheit von Sichtbarem und Unsichtbarem und das wirksame Zeichen des Heils in
der Welt (O. Semmelroth, E. Schillebeeckx, Th. Schneider u.a.).
Das II. Vatikanum greift diesen Ansatz (eher zögerlich) auf, vor allem in der Kirchenkonstitution
Lumen Gentium (LG – Licht der Völker). Dort heißt es:
"Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste
Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit." (LG 1)
"Gott hat die Versammlung derer, die zu Christus als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit
und des Friedens glaubend aufschauen, als seine Kirche zusammengerufen und gestiftet, damit sie allem und
jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei." (LG 9)
"Auferstanden von den Toten (vgl. Röm 6,9), hat er seinen lebendig machenden Geist den Jüngern
mitgeteilt und durch ihn seinen Leib, die Kirche, zum allumfassenden Heilssakrament gemacht." (LG 48)
Als Reaktion auf die Krise der Sakramente in neuerer Zeit hat es viele Versuche gegeben, die
Sakramente anthropologisch zu begründen. Man verstand sie stark schöpfungstheologisch: als
Vertiefung allgemein-menschlicher Sakramentalität, als Sinnerfüllung menschlicher
Grundsituationen, als Symbole der Hoffnung. Man knüpfte immer wieder an das Ursymbol des
Leibes, der Leibhaftigkeit (Symbol des Unsichtbaren im Sichtbaren) an. Man betonte den
Zusammenhang der Sakramente mit allgemeinen Grunderfahrungen und Lebenswenden. Der
Begriff "Symbol" tritt in den Mittelpunkt der Sakramententheologie (J. Ratzinger, W.Kasper, Th.
Schneider, L. Boff u.a.).
Sakramente werden als kommunikative Handlungen ausgelegt, die Dimension des Personalen
(Selbstwerdung in Beziehung) wird betont (P. Hünermann, A. Ganoczy u.a.).
Sakramente werden als ästhetische Ereignisse (Sichtbarkeit des Glaubens) verstanden (H.-J.
Höhn)
Insgesamt herrscht in der katholischen Theologie eine fundamentaltheologische Perspektive
vor (und in der evang. Theologie bei P.Tillich). Sakramente werden aus dem allgemeinen
Daseinsverständnis heraus verständlich gemacht. Es wird aber dann schwer, die
übernatürliche, göttliche, daseinsverwandelnde Dimension der Sakramente noch zu bewahren.
Vgl. hierzu FABER, 44-48; HEMPELMANN 135-180.
Alle katholischen Neuansätze der Sakramententheologie bündeln sich bei Karl Rahner (1904-1984), der auch
den größten Einfluss auf die kath. Theologie ausgeübt hat. Rahner vollzieht die ekklesiologische Grundlegung
der Sakramente. Kirche ist nicht nur Lieferantin von Gnadenmitteln, sie ist vielmehr selbst das Realsymbol der
15
bleibenden Gegenwärtigkeit der Gnade in der Welt, die Fortsetzung der Gegenwart Christi, sie ist Ur- oder
Grundsakrament. Sakramente sind die Selbstvollzüge von Kirche – Insoweit kann Rahner die exegetische Frage
nach der Einsetzung der Sakramente neu lösen: Mit der Stiftung der Kirche ergibt sich auch die Einsetzung der
Sakramente. – Sakramente sind nicht nur ein objektives Mitteilen von Gnade unabhängig von der Aneignung des
Empfängers, sondern zutiefst personales Geschehen: die Selbstmitteilung Gottes an den Glaubenden. Damit
verbindet sich eine neue Reflexion auf den Zusammenhang von Wort und Sakrament. Dies sind keine
Gegensätze, sondern das Sakrament ist die höchste, intensivste Stufe des Wortes, dichter als das Wort der
Predigt. – Diese Sakramententheologie Rahners ist eingebettet in eine neue Theologie der Welt, seinen insgesamt
tragenden Grundansatz einer transzendental-anthropologischen Theologie ("anthropologische Wende"). Danach
kommt Gott und seine Wirklichkeit nicht als etwas Fremdes, Äußerliches in die Welt, Kirche und Sakramente
bilden keine Sonderwelten, sondern Gottes Offenbarung und Selbstmitteilung entspricht im Tiefsten der
menschlichen Grundsituation. In jedem existentiellen Akt wird Gott immer schon unthematisch angezielt und
ergriffen ("anonymes Christentum"), Gott ist die Erfüllung des menschlichen Suchens und Strebens. Gott ist das
Geheimnis der Welt, die Welt verweist auf Gott, die Welt ist durchdrungen von der Gnade Gottes. In den
Sakramenten wird diese Grundsituation nur zur reflexen Erscheinung gebracht, wird ausdrücklich, was auch
schon unausdrücklich immer der Fall ist. Sakramente stehen für die geschichtlich-konkrete Greifbarkeit der
transzendentalen Verwiesenheit der Menschen auf die Gnade, in ihr ergreift der Mensch explizit, was er implizit
schon hat. – Damit stellt sich aber die Frage, warum es die Sakramente/die Kirche/das explizite Christsein
überhaupt geben muss. Rahner hat die Sakramente spiritualisiert; von einer Heilsvermittlung bei den
Sakramenten kann bei ihm nicht mehr eigentlich die Rede sein. Sakramentalität gilt ihm als eine Grundstruktur,
die für Christus, die Kirche und ihre Riten unterschiedslos zutrifft. Das Spezifische der Sakramente und ihre
Bindung an das Wort der Schrift verschwimmen.
Das göttliche, unableitbare "extra nos" des Heils kommt bei ihm nicht mehr heraus, auch nicht, dass das Wort
Gottes gerade in den Sakramenten ein Gerichtswort über die Welt und die Menschen ist.
Vgl. zu Rahner: HEMPELMANN 181-199; und meine Ausführung zu Rahner im Vorlesungsskript „Das Wesen des
Christentums“ aus dem SS 2000.
20. Wie können wir die Sakramente heute verstehen? (Systematische Entfaltung)
In den Sakramenten wird Menschen aus den Völkern (=die nicht zu Israel gehören) eine
andere Vorgeschichte zugeordnet. Und zwar die biblische Geschichte, die ja ursprünglich
nicht die ihre ist (vgl. oben 12.). Aus dieser Geschichte heraus können sie sich und die Welt
anders verstehen. Sie können sich jetzt Kinder Abrahams und Saras, Nachkommen Davids,
Nachfolger der Propheten, Schüler der Weisen und letztendlich Jüngerinnen und Jünger Jesu
nennen. Sie werden in die Geschichte Gottes mit den Menschen, die ausschließlich über die
Geschichte Israels und Jesu verläuft, hinein genommen, sie werden damit Teil des Volkes
Gottes.
Dieser Ansatz erklärt, warum es in Israel und im Judentum keine Sakramente gibt. Sakramente sind für die
Heidenchristen das, was für Israel/für die Juden die Erinnerung ist, vgl. oben 13.
a) Was ist das für eine Geschichte, die Menschen aus den Völkern zugeordnet wird?
Was ändert sich für sie dadurch?
Es ist dies die Geschichte, in der sich der wahre und einzige Gott in seiner Herrlichkeit zeigt.
Menschen, die sich diese Geschichte zu eigen machen, verherrlichen und lieben Gott über
alles und wollen deswegen seinen Geboten folgen (denn Gott zeigt sich in seinem Gottsein,
indem er Gebote gibt!). Diese Gebote sind in den zwei von Jesus genannten Hauptgeboten
zusammengefasst, vgl. Mk 12,28-34:
"Und einer von den Schriftgelehrten, der sie miteinander disputieren gehört und erkannt hatte, wie gut er ihnen
antwortete, trat hinzu und fragt ihn: 'Welches ist das erste Gebot von allen?' Jesus antwortete: 'Das erste ist:
'Höre Israel, der Herr unser Gott ist einer, und du sollst den Herren, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen
Herzen und aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Denken und aus deiner ganzen Kraft' [Vgl. Dtr 6,45]. Das zweite ist dieses: 'Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst' [Lev 19,18]. Größer als diese ist kein
anderes Gebot.' Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm: 'Gut, Rabbi, und wahr hast du gesagt: 'Er ist nur ein
einziger, und es ist kein anderer außer ihm.' Und ihn zu lieben aus ganzem Herzen, aus ganzem Denken und aus
ganzer Kraft und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, das ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen
Opfer' [...]"
Jesus fügt zwei Grundgebote des mosaischen Gesetztes zusammen und sagt damit: Wenn man
Gott aus ganzem Herzen liebt – und nicht zuerst sich selbst! - , dann findet man sich als
jemand vor, der die Freiheit hat, auch den Nächsten zu lieben.
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Die Geschichte, in die Menschen durch die Sakramente hineingestellt werden, ist also darin
von allen anderen menschlichen (Vor-)Geschichten unterschieden, dass sie den Primat der
Selbstliebe, der Selbstbehauptung, der Selbsterhaltung außer Kraft setzt und der Liebe zu Gott
in allem den Vorrang gibt. Sie kann darum eine wahrhaft menschliche (humane) Geschichte
sein, weil für sie die Welt nicht mehr ein Ort ist, an dem der Kampf um's Dasein zwischen
Individuen, die zuerst an ihre Selbsterhaltung und Bestätigung denken müssen, stattfindet,
sondern ein Ort, an dem Menschen einander gerecht werden können. In ihr gilt das Gesetz der
"freien Selbstzurücknahme zugunsten anderer" (M. Welker).
Wenn Menschen aus dieser Geschichte leben, ändern sie sich und ändert sich für sie die Welt.
Sie können anders leben und handeln. Und sie bilden ein Volk, das nach diesem anderen
Gesetz lebt (denn Völker bestimmen sich danach, nach welchem Gesetz sie leben).
Die Sakramente bewirken deshalb einen radikalen Neuanfang, ein Neuwerden, eine neue
Schöpfung. Keine weltliche Geschichte kommt an das heran, was sich in den Sakramenten
ereignet. Denn in der biblischen Geschichte hat Gott selbst gesprochen und sich offenbart.
Darum kann man sagen: Gott selbst handelt in den Sakramenten (vgl. oben 1.)
Die zitierte Mk-Stelle zeigt, dass Jesus mit dem, was er sagt, ganz in der Tradition Israels steht. Er wiederholt ja
nur die Hauptgebote der Tora. Und der Schriftgelehrte erkennt dann selbst, dass das Halten dieser Hauptgebote
nicht mehr auf Israel beschränkt sein kann: 'das ist weit mehr als alle Brandopfer...', das ist nicht mehr an den
Tempeldienst und an das irdische Jerusalem gebunden, diese Gebote können von allen Menschen gehalten
werden, die Gott kennen und lieben. Jesus sagt ihm darauf: Du bist nicht weit vom Reich Gottes.
b) Auf welche anthropologischen Grundlagen beziehen sich die Sakramente?
Die schlichte anthropologische Grundlage der Sakramente ist, dass jeder Mensch aus und in
Geschichten lebt und anders nicht. Wenn ich sagen will, wer ich bin, erzähle ich meine
Geschichte... Wenn ich zu meiner Geschichte nicht mehr stehen kann, bin ich mit mir
zerfallen, werde ich krank... Zu dieser Geschichte gehört aber die Geschichte meiner Familie,
meines 'Klans', meines Volkes immer dazu. Sie ist meine Vorgeschichte, auch zu ihr muss ich
über alle Brüche hinweg stehen können. Diese Vorgeschichte kenne ich nur, weil sie mir
erzählt worden ist (in einer bestimmten, identitätsrelevanten Selektion; die Gesamtgeschichte
ist nicht erzählbar). Auch meine eigene Geschichte, die ich von mir erzähle, beruht auf (je
neuen) Selektionen, die beim Erzählen zustande kommen. Diese Geschichten steuern das
Selbst- und Weltverständnis.
Wenn heute von einem Traditionsbruch in dem Sinne die Rede ist, dass die Geschichten der Vergangenheit für
die Gegenwart immer weniger Bedeutung haben, ist das kein Argument gegen das Geschichten-IdentitätsKonzept: dann entstehen eben Identitäten mit immer weniger Geschichte, dürftige, schwache Identitäten.
Es ist also anthropologisch in Ordnung, dass die Sakramente die Identität von Menschen
bestimmen, indem sie ihnen Geschichten nahebringen. Es ist auch nicht so ungewöhnlich,
dass sich Menschen mit einer anderen Vorgeschichte identifizieren: so im Falle vieler
Auswanderer, die (oder deren Kinder) sich im Laufe ihres Lebens die Geschichte des Landes,
in das sie eingewandert sind, zu eigen machen. Das amerikanische Volk ist so entstanden. Das
Besondere und Einzigartige der Vorgeschichte, die Menschen in den Sakramenten zugeordnet
werden, ist nur diese Geschichte selbst.
Vgl. zu diesen Überlegungen: DIETRICH RITSCHL, Zur Logik der Theologie. Kurze Darstellung der
Zusammenhänge theologischer Grundgedanken, München: Kaiser 1984, 40-48 und die dort angegebene
Literatur (Ritschls berühmtes story-Konzept!).
c) Warum muss man sagen: Christus hat die Sakramente eingesetzt?
Jesus Christus ist der Messias – und das verstehe ich so: Er hat das Volk Gottes über Israel
hinaus für die Völker geöffnet. Er hat auch Nichtjuden für torafähig gehalten (Unreine,
Samariter, Heiden) und somit die Erwählung Israels auf die Völker ausgedehnt (unter
Wahrung ihres Unterschieds, vgl. Röm 1,16: "zunächst für die Juden und dann auch für die
Griechen"). Diese Erwählung Israels besteht darin, Gott zu kennen, ihn zu verherrlichen und
seine Gebote zu halten. Durch Jesus können das auch die ehemaligen Heiden tun.
Vgl. dazu Eph 2,11-13: "Denkt daran: Ehedem lebtet ihr, die Heiden von Geburt [...] ohne Christus,
ausgeschlossen von der Gemeinde Israels, fremd den Bundessschließungen und ihrer Verheißung, ohne
Hoffnung und gottlos in der Welt. Jetzt aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst fern wart, nahe geworden
17
durch das Blut Christi" Und 2,19: "So seid ihr nun nicht mehr Fremdlinge und Beisassen, sondern Mitbürger der
Heiligen und Hausgenossen Gottes." Darin erfüllt sich für Israel das messianische Zeitalter, vgl. z.B. Jes 2: An
jenem (messianischen) Tag kommen die Völker zum Zion, um die Weisung/Tora Gottes zu hören.
(Siehe dazu, wenn das nicht klar sein sollte, das Skript meiner Christologie-Vorlesung vom WS 98/99. Das
Hineinholen der Menschen aus den Völkern in den Bund geschieht in einer hier nicht zu erklärenden Weise
gerade durch sein Kreuz und seine Auferstehung).
Wenn nun also die Sakramente bewirken, dass Menschen aus den Völkern die Geschichte
Israels und Jesu als ihre eigene Vorgeschichte zugeordnet wird, dann ist dieses sakramentale
Geschehen grundgelegt in Jesus Christus, in seinem messianischen Wirken. Ohne Christus
keine Sakramente!
Ob man ihn deswegen gleich "Ursakrament" nennen muss, ist eine strittige, vielleicht überflüssige Frage. Man
sollte doch den Sakramentsbegriff so eng wie möglich halten, um ihn nicht zu verwässern.
Die Theologie besteht zu Recht darauf, dass alle Sakramente von Christus eingesetzt sind.
Dies gilt in einem weiteren Sinne: ohne Christus keine Sakramente, und in einem engeren
Sinne: Jedes Sakrament muss auf das Christusgeschehen rückführbar sein! In jedem muss sein
christologischer Sinn angebbar sein, d.h. an jedem Sakrament muss zu zeigen sein, dass hier
Menschen aus den Völkern in einem spezifischen Sinn in die Wirklichkeit der Bibel und des
Torahandelns hineingerufen werden (Näheres in der speziellen Sakramentenlehre). M. E. ist
es aber nicht nötig, dafür jeweils eigene Einsetzungsakte Jesu vorzuweisen.
Blickt man auf die Elemente der Sakramente (Brot, Wein, Mahlzeit, Wasser, Untertauchen,
Öl, Salben, Handauflegung usw.), dann lässt sich zeigen, dass Jesus sie selbst so benutzt hat
(oder sie an ihm benutzt wurden), dass sie von ihrem allgemeinen, symbolischen Sinn in
spezifischer Weise in den Zusammenhang der Gottesgeschichte mit Israel gestellt und somit
neu 'codiert' wurden: Brot und Wein werden durch Jesu Hingabe am Kreuz zu Zeichen des
Pascha-Mysteriums, in das nun alle Menschen einbezogen sind, nicht mehr nur Israel. – Von
der Frau, die Jesus in Betanien salbte, wird "in der ganzen Welt" (!) erzählt werden: Sie
deutete das Zeichen des Salbens so um, dass nun auch für die Menschen in der ganzen Welt
verständlich wird, was es bedeutet, in Israel zum König, Priester und Propheten, zum Messias
gesalbt zu werden, vgl. Mt 14,3-9. – Hier ist also noch ein besonderer Sinn der "Einsetzung
durch Jesus Christus" zu entdecken (aber das geht wohl nicht für alle Sakramente).
d) Was haben die Sakramente mit dem Wirken des Heiligen Geistes zu tun?
Gottes Geist ist der Geist der Gerechtigkeit. Er ist der Geist, der Gottes Einsatz für das Leben
gegen den Tod wirksam werden lässt. Nach biblischer Einsicht gibt der Geist Gottes die
Kraft, die Gebote Gottes zu erfüllen, und er baut im Bereich der Tora-Gerechtigkeit ein
Kraftfeld auf, in dem eine Gesellschaft für das Leben handeln kann und den Mächten des
Todes nicht mehr ausgeliefert ist.
Ich kann das hier nicht ausführen. Vgl. MICHAEL WELKER, Gottes Geist. Theologie des Heiligen Geistes,
Neukirchen-Vluyn: Neukirchener ²1993, vor allem 109-173; und mein Skript vom SS 1996 "Gottes Geist und
andere Geister. Theologie des Heiligen Geistes".
Insoweit nun Menschen aus den Völkern durch die Sakramente in die biblische Wirklichkeit
Gottes hineingeführt werden und somit die Möglichkeit haben, nach dem Gesetz Gottes zu
leben, leben sie in der Kraft des Geistes. Die Kirche ist insgesamt ein Geschöpf des Heiligen
Geistes, denn sie ist das Volk des Bundes/der Tora in der Welt. Was immer sie tut, geschieht
in der Kraft des Geistes. Die Erinnerung (und die Herabrufung!) des Geistes ist notwendig,
um nicht zu meinen, das, was die Kirche tut, komme allein aus ihrer eigenen Kraft .
e) Inwieweit sind die Sakramente auch ein trinitarisches Geschehen?
Wir haben schon gehört: In den Sakramenten handelt Gott (a) – durch Jesus Christus (c) – im
Heiligen Geist (d). Sie sind also ein trinitarisches Ereignis, oder anders: Gott nimmt uns durch
die Sakramente in sein eigenes inneres Leben, das unser Leben schafft und erhält, hinein.
Dieser Prozess der Anteilhabe am Leben Gottes beginnt in jedem Sakrament/in jeder
sakramentalen Feier neu und ist nicht abgeschlossen.
Versteht man unter der ökonomischen Trinität den Zustand, "in dem sich Gott der Welt
gegenüber aktuell befindet, den Stand des Prozesses zwischen ihm und den Menschen:
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zwischen Israel und den Völkern und zwischen Zorn und Liebe" (Zitat aus meinem Skript
"Gotteslehre" vom WS 1999/2000, S. 37), dann kann man noch besser erklären, warum
Sakramente trinitarische Ereignisse sind: In jedem Sakrament wird der Übergang von Israel
zu den Völkern neu vollzogen, wird die Welt zum Reich Gottes umgewandelt (oder nicht),
und daran entscheidet sich für Gott, ob er sich der Welt in Zorn oder Liebe zuwendet. Das,
was da in den Sakramenten geschieht, bleibt für Gott nicht äußerlich, sondern betrifft sein
Gott-Sein für die Welt, seine Selbstentäußerung als Gott aller Menschen. Darum gehören die
Sakramente zur ökonomischen Trinität.
f) Sind die Sakramente Ausdruck der Schöpfungswirklichkeit?
Insoweit die Sakramente durch Jesus Christus begründet und von ihm eingesetzt worden sind,
sind sie nicht einfach Ausdruck der Schöpfungswirklichkeit. Sie sind vielmehr Ausdruck der
Neuschöpfung, die durch Christi Erlösung (durch den Einbezug der Völker in die Bundesund Verheißungswirklichkeit Israels) begonnen hat. Die Schöpfung ist aufgrund der Sünde
der Menschen dem Tod verfallen (sie bleibt den Zwängen der Selbsterhaltung ausgeliefert),
wenn sie sich nicht auf die erlösende Wirklichkeit des Bundes einlässt und Gottes Willen
erfüllt. Es reicht also nicht, die Sakramente aus den Gegebenheiten der Schöpfung herzuleiten
und verständlich zu machen (etwa aus der Kraft des Symbolischen, der Leiblichkeit, der
Sehnsucht nach Gemeinschaft, der Feier der Lebenswenden usw. –wie das in der jüngeren
katholischen Theologie so beliebt war, vgl. oben 19. Mit solchen Verweisen kommt man nur
bis zum 'Himmel'.). Wenn aber Menschen aufgrund der Verkündigung und der Sakramente
erkennen, was Gott mit der Schöpfung vorhat und was er getan hat und tut, um die Macht der
Sünde zu überwinden, dann erkennen sie auch, dass er das schon immer so wollte, dass das
bereits sein Plan bei der Erschaffung der Welt war.
Der Geist Gottes schwebte ja schon am Anfang über den Wassern, und Gott sah, dass das, was er geschaffen
hatte, gut war, und er sagt den Menschen, dass sie sich die Erde untertan machen sollen, also nach den Geboten
Gottes, der Tora, regieren sollen, vgl. Schöpfungsgeschichte. Aber dann kommt der Sündenfall...
Sakramente lassen also in der alten Schöpfung die Umrisse der neuen erkennen, sie verhelfen
zu einer vertieften Sicht auf die Schöpfung. Sie sind einer rein natürlichen Erkenntnis
verschlossen, lassen aber ein neues Licht auf die Realität fallen. Damit ist zugleich etwas über
die eschatologische Dimension der Sakramente gesagt: indem sie die Geschichte Israels und
Jesu erinnern, verändern sie die Gegenwart und lassen sie eine andere Zukunft erwarten, vgl.
oben 12. zu signum rememorativum, signum demonstrativum und signum prognosticum
g) Wie ist der Zusammenhang von Kirche und Sakramenten zu beschreiben?
Vgl. dazu schon oben 10. Zusammenfassend kann man formulieren: In der Feier der
Sakramente wird Kirche je neu geschaffen. Kirche ist da, wo Sakramente gefeiert werden.
Insoweit gehen die Sakramente der Kirche voraus. Andererseits geht auch die Kirche den
Sakramenten voraus: Kirche ist das Israel unter den Völkern, sie gibt es, weil Jesus die
Bundeswirklichkeit bis zu den Völkern gebracht hat. Aber dieses Kirchesein findet eben
immer nur statt, wenn Sakramente gefeiert werden: Da, wo Gott in den Völkern die Ehre
gegeben wird, ist Kirche, und das geschieht, wenn Sakramente gefeiert werden.
Es ist deswegen mindestens missverständlich, von der Kirche als dem Grund- oder Wurzelsakrament zu
sprechen. Kirche wird aus den Sakramenten aufgebaut, es ist nicht erst die Kirche da, die dann die Sakramente
feiert oder sie gar als ihr Werk hervorbringt. – Wenn man will, kann man das Verhältnis von Kirche und
Sakramenten als zirkulär bezeichnen, aber dann sollte man doch, um Verwirrung zu vermeiden, den Begriff
'Sakrament' für die sakramentalen Feiern reservieren.
h) Welches Verhältnis besteht zwischen Wort und Sakrament?
Diese (ökumenisch viel diskutierte) Frage kann man nicht im Sinne eines 'mehr oder weniger'
beantworten. Es gibt nicht 'mehr' als das Wort Gottes, das uns Gott, seine Herrlichkeit und
sein Gesetz mitteilt. Mehr ist nicht zu sagen. Das Sakrament muss dann als eine bestimmte
Gestalt dieses Wortes begriffen werden: die Gestalt seines Wortes, die sich an die Menschen
aus den Völkern richtet und diese zur Gemeinschaft des Bundes und des Gesetzes einlädt.
Dieses ist zum Beispiel zu unterscheiden von der Gestalt seines Wortes in der
Gesetzesverkündigung an das Volk Israel, das sich in besonderer Weise an Israel richtet! Das
19
Wort Gottes an die Menschen aus den Völkern ergeht als Sakrament, d.h. es ergeht so, dass
es, wie gesagt, diesen Menschen eine andere Geschichte zuordnet. Es wird dann, wie
Augustinus treffend sagt, ein verbum visibile (sichtbares Wort). Warum das so ist, erhellt aus
dem Zusammenhang von Wort und Element im Sakrament.
i) Wie ist das Verhältnis zwischen Wort und Element theologisch zu erklären?
Die Beziehung zwischen Wort und Element ist bei jedem Sakrament eine offene, jeweils neu
zu klärende Beziehung. Denn in dieser Beziehung ist genau der Übergang von der Welt der
Bibel in die Welt der Heiden abgebildet. Das Element steht für die Welt der Völker, es vertritt
da, wie man oft gesehen hat, eine Grunddimension des Daseins. Indem nun das Wort zum
Element tritt (Augustinus), wird dieses Element in einen neuen Zusammenhang gestellt, es
wird neu codiert (tatsächlich sind alle Zeichen codiert, d.h. sie beruhen auf Übereinkunft).
Das heißt genauer: Es werden biblische Geschichten erzählt, in denen das Element eine
andere Bedeutung hat als gewöhnlich. Dabei hängt es jeweils von der gewöhnlichen, in der
Welt der Völker vorausgesetzten Zeichenhaftigkeit des Elements ab, inwieweit es sich für die
Umcodierung durch das Wort eignet, was von ihm aufgenommen und was verändert werden
muss. Wir haben das an den Mysterienkulten, dem Neuplatonismus, der Magie des
Mittelalters (vgl. oben 14, 15, 17) gesehen: Das Wort kann sich jeweils auf etwas im Element
(im vorausgesetzten Sinn des Zeichens) stützen, muss anderes zurückweisen bzw. mit neuer
Bedeutung versehen. Jede Zeit der Kirche muss das im Blick auf ihre Welt neu bestimmen.
Mit Recht hat deshalb Augustinus die genaue Zuordnung von natürlichem Zeichen und Wort
Gottes nicht festgelegt. Die Beziehung zwischen Element und Wort repräsentiert also das
Geschehen, das in den Menschen vor sich geht, die das Sakrament begehen. Von ihnen hängt
es letztlich ab, wie sie diese Beziehung verstehen. Beispiele dazu in der speziellen Sakramentenlehre.
20
II. Spezielle Sakramentenlehre
A. Die Initiationssakramente Taufe, Firmung und Erstkommunion
Lit. dazu: FABER, 75-97; KUNZLER, LEBEN IN CHRISTUS, 412-435
1. Biblische Schlüsselszenen: Joh 3; Röm 6
Joh 3,1-21: Jesus im Gespräch mit dem Pharisäer Nikodemus. Nikodemus glaubt, dass Jesus
von Gott gekommen ist. Jesus darauf: Wer nicht von oben geboren wird, kann das Reich
Gottes nicht schauen. Nikodemus: Wie kann ein Mensch zum zweiten Mal geboren werden,
z.B. wenn er ein Greis ist? Jesus: Wer nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann nicht in
das Reich Gottes eingehen. Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch, was aus dem Geist
geboren ist, ist Geist.
Biblisch ist 'aus dem Fleisch geboren sein' der Inbegriff für Handeln aus Selbsterhaltung. Die Frage ist also: Wie
kommt man von Primat der Selbsterhaltung los und in das Reich Gottes hinein? Jesus ist radikal: Entweder aus
Fleisch oder aus Geist – der Wechsel ist eine neue Geburt, ein absoluter Neuanfang. Das Geborenwerden aus
Geist ist für die, die aus dem Fleisch sind, nicht planbar:
Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen; aber du weißt nicht, woher er kommt
und wohin er geht. Nikodemus: Wie kann das dann geschehen? Jesus: Du bist der Lehrer
Israels und verstehst das nicht?
Das Geheimnis ist also bereits in der Lehre Israels enthalten! Jesus sagt im Folgenden, dass er nun von
"himmlischen Dingen" reden werde, und verweist auf einen Teil der Tora, nämlich Num 21,4-9:
Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht
werden...
