BB NL Arbeitsrecht Juni 2012 02

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BB NL Arbeitsrecht Juni 2012 02
Juni 2012
Newsletter
Editorial
Rechtsprechung
Liebe Leserinnen und Leser,
Nach Lebensalter gestaffelter Urlaubsanspruch ist
diskriminierend
im Zentrum dieser Newsletter-Ausgabe stehen „Klassiker“ der
Personalarbeit, nämlich das Bewerbungsverfahren, Urlaubsansprüche und formelle Fallstricke bei der Kündigung. Für Aufsehen hat zunächst eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur altersabhängigen Staffelung von Urlaubsansprüchen gesorgt. Im konkreten Fall hat das Gericht eine tarifliche
Urlaubsstaffel wegen Altersdiskriminierung verworfen. Bedeutung hat das Urteil nicht nur für Tarifverträge, sondern auch für
Arbeitsverträge, in denen der Urlaub nach dem Lebensalter
gestaffelt ist. Was in der Praxis zu beachten sind, lesen Sie im
nebenstehenden Beitrag.
Im letzten Newsletter haben wir bereits auf das anstehende
Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Auskunftsanspruch
abgelehnter Bewerber hingewiesen. Die Entscheidung liegt
inzwischen vor: Das Gericht hat den Anspruch abgelehnt, jedoch
bleibt ein Wermutstropfen, wie die Urteilsbesprechung auf
Seite 2 zeigt.
„Im Blickpunkt“ dieser Ausgabe steht das Thema Kündigung.
Ab Seite 7 erfahren Sie alles Wesentliche zur Erklärung, zum
Termin und zur Zustellung einer Kündigung.
Wir wünschen eine informative Lektüre und stehen für Rückfragen gerne zur Verfügung.
Mit den besten Grüßen,
Dr. Alexius Leuchten
Leiter der Praxisgruppe Arbeitsrecht
Inhalt
Rechtsprechung
Seite 1
Im Blickpunkt
Seite 7
Bundesarbeitsgericht vom 20. März 2012 – 9 AZR 529/10
Sachverhalt: Die heute 40-jährige Mitarbeiterin wollte festgestellt haben, dass ihr für die Jahre 2008 und 2009 ein weiterer
Urlaubstag zugestanden hat. Der für sie geltende Tarifvertrag für
den öffentlichen Dienst sah bei einer 5-Tage-Woche einen nach
dem Lebensalter wie folgt gestaffelten Jahresurlaub vor:
bis zum vollendeten 30. Lebensjahr
bis zum vollendeten 40. Lebensjahr
nach dem vollendeten 40. Lebensjahr
26 Arbeitstage
29 Arbeitstage
30 Arbeitstage
In den Jahren 2008 und 2009 hatte die unter 40-jährige Mitarbeiterin demnach einen Urlaubsanspruch von 29 Arbeitstagen. Dennoch machte sie den höchsten tariflichen Urlaubsanspruch von
30 Arbeitstagen geltend. Sie behauptet, dass durch die tarifvertragliche Urlaubsregelung jüngere gegenüber älteren Arbeitnehmern aufgrund ihres Alters ungerechtfertigt benachteiligt würden.
Daher sei die Altersstaffelung unwirksam. Ihr würde in der Folge
der höchste tarifvertragliche Urlaubsanspruch zustehen.
Die Entscheidung: Das BAG gab der Mitarbeiterin Recht und entschied, dass ihr 30 Urlaubstage pro Kalenderjahr zustehen. Die im
Tarifvertrag enthaltene Differenzierung nach dem Alter diskriminiere jüngere Arbeitnehmer. Die Ungleichbehandlung sei insbesondere nicht durch ein legitimes Ziel im Sinne des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gerechtfertigt. Ein gesteigertes
Erholungsbedürfnis von Beschäftigten bereits ab dem 30. bzw. 40.
Lebensjahr sei nicht ersichtlich.
Konsequenzen für die Praxis: Bisher liegt nur die Pressemitteilung des Urteils vor. Bereits daraus lässt sich jedoch entnehmen,
dass das BAG einen nach dem Alter gestaffelten Erholungsurlaub
aufgrund der erhöhten Erholungsbedürftigkeit von älteren Mitarbeitern generell als zulässig erachtet und in dem Gesundheitsschutz älterer Mitarbeiter grundsätzlich ein legitimes Ziel sieht, das
eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters rechtfertigen
kann. Die konkrete Urlaubsstaffel muss jedoch geeignet sein,
diesem Ziel Rechnung zu tragen und tatsächlich ältere Mitarbeiter mit einem höheren Urlaubsanspruch ausstatten. So kann z.B.
ein 60-jähriger einen höheren Urlaubsanspruch als ein 40-jähriger
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haben, was im vorliegenden Fall aber nicht gegeben war. Den
weiteren Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum, den noch die
Vorinstanz den Tarifvertragsparteien hinsichtlich der Geeignetheit
der Regelung zur Zielerreichung zuerkannt hatte, billigt das BAG
den Tarifvertragsparteien offenbar nicht zu.
Mit der Entscheidung bestätigt das BAG die bereits nach dem
Urteil des LAG Düsseldorf vom 18. Januar 2011 (8 Sa 1274/10)
in der Praxis aufgekommenen Befürchtungen, dass eine Differenzierung nach dem Alter unter Beachtung des AGG auch bei der
Urlaubshöhe nicht mehr unproblematisch zulässig ist. Das Urteil
betrifft unterschiedslos Urlaubsstaffeln in Tarif- als auch Arbeitsverträgen. Eine Staffelung der Höhe des Urlaubsanspruchs nach
dem Lebensalter ist nur wirksam und nicht diskriminierend, wenn
mit ihr ein legitimes Ziel verfolgt wird und die getroffene Regelung
nachweisbar zur Erreichung dieses Ziels auch tatsächlich geeignet,
erforderlich und angemessen ist. Eine nur mögliche Geeignetheit
der Regelung zur Teilerreichung genügt auch bei tarifvertraglichen
Regelungen nicht.
