SON 442 Einleitung
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SON 442 Einleitung
XII Einleitung Die drei in diesem Band edierten Stücke sind vom Komponisten verfasste Bearbeitungen von originalen Kirchenwerken für Solostimmen, vierstimmigen Chor und Orgel. Während es sich bei den beiden Stücken mit englischer Textierung, beim Anthem „Why, o Lord, delay for ever“ MWV A 19 und beim Hymn „Hear my prayer“ MWV B 49, um Auftragswerke handelte, war die Übertragung der Orgelstimme des „Ave Maria“ op. 23 Nr. 2 MWV B 19 auf Instrumente der praktischen Notwendigkeit für Aufführungen in Düsseldorf geschuldet. Anthem „Why, o Lord, delay for ever“ MWV A 19 für Solo (Alt oder Mezzosopran), Chor und Orchester Das Anthem MWV A 19 stellt die Orchestrierung und Umarbeitung des 1840 entstandenen Werkes MWV B 331 dar, welches bereits 1841 bei Cramer & Co. und gleichzeitig bei Simrock als Drei geistliche Lieder für Solo, Chor und Orgel gedruckt worden war. Verfasser des Librettos, einer Paraphrase des 13. Psalms, war der Auftraggeber sowohl für die Vertonung als auch für die Orchestrierung: Dr. Charles Bayles Broadley (1800–1866), Deputy Queen’s professor of civil law am Trinity College der Universität Cambridge. Ignaz Moscheles (1794–1870), der Broadley Kompositionsunterricht gab, charakterisierte ihn als eine eigenwillige, einnehmende, gleichwohl anspruchsvolle und gelehrte Erscheinung. Dies entnahm Charlotte Moscheles einem Tagebucheintrag ihres Mannes aus dem Jahr 1841: „Unter den vielen Schülern der letzten Jahre erscheint unausgesetzt ein Original Mr. B.: ‚Die Riesengestalt wollte Riesenwerke schaffen und Ideen sollten unter der Lockenperücke hervorsprudeln. Er bringt mir einen neugebackenen Psalm, eine Motette, ein Lied in die Lection und ich corrigire, indem ich ein weisses Blatt nehme, seinen oft eigenen Text in Musik setze und ihn dann frage: ‚Is not that what you meant to express?‘ (Ist das nicht, was Sie sagen wollen?), worauf er stets mit: ‚Oh yes and just so‘ antwortet.‘“2 Von Felix Moscheles (1833–1917), dem Sohn des Komponisten, wird Broadley andernorts als „ein excentrischer, reicher Musikliebhaber, der selbst unglückliche Compositionsversuche machte“3, beschrieben. Noch vor der Druckausgabe des Stückes mit Orgelbegleitung MWV B 33 hatte Broadley für dieses ein Präludium erbeten, wie Moscheles am 9. Februar 1841 Mendelssohn mitteilte: „Sein [Broadleys] Wunsch ist […] ein Preludium von Dir (beÿläufig eine Seite lang) für diesen Psalm zu besitzen das er in seinem Album bewahren will auch einige Takte nach dem Choral als Vorspiel zu der letzten Nummer die er gern drucken laßen möchte. Die drollige Weise in welcher er sich darüber an mich schriftlich ausdrückt, ist zu possirlich daß ich Dir sie nicht vorenthalten kann, u. lege seinen Brief beÿ. Dieses Document ist eines der zahlreichen seiner absonderlichen halbverrückten Natur.“4 In dem beigelegten Brief hatte Broadley tags zuvor gebeten: „With reference to the Prelude, you were kind enough to say you would name to Mr. Mendelssohn, I beg to say that Organists in England generally indulge on those occasions in a style rather florid – at one time with an extra-low pedal bass – at another time on the very top of the Instrument either in thirds, or after the manner of some of the ad libitum passages in the Gems a la Paganini of yours; I think this has a very good effect for organ Prelude, particularly on the Swell. If Mr. Mendelssohn will take the trouble to write me such a prelude, for my own private Album, without his publishing the same, or letting it be known, I shall be happy to pay him a proportionate extra Fee. […] Perhaps you will intimate to Mr. Mendelssohn for his prelude, that English organs generally go from G to G 5 octaves: but that the York organ (with which I am acquainted) goes from C to C, six octaves (being half an octave higher, and half an octave lower than the G organ).“5 Dieses Ansinnen lehnte Mendelssohn allerdings im Antwortbrief an Moscheles gut begründet ab: „Darf ich Dich wohl bitten […] mich bei ihm [Broadley] (und Dir) zu entschuldigen, daß ich das verlangte kurze Praeludium nicht schicken kann; es ist kein Mangel an gutem Willen, aber ich weiß eben kein zu dem Stück wirklich gehöriges Praeludium weiter zu schreiben, ohne die Form zu verändern und dem Ding eine Prätension zu geben die es nicht haben sollte; lieber überlaß ichs jedem Organisten sich vorher in es dur und den verwandten Tonarten umherzuwälzen mit seinen Fingern, so lang oder kurz, und so schön oder häßlich er eben mag.“6 Anderthalb Jahre später, im Oktober 1842, wandte sich Moscheles im Auftrag von Broadley erneut bezüglich des Anthem an Mendelssohn: „Mer Broadley trägt mir auf dich zu bitten den Psalm den du für ihn geschrieben zu instrumentiren und ihm die M.S. Partitur zu schicken, wofür er dich bittet 10 Guinéen anzunehmen.“7 Diesmal fällt die Antwort des Komponisten positiv aus: „Ich will versuchen, ob ich dem Broadleyschen Stück ein Orchesterkleid anpassen kann, ud. im Fall es geht, schick ich Dir’s gleich.“8 Broadley war offenbar – wohl spätestens ab dem Sommer 1842 – bestrebt, alle drei in Auftrag gegebenen 1 Abdruck und Entstehungsgeschichte in Serie VI, Band 2 dieser Ausgabe. 2Aus Moscheles’ Leben. Nach Briefen und Tagebüchern, hrsg. von Charlotte Moscheles, Leipzig 1873, Band 2 (im Folgenden: Aus Moscheles’ Leben), S. 82. 3Briefe von Felix Mendelssohn-Bartholdy an Ignaz und Charlotte Moscheles, hrsg. von Felix Moscheles, Leipzig 1888 (im Folgenden: Briefe an Moscheles), S. 204, Fußnote 2. 4 Brief vom 9. Februar 1841 von Ignaz und Charlotte Moscheles an Felix Mendelssohn Bartholdy, Bodleian Library, University of Oxford (im Folgenden: GB-Ob), MS. M. Deneke Mendelssohn d. 39, Green Books XIII-66, gedruckt in: David Brodbeck, Some Notes on an Anthem by Mendelssohn, in: Mendelssohn and his World, hrsg. von R. Larry Todd, Princeton 1991, S. 43–64 (im Folgenden: David Brodbeck, Some Notes), S. 60, Anm. 5. 5 Brief vom 8. Februar 1841 von Charles B. Broadley an Ignaz Moscheles, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 39, Green Books XIII-62 (Brief ursprünglich inliegend in Green Books XIII-66), gedruckt in: David Brodbeck, Some Notes [Anm. 4], S. 57–58, das Zitat S. 58. 6 Brief vom 14. März 1841 an Ignaz Moscheles, University of Leeds, Leeds University Library, Brotherton Collection, ohne Signatur (Album Mendelssohn’s Letters to Moscheles 1826–1847) (im Folgenden: GB-LEbc, Mendelssohn’s Letters to Moscheles), fol. 43, gedruckt in: Briefe an Moscheles [Anm. 3], S. 206–209, das Zitat S. 207. 7 Brief vom 20. Oktober 1842 von Ignaz Moscheles an Felix Mendelssohn Bartholdy, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 42, Green Books XVI-78. 