Die Anwendung der Chinesischen Arzneitherapie in der Praxis
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Die Anwendung der Chinesischen Arzneitherapie in der Praxis
Die Anwendung der Chinesischen Arzneitherapie in der Praxis Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft Erlangen 13.10.2007 Dr. med. Axel Wiebrecht Allgemeinmedizin . Chinesische Medizin 12161 Berlin [email protected] Drogen der Chinesischen Arzneitherapie Pharmakopöe der VR China (2005): 538 Rohdrogen, davon - pflanzlich 86,0 Prozent - tierisch 9,5 Prozent - mineralisch 4,5 Prozent in Europa üblich: ca. 300 Drogen Diagnostik in der Chin. Medizin Krankheitsbezeichnung ähnlich westlicher Medizin funktionelle Diagnose: § pathogene Faktoren (Fülle): Hitze, Kälte, Feuchtigkeit, Wind, Schleim bzw. Kombination aus diesen § Mangelzustände: Qi, Blut, Yin, Yang § Kombination von Fülle und Mangel: Qi-Stagnation, Blut-Stase u.a. Diagnostik in der Chin. Medizin eine westliche Diagnose – viele chinesische (funktionelle) Diagnosen Beispiel Migräne: aufsteigendes Leber yang Leber Wind Leber Qi Stagnation trüber Schleim Blut Stagnation Qi Mangel Blut Mangel Nieren Schwäche Diagnostik in der Chin. Medizin eine chinesische (funktionelle) Diagnose – viele westliche Diagnosen Beispiel Nieren Yin Leere: chron. Lumbalgie Tinnitus Restless Legs Syndrom Durchschlafstörung Obstipation Harninkontinenz Asthma westliche Differenzierung der Herzinsuffizienz (Nohria, Am J Cardiol, 2005) Pathogene Faktoren: Fülle Pathogene Faktoren: • • • • • • Hitze Kälte Feuchtigkeit Wind Schleim u.a. Kombinationen davon Behandlungsstrategie ausleiten (z.B. OF öffnen, z.B. durch Schwitzen) oder auflösen Pathogene Faktoren: Mangel Mangel/Leere von: • • • • • Qi, Blut, Yin, Yang, Körperflüssigkeiten Behandlungsstrategie ergänzen Qi z.B. nach oben oder nach unten bringen weitere Pathologien Gemischte Zustände von Fülle und Mangel • Stase von Blut • Stagnation von Qi • kombinierte: z.B. Schwäche des Abwehr-Qi mit äußeren pathogenen Faktoren (Wind/Feuchtigkeit) viele chronische Erkrankungen, z.B. Rheuma Behandlungsstrategie Stase/Stagnation auflösen Pathogene Faktoren und Mangel behandeln Pathologie: Emotionale Faktoren Emotionale Faktoren • • • • Wut Trauer Angst Grübeln u.a. erzeugen verschiedene Stagnationen des Qi oder andere Pathologien, die entsprechend zu behandeln sind individuell abgestimmte Therapie Berücksichtigung von • Krankheitsmanifestationen („Zweige“) z.B. Fieber, Unruhe • zugrunde liegendes Syndrom („Wurzel“) z.B. Yin-Leere • Konstitution z.B. Nieren Yang Mangel Charakteristika der Chinesischen Arzneitherapie • CA ist typischerweise eine individuelle Therapie • In Standardsituationen können Fertigmischungen, z.B. als Fertigarzneimittel eingenommen werden • Die CA verwendet fast ausschließlich Vielfachkombinationen (ca. 6 bis 12 Bestandteile) • Für eine sinnvolle Anwendung von Fertigmitteln ist in der Regel die westliche und die chinesische Diagnose anzugeben! • Die chin. Diagnose muss den Funktionszustand exakt treffen • Die typische Anwendung ist das Dekokt Arzneiformen • • • • • • • Dekokt Granulat Pulver Pille Medizinalwein Suppositorien äußerl. Anwendung (Auflage von Abkochungen, Salbe, Bäder) • (Injektion) Aufbau einer