Sterben in Zeiten der Freitodhilfe

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Sterben in Zeiten der Freitodhilfe
Mein Wille geschehe
Nadja Ratz
KPS Rankweil
Mein Wille
geschehe
Sterben in Zeiten
der Freitodhilfe
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Mein Wille geschehe
Abstract
Wäre es vertretbar die aktive Sterbehilfe in Österreich zu legalisieren?
Eine hoch brisante Frage! Mit dieser Erörterung wird versucht, dieser Fragestellung ein wenig auf
den Grund zu gehen. Wie kann unsere moderne Gesellschaft eine so schwerwiegende und weit
reichende Frage guten Gewissens beantworten?
Kaum ein anderes Thema wird derart kontrovers diskutiert. Kaum ein anderes Thema ist so heikel
und brisant wie die aktive Sterbehilfe.
Jeder weiß, es besteht in unserer Gesellschaft eine große Unsicherheit im Hinblick auf diese
Thematik – und das nicht nur auf Seiten der betroffenen todkranken Menschen und deren
Angehörigen, sondern auch auf Seiten der Ärzte, des Pflegepersonals, der Juristen, der staatlichen
Institutionen, ja sogar der Kirche. Deswegen herrscht meiner Meinung nach ein großer
Diskussions- und Klärungsbedarf.
In meiner Arbeit versuche ich verschiedene Argumentationen für und gegen eine Legalisierung
einander gegenüber zu stellen und erhoffe mir somit, dass jeder Leser ermutigt wird, sich seine
eigene Meinung zu bilden.
Was würde es tatsächlich für alle Österreicher bedeuten würde die aktive Sterbehilfe bei uns
legalisiert? Würde dann irgendwann das Recht zu sterben zur Pflicht zu sterben? Oder ist das
Selbstbestimmungsrecht eines jeden Einzelnen ein Menschenrecht? Wenn ja, kann man
überhaupt selbst bestimmt handeln, denken und fühlen, wenn das Ende naht?
Sie sehen, es gibt unzählige Fragen die beantwortet werden wollen. Lassen sie sich ein in diese
Diskussion. Wägen sie die verschiedenen Argumente sorgfältig gegen einander ab. Niemand von
uns weiß, ob und wann er die Frage nach aktiver Sterbehilfe beantworten muss. Vielleicht stellt
sich ihnen diese Frage demnächst im beruflichen Umfeld. Oder sie werden eines Tages in ihrem
Privatleben mit dieser Frage konfrontiert?
Angesichts der demografischen Entwicklung und dem enormen medizinischen Fortschritt in den
vergangenen Jahren, lohnt es sich für jeden Einzelnen von uns, sich eine eigene Meinung zu
bilden. Lassen sie sich ein in die verschiedenen Sichtweisen und entwickeln sie dann ihren eigenen
Standpunkt zu diesem sensiblen Thema. Bilden sie sich jetzt eine Meinung, dann können sie in der
jeweiligen Situation vielleicht besser und verantwortungsbewusster damit umgehen.
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Mein Wille geschehe
Inhaltsverzeichnis
1.
Bis wohin reicht mein Leben und wo beginnt die Nacht?
1.1.
3
Warum ist die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in Österreich
zum aktuellen Brennpunkt der öffentlichen Diskussion geworden?
4
2.
Verwirrung der Begriffe
5
3.
Vor- und Nachteile einer möglichen Legalisierung der aktiven Sterbehilfe
7
in Österreich
4.
3.1.
Sogenannte Grauzonen
7
3.2.
Ökonomischer Druck und Rationalisierung
8
3.3.
Das Selbstbestimmungsrecht als unantastbare Freiheit
10
3.4.
Mögliche Konsequenzen einer unantastbaren Patientenautonomie
12
3.5.
Der „Weiße Mantel“ als allwissend
12
3.6.
Messinstrument: Patientenautonomie
13
Mein Resümee: Sterben ist leben vor dem Tod
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4.1.
Warnung vor unabsehbaren Folgen
15
4.2.