8 Brief vom 18. November 1842 an Ignaz Moscheles, GB-LEbc, Mendelssohn’s Letters to Moscheles, fol. 45, gedruckt in: Briefe an Moscheles [Anm. 3], S. 219–223, das Zitat S. 223. XIII Psalmvertonungen in der Besetzung für Chor und Orchester vorliegen zu haben. Denn auch Louis Spohr instrumentierte seinen Psalm 128 „O Bless’d for ever, bless’d are they“ nachträglich: Im April 1841 hatte er eine Fassung mit Orgel fertiggestellt, und das Manuskript der Fassung mit großem Orchester ist datiert auf September 1842.9 Gedruckt wurde auch hier nur die Fassung mit Tasteninstrument, mit unterschiedlichen Opus-Zahlen zuerst bei Cramer, Chappell & White in England, dann im Herbst 1842 auch bei Simrock in Deutschland. Ignaz Moscheles ließ sich mit der Vertonung des ihm zugewiesenen Psalms 93 „Robed in pow’r Jehovah reigneth“ etwas mehr Zeit.10 Im Februar 1841 hatte er lediglich einige Skizzen dazu notiert und tat sich im Übrigen recht schwer mit der Fertigstellung der Komposition, wie er gegenüber Mendelssohn andeutete: „Wie Du siehst hat er [Broadley] im Sinne ein Kleblatt [sic] von Psalmen zu bilden indem er Spohr durch mich auffordern ließ auch einen zu schreiben. Es wird mir Angst zu denken welche Stellung ich dabeÿ einnehmen soll. Ich habe meinen (den 93ten) in der Skizze fertig. […] Ach! hätte ich dabeÿ Deinen Rath, Deine Meinung! hätte ich ein gleiches Geschick mit F. Hiller der in Deiner Nähe arbeiten und sich von Dir Winke holen durfte! Ich habe zwar das Bemühtseÿn daß sich das Ding singen läßt, daß man es für kein Theaterstück halten wird – aber das ist nicht genug!“11 Zwar tröstete Mendelssohn ihn mit den Worten: „[…] könnte ich Deinen Psalm auch gleich hören, um mich auch gleich daran zu erfreuen; Du weißt wohl welchen Werth das für mich haben würde, aber wie könnte ich, Dir gegenüber, es wagen Dir irgend einen andern Wink zu geben, oder zu denken, als über alles Schöne was ich darin finde, und was ich ud. wir alle Dir in so reichlichem Maaße verdanken“12. Doch dauerte es noch über ein Jahr, bis Moscheles seine fertige Komposition Sigismund Neukomm (1778–1858) vorspielen konnte: „Mit Neukomm hatte ich ein sonderbares Gespräch. Ich spielte ihm meinen Psalm (93.) vor; er sagte oft: schön, schön! gut, gut! und erklärte den Chor Nr. 2 für sein liebstes Stück; so voll Melodie. Ich bat um Kritik und er zeigte mir einige Harmoniegänge, die er für zu gewagt erklärte (ich dachte, wie nützlich die seinen so gut geschriebenen, aber oft so monotonen Compositionen sein könnten), sagte aber nur: ‚der unerreichte Beethoven hat noch mehr gewagt.‘“13 Die Drucklegung des – entsprechend Broadleys Vorstellungen – mit Orchester ausgearbeiteten Stückes14 erfolgte allerdings in einer Fassung mit Begleitung eines Tasten instruments noch 1842 oder Anfang 1843 als opus 100.15 Alle drei Kompositionen von Mendelssohn, Moscheles und Spohr enthalten im Übrigen Choräle bzw. choralhafte Abschnitte, sodass man davon ausgehen kann, dass Broadley sich auch dies ausdrücklich wünschte, denn Choräle gehörten für gewöhnlich nicht zum Bestand englischer Kirchenmusik.16 Mendelssohn beließ es nun gleichwohl nicht dabei, das Stück wie gewünscht zu orchestrieren, sondern nutzte die Gelegenheit, eine ausladende Chorfuge über die leicht veränderten Textworte17 der letzten Zeile der Dichtung zu komponieren. Zu den Holzbläsern und Streichern treten in dieser Schlussfuge noch Trompeten und Pauken hinzu. Am 5. Januar 1843 war die Komposition abgeschlossen,18 am 14. Januar die Kopie von Eduard Henschke fertiggestellt;19 zwei Tage darauf schickte sie Mendelssohn mit einem Begleitbrief an Moscheles: „Beifolgend erhältst Du eine Partitur für Herrn Broadley. Ich habe ihm eine Fuge zugegeben, und denke, das ist nun das beste Stück vom Ganzen. Es ist wie einem die kleinen Krämer einen Pfeffer kuchen in den Kauf geben. […] Jetzt habe ichs nun fertig gemacht, und Du bist wohl so gut, es ihm mit meinem Gruße zu übergeben; ich schreibe ihm auch wohl noch einige Zeilen dazu, ud. lege sie hier ein.“20 Mit seinem Dankesbrief wandte Broadley sich direkt an Mendelssohn: „I have received from Mr. Moscheles the Orchestral Parts to your Anthem composed to my version of the 13th Psalm, and feel much obliged by the additional Fugue, which I think exceedingly beautiful. The three first movements of the Anthem are frequently performed at the Chapel Royal, Windsor, by her Majesty’s Command. Mr. Moscheles has been good enough to arrange the Fugue for the Organ.“21 Aufführungen in Schloss Windsor lassen sich zwar nicht verifizieren, allerdings handelte es sich bei den von Broadley erwähnten Darbietungen offensichtlich noch um die Fassung mit Orgelbegleitung (MWV B 33). 9 The British Library, London (im Folgenden: GB-Lbl), Add. Ms. 31779. 10 Der Auftrag erfolgte an alle drei Komponisten bereits Anfang Oktober 1840. Bis zum Frühsommer des Jahres 1842 hatte Moscheles, der bislang fast ausschließlich durch Klavier- und Orchesterkompositionen in Erscheinung getreten war, die Vertonung noch nicht abgeschlossen. 11 Brief vom 9. Februar 1841 von Ignaz und Charlotte Moscheles an Felix Mendelssohn Bartholdy, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 39, Green Books XIII-66, gedruckt in: David Brodbeck, Some Notes [Anm. 4], S. 60, Anm. 5. 12Brief vom 14. März 1841 an Ignaz Moscheles, GB-LEbc, Mendelssohn’s Letters to Moscheles, fol. 43, gedruckt in: Briefe an Moscheles [Anm. 3], S. 206–209, das Zitat S. 207. 13Aus Moscheles’ Leben [Anm. 2], S. 89 (1842). 14 Die autographe Quelle wird aufbewahrt in GB-Lbl, Add. Ms. 31798. Zusammen mit den Handschriften jeweils beider Fassungen der Psalmvertonungen von Mendelssohn und Spohr war sie lange Zeit Teil der Musikaliensammlung von Julian Marshall (1836–1903), siehe dazu auch Kritischer Bericht. 15 Die Komposition taucht allerdings nicht im gedruckten Werkverzeichnis auf, siehe Aus Moscheles’ Leben [Anm. 2], S. 347–355. Als Opus 100 ist dort, S. 352, eine vierhändige Ballade, verlegt bei Spehr, verzeichnet. 16 Vgl. dazu auch David Brodbeck, Some Notes [Anm. 4], S. 60–61, Anm. 5. 17 Statt des als Teil des Gebetes formulierten Halbsatzes: „glad to sing thy hallow’d praises, aye rejoicing in thy love“ heißt es in der Neukomposition nun als Aufforderung an die Gläubigen: „Let us sing his hallow’d praises, aye rejoicing in his love“. Hinsichtlich der Semantik des Textes knüpft Mendelssohn hier deutlich an die Tradition der Händelschen Anthems an, während musikalisch das Formprinzip der Schlussfuge als gänzlich untypisch für die englischen Anthems gilt und eher dem – italienischen und deutschen Psalmvertonungen entsprechenden – Charakter einer (freilich nur) musikalischen Doxologie nahekommt. 18 Schlussdatum der autographen Partitur, Quelle A. 19 Unter „Ausgaben“ heißt es für Januar 1843 in Mendelssohns Haushaltsbuch: „14 Henschke Copie der Partitur für Broadley […] 2. [Rthl.]“, in: GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn f. 7, fol. 14r. Es handelt sich bei der Partiturkopie um Quelle B. 20 Brief vom 16. Januar 1843 an Ignaz Moscheles, GB-LEbc, Mendelssohn’s Letters to Moscheles, fol. 46, gedruckt in: Briefe an Moscheles [Anm. 3], S. 224–227, das Zitat S. 225. 