Praxistipp: Staffelungen des Urlaubsanspruchs nach dem Lebensalter – wie sie sich in vielen Tarif- oder Arbeitsverträgen finden –
sind nach dem Urteil zwar nicht per se unwirksam. Sie müssen aber
kritisch überprüft werden (vgl. bereits Newsletter Arbeitsrecht,
Ausgabe März 2011, S. 3 f). Es ist zu hinterfragen, ob durch die
jeweils gewählte Altersstaffelung des Urlaubs ein legitimes Ziel verfolgt und tatsächlich gefördert wird. Unserer Ansicht nach können
Altersstaffelungen, nach denen älteren Arbeitnehmern mehr Urlaub
gewährt wird als jüngeren, trotz der Entscheidung einer gerichtlichen Überprüfung standhalten, wenn sich nachweisen lässt, dass
für ältere Arbeitnehmer im konkreten Fall ein höherer Erholungsbedarf und Gesundheitsschutz besteht und die Regelung dem auch
tatsächlich Rechnung trägt. Da allerdings noch unklar ist, welche
konkreten Altersstufen zur Erreichung des Gesundheitsschutzes
älterer Mitarbeiter von der Rechtsprechung als zulässig erachtet
werden, empfehlen wir bis zur Klärung dieser Frage bei abzuschließenden Tarif- oder Arbeitsverträgen, Urlaubsansprüche nicht nach
dem Alter zu staffeln und nach Möglichkeit bisherige Regelungen
abzuändern. Bei bestehenden entsprechenden arbeits- oder tarifvertraglichen altersabhängigen Urlaubsansprüchen besteht nach
dieser Entscheidung immer die Gefahr, dass jüngere Arbeitnehmer
den Höchsturlaubsanspruch geltend machen. Ob sich dieser durchsetzen lässt, ist einzelfallabhängig. Ggfs. können im konkreten Einzellfall Argumente entwickelt werden, warum das BAG-Urteil nicht
auf die eigene Urlaubsstaffel übertragbar ist und die selbst gewählten Stufen nach dem AGG gerechtfertigt sind.
Christina Kamppeter, LL.M.,
Rechtsanwältin,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft,
München
Kein Auskunftsanspruch für abgelehnte Bewerber
Europäischer Gerichtshof vom 19. April 2012,
C-415/10 („Meister“)
Sachverhalt: Die fachlich objektiv geeignete, russischstämmige
Bewerberin hatte sich vergeblich auf eine Stellenausschreibung
des beklagten Unternehmens beworben. Das Bewerbungsschreiben enthielt nicht übersehbare sprachliche Mängel. Auf die unbegründete Absage bewarb sich die Kandidatin nochmals, nachdem
dieselbe, noch unbesetzte, Stelle erneut ausgeschrieben worden
war. Auch diesmal war die Bewerbung nicht von Erfolg gekrönt.
Die Bewerberin verlangte eine Entschädigungszahlung wegen Diskriminierung. Sie vertrat die Auffassung, das Unternehmen sei verpflichtet, die Bewerbungsunterlagen des bevorzugten Bewerbers
vorzulegen, um nachweisen zu können, dass sie ebenso geeignet
ist, wie der vermeintlich ausgewählte Bewerber. Das BAG verneinte einen Anspruch mangels nationaler Anspruchsgrundlage,
stellte dem EuGH jedoch die Frage, ob europarechtliche Vorschriften dazu führen, dass nach nationalem Recht abgelehnten Bewerbern ein Auskunftsanspruch zusteht.
Die Entscheidung: Mit seinem Urteil folgt der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwaltes vom 12. Januar 2012 (vgl. hierzu
Fink im Newsletter Arbeitsrecht, Ausgabe März 2012, S. 7 f.).
Es gibt zwar keinen Anspruch eines Bewerbers auf Zurverfügungstellung von Informationen, um ihn in die Lage zu versetzen, „Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren
Diskriminierung vermuten lassen“, glaubhaft machen zu können.
Es bestehe jedoch – so der EuGH sinngemäß – die Gefahr, dass die
Auskunftsverweigerung eine Darlegung der Diskriminierung vollständig vereitle. Das Gericht führt aus, dass die vom Generalanwalt
erwähnten Gesichtspunkte neben der Ablehnung der Auskunft bei
Beurteilung der Frage, ob eine Diskriminierung vermutet werden
kann, herangezogen werden können. Neben diesen Indizien der
Qualifikation, Nichteinladung zum Gespräch sowie der erneuten
Nichteinladung trotz Bewerbung auf die nochmals ausgeschriebene Stelle nennt der EuGH beiläufig statistische Beweise, die
zur Vermutung einer Diskriminierung geeignet sind.
Konsequenzen für die Praxis: Positiv ist, dass das Gericht die
Schlussanträge des Generalanwaltes dahingehend übernommen
hat, dass ein Auskunftsanspruch abgelehnter Bewerber nicht
besteht. Insoweit besteht nun Gewissheit. Bezüglich der Frage,
ob und welche Gesichtspunkte im Falle der Auskunftsverweigerung als Indizien herangezogen werden können, um die Vermutung einer Diskriminierung zu begründen, ist abzuwarten: Der
EuGH überlässt es ausdrücklich den nationalen Gerichten, dies
unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu prüfen.