Was steht in Num 21? Die Israeliten haben Angst, in der Wüste zu sterben. Da lässt Gott Feuerschlangen gegen
sie los, viele werden gebissen und sterben. Die Leute bitten Mose, Fürsprache für sie einzulegen. Gott sagt
Mose: "Fertige dir eine Feuerschlange an und befestige sie an einer Stange. Jeder aber, der gebissen ist, soll am
Leben bleiben". Und so geschieht es.
Wie ist das zu verstehen? Die Israeliten 'fressen' sich aus Angst um ihre Selbsterhaltung gegenseitig auf. Der
gewaltsame Kampf ums Dasein ist entbrannt. Das Aufrichten und Ansehen der Schlange macht diesen
Gewaltmechanismus sichtbar, und das schafft die Rettung.
Jesus identifiziert sein Schicksal mit dieser ehernen Schlange und der Rettung, die von ihr kommt.
...so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, durch ihn ewiges
Leben hat. Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn
dahingegeben hat, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben
habe.
An Jesu Tod werden die Gewaltmechanismen, die aus dem Kampf um Selbsterhaltung, dem Kampf des
Fleisches kommen, ansehbar. Wer an ihn glaubt – nämlich dass er von Gott kommt, von dem das Leben und
nicht der Tod ausgeht – hat das Gesetz des Fleisches überwunden. Es muss nicht mehr jeder selbst sterben, es
genügt, an Jesus zu glauben und in Lebensgemeinschaft mit ihm zu sein.
In Röm 6, dem so wichtigen Kapitel über die Taufe, sagt Paulus das Gleiche in anderen Worten (nun schon auf
Jesu Tod und Auferstehung zurückblickend):
Wißt ihr nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, auf seinen Tod getauft
sind? Wir sind also durch die Taufe auf seinen Tod mit ihm begraben, damit, wie Christus
durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so auch wir in einem
neuen Leben wandeln werden.
Taufe ist also, wie Paulus weiter ausführt, ein Mitgekreuzigtwerden des alten Menschen, ein Vernichten des
Sündenleibes. Der Sündenleib ist der Mensch, der in allem nur auf seine Selbsterhaltung bedacht ist. Dieser
muss und wird in jedem Fall sterben!
Denn wer gestorben ist, der ist von der Sünde frei geworden.
Erst der Tod beendet den Kampf ums Dasein. Aber im Glauben an Christus sind wir mit ihm so eng in einer
Lebensgemeinschaft verbunden , dass der Glaube an ihn genügt, um in ihm zu sterben und nicht mehr selbst
sterben zu müssen. Und im selben Glauben werden wir auch mit ihm zum neuen Leben auferweckt, einem
Leben, das nicht mehr unter der Macht der Sünde und damit des Todes steht.
Wir wissen ja, daß Christus, nachdem er von den Toten auferweckt ist, nicht mehr stirbt; der
Tod hat keine Gewalt mehr über ihn. Denn mit seinem Sterben ist er der Sünde ein für allemal
gestorben, mit seinem Leben aber lebt er für Gott.
21
Ein Leben für Gott zu leben, das bedeutet, die Herrlichkeit Gottes der eigenen Selbsterhaltung vorzuziehen. Der
Weg dorthin wird über die Gleichgestaltung mit Christus im Glauben vollzogen. Das ereignet sich in der Taufe.
Es ist die Gnade des Sakraments der Taufe, dass Menschen durch den Glauben und die Gemeinschaft mit
Christus nicht mehr selbst die notwendige Folge ihres Selbsterhaltungshandelns, den Tod, erleiden müssen. Und
dann kann das neue Leben beginnen. Es steht unter der Aufforderung:
Darum soll die Sünde nicht mehr in eurem sterblichen Leib herrschen ... gebt eure Glieder
nicht mehr als Waffen der Ungerechtigkeit hin ... sondern als Waffen der Gerechtigkeit für
Gott.
Vgl. Cyrill von Jerusalem (+387): "Wir starben nicht wirklich, wir wurden nicht wirklich begraben, wir sind
auch nicht wirklich als Gekreuzigte auferstanden, sondern die Nachahmung geschah im Bild, das Heil aber in
Wirklichkeit. Christus wurde tatsächlich gekreuzigt, tatsächlich begraben und ist wirklich auferstanden – und all
das hat er uns wirklich geschenkt, damit wir ... in Wirklichkeit das Heil erlangen." [Bei diesem Gedanken ist es
ganz wichtig, zwischen Stellvertretung und Ersatz zu unterscheiden!]
2. Theologie der Initiationssakramente
Die beiden Bibelstellen habe ich angeführt, um mich in diesem Punkt so kurz und klar wie möglich fassen zu
können. Wenn ich im Folgenden von Taufe spreche, meine ich sie immer im Zusammenhang mit Firmung und
Erstkommunion.
Die Taufe ist Eingliederung in Christus, um durch ihn und mit ihm des Lebens teilhaftig zu
werden, das von Gott kommt. Durch die Taufe verwandelt sich das 'für uns' Jesu in unser
'durch ihn' und 'mit ihm'. (Die Theologie spricht auch von der Eingliederung in den
mystischen Leib Christi).
Dieses Leben ist das Leben für Gott, d.h. das Leben, das nicht mehr unter dem Zwang der Selbsterhaltung steht.
Es ist damit das Leben in Gerechtigkeit, denn gerecht im biblischen Sinn kann nur sein, wer den anderen gerecht
wird und sie nicht als Mittel der eigenen Daseinserhaltung und Selbstbehauptung gebraucht. Leben in
Gerechtigkeit heißt biblisch: Leben in der Kraft des Heiligen Geistes.
Die Taufe ist eine Gabe, eine Gnade von Gott (das ist ihr opus operatum, vgl. oben 16 und
17). Was die Taufe bewirkt, kann kein Mensch von sich aus machen. Es wird geschenkt, soll
sich aber im Leben nach der Gerechtigkeit bewähren.
Taufe bewirkt Sündenvergebung. Dies geschieht dadurch, dass der/die Getaufte von den
Mächten der Sünde, die mit der individuellen Selbsterhaltung verkoppelt sind, befreit wird.
Getaufte müssen nicht mehr sündigen (aber sie können es noch). Die Sündenvergebung ist
nicht auf einzelne Vergehen der Vergangenheit bezogen, sondern auf den absoluten
Neuanfang, der mit den neuen Leben aus der Taufe gegeben ist.
Taufe ist Eingliederung in die Kirche. Das meint zum einen den Erwerb der Mitgliedschaft
in der Gemeinschaft der Kirche, den Erwerb der Mitgliedschaftsrechte bzw., was dasselbe ist,
die Ordination zum allgemeinen Priestertum, zum anderen aber die Aufnahme in die Kirche
als den Leib Christi, als die Gemeinschaft, die in der Lebensgemeinschaft mit und in Christus
existiert. Christus ist nicht ohne seine Kirche; vgl. dazu oben 10, 19 und 20 g.
3. Aus der Geschichte von Taufe, Firmung und Erstkommunion
Biblische Vorbilder für die Taufe sind jüdische Reinigungsbäder, aber ausschlaggebend für
die frühchristliche Taufpraxis war wohl vor allem die Taufe des Johannes gewesen. In ihr ist
schon das enthalten, was dann auch die christliche Taufe enthält: Rettung vor der drohenden
Vernichtung – persönliche Reinigung von den Sünden und Umkehr – Ausweitung des
Gottesvolkes über Israel hinaus. Der Taufbefehl Jesu (Mt 28,19) ist historisch unsicher.
Im NT sind Taufen ohne längere Vorbereitung (Apg 8,26-40: äthiopischer Kämmerer) und Taufen eines "ganzen
Hauses" bezeugt (Apg 16,15: die Purpurhändlerin Lydia lässt sich mit ihrem ganzen Haus taufen –
Kindertaufe?).
Ab dem 2. Jhd. bildet sich ein längeres Katechumenat (Vorbereitung der Taufbewerber; bis zu drei Jahre) heraus.
In dieser Zeit, in der die Katechumenen noch nicht zur Eucharistie, zum Friedensgruß und zum gemeinsamen
Gebet zugelassen waren, wurden sie von Paten begleitet. Diese mussten vor der Taufe, die am Ostersonntag nach
mehreren Exorzismen und einem Examen gespendet wurde, für die Taufbewerber bürgen. Im 4. Jhd. verfiel das
Katechumenat, da viele Bewerber sich erst kurz vor ihrem Tod taufen ließen.
In der gleichen Zeit finden wir aber auch schon die Kindertaufe, gegen die sich offenbar kein Protest erhob. Als
im 5. Jhd. Augustinus die Kindertaufe mit der Lehre von der Erbsünde verband (s. oben 16.), wurde sie
gesamtkirchliche Praxis. Nun lösten sich auch die Firmung und die Erstkommunion (Taufkommunion) von der
Taufe ab. Die postbaptismale Salbung war nach einer stadtrömischen Tradition dem Bischof vorbehalten. Da
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dieser nicht bei allen Kindertaufen anwesend sein konnte, wurde die Firmung (confirmatio) später nachgeholt.
Ab dem 12./13. Jhd. wurde dann auch die Erstkommunion als eigener Ritus begangen, und es bildete sich die
Reihenfolge Taufe-Erstkommunion-Firmung heraus, für die es keine theologische Begründung gibt. Auch die
nachträglich für die eigenständige Firmung gegebenen Begründungen (der bei der Taufe bezeichnete Soldat
Christi erhält nun die geistlichen Waffen; Mündigkeitssakrament; Bestätigung des Taufglaubens; kirchliche
Volljährigkeitserklärung) haben keine biblische und theologische Grundlage; sie sind allenfalls katechetischpädagogisch zu halten.
Aus dieser Entwicklung ergibt sich für heute ein Problem, das die Gemeinden und die
Firmlinge bedrückt. Ich folge der Meinung Kunzlers, dass die drei Initiationssakramente
wieder zusammen gespendet werden sollten! Dies ist auch der ostkirchliche Gebrauch bis
heute.
Die Reformation hat keine wesentlichen Änderungen der Taufpraxis- und theologie gebracht. Luther betont die
Bedeutung des Glaubens, hält aber gegen die Schwärmer auch an der Objektivität des Sakraments fest. Die
Firmung wird als Sakrament abgelehnt.
Das II. Vaticanum betont den Zusammenhang der Initiationssakramente (Sacrosanctum concilium 71: der
Firmritus soll "den inneren Zusammenhang dieses Sakramentes mit der gesamten christlichen Initiation besser
aufleuchten" lassen) und verlangt die Wiederherstellung eines Katechumenats für die Erwachsenentaufe (SC 64).
Im Zusammenhang der ökumenischen Bewegung hat die Taufe als Sakrament der kirchlichen Einheit eine große
Bedeutung erlangt, vgl. das Lima-Dokument, oben 18.
4. Der Ritus der Kindertaufe
Vgl. dazu Gotteslob Nr. 45-50. Der nach dem II. Vaticanum erneuerte Ritus enthält:
- Begrüßung, Gespräch mit den Eltern über den Taufwunsch und den Namen des Kindes, Wort an die Paten über
die christliche Erziehung
- Wortgottesdienst und Riten, die an das einstige Katechumenat erinnern: Lesungen und Ansprache,
Bezeichnung mit dem Kreuz, Fürbitten, Anrufung der Heiligen, bes. der Namenspatrone, Gebet um Befreiung
von der Macht des Bösen, Salbung mit Katechumenenöl (= Stärkung)
- Kernhandlung der Taufe: Gebet über dem Wasser oder Taufwasserweihe, Absage an den Satan und
Glaubensbekenntnis, Taufe durch dreimaliges Untertauchen oder Übergießen mit der Formel: Ich taufe dich im
Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
- Ausdeutende Riten: Chrisamsalbung (= Salbung zum König, Priester und Propheten), Anlegen des weißen
Taufkleides [vgl. Offb 6,11; 15,6; 19,8: Das Kleid derer, die aus der eschatologischen Bedrängnis gerettet
werden; und: "Das Linnen sind die Rechttaten der Heiligen"!], Übergabe der Taufkerze, Effata-Ritus (Öffung
der Sinne für das Wort Gottes)
- Abschluss: Vaterunser, Elternsegen und Entlassung.
5. Der Ritus der Firmung
Die Firmung soll in der Hl. Messe gespendet werden, Spender ist der Bischof. Sie hat den Aufbau:
- nach der Predigt: Vorstellung der Firmlinge und Homilie des Spenders
- Tauferneuerung: Absage an den Satan und Glaubensbekenntnis
- Aufforderung an die Gemeinde zu stillem Gebet
- Gebet des Firmspenders um den Heiligen Geist unter Ausbreitung der Hände über den Firmlingen
- Firmhandlung: Zeichnung eines Kreuzes mit Chrisam auf die Stirn und Formel: N., sei besiegelt durch die
Gabe Gottes, den Heiligen Geist.
- Fürbitten, Fortgang der Eucharistiefeier
Das Backenstreich (Alapa), früher ein Erinnerungszeichen der Firmung und – germanisch – auf den Ritterschlag
gedeutet, ist fortgefallen.
6. Die Elemente der sakramentalen Zeichen
Das materiale Element der Taufe ist das Wasser, bzw. genauer, das dreimalige Untertauchen oder Übergießen
mit Wasser. Dies ist auf das Mitsterben und Mitauferstehen mit Christus zu deuten. Kirchenväter haben auf die
Rettung Noahs aus der Sintflut, die Rettung Israels aus dem Schilfmeer, die Rettung Jonas verwiesen. Gibt die
uns heute zugängliche Wasser-Symbolik diese Bedeutung her? HÖHN (57-61: Basissymbol 'Wasser') findet
Analogien in der Symbolik: Wasser als Urgrund des Lebens, Summe aller Möglichkeiten, Neubeginn,
Verwandlung, Schweben, den Boden unter den Füßen verlieren, keinen festen Halt mehr haben, Wasserflut =
Katastrophe, Eintauchen in die Tiefe. Welche Umcodierung findet statt? Vgl. oben 20 i.
Das materiale Element der Firmung ist das Besiegeln mit Chrisam-Öl auf der Stirn mit dem Zeichen des Kreuzes
(lange hat man geschwankt, ob nicht auch die Handauflegung sakramentales Zeichen sei, aber heutige
Liturgiewissenschaft sieht in der Handauflegung nur einen begleitenden Ritus zum Gebet um die Gaben des
Heiligen Geistes.) Die Besiegelung kann man auf den Abschluss der Initiation deuten. Ich denke aber dabei an
die auf der Stirn Besiegelten aus der Offenbarung des Johannes, die durch die Vollmacht des Engels aus der
großen Drangsal gerettet werden, vgl. Kap. 7. Ihnen stehen die gegenüber, die das Malzeichen des Tieres (des
großen Verderbers) auf ihrer Hand oder an ihrer Stirn tragen, von dem es heißt: "dass niemand kaufen oder
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verkaufen kann, wenn er nicht das Malzeichen, den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens hat."
(13,16f). Das trifft es doch für heute genau: Firmung als Besiegelung zur Rettung vor der Dämonie des Marktes!
7. Ist die Kindertaufe zu rechtfertigen?
Die Taufe ist primär ein Handeln Gottes an einem Menschen. Darauf antwortet der Glaube.
Es ist nicht notwendig, dass der Glaube vorher vorhanden ist, sowenig das Sakrament der
Taufe ohne Glaube zum Ziel kommt. Die Taufe kommt so zum Menschen, wie der Ruf Gottes
an Abraham erging oder wie Jesus in die Welt kam. Aber die Kirche muss alles tun, um die
Antwort des Glaubens später möglich zu machen. Das tut sie im Blick auf den
stellvertretenden Glauben der Eltern (fides aliena, so Augustinus) und durch die Institution
des Patenamtes. Sollte in einer Familie gar kein Glaube anzutreffen sein, kann die Taufe
aufgeschoben werden. Die Paten übernehmen die Pflicht, den Glauben des Kindes zu fördern
(und nicht nur Geschenke zu bringen).
Streng genommen kann sich niemand für die Taufe entscheiden. Das neue Leben, das die
Taufe schenkt, ist ja vorher gar nicht bekannt – wie sollte sich jemand dafür entscheiden
können? Ein Bild: Wie sollten Menschen, die immer nur im Dunklen gelebt haben und das
Licht nicht kennen, sich für das Licht entscheiden? Dazu kommt: Wann sollte denn das rechte
Alter für die Entscheidung sein? Am Ende der Kindheit, in der Pubertät, in den Irrungen und
Wirrungen des Erwachsenenlebens?
Wohl kann sich jemand gegen den Glauben der Taufe entscheiden. In diesem Fall kommt das
Sakrament zwar zustande, es kommt aber nicht zur Wirkung. Die Lehre der Kirche ist hier
schon richtig: Nur wenn jemand dem Sakrament einen Riegel (obex) vorschiebt, kann die
sakramentale Gnade nicht wirken (vgl. oben 17.).
Das Argument, dass die Eltern das Kind durch die Taufe manipulieren, halte ich für nicht zugkräftig. Es gibt
keine neutrale Erziehung, die Eltern werden dem Kind immer das mitgeben, was ihnen wichtig ist. Sich damit
auseinanderzusetzen, gehört zum Erwachsen-Werden. Im Übrigen: Wie könnten die Eltern ihrem Kind die
geistliche Nahrung der Taufe vorenthalten, von deren Lebensnotwendigkeit sie überzeugt sind? Ebenso enthalten
sie ja auch die körperliche Nahrung nicht vor.
Luther sagt: Die Taufe ist wie ein Schiff, zu dem man immer wieder hin schwimmen kann, sollte man einmal
herabgestürzt sein. Es schadet nicht, das Kind einmal auf dieses Schiff inmitten des todbringenden Meeres
gebracht zu haben.
8. Ist die Taufe heilsnotwendig?
Mk 16,16: "Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird
verdammt werden" (im gleichen Sinne Joh 3,5 (s.o) und Tit 3,5). Nach allem, was ich über die
Theologie der Taufe gesagt habe, steht dieser Satz für mich fest; er wird auch von der Lehre
der Kirche bestätigt (DH 1618; LG 14). Nur in der Gnade der Taufe und des darauf
antwortenden Glaubens kann jemand der Macht des Todes, die der Sünde Sold ist (Röm 6,23;
vgl. oben zu Röm 6), entgehen. Die Macht des Todes über Menschen und andere Geschöpfe
kommt aus den Zwängen des unersättlichen menschlichen Selbsterhaltungs- und
Selbstbehauptungsstrebens. Unsere Gegenwart, die ganz von den Kräften individueller und
systemischer Selbsterhaltung geprägt ist, gibt dafür das beste (schlimmste) Beispiel. Nur die
Gnade Gottes kann davon erlösen, die es ermöglicht, Gott über alles zu lieben und dann den
Nächsten wie sich selbst (vgl. oben 20 a), d.h. also, den Zwängen der Selbsterhaltung zu
entkommen. Diese Gnade Gottes wird Menschen in der Taufe zuteil, und darum ist die Taufe
heilsnotwendig.
Eine andere Frage ist, ob Gott sich in jedem einzelnen Fall an den Vollzug des Sakraments bindet. Schon der
Kirchenvater Ambrosius (+397) war der Auffassung, ein Katechumene, der den Martyrertod erlitten hat, habe
durch seine Bluttaufe die Wassertaufe ersetzt, und er folgerte daraus, dass bei Katechumenen das Verlangen
nach der Taufe genügt, auch wenn sie vor der Taufe eines natürlichen Todes gestorben sind. Daraus entwickelte
sich die Lehre vom votum baptismi (das Verlangen nach der Taufe), das im Falle, dass die Taufe nicht gespendet
werden kann, die Taufgnade ersetzt. Das II. Vaticanum spricht in LG 16 von einer Heilsmöglichkeit für
Nichtgetaufte aufgrund der ehrlichen Suche nach Gott, auch wenn die Taufe nicht explizit angestrebt wurde. Aus
1 Tim 2,4 kann man wissen, dass Gott will, "dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der
Wahrheit kommen". Welche Wege er zur Erfüllung seines universalen Heilswillens außer dem regulären Weg
der Taufe noch wählt, bleibt ihm überlassen.
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B. Das Sakrament der Eucharistie
Vgl. dazu: FABER, 98-121; KUNZLER, 281-400 (zur Feier der hl. Messe), 436-444 (zur Eucharistie außerhalb der
Messe); HEINRICH KAHLEFELD, DAS ABSCHIEDSMAHL JESU UND DIE EUCHARISTIE DER KIRCHE, Frankfurt: Knecht 1980
(biblische Grundlegung); ALEXANDER GERKEN, THEOLOGIE DER EUCHARISTIE, München: Kösel 1973 (zur
Theologiegeschichte).
1. Zum Verstehen der Eucharistie (Grundsätze)
Die Eucharistie ist ein unergründliches Geheimnis. Ein ganzes Leben reicht nicht aus, um sie
zu verstehen – um wieviel weniger eine theologische Vorlesung.
Die Eucharistie ist ein Geschehen von der Art, das man nur durch Mitwirken, durch
Beteiligung erfassen kann (Nehmet – esset!). Die Theologie kann nur ein schwaches NachDenken dieses Geschehens bieten.
Die Eucharistie ist der Knotenpunkt der Weltgeschichte. Das Abendmahl Jesu ist mit dem
Alten Testament und der ganzen Geschichte Jesu durch tausend Fäden verbunden. Im Kult
der Eucharistie werden die Religionen aller Völker aller Zeiten repräsentiert (und
transformiert). Seit 2000 Jahren wird die Eucharistie von allen kirchlichen Gemeinden
gefeiert. Wie sich christlicher Glaube jeweils verstanden hat, ist an der Eucharistie ablesbar.
Wie soll man diesen Knoten heute auflösen? Die Eucharistie ist unerschöpflich.
Die Eucharistie ist die Gegenwart der kommenden Welt inmitten der bestehenden,
vergänglichen Welt. Sie verbindet Schöpfung und Erlösung. Die alte Welt wird aufgenommen
und, ohne zerstört zu werden, in die kommende Welt verwandelt. Die Eucharistie vollzieht
die Gegenwart des Reiches Gottes in der von Sünde und Tod beherrschten Welt.
2. Biblische Schlüsselszenen
Es lassen sich tausend Szenen nennen. Ich greife heraus:
•
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•
Gen 18,1-8: Erscheinung in Mamre: Drei Männer (Engel) verheißen dem alten Abraham, der mit ihnen isst,
die Geburt des Sohnes: Eucharistie, Mahl der Verheißung! Und Sara lachte!
Ex 12: Feier des Pesach: Die Israeliten essen vor dem Auszug aus Ägypten das Lamm und ungesäuertes
Brot. Das Blut des Lammes am Türpfosten bewahrt vor dem Todesengel: Eucharistie, Rettung aus
Todesnot, Aufbruch ins Land der Verheißung!
Ex 24: Bundesschluss am Sinai: Der Bund wird durch ein Gemeinschaftsopfer geschlossen, im Blut des
Bundes. Moses und die Vornehmen Israels können Gott schauen! (V. 10). Eucharistie, Opfer und Feier des
Bundes, Ort der Gegenwart Gottes! "Und sie aßen und tranken".
Jes 25,6-12: Messianisches Freudenmahl: Gott wird allen Völkern ein fettes Mahl bereiten ... er nimmt die
Hülle weg, die auf allen Völkern liegt ... er wird die Tränen von jedem Angesicht wischen und die Schmach
seines Volkes [Israel] wegnehmen ... Moab aber [der Widersacher] wird an seiner Stätte zerstampft werden.
Eucharistie, Fest des Zugangs aller Völker zum Bund mit Israel, Rechtfertigung Israels, Gericht über das
Böse.
Jesu vorösterliche Mahlzeiten, z.B. Mt 9,10-13 par: Er gibt sich mit den Sündern ab und isst sogar mit
ihnen. Eucharistie, Feier der Sündenvergebung, der Aufnahme der Sünder und der Unreinen in den Bund.
Joh 6: Rede Jesu in Kafarnaum: "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer
von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das
Leben der Welt." Eucharistie, Gegenwart der Hingabe Jesu für alle Menschen, Geschehen der leibhaftigen
Einigung mit ihm.
Das Letzte Abendmahl
Der Ablauf des letzten Mahles Jesu entspricht dem eines festlichen jüdischen Mahles.
Diesen hat man sich etwa so vorzustellen (vgl. Kahlefeld, 43-47): Zur Abendstunde finden sich die Gäste im
Hause des Gastgebers ein, mit gewaschenem Gesicht, gesalbten Haupt. Der Hausherr begrüßt sie, ein Becher
Wein und Vorspeisen werden gereicht (frische Kräuter, eingelegter Fisch, junges Geflügel o.ä.). Dann begibt
man sich in den Speisesaal, der Hausherr oder eine besonders zu ehrender Gast nimmt den Vorsitz ein. Man liegt
zu Tische auf Polstern. Diener bringen mit Wasser gemischten Wein und das Hauptgericht. Über dem
Weinbecher (1. Becher!) spricht einer der Tischgenossen das Lobgebet und alle sagen ihr Amen, getrunken wird
aber erst, wenn das 'Brotbrechen' geschehen ist. Der Hausherr erhebt dafür das Brot eine Handbreit über den
Tisch und sagt den Lobspruch: "Gepriesen bist du, JHWH unser Gott, König der Welt, der das Brot hervorbringt
aus der Erde." Er reicht jedem ein Stück Brot, damit beginnt das gemeinsame Essen. Weitere Gänge werden
aufgetragen; zum Essen wird wenig Wein getrunken.
Nach dem Essen gibt es eine Pause, während derer der Tisch abgeräumt und der Boden gereinigt wird. Dann
beginnt der zweite Teil des Mahles, das Weingelage mit dem Tischgespräch (Symposion). Der Hausherr spricht
das Lobgebet über den Weinbecher (2. Becher!), zuerst als Dank für die genossenen Speisen ("Laßt uns ihn
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preisen, dem gehört, was wir gegessen haben"), der sich dann zum Dank für die Heilstaten Gottes in Schöpfung
und Befreiung erweitert: "Gepriesen bist du, JHWH unser Gott, König der Welt, der die ganze Welt speist durch
deine Güte ... der du uns als Erbteil gegeben hast das gute und weite Land ... der du uns aus dem Lande Ägypten
herausgeführt und aus dem Sklavenhaus befreit hast. Wir danken dir für deinen Bund...". Die Tischgespräche
schließen sich an.
Folgende Struktur wird somit erkennbar:
Erster Becher/Brot-Ritus
Becher-Ritus
Lobgebet
Zuteilung
Genuß
Lobgebet
Zuteilung
Genuß
Essen
Pause
Trinken
Vergleichen wir nun damit die neutestamentlichen Berichte über das letzte Abendmahl.
Sie liegen in zwei Versionen vor: Paulus (1. Kor 23-25)/ Lukas (22, 7-20) und Markus (14, 22-25)/ Matthäus
(26, 26-29). Es zeigt sich sofort, daß Lk/Pls die ursprünglichere Fassung bieten. Lk berichtet die Vorbereitungen
des Mahles und den Segensspruch über den 1. Becher, sodann das Dankgebet über das Brot und - "nach dem
Essen" - die Worte über den 2. Becher. Bei Mk/ Mt sind dagegen die beiden Segenshandlungen über Brot und
Wein zu einem Akt zusammengezogen worden. Offenbar spiegelt sich hier bereits die spätere Praxis der
Gemeinden, die das rituelle Herrenmahl vom Sättigungsmahl getrennt hatte.
Zum Termin des letzten Abendmahles
Nach den Synoptikern feierte Jesus als Abendmahl als Pesachmahl, nach Joh (13; vgl. 18, 28; 19,31) am
Vorabend des Pesachfestes. Bei beiden Datierungen ist eine enge Verbindung zwischen Abendmahl und Pesach
ausgesagt, bei Joh eher noch eine stärkere: Jesus stirbt genau zu der Zeit, als im Tempel die Pesachlämmer
geschlachtet werden (Joh 19,36 mit Bezug auf Ex 12,46). Die Terminfrage spielt also für die theologische
Deutung kaum eine Rolle, historisch spricht aber mehr für die johanneische Darstellung, die überhaupt viel altes
Material enthält. Die Bemerkung Joh 18,28 (die Ankläger betreten das Prätorium nicht, um sich wegen des
kommenden Pesach nicht zu verunreinigen) ist "einer verkündigenden Absicht unverdächtig" (Kahlefeld) und
braucht nicht erfunden zu werden. Aus den synoptischen Angaben, dass das Mahl in der Nacht begangen wurde
und es in Jerusalem stattfand (ob aber in der Stadt selbst, wie es die Pesachvorschriften besagen, oder in
Bethanien, bleibt offen) müssen nicht für ein Pesachmahl sprechen. Beim Mahl selbst wird auf Pesach kein
ausdrücklicher Bezug genommen.