21Brief vom 25. Februar 1843 von Charles B. Broadley an Felix Mendelssohn Bartholdy, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 43, Green Books XVII-101, teilweise gedruckt in: David Brodbeck, Some Notes [Anm. 4], S. 50. XIV Das außerdem von Broadley angesprochene Arrangement der Schlussfuge durch Ignaz Moscheles, bei dem er den Orchestersatz im Sinne eines Klavierauszugs auf die Orgel übertrug, ließ der Bearbeiter noch in der ersten Jahreshälfte 1843 drucken. Der neue Finalsatz erschien im Mai 1843 bei Chappell & White und war in dieser Form als Ergänzung zum Druck des dreisätzigen Anthems MWV B 33 von 1841 gedacht. Belegt wird das durch die Paginierung, die mit „16“ – unter Berücksichtigung der leeren letzten verso-Seite des 13 Seiten umfassenden englischen Erstdruckes von 1841 und der neuen Titelseite – und mit dem Kopftitel „Mendelssohn’s Anthem“ beginnt. Broadleys Quittungsbeleg über den Betrag zur Instrumentierung enthielt offenbar auch den Erwerb der Publikationsrechte an der Schlussfuge. Mendelssohn kommentierte dies gegenüber Moscheles: „Die Quittung welche er mitschickte habe ich nicht unterschrieben, sondern die beifolgende, mit welcher er sich wird begnügen müssen. Er hatte in seine Quittung geschrieben: received für das copyright einer additional fugue and for arrang ing the whole Anthem for the Orchestra – und das ist nicht richtig. Denn ich habe ihm die Fuge zum Geschenk gemacht, ud. kann also nicht bescheinigen, daß ich Geld dafür genomen habe. Auch hat er mir jenes Geld durch Dich für das Arrange ment für Orchester anbieten lassen, also muß nichts davon in der Quittung stehen. Liegt ihm daran, eine Bescheinigung über das Copyright besagter Fuge zu haben, so will ich ihm die recht gern apart geben, wie ich sie ihm schon in meinem vorigen Brief gegeben habe, und ich sollte denken, daß er sich mit diesem Briefe selbst vor Gericht genügend ausweisen könnte[.] Ists aber nicht so, so will ich wie gesagt das Copyright gern bescheinigen, nur will ich weder Geld dafür nehmen, noch dafür genommen haben. Er kann die Fuge ud. das Ganze nach Belieben publiciren, wie ud. wann er in England will, da das Stück in Deutschland nicht mit Orchesterbegleitung erscheinen soll. Vielen Dank für alle Mühe, die du von dieser Angelegenheit ud. andern ähnlichen für mich hast ud. gehabt hast. Das Geld hat dein Schwiegervater meinem Bruder richtig zugestellt.“22 Eine offensichtlich geplante Drucklegung der Fassung mit Orchester in England konnte zu Lebzeiten Mendelssohns nicht realisiert werden.23 Nur noch einmal wandte sich Broadley an Mendelssohn, allerdings erst knapp drei Jahre später und in einer anderen Angelegenheit.24 Aus einer Einrichtung der Partitur Eduard Henschkes für Streichorchester durch Moscheles25 geht zudem hervor, dass das Stück zumindest in dieser reduzierten Orchesterfassung für Streicher in England bis 1846, dem Jahr, in dem Moscheles London gen Leipzig verließ, zur Aufführung kam. In Deutschland blieb, trotz des deutschen Gesangstextes, der auch den postumen deutschen Ausgaben der Fassung mit Orchester unterlegt wurde, das nun als Hymne bezeichnete Stück bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend unbekannt und somit auch unverstanden.26 Gleichwohl konnte unter anderem durch neuere analytische Betrachtungen27 festgestellt werden, dass nicht allein durch das Hinzukomponieren der das Stück völlig neu gewichtenden Fuge diesem viel mehr der Charakter eines autonomen Kirchenstücks als einer bloßen orchestrierten Fassung zukommt, was sich folgerichtig auch in einem separaten Eintrag im Mendelssohn-Werkverzeichnis (MWV) widerspiegelt. Mendelssohns Instrumentierung der ersten drei Sätze ist alles andere als eine Übertragung des musikalischen Materials der Orgel auf die Orchesterinstrumente, vielmehr zeigt sich der Wille, durch klangliche Mittel sowohl den Text als auch die Struktur des Verse Anthems – mit seinem Wechselgesang von Solistin und Chor – noch einmal intensiver als in der Fassung mit Orgel zu verdeutlichen. Beispielsweise sind im ersten Satz dem Solopart meist nur die Streicher zugeordnet, während beim Chorgesang die Bläser hinzutreten. Für die Begleitung des Sologesangs im Choral des zweiten Satzes reduziert Mendelssohn den Klang auf die ungewöhnliche und zugleich äußerst reizvolle Instrumentenkombination von Klarinetten in sehr tiefer Lage, geteilten Bratschen mit häufigen Doppelgriffen und Violoncello. Diese Kombination wird zu Beginn des dritten Satzes wieder aufgegriffen, wobei die Fagotte klanglich unterstützend hinzutreten; die Verwendung von Trompeten und Pauken im Finalsatz schließlich lässt auch klanglich keinen Zweifel daran, dass es sich hierbei um den majestätischen Höhepunkt der gesamten Komposition handelt. „Ave Maria“ MWV B 19 Im Rahmen seines Amtes als städtischer Musikdirektor in Düsseldorf war Felix Mendelssohn Bartholdy von Oktober 1833 an auch für die musikalische Ausgestaltung von Gottesdiensten verantwortlich. Allerdings lagen von ihm komponiert nur einige wenige für den Gebrauch in einer katholischen Kirche geeignete Chorstücke vor, hauptsächlich A-cappella-Stücke der frühen 1820er Jahre, von denen lediglich die drei im Jahr 1830 entstandenen Stücke der „Kirchen-Musik für Chor“ op. 23 (1832) gedruckt waren. Stellt man in Rechnung, dass zudem die beiden auf Texten von Martin Luther beruhenden Choräle „Aus tiefer Not“ op. 23 Nr. 1 MWV B 20 und „Mitten wir im Leben sind“ op. 23 Nr. 3 MWV B 21 für den katholischen Gottesdienst nur bedingt geeignet waren, kam dem „Ave Maria“ op. 23 Nr. 2 MWV B 19 zwangsläufig eine herausgehobene Stellung zu. Mendelssohn musste sich darüber hinaus mangels singbarer Gottesdienstmusiken vor Ort auf „Archivreise“ nach Elberfeld, Bonn und Köln begeben, um einen Grundstock an handschriftlichen Kirchenmusiken seines Geschmacks – vor al- 22Brief vom 15. April 1843 an Ignaz Moscheles, GB-LEbc, Mendelssohn’s Letters to Moscheles, fol. 47, gedruckt in: Briefe an Moscheles [Anm. 3], S. 227–230, das Zitat S. 227–228. 23 Der postume Erstdruck (1852 in Bonn und 1855 in London als „op. 96“) orientierte sich am Autograph (Quelle A) und berücksichtigte nicht die autographe Überarbeitung des Stückes in der für Broadley bestimmten Henschke-Abschrift (Quelle B). 24 Brief vom 7. Januar 1846 von Charles B. Broadley an Felix Mendelssohn Bartholdy und Ignaz Moscheles, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 49, Green Books XXIII-8. Hierin geht es um einen geplanten Leipzig-Besuch des Komponisten und Organisten Samuel Sebastian Wesley (1810–1846). 25 Siehe Kritischer Bericht, Quelle B, Quellenbeschreibung. 26 Exemplarisch ist die Einschätzung von Paul Mies, Über die Kirchenmusik und über neu entdeckte Werke bei Felix Mendelssohn-Bartholdy, in: Musica Sacra 83 (1963), Heft 7 (Juli), S. 217: „Im ganzen steht, vom geistlichen Gesichtspunkt aus, diese manchmal etwas weiche Komposition nicht auf der Höhe der bislang genannten [Werke für Soli, Chor und Orchester]. Die Fuge scheint akademischer als andere bei Mendelssohn.“ 27 Siehe auch zum Folgenden Armin Koch, Musik und Text in späten geistlichen Chorwerken Felix Mendelssohns, Magisterarbeit, Würzburg 1995, mschr. (im Folgenden: Armin Koch, Musik und Text), S. 32–33. XV lem von Palestrina und Lassus – zusammenzustellen.28 Schließlich war die Anzahl der musikalischen Gottesdienste und der dazu benötigten Kompositionen nicht unerheblich: „Die aufzuführenden Kirchen-Musiken werden auf Uebereinkunft mit den Hrn Pfarrern an den bekannten kirchlichen Festtagen abwechselnd in den beiden Pfarrkirchen Statt finden.