Memento Mori
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Mein Wille geschehe
1. „ Bis wohin reicht mein Leben und wo beginnt die Nacht?“
So fragt Rainer Maria Rilke, von dem viele düstere aber auch tröstliche Verse über das Sterben
und den Tod überliefert sind. Die Fragen nach Anfang und Ende des Lebens sind eigentlich
existenziell für uns Menschen. Aber wenn es um den Tod geht, weichen wir lieber aus und
vermeiden, darüber nachzudenken oder gar darüber zu sprechen. Aber da der Tod zum
menschlichen Leben gehört, muss er als fixe Größe bewältigt werden.
Sterben und Tod, das begegnet mir tagtäglich in den Medien. Aber es passiert anderen, mir
unbekannten Menschen. Vor allem sah ich nur den toten Menschen, niemals aber den
Sterbenden. Bis zu meinem Wahlpraktikum auf der Palliativstation im LKH Hohenems. Dort
erlebte ich als Pflegende viele wertvolle und unbezahlbare Momente. Menschen, die trotz ihrer
schweren, vielleicht aussichtslosen Erkrankung um jeden Tag dankbar sind und darum kämpfen.
Ich wurde aber auch gleichzeitig Zeuge von unermesslichem Leid. Ich lernte Menschen kennen,
die so nicht mehr weiterleben wollten.
Wie jeden Morgen ging ich nach der Dienstübergabe in das Zimmer 04 um Frau S. zu wecken und
ihr zu erzählen, ob es irgendwelche Neuigkeiten gibt, seit ich gestern aus dem Dienst gegangen
bin. Diesen Morgen begrüßte sie mich aber nicht wie sonst üblich mit einem schwachen, müde
gewordenen, Lächeln. Ihr Zustand hatte sich über Nacht wieder zusehends verschlechtert und sie
erzählte mir, sie habe nun keine Kraft mehr zu kämpfen. Sie sei müde und wolle gehen. „Nadja,
gibt es denn dafür keine Möglichkeiten?“, fragte sie mich.
Und ich begann, mich mit einem Thema auseinanderzusetzen, auf das mir niemand in meinem
Umfeld eine konkrete Antwort geben konnte oder wollte. Die aktive Sterbehilfe.
Mit dieser Arbeit möchte ich erreichen, dass jeder aufmerksame Leser sensibilisiert wird für
dieses heikle und kontrovers diskutierte Thema. Es bedarf meiner Meinung nach einer breiten
und offenen Diskussion, damit wir besser verstehen können, warum es zu so unterschiedlichen
Bewertungen der aktiven Sterbehilfe kommt. Vor allem für uns professionelle Pflegende ist es
wichtig, eine für sich selbst vertretbare Position in dieser Diskussion einzunehmen, da wir es sind,
die eng mit den Patienten und deren Angehörigen zusammenarbeiten.
Es gibt Argumente, die für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe stehen und es gibt
Argumente, die dagegen stehen.
In meiner Bearbeitung dieses Themas stelle ich die verschiedenen Meinungen in Form einer
dialektischen Erörterung einander gegenüber und hoffe somit, jedem Lesenden einen
differenzierten Blickwinkel bezüglich der aktiven Sterbehilfe zu ermöglichen. Ist sie
menschenverachtend oder ist sie ganz im Gegenteil ein Menschenrecht?
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Mein Wille geschehe
1.1.Warum ist die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in Österreich zum aktuellen
Brennpunkt der öffentlichen Diskussion geworden?
Die gesellschaftliche Akzeptanz von Sterbehilfe hat in den letzten Jahren zugenommen.
Hintergrund dieser Entwicklung ist vermutlich die Beunruhigung der Bevölkerung über die
Möglichkeiten der modernen Medizin zur nahezu unbegrenzten Verlängerung von
Lebensfunktionen. Wobei es eine undefinierte Grauzone gibt zwischen Lebensverlängerung und
Sterbeverzögerung. Hinzu kommt die Entwicklung, dass immer mehr Menschen ein Lebensalter
erreichen, in dem das Risiko steigt, von einer schweren chronischen Krankheit betroffen zu sein.
Deswegen haben immer mehr Menschen Angst davor, an medizinischen Apparaturen zu hängen
und von dem Fortschritt der Medizin „verurteilt“ zu sein, noch lange leben zu müssen, obwohl das
Leben für sie persönlich zur Qual geworden ist.
Um diesem Schicksal zu entkommen, wollen viele selbst über den Zeitpunkt und den Ort ihres
Todes bestimmen und würden sich, so habe ich es in meinem persönlichen Umfeld erlebt, für
eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in Österreich entscheiden. Andere hingegen bleiben
bei ihrem absoluten Nein zur Legalisierung.