Die Abendmahlsworte
Eine kurze Deutung: Die Worte "Das ist mein Leib für euch gegeben" verbinden die Sendung Jesu mit seinem
kommenden Tod. Die Hingabe Jesu für andere, das Hereinrufen der Sünder und zuletzt der Völker in die
Gottesherrschaft beruht auf der vergebenden Liebe Gottes, für die Jesus selbst mit seinem Leben einsteht. Gott
will jetzt sein Reich anbrechen lassen, trotz aller Widerstände; um das zu erreichen, ist Jesus da. Jesus möchte
bis zuletzt den Willen Gottes tun. Wenn er denn nun sterben muß (und dieses 'Müssen' wird in den
neutestamentlichen Deutungen stark hervorgehoben, vgl. die Emmauserzählung Lk 24,26: Mußte nicht der
Messias diesen leiden? - aber zum Tod hat sich Jesus nicht gedrängt), dann nimmt er auch dieses Schicksal noch
an in der Übereinstimmung mit Gottes Willen. Dann ist also sein Sterben Ausdruck seiner Hingabe an Gott
(darin braucht noch keine theologische Bedeutung des Todes Jesu liegen, sondern nur der Einklang mit Gottes
Willen). Indem er den Jüngern Anteil an seinem Leib gibt, führt er sie zusammen als die Gemeinschaft, die den
Willen Gottes erfüllt, und das ist die Gemeinschaft des Bundesvolkes bzw. der Gottesherrschaft (die
Gottesherrschaft kommt zustande durch die Gemeinschaft derer, die den Willen Gottes erfüllen).
Die Worte "Dieser Becher ist der neue Bund kraft meines Blutes" (Lk, Pls) bzw. "Das ist mein Blut des Bundes,
das für die vielen vergossene" (Mk; Mt fügt hinzu: "zur Vergebung der Sünden") ziehen die Linie, die im
Brotwort begonnen wurde, weiter. Insofern es sich beim Abendmahl um die Konstituierung eines Gottesvolkes
handelt, das allein durch die gnädige Initiative Gottes zustande kommt und dessen inneres Zentrum die Erfüllung
von Gottes Willen ist, ist hier biblisch die Kategorie des Bundes fällig. Der Bundesschluss meint ja nichts
anderes, er ist aber in der Tradition verbunden mit dem Ritual des Opfers (vgl. Ex 24: das Blut des Jungstieres
wird zu gleichen Teilen auf den Altar und die Gemeinde versprengt). Mit dem Becherwort war Dank und
Erinnerung an Gottes Bundeshandeln ohnehin traditionell verbunden (s.o.), darum heißt es eben: Dieser Becher
ist der neue Bund kraft meines Blutes. Das Motiv des Neuen Bundes war vorgegeben (Jer 31,31-34: "Es kommen
Tage, da werde ich mit ihnen einen neuen Bund schließen ... Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und
ihnen ins Herz hinein schreiben, und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein ..."). Der Neue
Bund, der hier zustande kommt, ist dadurch bestimmt, dass Jesu Sendung und Lebenshingabe bis in den Tod sein
Grund sind (kraft meines Blutes - das ist seine Entstehungsbedingung), und dass er offen ist für die Sünder (d.h.
für die, die nach den traditionellen Verständnis davon ausgeschlossen bleiben mußten - vgl. die geradezu
aufdringliche Erwähnung der Teilnahme des Judas Iskariot am Abendmahl: "Der ist es [der Verräter], dem ich
den Bissen eintauchen und geben werde", Joh 13,26 par). Es handelt sich also um den Bund für die Vielen. Mt
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folgert daraus gut jüdisch: für die vielen vergossen zur Vergebung der Sünden (Mt 26,28) – das war sowohl
durch das Entsühnungsmotiv des Opfers vorgegeben wie auch durch die bloße Logik, dass ein Bund für die
vielen (Unreinen) gar nicht anders als durch die Vergebung der Sünden zustande kommen konnte.
Damit ist insgesamt die Aufrichtung der Gottesherrschaft für die vielen das "Thema" des Abendmahles, die in
Gottes Willen liegt und der Jesus durch seine Hingabe bis zum Tod zum Durchbruch verhilft. Die sog.
"Verzichtserklärung" (Lk 22,16.18; Mk 14,25) gibt denn auch die Bedeutung, die für Jesus das Abendmahl hatte,
exakt wieder: "Denn ich sage euch, ich werde nicht mehr essen/ trinken vom Gewächs des Weinstocks, bis die
Gottesherrschaft kommt". Das heißt, kurz gesagt: die Gottesherrschaft geht den Weg über Jesu Tod, um dann
endlich einzutreffen. Jesus verstand die Hingabe an den Willen des Vaters bis zum Tod als letzte und
entscheidende Bedingung zur Erfüllung seiner Sendung. Das Abendmahl konnte deshalb auch in der späteren
neutestamentlichen Deutung mit dem Kreuz und der Auferstehung zusammengebracht werden. Für Paulus ist die
Feier des Herrenmahles die Verkündigung des Todes des Herrn, "bis er wiederkommt" (1 Kor 11,26); den
Auferstandenen erkennen die Jünger regelmäßig am Brotbrechen (Lk 24,31: Emmaus; Joh 21,9-14: See
Tiberias).
Die Tischgespräche nach dem Mahl, die vor allem Lukas wiedergibt, zeigen, dass die Bildung des Neuen
Gottesvolkes sogleich Konsequenzen für die Art des Miteinanders haben muß. Der Rangstreit unter den
Jüngern, die Voraussage der Wiedervereinigung der zwölf Stämme Israels, die Ankündigung der Verleugnung
des Petrus und der Hinweis auf den folgenden Entscheidungskampf (Lk 22,24-38) lassen sich alle auf ein Thema
zurückführen: das Leben unter dem Maßstab der (Tora-)Gerechtigkeit. Da ist dann der Größte der, der dient; und
die Hoffnung der (zwölf Stämme) Israels erfüllt sich. Der Führer der Gemeinde (Petrus) ist in besonderem Maß
der Vergebung Gottes bedürftig. Die erwählte Gemeinde insgesamt aber erfährt sich in ihrer Unterscheidung zur
Umwelt und muß sich für den Kampf rüsten. Johannes ist dieser Aspekt der neuen sozialen Gerechtigkeit so
wichtig, dass er vom Abendmahl gar nichts erzählt, sondern gleich auf die Fußwaschung abhebt: "Ihr ruft mich
'Meister' und 'Herr', und mit Recht sagt ihr das, denn ich bin es. Wenn ich nun, der Herr und Meister, euch die
Füße gewaschen habe, müßt auch ihr einander die Füße waschen. Denn ich habe euch ein Beispiel gegeben,
damit auch ihr tut, was ich euch getan habe" (Joh 13,13-15). Bei Lukas bekommt das noch einen politischen
Aspekt: "Die Könige der Völker herrschen über sie, und die Gewalthaber lassen sich Wohltäter nennen. Bei euch
aber soll es nicht so sein, sondern der Größte unter euch werde wie der Geringste, und der Führer wie der
Diener" (Lk 22,25). Das ist die Übertragung der jüdischen Toragerechtigkeit auf das neue Bundesvolk.
Das Herrenmahl in 1 Kor 11,17-33
Die früheste Überlieferung des Abendmahls steht im 1 Kor. Der Zusammenhang zwischen der Mahlfeier und
dem Verhalten der Gemeinde ist hier stark betont. Pls wirft den Korinthern und Korintherinnen die Spaltungen
in der Gemeinde vor: Die Wohlhabenden treffen sich vor der rituellen Feier und halten ein ausgiebiges
Sättigungsmahl, die Armen gehen leer aus (dazu sehr interessant aus soziologischer Sicht: G. Theißen, Studien
zur Soziologie des Urchristentums, Tübingen 31989, 201 ff. Reich und arm waren vor allem durch die
Möglichkeit des Fleischgenusses unterschieden. Nachdem die Teilnahme an den Götzenopfern für Christen nicht
mehr möglich war, hatten die Armen überhaupt keine Möglichkeit mehr, Fleisch zu essen, wenn die Reichen sie
ihnen nicht gewährten). Pls sieht den Zusammenhang zwischen der Mahlfeier Jesu und der neuen Ordnung des
Gottesreiches so direkt und unbedingt, dass er angesichts der Zustände in Korinth sagt: "das ist kein Herrenmahl
mehr!" (V. 20). Wer den Leib nicht unterscheidet, d. h. wer nicht die ethischen Konsequenzen aus dem
Herrenmahl zieht, der "isst und trinkt sich das Gericht" (V. 29). Nur um dieser ethischen Konkretion willen
überliefert Pls den Abendmahlsbericht – den längsten Bericht über den 'historischen Jesus' bei ihm überhaupt!
3. Zur Theologie der Eucharistie
Im Abendmahl Jesu ereignet sich die Gründung eines neuen Gottesvolkes, nämlich des
Volkes aus Juden und Heiden (= Kirche). Das Gottesvolk ist das Volk, das den Willen Gottes
erfüllt. Das Gottesvolk verwirklicht das Reich Gottes, wenn es den Willen Gottes vollständig
erfüllt.
Den Willen Gottes vollständig erfüllen, das tut nur Jesus. Beim Abendmahl tut er es –
unüberbietbar – bis zur Selbstaufgabe, bis in den Tod hinein: nicht mein, sondern dein Wille
geschehe.
In der Eucharistie gibt er den Mitfeiernden Anteil an sich selbst, an seiner Person, an seinem
Geschick. Das ist das Geheimnis der Eucharistie: dass die Glaubenden in der Gemeinschaft
(koinonia/communio) mit Jesus dasselbe werden wie er selbst. Jesus und die Glaubenden
werden ein Leib. Die Glaubenden erhalten, indem sie essen und trinken, Anteil an seinem
Leib und seinem Blut. Ohne also selbst den Willen Gottes so getan zu haben wie Jesus, sind
sie in der Einheit mit ihm das, was er ist: Sohn Gottes, Erstling des Gottesreiches,
auferstanden von den Toten zu ewigem Leben. Darum ist die Eucharistie das Mahl des
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Gottesreiches. Das alles geschieht in einem ganz präzisen Sinne durch ihn, mit ihm und in
ihm.
Im Bekenntnis der Kirche ist deshalb die Realpräsenz Jesu Christi bei der Eucharistie immer
festgehalten worden. Alles hängt davon ab, dass er in jeder Eucharistiefeier wirklich
gegenwärtig ist (und nicht nur in Form einer Erinnerung oder "symbolisch"): weil er es ist,
durch den, mit dem und in dem sich das ereignet, was in der Eucharistie geschieht. Denn er ist
es ja, der handelt und uns mit sich verbindet.
Eine andere Frage ist, wie man die Realpräsenz erklärt. Aber es ist ohne weiteres einsichtig, dass sie an den
Elementen Brot und Wein hängt, denn durch den Vollzug des Mahles, das Essen und Trinken, gelangen wir in
die Gemeinschaft seines Leibes und seines Blutes. Das braucht jedoch nicht zur Konzentration auf die Frage zu
führen, ob Brot und Wein wirklich Leib und Blut Jesu sind (im Sinne einer Sache, auf die man zeigen kann und
sagen: das ist es). Es geht um das Geschehen, in dem wir zu Leib und Blut Jesu werden, indem wir das Brot und
den Wein zu uns nehmen.
Bereits das Neue Testament und die ganze Tradition der Kirche haben die Eucharistie als
Opfer verstanden. Was ist damit gemeint? Welche Missverständnisse sind auszuschließen?
Das ist eine schwierige Frage. Zum Letzten zuerst: auszuschließen ist das Verständnis, dass Jesus sich dem Vater
opfert, um eine Leistung von Gott (Wiedergutmachung) zu vollbringen und damit seinen Zorn zu besänftigen –
so als wenn Gott den Tod eines Menschen, seines Sohnes, als Opfergabe fordern würde. Auszuschließen ist
ferner, dass wir Gott etwas darbringen, um seine Gnade zu erlangen.
Wie kann man aber den Opfercharakter der Eucharistie verstehen? Hier könnte man allgemein
religionswissenschaftlich ansetzen: Opfer dienen der Abwehr der Gefahr (ein Tier/ein Mensch wird geopfert, um
das wilde Tier zu besänftigen); es stiftet Gemeinschaft (die Jäger essen das erlegte Tier nicht allein, sie teilen es
mit dem Stamm; dabei entsteht eine bestimmte Ordnung der Gemeinschaft); es ist Sühne für eine Übertretung,
eine Schuld (bis hin zum Ganzopfer); es gibt den Göttern das ihnen Zustehende von der Gaben der Welt. In der
Anwendung auf die Eucharistie kann es mit diesen Kategorien aber leicht zu Missverständnissen kommen...
Näher heran führt die jüdische Opferpraxis. Hier hat das Opfer einerseits mit dem Bundesschluss zu tun (Ex 24 –
hier steht der Gedanke der gemeinsamen Teilhabe am Leben, ausgedrückt in der Sprengung des Blutes = Sitz des
Lebens auf Volk und Altar im Mittelpunkt), andererseits mit der Sichtbarmachung von Schuld
(= gemeinschaftsschädigendes Verhalten) und ihrer Überwindung (= Rückführung der Schuldigen in die
Gemeinschaft) zu tun. [Vgl dazu den sehr instruktiven Artikel von JORGE PIXLEY: FORDERT DER WAHRE GOTT BLUTIGE
OPFER?, in: Götzenbilder und Opfer, hg. von H. Assmann, Münster 1996, 131-159]. Es gab in Israel drei Arten
des Opfers: 1. zebah schelamin, ein reines Speiseopfer, bei dem die Priester dafür zu sorgen hatten, dass das
Verbot des Blutgenusses nicht überschritten wurde; hier ging es um die Verhinderung des Zugriffs auf das Leben
und um eine antiheidnische Einschränkung der außerisraeltitischen Opferpraxis. 2. 'olah, Brandopfer, Ganzopfer:
das ganze Fleisch wurde verbrannt zum Wohlgefallen Gottes, Gott wurde gedankt als dem Geber der Gaben dieses Ganzopfer hat vor allem die Kritik der Propheten auf sich gezogen, weil es mit den heidnischen Opfern
verwechselt werden konnte. 3. chattat, Sündopfer: Unrein Gewordene müssen eine Opfergabe darbringen, um
wieder kultfähig, d.h. wieder in die Gemeinde eingegliedert zu werden. Es hat aber nur eine eingeschränkte
Bedeutung, gilt z.B. nicht bei kriminellen Vergehen. Nun kann man sagen: Eucharistie ist Bundesopfer, weil in
der Gemeinschaft des Blutes Jesu der Bund geschlossen wird. Es ist Ganzopfer, weil Jesus sich bis in den Tod
dem Willen Gottes hingibt. Es ist Sündopfer, insofern die Sünder durch die Teilhabe an Jesus in die
Gemeinschaft des Gottesvolkes aufgenommen werden. Hier sind viele und weittragende Deutungen möglich
(vgl. dazu vor allem den Hebr!). Wichtig ist: nicht wir bringen Gott etwas dar, sondern wir werden in die
Gemeinschaft mit Christus und damit seines Opfers hineingenommen. So heißt es im 3. Hochgebet:
"Schau gütig auf die Gabe deiner Kirche. Denn sie stellt dir das Lamm vor Augen, das geopfert wurde und uns
nach seinem Willen mit dir versöhnt hat [die Gabe ist also, das Lamm vor Augen zu stellen. Dann heißt es aber
weiter:] Stärke uns durch den Leib und das Blut deines Sohnes und erfülle uns mit seinem Heiligen Geist, damit
wir ein Leib und ein Geist werden in Christus [und in dieser Einheit können wir dann sagen:] Er mache uns auf
immer zu einer Gabe, die dir wohlgefällt..." Die Kirchenväter sagten: Indem wir gedenken, opfern wir (Memores
offerimus; so in der Traditio apostolica des 2. Jhds.) – indem wir im Gedächtnis mit Jesus eins werden, nehmen
wir an seinem Opfer teil.
Das Opfer, das Christen in der Gemeinschaft mit Jesus (durch ihn, mit ihm und in ihm!)
darbringen, besteht darin, Gott die Ehre zu geben und seinen Geboten zu folgen (wie Jesus es
bis in den Tod tat) und damit von einem Leben unter dem Primat der Selbsterhaltung (der
Sünde) abzulassen, dieses zu opfern. Das Opfer ist also ein Opfer des Lobes und ein
Ganzopfer der natürlichen, sündigen Existenz.
4. Aus der Geschichte der Eucharistie
Im 1. Kor treffen wir bereits auf die Abtrennung des Brot- und Becherritus vom Sättigungsmahl, wie sie auch
dem mk/mt Bericht zugrunde liegt. Der Ritus wird dann schon bald mit dem aus dem Judentum bekannten
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Wortgottesdienst zu einer eigenen gottesdienstlichen Feier verbunden, die ab etwa dem 2. Jhd. den Namen
"Eucharistia" (= Danksagung, bezogen sowohl auf die Gaben von Brot und Wein wie auf das darin zugesagte
Heil) trägt. In Justins 1. Apologie (um 140) enthält eine Schilderung der Eucharistiefeier der Christen bereits alle
heute bekannten Elemente incl. der Urform unserer Hochgebete. Der ethische Charakter wird durchgehend stark
betont: "...brecht das Brot, sagt Dank und bekennt eure Übertretungen, damit euer Opfer rein sei! Jeder aber, der
Streit mit seinem Nachbarn hat, soll nicht mit euch zusammenkommen, bis er sich ausgesöhnt hat" (Didaché,
Anfang 2. Jhd.). Den Vorsitz übernahmen in der Anfangszeit verschiedene charismatisch begabte Personen, bis
diese schließlich durch Bischöfe und Diakone ersetzt wurden.
Verschiedene Faktoren führen dazu, dass schon früh der Kommunionempfang häufig von der Teilnahme an der
Eucharistiefeier getrennt wird: - Die Teilnahme von öffentlichen Büßern, die von der Kommunion
ausgeschlossen sind; - die Aufbewahrung des eucharistischen Brotes und sein Empfang außerhalb der Feier (z.b.
durch Kranke); - die Teilnahme von noch nicht getauften Katechumenen. Als mit der konstantinischen Wende
der Taufaufschub bis ans Lebensende immer mehr zunimmt, wird nun die Trennung von Kommunion und
Eucharistie der Normalfall - eine für die Folgezeit äußerst folgenreiche Entwicklung. Die Eucharistie wird nun,
in den großen Basiliken, zu einem feierlichen liturgischen Geschehen unter dem Vorsitz des Bischofs, das im
Altarraum stattfindet; die Gläubigen sind nur mehr von ferne, schauend, dabei. Die Theologen der
reichskirchlichen Ära entfalten unter diesen Umständen die Bedeutung der Eucharistie mit den Stichworten des
'Schauens' und der 'Nachahmung'. Eucharistie ist nun die vergegenwärtigende Erinnerung des Heilsgeschehens,
sie ist 'Gleichnis' und 'Symbol', an dem die Gläubigen schauend teilhaben. Jesus ist der Handelnde in der
Eucharistie ("Aktualpräsenz"), aber schon bei Ambrosius (+397) tritt auch die Umwandlung der Gaben ins
Blickfeld ("Realpräsenz"): was vorher Brot war, wird zum Leib Jesu, was Wein war, wird zu Blut Christi. Die
Ehrfurcht vor diesem geheimnisvollen Geschehen tut ein übriges, um den Kommunionempfang zu reduzieren.
Augustinus trifft das Richtige, wenn er demgegenüber den Schwerpunkt auf die Verwandlung der Gemeinde in
den Leib Christi setzt: die Gemeinde soll werden, was sie sieht (Leib Christi), sie sagt Amen zu dem, was sich
auf dem Altar vollzieht, und wird so selbst zum Glied am Leib Christi (vgl. sermo 272).
Im fränkisch-germanischen Raum, in dem das Lateinische zur (fremden, unverstandenen) Kultsprache geworden
ist, wächst die Ehrfurcht vor dem Geheimnis der Eucharistie, der Gegenwart Gottes in Brot und Wein. Der
Augenblick der "Wandlung" tritt ins Zentrum der Aufmerksamkeit (Erheben der Hostie und des Kelches,
Kniebeuge, Wandlungsläuten). Dazu passt die Einführung des Fronleichnamsfestes (1264): der Leib Christi wird
in der Monstranz verehrt, von Kommunion ist keine Rede mehr. Nun verwendet man auch besondere Hostien
statt des Brotes; ab dem 12./13. Jhd. wird den Laien der Kelch nicht mehr gereicht. In der Theologie wird in
dieser Zeit die Umwandlung der Gaben zum Hauptthema der Eucharistietheologie. Die Scholastik verwendet all
ihren Scharfsinn darauf. Die Positionen schwanken zwischen extremen Spiritualismus (Berengar von Tours,
+1088: Brot und Wein sind nur Symbole der Gegenwart Christi, der sich selbst seit der Himmelfahrt im Himmel
befindet) und extremem Materialismus (Humbert von Silva Candida, +1061: Brot und Wein werden zu wahrem
Fleisch und Blut, Jesus Christus wird von den Händen der Priester angefaßt und gebrochen und von den Zähnen
der Gläubigen zerkaut). Auf dem 4. Laterankonzil (1215) setzt sich als Mittelweg die Transsubstantiationslehre
durch: Die äußere Form, die Akzidentien, von Brot und Wein bleiben gleich, das Wesen, die Substanz ändert
sich. Es geschieht in der Wandlung also Ähnliches wie bei der hypostatischen Union (Zu beachten: der Begriff
der Substanz meint hier gerade nicht das, was heute in der Chemie damit gemeint wird). Der Blick ist jedenfalls
im Mittelalter ganz auf die Elemente gerichtet, die Bedeutung des Mahlgeschehens und der Opfercharakter treten
zurück.
Dagegen wendet sich die Reformation, sie sieht darin eine Verfälschung des biblischen Zeugnisses. Insgesamt
ging es der Reformation um eine Wiederherstellung der biblischen Gestalt des Abendmahles. Die
reformatorische Kritik richtet sich zunächst gegen die zahlreichen abergläubischen Auffassungen im
Zusammenhang mit den gewandelten Elementen (Wundererwartungen, blutende Hostien u.a.) und konzentriert
sich dann theologisch auf drei Punkte: die Ablehnung der Meßopferlehre, die Realpräsenz und die Vorenthaltung
des Laienkelches. Dass die Messe eine gnadenmittelnde Wiederholung des Kreuzesopfers sei, hat Luther im
Zuge seiner Kritik an der Werkgerechtigkeit energisch bestritten: dann wären es ja Menschen (Priester), die das
Heil vermittelten. Christi Opfer am Kreuz war für ihn vollgenügsam, es ist ein für allemal geschehen, ihm ist
nichts hinzuzufügen, es ist nur zu erinnern und zu wiederholen (Abendmahl als Wortgeschehen: das Testament
Christi wird verkündigt).Bezüglich der Realpräsenz hielt Luther zwar an der wirklichen Gegenwart Christi in
Brot und Wein fest (wegen des biblischen Wortlauts), lehnte aber die Erklärung der Transsubstantiation als
"spitzfindige Sophistik" ab. Für ihn ist Christus "in, mit und unter" den Elementen gegenwärtig. Calvin und
Zwingli bestreiten die Realpräsenz, u.a. mit Hinweis auf die Gegenwart Christi im Himmel. Die Verweigerung
des Laienkelches ist für alle Reformatoren ein klarer Verstoß gegen Jesu Wort "Trinket alle daraus" und im
übrigen Ausdruck eines Zwei-Klassen-Systems in der Kirche und der Priesterherrschaft. Die scholastische
Lehre, dass Christus unter jeder der beiden Gestalten ganz empfangen werde (Konkomitanzlehre), verwerfen die
Reformatoren als leicht durchschaubare Spitzfindigkeit. Ein weiterer Punkt der Auseinandersetzung besteht um
die Frage der Aufbewahrung der konsekrierten Elemente. Für Luther haben die Elemente "extra usum"
(= außerhalb des Gebrauchs bei der Mahlfeier) keine besondere Bedeutung; außereucharistische Verehrung der
geweihten Hostie hat für ihn keine Sinn.
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Das Konzil von Trient verteidigt alle kritisierten Punkte, läßt aber im einzelnen Differenzierungen zu (Meßopfer
ist keine Wiederholung, sondern repraesentatio und applicatio; Transsubstantiation ist kein Dogma, sondern nur
eine treffende Bezeichnung; Kelchverweigerung wird nicht festgeschrieben). In der von konfessioneller Verhärtung geprägten Folgezeit werden aber gerade die von der Reformation angegriffenen Lehren und
Praktiken zu typisch katholischen Erkennungszeichen.
Erst im 20. Jhd., vor allem durch das II. Vaticanum, sind die Einsichten der Reformatoren auch in der kath.
Kirche fruchtbar geworden. Häufigere Kommunion wurde schon durch Papst Pius X. (1903-1914) eingeführt.
Die Liturgische Bewegung entdeckte den Gemeinschafts- und Mahlcharakter der Messe neu und führte zuletzt
zur Verwendung der Muttersprache in der Liturgie und zum lauten Sprechen des Hochgebets. Der Laienkelch ist
nun auch in der kath. Kirche erlaubt. Der Opfercharakter der Messe wurde neu durchdacht (ist dabei allerdings
fast auf der Strecke geblieben). Die Ökumenische Bewegung führte zu vielen Annäherungen; dabei war stets der
gemeinsame Rückbezug auf das biblische Zeugnis leitend. Für die Realpräsenz wird meistens auf die biblische
Kategorie der vergegenwärtigenden Erinnerung (anamnesis) zurückgegriffen. Die Kirchen sind sich heute im
Verständnis des Herrenmahls/der Eucharistie weitgehend einig, umstritten ist nur der Bezug von
Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft und dabei besonders die Bedeutung des Amtes.
5. Die Feier der Eucharistie
Vgl. dazu Gotteslob, 351-376, und die sehr informativen Ausführungen bei KUNZLER aaO.
Die Feier der Eucharistie ist eingebettet in die Hl. Messe, den zentralen gottesdienstlichen
Vollzug der Kirche. Damit wird sie als das Sakrament der Sakramente, als das Sakrament der
Kirche schlechthin erkennbar. Die ganze Hl. Messe vollzieht die Umcodierung eines Lebens
in Sünde und Selbsterhaltung in ein Leben zur Ehre und Verherrlichung Gottes, deswegen ist
sie Gottesdienst! Dazu habe ich oben 10 schon das Wichtigste gesagt.
Die Hl. Messe wird wie folgt eingeteilt (Hervorhebung = Ordinarium, in jeder Messe vorkommende Hymnen
und Texte):
• Eröffnungsteil: Einzug, Introitus, Verehrung des Altars, Bußakt, Kyrie eleison, Gloria, Tagesgebet
• Wortgottesdienst: Lesungen aus dem Alten Testament und den Briefen, Antwortpsalm und Halleluja,
Evangelium, Homilie (Predigt), Glaubensbekenntnis, Fürbitten
• Gabenbereitung: Herbeibringen der Gaben auf den Altar, Segensgebet über die Gaben, Händewaschung,
Gebet um die Annahme der Gaben, Gabengebet mit besonderen Intentionen
• das eucharistische Hochgebet (=Kanon) mit dem Aufbau: Präfation, Sanctus, Postsanctus,
Wandlungsepiklese [Epiklese= Herabrufung des Hl. Geistes], Einsetzungsbericht, Anamnese,
Darbringungsgebet, Kommunionsepiklese, Interzessionen [Fürbitten in der Gemeinschaft der Heiligen],
Schlussdoxologie. [Außer dem alten Römischen Kanon, der auf das 2. Jhd. zurückgeht, unser 1. Hochgebet,
gibt es seit der Liturgiereform des II. Vaticanums drei weitere Hochgebete]
• Kommunionteil: Vaterunser, Friedensgruß, Brechung des Brotes mit Agnus Dei, Kommunion, Segen und
Entlassung.
Über Entstehung und Sinn dieser Teile, frühere Bezeichnungen und andere Einteilungen s. KUNZLER aaO.
Aus der oben genannten Abtrennung der Eucharistie vom Kommunionempfang folgte über
lange Zeit die Austeilung der Kommunion außerhalb der Hl. Messe, vor allem seit der
Vorschrift von 1215 (IV. Laterankonzil), dass jeder Christ einmal im Jahr, und zwar in der
Osterzeit, die Kommunion empfangen müsse. Noch bis Mitte des vorigen Jhs. wurde die
Kommunion häufig nur vor und nach der Hl. Messe ausgeteilt!
Eine andere Form des Kommunionempfangs außerhalb der Hl. Messe ist die
Krankenkommunion, früher meistens als Sterbekommunion (Viaticum = Wegzehrung).