“29 Diese Festtage im Jahreskreis, die Mendelssohn in eines seiner Notizbücher30 schrieb, waren im Einzelnen: Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten, Fronleichnam, Hochfest Peter und Paul (29. Juni), Fest des Stadtheiligen Apollinaris (Sonntag nach dem 20. Juli), Mariä Himmelfahrt (15. August), Patronatsfest der Maximi‑ liankirche (Sonntag nach dem 12. Oktober) sowie Allerheiligen/ Allerseelen (1./2. November); außerdem wurde der Festtag der Heiligen Cäcilia am 22. November für gewöhnlich mit einem Kirchenkonzert begangen. Die zum Teil – für die Zeit von Mai 1834 bis Juli 1835 – erhaltenen Probenpläne des Gesang- Musik-Vereins31 schließen lediglich zwei eigene Kompositionen Mendelssohns, „Verleih uns Frieden“ MWV A 11 und „Ave Maria“, ein.32 Tatsächlich hatte Mendelssohn bereits am 17. November 1833 bei Simrock Partitur und Stimmen des „Ave Maria“ und der Motette „Aus tiefer Not“ „für den hiesigen Verein“ bestellt.33 Eine liturgische Aufführung des „Ave Maria“ lässt sich für ein erzbischöfliches Hochamt zusammen mit der Messe solen‑ nelle (1816) von Luigi Cherubini in einer der beiden Düssel dorfer Hauptkirchen, St. Maximilian, wahrscheinlich am 4. Mai 1834, nachweisen, denn Mendelssohn berichtete nach Hause: „[…] richtig sangen wir zu großer Erbauung der Leute die Cherubinische Cdur Messe, und legten als graduale mein Ave maria ein, das Woringen sehr gut sang. Der Erzbischof ließ mich sogar fragen, wo das graduale zu haben sei, ich ließ antworten, […] es sey in seiner eignen Diöcese erschienen, ud koste &c. Überhaupt geht es mit der Kirchenmusik hübsch […].“34 Konnte bei dieser Aufführung eine Orgel zur Begleitung verwendet werden, war dies bei Aufführungen in der zweiten Hauptkirche, St. Lambertus, nicht möglich. Dort war die Orgel defekt und dringend erneuerungsbedürftig. Anfang des Jahres 1834 setzte sich Mendelssohn persönlich für deren Reparatur ein, indem er an den kommissarischen Oberbürgermeister Joseph von Fuchsius einen Entwurf dafür schickte und bat: „[…] denselben dem Kirchenrath, wenn er sich versammelt, vorlegen zu wollen. Jeder der die Kirchenmusik liebt muß es wissen, wie wichtig eine gute Orgel zur Erbauung der Gemeinde mitwirken kann, und so wird es keinem gleichgültig sein in der Hauptkirche dieser Stadt ein Instrument zu hören, welches gänzlich verdorben und fast unbrauchbar ist. […] Wenn jetzt die Reparaturen dagegen unterbleiben, so ist vorauszusehen, daß das Instrument endlich ganz unbrauchbar wird und daß dann die großen Kosten für ein neues Werk aufgewendet werden müßten.“35 Der mitgesandte Voranschlag vom 7. November des Vorjahres vom Düsseldorfer Orgelbauer Anton Weitz,36 dessen Kostensumme sich auf insgesamt mehr als 534 Reichsthaler belief, betraf insbesondere den Austausch der Klaviatur, die Zerlegung und Versetzung des Rückpositivs in das Hauptwerk, die Erweiterung des Pedals und der Windladen und die Erneuerung zahlreicher Pfeifen. Demnach kann ermessen werden, in welch desolatem Zustand die Orgel tatsächlich gewesen sein muss. Dennoch kam erst am 17. November 1834 ein Vertrag des Kirchenvorstands mit dem Orgelbauer zustande.37 Die entsprechenden Arbeiten sollten bis Ostern 1835 beendet sein. Jedoch wurde das erneuerte Instrument erst am 13. März 1838 endgültig abgenommen. Laut dem 28 Siehe dazu insbesondere Peter Schmitz, „Ich bekam Lust, meine Domainen zu bereisen und gute Musik zu suchen“. Bemerkungen zu Felix Mendelssohn Bartholdys Bibliotheksreise im Oktober 1833, in: Mendelssohn und das Rheinland. Bericht über das Internationale Symposium Koblenz 29.–31.10.2009, hrsg. von Petra Weber-Bockholdt, München 2011 (= Studien zur Musik; Band 18) (im Folgenden: Mendelssohn und das Rheinland), S. 97–114. 29 Aus einem Memorial des Düsseldorfer Comitte für die Kirchen=Musik vom 16. Oktober 1833, in: Stadtarchiv Düsseldorf, Akte Verein für Tonkunst (Städt. Musikverein) XX 96. 30GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn g. 4, fol. 23v und fol. 24r; siehe dazu auch Matthias Wendt, Amt und Alltag. Annotationen zu Mendelssohns Notizen aus Düsseldorfer Zeit, in: Bürgerlichkeit und Öffentlichkeit. Mendelssohns Wirken in Düsseldorf, hrsg. von Andreas Ballstaedt, Volker Kalisch und Bernd Kortländer, Schliengen 2012 (= Kontext Musik. Publikationen der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf; Band 2), S. 56–78, hierzu speziell S. 58–59. 31GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn c. 49, fols. 15–17. 32 Vgl. dazu auch Matthias Wendt, Felix Mendelssohn Bartholdys Düsseldorfer Probenplan Mai 1834 – Juli 1835, in: „Übrigens gefall ich mir prächtig hier“. Felix Mendelssohn Bartholdy in Düsseldorf, hrsg. von Bernd Kortländer, Düsseldorf 2009 (Katalog zur Ausstellung des Heinrich-Heine-Instituts, Düsseldorf, 1. Oktober 2009 bis 10. Januar 2010), S. 61–69. Erwähnt werden hier Proben des „Ave Maria“ am 25. November und 2. Dezember 1834 sowie am 23. Juni 1835. Darüber, wann genau, in welcher Kirche und in welcher Besetzung das Stück dann zu entsprechenden Aufführungen kam, kann nur gemutmaßt werden. 33 Siehe Brief vom 17. November 1833 an N. Simrock, Standort unbekannt, Teildruck in: Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämtliche Briefe, Band 3, hrsg. und kommentiert von Uta Wald unter Mitarbeit von Juliane Baumgart-Streibert, Kassel etc. 2010 (im Folgenden: Sämtliche Briefe, Band 3), S. 299. Auf einer von Nicolaus Simrock unterzeichneten Rechnung vom 26. September 1835 sind für den 8. August des Jahres unter anderem Partitur und Stimmen der „Kirchenmusik“ Nr. 2 verzeichnet, Stadtarchiv Düsseldorf, XX 99, Dokument B.24a. Da sich Mendelssohn zu dieser Zeit allerdings nicht mehr in Düsseldorf aufhielt, handelt es sich hierbei offensichtlich um Bestellungen durch den Amtsnachfolger Julius Rietz. 34Brief vom 6. Mai 1834 an Lea Mendelssohn Bartholdy, Music Division, The New York Public Library for the Performing Arts, Astor, Lenox and Tilden Foundations (im Folgenden: US-NYp), *MNY++ Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Familienbriefe, Nr. 192, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Band 3 [Anm. 33], S. 415–418, das Zitat S. 417. Beim Tenorsolisten handelte es sich also um Ferdinand von Woringen. Wie aus diesem Brief hervorgeht, waren außerdem zeitnah Aufführungen von „Mitten wir im Leben sind“ op. 23 Nr. 3 MWV B 21 und Der 115. Psalm „Non nobis Domine“ op. 31 MWV A 9 geplant. 35 Brief vom 4. Januar 1834 an Joseph von Fuchsius, Duisburg, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: Landesarchiv NRW), BR 7 Nr. 27309, fol. 39, Faksimile gedruckt in: Oskar Gottlieb Blarr und Theodor Kersken, Orgelstadt Düsseldorf. Instrumente, Spieler, Komponisten, Düsseldorf 1982, S. 40–41. 36Kosten-Anschlag über die erforderliche Reparatur der Orgel in der St. Lambertus-Pfarrkirche hieselbst, Landesarchiv NRW, BR 7 Nr. 27309, fols. 57–58, teilweise gedruckt in: Franz-Josef Vogt, Felix Mendelssohn Bartholdy und die Orgel der Düsseldorfer St. Lambertuskirche, in: Der Niederrhein 49 (1982), Heft 2 (April), S. 50–55, das Dokument S. 52–53. Diesen Entwurf hatte Mendelssohn demnach bereits kurze Zeit nach seiner Amtsübernahme in Auftrag gegeben, was davon zeugt, dass angesichts des Zustands des Instruments tatsächlich Eile geboten war. Schon seit 1823 hatte es, der Akte zufolge, mehrfach vergebliche Bemühungen von Seiten des Kirchenvorstands gegeben, am Zustand der Orgel etwas zu ändern. 