Jeder bemerkt, es besteht in unserer Gesellschaft eine große Unsicherheit im Hinblick auf diese
Thematik – und das nicht nur auf Seiten der betroffenen totkranken Menschen und deren
Angehörigen, sondern auch auf Seiten der Ärzte, des Pflegepersonals, der Juristen, der staatlichen
Institutionen , ja sogar der Kirche. Deswegen herrscht ein großer Diskussions-, Klärungs- und
Handlungsbedarf.
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Mein Wille geschehe
2. Verwirrung der Begriffe
Der Gebrauch unklarer Begriffe in diesem Themenbereich trägt wesentlich zur Verunsicherung
bzgl. Sterbehilfe bei. Es lohnt sich daher, diese Begrifflichkeiten kurz zu analysieren, damit der
Leser genau verstehen kann, was man unter einer aktiven Sterbehilfe versteht.
Aktive Sterbehilfe: ist die Durchführung von lebensverkürzenden Maßnahmen auf Grund des
tatsächlichen oder mutmaßlichen Wunsches einer Person; Aktive Sterbehilfe erfolgt durch
Verabreichung einer Überdosis eines Schmerz- und Beruhigungsmittels, Narkosemittels,
Muskelrelaxans, Insulin, durch Kaliuminjektion oder Kombination davon.
Die aktive Sterbehilfe ist verboten:
In Österreich (§75, §77, §78 des Strafgesetzbuches)
In Deutschland (§ 216 des Strafgesetzbuches)
In der Schweiz ( Art. 111, Art. 113, Art. 114 des Strafgesetzbuches)
In den Niederlanden ist aktive Sterbehilfe ebenfalls verboten (Art. 293 des Strafgesetzbuches) ,
allerdings nicht strafbar, wenn sie von einem Arzt unter Einhaltung bestimmter Sorgfaltspflicht
begangen wurde und dem Leichenbeschauer Meldung erstattet wurde.
Passive Sterbehilfe: ist das Nichtergreifen oder Nichtfortführen lebenserhaltender Maßnahmen
aus ethischen, medizinischen und humanitären Gründen bei nichteinwilligungsfähigen Personen,
bei denen vorbereitende Gespräche nicht möglich waren oder keine Patientenverfügung vorliegt.
Viele halten diesen Begriff für missverständlich und sind der Meinung, man solle besser von
„Sterbenlassen“ sprechen.
Indirekte Sterbehilfe: ist der Einsatz von Medikamenten zur Linderung von Beschwerden, die als
Nebenwirkung die Lebensdauer evtl. verkürzen können.
Beihilfe zur Selbsttötung (assistierter Suizid): Selbsttötung mit Hilfe einer Person, welche ein
Mittel zur Selbsttötung bereitstellt; dies geschieht oft in Form, dass ein Arzt eine tödliche Dosis
eines Barbiturates verschreibt und sie dem Patienten zur Verfügung stellt.
In der Schweiz ist die Hilfe zur Selbsttötung nicht strafbar, sofern kein egoistisches Motiv vorliegt
(Art. 115 des Strafgesetzbuches), ist aber gemäß den Richtlinien der Schweizerischen Akademie
der medizinischen Wissenschaften (SAMW) nicht Teil der „ärztlichen Tätigkeit“. Bekannt sind in
der Schweiz die Organisationen Dignitas und EXIT, welche Hilfestellungen anbieten, um bei der
Selbsttötung zu assistieren. (Vgl. Grundrechte und Sterbehilfe 1998, Seite 75-76)
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Mein Wille geschehe
Euthanasie: Euthanasie bedeutet ursprünglich „schöner Tod“. Der Begriff ist aber heute mit einer
schweren historischen Hypothek belastet, da im Nationalsozialismus damit der Massenmord an
psychisch Kranken und Behinderten bezeichnet wurde. Daher sollte der Begriff Euthanasie heute
nicht mehr unkritisch und „geschichtslos“ verwendet werden. (Binding Michael at. al; Roche Lexikon 2003,
Seite 574)
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Mein Wille geschehe
3. Vor- und Nachteile einer möglichen Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in
Österreich
3.1.