Da auch das BAG bereits in seinem Vorlagebeschluss ausgeführt
hat, dass ein abgelehnter Stellenbewerber seiner Darlegungslast
bezüglich der behaupteten Benachteiligung nicht dadurch genügt,
dass er lediglich vorträgt, er habe sich beworben und sei unberücksichtigt geblieben, obwohl er das in der Stellenausschreibung
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geforderte Anforderungsprofil erfüllt, lässt hoffen, dass die nationale Rechtsprechung diese zutreffende Ansicht beibehält und
damit eine Klagewelle auf Entschädigungszahlungen verhindert.
Dr. Thomas Barthel,
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Arbeitsrecht,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft,
Berlin
Khayreddin Karboul,
Rechtsanwalt,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft,
Berlin
Hinweis: Der Beitrag ist in einer ausführlicheren Version im
„Schnellbrief für Personalwirtschaft und Arbeitsrecht“, Ausgabe
11/2012, S. 1 erschienen.
Keine Zahlung von Überstunden trotz unwirksamer
Abgeltungsvereinbarung
Bundesarbeitsgericht vom 17. August 2011 – 5 AZR 406/10
Sachverhalt: Der Kläger war angestellter Rechtsanwalt in einer
Kanzlei und verdiente zuletzt EUR 7.333,- monatlich (Festvergütung und Bonus). Der Arbeitsvertrag sah folgende Regelung zu
Überstunden vor:
„Durch die zu zahlende Bruttovergütung ist eine etwaig notwendig
werdende Über- oder Mehrarbeit abgegolten.“
Nachdem es zur Kündigung des Klägers kam, machte er die Abgeltung der Überstunden mit der Begründung geltend, dass die
Klausel unwirksam sei.
Die Entscheidung: Eine Pauschalabgeltung ohne Angabe des
Umfangs und der Voraussetzungen, unter denen Überstunden zu
leisten sind, ist nach Ansicht des BAG intransparent und unwirksam.
Gleichwohl kam das Gericht zu einer Verneinung der Überstundenbezahlung. Das Gericht prüfte, ob eine Vergütung für Überstunden
als stillschweigend vereinbart gelte, wenn die Überstunden den
Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten seien. Einen
allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jede Mehrarbeitszeit zu vergüten wäre, gebe es nicht. Die Vergütungserwartung sei deshalb stets
anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung
und der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen. Das BAG
kam zu der Überzeugung, dass im konkreten Fall keine Erwartung
auf Zahlung von Überstunden bestand. Insbesondere wollte der
betroffene Anwalt später in die Partnerschaft aufgenommen werden und leistete so bereitwillig ohne Vergütungserwartung seine
Überstunden.
Konsequenzen für die Praxis: In diesem Zusammenhang ist eine
weitere Entscheidung des BAG vom 22.2.2012 (5 AZR 765/10) zu
beachten. Dort war ebenfalls vertraglich vereinbart worden, dass
Überstunden nicht zu vergüten seien. Es ging um einen Lagerarbeiter mit einem Bruttoentgelt von EUR 1.800,- monatlich. In drei Jahren wurden 968 Überstunden geleistet und nicht bezahlt. In diesem
Fall war das BAG der Ansicht, die Überstunden seien zu vergüten.
Die pauschale Überstundenabgeltung wurde für unwirksam befunden. Im Gegensatz zum Urteil im Fall des Rechtsanwalts sei hier
davon auszugehen, dass Überstunden nur gegen zusätzliches Entgelt zu verrichten seien. Dabei sei die Höhe des vereinbarten Bruttoentgelts von Bedeutung. Diese Entscheidung des BAG steht im
Einklang mit einem weiteren Urteil vom 1.9.2010 (5 AZR 517/09), in
dem ebenfalls Überstundenabgeltungsansprüche gewährt wurden.
Auch dort war die Überstundenregelung unwirksam. Der betroffene
Arbeitnehmer verdiente EUR 3.000,- monatlich.
Für Arbeitgeber bedeutet dies, dass bezüglich der Überstunden
zum einen erst einmal die Befugnis zur Anordnung geregelt werden muss. Ferner ist im Arbeitsvertrag festzuhalten, bis zu welcher Höhe die Überstunden mit dem Gehalt als abgegolten gelten
sollen. Es muss eine Maximalstundenzahl angegeben werden. Für
Überstunden, die darüber hinaus gehen, ist dann eine zusätzliche
Vergütung zu bezahlen.
Für den Fall, dass eine Überstundenabgeltungsregelung nicht vorliegt oder diese wegen einer pauschalen Abgeltung für unwirksam
angesehen wird, ist immer sorgfältig zu prüfen, ob der Arbeitnehmer in einer so gehobenen Stellung arbeitet, dass davon auszugehen ist, dass Überstunden mit dem entsprechend dotierten Gehalt
als nicht zu vergüten anzusehen sind. Je höher das Gehalt und je
höher die Hierarchiestufe des Arbeitnehmers ist, desto eher wird
man davon ausgehen können, dass der betreffende Arbeitnehmer
nicht die Erwartung hatte, dass Überstunden noch separat bezahlt
werden.
Die gilt nicht bei Arbeitnehmern mit einfachen Tätigkeiten bzw.
im unteren oder mittleren Gehaltssegment. Hier darf der Mitarbeiter davon ausgehen, dass Überstunden bezahlt werden. Da
das BAG der Praxis keine deutlicheren Kriterien an die Hand gibt
(denkbar wäre z.B. eine Abgrenzung anhand der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung), sind die
Umstände des Einzelfalls entscheidend.