37 Landesarchiv NRW, BR 7 Nr. 27309, fols. 1–2, teilweise gedruckt in: ebd., S. 54. XVI entsprechenden Gutachten waren zusätzliche Arbeiten – von Mendelssohn empfohlen und vom Kirchenvorstand genehmigt – notwendig geworden, deren Kosten sich auf beachtliche 196 Thaler sowie weitere 70 Thaler für drei neue Pedalregister summierten.38 Mendelssohn konnte demnach in seiner gesamten Düsseldorfer Amtszeit nicht die Orgel in der Hauptkirche St. Lambertus nutzen, zunächst aufgrund des Zustands zumindest nicht zur Begleitung des Chorgesangs, später überhaupt nicht mehr aufgrund der anhaltenden Renovierungsarbeiten. Spätestens für Aufführungen des „Ave Maria“ ohne Orgel in der Lambertuskirche erstellte der Komponist deshalb Instrumentalstimmen für zwei Klarinetten, zwei Fagotte und Kontrabass, falls dies nicht schon für die erwähnte Aufführung am 4. Mai 1834 in St. Maximilian geschehen war. Nachdem es im Jahr 1832 zur Drucklegung des „Ave Maria“ innerhalb seiner „Kirchenmusik für gemischten Chor“ op. 23 bei Simrock in Bonn gekommen war,39 wandte sich der Komponist am 25. April 1837 hinsichtlich einer Neuauflage an den Verleger: „Bei dieser Gelegenheit ist mir zugleich eingefallen, ob es Ihnen nicht angenehm sein möchte, zu meinem ‚Ave Maria‘, welches bei Ihnen erschienen ist, wobei jedoch die Begleitung nur mit Ziffern angedeutet war, die vollständige Begleitung herauszugeben. Und zwar einmal die Orgelstimme ausgeschrieben und dann für Chöre, die sich der Orgel nicht bedienen können, eine Orchesterbegleitung, wie wir es immer in Düsseldorf aufführen mußten, wo es mit der Orgel nicht ging. Ich glaube, das ist an den meisten Orten der Fall, und es müßte also der Verbreitung des Stücks viel nützen, wenn ein solcher Nachtrag erfolgte.“40 Simrock scheint nicht nur einverstanden mit einer bearbeiteten Neuauflage gewesen zu sein, sondern schlug offenbar auch vor, die beiden anderen Nummern von op. 23 ebenfalls mit einer ausgeschriebenen Orgelbegleitstimme zu versehen, denn Mendelssohn antwortete am 27. Mai des Jahres: „Hingegen werde ich mit Vergnügen die Orgelstimme für das Ave Maria ausarbeiten, ob ich es für die beiden andern Stücke auch thun kann weiß ich noch nicht ud. bezweifle es fast, da sie sich weniger dazu eignen. Jedoch will ichs versuchen, und bitte Sie mir die 3 kleinen Partituren […] hieher zuschicken, wo ich mich dann gleich darüber entscheiden werde. Die Orchester begleitung zum Ave betreffend, bitte ich Sie deshalb an Hrn. v. Woringen nach Düsseldorf zu schreiben, und ihn um eine Copie der Orchesterstimmen zu bitten welche ich für den dortigen Gebrauch eingerichtet hatte (oder um ein Darlehen derselben Stimmen); ich bitte Sie dann mir diese Stimen ebenfalls hieher zu schicken, damit ich Ihnen über die Herausgabe und die Form derselben das Nähere schreiben kann.“41 Tatsächlich scheint sich Simrock mit Ferdinand von Woringen in Verbindung gesetzt und die originalen Stimmen oder eine Abschrift der Instrumentalstimmen besorgt zu haben, denn am 9. Juni 1837 bestätigt Mendelssohn den Erhalt: „Für die Übersendung der 3 Kirchenmusiken und besonders für die Partitur der In strumentalbegleitung die Sie mir gefälligst ausschreiben ließen danke ich bestens. Ich habe noch nicht Zeit gehabt mich näher damit zu beschäftigen, schreibe Ihnen aber bald darüber.“42 Schließlich sandte Mendelssohn am 20. November des Jahres die Orgelstimme und die Instrumentalstimmen, die „nur als Surrogat für die Orgel, wenn eine solche fehlt“43 dienen sollten, nach Bonn. Knapp einen Monat später antwortete Simrock: „Gestern empfing ich auch die orgelbegleitung zu dem Ave Maria, welche Sie mir unterm 20. Nov zu senden die Güte hatten; ich danke verbindlichst dafür u werde dieselbe, so wie die orchesterbegleitung nach der von Ihnen erhaltenen Anweisung sehr genau benutzen; ich bitte mir gelegentlich bemerken zu wollen, wieviel ich Ihnen dafür schuldig geworden bin?“44 Ein Honorar lehnte Mendelssohn ab: „Für die Orgel ud Orchesterbegleitung des Ave habe ich kein Honorar erwartet, da es eine so unbedeutende Arbeit ist, ud danke Ihnen für Ihre gefällige Anerbietung.“45 Die autographen Stimmen scheinen in Düsseldorf verblieben oder von Simrock nach Erstellung der Stichvorlage wieder dorthin zurückgesandt worden zu sein. Mendelssohn hatte sie jedenfalls vor der Drucklegung nicht noch einmal zu Gesicht bekommen, sondern zur Korrektur lag nur deren Abschrift vor. Von Bearbeitungen der beiden deutschsprachigen Kirchenmusiken aus op. 23 war nun nicht mehr die Rede, sodass am 30. März 1838 die Neuausgabe von op. 23 Nr. 2 in Form der Chorpartitur mit Orgel und fünf angehängten Blättern mit den Instrumentalstimmen von Simrock zur Druckfreigabe vorgelegt werden konnte.46 Dass am 7. Juni 1839 in Frankfurt am Main eine Aufführung des „Ave Maria“ unter Leitung des Komponisten während eines 38 Siehe Abschlussgutachten nach der Begehung durch Julius Rietz, Instrumentenmacher Heynemann und Landbau-Inspektor G. Walger unter Anwesenheit des Orgelbauers Weitz, Landesarchiv NRW, BR 7 Nr. 27309, fols. 89–90. Die dort, fol. 89v, zitierte „Nachrechnung No. 1 des p. Weitz vom 13. März“ ist in der Akte nicht enthalten. 39Dies war im Übrigen Mendelssohns erste Veröffentlichung in diesem Verlag überhaupt. Zu der seitdem sehr engen Verbindung mit Simrock siehe Salome Reiser, „Weiss Gott wie so mich der Veränderungsteufel nun gerade bei Ihnen zum zweitenmale packt“. Felix Mendelssohn Bartholdy und der Verlag N. Simrock in Bonn, in: Mendelssohn und das Rheinland [Anm. 28], S. 115–132. 40 Brief vom 25. April 1837 an Simrock, Standort unbekannt, zitiert nach: Wilhelm Altmann, „Aus Mendelssohns Briefen an den Verlag N. Simrock in Bonn“, in: Die Musik XII (1912–1913), Vierter Quartalsband, Band XLVIII, Nr. 21 (1. Augustheft 1913), S. 131–149 und Nr. 22 (2. Augustheft 1913), S. 195–212 (im Folgenden: Wilhelm Altmann, Briefe an Simrock), der Brief S. 147–148, das Zitat S. 147–148. Der Druck von op. 23 Nr. 2 (1832) enthielt zur Begleitung des Chores keine ausnotierte Orgelstimme, sondern eine bezifferte Continuo-Stimme. 41 Brief vom 27. Mai 1837 an Simrock, Stockholm, Stiftelsen Musikkulturens främjande (im Folgenden: S-Smf ), Nydahl Collection, 2569, gedruckt in: Wilhelm Altmann, Briefe an Simrock [Anm. 40], S. 148–149, das Zitat S. 148. 42 Brief vom 9. Juni 1837 an Simrock, S-Smf, Nydahl Collection, 2570, teilweise gedruckt in: Wilhelm Altmann, Briefe an Simrock [Anm. 40], S. 149. 43 Brief vom 20. November 1837 an Simrock, Standort unbekannt, zitiert nach Teildruck in: Leo Liepmannssohn, Katalog 60 Autographen von Musikern (21./22. November 1930), S. 26 (lot 180). 44 Brief vom 18. Dezember 1837 von Simrock an Felix Mendelssohn Bartholdy, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 32, Green Books VI-159. 