Sogenannte „Grauzonen“ in der Debatte um die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe
Die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe würde Menschen dabei helfen, mit Hilfe von
medizinischen Maßnahmen selbstbestimmt zu sterben. Diese Legalisierung würde verhindern,
dass verschwiegene „Grauzonen“ von ambivalenten Patienten und deren Helfern entstehen.
Wie gleitend sind die Übergänge! Wie schwierig, ja beinahe unmöglich, den Punkt zu bestimmen,
an dem das Passiv ins Aktiv überschlägt! Das Gerät wird abgestellt: Ist das nicht bereits ein
dramatischer Eingriff? Oder ich gebe dem Patient eine Spritze, die eine erhöhte Morphium-Dosis
enthält, mit deren Hilfe er ruhig einschlafen kann: Aktive Sterbehilfe? Ich stelle ein Medikament
bereit, das der Patient selbst nehmen mag. Passiv? Aktiv? Ich führe dem Sterbenden, auf dessen
Wunsch, beim Trinken die Hand. Aktiv, passiv?
Lässt sich unter solchen Umständen die herrschende Rechtspraxis rechtfertigen, wonach die
indirekte Sterbehilfe zugelassen wird, die aktive Sterbehilfe jedoch unter allen Umständen
verboten bleibt?
„Wenn ich eine Krebsdiagnose eröffnen muss, fragen mich viele meiner Patienten, ob ich ihnen
helfen könne, wenn sie einmal in eine unerträgliche Situation komme. Und ich finde es
unmenschlich, dass ich ihnen einfach nein sagen muss. Damit nehme ich ihnen vielleicht zehn oder
zwanzig Jahre lang den Willen weg, gegen die Krankheit zu kämpfen. Ihre Lebensqualität wird
dadurch beeinträchtigt, weil sie sich dauernd davor fürchten müssen, einmal in eine der seltenen
Situationen von unerträglichem Schmerz zu kommen, in welcher ihnen niemand helfen kann. Und
aus diesem Grund habe ich nicht erst einmal gegenüber einem österreichischen Patienten, die
Möglichkeiten in der benachbarten Schweiz erwähnt.“( Aus einem Gespräch mit einem Facharzt der
onkologischen Abteilung im KH Dornbirn)
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Mein Wille geschehe
3.2.Ökonomischer Druck und Rationalisierung
„Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und das Alter ehren“, ist in der Bibel bei Mose zu
lesen.
Wenn wir aber heute die Medien verfolgen, hören wir von unschönen Begriffen wie
„Überalterung“ oder „RentnerInnenberg“. Und nicht zufällig fristet die Disziplin der Geriatrie ein
Aschenbrödeldasein.
Die Euthanasiedebatte wird geführt unter anderem vor dem Hintergrund der Rationalisierung
von sinnvollen medizinischen sowie pflegerischen Leistungen. Denn die ökonomischen Probleme,
die entstehen, wenn wir alle immer älter werden, sind nicht wegzudenken. Dazu sehen sie sich
bitte folgende Alterspyramide an.
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Mein Wille geschehe
„Wenn die wirtschaftlichen Schwierigkeiten weiterbestehen, wird man aus Kostengründen auch
auf sinnvolle lebensverlängernde oder –rettende Maßnahmen bei älteren lebenswilligen Patienten
verzichten. Eine Tendenz, Patienten in Pflegeheimen mit einer Lungenentzündung nicht mehr mit
Antibiotika zu behandeln, lässt sich heute schon feststellen“. (Cecile Ernst, Basler Zeitung vom 27.7.1996)
In unserer Gesellschaft wird schon seit längerer Zeit der sogenannte „Pflegenotstand“ toleriert.
Würde die aktive Sterbehilfe legalisiert, könnte das ein Zeichen sein, wie diese Gesellschaft
vorhaben könnte, das Problem der „Überalterung“ in Zukunft zu lösen.
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3.3.Das Selbstbestimmungsrecht als unantastbare Freiheit
Das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Kranken muss als ein wertvolles Gut gesehen werden,
welches geschützt werden muss.