Dr. Marc Spielberger,
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Arbeitsrecht,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft,
München
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BAG: Freistellung und Anrechnung von Urlaub
Bundesarbeitsgericht vom 17. Mai 2012 – 9 AZR 189/10
Sachverhalt: Dem Arbeitnehmer wurde vom Arbeitgeber mit
Schreiben vom 13. November 2006 zum 31. März 2007 ordentlich
gekündigt. Zugleich wurde er von der Arbeit freigestellt. Im Kündigungsschreiben heißt es u.a. wie folgt:
„Sie werden ab sofort unter Anrechnung Ihrer Urlaubstage von
Ihrer Arbeit unter Fortzahlung Ihrer Bezüge freigestellt.“
Der Arbeitnehmer erbrachte vom 14. November 2006 bis 31. Mai 2007
keine Arbeitsleistung. Nach Obsiegen im Kündigungsschutzprozess
nahm er am 1. Juni 2007 seine Tätigkeit wieder auf. Das BAG hatte
nun zu entscheiden, ob durch die Freistellungsklausel im Kündigungsschreiben der Jahresurlaub des Arbeitnehmers für das Jahr
2007 vollständig abgegolten war oder nur der bis zum 31. März 2007
entstandene Teilurlaubsanspruch.
Die Entscheidung: Das BAG sah in der Klausel keine Anhaltspunkte dafür, dass diese so auszulegen sei, dass der Urlaub des
Arbeitnehmers für das gesamte Jahr 2007 abgegolten war. Der
Arbeitgeber habe hier nicht erkennbar zum Ausdruck gebracht,
nicht nur den vom 1. Januar 2007 bis 31. März 2007 entstandenen Teilurlaub mit der Freistellung abgelten zu wollen, sondern
den gesamten Urlaub für das Jahr 2007, soweit er durch ihn zu
gewähren sei. Das BAG hat in der Entscheidung jedoch ausdrücklich klar gestellt, dass eine kalenderjahrübergreifende, vorgreifliche
Urlaubsgewährung möglich ist.
Konsequenzen für die Praxis: Die Entscheidung weicht im Ergebnis nicht von der bisherigen Rechtsprechung ab, wonach eine im
Vorgriff auf das kommende Urlaubsjahr Gewährung von Erholungsurlaub möglich ist, soweit der Arbeitnehmer keine abweichenden
Wünsche äußert. Erfüllt ist der Urlaubsanspruch erst dann, wenn
der Arbeitnehmer den Urlaub tatsächlich antritt. Allerdings verdeutlicht das BAG hier auch nochmals, dass es sich bei der Freistellung
zum Zwecke von Erholungsurlaub um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Arbeitgebers handelt. Zweifel bei
der Auslegung dieser Erklärung gehen zu Lasten des Arbeitgebers.
Konsequenz kann hier sein, dass er einem im Urlaubsjahr die ersten drei Monate freigestellten Arbeitnehmer den übrigen Teilurlaub
bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch gewähren muss.
Praxistipp: Soll bei einer Freistellung des Arbeitnehmers nach
ausgesprochener Kündigung, unabhängig vom Ausgang eines
etwaige Kündigungsschutzprozesses, der Urlaubsanspruch nicht
nur anteilig für die Zukunft abgegolten werden, so muss dies aus
der Klausel eindeutig hervorgehen. Es empfiehlt sich daher für das
oben genannte Beispiel folgende Formulierung:
„Hiermit stellen wir Sie unwiderruflich unter Anrechnung auf
Urlaubs- und sonstige Freistellungsansprüche bis zum Beendigungsdatum von der Arbeitsleistung frei. Die Freistellung umfasst
vorsorglich die Urlaubsansprüche für das gesamte laufende
Urlaubsjahr, also Ihren Jahresurlaubsanspruch.“
Wichtig bei einer solchen Klausel ist, dass der Wille des Arbeitgebers deutlich wird, dass nicht nur der bis zum Ablauf der Kündigungsfrist entstandene Teilurlaubsanspruch abgegolten wird,
sondern der komplette für das Kalenderjahr gegenüber dem
Arbeitgeber entstandene Anspruch auf Erholungsurlaub.
Frank Lenzen,
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Arbeitsrecht,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft,
Frankfurt
BAG: Entschädigung bei Verletzung der Prüfpflicht
nach § 81 Abs. 1 SGB IX
Bundesarbeitsgericht vom 13. Oktober 2011 – 8 AZR 608/10
Sachverhalt: Ein Bewerber war mit einem Grad der Behinderung von 60 schwerbehindert. Er bewarb sich auf eine bei einer
Gemeinde ausgeschriebene Stelle. Der Arbeitgeber besetzte die
Stelle trotz der guten Qualifikation des Bewerbers anderweitig.
Er hatte jedoch zuvor nicht nach § 81 Abs. 1 des 9. Buches
Sozialgesetzbuch (SGB IX) geprüft, ob der freie Arbeitsplatz mit
einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann,
und auch nicht diesbezüglich Kontakt zur Agentur für Arbeit aufgenommen. Der Bewerber verlangte daraufhin eine finanzielle
Entschädigung nach § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) mit der Behauptung, er sei wegen seiner
Behinderung benachteiligt worden.