Seit dem Mittelalter, vor allem aber in der Neuzeit hat sich, im Gegenzug zum
Protestantismus, die Verehrung der Eucharistie außerhalb der Messfeier durchgesetzt. Wir
finden: Tabernakel und Sakramentshäuschen, Sakramentsprozession, Aussetzung der
Eucharistie, Fronleichnam, Sakramentsandachten, eucharistischer Segen. Architektur,
Kirchenmusik, Hymnendichtung, persönliche Frömmigkeit sind dadurch maßgeblich
inspiriert worden! Diese Verehrung ist legitim, darf sich aber nicht verselbständigen, sondern
muss dem Geschehen der Eucharistie zugeordnet bleiben. Protestanten können der Verehrung
"extra usum" keinen Sinn abgewinnen, aber dies hat wohl nicht wenig zur Verarmung der
Abendmahls-Frömmigkeit in den evangelischen Kirchen beigetragen.
6. Die Elemente der Eucharistiefeier
Brot und Wein verweisen auf Grundgegebenheiten des Daseins: Essen und Trinken als
körperliche Notwendigkeit; Früchte der Erde, die durch menschliche Arbeit veredelt werden;
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aus vielen Teilen (Körnern, Trauben) wird ein Ganzes; Mahlgemeinschaft; Gastfreundschaft;
Erotik; festliches Beisammensein; sakrale Mahlzeiten; kultische Opferriten; und auch der
Aspekt: was uns zum Leben dient, muss vernichtet, aufgegessen, ausgeschieden werden. All
dies ist in der Eucharistie präsent – die ganze Menschheit in dem, was sie vor allem anderen
verbindet; die Sinnlichkeit; die Religion (vgl. dazu HÖHN aaO. 80-84). Die "Früchte der Erde
und der menschlichen Arbeit" (Segensgebet über die Gaben) werden dargebracht und –
verwandelt. Sie werden etwas, was sie von sich aus niemals sein können: Zeichen der realen
Gegenwart Jesu Christi, seines Lebens, seines Todes, seiner Auferstehung, und unserer
Gemeinschaft mit ihm. Und so zugleich Zeichen unserer Gemeinschaft mit Israel, das sich
seit den Tagen der Mannaspeisung (Ex 16) von Gott ernährt und erhalten wusste (vgl. Ps 144;
Lev 26,4-5; Dtn 7.13-15). Sie werden zum Zeichen, dass er unser Brot ist, dass es für uns das
ewige Leben bedeutet, sein Fleisch zu essen. Dass der Weg zur Auferstehung, zum ewigen
Leben durch den Tod Jesu führt, den wir mit ihm sterben. So wird gerade das originärste
Mittel der Selbsterhaltung zum Zeichen für den, der sein Leben hingab für die Vielen, der von
dem Zwang zur Selbsterhaltung erlöste. Der Bedeutungsgehalt der Zeichen wird also genau
umgekehrt und bleibt dennoch erhalten! Aber das kann aus einer symbolischen Deutung der
Elemente von Brot und Wein allein niemals herausgelesen werden.
Wenn Jesus sagt: dies ist mein Leib/mein Blut, dann verhalten sich Leib und Blut nicht wie Körper und Seele.
Leib meint biblisch: der ganze Mensch in seiner Leibhaftigkeit; Blut meint das Leben, insofern es von Gott
kommt und unantastbar ist. – Und wichtig ist auch zu sehen, dass die Elemente nicht isoliert in der Eucharistie
vorkommen. Dies ist mein Leib/Blut – esst und trinkt davon: nur im Zusammenhang der Handlung sind Brot und
Wein Elemente der Eucharistie.
7. Das ökumenische Problem von Eucharistie- und Kirchengemeinschaft
Eucharistiegemeinschaft ist Kirchengemeinschaft, denn die Kirche wird durch die Eucharistie
als Leib Christi auferbaut. Kirche entsteht durch die Eucharistie, die Eucharistie ist Mittel und
Zeichen der Kirchengemeinschaft. Darin sind sich alle Kirchen einig, die Probleme zwischen
den Konfessionen entstehen aus dem Verhältnis von Mittel und Zeichen.
Terminologisch ist zu unterscheiden zwischen voller Eucharistiegemeinschaft als Ziel der Einigung der Kirchen,
eucharistischer Gastfreundschaft (gastweise Zulassung in Einzelfällen oder generell), Interkommunion
(gegenseitige Zulassung nach Absprache), Interzelebration (Amtsträger anderer Kirchen dürfen der Feier
vorstehen) und offener Kommunion (niemandem ist der Zutritt verwehrt).
Während die evangelischen Kirchen untereinander Interkommunion oder Interzelebration
vereinbart haben oder auch offene Kommunion praktizieren, wird auf katholischer Seite die
Eucharistie nicht nur als Mittel, sondern auch als Zeichen der (vorausgesetzten)
Kirchengemeinschaft verstanden. Das Ökumenismusdekret des II. Vatikanums sagt dazu:
"Man darf jedoch die Gemeinschaft beim Gottesdienst (communicatio in sacris) nicht als ein allgemein und ohne
Unterscheidung gültiges Mittel zur Wiederherstellung der Einheit der Christen ansehen. ... Die Bezeugung der
Einheit verbietet in den meisten Fällen die Gottesdienstgemeinschaft, die Sorge um die Gnade empfiehlt sie
dagegen in manchen Fällen" (UR 8). Dies wurde kirchenamtlich (Ökumenisches Direktorium)
dahin präzisiert, dass mit den orientalischen Kirchen Gottesdienstgemeinschaft möglich ist,
mit den evangelischen Kirchen jedoch in der Regel nicht, sondern nur in Ausnahmefällen
(im Sinne einer ökumenischen Gastfreundschaft). Begründet wird das mit dem "defectum
sacramenti ordinis" (dem Defekt im kirchlichen Amt) bei den evangelischen Kirchen
(UR 22): weil sie kein Weihesakrament haben und nicht in der apostolischen Sukzession
stehen, ist bei ihnen die Integrität der Abendmahlsfeier und damit auch der Kirche nicht
gegeben.
Ich halte diese Begründung für sehr fragwürdig. Die Integrität der Amtes kann nicht an der apostolischen
Sukzession – verstanden als die ununterbrochene Abfolge bischöflicher Handauflegungen seit den Aposteln –
festgemacht werden, und das Verständnis der Ordination (die es auch in den protestantischen Kirchen gibt) als
Sakrament kann nicht ausschlaggebend sein, weil die Zahl der Sakramente in der Geschichte schwankte und
kirchlich nach freiem Ermessen festgelegt wurde, vgl. oben 17. Dennoch ist in der heutigen Lage der Kirchen
eine generelle Zulassung oder offene Kommunion nicht zu empfehlen. Angesichts der oft sehr unklaren und zum
Teil häretischen Eucharistiekonzepte sollte das katholische Verbot als eine heilsame Aufforderung zur Prüfung
der Geister, als ein Anlass zur Verständigung über den Glauben und als ein Mittel der konfessionellen
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Differenzierung genutzt werden. In vielen Fällen kann sicherlich eucharistische Gastfreundschaft gewährt
werden.
C. Das Sakrament der Buße
Vgl. dazu: FABER, 122-141; KUNZLER, 445-456; CHRISTOF GESTRICH, DIE WIEDERKEHR DES GLANZES IN DER WELT. DIE
Tübingen:
Mohr/Siebeck ²1997, vor allem §§ 7-13 (ganz hervorragend zur Theologie von Sünde, Schuld und Vergebung!);
4
ART. BUßE/KIRCHENGESCHICHTLICH, in: RGG BD. 1, 1910-1918 (zur Geschichte der Buße).
CHRISTLICHE LEHRE VON DER SÜNDE UND IHRER VERGEBUNG IN GEGENWÄRTIGER VERANTWORTUNG,
1. Einfache, einführende Gedanken zur Krise der Beichte, zu Schuld und Vergebung
Kein Sakrament steckt stärker in der Krise als die Beichte. Das bedeutet aber, dass der
kirchliche Beitrag zum Umgang mit Schuld und Vergebung weitgehend ausfällt. Da keine
andere Institution einspringen kann, gibt es praktisch keine Möglichkeit mehr, Schuld zu
bekennen und Vergebung zu erlangen. Die Menschen und die Gesellschaft insgesamt werden
mit ihrer Schuld nicht mehr fertig (sowenig sie mit ihren Schulden fertig werden – da besteht
ein Zusammenhang!).
Die Krise der Beichte hat m.E. zwei Hauptursachen: zum einen die durch die kirchliche Beichtpraxis betriebene
Privatisierung von Sünde und Schuld auf den individuellen und engeren zwischenmenschlichen Bereich. Für
diesen Bereich erklären sich heute Psychologie und Therapie für zuständig; Sünde wird als Schwäche,
Überforderung, Folge von Fehlentwicklungen gedeutet. Zum anderen finden die Erfahrungen mit Schuld im
gesellschaftlich-ökonomischen-politischen Bereich – wir ruinieren laufend die Welt durch unser alltägliches
Verhalten, lassen unseren Kindern keine bewohnbare Welt mehr übrig, und wir wissen darum – im kirchlichen
Bußsakrament zur Zeit keinen Ausdruck. Weil unsere Sünden nicht gebeichtet (d.h. bekannt, bereut,
wiedergutgemacht) werden, können sie nur verdrängt werden, und sie werden es. Unsere Gesellschaft ist
genauso auf Schuld aufgebaut, wie sie auf Schulden aufgebaut ist. Sie weiß darum und will es doch nicht
zugeben, weil sie kein Mittel dagegen kennt.
Was ist Schuld? Schuld ist der individuell zurechenbare Anteil des Bösen und Fehlerhaften an jeder Handlung
eines Menschen. Alle Menschen handeln ständig (auch durch Unterlassung). Dieses Handeln hat immer Folgen,
die der einzelne nicht mehr kontrollieren kann. Bei schlechten Handlungen entsteht ein Verhängnis
(bei aufmerksamer Beobachtung lassen sich Folgen böser Handlungen bis in die dritte oder vierte Generation
direkt nachweisen; vgl. Ex 20,5: Gott ahndet die Schuld der Väter bis zu den Urenkeln. Danach verlieren sich die
Folgen im Dunkel der Geschichte, bleiben aber weiter wirksam). Wenn die Kirche von Schuld redet, dann
besteht sie darauf, dass der individuelle Anteil in jedem einzelnen Fall ausgemacht werden kann, und dass
Menschen sich ändern können, indem sie für die Folgen ihres Tuns aufkommen und ihr schuldhaften Verhalten
vermeiden. Dem Sakrament der Buße liegt also ein hohe, anspruchsvolle Auffassung vom Menschen zugrunde.
Er ist nicht nur Opfer von Verhältnissen/Verhängnissen, er kann sich ändern und damit, soweit es an ihm liegt,
das Böse fortschaffen.
Was ist das Böse an menschlichen Handlungen? Das Böse besteht in jedem einzelnen Fall darin, dass
Menschen ihre Umwelt (andere Menschen, soziale Systeme, die Natur) für Zwecke der eigenen Selbsterhaltung
und Selbstbehauptung über das gerechte Maß hinaus verzwecken. Sie werden ihrer Umwelt nicht gerecht, d.h.
sie verlangen etwas von ihr, was sie nicht leisten kann, sie überfordern sie. Die/das Überforderte/n müssen sich
das, was ihnen durch das schuldhafte Handeln genommen worden ist, woanders holen. So pflanzt sich die
Schuld immer weiter fort. Das böse Tun bewirkt einen Mangel in der Welt, der durch weiteres bösen Tun
aufgefüllt wird, ohne jemals gestillt werden zu können.
Was ist Sünde, warum werden biblisch-kirchlich Schuld und Sünde in einem Atemzug genannt? Sünde ist
die Übertretung von Gottes Gebot. Gottes Gebot ist das Gesetz der Gerechtigkeit, d.h. es will, dass Menschen
ihrer Umwelt gerecht werden können. Darum sind Sünde und Schuld identisch: ein Verstoß gegen die
Gerechtigkeit. Gottes Gebot ist das Gesetz einer Lebensordnung, die nicht auf dem Mangel, sondern auf der
Fülle, dem Reichtum, dem "Glanz" (kabod, doxa, gloria; vgl. Gestrich) beruht. Wer von der Herrlichkeit Gottes
weiß und an sie glaubt, braucht sich um seine Selbsterhaltung/Selbstbehauptung nicht mehr zu sorgen, er/sie
braucht nicht zu sündigen. Sie/er kann anderen/anderem gerecht werden.
Warum ist die Vergebung der Sünden notwendig? Weil, wie gesagt, jedes Handeln Folgen hat, die der
Urheber nicht mehr kontrollieren kann, kann niemand aus eigener Kraft das Verhängnis vermeiden, das aus
seinem bösen Tun erwächst. Er/sie ist in Sünde verstrickt und kann nicht anders, als durch neue Sünden auf die
Folgen der früheren zu reagieren. Vergebung meint demgegenüber: dass einem Menschen die Möglichkeit
eingeräumt wird, neu anzufangen. Sie/er kann wieder am Punkt null beginnen, die Stricke, die ihn/sie an die
Vergangenheit fesseln, sind gelöst. Dies kommt einer Neuschöpfung gleich, die nur Gott bewirken kann. Sie
kann nur so gedacht werden, dass jemand anderes (Christus) die Schuld übernimmt, die eine/r auf sich geladen
hat. Wie Taufe und Eucharistie zielt also die Buße auf ein neues Sein in Christus.
Worin besteht die Analogie von Schuld und Schulden? Jemand nimmt einen (zinspflichtigen – nur daran ist
hier zu denken) Kredit auf, um eine Investition zu tätigen, z.B. eine Wald forstwirtschaftlich zu nutzen. Der
Ertrag der Waldnutzung liegt bei nachhaltigem Wirtschaften bei 2%. Durch die Zinslast ist der Schuldner aber
32
gezwungen, weit mehr aus dem Wald herauszuholen. Dies kann nur durch Übernutzung, durch Ausbeutung der
Arbeitskräfte, durch Missachtung ökologischer Standards geschehen. Überall werden dabei Schuld und Mangel
erzeugt, die sich fortzeugen. Sind die Grenzen der Nutzung erreicht, muss er einen neuen Kredit aufnehmen.
Tritt der Punkt ein, wo alte Schulden nur noch durch neue Kredite abzutragen sind, spricht man von
Überschuldung. – Dieser Zustand ist heute, im Rahmen der zinsgestützten und konkurrierenden Geldwirtschaft,
praktisch weltweit erreicht. Überall wird mehr Ertrag erwartet als die Ressourcen (Menschen, Natur) zu geben in
der Lage sind. Die Welt erstickt in Schulden. Der Zustand wäre nur zu ändern, wenn die Kapitalbesitzer mit
ihrem Kapital für die Schulden einspringen würden, wenn sie die Schuld auf sich nehmen würden. Dies käme
aber einer Neuschöpfung, einer Abschaffung der Regeln unserer Geldwirtschaft gleich.
2. Biblische Schlüsselszenen
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Gen 3: Der Sündenfall. Adam und Eva übertreten Gottes Gebot. Die Schlange führt sie in die Logik der
Konkurrenz ein. Sie wollen nach einem eigenen Gesetz leben (=gut und böse erkennen). Daraus entstehen:
Scham – Verbergen der Schuld – Abwälzung der Verantwortung. Folge der Ursünde: Leben als Kampf um's
Dasein unter dem Gesetz der Knappheit (=Fluch).
Lev 4; 5; 16: Sündopfer und Großer Versöhnungstag. Vergehen müssen wieder gut gemacht werden; wo das
nicht unmittelbar möglich ist, muss ein Opfer gebracht werden. Für unwissentliche oder sonstige bisher
nicht erfasste Sünden ist der Versöhnungstag zuständig. Gott ermöglicht Israel jedes Jahr einen Neuanfang.
– Wir haben hier eine Gesellschaft vor uns, die aktiv mit dem Problem der Schuld umgeht. Sie leugnet die
Schuld nicht, weiß sich aber von der Vergebungsbereitschaft Gottes getragen.
Jer 14,20f: Aus der Klage des Propheten über die Zerstörung Jerusalems: "Wir erkennen, Herr, unser
Unrecht, die Schuld unserer Väter. Ja, wir haben gegen dich gesündigt." Die Katastrophe war nicht nur
Verhängnis, der Prophet schaut den Anteil der Schuld darin (die eigene und die der Väter). [Hätten das die
Deutschen nur nach dem 2. Weltkrieg auch getan!]. Die Schulderkenntnis ist die Voraussetzung der Bitte
und der Hoffnung: "Um deines Namens willen verschmähe uns nicht, verstoß nicht den Thron deiner
Herrlichkeit."
Ps 51: einer der Bußpsalmen. "Denn ich erkenne meine bösen Taten, meine Sünde steht mir immer vor
Augen. Gegen dich allein habe ich gesündigt, ich habe getan, was dir missfällt. So behältst du Recht mit
deinem Urteil, rein steht du da als Richter. ... Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen
beständigen Geist. ... Dann lehre ich Abtrünnige deine Wege, und die Sünder kehren um zu dir." Sünde ist
im Kern eine Beleidigung Gottes. Das Sündenbekenntnis gibt Gott Recht und wird zur Verherrlichung
Gottes. [Empfehlung: Ps 51 bei jeder Beichte beten]
Mk 1,15: Die Reich-Gottes-Predigt Jesu. "Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe gekommen.
Kehrt um und glaubt an das Evangelium." Damit ist alles gesagt: Jesus weiß von der Gnade und Vergebung
Gottes, der alle Menschen zur Tora ruft. Die erste Reaktion darauf kann nur die Umkehr (metanioa) sein, die
Abkehr von einem verkehrten Leben. Sie ist Voraussetzung für ein Leben nach dem Evangelium. – Jesus
war ein Bußprediger (im Unterschied zu Johannes einer mit 'positivem Vorzeichen').
Mk 2,1-12: Heilung des Gelähmten. Der Gelähmte will Heilung, aber Jesus vergibt ihm zuerst seine Sünden.
Jesus weiß um den Zusammenhang von Sünde und Lähmung! An der Sündenvergebung wird seine Macht
erkannt, die die des Menschensohnes ist, mit dem das Leben der kommenden Welt beginnt. "Alle waren
außer sich, priesen Gott und sagten: 'Noch nie haben wir solches gesehen'."
Mt 18,15-20: Die Zurechtweisung eines Sünders in der Gemeinde. Wenn einer sündigt, dann soll er
zunächst unter vier Augen zurechtgewiesen werden. Hilft das nichts, dann sollen zwei oder drei Zeugen
zugezogen werden. Hilft auch das nichts, folgt die Verhandlung vor der ganzen Gemeinde. Hört er auch
dann nicht, wird er aus der Gemeinde ausgeschlossen. Der Kontext der Stelle sagt: Die Vergebung hat
immer den Vorrang, man soll nicht nur 7, sondern 77mal vergeben. Aber Vergebung hat eine Grenze.
Paulus ordnet 1 Kor 15,1-13 den Ausschluss eines Sünders aus der Gemeinde an. Ansonsten würde die
Gemeinde zerstört. Paulus hält aber offen, dass er "am Tag des Herrn gerettet wird".
Röm 1,23f: "Sie (die Heiden, alle) vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit dem Abbild
der Gestalt von vergänglichen Menschen, von Vögeln, Vierfüßlern und Gewürm": alle Sünde ist
Götzendienst. Die Folge ist: "Darum überließ sie Gott der Unreinheit, nach der ihr Herz gelüstet, so dass
sie gegenseitig ihre Leiber schändeten...". Zusammenfassung Röm 3,23: "Alle (Heiden und Juden) haben
gesündigt und ermangeln der Herrlichkeit Gottes." Deshalb gründet Gott seine Gerechtigkeit, die die Welt
braucht, um leben zu können, nicht mehr auf die Taten der Menschen, sondern er richtet sie durch Jesus
Christus selbst auf, und es genügt, an ihn glauben, um nach der Gerechtigkeit leben zu können: "Jetzt aber
ist unabhängig vom Gesetz Gottes Gerechtigkeit, die vom Gesetz und von den Propheten bezeugt wird,
offenbar geworden, Gottes Gerechtigkeit aber aus dem Glauben an Jesus Christus für alle Glaubenden"
(Röm 3,21f). [Das ist die paulinische Rechtfertigungslehre; der Ausgangspunkt für Lehre Martin Luthers.]
1 Petr 1,14-16: Neues, heiliges Leben aus dem Glauben im Unterschied zum früheren: "Als Kinder des
Gehorsams richtet euch nicht nach den Lüsten, die euch früher, zur Zeit eurer Unwissenheit, beherrschten,
sondern, wie jener heilig ist, der euch berufen hat, so sollt auch ihr heilig werden in jeglichem Wandel. Es
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steht ja geschrieben: 'Heilig sollt ihr sein, weil ich heilig bin'." Die Unterscheidung 'früher – jetzt = sich
nach Lüsten richten, die beherrschen – der Berufung zur Heiligkeit in Freiheit entsprechen.
3. Zur Theologie der Buße
Die Sünder ermangeln der Herrlichkeit Gottes. Von der Herrlichkeit Gottes kommen aber
Leben und Seligkeit, Anerkennung und Liebe, sowie das Gesetz (Tora), das die rechten Mittel
zur Selbsterhaltung anweist.
Weil die Sünder all das nicht haben, aber brauchen, nehmen sie es sich von anderen. Sünde
ist darum im eigentlichen Sinne Götzendienst. Sünder nehmen sich von anderen
Menschen/Dingen, was sie nur von Gott bekommen können, und sie wollen selber wie ein
Gott verehrt, anerkannt, gelobt, geliebt werden. Da das Verlangen der Menschen nach
Anerkennung und Daseinssicherung unersättlich ist, kennt die Macht der Sünde keine Grenze.
Sünden reißen Löcher, die nur durch andere Sünden gefüllt werden können. Darum ist "der
Tod der Sünde Sold" (Röm 6,23).
Die Vergebung besteht darin, dass sich Gott in seiner Herrlichkeit offenbart. Wer Gott in
seiner Herrlichkeit kennt und liebt, muss nicht mehr sündigen, während das Dasein
ohne Gott zur Sünde gezwungen ist. Allerdings wird erst durch die Offenbarung der
Herrlichkeit Gottes der "natürliche" Kampf um's Dasein als Sünde erkennbar; es wird dann
auch klar, dass sich alles böse Tun eigentlich gegen Gott richtet. Dass Gott sich den Sündern
in seiner Herrlichkeit offenbart, bezeugt seine Gnade, Barmherzigkeit und "Gerechtigkeit"
(im Sinne von Röm 3).
Die Gebote zeigen die Sünden an, sie sind der Index für die Sünden. Denn das Gesetz
Gottes ist das Gesetz des Lebens aus der Fülle, das dem Gesetz der Sünde und des Todes
diametral gegenübersteht.
Wenn wir dies auf das Bußsakrament im engeren Sinn anwenden, zeigt sich folgendes:
Zur Buße gehören die Elemente Bekenntnis (confessio), Reue (contritio), Genugtuung (satisfactio) und
Versöhnung (reconciliatio, bzw., als Lossprechung von den Sünden, absolutio). Diese Elemente folgen nicht so
aufeinander, dass der Sünder zuerst die ersten drei Stücke geleistet haben muss, um die Versöhnung zu erlangen
(das wäre krasse Werkgerechtigkeit!). Vielmehr geht die Versöhnung mit Gott der Buße voran in dem Sinne,
dass erst ein Wissen (Glauben) um Gottes Herrlichkeit und Gerechtigkeit die eigene Schuld als Schuld erkennbar
macht und daraus dann die Aufforderung erwächst, sich zur eigenen Schuld zu stellen, sie zu bekennen, sie
aufrichtig* zu bereuen und alles, was möglich ist, zur Genugtuung zu tun (das schließt den Vorsatz ein, sich zu
ändern). Die Lossprechung (Absolution, am Ende der Einzelbeichte) markiert den Endpunkt des ganzen
Prozesses, der von Anfang an von der Vergebung Gottes getragen ist und anders gar nicht zustanden käme. Die
Absolution sagt: Du kannst wieder neu anfangen – du bist nicht mehr durch deine Sünden an deine
Vergangenheit gebunden.
Mehr, als es hier geschehen kann, wäre der Zusammenhang von Schuld, Vergebung und Stellvertretung zu
bedenken (vgl. dazu aber unbedingt: GESTRICH, 320-375). Dieser Zusammenhang ist komplex, er betrifft die
Beziehung Gott-Christus-Sünder und die Beziehung der Christen untereinander. Nur soviel dazu: Alle
Sakramente zielen darauf, dass die Gläubigen mit Christus "ein Leib" werden, d.h. dass sie ein neues Sein
erhalten, das nicht mehr von ihren Sünden her bestimmt ist, sondern von der Gerechtigkeit Jesu. Sie werden ein
neues Geschöpf (s. zu Taufe und Eucharistie!). In Bezug auf die Buße sagt nun die Theologie: Gott rechnet uns
nicht unsere Sünden an, sondern die Gerechtigkeit (manchmal sagt man auch: die Verdienste) Christi. Er
betrachtet uns so, als wären wir Christus. Christus ist vor Gott unser Stellvertreter, er hat unsere Sünden
stellvertretend getragen. Was an der Gerechtigkeit Gottes in der Welt fehlt (was die Sünden an Löchern gerissen
haben), das hat er durch sein Leiden am Kreuz aufgefüllt. Wenn wir nun in Christus ein neuer Mensch werden,
befreit von der Macht unserer Sünden, dann können wir auch an einander Stellvertretung üben. Das bedeutet:
Was ein sündiger Mensch in der Gemeinde zuwenig hat, was er an Mangel produziert, das kann durch andere
Gläubige stellvertretend gegeben werden. Dies ist möglich wegen der überreichen Gnade – da braucht keiner
ängstlich auf seiner Selbstbewahrung zu beharren, sondern kann sogar noch anderen geben, was diesen fehlt.
Konkret: Wenn jemand z.B. die Umwelt mehr belastet als gut ist, können es andere weniger tun, als angemessen
ist – das Gleichgewicht ist wieder hergestellt. Wenn jemand mehr Anerkennung braucht als ihm zusteht, können
andere sie ihm geben – sie haben ja von Gott her genug davon. – Insgesamt gilt: Das Gegenteil zu einem Leben
*
Die Scholastiker unterscheiden zwischen attritio (der Reue, die nur Selbstmitleid ist und aus egoistischen
Motiven erfolgt) und contritio (wahrhafte Reue oder Zerknirschung, die um des angerichteten Schadens willen
entsteht und die die Vergebung zur Voraussetzung hat).
34
unter dem Gesetz der Sünde, das überall nur Mangel hervorruft, ist ein Leben in der Struktur der Stellvertretung,
das anderen gibt, was diese nicht selber leisten können. Wenn man das bedenkt, sieht man auch, dass
Stellvertretung überhaupt die Struktur gelingenden Lebens ist, in der Natur wie in der Gesellschaft.
4. Zur Geschichte der Buße
Im folgenden rede ich nur von den Formen der ordentlichen Kirchenbuße und lasse alle Formen der direkten,
privaten Vergebung außer Acht, obwohl sie natürlich den größten Teil der Wirklichkeit der Buße ausmachen.
Um den komplexen Gang der Entwicklung zu vereinfachen, unterscheide ich grob drei Phasen:
1. Die öffentliche Kirchenbuße in der Alten Kirche
2. Die Privatbeichte im Mittelalter
3. Die Besinnung auf den sozialen Aspekt der Buße in unserem Jahrhundert
Zu 1.
In der ersten Zeit der Kirche war die Vergebung der Sünden nur mit der Taufe verbunden; man erwartete, daß
die Getauften nicht mehr sündigten. Unter dem Druck der Verhältnisse wurde dann die "zweite Buße"
(paenitentia secunda) eingeführt. Sie hatte drei Bestandteile:
- Die Exkommunikation des Sünders (dessen Vergehen bekannt waren: Mord, Ehebruch, Glaubensabfall in den
Verfolgungen) in einem öffentlichen Akt vor der ganzen Gemeinde. Der Sünder gehörte jetzt zum Stand der
Büßer und durfte nicht mehr an der Eucharistie teilnehmen.
- Die Bußzeit, die nach der Schwere des Vergehens berechnet war und in der ganz bestimmte Leistungen zu
erfüllen waren: z.B. Ausschluß von Ämtern, Gebetsübungen, asketische Übungen oft schwerster Art,
Verzichtsleistungen (etwa auf ehelichen Verkehr), soziale Maßnahmen.
- Die Versöhnung mit der Gemeinde (Rekonziliation) nach Ablauf der Bußzeit.
Dieses sehr schwere Bußverfahren konnte jeder Christ nur einmal durchmachen. Fiel er nochmals in Sünde, gab
es keine Versöhnung mit der Gemeinde mehr. Aus diesem Grunde neigte man dazu, die Buße bis zum Ende des
Lebens zu verschieben. Schließlich verschwand sie nahezu aus dem Leben der Gemeinden oder wandelte sich zu
einem Sterbesakrament.