Das Selbstbestimmungsrecht gilt als zentrales Argument für die aktive Sterbehilfe. Die
unantastbare Autonomie eines jeden Menschen ist begründet allein durch sein Menschsein. Die
Würde des Menschen und sein Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung sind grundrechtlich
geschützt. Den freien und vernünftigen Willen eines aufgeklärten Menschen zu missachten
bedeutet, ihm den Respekt nicht zu erweisen, den er als Mensch verdient. Dieses
Selbstbestimmungsrecht von Patienten über den eigenen Körper gilt auch am Lebensende. Es
schützt gerade in dieser schwierigen Lebensphase vor Fremdbestimmung. Denn wenn die
Menschenwürde ein verankertes Grundrecht ist, dann ist es auch ein Grundrecht einer jeder
Person, selbst zu entscheiden, wann die Menschenwürde für einen selber zu Ende geht. (vgl. Aktive
u Passive Sterbehilfe, Seite 159-165)
Die alte Dame auf der Palliativstation verdeutlichte ihre Situation in einem weiteren Gespräch:
„Ich will, wenn ich schon sterben muss und mir keine Therapie weiterhilft, nicht länger als nötig
leiden, ich will, dass meine Qualen und Schmerzen ein Ende haben. Ich will nicht ins Koma fallen
und teilnahmslos als Pflegefall dahin vegetieren. Warum soll ich noch warten, ohne jede Hoffnung
auf ein menschenwürdiges Dasein?“
Desweiteren sagte sie: „Ich will lieber sterben, als dass mein Enkelsohn mich nur als
bedauernswertes ‚Es‘ in Erinnerung behält.“
Demzufolge sollte man jedem Mensch das Recht auf einen selbstbestimmten Tod gewähren.
Die Möglichkeit, das Lebensende in gewissem Maß steuern zu können, würde sicher als eine
positive Erfahrung erlebt werden und würde den bevorstehenden Tod erträglicher erscheinen
lassen und außerdem würde es die Angst ein wenig lindern. Die Legalisierung der aktiven
Sterbehilfe wäre somit eine Voraussetzung für Gerechtigkeit und Gleichheit der Behandlung am
Lebensende. (Vgl. Dtsch. med. Wochenzeitschrift 2001; Seite 1306)
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Papst Johannes Paul II erklärte drei Jahre vor seinem Tod vor Medizinern und
Gesundheitsfachleuten aus aller Welt:
„Die Komplexität des Menschen fordert bei der Verabreichung der notwendigen Heilmethoden,
dass man nicht nur seinen Körper berücksichtigt, sondern auch seinen Geist. Es wäre anmaßend,
allein auf die Technik zu setzen. Und in dieser Sicht würde sich eine Intensivmedizin um jeden Preis
bis zum Letzten schließlich nicht nur als unnütz erweisen. Sie würde auch nicht völlig den Kranken
respektieren, der nun an sein Ende gelangt ist und dies auch erkennt.“ (vgl. Pfarrblatt Egg 04/2002;
Seite7)
Deshalb sollten entsprechende Bemühungen angesichts der möglichen Bedeutung der Gestaltung
der letzten Lebensphase nicht durch rechtliche oder andere Regelungen eingeschränkt werden.
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3.4.Wenn nun die Patientenautonomie als unantastbar angesehen wird, dann müssen wir als
demokratische Gemeinschaft die möglichen Konsequenzen dieser Autonomie erwägen.
Denn wenn Autonomie zum Kennzeichen des Menschseins wird, besteht die Gefahr, dass geistig
behinderte und demente Menschen, die eben nicht völlig autonom sind, nicht als vollständige
Menschen angesehen werden. Diese Denkweise untergräbt somit den Schutz genau dieser
Personen, die nicht fähig sind, ihr Recht auf Selbstbestimmung in der Diskussion um eine
Legalisierung der aktiven Sterbehilfe wahrzunehmen.
Folglich müsste bei einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe daran gedacht werden, dass diese
Menschen „völlig“ ohne juristischen Schutz wären.
3.5.Der „Weiße Mantel“ als allwissend
Ein weiterer Grund, warum Patientenautonomie keine Basis für die aktive Sterbehilfe sein sollte,
liegt darin, dass in unserem Rechtsstaat die praktische Umsetzung kontrolliert werden müsste.