Die Entscheidung: Das Gericht gab dem Schwerbehinderten
Recht. Nach § 81 Abs. 1 SGB IX sind Arbeitgeber verpflichtet zu
prüfen, ob sie freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzen können (vgl. dazu auch den Beitrag von Achilles
in der Newsletter-Ausgabe Dezember 2011). Um auch arbeitslose
oder arbeitsuchend gemeldete schwerbehinderte Menschen zu
berücksichtigen, müssen Arbeitgeber frühzeitig Verbindung mit
der Agentur für Arbeit aufnehmen. Nach Ansicht des Gerichts
kann sich ein abgelehnter schwerbehinderter Bewerber grundsätzlich darauf berufen, dass die Verletzung dieser Pflicht eine
Benachteilung wegen der Behinderung vermuten lässt. Die Prüfpflicht besteht ausnahmslos immer, für alle Arbeitgeber – privat
wie öffentlich – und zwar unabhängig davon, ob sich ein schwerbehinderter Mensch beworben hat oder bei seiner Bewerbung
diesen Status offenbart hat. Wenn das Unternehmen diese Prüfpflicht verletzt, so stellt dies ein Indiz dafür dar, dass es einen
abgelehnten schwerbehinderten Menschen wegen der Behinderung benachteiligt haben könnte. Damit dreht sich in einem
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Gerichtsprozess die Beweislast um: Der Arbeitgeber muss darlegen und beweisen, dass die Ablehnung des Bewerbers nicht
mit dessen Schwerbehinderung zu tun hat. Das kann prozessentscheidend sein. Im konkreten Fall gelang der Gegenbeweis dem
Arbeitgeber tatsächlich nicht, weswegen er verlor.
Konsequenzen für die Praxis: Wie auch der erwähnte Beitrag
von Achilles zeigt, gewinnt die in der Praxis manchmal übersehene Prüfpflicht zusehends an Bedeutung. Die Missachtung
kann zu finanziellen Folgen und anderen Nachteilen führen. Es
ist daher zu raten, mit der Agentur für Arbeit ein Prozedere
abzustimmen, dass in standardisierten Arbeitsab läufen die
Stellenprofile übermittelt werden und eine verabredete Reaktion der Agentur für Arbeit erfolgt: Antwortet sie innerhalb einer
bestimmten Frist nicht, dann kann die Stelle besetzt werden.
Nennt sie hingegen einen oder mehrere geeignete schwerbehinderte Personen, ist natürlich nicht gesagt, dass die genannten schwerbehinderten Personen auch eingestellt werden
müssten. Wenn das Verfahren eingehalten ist, dann bleibt es
bei dem Grundsatz, dass der abgelehnte schwerbehinderte
Bewerber nachweisen muss, dass die von ihm behauptete
Benachteiligung mit seiner Behinderung zusammenhängt. Insbesondere in einem Fall, in dem schwerbehinderte Personen
am Auswahlverfahren teilnehmen, ist eine genaue Dokumentation des Auswahlprozesses vorzunehmen, um diese dann ggf.
in einem Prozess als Beweismittel einführen zu können. Wer
diesbezüglich gut vorbereitet ist, kann sich unnötige Auseinandersetzungen ersparen oder sich eine gute Ausgangsposition
im Prozess verschaffen.
Dr. Marc Spielberger,
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Arbeitsrecht,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft,
München
mehr als 120 E-Mails sowie SMS und MMS mit eindeutigen Inhalten geschickt – und dies, obwohl die Arbeitskollegin immer wieder
eindringlich darum gebeten hatte, jegliche private Kontaktaufnahme zu ihr zu unterlassen. Das Unternehmen sprach daraufhin
die Kündigung aus. Dagegen zog der uneinsichtige Arbeitnehmer
vor Gericht.
Die Entscheidung: Nach Meinung der Vorinstanz hätte der Arbeitgeber vor der Kündigung eine weitere Abmahnung aussprechen
müssen. Zwar sei der Arbeitnehmer schon anlässlich des „Stalkings“ von vor zwei Jahren bereits wirksam abgemahnt worden.
Diese Abmahnung habe sich aber nur auf das damalige „Stalking“,
nicht aber generell auf das „Stalken“ anderer Arbeitskolleginnen
bezogen. Folglich habe er nicht mit einer Kündigung rechnen müssen, als er einer anderen Arbeitskollegin nachtstellte. Das Verhalten des Arbeitnehmers sei auch „nicht so gravierend“, dass es
keiner Abmahnung bedurft hätte. Erfreulicherweise machte das
BAG da nicht mit. Es hob das Urteil auf. Eine Abmahnung könne
entbehrlich sein, weil der Arbeitnehmer bereits durch das seinerzeitige Verfahren vor der Beschwerdestelle vor arbeitsrechtlichen
Konsequenzen gewarnt war. Auch die Gesamtumstände seien zu
berücksichtigen.
Konsequenzen für die Praxis: Wer einmal wegen „Stalkens“
am Arbeitsplatz durch ein Beschwerdeverfahren gegangen ist,
der braucht keinen zweiten „Warnschuss“ – ihm darf im Wiederholungsfall auch ohne vorherige Abmahnung gekündigt werden.
Nicht nur bei Arbeitgebern und Betroffenen dürfte diese Entscheidung auf viel Verständnis treffen. Arbeitgeber sind ungeachtet
dessen gut beraten, Abmahnungen so zu gestalten, dass auch
künftiges Stalking erfasst ist.