Rezeptur • Hauptarznei (Kaiserdroge): bestimmt die Hauptwirkung, unverzichtbar • Ergänzungsarznei (Ministerdroge): unterstützt die Hauptwirkung, kann weitere Aspekte berücksichtigen • Hilfsarznei (Adjutantendroge): kann Nebensymptome berücksichtigen, Nebenwirkungen kompensieren • Meldearznei (Botendroge): kann Wirkung in ein/e bestimmte/s Richtung/Organ lenken, kann die Rezeptur harmonisieren Vorteile der Kombinationstherapie • Wirkungsverstärkung • Berücksichtigung von weiteren Aspekten (z.B. Atemwegsinfekt mit viel zähem Schleim) • Vorbeugung oder Abschwächung von Nebenwirkungen • Verbesserung der Kompatibilität der Drogen Beispiel für den Aufbau einer Rezeptur GUI ZHI TANG – „Zimtzweige-Dekokt“ Hauptar.: Cinnamomi Ramulus Ergänzungsar.: Paeoniae Radix alba Hilfsar.: Zingiberis Rhizoma recens Hilfsar.: Jujubae Fructus Meldear.: Glycyrrhizae Radix praep. 9g 9g 9g 9g 6g Beispiel für den Aufbau einer Rezeptur LIU WEI DI HUANG WAN “Sechs Kräuter Pille mit Rehmannia” Hauptar.: Ergänzungsar.: Ergänzungsar.: Hilfsar.: Hilfsar.: Hilfsar.: Rehmanniae Radix praep. 24g Corni Fructus 12g Dioscoreae Rhizoma 12g Alismatis Rhizoma 9g Moutan Cortex 9g Poria 9g Fallbeispiel: Restless Legs Syndrom 60jähriger Arzt mit: • Durchschlafstörung • Spannungsgefühl in den Beinen • Unruhe (muss nachts um den Block laufen) Chin. Diagnose: Nieren Essenz Mangel Therapie: Liu Wei Di Huang Wan (Dekokt) Effekt: nach 10 Tagen Restless-Legs-Symptomatik verschwunden. Einnahme nach 40 Tagen beendet, weil zu teuer, dann allmählich nachlassender Effekt, jedoch bei Nachfrage nach 6 Mon. Symptomatik noch tolerabel Bewährte Indikationen Infekte: • akute (insbes. Virus-)Infekte • subakute/chron. Sinusitis u. Bronchitis • Infektanfälligkeit gastrointestinale Erkrankungen: • Gastritis • CED • Reizdarm • Refluxkrankheit Krankheiten des rheumat. Formenkreises urologische Erkrankungen: • chronische Zystitis und Reizblase • Prostatitis Bewährte Indikationen gyn. Erkrankungen: • Dysmenorrhö • PMS • klimakter. Beschwerden • Amenorrhö u. a. Blutungsstörungen • Myome • Endometriose • weibl. Infertilität Hauterkrankungen: • Neurodermitis • Urtikaria • Psoriasis • Ekzeme • Akne vulgaris Bewährte Indikationen funktionelle Störrungen: • chron. Erschöpfungszustände • chron. Müdigkeitssyndrom • funkt. Durchblutungsstörungen psychische Krankheitsbilder: • Schlafstörungen • Angststörungen n. Expertenbefragung Dt. Zschr. Akupunktur 2006(4) Dosierung • für Dekokte häufig 3-9g TD pro Droge, ähnlich der westlichen Phytotherapie • durch Vielfachkombinationen leicht Mengen von 80g und mehr • in China höhere Dosen (wg. schlechterer Drogenqualität?) • in Pulvern, Pillen, als Granulat geringere Dosen relativ häufige Nebenwirkungen o Durchfall o Blähungen o Übelkeit o Müdigkeit o Kopfschmerzen obsolete Drogen • verschiedene Aristolochia-Drogen • Quecksilber-haltige Drogen: Cinnabaris (HgS) Calomelas (Hg2Cl2) • Realgar (As4S4) • Papaveris Pericarpium (Schlafmohn) • Strychni Semen • u.a. in Europa kaum verwendete Drogen Nebenwirkungen bzgl. der Leber ALT-Erhöhungen >3fachen NW: unter 1 % keine Drogen fallen dabei besonders auf aber: noch häufiger gehen vor Therapie erhöhte Werte deutlich zurück Arzneimittelhepatitis: selten (unter 0,1 %), idiosynkratisch (Melchart et al. 1999, Al-Khafaji 2000) Häufigkeit von Nebenwirkungen Krankenhausaufnahmen in Hongkong (1), n=1701: • wg. NW der Chin. Arzneitherapie 0,2 % • wg. NW der konventionellen Medizin 4,4 % Befragung australischer Therapeuten (2): • NW bei 0,16 % aller Konsultationen Krankenhausaufnahmen in Australien wg. Medikamenten-NW: 5,7 % (1) Chan et al. 1992 (2) Bensoussan 2000 Interaktionen mögliche Wechselwirkungen: mit westlichen Arzneimitteln § pharmakodynamisch § pharmakokinetisch Beispiel: Warfarin, Ciclosporin der chinesischen Drogen untereinander klassische Rezepturen haben hohen Erprobungsgrad! Arzneiqualität Drogen, die nur nach fachgerechter Vorbehandlung eingesetzte werden dürfen Beispiele o o o o Aconiti Radix Pinelliae Radix Arisaematis Rhizoma Typhonii Rhizoma Aconitum Arzneiqualität Untersuchung von 45 chin. Drogen durch das ZL Deutscher Apotheker (Ihrig et al. 2004): Formale Defizite der Zertifikate: 20 von 44 Schwermetalle, Überschreitungen bei: • Bleiwert (DAC: ≤ 5ppm): 4 Proben, max. 12,08 ppm • Cadmium (DAC: ≤ 0,2ppm): 9 Proben, max. 5,76 ppm • Quecksilber (DAC: ≤ 0,1ppm): 4 Proben, max. 0,75 ppm Pestizide: • Keine Beanstandungen Aflatoxine (Grenzwert B1: ≤ 2ppm): • Bei 2 Proben Überschreitungen, max. 22ppm Schwermetallgehalte in Rohdroge und Dekokt Messwerte in mg/kg (n. Wiebrecht / Gasser 2004) Droge Pb Cd Hg Tl Rdr. Rdr. Rdr. Rdr. Clematidis Rd. Citri Reticul.Perc. Tritici Germin.Fr. Isatidis Rd. Rehmann.Rd.prp. Asparagi Rd. Polyg.Multfl.Caul. Paeoniae Alb.Rd. Moutan Cort.Rd. Biotae Sem. 3,01 0,98 0,10 0,41 0,66 0,27 1,28 0,37 0,26 0,96 0,28 0,02 0,01 0,09 0,02 0,04 0,51 0,04 0,04 0,07 0,02 0,038 0,01 0,006 0,01 0,001 <0,01 0,081 0,01 0,013 0,01 0,022 0,01 0,150 0,02 0,009 0,01 0,012 0,01 0,015 Pb Dkt. <0,05 0,12 <0,05 <0,05 <0,05 <0,05 <0,05 <0,05 <0,05 <0,05 Cd Hg Tl Dkt. Dkt. Dkt. <0,01 <0,01 <0,001 <0,01 <0,01 <0,001 <0,01 <0,01 <0,001 <0,01 <0,01 <0,001 <0,01 <0,01 <0,001 <0,01 <0,01 <0,001 <0,01 <0,01 <0,001 <0,01 <0,01 <0,001 <0,01 <0,01 <0,001 <0,01 <0,01 <0,001 Kann man in Deutschland Arzneien mit ordentlicher Qualität beziehen? Bezug aus Apotheken weitgehend sicher • Problem: Fertigprodukte, insbesondere aus China • Problem: Internethandel • Problem: hohe Anforderungen der Arzneimittelbehörden EMEA: Begrenzung der Furanocumarine (FC) in Angelica auf 15 µg pro Tag nach Schmidt M, 2007: • für Photoreaktion benötigte Dosis 8-Methoxypsoralen: ca. 36 mg bei einem 60 kg schweren Patienten • für in Angelica vorkommende FC deutlich höhere Dosen • Quervernetzung der DNA: durch lineare FC, üblicherweise nicht jedoch durch vorrangig in Angelica vorkommende anguläre FC • Gemüse und Früchte wie Orangen, Grapefruit und Zitronen enthalten relativ hohe FC-Dosen, Cola-Getränke sind eine der Hautquellen • durchschnittliche FC-Tageszufuhr in Deutschland: 1,45 mg, kann leicht 14-15 mg erreichen • Ein Verzehr von 14-15 mg Furanocumarinen als Bestandteil von Lebensmitteln führt nicht zu einem Anstieg der Plasmaspiegel (first pass-Mechanismus) • Das Ergebnis einschlägiger Bewertungen aus den USA, der Schweiz, Großbritannien und Deutschland war regelmäßig ein Freispruch der FC aus Nahrungsquellen • Bisher nur 1 veröffentlichter Fall von Phototoxizität nach Sellerie