Das heißt der Grund der Anfrage, das Maß der Autonomie und die Unabhängigkeit des Patienten,
die Durchführung und deren legale Kontrolle, all das muss reguliert werden. In einem Staat, der
über Gesetzgebung funktioniert, ist es undenkbar, einer Gruppe von Menschen, also Ärzten, ohne
irgendeine weitere Kontrolle zu erlauben, das Leben anderer zu beenden. (vgl. Vom Recht zu leben zur
Pflicht zu Sterben, Seite 127)
Würde also eine Zulassung der aktiven Sterbehilfe die Machtposition von Ärzten deutlich
verstärken?
Tatsächlich kann Patientenautonomie bestenfalls eine Vorbedingung sein, die bestimmt, ob das
Leben einer Person beendet wird. Andere Menschen sind involviert und haben hier auch etwas
zu sagen, und das limitiert somit die Autonomie des Individuums.
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3.6.Messinstrument: Patientenautonomie
Ich behaupte, dass es sehr schwierig ist, zu erkennen, wie selbstbestimmt ein Mensch am
Lebensende tatsächlich handeln kann.
Denn besonders in Situationen, in denen ein Mensch ernsthaft leidet, kann die Fähigkeit,
Euthanasie frei und unabhängig zu ersuchen, stark in Frage gestellt werden. Wenn aber
andererseits Menschen fähig sind, selbstbestimmt um Euthanasie zu bitten, stellt sich wiederum
die Frage, wie unerträglich das Leiden wirklich geworden ist. Ist das Leiden dann der Grund für
die Frage, oder steht doch etwas anderes im Vordergrund?
Mein erster Praktikumseinsatz während dieser Ausbildung führte mich in ein Pflegeheim im
Bregenzerwald. Dort begegnete ich vielen interessanten Bewohnern und einige wenige von ihnen
sehnten sich den Tod herbei. Sie wussten wohl, dass es mit ihrem Glauben nicht einhergehen
darf, trotzdem war ihr Lebenswille derart gebrochen, dass sie diese „Sünde“ begehen würden,
wenn sie könnten.
Jetzt mit sehr viel mehr an fachlichem Wissen und Erfahrung diesbezüglich, kann ich die
damaligen Situationen besser verstehen. Es handelte sich bei diesen Menschen ausschließlich um
betagte Personen, die aufgrund von somatischen Leiden „bettlägrig“ waren. Alle drei Bewohner
waren verwitwet, zugezogen und kinderlos. Ihre gesellschaftlichen Kontakte beschränkten sich
auf die wenige Zeit, die das Pflegepersonal hatte und auf den Gemeindearzt, der ca. einmal die
Woche schnellen Schrittes vorbeikam. Höhepunkt der Woche für diese Patienten war, als jeden
Nachmittag ein anderes dieser drei Betten in den Gemeinschaftsraum gefahren wurde. (Aus
Platzmangel war es leider nicht anders möglich.)
Könnte man nun guten Gewissens vermuten, die Wünsche nach dem sofortigen Tod beruhen
eventuell auf Isolation, fehlendem intellektuellem Input und zäh dahinschwindende Tagen,
welche sich im Wesentlichen nicht mehr voneinander unterscheiden lassen?
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Mein Wille geschehe
Für weitere Sichtweisen richte der Leser bitte sein Augenmerk auf nachfolgende Tabelle:
Gründe für das Verlangen nach Euthanasie/assistiertem Suizid in Prozent in den Niederlanden
Aussichtsloses und unerträgliches Leiden
Vermeidung von Entwürdigung
Vermeidung von stärkerem bzw. weiterem Leiden
Sinnloses Leiden
Schmerz
Lebensmüdigkeit
Vermeidung von Ersticken
Wunsch, der Familie nicht mehr zur Last zu fallen
74
56
47
44
32
18
18
13
(Maas et.al. 1996; zit. n. Gordijn 1997 aus Patientenselbstbestimmung und Patientenselbstbestimmungsfähigkeit, Seite
175)
Ich nehme an, dass jedem kritischen Leser bei dieser Aufgliederung auffällt, das die Beweggründe,
jetzt sterben zu wollen, in Frage gestellt werden könnten. Könnte nicht vielmehr durch die
Verbesserung der palliativen Pflege vielen dieser Menschen, die wir hier nur in der Statistik
erkennen, der Grund genommen werden, jetzt sterben zu wollen?