Dr. Daniel Hund,
Rechtsanwalt,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft,
München
Kündigungsgrund „Stalking“ am Arbeitsplatz
Bundesarbeitsgericht vom 19. April 2012 - 2 AZR 258/11
Sachverhalt: Ein Mitarbeiter stellte einer Arbeitskollegin nach –
oder neudeutsch formuliert: er „stalkte“ sie. Die Arbeitskollegin beschwerte sich beim Arbeitgeber. Daraufhin führte dieser
ein Verfahren vor der Beschwerdestelle nach dem Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz durch und verbot ihm, weiterhin zu der
Arbeitskollegin privaten Kontakt aufzunehmen. Andernfalls müsse
er mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen. Damit war es
aber nicht vorbei: Zwei Jahre später beschwerte sich eine weitere
Arbeitskollegin über den Arbeitnehmer wegen „Stalkings“. Die
Ermittlungen ergaben den dringenden Verdacht, dass der Mitarbeiter auch dieser Arbeitskollegin nachgestellt hatte. Er hatte ihr
BAG: Betriebliche Altersversorgung nach Altersteilzeit
Bundesarbeitsgericht vom 17. April 2012 - 3 AZR 280 /10
Sachverhalt: Der Arbeitnehmer war vom 1977 bis 2008 beim
beklagten Unternehmen beschäftigt. In der Zeit 2002 bis 2008
nahm er Altersteilzeit in Anspruch und reduzierte seine Arbeitszeit auf 50 % der regelmäßigen Arbeitszeit vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Mitarbeiter. Seit seinem Ausscheiden gewährt der
Arbeitgeber ihm eine Betriebsrente, die er nach einer bei ihm für
Teilzeitbeschäftigte getroffenen Sonderregelung berechnete. Die
als Gesamtzusage erteilte Versorgungszusage sieht hierbei vor,
dass sich die Höhe der Betriebsrente nach der anzurechnenden
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Dienstzeit und dem zuletzt bezogenen rentenfähigen Arbeitsverdienst richtet. Bei teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern soll der
rentenfähige Arbeitsverdienst unter Zugrundelegung des durchschnittlichen Beschäftigungsgrades in den letzten 120 Kalendermonaten des Arbeitsverhältnisses errechnet werden. Für den
Beklagten hat die Klägerin die Rente unter Zugrundelegung eines
Beschäftigungsgrades von 70% in den letzten 120 Kalendermonaten errechnet. Gegen diese Berechnung hat sich der Kläger
gewandt und gemeint, er werde wegen der in den letzten sechs
Jahren des Arbeitsverhältnisses durchgeführten Altersteilzeit
ungerechtfertigt benachteiligt.
Die Entscheidung: Die Klage hatte vor dem BAG Erfolg. Nach
der Auslegung der Versorgungsordnung ergebe sich, dass die für
Teilzeitbeschäftigte getroffene Sonderregelung zur Berechnung
der Betriebsrente auf Arbeitnehmer, die Altersteilzeit in Anspruch
nehmen, keine Anwendung findet. Folglich richtet sich die Berechnung der Betriebsrente des Arbeitnehmers nach der für Vollzeitbeschäftigte getroffenen Grundregelung.
Konsequenzen für die Praxis: Das BAG konkretisiert mit dieser
Entscheidung in einem weiteren Einzelfall seine Rechtsprechung
zu Fragen der Ungleichbehandlung und den Anforderungen an
eine Rechtfertigung. Festgehalten werden kann jedoch, dass es
nach Auffassung des BAG nicht gerechtfertigt ist, Arbeitnehmer
in Altersteilzeit pauschal mit Teilzeitbeschäftigten gleichzusetzen.
Die alleinige Identität eines Bezeichnungsbestandteiles („-Teilzeit“)
rechtfertige dies jedenfalls nicht. Bereits die Vorinstanz hatte in
den Entscheidungsgründen hierzu ausgeführt, dass die sich nach
der streitgegenständlichen Klausel ergebende Beschränkung des
Betrachtungszeitraumes der Beschäftigungsquote auf die letzten
120 Monaten die Altersteilzeitarbeitnehmer in jedem Fall unzulässig benachteilige. So hatte der Kläger über die gesamte Beschäftigungsdauer eine Quote von 90%, in den letzten 10 Jahren aber
wegen der Altersteilzeit eine von lediglich 70% erreicht. Soll eine
Versorgungszusage daher in Fällen der Altersteilzeit zukünftig eine
Reduzierung der Anwartschaft vorsehen, wird der Arbeitgeber die
Kürzung nach einer der individuellen Beschäftigungsquote des
Arbeitnehmers gerecht werdenden Weise vereinbaren müssen. In
diesem Zusammenhang ist außerdem zu beachten, dass bereits das
vorinstanzliche Gericht darauf hingewiesen hatte, dass administrative Schwierigkeiten und Hindernisse keinen ausreichenden Grund
für eine ungleiche Behandlung verschiedener Arbeitnehmergruppen
im Bereich der betrieblichen Altersversorgung darstellen können.
Jörn Manhart,
Rechtsanwalt,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft,
Düsseldorf
Kündigung wegen „Jesus hat Sie lieb“ am Telefon
LAG Hamm vom 20. April 2011 – 4 Sa 2230/10
Sachverhalt: Der in einem Call-Center beschäftigte Arbeitnehmer
beendete Kundengespräche regelmäßig mit den Worten „Jesus
hat Sie lieb!“. Vorgeschrieben war die Verabschiedungsformel „Ich
danke Ihnen für Ihre Bestellung bei Q1! Auf Wiederhören!“. Trotz
einer Abmahnung weigerte der Mitarbeiter sich, auf diese Form der
Verabschiedung zu verzichten. Er könne nur so seinen Verpflichtungen „gegenüber der Arbeitgeberin und Gott“ gerecht werden.
Das Unternehmen kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich.
Die Entscheidung: Das LAG entschied, dass die Kündigung wirksam sei. Zwar müsse ein Arbeitgeber bei der Ausübung seines
Weisungsrechtes die vom Grundgesetz geschützte Glaubensfreiheit des Arbeitnehmers beachten und auf einen offenbarten
Glaubens- oder Gewissenskonflikt Rücksicht nehmen. Jedoch
habe der Arbeitnehmer keine Gründe darstellen können, die eine
ernste Gewissensnot belegten. Sein pauschaler Verweis auf seinen Glauben und nicht näher benannte Bibelstellen seien nicht
ausreichend. Ferner habe der Arbeitnehmer in einem parallelen
Gerichtsverfahren, in dem es um Weiterbeschäftigung ging,
Anlass gegeben, an einem unlösbaren Konflikt zu zweifeln, als
er anbot, vorübergehend auf seine Bekundung zu verzichten und
zudem nachweislich ein Telefongespräch mit der Geschäftsstelle
des Gerichts ohne religiöse Abschiedsformel beendete.