45 Brief vom 2. Januar 1838 an Simrock, New Haven, Yale University, Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Frederick R. Koch Collection, Gen Mss 601, Box 42, folder 853, gedruckt in: Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämtliche Briefe, Band 5, hrsg. und kommentiert von Uta Wald unter Mitarbeit von Thomas Kauba, Kassel etc. 2012, S. 447–448. 46 Siehe Brief vom 30. März 1838 von Simrock an Felix Mendelssohn Bartholdy, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 33, Green Books VII-107. Der Titel der Ausgabe lautete schließlich: Ave Maria | für achtstimmigen Chor | mit Begleitung der Orgel | von | Felix Mendelssohn- | Bartholdÿ | (In Ermangelung einer Orgel ist eine Begleitung für | 2 Clarinetten, 2 Fagotten und Bass beigefügt) | Op. 23 No II. XVII Konzertes mit dem dortigen Theaterkapellmeister Karl Wilhelm Guhr (1787–1848) stattfand, ist durch Mendelssohns Brief vom 31. Mai an Heinrich Conrad Schleinitz belegt. Hier heißt es: „Freitags dirigir ich hier ein halbes Concert: meine Hebriden, mein Ave ud meinen 42sten Psalm […].“47 Angesichts des Programms ist davon auszugehen, dass es sich um die Fassung mit Blasinstrumenten handelte. Am 3. Juli des Jahres berichtete Mendelssohn aus Frankfurt seiner Mutter von einem „Fest“ bei Christian Franz Eberhard, Mitglied des dortigen Cäcilien-Vereins, bei dem verschiedene „Tableaux“ zur Musik und zu Ehren des Komponisten gezeigt wurden: „[…] dann fing ein 8stimiger Chor Ave an, ud. da erschien der Engel mit dem Lilienstengel ud. die knieende Maria.“48 Durch die separate Neuauflage des „Ave Maria“ mit alternativer Instrumentalbegleitung erhoffte sich Mendelssohn offenbar eine weitere Verbreitung des Stückes, denn in einem Brief an die Familie hatte er im Februar 1834 in Bezug auf den Nachweis einer Aufführung am 21. Dezember 1833 in St. Petersburg schon vorsichtig geklagt: „Was das Ave Maria betrifft, so danke ich erstens sehr, für den Zettel, denn mich hat er gefreut, weil ich in Petersburg gewiß keinen persönlichen Bekannten habe, ud weil das Stück auch sonst wenig herum kommt […].“49 Sowohl der nun separate Druck der lateinischen Marienkomposition als auch die ausgeschriebene Orgelstimme und die alternative Instrumentalbegleitung mögen zur Attraktivität und zu weiteren Aufführungen des Stückes beigetragen haben. Schon 1850 oder 1851 ließ Simrock das „Ave Maria“ noch einmal unverändert mit gleicher Platten-Nummer und gleichem Titelblatt nachdrucken,50 was auf gute Verkaufszahlen des Einzeldruckes op. 23 Nr. 2 aus dem Jahr 1838 schließen lässt. „Hear my prayer“ MWV B 49 Anfang des Jahres 1844 hatte Mendelssohn eine Paraphrase des 55. Psalms von William Bartholomew vertont. Der Uraufführung ein Jahr darauf war bald die Drucklegung dieses als Hymn bezeichneten Stückes gefolgt. Die schließlich vorgenommene Orchestrierung des Orgelparts war ein Auftrag von Joseph Robinson (1815–1898). Dieser zeitlebens in Dublin wirkende Komponist, Dirigent, Sänger und Lehrer war Mitbegründer der dortigen Philharmonic Society. Er und seine mit ihm in einem Vokalquartett singenden älteren Brüder wurden in Dublin „the four wonderful brothers“ genannt und brachten vor allem deutsche Chorlieder zu Aufführungen. Bereits 1834 hatte Robinson die Antient Concerts Society ins Leben gerufen und leitete sie bis 1862. Zudem gehörte er 1848 zu den Mitbegründern der Royal Irish Academy of Music und wirkte dort von 1856 bis 1876 als Professor und Dirigent von Chor- und Orchesterklassen.51 Er wird von Zeitgenossen als hochgebildet, außergewöhnlich musikalisch und als „modest man“52 beschrieben, der trotz seiner großen Verdienste um das Dubliner Musikleben und seines Doktortitels in späten Jahren darauf bestand, stets nur mit „Joe Robinson“ angesprochen zu werden. Einen ersten Kontakt mit Mendelssohn suchte Robinson bereits 1842. Im Mai lud er den auf der Reise nach London befindlichen Komponisten nach Dublin ein, um dort Konzerte zu dirigieren: „My friend Mr. Novello – (Alfred) – has informed me that your stay in England is likeley to be for four or five weeks, if such such [sic] is the case I hope you will allow me to induce you to extend your travels as far as Dublin in order to further the progress of classical music in this city. I may say that I am a stranger to you although I had the very great pleasure of meeting you at both the Birmingham Festivals, […]. W. A. Novello and my friend W. Gauntlett will be able to inform you of my love for the music of the great ancient masters as also for the great modern Meister! […] It was I who first made your Oratorio of St. Paul known in Ireland. I have also had your 42th and 115th Psalms performed at the Ancient Concerts as well as a large selection from your Hymn of Praise.“53 „May I beg of you therefore to be so kind as to let me know if £50– would compensate you for the trouble of coming to Dublin to conduct a concert which would consist almost 47 Brief vom 31. Mai 1839 an Heinrich Conrad Schleinitz, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Nachlaß Fam. Mendelssohn, Pos. I/4, Kasten 4, Mappe 3, fols. 51–52, gedruckt in: Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämtliche Briefe, Band 6, hrsg. und kommentiert von Kadja Grönke und Alexander Staub, Kassel etc. 2012, S. 394–396, das Zitat S. 396. In ähnlichen Worten teilt Mendelssohn dies im Brief vom 2. Juni 1839 an seine Mutter Lea Mendelssohn Bartholdy mit, siehe US-NYp, *MNY++ Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Familienbriefe, Nr. 405, gedruckt in: ebd., S. 396–398. 48 Brief vom 3. Juli 1839 an Lea Mendelssohn Bartholdy, US-NYp, *MNY++ Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Familienbriefe, Nr. 408, gedruckt in: ebd., S. 421–427. 49 Brief vom 3. Februar 1834 an Abraham Mendelssohn Bartholdy, US-NYp, *MNY++ Mendelssohn-Bartholdy, Felix, Familienbriefe, Nr. 181, gedruckt in: Sämtliche Briefe, Band 3 [Anm. 33], S. 332–334, das Zitat S. 333. 50 Ein Exemplar dieses Nachdrucks aus dem Simrock-Archiv hat sich erhalten in: Leipziger Städtische Bibliotheken, Musikbibliothek, PM 8055. Dieser unterscheidet sich lediglich hinsichtlich der Papierbeschaffenheit und -größe sowie abweichendem Wasserzeichen von der Erstauflage. 51 Zu den allgemein biographischen Daten siehe Charles Villiers Stanford, Studies and Memories, London 1908 (im Folgenden: Charles Villiers Stanford, Studies and Memories), S. 117–127; ders., Pages from an unwritten Diary, London 1914, S. 23–24; W. Harry Grindle, Irish Cathedral Music, Belfast 1989; Barra Boydell, A History of Music at Christ Church Cathedral, Dublin, Woodbridge 2004; Ita Beausang, Artikel Robinson family, in: The Encyclopaedia of Music in Ireland, hrsg. von Harry White & Barra Boydell, Dublin 2013, S. 886–888; sowie Catherine Ferris, Artikel Antient Concerts Society, in: ebd., S. 25–26. 52Obituary: Joseph Robinson, in: The Musical Times 39 (1898), Nr. 667 (1. September), S. 609 (im Folgenden: Obituary: Robinson). Folgende Charakterisierung seiner Person findet sich bei Charles Villiers Stanford, Studies and Memories [Anm. 51], S. 126: „His personality was unique. He had strong likes and dislikes. His heroes were ‚giants,‘ and his enemies ‚impostors.