Ich habe während meines Praktikums auf der Palliativstation im LKHH erlebt, dass Patienten die
mit schlecht kontrollierter Schmerzsymptomatik aufgenommen werden, schon lange den Wunsch
verspüren, endlich sterben zu können. Sie wollen ihrem So-Sein entfliehen und wünschen sich
aktive Sterbehilfe. Sind aber ihre Schmerzen nach optimaler Einstellung auf ein gut erträgliches
Maß kontrolliert und wurde ihnen mit Hilfe von Zuwendung gezeigt, dass sie zu respektierende
Menschen sind, können sie wieder frei sein für ihr Da-Sein.
Demnach könnte man sagen, wer sein Leben wegen mangelnder Pflege als unerträglich
empfindet, bei dem sind die Voraussetzungen für die Freiwilligkeit nicht gegeben.
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4. Mein Resümee: Sterben ist leben vor dem Tod
Sie haben nun die wichtigsten Argumente gegen bzw. für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe
in Österreich gelesen. Und vielleicht können sie sich meiner Meinung anschließen:
Wo wir die Tötung eines Menschen als „Lösung“ der zugegebenermaßen schwierigen Situation
von Krankheit und Sterben akzeptieren, ist dies eine Bankrotterklärung an die Menschlichkeit. Wir
würden zulassen, dass Tod und Aussichtslosigkeit die Oberhand gewinnen. (siehe Tabelle Seite 11)
Wir müssen also alles tun, um jedem Menschen ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen
und zu erleichtern. Also müssen wir die Euthanasie als absichtlich herbeigeführte vorzeitige
Beendigung des menschlichen Lebens ablehnen. Denn hier handelt es sich nicht mehr um Hilfe
beim Sterben, um Erleichterung des Sterbens, sondern um die Tötung eines Menschen. Hinzu
kommt, dass diese Tötung wiederum einem anderen Menschen zugemutet werden müsste. Der
Grundpfeiler der Rechtsordnung, dass nämlich kein Mensch über das Leben eines anderen
Menschen verfügen könne, würde im Falle einer Legalisierung aus den Angeln gehoben. Nicht zu
Unrecht empfinden wir Staaten, welche die Todesstrafe erlauben, als gesellschaftlich rückständig.
4.1.Warnung vor unabsehbaren Folgen
Die Erfahrung in unserer Geschichte zeigt, dass eine einzige aufgeweichte Stelle in der
Grundhaltung der Achtung vor dem Menschenleben genügt, um einer Lawine von
Unmenschlichkeit den Weg zu öffnen.
Diese Folgen würden als erstes die Kranken treffen. Vermutlich wäre der Übergang bald fließend:
Vom ‚Recht zu sterben‘ zur ‚Pflicht zu sterben.‘
Das kräftigste Argument für eine Legalisierung stellt das Selbstbestimmungsrecht eines jeden
Einzelnen dar. Aber genau diese Forderung wäre problematisch. Ich sehe in der Erlaubnis aktiver
Sterbehilfe eine Einschränkung dieses Selbstbestimmungsrechts. Zumindest besteht die Gefahr,
dass die betroffene Person einem Druck von außen ausgesetzt ist.
Wie frei ist der Entscheid, wenn ich als betroffene Person auf die Möglichkeit aktiver Sterbehilfe
angesprochen werde?
Wie frei ist der Entscheid, wenn die Behandlung unter dem Spardruck und unter Kosten-NutzenRechnungen abgebrochen werden soll?
Wie frei ist der Entscheid, wenn mir als einzige verbleibende Möglichkeit ein anonymes
Krankenhausbett zur Verfügung steht?
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Mein Wille geschehe
Die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe würde auch das Gewissen des Arztes und des
Pflegepersonals in unerträglicher Weise belasten und das Verhältnis zum Patienten radikal
verändern. Denn diese zwei Berufsgruppen dürfen meiner Meinung nach niemals als Gehilfen des
Todes angesehen werden, sondern als Beschützer des Lebens.
4.2.Memento Mori (Gedenke des Todes!)
Wenn wir in Würde sterben wollen, müssen wir dafür sorgen, dass alle Menschen in Nord und
Süd, Gesunde, Kranke, Behinderte und Betagte in Würde leben können und dieses Leben auch als
würdevoll respektiert wird.