Konsequenzen für die Praxis: Richtig und wichtig ist die dem
Arbeitnehmer im Prozess auferlegte Pflicht darzulegen, dass es
sich bei der die Leistungsverweigerung begründende Gewissensentscheidung um eine „nach Außen tretende, rational mitteilbare
und intersubjektiv nachvollziehbare Tiefe, Ernsthaftigkeit und absolute Verbindlichkeit einer Selbstbestimmung handelt“ (BAG vom
24. Mai 1989 – 2 AZR 285/88). Anderenfalls könnten sich Arbeitnehmer willkürlich auf Glaubens- und Gewissenskonflikte berufen.
Genügt der Mitarbeiter diesen Anforderungen jedoch, so ist der
Arbeitgeber verpflichtet, den Konflikt des Arbeitnehmers bei der
Ausübung seines Weisungsrechts zu berücksichtigen. Auch die
Versetzung in einen konfliktfreien Arbeitsbereich ist dann zu
erwägen. Vor der Kündigung ist regelmäßig abzumahnen. Die Abmahnung soll den Mitarbeiter zu einer vertragsgemäßen Leistung
bewegen und ihn vor der drohenden Kündigung warnen. Obwohl
das LAG im vorliegenden Fall die mündliche Abmahnung als ausreichend angesehen hat, ist zum Zwecke der Beweissicherung
stets schriftlich abzumahnen, um das weitere Vorgehen nicht zu
gefährden.
Khayreddin Karboul,
Rechtsanwalt,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft,
Berlin
Newsletter
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Im Blickpunkt
Achtung bei Erklärung, Termin und
Zustellung der Kündigung!
Ist die Entscheidung getroffen, sich von einem Mitarbeiter zu
trennen, ist bei der Kündigungserklärung äußerste Sorgfalt geboten.
Dies gilt auch für die Berechnung des Kündigungstermins und für die
Zustellung. Gerade bei der Zustellung herrscht jedoch oft Unsicherheit, welche der zahlreichen Varianten die sicherste ist, um einen
Zugang der Kündigung rechtswirksam herbeizuführen. Der Beitrag
nennt die Voraussetzungen für eine formal wirksame Kündigung
und gibt Tipps für die Praxis, um Problemen und Einwendungen
gegen die formale Wirksamkeit einer Kündigung vorzubeugen.
ist zustimmungsbedürftig (örtliches Gewerbeaufsichtsamt/Landesamt für Arbeitsschutz für Schwangere/Elternzeitler, Integrationsamt für Schwerbehinderte, Betriebsrat, § 103 BetrVG).
5. Kündigungsberechtigung
Die Kündigungsberechtigung liegt – je nach Gesellschaftsform –
bei verschiedenen Organen. Kündigt der Arbeitgeber persönlich,
muss die Kündigung bei nachstehenden Gesellschaftsformen
durch folgende Organe erfolgen: Bei einer AG durch den Vorstand,
bei einer GmbH durch den Geschäftsführer, bei einer OHG durch
den Gesellschafter, bei einer KG durch den Komplementär und bei
einer GbR durch sämtliche Gesellschafter.
Sämtliche Kündigungen unterliegen der Schriftform. D.h., dass
die Kündigung vom Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens zu unterzeichen ist. Dem Erfordernis der Eigenhändigkeit ist genügt, wenn
sich der Aussteller identifizieren lässt. Der Schriftform genügt
weder eine Kündigung per Fax, noch per E-Mail, SMS oder durch
Übergabe einer Kopie des Kündigungsschreibens.
Eine Vertretung beim Kündigungsausspruch kann durch den
Personalleiter, Prokuristen und durch General- oder Handlungsbevollmächtigte erfolgen. Der Personalleiter gilt per se als kündigungsberechtigt („Personalleiterprivileg“); die Vorlage einer
Vollmacht ist nicht notwendig. Bei Prokuristen, Handlungs- und
Generalbevollmächtigten ist die Vollmacht zur Kündigung in deren
umfassender Vollmacht enthalten. Anderen Personen gegenüber
wird die Vollmacht erteilt durch Erklärung gegenüber dem Bevollmächtigten oder gegenüber dem Dritten, dem gegenüber die Vertretung stattfinden soll.
2. Kein Begründungserfordernis
6. Kündigungstermin
Eine schriftliche Begründung der Kündigung ist im Grundsatz nicht
erforderlich, ebenso wenig die Angabe, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört wurde. Ein Begründungszwang kann sich
aber aus einzelnen gesetzlichen Bestimmungen ergeben, so für
die Kündigung schwangerer Frauen (§ 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG)
oder von Auszubildenden (§ 22 Abs. 3 BBiG). Ein Erfordernis der
Begründung kann auch arbeitsvertraglich vereinbart oder in Tarifverträgen vorgesehen sein. Verstößt der Arbeitgeber gegen einen
vorgeschriebenen Begründungszwang, ist die Kündigung nichtig.
Zu beachten ist auch die Vorschrift des § 626 Absatz 2 Satz 3
BGB bei außerordentlichen Kündigungen: Der Arbeitgeber muss
dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich
schriftlich mitteilen.
Der Arbeitgeber sollte vermeiden, eine Kündigung ausschließlich
zu einem bestimmten Enddatum auszusprechen, da diese nicht
ausgelegt werden kann und daher insgesamt unwirksam ist, wenn
die Kündigungsfrist zu kurz berechnet wurde (vgl. hierzu Springer,
Newsletter Arbeitsrecht, Ausgabe Juni/Juli 2011, S. 2).