Zu 2
Ab dem 6. Jhd. wurde das europäische Festland durch Mönche aus England, Irland und Schottland missioniert.
Sie waren es gewöhnt, im Kloster ihre Vergehen regelmäßig vor dem Abt zu bekennen. In ihren fränkischen
Missionsgebieten entwickelte sich aus dieser klösterlichen Praxis eine neue Form der Kirchenbuße (iroschottische Bußreform), die zunächst übrigens auf den Widerstand der Kirche stieß. Hier war nun das
Bekenntnis der Sünden (confessio) das entscheidende Element. Es sollte mit Reue und Zerknirschung (contritio)
einhergehen. Auf Grund dessen sprach der Priester die Absolution aus (zuerst deprekativ - bittend - , später
indikativ - zusagend aufgrund seiner Vollmacht). Er legte schließlich noch eine Genugtuungsleistung auf
(satisfactio), die nach der Buße zu verrichten war. So entstand die Beichte. Das 4. Laterankonzil 1215 machte
die jährliche Beichte zur Pflicht
Die mittelalterlichen Theologen versuchten mit einiger Mühe, die Sakramententerminologie auf die Buße
anzuwenden. Bekenntnis, Reue und Genugtuung sollten die "Materia" des Sakramentes sein, die Absolution die
"Form": Beides konnte nur zusammen wirken. Diskutiert wurde aber auch die Frage, ob nicht die vollkommene
Reue schon zur Vergebung der Sünden genügt. In diesem Zusammenhang muß auch von der Laienbeichte die
Rede sein (persönliches Bekenntnis vor einem Mitchristen), die es in der Ostkirche immer gab und die auch im
Westen im Notfall stets zugelassen war.
Im Zusammenhang der iro-schottischen Bußreform ist auch das Institut des Ablasses zu verstehen. Die
Bußleistungen waren ja nach der Absolution zu verrichten. Für bestimmte Sünden gab es dabei bestimmte
Genugtuungen ("Tarifbuße"); sie waren die "zeitlichen Sündenstrafen" (reatus poenae, im Unterschied zu der
Verhaftung an die Sünde - reatus culpae - ). Nun hatte es sich eingebürgert, dass diese Bußleistungen
umgewandelt, ersetzt oder durch Zahlungen abgelöst werden konnten. Wurde bspw. jemandem eine Wallfahrt
auferlegt, konnte er auch einen Vertreter schicken. Daraus entwickelte sich der Ablass: der Erlaß zeitlicher
Sündenstrafen aufgrund bestimmter Leistungen. Wenn man nun noch die Fegefeuerlehre hinzunimmt, die sich
im Frühmittelalter entwickelte, legte sich die Vorstellung nahe, dass Bußleistungen auch im Jenseits zu
verrichten waren. Der Ablass wurde dann als Erlaß jenseitiger Sündenstrafen aufgefaßt, der aufgrund des
Gnadenschatzes der Kirche (thesaurus ecclesiae) möglich sein sollte. Bei den Aufrufen zu den Kreuzzügen im
12. und 13. Jhd. stellten manche Prediger, z.B. Bernhard von Clairvaux, einen vollkommenen jenseitigen Ablaß
für die diejenigen in Aussicht, die an den Kreuzzügen teilnehmen würden. Zu dieser Zeit war eine solche Zusage
theologisch noch gar nicht gedeckt, aber die Theologie beeilte sich, den so einträglichen Ablaß nachträglich zu
begründen. So wurde er zu einer Haupteinnahmequelle der mittelalterlichen Kirche.
Dagegen richtete sich bekanntlich der Protest Martin Luthers. Obwohl er an dem Wert der Buße festgehalten hat
(sie wurde und wird ja noch in der lutherischen Kirche praktiziert, wenn auch selten), hielt er doch den Ablass
sowie auch die Auffassung, dass das Bekenntnis und die Reue des Sünders eine Voraussetzung darstellen, um
die Vergebung zu empfangen, für einen Ausdruck von krasser Werkgerechtigkeit (Das ist der Inhalt seiner
berühmten 95 Thesen von 1517). Für ihn handelte es sich darum, dass sich der Mensch im Angesicht Gottes
seiner Schuld bewußt wird und dann im Glauben die Vergebung empfängt (simul iustus et peccator). Buße ist
35
also ein Grundvollzug der gläubigen Existenz und braucht nicht mehr unbedingt in einzelnen Akten konkretisiert
zu werden. - Das Konzil von Trient schärfte die bisherige Bußlehre und -praxis gegen die Reformatoren ein,
verzichtete aber darauf, eine umfassende Bußlehre zu entwickeln.
Zu 3
Da der Kommunionempfang mit der vorhergehenden Buße traditionell verkoppelt waren, führte der häufigere
Kommunionempfang seit Anfang des Jahrhunderts (Pius X.) zu einer großen Zunahme der Beichthäufigkeit
(die häufige Beichte ist also eine vorübergehende Erscheinung in der Kirchengeschichte!). Seit Mitte des Jhds.
löste sich die Verkoppelung auf, und die Beichte wurde weniger und weniger praktiziert.
Für die neuere Theologie war Entdeckung, dass die Buße in der Alten Kirche ganz anders praktiziert wurde als
heute, eine Art Schlüsselerlebnis (Wichtigste Beiträge dazu von Bernhard Poschmann). Die gängige Bußpraxis
wurde dadurch in Frage gestellt und zugleich der ekklesiale, soziale Aspekt der Buße ganz neu entdeckt.
In der Liturgiereform wurde versucht, den neuen Einsichten gerecht zu werden. Im Mittelpunkt steht die
Versöhnung mit der Kirche und mit Gott. Die neue Theologie der Buße ließ sich aber mit der Form der
Ohrenbeichte schwer vereinbaren. Die römische Bußordung von 1973 (ordo poenitentiae, dt. 1974) führte als
neue Form die gemeinschaftlichen Bußandachten ein. Sie sollen regelmäßig in den Gemeinden gehalten werden,
aber die Einzelbeichte nicht ersetzen.
5. Die heutige Ordnung der Buße
Vgl. GOTTESLOB, 54-67; KUNZLER aaO.
Die "Ordnung der Buße" von 1973 kennt drei Formen der sakramentalen Buße:
1. Die Einzelbeichte (mit den Elementen: Begrüßung – Bekenntnis – Übertragung eines Bußwerks – Reuegebet
– Lossprechung. Diese hat die Formel: "Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung
seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den
Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen
des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen."
2. Die Feier der Versöhnung in Verbindung mit einer Bußandacht und anschließender Einzelbeichte
3. Die gemeinschaftliche Feier der Versöhnung mit allgemeinem Bekenntnis und Generalabsolution (nur in
Notsituationen. Den Bischofskonferenzen bleibt die Entscheidung überlassen, ob in ihrem Gebiet generell eine
solche Notsituation vorliegt (z.B. bei Priestermangel); die dt. Bischofskonferenz hat dies für Deutschland
verneint.)
Neu eingeführt ist der Bußgottesdienst ohne sakramentale Absolution (mit den Elementen Eröffnung,
Schriftlesung, Homilie, Besinnung, Reuegebet, gemeinsames Bekenntnis, Gebet um Vergebung der Schuld)
Anmerkung: Die Einzelbeichte ist wegen der Besinnung auf die je persönliche Schuld unersetzbar. Sie sollte sich
jedoch nicht nur auf schuldhaftes Verhalten im unmittelbaren zwischenmenschlichen Bereich beschränken,
sondern auch die öffentliche, gesellschaftliche Verantwortung des Pönitenten beinhalten: Umweltverhalten,
Konsumgewohnheiten, politisches Handeln. Die Bußandacht ist keine leichtere Form der Buße, die einem das
persönliche Bekenntnis erspart, sondern bezieht sich auf die Art der Schuld, die die kirchliche
Gemeinschaft/Gemeinde als Ganze auf sich geladen hat. Wo ist sie ihr Zeugnis schuldig geblieben, wo hat auch
sie nur Selbsterhaltung betrieben, wo hat sie Wichtiges versäumt? Das ist ein weites, weithin unbearbeitetes
Feld.
6. Zur Rolle des Priesters
Der Priester handelt in der Beichte nicht als Richter, der die Schuld bemisst und das Urteil
(Absolution=Freispruch) verkündet. Er spricht vielmehr in amtlicher Vollmacht die von Gott her geschenkte
Vergebung definitiv aus. Er repräsentiert das "extra nos" der Vergebung, die nicht von Menschen kommt,
sondern von Gott. Er ist auch Repräsentant der Kirche, insofern er dem Pönitenten den Glauben an die Liebe
Gottes, der in der Kirche gegeben ist, verbindlich mitteilt. – Ich meine: Auch ohne Priester ist bei Vorliegen von
Bekenntnis, Reue und Genugtuung eine vollkommene Vergebung möglich. Es gehört aber zum Bekenntnis, dass
man es jemandem bekennt; das innere Zwiegespräch reicht nicht aus. Dieser jemand kann auch ein Mitchrist
sein; die spezielle Rolle des Priesters bei der Beichte entspringt eher der pastoralen Klugheit. Es ist m.E. leichter,
der Amtsperson zu beichten als einem Menschen, der einem persönlich bekannt ist. Dazu gehört auch das
amtliche Beichtgeheimnis, das der Priester unbedingt einhalten muss. Mit einem guten "Beichtvater" kann sich
ein langdauerndes Vertrauensverhältnis einstellen.
7. Zur Beichte der Kinder
Hier gebe ich nur meine persönliche Meinung wieder: Die in der Kirche geübte Kinderbeichte nimmt die Kinder
als moralisches Subjekt ganz ernst. Auch Kinder werden schuldig und sind fähig, ihre Schuld zu erkennen und
zu bekennen (sobald die das "Alter der Unterscheidung" erreicht haben, d.h. wenn sie über eine Sprache
verfügen, mit der sie über sich selbst reden können). Die Kinderbeichte widerspricht der heute üblichen
Pädagogisierung der Kindheit, bei der die Kinder nur als Objekt der Belehrung Erwachsener betrachtet werden.
Bei der Beichte werden die Kinder wie Erwachsene behandelt, und das ist gut so. Zu widerstehen ist der
Versuchung, die Kinderbeichte selbst zu pädagogisieren, d.h. sie nur als Einübung zu praktizieren und die Härte
des Sündenthemas von den Kindern fernzuhalten (also nicht nur ein Gespräch über "eure Probleme"). Wenn die
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Kinder die wirkliche Dimension von Schuld und Vergebung nicht ihrem Leben entdecken, werden sie es als
Jugendliche und Erwachsene auch nicht mehr tun.
D. Das Sakrament der Krankensalbung
Lit: FABER, 142-149; KUNZLER, 457-466; HÖHN (hilfreiche Ausdeutung des Ritus), 94-102; ART. KRANKENSALBUNG/
4
ART. KRANKHEIT UND HEILUNG, in: RGG BBd. 4, 1725-1734; G. GRESHAKE, LETZTE ÖLUNG ODER KRANKENSALBUNG?
PLÄDOYER FÜR EINE DIFFERENZIERTERE SAKRAMENTALE THEORIE UND PRAXIS, in: Geist und Leben 56 (1983) 119-136.
1. Gedanken über Krankheit, Gesundheit und Heilung
"Ich bin krank" – eine Störung ist aufgetreten: etwas an meinem Körper, das bisher im Stillen funktionierte,
geht nicht mehr – ich kann dagegen nichts oder wenig machen – etwas ist in meinem Körper, das gegen mich
arbeitet – ich habe Schmerzen, mein Körper kommuniziert mit mir – ich werde mir meines Körpers und seines
Zusammenhangs mit der Seele/der Psyche ganz anders bewusst – ich merke: ich habe oft nicht genug auf meinen
Körper geachtet – viele andere haben auch meine Krankheit: etwas geht um, das uns krank macht – ich bin auf
die Hilfe anderer angewiesen, bin abhängig – ich bin nicht selbstmächtig, souverän – ich werde von vielem
ausgegrenzt, gehöre nicht mehr fraglos zum Bereich der Lebenden, der Aktiven – Menschen sehen und
behandeln mich anders; sind sie ehrlich? – meine Würde ist beeinträchtigt – ich kann berufliche und private
Ziele jetzt nicht, vielleicht nie mehr, erreichen – ich werde sterben, vielleicht schon bald –ich leide.
Krankheit kann nicht eindeutig definiert werden. Die Definition von Krankheit ist kulturell abhängig vom
Gegenbegriff Gesundheit/Wohlbefinden. Ältere Kulturen sehen immer den Zusammenhang von individueller
Krankheit, Störung des Gemeinschaftslebens und Störung der kosmischen/göttlichen Ordnung. Priester sind in
allen Kulturen die ersten Heiler. Ihre Aufgabe ist es oft, den Grund der Krankheit (Schädigung durch Feinde,
Strafe der Götter/Ahnen, eigenes Fehlverhalten?) auszumachen. Heilung der Krankheit bedeutet dann immer
auch Wiederherstellung der gestörten Ordnung.
Die Neuzeit hat aufgrund der Trennung von Leib und Seele (Descartes!) Krankheit in der Regel als
Funktionsstörung der Körper"maschine" aufgefasst, die durch medizinische Eingriffe wieder funktionsfähig
gemacht werden muss. Ziel ist dabei nicht die Beseitigung der Schmerzen, sondern die Wiederherstellung der
Funktion. Daneben tritt eine mehr oder weniger professionalisierte psychosoziale Betreuung der Kranken, der
man auch die Religion zuordnet (vgl. das Verhältnis von Ärzten und Seelsorgern im Krankenhaus).
In der Neuzeit ist Gesundheit mehr oder weniger stillschweigend mit Arbeitsfähigkeit (im Sinne der industriellen
Arbeitsgesellschaft) gleichgesetzt worden. Wer nicht arbeitsfähig ist, muss auf Zeit oder dauerhaft aus der
Gesellschaft ausgegrenzt werden (vgl. die Studien zur Zunahme der Kranken-, Irren-, Erziehungs- und
Gefängnisanstalten im 19. Jh. von KLAUS DÖRNER!). Krankheit wird vorrangig als Exklusionskriterium benutzt.
Krankheit bedeutet Unterbrechung der Karriere und Minderung des Selbstwertgefühls (vgl. U. BECK/E. BECKGERNSHEIM, RISKANTE FREIHEITEN, 1994, 316-335). Im Sinne der Arbeitsunfähigkeit gilt auch das Alter zunehmend
als Krankheit und wird intensiv therapeutisiert.
Das moderne Medizinalsystem arbeitet mit dem Code gesund/krank. Aber nur die Seite der Krankheit ist im
System anschlussfähig, die Gesundheit bleibt unbearbeitet. Die Autopoiesis des Systems führt dazu, immer mehr
Zustände als Krankheit zu definieren. Darauf reagiert eine Anspruchsinflation an das Gesundheitswesen, die
zunehmend finanzielle Probleme schafft (geht die Entwicklung so weiter, müssen wir schon in 10 Jahren 50%
aller Einnahmen für die Krankenbehandlung aufwenden). Da das Kalkül des Leidens nicht im ökonomischen
Kalkül aufgerechnet werden kann, müssen die Individuen selbst ihr Anspruchsniveau bestimmen (vgl. dazu
GLU. GLOSSAR ZU NIKLAS LUHMANN, VON C. BARALDI u.a., Frankfurt ³1999, 115-119 und die dort gegebene Lit.).
2. Biblische Schlüsselszenen
In der Bibel ist verhältnismäßig wenig von Krankheiten die Rede! Israeliten/Juden waren weniger krank als die
anderen Völker. Grund dafür dürften die strengen Hygiene-/Reinigungsvorschriften sein, vgl. Lev Kap. 10-15;
Dtn 7,15: "Gott wird jede Krankheit von dir fernhalten und all die schlimmen Seuchen Ägyptens, die du ja
kennst, nicht über dich kommen lassen". (dazu A HÜTTERMANN, AM ANFANG WAR DIE ÖKOLOGIE, NATURVERSTÄNDNIS
IM ALTEN TESTAMENT, München 2002, 70-99). Erst in der Umgebung Jesu ist vermehrt von Krankheiten die Rede.
Er lebte in einer Gesellschaft, in der die Toraregeln kaum mehr eingehalten werden konnten, und die durch
krankmachende, dämonische Einflüsse beherrscht war.
Ps 41: Gebet eines/einer Kranken. Die Klage geht vor allem über die soziale Ausschließung: "Schlimmes reden
von mir meine Feinde: 'Wann wird er sterben? Wann wird sein Name vergehn?' Kommt einer, um nach mir zu
sehen, so redet er Falschheit ... Sogar mein Freund, auf den ich vertraute, ... hat gegen mich die Ferse erhoben."
Gilt der/die Kranke vor den Menschen als versehrt, als todesnah, so doch nicht vor Gott: "Mich aber bewahrst du
unversehrt, und lässt mich vor dir bestehen auf ewig." Der erste Vers sieht einen Zusammenhang zwischen der
Hilfe Gottes und dem eigenen Dienst an den Bedürftigen: "Selig, wer des Dürftigen gedenkt und des Armen, Gott
wird ihn retten am Tag des Unheils." Der Kranke erfährt sich nicht als handlungsunfähig, sein erstes Wort ist das
Wort des Gebots.
Hi 19: der Kranke, auch noch von Gott verlassen. Ijob erfährt eine Desintegration nicht nur von den Menschen
("Fern halten sich meine Brüder von mir ... die Gäste meines Hauses haben mich vergessen ... selbst meine
Mägde sehen mich als Fremden") und von sich selbst ("Mein Fleisch verwest mir unter meiner Haut, und mein
37
Gebein ist bloßgelegt wie Zähne"), sondern, und das ist sein tiefstes Leiden, auch von Gott: "Sein Zorn
entbrannte wider mich, er schätzt mich ein als seinen Feind ... Vereint nun rücken seine Scharen an." Seine
Hoffnung richtet sich nicht auf Heilung der Krankheit, sondern darauf, dass die gestörte Rechtsbeziehung zu
Gott wiederhergestellt wird: "Erkennt doch, dass Gott mein Recht gebeugt ... Ich weiß gewiss, dass mir ein
Anwalt lebt ... ich werde Gott – aus meinem Fleische – schauen ... er wird für mich sein." Ijob bestreitet für seine
Person den Tun-Ergehens-Zusammenhang, den ihm seine Freunde vorhalten. Dieser ist sonst im AT öfters
vorausgesetzt.
Mk 2,1-12 und öfters: Jesu Wunderheilungen. Jesus kann Kranke heilen; die Apostel werden es ihm später
gleich tun (Apg 3,1-0; 14,8-12 u.ö.). Jesus sieht einen Zusammenhang zwischen der Lähmung und den Sünden,
er vergibt Sünden und heilt. Joh 5,1-18: Der Kranke muss auch gesund werden wollen! Joh 9: Die Krankheit
(Blindheit) ist nicht direkte Folge der Sünde des Kranken oder seiner Eltern, aber die Welt, in der er lebt, ist von
Unehrlichkeit, Verstellung und Sünde geprägt. Da gibt es einen Zusammenhang. – Man achte auf die Art der
Krankheiten, die Jesus heilt: Lähmung – Blindheit – Stummheit – verdorrte Hand – Krankheiten, die sozial
ausgrenzen (Aussatz, Blutfluss): das sind doch wohl alles sozial konditionierte Krankheiten!
Mt 10,7f: Aussendung der Zwölf. "Das Himmelreich ist nahe gekommen. Heilet Kranke, erwecket Tote, macht
Aussätzige rein, treibt Dämonen aus." Diese Dinge stehen im Zusammenhang. Das Himmelreich vertreibt
Dämonen, hebt Aussatz (Ausgrenzung) auf, erweckt Tote oder todesnahe Menschen, macht Kranke gesund. Das
Himmelreich ist stärker als die dämonischen Mächte, die Krankheit, Tod, Ausgrenzung verursachen.
1 Kor 12,9: Neben anderen Charismen gibt es in der Gemeinde auch die Heilungsgabe. Heilung gehört zum
Glauben wie Erkenntnis, Prophetie oder Ekstase (Zungenrede).
Jak 5,14-16: Krankensalbung in der Gemeinde. "Ist jemand unter euch krank? Er soll die Presbyter der
Gemeinde zu sich rufen lassen. Die sollen über ihn beten, indem sie ihn mit Öl salben im Namen des Herrn. Und
das Gebet des Glaubens wird den Kranken retten, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden
begangen hat, so wird ihm vergeben werden. Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, auf dass
ihr Heilung erlangt." Die Salbung heilt nicht, sie rettet und richtet auf. Der Zusammenhang von Krankheit und
Sünde ist im Blick, seien es die Sünden des Kranken, seien es die Sünden der Gemeinde. Erst aufgrund des
Sündenbekenntnisses kann auch Heilung erlangt werden.
Ein Fazit: Biblisch ist der Zusammenhang von Krankheit und Sünde manifest, auch wenn nicht in jedem Fall
von der Krankheit auf die Sünde des/der Kranken geschlossen werden kann. Aber von Sünde und deren
Objektivierung, von Dämonen geprägten Lebenslagen, lassen Krankheit entstehen. Jesus ist nicht ein
Wunderheiler, er ist ein Mann des Geistes, der stärker ist als der Geist der Sünde und der Lüge, deshalb kann er
Kranke heilen.
3. Zur Theologie der Krankensalbung
Krankheit ist, wie gesagt, immer sozial konditioniert und gesellschaftlich definiert. Ihr
soziales Wesen ist Ausgrenzung, Exklusion. Bei der Krankensalbung wird eine
Umcodierung vollzogen: Wer vor sich selbst und der Welt als krank gilt, gilt vor Gott
und der Gemeinde – also vor den entscheidenden Instanzen – als gesund! Das körperliche
Leiden zieht im Glauben nicht die Ausgrenzung (mit allen ihren Folgen!) nach sich, die es
ansonsten unweigerlich nach sich zieht. Der/die Kranke ist vor Gott unversehrt und kann ewig
vor ihm bestehen. Das rettet und richtet auf, Würde und Integrität sind wieder hergestellt. Die
Krankensalbung bewirkt ein Werden des neuen Menschen wie die anderen Sakramente auch.
Dass Krankheit überhaupt als Exklusionskriterium funktioniert, ist Folge der Sünde. Jede Gemeinschaft, in der
es Kranke gibt, hat zu prüfen, wo die krankmachende Sünde steckt, sie soll sie bekennen und um Vergebung
bitten. Auch der/die Kranke hat zu prüfen, welche Sünden im Zusammenhang mit der Krankheit stehen
(ein Mittel, um Zuwendung zu erzwingen usw.?). – Im Blick auf unsere Gesellschaft kann gesagt werden, dass
sie mehr Krankheit produziert als nötig ist – sowohl von den Ursachen her wie von der Definition und der
Dimension der Ausgrenzung. Krankensalbung ist deshalb auch Kritik an der krankmachenden Gesellschaft
(und Kritik unserer selbst, insoweit wir Teil dieser Gesellschaft sind). Sie ist gerade nicht der billige Trost der
Geschädigten, der der Religion zugewiesen wird.
Es bleiben das körperliche Leiden, die Beeinträchtigung und der Schmerz. Gegen sie sind die
Bestimmungen der Tora und ggf. die Bemühungen einer (hoffentlich humanen!) Medizin
gerichtet. Körperliche Leiden sollen so weit wie möglich verhindert werden, sie
widersprechen Gottes Lebenswillen. Sorge für die Kranken ist von Gott geboten.
Christen wissen aber, dass körperliche Fitness nicht alles ist. Sie können sich dem Gesundheitswahn unserer
Tage ("health is wealth") verweigern und auch in Schwäche, Abhängigkeit und vielleicht sogar in Leiden und
Schmerz einen Gewinn sehen. Manche können vielleicht dem hl. Paulus folgen: "In allem sind wir bedrängt,
aber nicht erdrückt, im Zweifel, aber nicht verzweifelt, verfolgt, aber nicht verlassen, zu Boden geworfen, aber
nicht umgebracht. Allzeit tragen wir das Sterben Jesu an unserem Leibe herum, damit auch das Leben Jesu an
unserem Leibe offenbar werde. Ständig nämlich werden wir, während wir am Leben sind, dem Tode
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überantwortet um Jesu willen, damit auch das Leben Jesu sich offenbare an unserem sterblichen Fleische." Man
beachte: Hier sucht nicht einer das Leiden um seiner selbst willen, hier bezeugt einer die Kraft des Lebens.
4. Zur Geschichte der Krankensalbung und der "letzten Ölung"
Die Jak 5,14-16 (und Mk 6,13) bezeugte Salbung der Kranken unter Gebet und Sündenbekenntnis war offenbar
Praxis in der Alten Kirche. Die Gläubigen brachten Naturalien (Weizen, Öl etc.) in den Gottesdienst, um sie
segnen zu lassen. Sie verwendeten sie für sich selbst oder andere, auch für Kranke. Papst Innozenz I
unterscheidet 416 zwischen diesem allgemeinen Gebrauch des Öls und seiner Verwendung für die
Krankensalbung, die dem Bischof oder Priester vorbehalten blieb. Er sprach bereits von einem Sakrament der
Krankensalbung. Nachdem im frühen Mittelalter die Salbung aus der Übung gekommen war, wurden die Priester
angehalten, sie zu spenden – mindestens bei Todesgefahr. Damit ergab sich die Sinnverschiebung hin zur
"letzten Ölung" (ultima unctio). Fortan bis in unser Jahrhundert hinein wurde die Salbung (häufig zusammen mit
Beichte und Krankenkommunion) als Sterbesakrament gespendet. Die Bedeutung sah man vor allem in der
Vorbereitung zu einem guten Sterben und in der Sündenvergebung im Hinblick auf das Gericht nach dem Tode.
Als Sterbesakrament war die Salbung gefürchtet (Priester als Todesengel), und auch aus dem Grunde, dass man
aufgrund des Sakraments nach einer etwaigen Genesung bis zum Tode in einer Art Büßerstand verblieb (z.B. mit
den 'gesalbten' Füßen nicht mehr tanzen durfte).
Luther lehnte das Sakrament mit der Begründung ab, nicht aus jeder biblischen Anweisung folge eine Sakrament
(es gebe ja trotz Mk 16,17 kein S. der Schlangenvertreibung). Dazu hatte er eine positive Einschätzung der
Krankheit 'als Gewinn' für den Christen.
Das II. Vatikanum löste die Krankensalbung von ihrer Bindung an die Sterbestunde und erneuerte den Ritus (SC
73). Im Mittelpunkt der Erneuerung stand die ekklesiale Bedeutung des Sakraments.
5. Ritus und Element der Krankensalbung
Vgl. GL 76;Kunzler aaO. 461-463; Höhn aaO. 96-99
Nach dem Ordo unctionis infirmorum von 1972 vollzieht sich das Sakrament in folgenden Schritten:
• Eröffnung: Begrüßung, Tauferinnerung, Schuldbekenntnis, evtl. Beichte
• Wortgottesdienst: Lesungen, Ansprache, Fürbitten
• Kernhandlungen: – schweigende Handauflegung – Dankgebet für das Öl oder Weihe des Öls – Salbung auf
die Stirn und die inneren Handflächen mit den Worten: "Durch diese heilige Salbung helfe dir der Herr in
seinem reichen Erbarmen, er stehe dir bei mit der Kraft des heiligen Geistes. Der Herr, der dich von Sünden
befreit, rette dich, in seiner Gnade richte er dich auf. Amen." [Im alten Ritus wurde an fünf Stellen des
Körpers, stellvertretend für die fünf Sinne, gesalbt] – Abschließendes Priestergebet.
• Schlußriten: Vaterunser, ggf. Krankenkommunion, Segen.
Zu den Elementen: Die schweigende Handauflegung scheint wie gegen die überflüssigen und oft falschen Worte
am Krankenbett gerichtet. – Salbung auf Stirn und Handflächen meint den ganzen Menschen als denkendes und
handelndes Wesen. – Die Salbung mit Öl kann als symbolisches Heilmittel verstanden werden. Für zutreffender
aber halte ich: Das Öl ist Zeichen für den gesunden, wohlriechenden, kraftvollen Menschen. Als solcher wird der
Kranke durch das Sakrament angesehen. Dazu passt: Salbung der Sinne und der Haut. Durch diese Organe hat
ein Mensch Kontakt mit der Umwelt. Wo die Krankheit diesen Kontakt, diese Berührung unterbricht, wird sie
im Sakrament wieder her gestellt. Der Kranke ist wieder berührbar.