‘ His face, rather Jewish in type, was full of a kindly sardonic humour, which his rather jerky and nasal manner of speech exactly suited. He had […] the grip of a field-marshal. He never brooked contradiction in his own business, and he was a martinet, though a kindly one.“ 53 Brief vom 27. Mai 1842 von Joseph Robinson an Felix Mendelssohn Bartholdy, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 41, Green Books XV-246. Druckexemplare und Handschriften der erwähnten vokal-instrumentalen Kirchenwerke Mendelssohns Der 115. Psalm „Non nobis Domine“ op. 31 MWV A 9, Paulus / St. Paul op. 36 MWV A 14, Der 42. Psalm op. 42 MWV A 15 und Lobgesang / Hymn of Praise op. 52 MWV A 18 haben sich aus dem Bestand der Antient Concerts Society in der Royal Irish Academy of Music Library, Dublin, erhalten und stammen teilweise aus Robinsons Besitz bzw. wurden von ihm angeschafft, siehe dazu speziell Catherine Mary Pia Kiely-Ferris, The music of three Dublin musical societies of the late eighteenth XVIII entirely of your own compositions.“54 Der Eingeladene fühlte sich nicht nur geehrt, er nahm auch die Einladung fast überschwänglich an und erkundigte sich nach günstigen und kurzen Fährverbindungen nach Irland: „Your very kind a[nd] friendly letter has given me so much pleasure & I should feel so happy to visit your country & thank you in person for your highly flattering invitation, that I should have liked best at once to accept your kind offers, and indeed, if circumstances do not prevent me, I certainly hope to do so. […] the best days for me would be between the 15th and 20th of June. […] And at last could you let me know how long the shortest passage from England to Dublin […] does usually last, and whether there are good boats on that station? […] At any rate accept my best, best thanks for the very great kindness you show to myself & to my music & for which I shall always feel sincerely indebted to you.“55 Allein eine schwere Erkrankung von Robinsons Bruder John (1810–1844) verhinderte ein Zusammentreffen in Dublin, was Joseph Robinson im Brief vom 10. Juni56 mit großem Bedauern mitteilt, verbunden mit der Versicherung, er würde sich weiterhin für die Mendelssohnschen Kompositionen in Irland einsetzen. Am 26. Dezember 1843 nun bat der Verleger Edward Buxton um „a B[oo]k of Songs for a bass voice to be dedicated to Mr Joseph Robinson of Dublin whom you may probably know[.] He has a splendid voice & is a great admirer of your music, but there are very few of your Songs, that will suit him.“57 Zwar schreibt Mendelssohn knapp und beiläufig zurück: „I […] shall think of Bass Songs if I possibly can“58, doch scheint er in der Folge nicht die Zeit dafür gefunden zu haben. Jedenfalls waren sich beide Komponisten nicht gänzlich unbekannt, als sie sich im August 1846 schließlich persönlich trafen. Wie aus Robinsons erstem Brief an Mendelssohn hervorgeht, besuchte jener mehrfach das Musikfest in Birmingham. Im Jahr 1846 war er nicht nur bei den Konzerten anwesend, sondern reiste nach London, wo in den Hanover Square Rooms am 20. und 21. August – eine Woche vor der Uraufführung – die Orchesterproben zum Elijah stattfanden.59 Von dieser Begebenheit und der postumen Uraufführung der Fassung des „Hear my prayer“ MWV B 49 mit Orchesterbegleitung am 21. Dezember 1848 berichtet der Nachruf auf Robinson in der Musical Times: „It was at the request of Mr. Robinson that Mendelssohn orchestrated his ‚Hear my Prayer.‘ Meeting the composer at the band rehearsals – held at the Hanover Square Rooms – for the production of ‚Elijah‘ at Birmingham in 1846, Robinson asked Mendelssohn to score this favourite work. Mendelssohn was pleased with the suggestion, and in carrying it out it is understood that he adapted himself to Mr. Robinson’s orchestra in Dublin – hence the scoring for ‚small orchestra.‘ […] The first performance of ‚Hear my Prayer,‘ in its orchestral form, took place at the Antient Concert, Dublin, December 21, 1848.“60 Robinson war mit dem Rechtsanwalt und Sänger John Stanford (1810–1880) aus Dublin nach London gereist und setzte zusammen mit ihm die Fahrt nach Birmingham fort, wo im dortigen Woolpack Hotel im Anschluss an die Probe am Abend des 25. August 1846 Robinson, Stanford und William Sterndale Bennett (1816–1875) gemeinsam mit Mendelssohn dinierten. Der Sohn Stanfords, der Komponist Charles Villiers Stanford (1852–1924), teilt von diesem entspannten Zusammentreffen das Folgende mit: „They [Robinson und Stanford] have both frequently described to me his [Mendelssohns] very boyish fun and his delight in a good joke; how he extemporised a double fugue on the subject of ‚the horse and his rider‘ on the organ in the Town Hall to a few friends; how, after the final rehearsal of Elijah, he slid down the banisters of the long staircase with his feet in the air, and wound up the day by a supper with them at the Woolpack Inn, where my father rather shocked the serious Sterndale Bennett by performing Punch and Judy over the door with his fingers clothed in napkins, and introduced a Mozartian ghost to the music of the Commendatore. On this occasion Mendelssohn promised Robinson to orchestrate ‚Hear my Prayer‘ for the Antient Concerts.“61 Nachdem nun ausschließlich mündlich die Modalitäten zur Bearbeitung des Stückes getroffen waren, erstellte Mendelssohn eine Partitur, die in der Art eines Orchesterparticells nur die Instrumentalstimmen enthält. Am 17. Februar 1847 sandte er diese gemeinsam mit Teilen des Elias MWV A 25 an Edward Buxton: „I send to-day […] an Orchestra=Score of my Hymn which I hope will reconcile you to the trouble you had for my & my alterations sake […].“62 Buxton gab diese Orchesterpartitur nicht sofort an den Auftraggeber Robinson weiter, sondern ließ daraus und aus der gedruckten Fassung mit Orgelbegleitung eine Partitur erstellen, die sicherlich als Druckvorlage für die Orchesterfassung hätte dienen sollen.63 Erst nach and nineteenth centuries: The Anacreontic Society, The Antient Concerts Society and the Sons of Handel. A descriptive catalogue, Maynooth 2005, Vol. III: The Sons of Handel Catalogue and The Antient Concerts Society Main Catalogue, S. 220–224 (MWV A 18), S. 234–238 (MWV A 15), S. 229–230, 233 (MWV A 9), S. 241–247 (MWV A 14), bzw. Vol. IV: The Antient Concerts Society Bound Sets Catalogue and Appendices, S. 129–136 (MWV A 18), S. 139 (MWV A 9) und S. 140 (MWV A 15). 54Ebd. 55Brief vom 5. Juni 1842 an Joseph Robinson, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv, N. Mus. ep. 3405. 56 Brief vom 10. Juni 1842 von Joseph Robinson an Felix Mendelssohn Bartholdy, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 41, Green Books XV-267. 57Brief vom 26. Dezember 1843 von Edward Buxton an Felix Mendelssohn Bartholdy, GB-Ob, MS. M. Deneke Mendelssohn d. 44, Green Books XVIII-277. 58 Brief vom 4. Januar 1844 an Edward Buxton, Washington, D.C., Library of Congress, Gertrude Clarke Whittall Foundation Collection / Mendelssohn Collection, ML 30.8j, Box 6, Folder 2. 59 Siehe dazu F. G. Edwards, The History of Mendelssohn’s Oratorio ‚Elijah‘, London 1896, S. 77. 60Obituary: Robinson [Anm. 52]. 