1. Schriftform
3. Beteiligung der Arbeitnehmervertretungen
Vor Ausspruch einer Kündigung sind ggfs. Betriebsrat oder Personalrat zu beteiligen; dies gilt für alle Arten der Kündigung. Bei
ordentlichen Kündigungen hat der Betriebsrat sieben Tage Zeit,
um sich zur beabsichtigten Kündigung zu äußern, bei einer außerordentlichen Kündigung drei Tage; die Fristen für die Personalräte
finden sich in den Gesetzen der jeweiligen Bundesländer.
4. Besondere Mitarbeitergruppen
Vorsicht ist auch bei besonderen Mitarbeitergruppen geboten:
Die Kündigung von Schwangeren, Elternzeitlern, Schwerbehinderten,
Betriebsräten, Schwerbehindertenvertretern und Wahlbewerbern
7. Zugang
Die Kündigung wird wirksam, wenn sie dem Kündigungsgegner
„zugeht“. Unter Anwesenden genügen die Aushändigung und
Übergabe des Schriftstücks. Es kommt nicht darauf an, ob der
Empfänger das Schreiben liest. Allein entscheidend ist, dass er in
der Lage ist, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen.
Bei einem „Abwesenden“ ist die Kündigung „zugegangen“, wenn
er „unter gewöhnlichen Umständen vom Inhalt der Willenserklärung Kenntnis nehmen kann“. Der Einwurf in den Hausbriefkasten
bewirkt den Zugang der Kündigung, sobald nach der Verkehrsauffassung mit der nächsten Entnahme gerechnet werden kann. Bei der
Übermittlung durch Boten kommt es beim Zugangsdatum darauf
an, zu welcher Zeit die Kündigung in den Briefkasten eingelegt wird.
Erfolgt der Einwurf vor der gewöhnlichen Postzustellung, kann der
Arbeitnehmer von dem Schreiben an diesem Tag Kenntnis nehmen.
Eine Vertretung ist auch zum Empfang einer Kündigung möglich.
Die Übergabe an einen bevollmächtigten Empfangsvertreter, zum
Beispiel einen Rechtsanwalt, führt den Zugang herbei. Ist der
Dritte „Empfangsbote“, geht die Kündigung zu, wenn sie dem
Newsletter
Juni 2012
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Arbeitnehmer ausgehändigt wird oder sonst in seinen „Machtbereich“ gelangt. Empfangsboten sind etwa erwachsene Familienangehörige oder Angestellte. Nachbarn oder andere Hausbewohner
sind weder Empfangsvertreter noch Empfangsboten. Sie sind
lediglich „Erklärungsboten“, d.h. die Kündigung geht erst zu, wenn
der Adressat sie tatsächlich erhält.
Die Urlaubsabwesenheit des Arbeitnehmers stellt kein Kündigungshindernis dar, auch nicht, wenn dem Arbeitgeber sowohl
der Urlaub als auch die Urlaubsanschrift bekannt waren.
Der Arbeitnehmer, der grundlos die Empfangnahme der Kündigung verweigert oder den Zugang der Kündigung in anderer Art
und Weise arglistig vereitelt, muss sich so behandeln lassen, als
sei ihm die Kündigung zugegangen.
Abzuraten ist von der Zustellung von Kündigungen per Einwurfeinschreiben, Übergabe-Einschreiben oder Einschreiben mit
Rückschein: Das Einwurf-Einschreiben wird unter Datums- und
Zeitangabe durch den Zusteller in die vorgesehene Empfangseinrichtung eingelegt. Beim Übergabe-Einschreiben wird das
Schreiben gegen Unterschrift an den Empfänger übergeben. Beim
Einschreiben mit Rückschein bestätigt der Empfänger auf dem
Rückschein den Erhalt des Schreibens, bei Abwesenheit wird ein
Benachrichtigungsschein hinterlegt. Der Zugang erfolgt in diesem
Fall erst bei Abholung des Schreibens bei der Post. Bei diesen
Zustellarten kann jedoch sämtlich nicht bewiesen werden, dass
das Schreiben eine Kündigung enthält.
den Zugang der Kündigung bewirken, und zwar auch dann, wenn
der Arbeitnehmer nicht angetroffen wird.
8. Fazit
Der Arbeitgeber kann bei der Vorbereitung des Ausspruchs einer
Kündigung und deren Zustellung viele Fehler begehen. Insbesondere der Zugang der Kündigung unter Abwesenden ist oft problematisch. Am sichersten wird der Zugang der Kündigung durch
die persönliche Übergabe am Arbeitsplatz gegen schriftliche
Empfangsbestätigung bewirkt. Ist das nicht möglich, empfiehlt es
sich, einen Boten und bei zeitkritischen Zustellungen gleich einen
Gerichtsvollzieher mit der Zustellung zu beauftragen.
Dr. Nina Springer, LL.M.,
Rechtsanwältin und
Fachanwältin für Arbeitsrecht,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft,
München
Hinweis: Der Beitrag ist in einer ausführlicheren Version in der
aktuellen Ausgabe des „Betriebsberater“ erschienen (BB 2012,
1477).
Praxistipp: Ist die Zustellung der Kündigung zeitkritisch, weil z.B.
der letzte Tag erreicht ist, an dem die Kündigung wirksam ausgesprochen werden kann, ist die sicherste Variante der Zustellung die
Einschaltung eines Gerichtsvollziehers. Denn der Gerichtsvollzieher
kann auch nach Ablauf der üblichen Postzustellzeiten bis 24 Uhr
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