6. Spendung durch Priester oder durch Laien?
Die Krankensalbung ist seit dem 5. Jh. für Bischof und Priester reserviert; das Tridentinum hat das ausdrücklich
bestätigt. Dagegen wird argumentiert: Es hat vorher und daneben immer auch die Spendung durch Laien
gegeben – Stärkung in der Krankheit ist ein Dienst unter Christen –warum sollte nicht ein Laie in der
Krankenhausseelsorge, der den Kranken begleitet, auch das Sakrament spenden; warum muss er erst den Priester
rufen, der den Kranken gar nicht kennt? Diese Argumente sind stark. Dagegen steht: Das Sakrament bewirkt
eine offizielle Gesunderklärung im Namen Gottes und der Kirche, das kann nur der Priester als amtlich
Bevollmächtigter tun. – Ich meine: Es sollte bei der vorgeschriebenen Form bleiben (Spendung durch Priester),
weil die theologisch-ekklesiale Bedeutung sonst leicht verlorengehen kann (bzw. sie kann nur in dieser Form
wieder vermittelt werden). Der Priester handelt nicht als Freund und Begleiter des Kranken, sondern als
Vertreter der Kirche in der Vollmacht, das Werden des neuen Menschen zu verkündigen. – Daneben kann und
sollte es aber rituelle Formen der Salbung durch Laien (etwa im Krankenhaus) geben, nach dem Vorbild der
Alten Kirche. Hier stehen dann Trost, Anteilnahme und Stärkung im Mittelpunkt.
7. Krankensakrament oder Sterbesakrament?
Mit guten Gründen ist die Krankensalbung vom Geruch des angstmachenden Sterbesakraments befreit worden.
Andererseits kann auch nicht jede leichte Erkrankung oder etwa das Überschreiten eines bestimmten
Lebensalters Anlass für das Sakrament sein. Es bleibt auch von seinem theologischen Sinn her auf schwere
Erkrankungen bezogen und gerät damit ohnehin in die Nähe des Sterbens. Die Kirche sollte die allgemeine
Verdrängung des Todes und der Todesmöglichkeit nicht mitmachen. So ist es angemessen, das Sakrament auch
in der Sterbestunde, und mindestens da, zu begehen. Der Charakter des von Gott zugesprochenen Lebens
39
(vgl. Ps 41: "Mich aber bewahrst du unversehrt, und lässt mich vor dir bestehen auf ewig.") wird hier besonders
relevant. Aber nichts spricht (entgegen der früheren Gewohnheit) für eine häufigere Spendung bei schwerer
Krankheit. Sehr sinnvoll sind auch gemeinschaftliche Feiern des Sakraments in der Kirche.
E. Das Sakrament der Ordination (Weihe)
Lit.: FABER, 150-175 [besonders ergiebig!]; KUNZLER, 467-478 [zum Weiheritus]; HÖHN, 122-131 [mit
Problematisierung seines ästhetischen Ansatzes]; REINHARD MARX, PETER SCHALLENBERG (Hg.), "IHR SEID DER BRIEF
CHRISTI", Paderborn: Bonifatius 1999 [zur priesterlichen Spritualität]; HANS DOMBOIS, HIERARCHIE. GRUND UND
GRENZE EINER UMSTRITTENEN STRUKTUR, Freiburg: Herder 1971 [historisch und kirchenrechtlich zur Hierarchie]
1. Probleme des Amtes in der katholischen Kirche
Die Rede über das Amt in der Kirche ist mit zahlreichen Problemen belastet. Zu diesen Problemen zählen:
• Biblische Begründung: eine Begründung des Amtes in seiner heutigen Gestalt aus der Bibel ist nicht
möglich. Von einer Einsetzung des Amtes durch Jesus kann nicht direkt gesprochen werden.
• Geschichtliche Entwicklung: Die Ämter der Kirche haben eine komplexe, wechselvolle Entwicklung
durchlaufen. Einiges erscheint aus heutiger Sicht als Fehlentwicklung. Dazu gehört vor allem die
Verkoppelung von
• Amt und Macht bzw. Vollmacht: Die Amtsträger üben Leitung aus. Problematisch ist (war) aber die
Verbindung von sakramentaler Weihe und bestimmten Vollmachten – als wenn der Priester etwas könnte,
was andere nicht können (z.B. 'wandeln', Sünden vergeben – deswegen war er "Hochwürden"). Was
bedeutet "Hierarchie" – eine Machtstruktur? Das Amt stellt die Frage, wie in der Kirche mit Macht
umgegangen wird.
• Verhältnis von besonderem und allgemeinem Priestertum: Wenn dies als Grundlage für eine ZweiKlassen-Gesellschaft in der Kirche verstanden wird, wird es falsch verstanden. Was meint aber dann der
Unterschied? Hier ist auch noch zu fragen, inwieweit das Weiheamt wesentlich Priesteramt ist. Ist die
priesterliche Tätigkeit (Darbringung des Opfers in der Eucharistie) das Wesentliche des Amtes?
• Verhältnis der Weiheämter zu den hauptamtlichen Laiendiensten: Heute üben Laien Dienste aus, die
früher den Priestern vorbehalten waren. Warum werden sie dann nicht geweiht? Was ist der Unterschied von
Beauftragung und Weihe? Worin liegt das Besondere des priesterlichen Amtes? In den den Priestern
vorbehaltenen Sakramenten (oder ist die Konzentration auf das Sakramentale nur eine Folge des
Priestermangels)? – Ein weiteres Problem ist das Verhältnis des Weihesakraments zu den "Ministeria"
(Lektor, Akolyth), die von den ehemaligen niederen Weihestufen übriggeblieben sind. Angehende Priester
werden dazu ordiniert, Laien, die diese Dienste ausüben, nicht.
• Zugangsbedingungen: Zölibat und Ablehnung der Frauenordination; keine demokratische Vergabe der
Ämter – ist das begründet, muss es dabei bleiben? Sind diese Bedingungen der Grund für den
Priestermangel? Ist die Kirche sexualitäts- und frauenfeindlich? Hängen die Zugangsbedingungen auch mit
der Machtfrage zusammen?
• Ökumenische Problematik: Die Reformation hat das Weihesakrament und die Gestalt des katholischen
Amtes abgelehnt. Wegen des Amtsdefektes in den Kirchen der Reformation wird ihnen katholischerseits das
Kirchesein und die Gültigkeit des Abendmahles bestritten.
• Priestermangel: Die Kirche droht in weiten Teilen am Priestermangel zugrunde zu gehen. Kann der
Priestermangel als ein Anruf Gottes zu einer Neuordnung des Amtes (und der Zugangsbedingungen)
aufgefasst werden?
Dies sind noch nicht einmal alle Probleme, die hier zu nennen sind. Nicht auf alle kann ich eingehen, geschweige
eine Lösung anbieten. Ich versuche nur, Grundinformationen und –orientierungen zu vermitteln. Dann muss
weitergedacht werden.
2. Biblische Schlüsselszenen; Ämter im Neuen Testament
Ex 18,13-26: Einsetzung von Richtern. Mose spricht ganz allein Recht. Da sagt sein Schwiegervater Jetro: "Das
ist nicht gut, wie du das machst." Mose folgt seinem Rat und setzt tüchtige, gottesfürchtige Männer über 1000,
100, 50 und zehn ein. – Die Urszene der Ämterverteilung. Jemand, der von außen kommt, sagt: Da musst du was
ändern!
Ex 29,22-29; Lev 8 u. 9: Einsetzung der Priester. Sie werden unter Salbung für den Opferdienst geweiht, als
eigener Stand eingesetzt. Das Priestertum ist erblich, geht von Aaron auf seine Söhne über. Die Priester
bekommen einen Anteil an den Opfern (Priesterhebe), von dem sie leben können. – Ist diese Anordnung nach
dem Ende des Opferdienstes im Tempel noch gültig?
Num 27,12-22; Dtn 34,9f: Josua, "ein Mann, in welchem Geist ist", "erfüllt vom Geist der Wahrheit", bekommt
unter Handauflegung ein Leitungsamt mit Autorität. Gott zu Mose: "Tritt einen Teil deiner Hoheit ab!" Nach
Moses Tod wird Josua sein Nachfolger als Leiter. Aber: "In Israel stand fortan kein Prophet mehr auf wie
Mose." – Josua führt das Amt des Moses fort, ohne ihn zu ersetzen.
Jes 6,1-13: Berufung des Jesaja. Jesaja sieht die Herrlichkeit Gottes im Himmel – "Wehe mir. ich bin verloren.
Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen..." Da berührt ein Engel mit einer Glühkohle seinen Mund: "Deine
Schuld ist hinweg genommen und deine Schuld ist getilgt." Der Prophet lässt sich nun senden. Was er zu
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verkünden hat: Die, die hören, verstehen nicht, die, die sehen, erkennen nicht. Das Volk wird nicht zur Einsicht
kommen, deswegen droht von Gott Zerstörung und Verödung. – Auch der Amtsträger hat teil am prophetischen
Amt Christi.
Jer 1,4-17: Berufung des Jeremia. Gott hat ihn schon vom Mutterleib an erkannt und ausgesondert. Jeremia aber:
"Ach, Herr, ich weiß nicht zu reden, ich bin zu jung." Gott darauf: "Sag nicht: Ich bin zu jung. Sondern: wohin
immer ich dich sende, dahin wirst du gehen, und was immer ich dich heiße, das wirst du reden." Die Aufgabe
des Propheten: er ist über Völker und Königreiche gesetzt, um "auszurotten und niederzureißen, zu verderben
und zu zerstören, aufzubauen und zu pflanzen". Angst braucht er keine zu haben: "Hab keine Angst vor ihnen ...
denn siehe, ich mache dich heute zu einer festen Stadt und zu einer eisernen Säule". – Der Amtsträger ist nicht in
diesem Sinne ein Prophet, aber auch sein Amt verdankt sich einer Berufung.
Ämter im Neuen Testament: Jesus sammelt Jünger und Jüngerinnen um sich, die er aussendet. Dies kann nicht
als Gründung einer Kirche mit Ämtern verstanden werden, sondern als Mitarbeit an seiner Sendung. Die Zwölf
(Mk 3.3-19; Lk 6,12-16) sind besonders abgegrenzt; sie stehen für die Sammlung der zwölf Stämme Israels. In
der nachösterlichen Gemeinde werden sie zu den Aposteln (=Gesendeten), die nun für die Kontinuität mit Jesus
bürgen. Ihr Kriterium ist Augenzeugenschaft. In der Urgemeinde Jerusalems haben sie neben den Presbytern
(=Ältesten) Leitungsfunktion inne, die im Zuge der Heidenmission offenbar abnimmt (Gal 2,1-10 erwähnt ein
Dreierkollegium unter Jakobus, Apg 21,18-26 nur noch die Ältesten). Die frühen Gemeinden sind zunächst um
"Häuser" und ihre Leiter gruppiert, später übernehmen sie von Jerusalem die Presbyteroi als Leitungsgremium.
Die Korinther Gemeinde kennt Apostel, Propheten und Lehrer (1 Kor 12) und weitere Ämter, der Phil spricht
bereits die episcopoi (=Bischöfe; der Begriff stammt aus der griechischen Verwaltungssprache) an und neben
ihnen die Diakonoi (=Diener, der Begriff ist christlichen Neuprägung). Der Eph kennt Evangelisten, Hirten
(Episkopen) und Lehrer. Die Episkopen setzen sich im heidenchristlichen Bereich gegenüber den
palästinensichen Presbytern immer mehr durch. Die Pastoralbriefe (1/2 Timotheus, Titus) sprechen von
Episkopen, denen Presbytern und Diakone (auch Diakonninen, vgl. 1 Tim 3,11) untergeordnet sind; sie setzen
sich für die Episkopalverfassung ein, wobei die Episkopen als Nachfolger der Apostel (des Paulus) gelten. – Das
NT hat also eine bunte Ämterstruktur, je nach dem Bedarf der Gemeinden. Das Amt und seine Autorität leiten
sich von Christus und dem Geist her, es besteht nur in der Bindung an das Evangelium (so schon Röm 1,1:
"ausgesondert für das Evangelium"; 2 Kor 4,5-7: "Wir verkünden nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als
den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu Willen ... Wir tragen aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen,
damit das Übermaß an Kraft auf seiten Gottes sei und nicht bei uns."). Die Amtseinsetzung geschieht unter
Gebet und Handauflegung (Apg 1,24-28; 6.1-6) und wird durch Fasten begleitet. Sie wird auf Gott und den Geist
zurückgeführt (Apg 9,11-16; 13,2; 20,28), parallel dazu ist aber auch von der Bestellung durch die Zwölf
(Apg 6,6) bzw. durch Paulus (14,23) die Rede. Göttliches und menschlichen Tun wirken zusammen.
1 Kor 4,9-13: Die Leiden des Apostels. "Denn mir scheint, als hätte Gott uns Apostel als die Allergeringsten
hingestellt, wie solche, die bestimmt sind zum Tode. Denn zum Schauspiel sind wir geworden der Welt, den
Engeln und den Menschen ... wie ein Abschaum von allem bis zur Stunde." – Diese Leiden braucht man nicht zu
suchen, aber sie stellen sich offenbar mit dem Amt ein. Wo sie ganz fehlen...
2 Tim 1,6-7: Handauflegung und Gnade. "Entfache die Gnade Gottes wieder, die in dir ist durch die Auflegung
meiner Hände. Denn Gott gab uns nicht einen Geist der Verzagtheit, sondern der Kraft, der Liebe und der
Besonnenheit." – Ein Amt haben heißt, Dinge tun zu können, die nicht aus eigener Kraft stammen.
3. Zur Theologie der Ordination
Die Kirche ist keine Gemeinschaft wie irgendeine andere, und auch ihr Amt ist nicht ein Amt
wie irgendein anderes. Die Kirche hat ihr Sein nicht aus sich selbst, sondern von Gott (durch
Christus im Heiligen Geist). Sie hat ihre Existenz "ab extra" (von außen). Für diese Existenz
ab extra steht das Amt in der Kirche. Es ist das sichtbare Zeichen für die unsichtbare
Wirklichkeit, dass Christus in der Kirche selbst handelt und gegenwärtig ist.
Durch die Weihe kommt jemand in die Lage, als Repräsentant Christi in der Kirche zu
wirken. Er handelt fortan "in persona Christi", d.h. er handelt von Amts wegen nicht mehr als
er selbst, sondern all sein Tun repräsentiert Christus. So wird er also ein neuer Mensch – wie
es bei allen Sakramenten geschieht. Und deswegen ist die Ordination ein Sakrament!
Diese Repräsentation ist nicht als Stellvertretung oder als Vertretung eines Abwesenden zu verstehen. Der
Amtsträger vertritt vielmehr den anwesenden Christus. Er ist dessen sichtbares Zeichen – so wie Christus an
anderer Stelle durch Brot und Wein oder durch das vollmächtige Vergebungswort des Priesters vertreten wird.
Daraus ergibt sich die für das katholische Amtsverständnis grundlegende Unterscheidung
von Amt und Person, die Augustinus im donatistischen Kampf durchgefochten hat. Es ist
eigentlich Christus als "minister principalis", der im Priester als "minister instrumentalis"
handelt.
Für den Ordinierten gilt von Amts wegen, kraft sakramentaler Gnade, Gal 2,20: "Ich lebe, doch nicht mehr ich,
Christus lebt in mir." Daraus folgt, dass sein persönliches Charisma, seine Fähigkeiten, seine Sittlichkeit usw. für
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seine Amtstätigkeit nicht konstitutiv sind. Ein vom Priester gespendetes Sakrament wird nicht besser, wenn der
Priester besser ist, und es wird nicht schlechter, wenn er schlecht ist. Die frühe Kirche hat daraus die
Konsequenz gezogen, bei der Nachfolge im Apostelamt das Martyrium vom Amt zu scheiden (vgl. ERIK
PETERSON, ZEUGE DER WAHRHEIT, in: ders., Theol Traktate, München 1951, 165ff). Allerdings hält die Kirche fest,
dass die Amtsgnade dem Menschen, dem sie verliehen ist (ohne sein Verdienst!), auch nicht äußerlich bleibt,
sondern ihn als ganze Person prägt – und zwar wieder unabhängig von seiner persönlichen Disposition. Die
Weihe, so sagt man, verleiht einen character indelebilis (einen unauslöschlichen Charakter). Auch das
Versprechen der Ehe- (und Familien!)losigkeit (Zölibat) steht in diesem Zusammenhang: Der Amtsträger kann
kraft der ihm verliehenen Gnade auf die üblichen Mittel der Daseinssicherung und Selbstsetzung verzichten, als
da sind Besitz (er verspricht Armut), Selbstbehauptung und –bestimmung (-Gehorsam) und Familie bzw.
Fortpflanzung (- Keuschheit). Dieser Verzicht ist nicht Leistung, sondern Resultat der Gnade des Amtes.
Der Amtsträger steht in eine "In – Gegenüber – Struktur" zur Gemeinde. Als Mensch und
Christ steht er in der Gemeinde, als amtlicher Repräsentant Christi steht er ihr gegenüber. Er
hat teil am allgemeinen Priestertum, und von Amts wegen am besonderen.
Das bedeutet in Bezug auf die priesterliche Tätigkeit im engeren Sinne, die Feier der Eucharistie: Es ist die
ganze Gemeinde, die Eucharistie feiert, nicht bringt der Priester das Meßopfer für die Gemeinde dar (wie man
früher fälschlich sagte). Er repräsentiert aber in dieser Feier den anwesenden Christus und damit das "extra nos"
des Heils, das in der Eucharistie gefeiert wird. Der Priester ist also nicht wesentlich Priester (vgl. die
priesterkritische Theologie des Hebr: Mit dem Opfer des Hohenpriesters Christus sind alle priesterliche Opfer zu
Ende). Dies gilt analog für alles priesterlich Tun, dessen Wesen es ist, das göttliche Heil für die Menschen zu
vermitteln. Darum sagt das Vatikanum II, LG 10, zu Recht: "Das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen und
das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und
nicht bloß dem Grade nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nimmt auf je
besondere Weise am Priestertum Christi teil." Das Amtspriestertum ist nicht eine graduelle Steigerung des
allgemeinen Priestertums, sondern etwas wesentlich anderes.
Das katholische Verständnis des Amtes könnte "etwas pointiert ... als ekklesiale Konsequenz
der [reformatorischen] Rechtfertigungslehre beschrieben werden" (Faber, 151): nicht aus
Verdienst, nur aus Gnade ist der Mensch vor Gott gerecht bzw.: ist der Amtsträger
Repräsentant Christi. Das ist richtig, doch genau hier scheiden sich auch die Wege mit den
Kirchen der Reformation.
Luther und die Reformation bestreiten, dass das extra nos der rechtfertigenden Gnade sich in der Kirche als
Institution bzw. in der Person des Amtsträgers verleiblichen kann. Sie erkannten auf Werkgerechtigkeit: die
Kirche oder der Priester wollen selbst etwas zum Heil beitragen (wenn auch nur aufgrund der Gnade). Die
katholische Unterscheidung von Amt und Person war ihnen nicht vollziehbar (dazu gab ihnen der Blick auf die
spätmittelalterliche Kirche Anlass). Diese Unterscheidung ist auch die schwierigste. Sie ist plausibel nur im
Vollzug der Liturgie! Sie ist auch in der Geschichte der Kirche am allerhäufigsten missgedeutet worden im
Sinne einer besonderen Amtsvollmacht des Priesters als Person.
Die Aufgaben des Amtsträgers sind: Die Verkündigung des Wortes und die Feier der
Sakramente. In Wahrnehmung dieser Aufgaben hat er teil am dreifachen Amt Christi: Dem
Hirten-, Propheten- und Priesteramt (=Leitung, Verkündigung, Heiligung).
Nur das hat der Amtsträger von Amts wegen zu tun! Die Verkündigung ist wesentlich Predigt, d.h. Auslegung
des Wortes der Heiligen Schrift im Sinne der Lehre und des Glaubens der Kirche. Eigene Meinungen
vorzutragen gehört nicht zu den Aufgaben des Bischofs/Priesters. Bei der Sakramentenspendung genügt es,
wenn sie recht gespendet werden, also im Sinne der Kirche und der von ihr vorgegebenen Form. Das Hirten(Leitungs-)amt wird ebenso wie die anderen Ämter durch die Wahrnehmung dieser Aufgaben ausgeübt,
nicht durch eine besondere Leitungsvollmacht darüber hinaus. Die Weihe bedeutet nicht die Ermächtigung zu
institutioneller Macht. – Der Begriff Hierarchie (heilige Ordnung) bezieht sich deswegen im eigentlichen Sinne
die Aufteilung der Rollen beim Gottesdienst (=hierarchia ordinis; zu ihr gehören Bischof, Priester und Diakon).
Erst sekundär ist die Hierarchie in Bezug auf Gesetzgebungs- und Leitungsaufgaben hinzugetreten
(=hierachia iurisdictionis; zu ihr gehören Papst, Bischof und Priester). Letzere gehört nicht wesentlich zum Amt
in der Kirche und könnte auch anders geregelt werden; vgl. etwa die Frage: Muss der Vorsteher der Eucharistie
auch der Gemeindeleiter sein? Antwort: Das muss nicht sein.
Die Unterscheidung von Weiheamt und Laiendiensten (hauptamtlichen: für sie erfolgt eine
Beauftragung) darf nicht so verstanden werden, als ob die Amtsträger nicht dienen (sondern
herrschen). Auch das Weiheamt ist ein Dienstamt. Insoweit es den Dienst der Verkündigung
und Sakramentenspendung vollzieht, ist dafür die Ordination notwendig (wegen der
Repräsentation des gegenwärtigen Christus in der Kirche).
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Es kann theologisch nicht angehen, dass diese Dienste ohne Ordination ausgeübt werden, also etwa durch
hauptamtliche Laien. Dass die Ordnung für die Laiendienst so geregelt ist, dass es an diesem Punkt immer
wieder Konflikte entstehen, ist ein gravierender Missstand, den die Laienmitarbeiter/innen nicht zu verantworten
haben (sie führen an die Sakramente heran, dürfen sie aber nicht spenden; das Weiheamt wird nur durch
Reservationen und durch Befugnisse von den Laiendiensten unterschieden). Dieser Zustand muss sich
baldmöglichst ändern, wobei die theologischen Vorgaben absolut klar sind!
4. Zur Geschichte des Weihesakraments
Die Umstände des 2. Jhds. (Irrlehren, Umdeutung des Glaubens durch die Gnosis im heidenchristlichen Kontext)
führten bald zur Durchsetzung des Mon-episkopats (Bischofsverfassung; wichtige Beiträge von Ignatius von
Antiochien und Irenäus von Lyon). Hier ging es nicht nur um Leitung, sondern um die Bewahrung des
apostolischen Erbes in wechselnden Zeiten. Apostolizität (repräsentiert durch den Bischof) und Kanonizität
(Bindung an die Heilige Schrift) legen sich gegenseitig aus; der Bischof steht nicht über der Schrift.
Es entsteht die Ordnung Bischof-Presbyter-Diakone. Platonisches Denken konnte darin eine heilige Ordnung
erkennen, die unabhängig von ihrem Dienst in der Kirche begriffen wurde (so vor allem Pseudo-Dionysius
Areopagita, 5. Jh.). Dieser Gefahr wehren u.a. kirchliche Verbote der absoluten Weihe (=Weihe ohne
Seelsorgeaufgabe).
Das Priesterliche (Sazerdotale; Priester=sacerdos) spielte in der Alten Kirche zunächst eine untergeordnete
Rolle, trat aber bald stärker hervor. Im Zuge der Übernahme alttestamentlicher Reinheitsvorschriften für Priester
kommt es hier teilweise zur Zölibatsverpflichtung (zuerst Synode von Elvira, Spanien, 305).
Das Mittelalter verstärkt zwei Tendenzen: – Das Priesteramt als Weg persönlicher Vervollkommnung
(kommt vom monastischen Leben her; Zunahme der Priestermönche ab etwa dem 8. Jh.); – die
Sazerdotalisierung des Amtes (Amt wird wesentlich vom sakramentalen Opferdienst aus begriffen; Priesteramt
als Vollmacht, das heiligende Opfer für die Gläubigen zu vollziehen; das Bischofsamt bedeutet demgegenüber
keine Steigerung; Priesteramt als eigener "Stand der Vollkommenheit"; Kirche als "Gemeinschaft der
Ungleichen" – so noch das Vaticanum I [1870] in einer nicht mehr verabschiedeten Erklärung).; niedere Weihen
[Subdiakon, Akolyth, Exorzist, Lektor] verlieren an Bedeutung.
Luther findet die durch solche Klerikalisierung deformierte Kirche vor. Er bestreitet die Sakramentalität des
Amtes, beschränkt es strikt auf Predigt und Sakramentenspendung; schwankt bei der Frage, ob das Amt auf der
Delegation durch die Gemeinde oder auf der Einsetzung durch Gott beruht; hält aber an der Ordination fest.
Im Gefolge des Konzils von Trient (1545-1563), das sich zur Amtsfrage nur undeutlich äußert, werden viele
Missstände beseitigt. Es kommt zu besserer Priesterausbildung, Reform der Seelsorge, Durchsetzung des
Zölibats. Die tridentinische Kirche ist aber mehr als je zuvor eine Kirche des Klerus gewesen.
Das Vatikanum II begründet das Priesteramt in einer Theologie des Volkes Gottes (allgemeines Priestertum!),
wertet das Bischofsamt auf (die Diözese ist die eigentliche Ortskirche), spricht bevorzugt vom Presbyter und
nicht vom Priester (im Sinne von sacerdos); führt den ständigen Diakonat wieder ein.
Die neuere Theologie bemüht sich, ein Profil des geistlichen Amtes in Unterscheidung zu Laiendiensten
herauszuarbeiten. Durch die gleichzeitigen Unsicherheiten im Eucharistie- (Messopfer oder Liebesmahl?),
Sakraments- (Symbol?) und Kirchen- (Glaubensverein?)verständnis fällt dies aber schwer. Meines Erachtens
rührt der Priestermangel nicht primär vom Zölibat oder anderen Beschränkungen her, sondern von der unklaren
Profilierung des Priesteramtes! Die heutige Praxis des Amtes, fundiert durch eine unklare Lehre, stellt eine
strukturelle Überforderung dar und ist wenig anziehend.
5. Zum Ritus und den Zeichen der Weihe
Die Ordination erfolgt für Bischöfe, Priester und Diakone. – Das Mittelalter hatte den altkirchlichen Weiheritus
(Gebet und Handauflegung; bei Bischofsweihe: Mitwirkung von mindestens drei Bischöfen der
Nachbarbistümer) durch zahlreiche Zugaben überlagert (Überreichung der Amtsinsignien, der Messgeräte usw. –
Letzteres wurde sogar im Zuge der Sazerdotalisierung als forma sacramenti gedeutet). In der vom II. Vatikanum
angeregten Überarbeitung der Ordinationsliturgie stehen wieder Handauflegung und Weihegebet im
Mittelpunkt.
Dazu kommen weitere begleitende Riten. Jeweils geht ein Gelöbnis des Kandidaten, seine Amtspflichten zu
erfüllen, und ein Gehorsamsversprechen voraus. Dann bei der Bischofsweihe: Handauflegung durch alle
anwesenden Bischöfe; Auflegung des Evangeliars auf das Haupt des Kandidaten; Salbung des Hauptes,
Übergabe des Evangeliars, des Ringes, der Mitra, des Stabes; Führung zur Kathedra; Kuss zur Aufnahme in den
neuen Stand. Bei der Priesterweihe: Handauflegung des Bischofs und aller Priester; Anlegen der Amtskleider;
Salbung der Hände; Übergabe von Brot und Wein; Kuss zur Aufnahme. Bei der Diakonenweihe:
Handauflegung des Bischofs allein; Übergabe der Amtskleider; Übergabe des Evangeliars; Kuss zur Aufnahme.
Das Weihegebet betont nicht mehr wie früher die Amtsvollmachten, sondern ist Anrufung Gottes und Bitte um
die Amtsgnade: (aus dem Weihegebet für Priester, vgl. GL 71): "Allmächtiger Gott, wir bitten dich: Gib deinen
Knechten die priesterliche Würde. Erneuere in ihnen den Geist der Heiligkeit. Gib, o Gott, dass sie festhalten an
dem Amt, das sie aus deiner Hand empfingen; ihr Leben sei für alle Ansporn und Richtschnur. Segne, heilige
und weihe deine Diener, die du erwählt hast."
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Die (unter Schweigen vollzogene) Handauflegung meint nicht die Übertragung von Vollmacht auf den
Kandidaten durch den Spender (und so könnte das Zeichen ja in seiner natürlichen Bedeutung verstanden
werden!), sondern die leere Hand steht gerade für die Wirkung der Gnade, der die Menschen – Spender und
Geweihter – alles verdanken. HÖHN, 123: "Von sich aus ist der Priester nichts und hat er nichts. ... Es sind leere
Hände. Auch der Neupriester hat in diesem Augenblick nichts in den Händen": das Zeichen der Leere steht für
die Fülle.
