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Die Schönheitsformel: Bin ich nicht schön?
Auf dem Weltkongress in Berlin diskutieren Fachleute, was einen perfekten Körper
ausmacht. Wer seinen Augen nicht traut, hält sich an die Mathematik:
y = b1 x1 + b2 x2...+ bn xn + t.
Was ist schön? Blaue oder braune Augen? Blonde Locken oder schwarze, glatte Haare? Breites
Heidi-Klum-Grinsen oder Angelina-Jolie-Schmollmund? Eine Figur wie Kate Moss – oder lieber drall wie
Scarlett Johansson? Liebesbriefschreiber, Frauenmagazinredakteure und Philosophen zerbrechen sich
seit Menschengedenken den Kopf, was die Schönheit einer Frau ausmacht und wie man sie beschreiben
kann. Dabei kann man Schönheit auch ganz nüchtern ausdrücken: y = b1 x1 + b2 x2...+ bn xn + t.
Diese Schönheits-Formel hat Martin Gründl vom Lehrstuhl für Experimentelle und Angewandte
Psychologie der Universität Regensburg errechnet. Die Gleichung setzt das Gewicht, die Taillen- und die
Hüftbreite, die Beinlänge und die Oberweite miteinander ins Verhältnis. Gründl hat zur Ermittlung der
Schönheits-Formel 60.000 Männer und Frauen im Internet befragt. Die Teilnehmer sollten das Bild eines
durchschnittlichen Frauenkörpers mit einem
Morphing-Programm am Computer so
gestalten, wie sie ihn am schönsten fanden.
Außerdem konnten die Befragten 240 vorgegebene Figuren bewerten. Der Studie
zufolge finden die meisten Menschen
Frauen schön, die besonders lange Beine,
mittelgroße Brüste, eine schmale Taille und
eine mittelbreite Hüfte haben.
Gründl hat seine „Formel für eine schöne Frauenfigur“ gerade beim Weltkongress der Plastischen,
Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (IPRAS) in Berlin vorgestellt. Auf dem Weltkongress, der alle
vier Jahre stattfindet, diskutieren bis zum Samstag mehr als 3000 Fachärzte aus 96 Ländern über aktuelle
Entwicklungen ihres Fachgebiets. Im Kongresszentrum am Alexanderplatz erläutern Koryphäen aus aller
Welt die neuesten Nähtechniken beim Oberarmlifting per Powerpoint-Präsentation. Im Foyer sind innovative Fettabsaugegeräte ausgestellt. Während der Kaffeepause plaudern Star-Chirurgen aus Thailand
und Brasilien über schonende Brustoperationsmethoden.
Gäbe es einen schöneren Ort, um über Schönheit zu fachsimpeln? Ehrlich gesagt ja, denn der
Alexanderplatz gehört mit seinen Plattenbauten, Elektronikmärkten und Schrottläden zu den hässlichsten
Plätzen der Welt. Was in den Vorträgen zu hören und zu sehen ist, wirkt auf den Laien auch nicht so ästhetisch – offene Bäuche, gespannte Hautlappen, tropfendes Blut, zähes Fett, frische Narben. Bilder, die man
sonst nur aus Metzgereien und Horrorfilmen kennt.
Als Schmankerl wird aus dem Martin-Luther-Krankenhaus Wilmersdorf live eine OP ins Kongresszentrum übertragen. Dirk Richter, einer der führenden Mediziner auf dem Gebiet des Ganzkörperliftings,
entfernt bei einem Patienten, der massiv Gewicht verloren hat, flächendeckend Haut, saugt Fett ab, strafft
und näht das Ganze wieder schön zusammen. Für Leute, die kein Blut sehen können, ist so etwas nichts,
für die anwesenden Fachleute dagegen eine Riesensache. Die Teilnehmer des Kongresses sind auffällig
schön gekleidet, italienische Anzüge bei den Herren, Designer-Sonnenbrillen und elegante Sommerkleider
bei den Damen. Die Zahl der Kongressbesucher hat sich im Vergleich zum letzten Mal verdoppelt. Die
Branche scheint zu florieren.
Auch in Deutschland legen sich für die Schönheit immer mehr Menschen unters Messer. Die Zahl
ästhetischer Eingriffe wie Fettabsaugen, Brustvergrößerungen oder Nasenkorrekturen ist nach Angaben
der IPRAS 2005 im Vergleich zum Vorjahr um 13 Prozent gestiegen. 200.000 Patienten lassen sich in
Deutschland aus rein kosmetischen Gründen operieren. Schönheitsoperationen würden für junge
Menschen bald so alltäglich „wie der Gang zum Friseur“, mutmaßte Bundesgesundheitsministerin Ulla
Schmidt vor einiger Zeit und gründete eine „Initiative gegen den Schönheitswahn.“ Wer sich Fernsehshows wie „Germany‘s Next Topmodel“ anschaut, muss feststellen, dass die Initiative den Wahn noch
nicht hinreichend bekämpft hat.
„Das aktuelle Schönheitsideal bei Kindern und Jugendlichen kommt in der Natur kaum vor“,
sagt Marita Eisenmann-Klein, Generalsekretärin der IPRAS und Chirurgin in Regensburg. Spekulationen,
wonach immer mehr Kinder und Jugendliche Schönheitsoperationen durchführen ließen, widerlegt sie
jedoch. Nasenkorrekturen bei minderjährigen Patienten seien extrem selten, Brustimplantate bei Mädchen
unter 18 Jahren würden von Verbandsmitgliedern grundsätzlich nicht gemacht. Ausnahmen gibt es nur,
wenn eine körperliche Fehlentwicklungen einen Menschen so entstellt, dass er schwer darunter leidet
– etwa bei stark abstehenden Ohren oder missgebildeten Brüsten. Joachim von Finckenstein, Präsident
der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch Plastische Chirurgie, bestätigt, dass jene Jugendliche, die sich
für einen Eingriff entscheiden,„wirklich ein Problem haben, die Natur kann manchmal sehr böse sein“.
Für die einen gelten Schönheitschirurgen deshalb als heldenhafte Retter, die anderen zweifeln
am Image der Gesichts-Gestalter.„Wir verstehen uns nicht als Künstler“, sagt Marita Eisenmann-Klein,
„das ist solides Handwerk.“ Der Medizin seien zudem Grenzen gesetzt: „Wir können nicht jeden schön
operieren.“ Zumal Schönheit immer von Moden abhängt.
Schönheit galt lange als Geschmackssache oder, wie der Philosoph Immanuel Kant es formulierte,
als „private, subjektive Empfindung des Gefallens oder der Abneigung“. Ist Kant durch die Schönheitsformel
widerlegt? Mit seiner Formel lasse sich Schönheit mathematisch einwandfrei messen und überprüfen,
sagt Martin Gründl: „Es ist dabei aber nicht nur wichtig, wie groß und dünn jemand ist, sondern wie die
Verhältnisse der einzelnen Körperteile zueinander passen.“ Marita Eisenmann-Klein warnt sicherheitshalber
davor, die Schönheitsformel im Alltag anzuwenden:„Man sollte jetzt bitte nicht das Maßband an die Freundin anlegen und nachrechnen, wie attraktiv sie ist.“ Und Psychologe Martin Gründl fügt die beruhigende
Schlussfolgerung aus seiner Studie hinzu:„Es ist gerade die Durchschnittlichkeit, die attraktiv macht.“
Wie schön.
von Titus Arnu