61 Charles Villiers Stanford, Studies and Memories [Anm. 51], S. 122; siehe zum Kontext auch Jeremy Dibble, Charles Villiers Stanford. Man and Musician, Oxford 2002, S. 10–11. John Stanford sang unter Robinsons Leitung als Bass-Solist insbesondere bei den Dubliner Aufführungen des St. Paul MWV A 14 sowie den Part des Propheten bei der irischen Erstaufführung des Elijah MWV A 25 am 9. Dezember 1847. Beim erwähnten Fugensubjekt „The Horse and his Rider“ handelt es sich wohl um ein Thema der Fuge im zweiten Teil des Schlusschors „The Lord shall reign for ever and ever“ von Georg Friedrich Händels Israel in Egypt HWV 54. 62 Brief vom 17. Februar 1847 an Edward Buxton, Washington, D.C., Library of Congress, Gertrude Clarke Whittall Foundation Collection / Mendelssohn Collection, ML 30.8j, Box 8, Folder 6, diese Passage zuerst gedruckt in: Obituary: Robinson [Anm. 52]. 63Quelle H. XIX Mendelssohns Tod leitete Buxton diese vollständige Partitur an Robinson weiter.64 Der Auftraggeber war mit dem Ergebnis zufrieden, entsprach doch die Orchesterbesetzung genau den Absprachen, wie Charles Villiers Stanford berichtet: „Shortly after his [Mendelssohns] death, […] Robinson received the score from his executors; it was written exactly for the band which Robinson had enumerated to him, and he had taken his hint to ‚be sure to use the kettledrums in the second movement‘: with what effect any one who glances at the score will appreciate.“65 Die Partitur war mit Sicherheit dann auch Grundlage der Uraufführung in Dublin, im Antient Concert vom 21. Dezember 1848. Stichvorlage für den erst im Jahr 1880 erschienenen Erstdruck der Orchesterfassung war dann wiederum eine wohl nicht mehr erhaltene, im Jahr 1852 neu erstellte Partitur von Edmund Thomas Chipp (1823–1886). Ob bzw. inwieweit die Fassung bis zum Druck handschriftlich im englischsprachigen Bereich Verbreitung fand, lässt sich schwer beurteilen, das Stück an sich – also hauptsächlich in der Fassung mit Orgelbegleitung – erfreute sich jedenfalls außergewöhnlich großer Bekanntheit in Großbritannien und Irland. Es ist durch zahlreiche englische Drucke auch in Teilen und in Form verschiedener Bearbeitungen während des gesamten 19. Jahrhunderts und darüber hinaus im angelsächsischen Musikleben höchst präsent.66 Noch 1891 hieß es in der Musical Times: „‘Hear my Prayer’ – ‘a trifle,’ as he modestly calls it – is one of Mendelssohn’s most popular and widely-known choral works.“67 Friedhelm Krummacher konstatierte diesbezüglich: „In Deutschland blieb die Komposition recht unbekannt, und man müßte ihr kaum viel Gewicht beilegen – wäre sie nicht in England zu besonderer Popularität gelangt.“68 Die Diskrepanz der vollkommen unterschiedlichen Rezeption ist evident und fordert eine Erklärung. „Nach Form, Besetzung und Satztechnik stellt das Werk keine besonderen Ansprüche. Und im Charakter repräsentiert es einen Typ liedhafter Lyrik, den man als innig und lauter gerühmt oder aber als süßlich und sentimental verdammt hat. […] Unbegreiflich bliebe nur, wieso es in England populär wurde.“69 So ließe sich dies kaum mit verschiedenen Vorlieben, musikalischen Entwicklungen oder gar Ansprüchen begründen, sondern: „Daß Mendelssohns Musik in England fraglos im Repertoire blieb, muß kein Beweis eines reaktionären Geschmacks sein – es sei denn, man wäre reaktionär genug, um nur deutsche Normen gelten zu lassen. Eher verhält es sich so, daß die Musik in England nicht vom Antisemitismus verdrängt wurde, daher im Kontext der Rezeption blieb und Verstehen ohne Vorurteile aus Unkenntnis erlaubte.“70 Im Vergleich zur Fassung mit Orgelbegleitung weist die orches trierte Fassung, wie Armin Koch herausarbeiten konnte,71 bis auf wenige oktavierte Töne im Orchesterbass kaum nennenswerte und schon gar keine strukturellen Änderungen auf. Gleichwohl ist auch hier der klanglich begründete Einsatz der Holzbläser charakteristisch, insbesondere durch eine auffällige Kopplung von Solostimme und Klarinetten. Darüber hinaus werden die Instrumente sowohl unabhängig vom Chor als auch in Verbindung mit ihm eingesetzt und dienen dabei sowohl der dynamischen Differenzierung als auch der Bildung eines instrumentalen Gegengewichts. *** Herzlich gedankt sei den Bibliotheken, die Reproduktionen von Teilen der bei ihnen aufbewahrten Originalquellen ermöglicht haben: Düsseldorf, Heinrich-Heine-Institut; Biblioteka Jagiellońska, Kraków (Małgorzata Krzos und Krystyna Pytel); The British Library, London (Nicolas Bell); Bodleian Library, University of Oxford (Martin Holmes). Außerdem sei folgenden Bibliotheken gedankt, die Einsicht in handschriftliche Quellen (Musikalien, Briefe und Dokumente) ihrer Bestände gewährten: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung und Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv; Duisburg, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen; Stadtarchiv Düsseldorf; University of Leeds, Leeds University Library, Special Collection; Mendelssohn-Haus Leipzig, Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung (Cornelia Thierbach und Juliane Baumgart-Streibert); Leipziger Städtische Bibliotheken, Musikbibliothek; New Haven, Yale University, Beinecke Rare Book and Manuscript Library; Music Division, New York Public Library for the Performing Arts, Astor, Lenox and Tilden Foundations; New York, The Morgan Library & Museum; Stockholm, Stiftelsen Musikkulturens främjande; Washington, D.C., Library of Congress, Music Division; Wien, Gesellschaft der Musikfreunde, Archiv – Bibliothek – Sammlungen. Wertvolle Hilfe und vielfältige Anregungen, die maßgeblich zum Gelingen des Bandes beitrugen, gaben der Editionsleiter Christian Martin Schmidt und die Mitarbeiter der Forschungsstelle „Leipziger Ausgabe der Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy“ Ralf Wehner und Birgit Müller; ihnen sei herzlich gedankt. Leipzig, 24. April 2015 Clemens Harasim 64 „The instrumental Score of ‚Hear My Prayer‘ was written expressly for me by Mendelssohn in consequence of a request made by me the last time I had the great pleasure of meeting him in London in August 1846. The Score was forwarded to me by Mr Buxton a few months after Mendelssohns death.“, Robinsons Notiz auf dem Vorsatzblatt dieser Partitur, siehe dazu auch Kritischer Bericht, Quelle H, Quellenbeschreibung. 65 Charles Villiers Stanford, Studies and Memories [Anm. 51], S. 122–123. 66 Bis heute finden sich melodische Adaptionen aus dem Stück, ebenso wie aus dem Anthem „Why, o Lord, delay for ever“, mit neuen Texten versehen, in geistlichen und weltlichen Gesangbüchern im Vereinigten Königreich und in den USA. 67 F. G. Edwards, Mendelssohn’s „Hear my Prayer“: A comparison of the original ms. with the published score, in: The Musical Times 32 (1891), Nr. 576 (1. Februar), S. 79–82, hier S. 79. 68 Friedhelm Krummacher, Komponieren als Anpassung? Über Mendelssohns Musik im Verhältnis zu England, in: Deutsch-englische Musikbeziehungen. Referate des wissenschaftlichen Symposions im Rahmen der Internationalen Orgelwoche 1980 ‚Musica Britannica‘, hrsg. von Wulf Konold, München/Salzburg 1985, S. 132–156, hier S. 148. 69 Ebd., S. 149. 70 Ebd., S. 151. 71 Armin Koch, Musik und Text [Anm. 27], S. 45.