6. Zum Zölibat
Die Einführung des Zölibats hat mehrere Motive (s.o.: priesterliche Reinheit; aber auch: Ersatz für das
Martyrium; Verachtung der Welt im Namen der christlichen Askese), von denen die Vermeidung der Weitergabe
kirchlichen Vermögens an die Erben der Bischöfe/Priester das durchsetzungskräftigste gewesen sein dürfte
(s. dazu einen Aufsatz von VIKTOR CONZEMIUS, den ich zur Zeit nicht verifizieren kann). Außerdem spielt er eine
schwer zu überschauende Rolle für die Wertschätzung und Autorität des Priesters in den Augen der Gläubigen
(das ist ein nicht zu vernachlässigendes soziologisches Argument). In der Alten Kirche wurde der Zölibat nur
ausnahmsweise praktiziert, im Mittelalter zwar häufig eingeschärft, er konnte von der Mehrheit der einfachen
Priester aber schon aus Gründen der Existenzsicherung nicht eingehalten werden. Theologisch kann der (oder:
das) Zölibat nur begründet werden als Zeichen der Inanspruchnahme des Geweihten durch die Gnade, die ihn auf
die Mittel der Daseinssicherung verzichten können lässt. Er steht im Zusammenhang der evangelischen Räte
Armut, Gehorsam und Keuschheit, die allerdings allen Christen geboten sind und nicht zur Ehelosigkeit führen
müssen. Er sollte nicht begründet werden durch die Verachtung der 'sündigen' Sexualität oder durch das (bloß
pragmatische) Argument der "Verfügbarkeit".
Der Zölibat ist ein Zeichen, das heute – im Zeitalter der Singles – weithin nicht mehr verstanden wird.
Unverstandene Zeichen braucht es aber nicht zu geben. Sollte er ein Grund für den Priestermangel sein, sollte er
überdacht und ggf. abgeschafft werden. Aber nicht ersatzlos! Welches Zeichen kann es sonst geben, das anzeigt,
dass ein Mensch, der von berufswegen aus der Gnade Gottes lebt, anders lebt; der mit seinem Dasein das
beglaubigt, wovon er spricht? Materielle Armut? Zinsverzicht? Autoverzicht? Aber mit welcher Autorität kann
das eingefordert werden? Wie kann das kontrolliert werden? Und wie kann es gefordert werden, ohne die
Familie des Priesters zu schädigen? Wenn ich mich zu entscheiden hätte zwischen einer ersatzlosen Aufhebung
des Zölibats und seiner Beibehaltung, würde ich mich für... ich weiß es nicht. Welche Leiden ist das Zeichen des
Zölibats wert, wenn es so umstritten ist? Und wenn nur deswegen so viele Gemeinden unversorgt sind?! Aber
was würde aus dem kirchlichen Amt, was aus der Kirche ohne eine dem Amt entsprechende Lebensform?!
7. Zur Frauenordination
Die Begründungen, die kirchlicherseits gegen die Frauenordinatin vorgebracht werden, überzeugen mich nicht:
Auch Jesus habe nur Männer zu Aposteln gemacht; der Priester handle in persona Christi, was einschließe, dass
er auch das Geschlecht Christi teile; er steht der Kirche (als der Braut) wie der Bräutigam (Christus) gegenüber,
und diese Symbolik stimme nur, wenn er ein Mann ist (Vgl. dazu die apostolischen Lehrschreiben INTER
INSIGNORES von 1976 und ORDINATIO SACERDOTALIS von 1994: Letzteres erklärte die Diskussion für unwiderruflich
beendet). Dass die Kirche in ihrer langen Geschichte keine Frauen ordiniert hat, muss nicht auf
Frauenfeindlichkeit schließen lassen; sie hat sich nur den Geschlechterverhältnissen der Zeit angepasst
(in neutestamentlicher und frühchristlicher Zeit hat es allerdings Diakoninnen, vielleicht auch Presbyterinnen
gegeben. Ab dem 3. Jh. sind sie allerdings vom männlichen Amt verdrängt worden, wobei eine Rolle die
Verfügung über die kirchlichen Finanzen gespielt haben kann, die vorher zu großen Teilen in den Händen der
"Witwen" (=Frauen, die die Armenfürsorge verwalteten), lag. Episkopen wollten diese Verwaltung in ihre Hand
bringen – so eine Untersuchung von GEORG SCHÖLLGEN. Heute muss sich die Kirche zur Gleichberechtigung der
Frauen verhalten, und ihr Verhalten muss als frauenfeindlich gelten, solange es nicht anders begründet wird.
Ich sehe keine theologischen Gründe gegen die Frauenordination. Die Zulassungsbedingungen für das Amt
festzusetzen liegt in der Kompetenz der Kirche, die sich nach den pastoralen Erfordernissen zu richten hat. Die
Verweigerung der Frauenordination schadet der Kirche erheblich, wegen des negativen Images und wegen des
pastoralen Notstands. Niemand in der Kirche hat das Recht, den Gläubigen den priesterlichen Dienst
vorzuenthalten (wie es de facto geschieht). Und es kann kein Zweifel sein, dass Frauen das Amt in der Kirche
ebenso gut ausüben können wie Männer, wenn auch (so ist ja auch zu hoffen) anders.
Dennoch gibt es zwei Argumente gegen die Ordination von Frauen, die ernst zu nehmen sind. Das eine ist die
Verbindung von Amt und Zölibat. Es hätte wohl wenig Sinn, Frauen zu weihen und am Zölibat festzuhalten.
Dazu würde die Ehelosigkeit bei Frauen als Zeichen ganz anders verstanden werden als bei Männern, vor allem,
wenn man sie als Familienlosigkeit ansieht. Ich beziehe mich hier nicht auf Geschlechterstereotypen, sondern
auf die öffentliche Wahrnehmung. – Das andere Argument halte ich für gravierender, aber es ist schwer zu
fassen: Das katholische Amtsverständnis beruht auf der Unterscheidung von Amt und Person. Man sieht den
Liturgen im Gottesdienst und kann dabei vergessen, wer er ist. Bei Frauen ist das nach meiner Erfahrung nicht so
leicht möglich. Vielleicht weniger deshalb, weil Frauen das in Bezug auf die eigene Person nicht können
(das will ich nicht beurteilen; und es ist ja auch nicht unbedingt eine menschliche Stärke, das tun zu können. In
der Vergangenheit haben gerade die Frauen in Bezug auf die männlichen Amtsträger diese Unterscheidung sehr
gut vollziehen können!), sondern wohl eher deshalb, weil Männer in Bezug auf Frauen dazu nicht in der Lage
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sind. Das sagt mir alle Erfahrung; gerne ließe ich mich eines anderes belehren. Wenn das aber so ist, so folgt
daraus: Frauen würden das Amt anders darstellen, es würde an ihnen anders wahrgenommen als es der
bewährten katholischen Tradition entspricht. Frauenordination wäre also ein großes Risiko. – Aber alles
zusammengenommen meine ich: Dieses Risiko sollten wir heute eingehen!
F. Das Sakrament der Ehe
Lit.: FABER, 178-192; KUNZLER, 479-492 (mit Informationen zum orthodoxen Eheverständnis); Höhn, 116-122;
MARKUS KNAPP, GLAUBE-LIEBE-EHE. EIN THEOLOGISCHER VERSUCH IN SCHWIERIGER ZEIT, Würzburg: Echter 1999; LUZIA
SUTTER-REHMANN, KONFLIKTE ZWISCHEN IHM UND IHR. SOZIALGESCHICHTLICHE UND EXEGETISCHE UNTERSUCHUNGEN ZUR
NACHFOLGEPROBLEMATIK VON EHEPAAREN, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2002 (enthält völlig neue
Erkenntnisse zum jesuanischen "Scheidungsverbot"); CODEX DES KANONISCHEN RECHTS (CODEX IURIS CANONICI), hg.
im Auftrag der dt. Bischofskonferenz, Kevelaer: Butzon&Bercker, 1983, 470-513.
1. Schwierigkeiten der Ehen heute; die Tapferkeit in der Ehe
Soziologische Perspektiven: In allen Kulturen wurde die Ehe als die Institution der Reproduktion der
Gesellschaft gepflegt. Je nach den äußeren Erfordernissen wandelte sich ihre Form (So verweist die Polygamie
auf den Bedarf nach einer großen Nachkommenschaft; die Monogamie auf die anspruchsvoller gewordene
Sozialisationsaufgabe an den Kindern).
In vorindustrieller Zeit war die Ehe vor allem Produktionsgemeinschaft, in der Industriegesellschaft noch
Versorgungsgemeinschaft. In beiden Formen waren ihr ständische Beschränkungen auferlegt. Das Motiv der
Liebesgemeinschaft ist jüngeren Datums (18. Jh. – Romantik); seine Voraussetzung war u.a. die Entkoppelung
von Wirtschaft und Ehe/Familie; die Notwendigkeit ständischer Beschränkungen entfiel. Der Familie nunmehr
jetzt vor allem die Erziehungsaufgabe zu: die Kinder auf den Bedarf der Industriegesellschaft vorzubereiten.
Mit der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft geht die Privatisierung und Personalisierung der Ehe
einher. Ehe ist jetzt der Raum privaten Glücks, dessen Gestaltung von Ansprüchen der Öffentlichkeit entlastet
ist. Dementsprechend geht die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Eheschließung zurück ('wilde Ehen', vorund außereheliche Lebensgemeinschaften – die libertäre Moral folgt diesen soziologischen Entwicklungen nur
nach). Ehe wird häufig nur noch wegen der Kinder geschlossen. Die Diskussion um die Gleichstellung
gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften mit der Ehe deutet an, dass auch die Kinder aus der neueren
Definition der Ehe als Raum privaten Glücks zunehmend herausfallen.
Längere Ehedauern und erhöhte Glückserwartungen an die Ehe (dazu: U. BECK, E. BECK-GERNSHEIM: DAS
GANZ NORMALE CHAOS DER EHE, Frankfurt: Suhrkamp 1990), die Entkoppelung von Sexualität und Ehe (u.a. in
Folge der Empfängnisverhütung), die öffentlich proklamierte Bedeutung sexueller Aktivität und die allgemein
geringere Bindungsfähigkeit (oder –willigkeit – als Folge der durch die kapitalistische Produktionsweise
erfolgten Beschleunigung der Zeit/der Produktentscheidungen) gehen einher mit steigenden Scheidungsraten
und nachlassender Ehewilligkeit. Zum ersten Mal im Laufe der Geschichte ist es nicht mehr ausgeschlossen,
dass die Ehe als Institution fast ganz aus der Gesellschaft verschwindet.
In systemtheoretischer Perspektive ist Liebe ein Medium für hoch unwahrscheinliche Kommunikation:
Jemanden zu lieben bedeutet, die Weltsicht des anderen zur Grundlage der eignen Weltsicht zu machen. Ich
beobachte, wie der/die andere die Welt beobachtet, und richte mich danach – und umgekehrt. Wechselseitige
Beobachtung des Liebens konstituiert Intimität: Ich beobachte, wie der/die andere beobachtet, wie ich ihn/sie
beobachte ('ob ich sie/ihn noch liebe...') und umgekehrt. Diese Verdichtung gegenseitiger Beobachtung macht
Liebesbeziehungen so schwierig (Vgl. N. LUHMANN, LIEBE ALS PASSION, ZUR CODIERUNG DER INTIMITÄT Frankfurt:
Suhrkamp 1997; GLU 110-112).
In diesem Zusammenhang muss das kirchliche Eheversprechen ("Ich nehme dich an als meine Frau/meinen
Mann und verspreche dir Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit. Ich will dich lieben,
achten und ehren, bis der Tod uns scheidet") als ein Akt großer Tapferkeit gewertet werden, der kontrafaktisch
zu allen gesellschaftlichen Entwicklungen steht. Hier gibt jemand willentlich ein Versprechen für alle Zukunft,
nicht zuerst um das eigene Glück, sondern um das Glück der Partnerin/des Partners besorgt zu sein.
2. Biblische Schlüsselszenen
Gen 1,27: "Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn, als Mann und Frau
schuf er sie": Der Mensch kommt biblisch nur als Mann und Frau vor ("ungetrennt und unvermischt"), in der
"Gemeinschaft bleibend Verschiedener" (= Bundesbeziehung) ist/sind Mann und Frau Bild Gottes.
Gen 1,28: "Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch...": Das ist Gottes erstes
Gebot an die Menschen! Heute wird wieder klar, warum es gegeben werden musste. Eine Gesellschaft, die die
Erfüllung dieses Gebots schwer oder unmöglich macht, ist nicht nach Gottes Willen.
Gen 2,18: "Gott sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm
entspricht": Gott weiß von sich aus, was dem Menschen fehlt (er kennt den Menschen vielleicht besser als er
sich selbst).
Gen 2,21-25: Erschaffung der Eva aus der Rippe: Aus dem noch ungeschlechtlichen Menschenwesen ADAM
geht als erste das Weib hervor. Die Frau ist zuerst geschaffen. Erst dann erfährt der Mensch Adam, dass er ein
Mann ist. Und er wird, so schärft es Gott ein, sein Elternhaus verlassen und dem Weibe anhangen.
45
Gen 18,1-15: Erscheinung in Mamre. – Diese Stelle ist exemplarisch für die Bedeutung der "Patriarchenehen"
für Bund, Segen und Verheißung. Gott verwirklicht seine Verheißung 'in, mit und unter' den Ehen.
Dtn 22,13-23,1; 24,1-5; 25,5-10: Ehegesetze des Tora: Sie haben vor allem den Schutz der unverheirateten,
verstoßenen und verwitweten Frauen im Blick. Der Ruf einer Jungfrau darf nicht beschädigt werden;
Vergewaltigung wird bestraft; Scheidung ist möglich (auch von Seiten der Frau – niemand wird gezwungen, in
einer Ehe zu bleiben, die von der Liebe verlassen ist); Wiederheirat (auch der Frau) ist möglich; Witwen können
durch den Bruder des Ehemanns ihr Recht auf Nachkommenschaft sichern.
1 Sam 1: Die als unfruchtbar geltende Hanna bekommt einen Sohn, Samuel. – Wunderbare Geburten sind ein
Zeichen von Gottes Gnade; daraus erschafft er sich Lobpreis (1 Sam 2,1-10: Lobgesang der Hanna).
Hos 2,4-25; 11,1-9: Die Bundes-Liebes-Beziehung zwischen Gott und seinem Volk im Bild der Ehe. Gott bleibt
Israel treu, auch wenn es die Ehe bricht. "Wie könnte ich dein vergessen, Ephraim, wie dich preisgeben, Israel?"
(11,8).
Esra 9 u. 10; Rut: Der Schriftgelehrte Esra verlangt von den Männern, ihre Ehen mit ausländischen Frauen zu
lösen. Es sind meist die Vornehmen und Reichen, die solche Ehen geschlossen haben. Dagegen findet sich als
innerbiblische Kritik das Buch Rut: Die Moabiterin Rut heiratet den Israeliten Boas. Das Problem der Ehen mit
Andersgläubigen ist in der Bibel präsent. Paulus dazu: Will der ungläubige Partner die Ehe mit dem Gläubigen
weiterführen, so soll sie weitergeführt werden; wenn der ungläubige Teil sich scheiden lassen will, dann soll es
so sein (1 Kor 7,12-16).
Mk 10,1-12; Mt 19,3-12: Jesus zur Ehescheidung. Diese Stellen können nach SUTTER-REHMANN nicht als
absolutes Scheidungsverbot ausgelegt werden. Jesus argumentiert hier vielmehr im Rahmen des damaligen
jüdischen Eherechts, bezogen auf die Situation, dass einzelne Ehepartner (auch Frauen) sich ihm anschließen,
während der andere Teil zurückbleibt. Das ist nach Jesu Auffassung kein Grund für eine Ehescheidung, die
Männer sollen bei ihren Frauen bleiben, denn so war es von Anbeginn der Schöpfung.
Eph 5,21-33: Standesunterweisung über die Ehe. Der Eph hält sich an das damalige gesellschaftliche Ehemodell
(Frauen sollen sich den Männern unterordnen) und korrigiert es zugleich (der Mann soll seine Frau so lieb haben
wie sich selbst). Entscheidend für die Begründung der sakramentalen Ehe: "Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie
auch Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat. ... So sind auch die Männer verpflichtet, ihre
Frauen zu lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst" [Dazu im nächsten Abschnitt].
3. Zur Theologie der Ehe (Die Sakramentalität der Ehe)
Die natürliche Ehe ist eine Zweckgemeinschaft. Jemand geht sie ein, weil er/sie von dem/der
anderen Unterstützung, Verständnis, Anerkennung, sexuelle Freuden, Hilfe beim Großziehen
der Kinder etc. erwartet. Ehe ist eine Institution der (auch gesellschaftlichen) Selbsterhaltung.
Bei der sakramentalen Ehe wird der/die andere nicht mehr um eines Zweckes willen
geliebt, sondern um seiner/ihrer selbst willen. Damit wird die eheliche Beziehung durch die
Gnade neu geschaffen. Es entsteht eine Beziehung, die nicht auf dem Gesetz der
Selbsterhaltung beruht.
Die sakramentale Ehe ist eine Bundesbeziehung, die von Gott geheiligt ist, das heißt, dass sie aus der
Wirklichkeit des Bundes Gottes mit den Menschen lebt. Auch Gott liebt die Menschen nicht um seiner selbst
willen, nicht als Zweck, sondern in selbstloser Liebe bis zur Hingabe. Eben das sagt (wie schon der Prophet
Hosea) der Epheserbrief: Liebt einander, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat! Diese
Qualität der Liebe ist weltlich nicht erschwinglich, weil hier alles nach dem Gesetz der Selbsterhaltung geht. Im
Glauben – also befreit von der Sorge um sich selbst – kann sie aber gewagt werden. Das 'wie Christus' ist in der
Wirklichkeit der Taufgnade als ein "in Christus" zu verstehen.
Die sakramentale Ehe ist selbstverständlich unauflöslich und dauert bis zur Trennung durch
den Tod. Denn es gibt ja nun keinen Grund mehr, sich scheiden zu lassen. Nicht erfüllte
Erwartungen, Enttäuschungen, Leiden können in einer sakramentalen Ehe kein Grund für die
Trennung sein, denn es geht ja nicht um mich. Und das gilt wechselseitig bei einer Ehe
zwischen Gläubigen: der/die andere hat keinen Grund, die Trennung zu wollen. Die in der
Gnade ermöglichte Hingabe in der Liebe hat keine Grenze, ebensowenig wie die Liebe Gottes
zu den Menschen in Jesus Christus. Die Eheleute repräsentieren sich gegenseitig die Liebe
Christi, sie sind selbst das Zeichen des Sakraments.
Die theologische Tradition der katholischen Kirche hat die Sakramentalität der Ehe. d.h. die Unterscheidung der
sakramentalen Ehe zur sog. "Naturehe", meistens sehr ungenau bezeichnet. So nennt z.B. das Konzil von Lyon
(1274) zu allen Sakramenten eine Wirkung, nur zur Ehe nicht. Die Theologie hat sich auf die Aussage
beschränkt, dass jede Ehe zwischen Getauften ein Sakrament ist ("eo ipso": CIC Can. 1055). Der Grund für
dieses Versäumnis scheint mir ein dreifacher zu sein:
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1. Auch die "Naturehe" kennt selbstlose Liebe und Hingabe. Die Unterscheidung zur Wirklichkeit der Gnade ist
nicht so scharf wie bei den anderen Sakramenten. Das Sakramentale erscheint wie eine Steigerung und
Vollendung natürlicher Liebe (obwohl Liebe keine Wesensmoment natürlicher Ehen ist).
2. Das Merkmal der Unauflöslichkeit, das aus der Sakramentalität kommt, war in früheren Zeiten praktisch allen
Ehen zu eigen, mindestens insofern sie Versorgungseinrichtungen waren oder es ein staatliches
Scheidungsverbot gab. Dazu war die Ehedauer in der Regel viel kürzer als heute.
3. Der gnadenhafte Charakter der Ehe sollte in ihrem Vollzug verifizierbar sein – jedenfalls mehr als bei anderen
Sakramenten (z.B. Amt, Taufe...). Das opus operatum ist bei der Ehe besonders schwer zu erkennen. Deswegen
hielt man sich diesbezüglich mit allzu klaren Aussagen zurück.
Heute aber steht die Unterscheidung von sakramentalen und nichtsakramentalen Ehen (bzw. Nichtehen) ganz
klar vor Augen, jedenfalls dem Anspruch nach.
Nach katholischer Lehre spenden sich die Eheleute das Sakrament gegenseitig, der
Amtsträger (auch Diakon) assistiert nur.
Diese Lehre entspricht der undeutlichen Unterscheidung zwischen Naturehe und sakramentaler Ehe. Deswegen
galt der Satz "consensus faciat nuptias" (die Ehe wird durch den Konsens der Eheleute geschlossen). Es ist der
"natürliche Konsens", der die Ehe macht; diese wird bei Getauften eo ipso zu Sakrament. Da wir es heute mehr
dann je mit Ehen zwischen getauften Ungläubigen zu tun haben, ist diese Lehre zu überdenken. Natürlicher
Ehekonsens und Sakramentalität sollten deutlicher unterschieden werden. In der griechischen Orthodoxie gilt das
Weihegebet des Priesters als der eigentliche Akt der Spendung des Sakraments, Spender ist also der Priester. Es
wird vorgeschlagen, dieses Verständnis der Sakramentsspendung auch in der kath. Kirche zu übernehmen
(so AUGUST JILEK, DAS GROßE SEGENSGEBET ÜBER BRAUT UND BRÄUTIGAM ALS KONSTITUTIVUM DER TRAULITURGIE, in: K.
Richter (Hg.), Eheschließung – mehr als ein rechtlich Ding, Freiburg: Herder 1989 (QD 120), 18-41. Jilek
argumentiert: Der Konsens der Eheleute ist wie die Wahl oder Ernennung eines Bischofs, zu dem dann noch die
Spendung des Sakraments – Ordination bzw. Segensgebet hin zukommen). Ich halte dies für einen sinnvollen
Vorschlag, der mit einer neuen Besinnung auf die Sakramentalität der Ehe einhergehen muss.
Das Ehesakrament ist ein Sakrament nicht nur der Eheschließung, sondern des Ehevollzugs.
Das ist eigentlich selbstverständlich, wird aber oft vergessen. Der ganze Ehealltag steht unter dem Vorzeichen
der durch den Glauben ermöglichten selbstlosen Liebe. Hier zeigt sich auch, dass die Ehe ein kirchliches
Sakrament ist, dass sie eine wesentliche ekklesiale Dimension hat: Ohne Stützung durch die Gemeinde kann eine
christliche Ehe kaum gelingen, so wie umgekehrt die Gemeinde durch die Ehepaare und Familien aufgebaut
wird.
4. Zur Geschichte der Ehe
Die alte Kirche hielt sich an die Ehegesetze ihrer Umwelt; eine spezifische Trauliturgie ist den ersten
Jahrhunderten nicht nachweisbar. Papst Kallistus (2. Jh.). hat aber etwa die Ehe einer röm. Adeligen mit einem
freigelassenen Sklaven anerkannt, die nach röm. Recht verboten war. Am Scheidungsverbot hielt man prinzipiell
fest, kannte aber Ausnahmen (Mischehe, Ehebruch). Die Ehe stand in den ersten Jahrhunderten in Konkurrenz
zum Ideal der Jungfräulichkeit. Dieses Ideal verhalf vielen Frauen zur Freiheit von drückenden Ehenormen (vgl.
P. BROWN, DIE KEUSCHHEIT DER ENGEL, München: Hanser 1981, 19-47) und stand im Zusammenhang des asketischgegenweltlichen Impulses vieler Christen. Es wurde aber nur selten gegen den Wert der christlichen Ehe
ausgespielt. Augustinus (354-430) hat selbst eine Verteidigung der Ehe verfasst (De bono coniugali) und nennt
drei "Ehegüter": Nachkommenschaft, Treue und das Sakrament (proles, fides, sacramentum).
Ab dem 9./10. Jh. kommt es zur weiteren rechtlichen Ausgestaltung der Ehe (auch im Gegenzug zu den
unsicheren Zeiten der Völkerwanderung). Die Ehe wird nun häufig öffentlich, "in facie ecclesiae" (vor den
Toren der Kirche) geschlossen, um ihren Rechtsstatus zu dokumentieren. Das kirchliche Eherecht (ab dem 12.
Jh.) schafft neue Rechte und Rechtssicherheit vor allem für die Frauen: Ihre freie Einwilligung ist notwendig; die
Ehe muss ohne Furcht und Zwang geschlossen werden; Brautraub etc. macht Eheschließung unmöglich; das
Mindestalter wird festgesetzt (Frauen: 14, Männer: 16 Jahre); zu enge Blutsverwandtschaft, ständiges
Konkubinat u.a. schließen Ehe aus. Es besteht aber im ganzen Mittelalter noch keine Verpflichtung zur
öffentlichen Eheschließung (geheime Ehen=Klandestinehen). Das Mittelalter hat sich sehr auf die Rechtsfragen
der Ehe konzentriert (und dabei Wesentliches für die Selbstbestimmung und die freie Partnerwahl geleistet),
hingegen die theologische Bestimmung der Sakramentalität unterbelichtet gelassen.
Luther lehnte die Ehe als Sakrament ab und wehrte sich gegen die vielen rechtlichen Eingriffe der Kirche. Für
ihn gehört die Ehe zur Schöpfungsordnung ("weltlich Ding"); Gott gibt zu ihr den Segen; aber sie gehört nicht
zur Erlösungsordnung (d.h. durch die Ehe wird keine Gnade vermittelt).
Das Konzil von Trient bestätigt die Ehe als Sakrament und schreibt die kirchlich-öffentliche Eheschließung
verbindlich vor.
Die Theologie des 20. Jh. hebt die personale Dimension der Ehe hervor und zugleich ihre ekklesiale Dimension.
In der Pastoralkonstitution des Konzils "Die Kirche in der Welt von heute" (Gaudium et spes, Nr. 47-52) rückt
das Ehegut der fides (Treue, gegenseitige Liebe und Verständnis; vgl. oben zu Augustinus) praktisch an die erste
Stelle. Es wird aber festgehalten, dass die Ehe wesentlich auf die Zeugung und Erziehung von
Nachkommenschaft hingeordnet ist (Nr. 50).
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Seit 1966 ist es durch die Enzyklika "Matrimonium mixtum" jedem Priester erlaubt, vom Ehehindernis der
"Konfessionsverschiedenheit" zu dispensieren, d.h. Mischehen sind im Unterschied zu vorher möglich.
5. Zum Ritus der Ehe
Nach dem "Ordo celebrandi matrimonium von 1969 ist die Ordnung der Trauung (die in der Regel innerhalb
einer hl. Messe vorgenommen werden soll) folgende (vgl. GL 73):
1. Frage nach der Bereitschaft zu einer christlichen Ehe
2. Segnung der Ringe
3. Vermählungswort (den großen Vermählungsspruch s.o. 1. Es gibt auch eine kleinere Form. Er wird
entweder von den Brautleuten oder vom Zelebranten gesprochen und dann mit "Ja" beantwortet)
4. Bestätigung durch den Zelebranten (Die ineinander gelegten Hände werden mit der Stola umwickelt; der
Zelebrant sagt: "Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen").
5. Feierliches Segensgebet über die Brautleute
6. Fürbitten
Folgte man dem Vorschlag, das Segensgebet als den eigentlichen sakramentalen Akt zu verstehen, würde
deutlich: erst das Wort, das zum Element (dem Konsens) hinzutritt, macht das Sakrament! In der jetzigen Gestalt
(consensus faciat matrimonium) kann dem Eindruck nicht gewehrt werden, das Sakrament sei nur ein Segen für
das, was die Brautleute ohnehin tun.
Zur Eheschließung können, gemäß dem Lebenscharakter des Sakraments, auch kirchliche Rituale zur Feier der
Ehejubiläen treten.
6. Gescheiterte Ehen; wiederverheiratete Geschiedene
Ehen können scheitern, auch die zwischen Getauften – sei es durch die Schuld eines oder beider Ehepartner, sei
es durch innere oder äußere Einflüsse, die die Ehepartner überfordern. Die kath. Kirche reagiert darauf so, dass
sie annimmt, im Falle des Scheiterns habe in Wirklichkeit keine sakramentale Ehe bestanden. Es kann dann eine
Ehenichtigkeitserklärung vor einem kirchlichen Ehegericht erwirkt und ggf. eine neue Ehe geschlossen werden
(Vgl. dazu: MARTHA WEGAN: EHESCHEIDUNG. AUSWEGE MIT DER KIRCHE, Graz: Styria 1982 – die Autorin, Richterin
an der röm. Sacra Romana Rota, zeigt, dass es fast für jede Ehe einen Nichtigkeitsgrund gibt). Diesen Weg halte
ich im Prinzip für richtig. Da aber das Recht fehlbar ist (und das Verfahren für viele Betroffene entwürdigend),
meine ich, dass der Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener von den Sakramenten revidiert werden
sollte! Wenn auch bei bestehendem Eheband (trotz staatlicher Scheidung) keine neue sakramentale Ehe möglich
ist, so könnte doch nach ostkirchlichem Vorbild für eine weitere Ehe eine besondere kirchliche Segenshandlung
vorgesehen werden.