Wer den alternden, kranken Menschen die Würde abspricht, weil sie beim Essen sabbern, sich
nicht mehr selber pflegen können oder verwirrt sind, verwechselt den Menschen mit einer
Maschine. Wer käme aber auf die Idee, einem Baby die Würde abzusprechen, weil es gefüttert
und gewickelt werden muss? (Vom Recht zu leben zur Pflicht zu Sterben 2001, Seite 15)
Die Palliativmedizin und die Hospizbewegung verfolgen dieses Ziel der Würdigung des Menschen
bis zum Schluss. Im Rahmen einer palliativmedizinischen Behandlung wird nicht mehr auf die
Erkrankung selbst Einfluss genommen, sondern es geht vor allem um das Lindern des Leidens und
die Behandlung von Schmerzen. Statt bis zum bitteren Ende zu therapieren, werden das
bevorstehende Lebensende angenommen und belastende Symptome wie Atemnot, Übelkeit,
Angst und Unruhe weitgehend gemindert. Der umfassende palliativmedizinische Ansatz bezieht
die Angehörigen mit ein und bietet ihnen Unterstützung an. Im Mittelpunkt steht die Zuwendung
und Kommunikation, sowie das Versprechen, dem Patienten pflegerisch und ärztlich beizustehen.
All das schafft Geborgenheit und Sicherheit.
Das alles heißt für mich: Palliativpflege muss auch in der Krankenpflegeausbildung einen
höheren Stellenwert bekommen.
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Mein Wille geschehe
Es braucht meiner Meinung nach dringend Rahmenbedingungen, die Menschen mit unheilbaren
Krankheiten eine ganzheitliche Begleitung ermöglichen. Dazu gehört nicht nur die
Schmerztherapie, sondern auch eine Wahrnehmung seitens der Pflege und Ärzte, der
psychischen, seelischen und geistigen Bedürfnisse. Dazu gehört auch die Unterstützung der
Angehörigen während des Sterbeprozesses und in der Trauerphase. Palliative Maßnahmen sollen
zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen und ein würdevolles Sterben ermöglichen.
Das ist, meiner Meinung nach, die einzig richtige Art der Sterbehilfe. Und diese Art der
Sterbehilfe muss jedem Menschen zugänglich gemacht werden. Entsprechend braucht es
genügend fachkompetentes Personal und die dazu notwendigen finanziellen Mittel.
Viele Fragen bleiben in dieser Diskussion unbeantwortet.
Wie kann ich der breiten Bevölkerung in ausreichendem Maße näher bringen, dass wir mehr
palliative Betten brauchen? Wie könnten wir diese enormen Mehrkosten finanzieren?
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Mein Wille geschehe
Literaturverzeichnis
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Binding, Michael; Dr. med. Boss, Norbert; Reiche, Dagmar; Dr. med. Wangerin, Günther: Roche
Lexicon, München, Urban und Fischer Verlag, 5. Auflage, München, 2003
Ernst, Cecile: Aktive Sterbehilfe in der Basler Zeitung, 27.7.1996
Kneihs, Benjamin: Grundrechte und Sterbehilfe, Wien, Verlag Österreich, 1998
Niethammer, Dietrich: Pro & Contra, Dtsch. Med. Wochenzeitschrift 126,Stuttgart,2001
Schwank, Alex; Spöndlin, Ruedis: Vom Recht zu Sterben zur Pflicht zu Sterben, Zürich, Wiener
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Thiele, Felix: Aktive und Passive Sterbehilfe(medizinische, rechtswissenschaftliche und
philosophische Aspekte),Paderborn, Willhelm Fink Verlag, 2005
Vollman, Jochen: Patientenselbstbestimmung und Selbstbestimmungsfähigkeit, Stuttgart, Verlag
W. Kohlhammer, 2008
Waibel, Ronald: Pfarrblatt für Egg und Großdorf; Egg, Pfarramt Egg, 2002
WHO Regional Office for Europe: www.euro.who.int, 2004 ; download vom 20.11.2008
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Mein Wille geschehe
Eigenständigkeitserklärung
Hiermit erkläre ich, Nadja Ratz, dass die hier vorliegende Fachsbereichsarbeit von mir
eigenständig erstellt wurde. Zur Erstellung dieser Arbeit habe ich keine anderen Behelfe als die im
Literatur- und Quellenverzeichnis angeführte Literatur verwendet.
Nadja Ratz, am 30.11.2008
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