7. Ehen getaufter Nichtchristen
Dieser Fall kommt heute allzu häufig vor, und er trägt nicht zum wenigsten dazu bei, die sakramentale
Eheschließung zu einem inhaltsleeren Dekor werden zu lassen. Ich halte den Vorschlag der Kirchenrechtlerin
SABINE DEMEL (STANDESAMT – EHE – KIRCHE. DIE NEUBEWERTUNG DER ZIVILEHE ALS VERSUCH EINER ÖKUMENISCHEN
ANNÄHERUNG, in: StZ 211 (1993) 131-140) für sinnvoll, die Zivilehe zwischen Getauften kirchlicherseits als
einen im Keim sakramentalen Akt, der eine gültige und erlaubte Ehe konstituiert, anzuerkennen; die
sakramentale Ehe kann, muss aber nicht folgen (Modell der "gestuften Sakramentalität"). Nach jetzigem
Verständnis leben standesamtlich Getraute ohne kirchliche Trauung in Sünde.
8. Die Dispens von der Formpflicht und die Frage des Spenders
Überlegungen KUNZLERS (aaO. 486-488) folgend, kann man sich der Einsicht nicht verschließen, dass die
theologische Lehre, der gemäß sich die Eheleute durch ihren Konsens das Ehesakrament selbst spenden,
verhängnisvolle praktische Auswirkungen hat. Nicht nur, dass bereits im Mittelalter dagegen angekämpft werden
musste, dass geheim geschlossene Ehen als sakramental gelten konnten (d.h. jedes Paar konnte sagen, es habe
sich das Sakrament gespendet), sondern durch die Möglichkeit der Dispens von der Formpflicht kann eine
sakramentale Ehe auch vor einem ungläubigen oder atheistischen Standesbeamten geschlossen werden, oder
(eine kirchenrechtliche Möglichkeit): es kann durch eine nachträgliche Gültigmachung eine standesamtliche Ehe
zur Würde des Sakraments erhoben werden (sog. sanatio in radice) – durch die Unterschrift der Eheleute und
das Pfarrsiegel. Entspricht das dem sakramentalen Gedanken der Gnadenwirkung Gottes?! Auch eine sog.
ökumenische Trauung kommt nur unter Dispens von der Formpflicht zustande (was der kath. Priester dabei tut,
hat kirchenrechtlich keine Bedeutung). All dem wäre gewehrt, wenn die Kirche sich dazu verstehen würde, das
feierliche Segensgebet im Traugottesdienst als den eigentlichen sakramentalen Akt und damit den Zelebranten
als Spender des Ehesakraments anzuerkennen.
9. Ehehindernisse nach dem Kirchenrecht
Liegen diese Hindernisse vor, kann keine Ehe geschlossen werden. Wird sie doch geschlossen, kann sie nachträglich für
nichtig erklärt werden.
"Willensmängel": Scheinehe (Totalsimulation) – Furcht und Zwang (auch Ehrfurchtszwang) – Ausschluss wesentlicher
Bestandteile des Ehevertrags (Nachkommenschaft, auch auf Zeit; eheliche Treue; Unauflöslichkeit; Lebensgemeinschaft) –
Irrtum (über die Eigenschaft einer Person; über Einheit, Unauflöslichkeit und Sakramentalität der Ehe) – Unwissenheit –
Eheschließung unter Bedingungen – Ehevertragsunfähigkeit (z.B. Geisteskrankheiten, Schizophrenie, Chronischer
Alkoholismus) – Mängel des Urteilsvermögens (Psychosen, innere Unreife, innere Zwänge) – Eheführungsunfähigkeit (z.B.
Homosexualität, Unfähigkeit, den ehelichen Akt zu leisten, Unfähigkeit zur Treue).
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"Ehehindernisse": Schwere und andauernde Impotenz (Beischlafunfähigkeit – impotentia coeundi – nicht Zeugungs- und
Empfängnisunfähigkeit – impotentia generandi – ) – Mangel des erforderlichen Alters – Bestehendes Eheband –
Religionsverschiedenheit – Höhere Weihen – Feierliche Gelübde – Entführung – Verbrechen (Ehebruch miteinander bei
bestehenden Ehen; Gattenmord) – Blutsverwandtschaft (in gerader Linie; bis zum dritten Grad in Seitenlinie) –
Schwägerschaft – Leben in ungültiger Ehe oder dauerndem Konkubinat – Geistliche Verwandtschaft (Paten) – Gesetzliche
Verwandtschaft.
Von einigen Ehehindernissen kann dispensiert werden, von anderen nicht.
III. Sakramente im katholischen Glauben
Wir hatten gesagt: In jedem Sakrament geschieht eine Verwandlung (vgl. I,7). Ein Stück
irdische Wirklichkeit wird durch die Gnade Gottes in das kommende Reich Gottes
verwandelt. Genauer: Menschen, die unter dem Gesetz dieser Welt stehen – und dies ist das
Gesetz der Selbsterhaltung – werden verwandelt in solche, die unter dem Gesetz des Reiches
Gottes stehen. Jedes Sakrament ringt der Welt, in der allein das Gesetz der Selbsterhaltung
gilt, ein Stück ab, in dem diesem Gesetz nicht mehr vorrangig zu folgen ist. Menschen werden
durch die Sakramente zu einem Leben jenseits des Zwangs zur Selbsterhaltung (und seiner
dämonischen Folgen!) befreit. Sie sind dann in der Lage, die Gebote des Reiches Gottes zu
befolgen, das heißt: Gott zu lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und mit all ihrer
Kraft, und dann den Nächsten wie sich selbst. Das Sakrament schafft einen Raum, in dem
nicht mehr Selbsterhaltung, sondern die Ehre und die Herrlichkeit Gottes das Wichtigste sind.
Dadurch wird die Welt verändert, mehr als es sonst durch irgendeine Weltverbesserungsmaßnahme möglich ist.
Zur Erinnerung: In der Taufe und der Firmung wird ein Mensch den Mächten des Todes (die sich
unvermeidlich einstellen, wenn nur nach dem Prinzip der Selbsterhaltung gehandelt wird) entrissen. Dieser
Mensch bekommt Anteil an der todüberwindenden Kraft der Auferstehung Jesu Christi. Er/sie weiß nun, dass
die Mächte des Todes nicht die letzte bestimmende Wirklichkeit sind, und kann sich dementsprechend frei und
souverän ihnen gegenüber verhalten. Taufe und Firmung sind die grundlegenden Sakramente. In der Eucharistie
wird das Taufsakrament immer neu aktualisiert: Die Gemeinschaft der Getauften wird verwandelt zum Leib
Christi, d.h. zu einer Gemeinschaft, in der jede/r dem/der anderen und der Gemeinschaft insgesamt sowie auch
den Ungetauften gerecht werden kann. Dieses Einander-gerecht-werden ist nur möglich, wenn das Gesetz der
Selbsterhaltung nicht letztlich bestimmend ist. In der Buße wird ein Mensch, der/die im Zuge des weiterhin
unvermeidlichen Handelns aus dem Gesetz der Selbsterhaltung schuldig wird (willentlich oder unwillentlich),
von seiner Schuld befreit (so wie jemand, der Schulden aufgehäuft hat, jemanden findet, der sie für ihn bezahlt),
und dieser Mensch kann neu anfangen, das Gute zu tun. Bei der Krankensalbung definiert die Kirche das
gegebene Verhältnis von Gesundheit und Krankheit um und erklärt den/die Kranke/n in den Augen der Kirche
als gesund. Dementsprechend entfallen die gravierenden sozialen Folgen der Krankheit: Ausgrenzung,
veränderte soziale Rolle, Ausgeliefertsein, Einsamkeit. Man wird annehmen können, dass, wenn das Sakrament
in dieser Intention gespendet und vermittelt wird, auch die körperliche Dimension der Krankheit vergeht oder
zumindest viel leichter zu ertragen ist. Bei der Weihe wird ein Mensch in die Lage versetzt, lebenslang und
ungeachtet der eigenen Fähigkeiten den in der Kirche anwesenden Jesus Christus in Wort und Sakrament zu
repräsentieren. In Verkündigung und Sakramentenspendung kommt diesem Menschen eine Vollmacht zu, die er
von sich aus nicht hat. Er ist nun von Amts wegen etwas, was er als Person niemals sein könnte. Die Kirche
versucht dafür Sorge zu tragen, dass er dieser gnadenhaften Verwandlung auch als Person entspricht
(Ehelosigkeit). Im Ehesakrament wird die Verbindung von Mann und Frau zur Bundesgemeinschaft selbstloser
Liebe nach dem Vorbild des Bundes Gottes mit seinem Volk verwandelt. Nur deshalb ist es den Eheleuten
möglich, sich gegenseitig die Unauflöslichkeit ihrer Gemeinschaft zu versprechen (Die Unauflöslichkeit, das ist
mir jetzt erst ganz klar geworden, ist die Gnadengabe des Ehesakraments!). Als eine solche gnadenhafte
Liebesgemeinschaft wirken die Eheleute mit an der Auferbauung des Leibes Christi, der Kirche.
Wenn man die Sakramente in dieser Weise versteht, kommt heraus, was eigentlich den
katholischen Glauben vom Glauben anderen christlicher Kirchen unterscheidet. Katholisch ist
es zu glauben: dass die Wirklichkeit Gnade oder des Reiches Gottes bereits in dieser Welt
einen Ort hat, nämlich immer da, wo ein Sakrament gefeiert wird und wo aus der Gnade der
Sakramente heraus inmitten der Welt eine Realität entsteht, die nicht von dieser Welt ist – die
Kirche! Die Kirche wird ja durch die Sakramente auferbaut, und sie ist darum – nach dieser
sakramental vermittelten gnadenhaften Seite hin, und nicht in dem, was sie von bloß
menschlicher Seite ist – das in der Welt anbrechende Reich Gottes (also jenes Reiches, in dem
nicht mehr das Gesetz der Selbsterhaltung gilt, sondern das Gebot Gottes). (Zu beachten ist
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dabei: diese zwei Seiten der Kirche können nie sauber getrennt werden, auch wenn sie
theologisch unbedingt unterschieden werden müssen).
Evangelische Theologie wird einer solchen Aussage nicht zustimmen können. Für sie ist ein Sakrament der
Zuspruch der gnadenhaften Verwandlung von Gott her zu unseren Gunsten, das extra nos pro nobis. Es bleibt
aber ein Wort von außen und kann in der Welt keine eigene Realität begründen. Es zielt nur auf den Glauben der
einzelnen, begründet bestenfalls eine Glaubensgewissheit, die gerade darin besteht, alles von Gott und nichts von
sich selbst zu erwarten, und die sich davor hüten wird, Gottes Gnade mit den Realitäten der Welt durcheinander
zu bringen. Barth hat deshalb konsequent auf den Begriff des Sakraments verzichtet. – Die orthodoxe Kirche ist,
unter dieser Unterscheidung betrachtet, noch 'katholischer'. Sie betrachtet die Kirche ganz im Licht der Gnade,
feiert ihre Liturgie ganz als himmlische Wirklichkeit auf Erden. Sie scheint die Unterscheidung zwischen Kirche
als göttlicher und als menschlicher Gemeinschaft nicht so zu vollziehen wie die katholische Kirche. Ausgedrückt
in den Begriffen der Zwei-Naturen-Lehre (vgl. das Konzil von Chalcedon 451): Die katholische Kirche versucht
dem "ungetrennt und unvermischt" der göttlichen und der menschlichen Natur gerecht zu werden, die
evangelische insistiert auf dem "unvermischt", die orthodoxe tendiert zum "ungetrennt". – Die evangelischen
Freikirchen stehen auf dem Boden der evangelischen Theologie, gehen jedoch über das 'sola fide' der
Reformation hinaus: nicht nur im Glauben soll die neue Wirklichkeit ankommen, sondern sie soll auch Werke
hervorbringen, ihr sollen auch Werke entsprechen (z.B. die bewusste, eigenständige Entscheidung zur Taufe;
deshalb die Erwachsenentaufe).
Am Verständnis der Sakramente muss sich also entscheiden, welcher christlichen Kirche oder
Konfession jemand angehören will!
IV. Anhang: Ein Vorschlag zur Reform des kirchlichen Amtes
Der Priestermangel hat sich für die Kirche zu einem bedrohlichen Problem ausgewachsen. Der folgende
Vorschlag setzt nicht primär bei den Zulassungsbedingungen zum priesterlichen Amt an, sondern betrachtet den
Priestermangel als Ausdruck einer umfassenderen Reformbedürftigkeit des Amtes in der Kirche. Wenn das Amt
in der Kirche wieder das sein wird und wieder so geordnet wird, wie es der Tradition der Kirche und den
theologischen Vorgaben entspricht, wird sich auch das Problem des Priestermangels lösen. Das ist meine
Überzeugung.
1. Problemaufriss
Mindestens folgende Probleme belasten heute das Amt in der Kirche:
• Die unklare Unterscheidung von allgemeinem und besonderem Priestertum. Damit geht
einher die unklare theologische Profilierung des priesterlichen Amtes überhaupt.
• Die Verbindung des Verkündigungs- und Sakramentendienstes der Priester mit der
Aufgabe der Gemeindeleitung.
• Die unklare Unterscheidung von ordinierten Ämtern und pastoralen Laiendiensten.
• Die Zulassungsbedingungen zum Amt in der Kirche: Ehelosigkeit, keine Ordination von
Frauen.
Ich erwähne nur einige der Folgen, die sich aus diesen ungeklärten Problemen ergeben: – Überlastung und
Überforderung der Priesters mit Aufgaben, die nicht notwendig zum priesterlichen Amt gehören; – mangelnde
oder fehlende Betreuung vieler Gemeinden durch Priester, häufig Reduktion des priesterlichen Dienstes auf die
Wahrnehmung von Leitungsaufgaben; – Enttäuschung und Ärger zwischen Klerikern und hauptamtlichen Laien
im pastoralen Dienst, solange deren Differenz nur privativ bestimmt wird: Laien dürfen nicht alles...; – innerund außerkirchliches Unverständnis für Ehelosigkeit der Priester (im Zeitalter der Singles) und für den
Ausschluss der Frauen vom Amt in der Kirche; – geringe Attraktivität des priesterlichen Amtes für den
potenziellen Nachwuchs.
2. Aufgabe und Wesen des Weiheamtes in der Kirche und das Verhältnis von
priesterlichem Dienst und Gemeindeleitung. Vorschlag: Entkoppelung von
jurisdiktioneller Gemeindeleitung und Priesteramt
Den im Sakrament des Ordo geweihten Amtsträger obliegt die Verkündigung des Wortes
Gottes (in Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche) und die Spendung der Sakramente.
Indem sie diese Aufgaben vollziehen, repräsentieren sie den in der Kirche wirkenden Jesus
Christus und nehmen an dessen dreifachen Amt teil: dem Hirten-, Propheten- und Priesteramt.
Sie sind demzufolge zum Leitungs-, Verkündigungs- und Heiligungsdienst eingesetzt.
Während es unmittelbar einleuchtet, dass Verkündigungs- und Heiligungsdienst durch die
50
Wahrnehmung der Aufgaben in Verkündigung und Sakramentenspendung ausgeübt werden,
ist dies beim Leitungsamt weniger offensichtlich. Theologisch richtig ist es aber zu sagen: Die
Amtsträger üben in der Kirche Leitung aus, indem sie das Wort Gottes verkündigen und die
Sakramente spenden. Das Hirten- oder Leitungsamt ist, vom Wesen des Amtes aus gesehen,
nicht eine Zusatzaufgabe, die die Amtsträger außer Wortverkündigung und
Sakramentenspendung wahrnehmen.
In der Entwicklung des Amtes hat sich diesbezüglich eine Unklarheit ergeben, die ihren Ausdruck findet im
doppelten Begriff der Hierarchie. Die Theologie spricht einmal von der Hierarchia ordinis, die auf die
Unterscheidung der Dienste und Rollen bei der Liturgie zurückgeht (ihr gehören Diakon, Presbyter und Bischof
an), zum anderen von der Hierarchia iurisdictionis, die die Reihenfolge rechtsverbindlicher Entscheidungen
regelt (so etwa seit dem 12. Jh.; zu ihr gehören Presbyter, Bischof und Papst). Die Leitung einer Pfarrei, die der
Pfarrer im Auftrag des Diözesanbischofs ausübt (CIC can. 519), ist, soweit sie aus juristischen Akten besteht,
eine Funktion im Rahmen der Hierarchia iurisdictionis. Vom Wesen des kirchlichen Amtes aus ist jedoch
theologisch nur die Hierarchia ordinis zu begründen. Die jurisdiktionelle Leitungsaufgabe ist somit nicht aus der
Teilhabe am Hirtenamt Jesu Christi abzuleiten – was nicht bedeutet, dass sie illegitim ist oder war, sondern nur,
dass sie nicht wesentlich mit dem Amt des Priesters (Presbyters) verbunden sein muss.
Damit eröffnet sich die theologische Möglichkeit, die jurisdiktionelle Leitung einer Pfarrei
vom Amt des Priesters zu entkoppeln. Der Diözesanbischof könnte auch andere Personen mit
der Leitung der Pfarrei beauftragen, unbeschadet der Leitungsaufgabe, die der Priester durch
Verkündigung und Sakramentenspendung ausübt. In dem hier vorgelegten Reformvorschlag
sollte die jurisdiktionelle Gemeindeleitung den Diakonen übertragen werden. CIC can 517 § 2
kann entsprechend ausgelegt werden.
3. Zum Problem der unklaren Unterscheidung von Weiheamt und pastoralen Diensten
von Laien. – Vorschlag: Wiederbelebung der niederen Weihen und Dienste
Theologisch gilt: Verkündigung des Wortes Gottes und Spendung der Sakramente geschieht
in persona Christi und ist in der Kirche deshalb amtliches Tun, gegründet auf dem
Sakramente des Ordo.
Das Verhältnis zwischen ordinierten Amtsträgern und beauftragten Laien ist deshalb so schief und
konfliktgeladen, weil auch letztere Aufgaben der Verkündigung und der Feier der Sakramente wahrnehmen,
jedoch nur bis zu der Grenze, an der die sakramentenrechtlich definierte Zuständigkeit der Ordinierten beginnt.
Diese Grenze kann jedoch kaum theologisch oder pastoral begründet werden, solange die im pastoralen Dienst
tätigen Laien überhaupt mit Aufgaben der Verkündigung und Sakramentenspendung befasst sind.
Die theologisch saubere Lösung dieses Problems kann nur sein, alle Tätigkeit in
Verkündigung und Sakramentenspendung, soweit sie ex officio und in persona Christi
geschieht (also insoweit sie die Gabe des Sakraments voraussetzt, kraft derer in der
Verkündigung wirklich das Wort Gottes hörbar wird und in den Sakramenten wirklich
Christus gegenwärtig ist und handelt), dem Amt in der Kirche zuzuordnen. Keine
Amtstätigkeit ohne Amt und Weihe!
Da es weder möglich noch sinnvoll ist, alle, die in diesem Sinne mit Verkündigung und
Sakramentenspendung befasst sind, in den dreigliedrigen Ordo einzugliedern, plädiert dieser
Vorschlag für eine Wiederbelebung der niederen Weihen (ordines minores).
Generell gilt: Die niederen Weihen oder Dienststufen (Ostiarius, Lektor, Exorzist, Akolyth, Subdiakon) wieder
einzuführen liegt im Ermessen der Kirche, ebenso wie ihre Abschaffung (oder Umwidmung zu bloßen Stufen
auf dem Weg zur Priesterweihe) in ihrem Ermessen geschehen ist. Analog ist der Niedergang und die
Wiederbelebung des ständigen Diakonats zu betrachten.
Theologiegeschichtlich kann gesagt werden, dass die Abschaffung bzw. Umwidmung der altkirchlichen ordines
minores im Zuge der sog. Sacerdotalisierung des Amtes erfolgt ist. In dem Maße, wie man seit dem frühen
Mittelalter die Darbringung des Meßopfers als das Zentrum des priesterlichen Amtes ansah, konnte man den
Zusammenhang der niederen Weihestufen mit dem einem Ordo immer weniger erkennen (sowenig man übrigens
auch den Unterschied des Bischofsamts zum Priesteramt in der mittelalterlichen Theologie angemessen aussagen
konnte – aus dem gleichen Grunde). Die Konzentration des Priestertums auf den sacerdotalen Akt der
Darbringung des Meßopfers wird heute in Theologie und Kirche als eine Engführung angesehen. Entsprechend
haben sich die Riten bei der Priesterweihe geändert, die vor der Liturgiereform ganz auf die sacerdotale
Vollmacht gerichtet waren. Dann ist es aber nur konsequent, auch die andere Folge der Sacerdotalisierung des
Amtes (neben den früheren Riten der Priesterweihe), nämlich die Abschaffung oder Umwidmung der ordines
minores, noch einmal zu überdenken und ggf. rückgängig zu machen.
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Statt die theologisch und pastoral hoch problematische Unterscheidung in pastorale Dienste
und Weihe-Ämter weiterzuführen, wäre es angemessen, den Reichtum der Ämtertradition
heute wieder aufzugreifen und alle, die einen Dienst im Zusammenhang von Verkündigung
und Sakramentenspendung ausüben, in einen vielgestaltigen und mehrstufigen Ordo
einzugliedern – einen Ordo, der um die früheren ordines minores erweitert ist.
4. Die Neuordnung des Amtes in der Kirche
Die Überlegungen von 2. und 3. vorausgesetzt, könnte das Amt in der Kirche folgendermaßen
neu geordnet werden:
Alle amtliche Tätigkeit der Verkündigung und Sakramentenspendung wird im Rahmen des
einen Ordo, also aufgrund einer Ordination, ausgeübt. Bei Wiederbelebung der niederen
Weihen ergibt sich folgende Struktur:
Ordines minores:
– Ostiarius
– Lektor
– Exorzist
– Akolyth
– Subdiakon
Ordines maiores:
– Diakon
– Presbyter
– Bischof
Damit ist eine Stufenfolge gegeben. Das Problem, dass bei den Laiendiensten im pastoralen
Dienst praktisch keine Stufung und damit auch keine Aufstiegschance gegeben ist, wäre
behoben. Es bliebe zu überlegen, ob alle früheren ordines minores wieder eingeführt werden
sollen. Dies muss nicht so sein, aber es sprechen gute Gründe dafür. Auf jeden Fall lassen
sich den einzelnen Weihestufen schwerpunktmäßig Funktionen zuordnen, die sie
unterscheidbar machen. Ich beschränke mich auf Stichworte:
Ostiarius: der "Türsteher" ist für die Verkündigung der Gemeinde ad extra zuständig
(Öffentlichkeitsarbeit, soweit sie auf Verkündigung und Sakramente bezogen ist).
Lektor: Aufgabe in der Wortverkündigung und Katechese (mit Ausnahme der Homilie in der
Eucharistie).
Exorzist: Verständnis für die Bedeutung des Exorzismus ist neu zu gewinnen. Exorzismus
kann als öffentliche Funktion der Kirche angesehen werden: die Aufdeckung dämonischer
Mächte in Medien, Wirtschaft, Politik usw., und die Mobilisierung kirchlicher
Gegenstrategien. Nach Mt 10,1 par gab Jesus seinen Jüngern Vollmacht über unreine Geister
und zur Heilung von Krankheit. Die Vollmacht über unreine Geister wird schon lange nicht
mehr ausgeübt, ihr Zusammenhang mit der Heilung von Krankheit kaum gesehen.
Akolyth: Der dem Diakon oder dem Presbyter im Gottesdienst "Folgende" übt vorrangig
Aufgaben in der Liturgie und deren Vorbereitung aus. Womöglich wäre auch die
Kirchenmusik hier zuzuordnen.
Subdiakon: Er unterstützt den Diakon bei der Aufgabe der administrativen und
jurisdiktionellen Gemeindeleitung.
Diakon: Er ist der vom Bischof beauftragte Leiter der Gemeinde in administrativer und
jurisdiktioneller Hinsicht (Die Chance würde sich erhöhen, für jede Gemeinde einen eigenen
Leiter zu haben).
Presbyter: Ihm obliegen wie bisher der Vorstand bei der Feier der Eucharistie, die Predigt
und die Sakramente Buße und Krankensalbung. Die Veränderung beim Amt des Presbyters
besteht vor allem in der Entlastung von Aufgaben der Gemeindeleitung. Das Amt des
Presbyters könnte besser als bisher als "geistliches Amt" erkannt werden.
Bischof: Sein Dienst ist wie bisher das Lehren und Leiten (CIC can. 375), er ist in der
Nachfolge der Apostel der Vorsteher der Ortskirche.
Die klare Zuweisung schwerpunktmäßiger Aufgaben an die einzelnen Weihestufen würde das ungute
Nebeneinander von Diensten und Ämtern bei starken Überschneidungen in ihren Aufgabenbereichen beenden.
5. Zulassungsbedingungen zu den Ämtern in der Kirche
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Für die niederen Weihestufen können analog die Zulassungsbedingungen für die jetzt
bestehenden pastoralen Dienste gelten, ggf. spezifiziert in der Ausrichtung auf die
Schwerpunktaufgabe der Weihestufe. Das Voranschreiten in den Weihestufen würde
Zusatzausbildungen voraussetzen. Das Versprechen der Ehelosigkeit muss für diese
Weihestufen nicht geleistet werden. Die Weihestufen stehen Männern und Frauen offen.
Auch beim Amt des Diakons können die bestehenden Zulassungsvoraussetzungen bestehen
bleiben, auch hinsichtlich des Zölibats. Zur Frauenordination siehe unten.
Beim Amt des Presbyters ändert sich, was die Frage der Ehelosigkeit und die Zulassung von
Frauen betrifft, durch den Reformvorschlag prinzipiell nichts. Es ist jedoch zu erwägen, ob
bei der Verpflichtung zur Ehelosigkeit nicht analog zum (ständigen) Diakonsamt verfahren
werden könnte: Verheiratete können geweiht werden; wer sich unverheiratet weihen lässt,
verspricht die Ehelosigkeit. Eine solche Regelung würde m.E. dem Stand der theologischen
Diskussion zur Zölibatsfrage entsprechen, bei der sich pro- und contra- Argumente die Waage
halten. Es wäre dann auch der Durchgang vom Diakonsamt zum Presbyteramt für
Verheiratete möglich. Bei Priestern, die die Ehelosigkeit versprechen, würde dieses Zeichen
wieder ausdrucksvoller und leuchtender werden. Bei verheirateten Priestern (wie auch bei den
Diakonen) sollte überlegt werden, welches Zeichen an die Stelle der Ehelosigkeit treten kann.
Beim Amt des Bischofs sollte in Übereinstimmung mit der Tradition der katholischen und der
orthodoxen Kirche an der Verpflichtung zur Ehelosigkeit festgehalten werden. Die
jahrhundertealte Praxis der orthodoxen Kirchen, die verheiratete Priester und unverheiratete
Bischöfe kennen, könnte auch für die katholische Kirche vorbildlich sein.
Die Frage der Frauenordination stellt sich für diesen Reformvorschlag differenziert. Die
lehramtlichen und theologischen Argumente gegen die Frauenordination betreffen auf keinen
Fall die niederen Weihen; hier können und müssen also Frauen zur Weihe zugelassen werden,
so dass sie auch Anteil am Amt der Kirche erhalten. Für den ordo maior bleibt die
Argumentationslage gleich. Allerdings muss man sehen, dass die Kirche unter einen erhöhten
Rechtfertigungsdruck geriete, würde sie Frauen, die die niederen Weihen erhalten haben, von
den höheren Weihen prinzipiell ausschließen. Ich hoffe, dass uns der Geist Gottes bei der
Lösung dieses Problems erleuchtet und hilft.
Ich danke Ihnen allen, die sich dieser Vorlesung mit Ausdauer und Geduld unterzogen haben.
Ich weiß, dass es nicht leicht ist, so viele Worte zu hören. Aber vielleicht ist es mir gelungen
deutlich zu machen, dass es mir nicht nur um Worte und um theologische Gelehrsamkeit geht.
Das ist auch wichtig, und das Skript dieser Vorlesung soll für Sie auch seine Dienste tun in
Ihrer weiteren Ausbildung und bei Ihrer Tätigkeit im Religionsunterricht. Aber noch
wichtiger war es mir, Ihnen die erneuernde Kraft der Sakramente von innen her
aufzuschließen und Sie zur Freude am Glauben zu führen – und damit auch zur Freude am
Gottesdienst der Kirche, in dem die Sakramente gefeiert werden.
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